Update 12-06-2011 Übersetzung Lagro

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Update 12-06-2011
Übersetzung Lagro-Janssen ALM
Zu Buch Miemietz, Sammelband geschlechtersensible Medizin
Soziales und biologisches Geschlecht: Themen für die Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten
Zusammenfassung
Zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse unterstreichen die Bedeutung von Geschlechteraspekten für Gesundheit
und Krankheit. Wenn wir solche Unterschiede in Bezug auf das soziale Geschlecht (engl.: gender) und das biologische
Geschlecht (engl.: sex) nicht ausreichend berücksichtigen, wird sich das auf die Qualität der Gesundheitsversorgung
von Männern und Frauen ungünstig auswirken, und gerade dies soll ja durch eine gute medizinische Ausbildung
vermieden werden. Im vorliegenden Beitrag wird anhand von Beispielen gezeigt, wie Wissen, Einstellungen und
Fertigkeiten in Bezug auf biologisches und soziales Geschlecht in der Ausbildung sowohl in Wahl- als auch in
Pflichtfächern umgesetzt werden können. Anschließend werden Faktoren beschrieben, die die Umsetzung einer
geschlechtersensiblen medizinischen Ausbildung fördern oder behindern. Abschließend diskutiert die Autorin, was
unternommen werden sollte, um zukünftige Ärztinnen und Ärzte auszubilden, die geeignete Kompetenzen
aufweisen, um mit Geschlechteraspekten in der Medizin umgehen zu können. (Lagro-Janssen T. Gender and sex.
Issues in medical education. Netherlands Journal of Medical Education 2010; 29(1):48-53)
Einleitung
Wenn es um die Unterschiede zwischen Männern und Frauen geht, dann beschränkt sich die medizinische
Ausbildung auf spezielle geschlechtsbasierte Fortpflanzungsfunktionen, wie z. B. Schwangerschaft, Unfruchtbarkeit,
Verhütung, Menstruationsprobleme und Erkrankungen der Prostata. Es wird jedoch immer deutlicher, dass zu den
biologischen Unterschieden zwischen den Geschlechtern viel mehr Aspekte gehören als dieser kleine Ausschnitt der
Fortpflanzungsfunktionen (1). Heute gibt es immer mehr Erkenntnisse, die z. B. zeigen, dass Männer und Frauen in
Bezug auf das Auftreten und das Präsentieren von Symptomen, bezüglich der Symptome selbst und hinsichtlich der
Prognose zahlreicher gesundheitlicher Probleme verschieden sind; dazu zählen beispielhaft sexuell übertragbare
Krankheiten (STDs), HIV/AIDS, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, chronische obstruktive Lungenerkrankung (COPD),
Depression, Angststörungen und Autoimmunerkrankungen. Geschlechterblindheit in der Medizin bedeutet, dass
vielen Ärztinnen und Ärzten nicht bewusst ist, dass sich ein großer Teil des vorliegenden medizinischen Wissens auf
die Kenntnis des männlichen Körpers als Prototypen des menschlichen Körpers stützt (2).
Gesundheitliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt es – abgesehen von den biologischen Unterschieden
– auch in Bezug auf psychologische, soziale und kulturelle Faktoren (2). Einige Beispiele für weitere Unterschiede
zwischen Patientinnen und Patienten sind unterschiedliche Risikofaktoren, die Entwicklung einer
Geschlechtsidentität, der Lebenszyklus, Kommunikation und die Folgen von Krankheiten und ihrer Behandlung.
Wenn wir solche biologischen und sozialen Unterschiede der Geschlechter nicht genügend beachten, wird dies die
Qualität der Gesundheitsversorgung für Männer und Frauen negativ beeinflussen – und eben das soll eine gute
medizinische Ausbildung zu vermeiden wissen. Wir haben daher basierend auf medizinischer Literatur, Gesprächen
mit Expertinnen und Experten und persönlichen Erfahrungen eine Liste von Voraussetzungen erarbeitet, die eine
erfolgreiche Integration von biologischem Geschlecht („sex“) und sozialem Geschlecht („gender“) in den
medizinischen Lehrplänen erfüllen sollte (siehe Kasten 1).
