COPYRIGHT: COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darfEs ohne Genehmigung nicht nicht Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. darf ohne Genehmigung verwertet werden. Insbesondere darf esdarf nichtesganz teilweise oder in Auszügen verwertet werden. Insbesondere nichtoder ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf darf das Manuskript nur mitnur Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin das Manuskript mit Genehmigung von Deutschlandradio Kultur benutzt benutzt werden. werden. Deutschlandradio Kultur, Zeitfragen 27. März 2006, 19.30 Uhr Wo bleibt der Doktor? Ärztemangel in der Provinz Von Meinhard Stark Atmo Arztpraxis Hans Albert Frech: Ab Sie können ihre Jacke aufhängen Hans Albert Frech, Arzt: Für den Patienten ist wichtig, dass der Doktor kommt, dass der Doktor betreut und sich kümmert. Ansage Wo bleibt der Doktor? Ärztemangel in der Provinz Ein Feature von Meinhard Stark Hans Albert Frech, Arzt: An sich kommt der Odenwälder zu mir in die Praxis (...) mit allen seinen Problemen. Ob das nun psychische Probleme sind im familiären Bereich, am Arbeitsplatz oder ob’s richtige gesundheitliche Probleme sind – und da ist das ganze Spektrum abgedeckt. 2 Karin Harre, Ärztin: Man fragt sich natürlich zwischendurch immer, ob man das mit seinem Idealismus nicht übertreibt, ja. Weil im Grunde genommen kann man ja nicht die sämtlichen Probleme des Gesundheitswesens sich aufladen, ja, also. Hans Albert Frech, Arzt: (Atmo Türenöffnen Wartezimmer) Das ist also die Anmeldung. Hier sitzen meine beiden Mitarbeiterinnen. (...) (Schritte) Dann ist hier jetzt Behandlung und Diagnostik, das heißt n kleines Labor, (...) hier ist physikalische Therapie, Reizstrombehandlung, (...) therapeutischer Ultraschall, EKG, hier ist Mikrowelle. Und dann ist da drüben noch der Warteraum. (...) Na ja, 30.000 Mark stehen da schon rum, 15.000, 20.000 €. Und das ist ja nun nicht opulent. (...) Wobei das im Wesentlichen das allgemeinmedizinische Spektrum abdeckt. (Atmo Türenschließen) Sprecherin: Dr. Hans Albert Frech betreibt seine Hausarzt-Praxis in Michelstadt, im Odenwaldkreis, Bundesland Hessen. Eigentlich wollte er Facharzt für Orthopädie werden. Dann aber starb sein Vater und der 31-jährige übernahm 1973 seine Praxis. Atmo IV: Karin Harre Behandlungsgespräch: Ab Und wie geht’s ihnen... Sprecherin: Dr. Karin Harre praktiziert seit 1993 als Landärztin. Von Anfang wollte sie an als Hausärztin auf dem Land arbeiten. Ursprünglich in ihrer Heimat, in Niedersachsen. Dann hat es sie durch Freunde und eben auch durch Zufall nach Walsleben verschlagen – ein Dorf mit 900 Seelen im Brandenburger Landkreis OstprignitzRuppin. Sprecher: 3 Mehr als 130.000 Ärztinnen und Ärzte sorgen für die ambulante medizinische Versorgung in Deutschland.1 Jeweils die Hälfte arbeitet als Hausärzte mit allgemeinmedizinischer Ausbildung oder als Fachärzte etwa für Kinderheilkunde, Chirurgie und Gynäkologie. Sprecherin: Die ambulante Versorgung der Bevölkerung umfasst nur 15, 8 % der Gesundheitsausgaben, der Rest geht in die Krankenhäuser und die Medikamente.2 Karin Harre, Ärztin: Etwa 1.450 Patienten haben wir so im Monat, im Quartal, Entschuldigung. Im Winter. Im Sommer sind’s dann vielleicht mal 100 weniger, weil da einfach weniger krank sind, ne. Aber es ist eigentlich zu viel. Sprecher: Die Situation, so Dagmar Ziegler, Ministerin für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Familie in Brandenburg, beginnt Dagmar Ziegler, Ministerin: ...zunehmend kritischer zu werden. Wir haben einen noch nicht eklatanten Ärztemangel, aber die Verteilung der Hausärzte in der Fläche ist sehr unterschiedlich. Und da gibt es schon Regionen, die von Vertragsärzten eben nicht mehr frequentiert werden und deshalb auch zunehmend ein Problem darstellen. Jörg Trinogga, AOK Brandenburg: Es fehlen zum Beispiel Hausärzte im Altkreis Angermünde in der Uckermark. Sprecherin: Jörg Trinogga, Pressesprecher der AOK Brandenburg: 1 2 Zahlen und Fakten zur Situation der Ärzteschaft, hrsg. vom Bundesmin. für Gesundheit, Januar 2006, S. 8. Andreas Köhler, Vorsitzender der Bundes-KV, Tagesspiegel, 09.01.2006. 