A. GESUNDHEIT UND KRANKHEIT ALS GEGENSTAND DER WISSENSCHAFTLICHEN FORSCHUNG 1. Lern- und Persönlichkeitstheorien Schwerpunkt: innerindividuellen, psychischen Faktoren zu identifizieren, die die Gesundheit beeinflussen Verhaltens- und informationsorientierte Lerntheorien Reiz-Reaktions-Muster: Lernvorgänge werden allein durch objektiv beobachtbare Sachverhalte (Umweldgegebenheiten und die persönliche Reaktion hierauf) beschrieben Lernen: Verknüpfung zwischen Reizen und Reaktionen, die sich routinemäßig einprägen, wenn eine Verstärkung durch die Befriedigung von grundlegenden Bedürfnissen erfolgt Lerntheorien (verhaltensorientiert): warum ernähren, bewegen sich Menschen in bestimmter Weise Verhalten hängt von den Umweltgegebenheiten und persönlichen Merkmalen ab, die entscheiden, wie Informationen aufgenommen, eingeschätzt, bewertet, interpretiert werden und wie daraufhin Entscheidungen für Handlungsalternativen durchgespielt und bestimmte Verhaltensweisen ausgeübt werden Lerntheorien waren von Anfang an nicht verhaltensorientiert (behavioristisch), sondern informationsorientiert (kognitivistisch): Mensch als einen aktiven Informationsverarbeiter lernen als Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt Vorgänge des Lernens werden mit Wahrnehmungs-, Aufmerksamkeits-, Gedächtnis- und Denkprozessen in Verbindung gebracht der Wissensstand des Menschen entscheidet, welche Informationen aufgenommen und wie sie verarbeitet werden Zusammenführen der kognitivistischen und behavioristischen Ansätze umfassendes Verständnis für die Persönlichkeitsentwicklung des Menschen möglich Konzept des Modelllernens menschliches Handeln sei durch soziale Vorbilder angeregt, gesteuert, ausgelöst gehemmt lernen als aktiver an Eignung Prozess komplexer Prozess der Auseinandersetzung mit der Umwelt, der immer zugleich Einwirkung und Aneignung, Anpassung und Veränderung einschließt Lernen hängt von sozialen Einflüssen und Beziehungen ab Lernen am Modell geschieht durch Nachahmung oder Identifikation des Lerners mit dem vorgeführten Verhalten eindeutige Belohnung muss gegeben sein, um das beobachtete Verhalten, dessen Muster gespeichert wurden, umzusetzen die Belohnung kann von außen kommen (Belohnung und Bestätigung aus der sozialen Umwelt) oder von denen (positive Bedeutung der neuen Verhaltensweise: Verbesserung der Kondition) Lerntheorien können die paradoxe Situation aufklären, dass Menschen sich nach objektiven Maßstäben gesundheitsschädlich verhalten und dabei dennoch das Gefühl haben, sich selbst zu belohnen (rauchen) 1 Impulse für das Gesundheitsverhalten Menschen sollen gesundheitsschädigende Verhaltensweisen erst nicht aufnehmen oder sie wieder einstellen alternative Möglichkeiten der sozialen Anerkennung unter psychischen und körperlichen Entspannung geben Ergebniserwartung: Überzeugung eines Menschen, dass bestimmte Ereignisse in bestimmten Situationen mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit als Folge des eigenen Verhaltens auftreten (soziale Anerkennung beim Zigaretten rauchen) Selbstwirksamkeit: Überzeugung eines Menschen, ein bestimmtes Verhalten ausführen und dabei auftretende Hindernisse oder Schwierigkeiten überwinden zu können wichtige Bedingung für Verhaltensänderung, weil sie Einfluss darauf hat, wie viel Anstrengung in ein bestimmtes Vorhaben investiert und inwieweit das gewünschte Ziel erreicht wird Sicherheit durch viele Wiederholungen und vielen kleinen Schritten Theorien von verletzlichen und unverletzlichen Persönlichkeiten Verarbeitung von Informationen und Verhaltensimpulsen hängt von bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen ab verletzliche Personen haben eine hohe und übertriebene Sensibilität für die Wahrnehmung von Belastungen innerhalb ihres sozialen Lebensraumes unverletzlichen Persönlichkeiten meistern Risiken ohne psychopathologische Auffälligkeiten (Stress-resistent) und zeigen eine große Widerstandskraft gegenüber Konflikten und Belastungen Risiko- und Schutzfaktoren für die Gesundheitsentwicklung objektive Belastungen durch Armut, soziale Isolation und ungünstige