In diesem Beitrag zeige ich zunächst anhand von Beispielen, wie Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten in Bezug auf
biologisches Geschlecht und Gender Eingang in die medizinische Lehre finden können. Danach werde ich die
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Faktoren zusammenfassen, welche die Umsetzung einer geschlechtersensiblen
Medizinerausbildung begünstigen bzw. behindern. Abschließend werde ich diskutieren, was
getan werden sollte, um zukünftige Ärztinnen und Ärzte darauf vorzubereiten und in die Lage
zu versetzen, mit Geschlechteraspekten in der Medizin fachgerecht umzugehen.
Biologisches und soziales Geschlecht in der medizinischen Lehre: einige Beispiele
In den Lehrplänen liefern sowohl Wahl- als auch Pflichtfächer eine Vielzahl von Gelegenheiten, biologisches und
soziales Geschlecht zu implementieren: In den Wahlfächern können spezielle Geschlechteraspekte fokussiert
dargestellt werden, während im Kernlehrplan geschlechterspezifische Aspekte in die reguläre medizinische
Ausbildung integriert werden können.
Besondere Darstellung von biologischem und sozialem Geschlecht in den Wahlfächern
Vor Kurzem entwickelten wir einen Wahlkurs, in dem Studierende nicht nur Wissen über Geschlechterunterschiede
in Bezug auf Epidemiologie, Manifestation und Behandlung von Erkrankungen erwerben, sondern auch ein tieferes
Bewusstsein darüber, wie das Geschlecht das individuelle Verhalten, die Gedanken und Vorurteile ausbildet. Darüber
hinaus konzentriert sich dieser Kurs darauf, Fertigkeiten zu entwickeln, mit denen geschlechterspezifische
medizinische Hilfe in die praktische Arbeit umgesetzt werden kann, indem auf umfangreiches multidisziplinäres
medizinisches Wissen aus Vorlesungen zurückgegriffen wird, die auf Sexualforschung, Gynäkologie, Urologie,
Anatomie, Psychiatrie und Gesundheitsgesetzgebung spezialisiert sind.
Wichtige Themen in diesem Kurs sind die Bedeutung des Geschlechts bei Krankheiten, die Beziehung zwischen
Identitätsentwicklung und Geschlecht sowie der Einfluss der eigenen Sozialisierung der Studierenden auf die
Arzt/Ärztin-Patient/Patientin-Beziehung. Die am Kurs Teilnehmenden schreiben einen autobiographischen Aufsatz zu
ihrer Sozialisation als Frau bzw. Mann. In Simulationsübungen wenden sie die wichtigsten Attribute von
geschlechtersensibler medizinischer Hilfe auf dazu geschulte Testpatientinnen und -patienten an. Sie eignen sich
Wissen und Fertigkeiten in Bezug auf soziale und biologische Geschlechterunterschiede in den sexuellen Funktionen
und Funktionsstörungen an (4). Darüber hinaus lernen sie, Anzeichen für sexuellen Missbrauch und spezielle
Störungen, wie z. B. die posttraumatische Belastungsstörung, zu erkennen. Schließlich werden die Studierenden dazu
ermutigt herauszufinden, welche Einstellungen zu Themen wie Homosexualität, sexueller Nötigung und
Grenzsetzungen bei der Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit sie selbst haben. Um den Kurs abzuschließen, halten
alle Teilnehmenden ein Referat zu einem dieser Themen.
Während des gesamten Kurses gibt es einen Mix aus Theorie und Beobachtung in der allgemeinmedizinischen und
der gynäkologischen Praxis, Reflexionen und Umsetzung des Gelernten in die Praxis durch Übungen. Dieser Wahlkurs
wurde am Medizinischen Zentrum der Universität Nijmegen (Niederlande) als einer der Top-Kurse bewertet (5).