4 Jörg Trinogga, AOK Brandenburg: Es fehlen Kinderärzte, also Pädiater, in Seelow und im Altkreis Eisenhütten-StadtLand. Es fehlen in Lübben und Eisenhütten-Stadt-Land Frauenärzte und Hausärzte wieder in Forst und in Schwedt. Dagmar Ziegler, Ministerin: Wir haben eine ungünstige Altersstruktur, der wir Herr werden müssen. Und wir haben eben n doppeltes Demographieproblem: zum einen ist die Bevölkerung gealtert, zum anderen aber eben auch die niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Hans-Joachim Helming, KV Brandenburg: Noch ist die Versorgung so, dass man sagen kann, sie ist nicht schlecht. Aber das geht im Augenblick nur noch zu realisieren dadurch, dass die Ärzte, die im System sind sich selber ausbeuten, zeitlich und körperlich. Sprecher: Hans-Joachim Helming, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg, die für die Sicherstellung der ambulanten Versorgung zuständig ist. In der ärztlichen Selbstverwaltung sind rund 3.700 Ärztinnen und Ärzte organisiert. Sie behandeln deutschlandweit die ältesten und die meisten Kranken. Im Bundesdurchschnitt kommt statistisch auf 699 Einwohner ein praktizierender Arzt. Während es in Bremen 518, in Berlin 531 Einwohner sind, bildet Brandenburg mit 825 Einwohnern pro Arzt das Schlusslicht. Hessen liegt über dem Durchschnitt in der ärztlichen Versorgung. Andreas Bonn, AOK Hessen: Ne Unterversorgung gibt es in keiner Region Hessens. Soviel kann man sagen. Sprecherin: Andreas Bonn. Pressesprecher der AOK Hessen. 5 Andreas Bonn, AOK Hessen: Allerdings werden sie – und ich denke das wird in jedem Bundesland der Fall sein – auch in Hessen irgendwo einen Ort finden, wo ein Hausarzt oder ein Facharzt gebraucht wird. Sprecherin: Im Odenwaldkreis, in dem Hans Albert Frech praktiziert, beträgt die Versorgung mit Hausärzten 110 %. Im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, wo Karin Harre tätig ist, sind es dagegen nur 93, 6 %. Atmo Arztpraxis Hans Albert Frech: Ab Tür öffnen und können wir Sprecherin: Der Alltag der niedergelassenen Allgemeinmediziner ähnelt sich in ländlichen oder kleinstädtischen Gebieten – egal ob West oder Ost. Karin Harre, Ärztin: Montag ist natürlich viel los. Da haben wir, geht’s im Prinzip von acht bis zwölf – theoretisch – meistens geht’s dann so bis halb zwei. Es kommen etwa (...) so etwa 30 bis 40 Patienten, die bei mir wirklich im Sprechzimmer landen. Und dann holen wir eigentlich noch mal tief Luft, machen Mittagspause (...) und dann komm’ oft um vierzehn Uhr die nächsten, weil wir da zwar keine Sprechstunde mehr haben, aber da bestellen wir Patienten für Dinge, die so' n bisschen aufwendiger sind, die man in der Sprechstunde nicht schafft. Hans Albert Frech, Arzt: Also, ich bin um so kurz vor halb acht, 20 Minuten nach sieben bin ich in der Praxis. Und um halb acht sind auch die ersten Patienten da. Karin Harre, Ärztin: Regulär habe ich etwa so 45 Wochenstunden und dann kommt ja noch der Bereitschaftsdienst dazu, (...) ein, höchstens zweimal Bereitschaftsdienst im Monat. 