Lebensbedingungen Detektive, Belastung aufdeckende und verstärkende Sozialisationsbedingungen (Risikofaktoren) Protektive, Belastung abschirmende u. abschwächende Sozialisationsbedingungen (Schutzfaktoren) Verletzlichkeit Unverletzlichkeit Ungünstiger, passiver persönlicher Verarbeitungs- und Bewältigungsstil Günstiger, aktiver persönlicher Verarbeitungs- und Bewältigungsstil Ungesunde Persönlichkeitsentwicklung Gesunde Persönlichkeitsentwicklung 2 Dedektiv und Protektiv bilden den Filter, durch den objektive Beobachtungen verstärkt oder neutralisiert oder zurückgedrängt werden Theorien der psychischen Gesundheit Integrative Persönlichkeitstheorie: die wichtigste Eigenschaft eines Menschen zu identifizieren, die über die Fähigkeiten zum Umgang mit gesundheitsriskanten kritischen Lebensanforderungen entscheiden seelische Gesundheit: Fähigkeit zur Bewältigung externer und interner Anforderungen, die sich in optimistischer Stimmung, seelisch- körperlichen Wohlbefinden, Selbstaktualisierung und Wertschätzung ausdrücken Verhaltenskontrolle: Zuverlässigkeit, mit der die eigenen Handlungen reguliert werden können, von starkem oder schwachem Pflichtbewusstsein und starker oder schwacher Risikofreude Bedingungen des seelischen Gesundheit Soziale Anpassung Gewissenhaftigkeit Emphatie Starke Verhaltenskontrolle Pflichtbewusstsein Zuverlässigkeit Gehemmtheit Zurückhaltung Introversion Geringe seelische Gesundheit niedrige Bewältigungsfähigkeit Pessimismus Hohe seelische Gesundheit hohe Bewältigungskompetenz Optimismus Zügellosigkeit Aggressivität Erregbarkeit Selbstaktualisierung Geselligkeit Extraversion Geringe Verhaltenskontrolle Spontanität Risikofreude Linke Seite: Ausprägungen für hohe seelische Gesundheit, die durch Bewältigungskompetenz, Optimismus, Flexibilität, körperliches und seelisches Wohlbefinden, hohes Selbstwertgefühl, große Selbständigkeit und Autonomie gekennzeichnet ist 3 Rechte Seite: Ausprägungen geringer seelische Gesundheit und die damit verbundenen Assoziation von Gehemmtheit und Zügellosigkeit Kriterien für subjektiv empfundenes körperliches Wohlbefinden haben sich als wertvolle Indikatoren für die objektive körperliche Gesundheit erwiesen. Sieben spezifische Grunddimensionen: Zufriedenheit mit der momentanen Körperzustand Gefühl von Ruhe und Muße Vitalität und Lebensfreude Entspannung Genussfreude und Lustempfinden Konzentrations- und Reaktionsfähigkeit angenehmes Körperempfinden Subjektive Theorien bilden sich aus einem Gefüge von individuellen Vorstellungen von der eigenen Gesundheit, in die kognitive, emotionale und motivationale Faktoren ebenso eingehen wie Vorstellungen von der eigenen Person und vom Körper sowie vom Verhältnis zur sozialen und materiellen Umwelt. 4 2. Stress- und Bewältigungstheorien Stress kann eine positive Erfahrungen sein und gehört Überlebensausstattung Stress hat auch negative, krankheitsauslösende Wirkungen Distress zur Transaktionale und soziale Stressmodelle Transaktional = Stress als Anpassungsaktivität, als abhängig von der Bedeutung des Stimulus für den Empfänger erste Einschätzung: tritt ein Stressor auf, wird vom Individuum diese Bedrohung eingeschätzt zweite Einschätzung: zusätzlich werden die eigenen Fähigkeiten überdacht, die Situation zu verändern oder mit negativen Emotionen umzugehen die tatsächlich eingesetzten Bewältigungsstrategien führen dann zum Ergebnis (Positiv: Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der seelischen und körperlichen Gesundheit) Beispiel: positiver Zusammenhang zwischen aktiven Bewältigungsstrategien und einer relativ guten psychischen Bewältigung von schweren Krankheiten: Krebs, HIV/Aids. Die psychische Befindlichkeit wurde verbessert, weil die Patienten ihr Gesundheitsverhalten flexibel auf die Anforderungen der Krankheit abstellen. Ausweichende oder vermeidende Verarbeitungsstrategien (verdrängen, verleugnen) erweisen sich als nachteilig. Ebenen der Bewältigungskompetenzen körperlich- physische Bewältigung: kompetenter Umgang und gezielte Steuerung mit den innerkörperlichen Konditionen und den physiologischen Regulationssystemen