Aufnahme von biologischem und sozialem Geschlecht in den verpflichtenden Kernlehrplan
Alle Pflichtteile des medizinischen Kernlehrplans befassen sich mit Angina pectoris und Alkoholmissbrauch. Für diese
beiden Krankheitsbilder ist heute eine Reihe von evidenzbasierten Unterschieden in Bezug auf biologisches und
soziales Geschlecht gesichert, die als Beispiele dienen können, um die Bedeutung des Geschlechts in der täglichen
Praxis zu veranschaulichen. Zunächst werde ich einige dieser Unterschiede aufzählen und anschließend darlegen,
wie sie in den medizinischen Lehrplan aufgenommen werden können.
Angina pectoris
Koronare Herzerkrankungen treten bei Frauen etwa zehn bis fünfzehn Jahre später als bei Männern auf, da die
endogenen Östrogenspiegel in der reproduktiven Phase den Beginn einer Arteriosklerose verzögern. Bei der
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Diagnose einer Angina pectoris bei Frauen müssen Ärztinnen und Ärzte daher die
Geschlechterunterschiede in der Symptompräsentation beachten, da Frauen weit seltener
typische Angina-pectoris-Beschwerden zeigen. Erstens haben Frauen mit Angina pectoris
entweder überhaupt keine Brustschmerzen oder die Brustschmerzen werden von anderen Beschwerden verdeckt (67), wie z. B. Dyspnoe nach Anstrengung, Erschöpfung, Schwindelgefühle und Übelkeit. Zweitens scheint, wenn sich
eine Angina pectoris bei Frauen als Brustschmerz manifestiert, dieser Schmerz dann eher weniger typisch und öfter
ein unangenehmes Gefühl irgendwo im Brustbereich zu sein, das weder nach 10 Minuten Ruhe noch nach Gabe von
Nitroglyzerin verschwindet (8).
Da die Symptomatik der Angina pectoris bei Frauen undeutlich sein kann, haben wir ein Risikoprofil erstellt, um die
Diagnostik der Herzerkrankungen bei Frauen zu verbessern, und ich werde die wesentlichen
Geschlechterunterschiede in den Risikofaktoren auflisten. Der erste Faktor ist der Diabetes mellitus: Eine DiabetesErkrankung erhöht das Risiko für eine koronare Herzerkrankung bei Männern um den Faktor zwei und bei Frauen um
den Faktor vier (9-10). Kalkuliert man die hohe Prävalenz von Diabetes mellitus bei älteren Frauen ein, dann wird der
Diabetes bei Frauen zur Nummer eins der Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen (11-12). Das Rauchen
stellt ein großes Risiko für koronare Ischämie bei beiden Geschlechtern dar, für Frauen ist die Gefahr hier jedoch
größer. Frauen im Alter über 35 Jahre, die rauchen und zudem orale Verhütungsmittel einnehmen, haben ein
zehnmal höheres Risiko für einen Myokardinfarkt als Frauen in gleichem Alter, die weder rauchen noch orale
Verhütungsmittel verwenden. Um eine Angina pectoris bei Frauen zu diagnostizieren, sind daher Kenntnisse über die
unterschiedliche Symptompräsentation erforderlich. Wir befassen uns mit all diesen Aspekten in Vorlesungen,
Studien, Seminaren und Testfragen.
Ein weiterer damit verbundener Faktor ist, dass Frauen selbst dazu neigen, ihr Risiko für Herzerkrankungen zu
unterschätzen und sich folglich erst später als Männer in medizinische Behandlung begeben (13). Ärztinnen und
Ärzte neigen ihrerseits dazu, Brustschmerzen bei Frauen nicht so schnell mit Herzerkrankungen in Verbindung zu
bringen, insbesondere dann wenn Frauen Symptome eher auf eine emotionale Art und Weise und weniger
nüchtern-sachlich präsentieren (14). Zudem werden bei Frauen seltener Belastungs-EKGs und koronare
Angiographie-Untersuchungen durchgeführt, und sie erhalten seltener eine Therapie, die den aktuellen Richtlinien
entspricht (15). Offensichtlich gehen Ärztinnen und Ärzte in der täglichen Praxis davon aus, dass eine Angina pectoris
bei Frauen eher harmlos ist. Wir diskutieren solche stereotypen Annahmen in Seminaren, indem wir Beispiele zur
gedanklichen Beschäftigung mit Geschlechterstereotypisierung in der Medizin vorstellen.