6 Hans Albert Frech, Arzt: Mittags um zwei bin ich dann wieder in der Praxis. Dann ist die normale Sprechstunde (...) von zwei bis sechs. (...) Meistens sind wir auch um sechs, spätestens halb sieben bin ich fertig. Und dann kommt noch mal der Schreibkram auf meinen Schreibtisch von meinen Damen, was sich im Lauf des Tages alles so angesammelt hat. Karin Harre, Ärztin: (Hintergrund Autofahrt) Ja, also so im Monat so 50 bis 60 Hausbesuche. Also so drei, vier am Tag ist eigentlich so das Übliche. Ja, manchmal sind natürlich auch sieben oder acht und dann sind dann wieder weniger. Aber das ist so der Durchschnitt, hm. (...) also, das allerweiteste sind 22 Kilometer, ja, doch 10, 15 ist eigentlich schon üblich, ja, hm. Hans Albert Frech, Arzt: (Atmo Autofahrt) Also, das was wir jetzt fahren ist also noch der kleinste Bereich. Jetzt sind wir in Erbach. (Atmo Autofahrt) Sprecherin: Die Fahrt geht zu einem 63jährigen Patienten, der einen Schlaganfall erlitten hat und von seiner Ehefrau gepflegt wird. Hans Albert Frech, Arzt: (Atmo Ankunft und Autotüren zuschlagen) Ehefrau: Guten Morgen. Frech: Hab ich euch heut beim Frühstück gestört? Ehefrau: Nein, wir sind soweit. Moment ich zieh ihn gerade an. (...) Frech: So, Herr Peters setzen sie sich, wir messen den Blutdruck wie immer. (...) Hat sich was verändert? Ehefrau: Nee, er ist ewig müde. Frech: Ewig müde. Wann haben wir ihn denn das letzte Mal Labor mäßig nachgesehen. Ehefrau: Blutbild....(Atmo Blutdruck messen) Sprecherin: Wenn der Hausarzt nicht regelmäßig kommen würde, müsste der schwer behinderte Patient mit Familienangehörigen oder einem Krankentransport zum Arzt oder ins Krankenhaus gebracht werden. 7 Karin Harre, Ärztin: Deswegen bin ich ja nun auch Arzt geworden, dass ich jetzt die Leute auch versorgen will, ja. Und hab mir gedacht, die es am meisten nötig haben sind ja die älteren Patienten im Endeffekt. Hans Albert Frech, Arzt: Ich habe 35 % Rentner. Der Rest sind Familien, Familienmitglieder. (...) Und die kommen mit dem üblichen allgemeinmedizinischen Spektrum: Positiv, dass ich n sehr gutes Verhältnis zu meinen Patienten habe. Dass die Patienten Vertrauen zu mir haben, dass die zu mir kommen mit allen Problemen, die sie belasten. Margita Bert, KV Hessen: Deswegen wird er immer seine Wichtigkeit behalten. Er ist eigentlich der – ja, die Hausärzte bezeichnen sich gerne – als Lotse. (...) Und er ist auch die Vertrauensperson. Sprecher: Margita Bert, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen: Atmo III: Karin Harre Behandlungsgespräch: Ab Tippen auf Computer Hans Albert Frech, Arzt: Die Abrechnung der eigenen Leistungen passiert bei uns während der Sprechstunde. Die geht über den Computer und die Ziffern, die ich erbringe und die auch draußen bei meinen Mitarbeitern erbracht werden, werden sofort eingegeben. Das heißt also, eigentlich ist abends bis auf meine Überprüfung der Angelegenheit die Abrechnung fertig. Sprecherin: Die Vergütung der ärztlichen Leistungen basiert auf einem komplizierten Modus, der zwischen den Krankenkassen und den Kassenärztlichen Vereinigungen der Bundesländer immer wieder aufs Neue ausgehandelt wird. Die Kassen zahlen der KV auf der Basis von Kopfpauschalen pro Mitglied eine jährliche Gesamtvergütung. Diese wiederum wird über eine Verteilungssystematik an die einzelnen Ärzte 8 aufgeteilt. Die Honorierung ärztlicher Leistungen erfolgt über Punkte, die die einzelnen ärztlichen Leistungen in Relation zueinander setzen. Sprecher: Karin Harre als Hausärztin erhält beispielsweise im Quartal pro Patient rund 900 Punkte. Wie viel der einzelne Punkt und damit dann die ärztliche Leistung wert ist, ergibt sich erst mehrere Monate später. Der Grund: Die Punktmenge variiert, da die Leistungen variieren. Die Gelder sind jedoch fix. Das heißt, je mehr Leistungen erbracht werden, desto weniger ist die einzelne Leistung wert. Dadurch ist das Einkommen der Ärztin kaum planbar. Hinzu kommt, dass ihr Budget nur für etwa 920 Patienten reicht. Danach gibt es abgesenkte Punktwerte oder gar keine Zahlungen mehr. Bei ca. 1.500 Patienten ist das Budget einfach zu knapp bemessen. Karin Harre, Ärztin: Im letzten Quartal hatten wir ausgerechnet, dass wir ab so etwa 10. Dezember haben wir