Alkoholmissbrauch
Ein Alkoholmissbrauch ist bei Männern drei- bis fünfmal häufiger als bei Frauen. Frauen reagieren biologisch viel
empfindlicher auf Alkohol, da sie ein niedrigeres Körpergewicht, eine kleinere Leber, relativ mehr Körperfett als
Wasser und niedrigere Alkoholhydrogenase (Enzym-)Spiegel aufweisen; alle diese Faktoren verlangsamen den Abbau
von Alkohol im Körper und erhöhen das Risiko, die Leber und das Gehirn zu schädigen.
Es ist nicht leicht, einen Alkoholmissbrauch zu erkennen. Anzeichen dafür könnten bei Frauen
Menstruationsbeschwerden, Unterleibsschmerzen, sexuelle Probleme und unregelmäßige Verhütung sein. Zudem
wird auf weibliche Alkoholabhängige eher mit Abneigung reagiert: Betrunkene Frauen und insbesondere betrunkene
Mütter werden eher moralisch verurteilt als betrunkene Männer. Der Zweck des Alkoholkonsums ist bei Männern
und Frauen ebenfalls verschieden. Frauen trinken, um eine unglückliche Beziehung auszuhalten, um Einsamkeit zu
vertreiben, um das Selbstvertrauen zu heben, um sich weiblicher zu fühlen und um die schmerzhaften Folgen von
Misshandlung oder sexuellem Missbrauch abzuschwächen. Männer trinken, um andere unter Kontrolle zu haben,
um aggressiv dominant zu sein, um ihr Gesicht zu wahren, ihre Emotionen im Griff zu haben und um erfolgreicher zu
sein. Man könnte sagen, dass der Alkohol beiden Geschlechtern dazu dient, ein geschlechterstereotypes Selbstbild
von Weiblichkeit oder Männlichkeit zu verstärken (16).
Alkoholmissbrauch kann gemeinsam mit psychischen Störungen auftreten oder von ihnen verursacht werden. Bei
Männern kann der Alkohol eine Depression verdecken; bei Frauen gehen Alkoholprobleme oft Hand in Hand mit
einer Angststörung. Ein weiterer wichtiger Unterschied besteht darin, dass alkoholabhängige Männer im
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Allgemeinen nicht trinkende Ehefrauen haben, die sich um sie kümmern, während die Hälfte
der alkoholabhängigen Frauen Partner haben, die ebenfalls abhängig sind, was ernsthafte
Schwierigkeiten für ihr Leben und ihre Familie verursacht. Alkoholkranke Männer sind oft
gewalttätig und neigen zu missbräuchlichem Verhalten ihren Partnerinnen gegenüber (17).
Letztendlich sind auch die Folgen verschieden: Bei Frauen finden wir hauptsächlich psychische Probleme, die in
erster Linie sie selbst betreffen, wie z. B. Schuld und Scham; bei Männern finden wir mehr Konflikte mit ihrem
Umfeld, z. B. Konflikte im Beruf (Entlassung), Schlägereien und strafrechtlich relevante Vorfälle (Verkehrsdelikte).
Ingesamt zeigen Männer und Frauen ein unterschiedliches Verhalten bei der Suche nach Hilfe und sie gehen auch
unterschiedlich mit Beschwerden und Erkrankungen um. Der Alkoholmissbrauch ist auch ein gutes Beispiel für den
Umgang mit solchen biologischen und sozialen Geschlechterunterschieden in Bezug auf Bewältigungsstrategien. Die
Anzeichen, der Zweck und die Folgen des Alkoholmissbrauchs sind bei Männern und Frauen verschieden, und das
Wissen um diese Unterschiede ist von wesentlicher Bedeutung für zukünftige Ärztinnen und Ärzte und kann auf
vielfältige Art und Weise in die medizinischen Lehrpläne integriert werden.