umsonst gearbeitet. Also, die letzten drei Wochen. Ich meine, ist klar, das vierte und das erste Quartal ist immer unheimlich viel zu tun, weil die vielen Infekte und Impfungen und was so alles ist. Hans Albert Frech, Arzt: Die letzten vier Wochen im Quartal arbeiten wir umsonst. Da heißt nicht, dass ich 30 % mehr haben möchte. Ich möchte nur in etwa das bezahlt bekommen, was ich arbeite. Sprecherin: Die Ausbildung zum Facharzt beinhaltet ein fünfjähriges Studium, ein praktisches Jahr und eine drei bis sechsjährige Facharztausbildung. Wer sich als Mediziner niederlässt nimmt Kredite mindestens in fünfstelliger Höhe auf und geht damit auch ein wirtschaftliches Risiko ein. Der Arzt trägt Verantwortung als Arbeitgeber und ist für die Gesundheit und das Leben Hunderter Menschen verantwortlich. Auf diesem 9 Hintergrund ist ein Vergleich des Einkommens mit dem des Durchschnittsverdieners – in letzter Zeit sehr beliebt – eher unangebracht. Zudem erhalten die Ärztinnen und Ärzte in den neuen Bundesländern bis heute nur etwas mehr als 70 % des Entgeltes ihrer westlichen Kollegen. Sprecher: Karin Harre verdient monatlich 2.000 bis 2.500 € Netto und liegt damit im Brandenburger Durchschnitt. Atmo: Ärzte-Demonstration vor Landtag Brandenburg, 15.12.2005 Sprecher: Im Spätherbst 2005 brechen in Brandenburg die Honorare vor allem bei niedergelassenen Fachärzten, weniger bei Hausärzten, ein. Die Krankenkassen überweisen weniger als angefordert an die Ärzte. Am 15. Dezember demonstrieren sie vor dem Brandenburger Landtag. Hans-Jochim Helming, KV Brandenburg: Wir brauchen einen sicheren Honorarvertrag, der angemessene Honorare für unsere ärztlichen Leistungen in dem nächsten halben Jahr und in den nächsten Jahren gewährleistet. (Atmo Applaus) Sprecherin: Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Hans-Jochim Helming: Hans-Jochim Helming, KV Brandenburg: Dazu brauchen wir ein offenes Verhandlungsklima mit den Krankenkassen. Wir brauchen die richtigen rechtlichen Rahmenbedingungen, die uns in die Lage versetzen, von den Krankenkassen das an Honorar zu fordern, was für die Befriedigung des Versorgungsbedarfs wirklich notwendig ist; und nicht Almosen, 10 budgetierte Punktwerte, abgesenkte Punktwerte und eine interne Umverteilung ohne Ende. Das sind keine Lösungen. (Atmo Applaus) Sprecherin: Da sich die Verhandlungspartner nicht nur in Brandenburg kaum noch einigen können, muss in letzter Zeit immer wieder das Landesschiedsamt angerufen werden. Eine Lösung der Honorierungs- und Verwaltungsprobleme ist kaum in Sicht und dürfte Teil der anstehenden Reformierung des Gesundheitssystems durch die große Koalition werden. Atmo I: Karin Harre Behandlungsgespräch: Ab ...und ist es jetzt besser... Sprecher: Fakt ist: den Kassen fehlen die Einnahmen durch die hohe Arbeitslosigkeit und den Wegfall weiterer sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze. Zusätzliche Einnahmenausfälle in Millionenhöhe entstanden den Krankenkassen im vergangenen Jahr durch die Umsetzung der Harz-IV-Gesetzgebung. Aus zahlenden Mitgliedern wurden beitragsfreie Familienversicherte. Jörg Trinogga, AOK Brandenburg: Jörg Trinogga, Der eine Fakt ist, dass das Geld fehlt. Und der andere Fakt ist, dass aber die Menschen weiterhin natürlich betreut werden. Und ich würde einfach mal als These hinstellen, dass ein ALG II Bezieher (...) einen höheren medizinischen Betreuungsbedarf hat, als ein Buchhalter im Öffentlichen Dienst zum Beispiel. 11 Sprecherin: Bei den Brandenburger Krankenkassen betrug der Ausfall im vergangenen Jahr 14 Millionen Euro. Dafür erhielten sie eine Kompensation von gerade einmal 3 Millionen.3 Sprecher: Die Stimmung unter den Ärztinnen und Ärzten ist gereizt. So beginnt heute eine Protestwoche der niedergelassenen Mediziner, in der es bundesweit zu örtlichen Aktionen und Praxisschließungen kommen soll. Und nicht umsonst kam es im Januar und jetzt im März zu großen Demonstrationen und Streiks des immer noch angesehensten Berufsstandes in Deutschland. 