Hinderliche und förderliche Faktoren bei der Einführung von Geschlechterthemen in die medizinische Ausbildung
Eines der wichtigsten Forschungsergebnisse zur Medizinerausbildung ist, dass eine vorwiegend biologische
Ausrichtung des Lehrplans die Einführung von Geschlechterthemen behindert (18-21). Eine biologische Perspektive
lässt Kontextfaktoren außer Acht, während in einer geschlechterbezogenen Perspektive Gesundheit und Krankheit
als Produkt der Wechselwirkung zwischen biologischen Prozessen und Lebensbedingungen von Männern und Frauen
angesehen werden.
Lehrende verfügen meistens nicht über ausreichend Wissen in Bezug auf gesundheitsrelevante Geschlechterthemen
(22). Dies zeigt, wie wichtig es ist, das Lehrpersonal zu schulen und neue geschlechtersensible
Ausbildungsprogramme zu entwickeln. Zudem brauchen wir Lehrkräfte, die Expertinnen bzw. Experten in ihrem Fach
sind und die als „begeisterte Befürworterinnen und Befürworter“ fungieren (19). Wenn Ausbildungsverantwortliche
und Dozentinnen und Dozenten Geschlechteraspekte in der Medizin als einseitige feministische Themen ansehen,
die keinen wissenschaftlichen Wert haben, dann stößt die Einführung von Geschlechterthemen auf großen
Widerstand. Geschlechter-Blindheit (d. h., das Nichtbeachten der Tatsache, dass eine großer Teil des Wissens auf
Forschungen basiert, die an Männern durchgeführt wurden) und Andronormativität (d. h., die Betrachtung des
Mannes als als Norm und der Frau als Abweichung von dieser Norm) sind die größten Hindernisse, um die
Geschlechterthemen voranzubringen.
Andererseits können motivierte Kurskoordinatorinnen und -koordinatoren, die in ihrer eigenen Tätigkeit als Ärztin
bzw. Arzt ein Bewusstsein für Geschlechterunterschiede entwickelt haben, die Geschlechterthemen in ihrer
medizinischen Lehrtätigkeit am besten vermitteln. Dies erfordert zusätzliche Anstrengungen, die darauf ausgerichtet
sind, Studierenden der Medizin Informationen zu geben, solange die Geschlechterthematik in den medizinischen
Lehrbüchern ein zu wenig beachtetes Thema bleibt (23).
Eine unschätzbare Hilfe bei der erfolgreichen Einführung von Geschlechterthemen ist, dass ihre Wichtigkeit auf
politischer Ebene anerkannt wird und maßgebliche Persönlichkeiten in den medizinischen Fakultäten das Thema
sichtbar fördern (24). Es ist ebenfalls klar, dass weibliche Lehrkräfte geschlechtersensibler sind als männliche
Lehrkräfte; es ist also dringend notwendig, Allianzen zwischen weiblichen Lehrkräften und männlichen Managern
aufzubauen und zu pflegen (20). Es versteht sich von selbst, dass auch männliche Lehrkräfte geschlechtersensibler
werden müssen.
Letztendlich ist gut zugängliches Schulungsmaterial eine äußerst wichtige praktische Hilfe für zeitlich stark
beanspruchte Lehrkräfte. Solche Materialien, die eine maßgeschneiderte Übertragung von
Geschlechterunterschieden in die konkrete Patientenbetreuung bieten und Schulungsmethoden inspirieren, werden
sehr geschätzt und finden breite Anwendung.
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Die Zukunft
Es wird einige Zeit dauern, bis ein geschlechterbewusstes Denken und Handeln strukturell in die medizinische
Ausbildung als Lernziel Eingang finden wird. Geschlecht muss daher als Qualitätskriterium in die
Ausbildungsprogramme aufgenommen werden, um zu verhindern, dass die geschlechterspezifische Ausbildung
insgesamt eher unverbindlich bleibt.
Es gibt zwei geschlechterbezogene Themen, die bisher zu wenig beachtet geblieben sind. Als erstes müssen Ärzte
und Ärztinnen ihre eigene Position als Arzt bzw. Ärztin und ihre eigene Entwicklung als Mann bzw. Frau in einer
gegebenen Kultur stärker reflektieren. Dies wird ihnen mehr Kompetenz verleihen, sich in das, was ihnen andere
Menschen anvertrauen, hineinzuversetzen und ihnen zu helfen. Zweitens sollte sich die wissenschaftliche Ausbildung
von Studierenden der Medizin viel mehr auf die Bedeutung von Geschlecht und Vielfalt (Gender und Diversity)
konzentrieren, wenn es darum geht, Forschungsprojekte zu bewerten und durchzuführen. Sie sollten darüber hinaus
geschlechterspezifisches Wissen erwerben, um in der Lage zu sein, geeignete wissenschaftliche Fragen zu stellen.