4 Karin Harre, Ärztin: Wir haben ja auch gar nicht jetzt Honorar Gott weiß wie gefordert vorher, weil ja allen klar dass, wo wolln sie’s immer her nehmen die Krankenkassen. Das ist uns ja irgendwie auch klar. Aber dass wir für den ganzen Aufwand und diesen immer mehr Aufwand den man hat bei den immer älteren, immer kränkeren Leuten, dass man dann jetzt auch noch was abgezogen wurde. Das war dann einfach zu viel. Atmo II: Karin Harre Behandlungsgespräch: Ab Ich schreib mal Tabletten auf Sprecherin: Auf strikte Ablehnung der niedergelassenen Ärzteschaft stößt ein ArzneimittelSpargesetz der Bundesregierung, dass Anfang April in Kraft treten sollte. Derzeit wird das Vorhaben im Vermittlungsausschuss diskutiert. 3 Dagmar Ziegler im Interview mit dem Autor am 17.02.2006. Allensbacher Berufsprestige-Skala von 2005. In: Zahlen und Fakten zur Situation der Ärzteschaft, hrsg. vom Bundesminist. für Gesundheit, Januar 2006, S. 2. 4 12 Sprecher: Im Jahr 2005 sind die Ausgaben für Medikamente gegenüber dem Vorjahr um 3,1 Milliarden auf mehr als 23 Milliarden Euro gestiegen.4 Dieser Betrag übersteigt bereits die Ausgaben für die ambulante medizinische Versorgung. Dabei haben aber die Mediziner in den vergangen 15 Jahren die Zahl der Arzneiverordnungen an ihre Patienten bereits um 25 % reduziert und zunehmend preiswertere Alternativmedikamente verschrieben.5 Sprecherin: Im gleichen Zeitraum sind die Kosten für pharmazeutische Produkte explodiert. Nunmehr versucht man die Ärzteschaft für die Preise der Pharmaindustrie in Haftung zu nehmen, denn sie sollen zwischen teueren und billigen Medikamenten unterscheiden und entsprechend verordnen. Wer sein Arzneimittelbudget um 10 % überschreitet wird automatisch mit einem Malus belegt und in Regress genommen, gegen den er sich nicht wehren kann.6 Karin Harre, Ärztin: Und jetzt ist es so, wir haben einmal das ethische Problem. Also, wenn ich das jetzt alles verschreibe, was nach der medizinischen Wissenschaft eigentlich jetzt sinnvoll ist, dann krieg ich ne Geldstrafe. (...) Braucht der jetzt ein Cholesterinsenker zum Beispiel, nicht. Und dann überleg ich jetzt und dann frage ich mich jetzt inzwischen schon, denkst du jetzt so gründlich darüber nach, weil du jetzt Angst hast davor, dass die dich dann dran kriegen oder braucht der den jetzt wirklich nicht. Hans Albert Frech, Arzt: Wenn ich einem Patienten Billiges und wenig verschreibe, bekomme ich einen Bonus. (...) Wenn ich jetzt einem Patienten ein billiges Medikament verschreibe, sagt der, Doktor, du willst nur an mir verdienen. 4 Tagesspiegel vom 31.01.2006. Tagesspiegel vom 12.02.2006. 6 Ärzte-Zeitung, 13.02.2006. 5 13 ATMO Rettungswagen Markus Borgmann, Student: Ich denke auch schon, dass sich die Erstsemester durchaus im Klaren darüber sind, worum’s geht. Also, dass das nicht mehr so toll ist, wie früher, wies unsere Großeltern oder unsere Eltern noch kennen gelernt haben. (...) ich glaube, dass da kaum jemand ist, der sich Illusionen macht. Sprecherin: Ca. 9.000 Absolventen der Humanmedizin verlassen jährlich die deutschen Universitäten. Anfang der neunziger Jahre waren es allerdings noch 20 % mehr.7 Anna Böcker, Doreen Sallmann und Markus Borgmann studieren in Berlin Medizin. Sie sind zwischen 25 und 29 Jahren. Obwohl noch einige Jahre vergehen, bis sie als Fachärzte tätig werden, machen sie sich wie viele ihrer Kommilitonen Gedanken über ihre Zukunft. Doreen Sallmann, Studentin: Im Moment tendiere ich eher zum Niederlassen. Weil man auch die Patienten dann längere Zeit betreut, sich kennt. Das Verhältnis viel besser ist, als im Krankenhaus. Und da bin