Letztendlich wird auch klar werden, dass die Entwicklung einer geschlechterspezifischen Medizin und eine
Einstellung, die sich der Vielfalt bewusst ist, nicht abgeschlossen sind, wenn die Medizinstudierenden ihre
Abschlusszeugnisse erhalten haben, sondern in der anschließenden medizinischen Fortbildung mit speziellen
Programmen weiterentwickelt werden müssen. Auch für diesen Zweck wurden Schulungsprogramme gestartet und
positiv evaluiert (25-27).
Schlussfolgerung
Es liegen zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die für die Wichtigkeit von Geschlechterthemen für
Gesundheit und Krankheit sprechen. Wissen, Einstellungen und Fertigkeiten, die auf biologischem und sozialem
Geschlecht basieren, müssen Bestandteil des Lehrplans und der Qualitätssicherungsprozesse in der medizinischen
Ausbildung sein – entweder im Rahmen von Wahlfächern oder im Kernlehrplan. Es gibt heute eine Vielzahl von
bewährten Verfahrensweisen, und um diese umzusetzen, ist es wichtig, in Lehrprogrammen biologische Aspekte mit
psychosozialen Kontexten zu integrieren. Dieser Implementierungsprozess wird gefördert, wenn Personal und
Lehrkräfte sich bewusst sind, dass die Lehre über Geschlechterthemen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruht.
Letztendlich muss die Bedeutung der Geschlechterthematik auf politischer Ebene aktiv gefördert werden, wozu
finanzielle Unterstützung für den Unterricht und für die Professionalisierung der Lehrkräfte nötig ist.
Kasten 1
Merkmale einer erfolgreichen Integration von Geschlechteraspekten in den medizinischen Basislehrplan
1. Die Medizinstudierenden sind in der Lage, Geschlechterunterschiede in Bezug auf die nachfolgenden Themen zu
erkennen und zu erklären:
- Übergangsphasen wie Menopause und Adoleszenz
- Pharmakotherapie
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Harnwegsinfektionen und andere Miktionsbeschwerden
- Harninkontinenz
- Reproduktion, insbesondere Verhütung, sexuell übertragbare Erkrankungen und Unfruchtbarkeit
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- Essstörungen und Übergewicht
- Abhängigkeit von Alkohol oder Benzodiazepinen
- Depression und Angststörungen
- sexueller Missbrauch und Gewalt, Kindesmissbrauch und Gewalt gegenüber der Intimpartnerin / dem Intimpartner
- posttraumatische Belastungsstörungen
- Sexualität, sexuelle Probleme und sexuelle Identität
- Kommunikation
- Geschlecht und Kultur
- geschlechtersensible Gesundheitsversorgung und Pflegequalität
2. Diese Geschlechterunterschiede sind in den Lernzielen der absolvierten Ausbildung enthalten.
3. Die Studierenden haben eine Ausbildung erhalten, die sich sowohl auf biomedizinische als auch auf soziokulturelle
Unterschiede konzentriert.
4. Die Studierenden haben eine Ausbildung zu Geschlechterunterschieden im Verlauf von mehreren
Lehrveranstaltungen erhalten (mindestens zwei Jahre).
5. In mindestens sechs bis acht Schulungseinheiten von jeweils zwei bis vier Wochen im Rahmen des zentralen
Lehrplans haben die Studierenden eine Ausbildung erhalten, in der die Unterschiede der Geschlechter besonders
beachtet wurden.
6. Die Studierenden haben die Gelegenheit gehabt, eine zusätzliche Schulungseinheit über biologisches Geschlecht
oder soziales Geschlecht zu besuchen, entweder kombiniert mit dem Thema ethnische Zugehörigkeit oder alleine.
Literatur
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