ich mir noch nicht so sicher, ob das dann in Deutschland ist. Kommt drauf an, wie dann die Situation hier sein wird, in den Praxen. Anna Böcker, Studentin: Und was ich in letzter Zeit auch öfter gehört hab, ist Industrie oder Management, Ärzteberatungen, Versicherungsberatungen. Sind schon eher Arzt ferne Tätigkeitsfelder. Markus Borgmann, Student: Die pharmazeutische Industrie wartet nur auf uns. Hat ein Supereinkommen, hat eine geregelte Arbeitszeit. Da geht man wirklich morgens um acht hin und hat Nachmittag um drei halb vier Schluss. Anna Böcker, Studentin: 7 Zahlen und Fakten zur Situation der Ärzteschaft, hrsg. vom Bundesminist. für Gesundheit, Januar 2006, S. 13. 14 Nach Skandinavien, in die Schweiz und in die USA. Hört man das immer wieder. Ja, ich geh sowieso! Mich hält hier nichts irgendwie. Doreen Sallmann, Studentin: Das ist die Ausnahme, die aufs Land wollen. Dagmar Ziegler, Ministerin: Also, wir wissen, dass unsere Ärzte immer älter werden – wie wir alle. Dass wir in jedem Falle, wenn wir die Perspektive in zehn Jahren ansehen sehr viel weniger Ärzte haben werden. Sprecher: Dagmar Ziegler, Brandenburgs Gesundheitsministerin: Dagmar Ziegler, Ministerin: Von den knapp 3.000 Vertragsärzten in Brandenburg sind über 750 Ärzte 60 Jahre und älter. Und wenn die alle ausgeschieden wären und es nicht gelänge, dass wir die freiwerdenden Arztpraxen wieder besetzen können, würde es also ziemlich schlimm aussehen. Hans-Joachim Helming, KV Brandenburg: Dann haben wir plötzlich Versorgungsgrade von nur noch 67, 73, 61 %. Sprecherin: Hans-Joachim Helming, Kassenärztliche Vereinigung Brandenburg. Jörg Trinogga, AOK Brandenburg: Ich befürchte, da werden wir nicht die Augen vor verschließen können. Da sollten wir auch gar nicht Versprechungen machen, die wir nicht halten können. Wir werden nicht in jedem größeren Dorf mehr einen Hausarzt haben. Sprecherin: Jörg Trinogga , AOK Brandenburg. 15 Sprecher: Bis zum Jahre 2015 verlassen knapp 75.000 Mediziner den Beruf, fast die Hälfte der niedergelassenen Ärzte scheidet bis dahin aus.8 Doch schon heute sind mehr als 2.500 Arztpraxen in Deutschland unbesetzt.9 Besonders dramatisch entwickelt sich die Lage in den ländlichen und kleinstädtischen Gebieten der neuen Bundesländer, wie das Beispiel Brandenburg zeigt. Sprecherin: Aber auch für Westdeutschland wird abseits der großen Städte ein Arztmangel prognostiziert. Hans Albert Frech möchte noch bis Ende 2007 seine Arztpraxis im hessischen Michelstadt betreiben. Dann ist er 65. Schon seit einiger Zeit sucht er einen Nachfolger. Hans Albert Frech, Arzt: Und finde bis jetzt niemanden. Es waren etliche junge Kollegen hier. Die schauen sich dann die Praxis. Lassen sich die Zahlen zeigen. Wie viele Fälle die Praxis hat, wie viele Rentner, wie viel Familienmitglieder. Den zeige ich eine Gewinnermittlung, damit die sehen was die Praxis abwirft. Und dann: die meisten melden sich nicht mehr. Die wenigen, die sich danach noch mal gemeldet haben, haben abgesagt. Also, ich denke, dass den jungen Kollegen das Risiko zu groß ist, das unternehmerische Risiko, sind einfach unsicher, ob sich das trägt. Markus Borgmann, Student: Mich persönlich würde da auch nichts hinziehen, aufs Land. Also, ich muss auch nicht in der Großstadt wohnen. Aber nur noch für meine Patienten zu leben und kaum Zeit für meine Familie zu haben und dazu dann auch noch n relativ bescheidenes Einkommen. Da kann man schon verstehen, dass die Leute keine Lust da drauf haben. 8 9 Berliner Zeitung, 07.10.2005. Zahlen und Fakten zur Situation der Ärzteschaft, hrsg. vom Bundesminist. für Gesundheit, Januar 2006, S. 15. 16 Doreen Sallmann, Studentin: Wirklich so' n richtiger Landarzt möchte ich werden. (lacht) Wirklich. Teilweise hab ich ja gehört, dass die Patienten am Wochenende, wenn sie irgendwas haben, ganz dringendes, dann klingeln sie lieber beim Hausarzt, als dass sie in die Klinik fahr’n. Und das ist das, was ich mir vorstelle. Natürlich kann das lästig werden, aber also, ich glaub nicht, dass es mir lästig wird. Ich find das schön, wirklich. Anna Böcker, Studentin: Ich würde auch aufs Land gehen und in ne Kleinstadt gehen. Das Problem ist einfach, dass das Abrechnungssystem für die Arztpraxen so funktioniert, dass man mit dem was man am Tag schaffen kann – die Patienten die man behandeln kann – dass man damit nicht genug verdient, um überleben zu können. Sprecherin: Um dem Ärztemangel zu begegnen schlug die AOK im vergangenen Jahr vor, ein Pflichtjahr für junge Mediziner auf dem Lande einzuführen. Von der Ärztegewerkschaft Marburger Bund wurde der Vorschlag als „Knechtjahre“ bezeichnet und klar zurückgewiesen.10 Mit Zwangs- oder Einzelmaßnahmen ist dem Problem kaum Herr zu werden. Sprecher: Ministerin Ziegler: Dagmar Ziegler, Ministerin: Es gibt nicht diesen großen Schlag und den wird es auch nicht geben können, sondern es ist ein wirklich ein Puzzle von vielen Maßnahmen und wo jeder seine eigene Verantwortung – sowohl die Ärzteschaft aber eben auch die Politik tragen muss und die Krankenkassen. Atmo V: Karin Harre Behandlungsgespräch: Ab Also, ich horch erst mal... Sprecher: 10 FAZ und Berliner Zeitung vom 07.10.2005. 17 Alle Beteiligten müssen ins Boot – ungeachtet der aktuellen Konflikte in Brandenburg zwischen Kassen, Ärzteschaft und Ministerium – und gemeinsam mit den Kommunen in den nächsten Jahren Konzepte und Maßnahmen entwickeln, die die ambulante medizinische Versorgung der Menschen auf dem Lande in angemessener Weise sicherstellt. Sprecherin: Der Vertreter der Brandenburgischen Kassenärzte, Hans-Joachim Helming, sieht in der 30 % betragenden Unterfinanzierung der ostdeutschen Ärzteschaft die wichtigste Niederlassungsblockade und fordert die gleiche Mittelbereitstellung wie in den alten Bundesländern. Hans-Joachim Helming, KV Brandenburg: Das wäre dann immer noch nicht gerecht verteilt, weil wir ne höhere Alterslast der zu versorgenden Patienten haben. Eigentlich müssten hier mehr Mittel bereitgestellt werden als im Durchschnitt der Bundesrepublik. Wir wären aber schon zufrieden, wenn wir wenigstens das gleiche bekämen wie in den Altbundesländern. Dann hätten wir also auch ne Chance, niederlassungswillige Ärzte in Brandenburg anzusiedeln. Sprecherin: Dazu bräuchte man in Ostdeutschland jährlich zusätzlich 700 Millionen Euro.11 Doch woher nehmen? Die AOK in Brandenburg hält sich mit derartigen Forderungen zurück. Ihr Sprecher: Jörg Trinogga, AOK Brandenburg: Geld kann ich in dieses deutsche Gesundheitswesen oben soviel reinschütten wie ich will. Das heißt nicht automatisch, dass es mit mehr Geld auch größere Qualität oder ne höhere Versorgungssicherheit geben würde. 11 FAZ 24.08.2005. 18 Sprecherin: Bei drohender Unterversorgung würde die AOK in Hessen auch auf finanzielle Hilfestellungen zurückgreifen. Pressesprecher Andreas Bonn: Andreas Bonn, AOK Hessen: Dann wäre es eine Möglichkeit zu sagen, OK über monitäre Anreizsystem mach ich diese Region attraktiver, so dass sich neue Ärzte hier potenziell eher niederlassen als wo anders. Sprecher: Übrigens erhielten Landärzte in der Bundesrepublik wie in der DDR früher eine Landzulage. Andere Formen der finanziellen Förderung sind Einmal- oder Ratenzahlungen bis zu 60.000 Euro, wie im Bundesland Sachsen.12 Sprecherin: Ein Teil des nötigen Geldes könnte aus dem „Morbiditätsbezogenen Risikostrukturausgleich“ kommen. Ein Fond, in den Krankenkassen mit jüngeren und gesunden Beitragszahlern Mittel an die Kassen abführen, deren Mitglieder – wie in den ostdeutschen Ländern – eine überdurchschnittliche Krankheitslast tragen. Die Umsetzung liegt jedoch immer noch auf Eis. Sprecher: Auch betroffene Kommunen bleiben nicht tatenlos und erkennen, ein Ort ohne Arzt ist für Gewerbe und neue Bewohner unattraktiv. Wo jeder Arbeitsplatz und Steuerzahler zählt, sind auch zwei beschäftigte Arzthelferinnen von Bedeutung. 12 Freie Presse Chemnitz 08.02.2005. 19 Deshalb kümmern sich Kommunen auch von sich aus um ärztlichen Nachwuchs, renovierten vakante Praxen oder stellen Immobilien kostenlos zur Verfügung. Sprecherin: Auch die Kassenärztlichen Vereinigungen sind aktiv. Die KV in Brandenburg verabschiedete im Jahr 2003 als erste in Deutschland ein Sicherstellungsstatut, um junge Mediziner ins Land zu ziehen. Berufseinsteigern sichert die KV aus ihren Mitteln die durchschnittliche Umsatzgarantie. Hans-Joachim Helming, KV Brandenburg: Wenn also n Arzt sich niederlassen will, aber er nicht weiß, ob sich die Praxis trägt, dann geben wir ihm die Sicherheit: Fang mal an, du wirst ja sehen, ob’s funktioniert. Wenn’s betriebswirtschaftlich unterhalb eines Bereiches liegt, der – sagen wir mal – tragfähig ist, kriegst du von uns n Ausgleich. Sprecherin: Zudem vermietet die KV Brandenburg niederlassungswilligen Ärzten unbesetzte Praxen. Die Mediziner bezahlen zunächst Miete und können später die Praxis von der KV abkaufen. Allerdings erbrachten all diese Angebote bislang noch nicht den gewünschten Erfolg. Sprecher: In Hessen kümmert man sich in Kooperation mit den Krankenkassen um die Ausbildung von Allgemeinmedizinern bei niedergelassenen Ärzten, um sie langfristig an die Region zu binden. Die Lohnkosten teilen sich KV, Kassen und der Ausbildende. Auch neue oder wiederbelebte Arbeitsformen sind nötig, so Margita Bert: 20 Margita Bert, KV Hessen: Das Modell der Gemeinschaftspraxen, also der medizinischen Versorgungszentren wird sicher greifen. Wir sehen aber eben, dass es mehr im städtischen Bereich greift als im ländlichen Bereich. Ich denke, das wird auch eine Lösung für die Zukunft sein, dass die gemeinsame Geräte haben, mit angestellten Ärzten arbeiten, als GmbH arbeiten. Also, da gibt’s verschiedene Gesellschaftsformen. Das ist ein Modell der Zukunft, was den jungen Ärzten auch entgegen kommt. Sprecher: Auch im Zulassungs- und Vertragsrecht haben Änderungen Einzug gehalten. Nunmehr sollen niedergelassene Ärzte Zweitpraxen betreiben, Kolleginnen und Kollegen voll oder in Teilzeit anstellen oder auch Klinikärzte an der ambulanten Versorgung teilnehmen dürfen. Sprecherin: Die Brandenburger Gesundheitsministerin Dagmar Ziegler möchte demnächst unter den Medizinabsolventen werben. Slogan der Kampagne: Dagmar Ziegler, Ministerin: „Landarzt – warum nicht“ Fragezeichen, Ausrufezeichen, um auch gerade Absolventen zu vermitteln, es ist wunderschön hier im Land Brandenburg. Die Landschaft ist herrlich. Die Kultur ist toll. Es gibt unheimlich viele Freizeitangebote. Und das werden wir verstärkt versuchen, zu vermitteln bei den Absolventen der Hochschulen und der Universitäten. Atmo Arztpraxis Hans Albert Frech: Ab Telefonanruf Sprecher: Nur durch ein konzertiertes Vorgehen aller Beteiligten kann der drohende Ärztemangel im Osten und in verschiedenen ländlichen Regionen im Westen des Landes abgewendet werden. Ohne zusätzliche Ausgaben wird die Sicherstellung der 21 ambulanten medizinischen Versorgung in allen Regionen – auch wenn nicht mehr in jedem größeren Dorf ein Arzt praktiziert – kaum möglich sein. Sprecherin: Aber nicht nur Geld und notwendige Niederlassungshilfen sind gefragt, sondern auch junge und engagierte Mediziner. Absage: In der Reihe Zeitfragen hörten Sie: Wo bleibt der Doktor? Ärztemangel in der Provinz Ein Feature von Meinhard Stark Es sprachen: Nadja Schulz-Berlinghoff und Victor Neumann Technik: Andreas Narr Regie: Beatrix Ackers Redaktion: Constanze Lehmann Produktion: Deutschlandradio Kultur 2006