kognitiv- intellektuelle Bewältigung: Lernfähigkeit, umweltangepasstes Verhalten, Fähigkeit zu klaren Orientierungen des eigenen Verhaltens seelisch- emotionale Bewältigung: Fähigkeit, eigene Bedürfnisse und Gefühle zu erkennen und auszudrücken und sie in angemessener Weise in das soziale Verhalten übersetzen soziale Bewältigung: Beziehungen zu anderen herstellen, aufrechterhalten, weiterentwickeln und dabei auch auf die Bedürfnisse und Interessen anderer Menschen eingehen Modell des Belastungs- Überforderungs- Prozesses Soziale und ökonomische Rahmenbedingungen: Alter, Geschlecht, soziale Schicht, Familienstatus, Beruf Belastungsfaktoren (Stressoren): * kritische Lebensereignisse (unerwarteter Verlust einer wichtigen Bezugsperson, Trennung, Scheidung, schwere Krankheit, Arbeitslosigkeit) * chronische Spannungen (Rollenkonflikte wegen Doppelbelastung, körperliche und nervliche Belastungen, enttäuschte Karriere, andauernde Konflikte mit dem Partner, lang andauernde Krankheiten) * schwierige Übergänge: vom Jugend- in das Erwachsenenalter, von der Schule in die Arbeitswelt, von der Arbeitswelt in das Rentnerleben 5 über Belastungsfaktoren und Überforderungen kann es zu Manifestationen von Stress- Symptomen kommen ob sie auftreten, entscheiden soziale Mediatoren (soziale Unterstützung, politische Bedingungen, kollektive Aktionen) und personale Mediatoren (Temperament, Bewältigungskompetenzen) und das Selbstbild (Selbstwertgefühl, Selbstwirksamkeit) Soziale und ökonomische Rahmenbedingungen Soziale Mediatoren Belastungen (Stressoren) Überforderungen psychisch, ökonomisch, beruflich, sozial Personale Mediatoren Stresssymptome psychischen Störungen emotionale Leiden körperliche Krankheit Selbstbild Das salotugenetische Modell Salus = Unverletzlichkeit, Heil, Glück Genese = Entstehung Salutogenese als Gegenbegriff zu Pathogenese Warum Menschen trotz einer Vielzahl von gefährdenden und belastenden Faktoren im mikrobiologischen, biochemischen, physikalischen, psychologischen, sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich gesund bleiben und Störungen der Gesundheit positiv ausgleichen können. Gesundheit ist eine dynamische Interaktion zwischen zahlreichen belastenden und entlastenden, schützenden und unterstützenden Faktoren. Gesundheit ist Resultat der jeweils aktuellen Balance zwischen Risiko- und Schutzfaktoren innerhalb wie außerhalb der Person. Krankheitsstatistiken geben eine klare Grenzlinie zwischen Gesundheit und Krankheit vor, die in der Realität nicht existiert. Zusätzliche Dimensionen sind notwendig: der subjektiv empfundene Schmerz, die funktionalen Einschränkungen von Sinnen und Bewegungen Widerstandsressourcen bewirken, dass krankmachende Belastungsfaktoren gar nicht erst auftreten oder erfolgreich bekämpft werden: physikalischen/biochemischen Bereich: medizinisch relevante Potentiale des Körpers, die gegen Krankheitserreger und Stressoren immun machen materieller Bereich: finanzielle Möglichkeiten, um wichtigen Ressourcen erwerben zu können für physische Sicherheit, Schutz und gute Ernährung, körperliches und seelisches Wohlbefinden kognitive/emotionale Widerstandsressourcen: Intelligenz i. S. von Flexibilität, Rationalität der Anpassung an Lebensbedingungen motivationale/soziale Ressourcen: durch soziale Unterstützung aus der Umwelt geliefert, die das Netzwerk einer Person zur Verfügung stellt 6 Makrosstrukturelle Widerstandsressourcen: kulturelle Integration, die einer Person eine bestimmte Position im sozialen Gefüge und das Gefühl von Sinnhaftigkeit des eigenen Handels vermittelt Gesundheit als ein labiles, aktives und sich dynamisch regulierendes Geschehen Gesundheit muss immer wieder neu aufgebaut werden Die Grundhaltung, die Welt als zusammenhängend, in sich ständig und sinnvoll zu erleben, sitzt sich demnach aus drei Komponenten zusammen: 1. Gefühl von Verstehbarkeit (sense of comprehensibility): Erwartung eines Menschen, Anregungen und Anforderungen als geordnete, strukturierte Information verarbeiten zu können, die nachvollziehbar und erklärlich sind 2. Gefühl von Bewältigbarkeit (sense of manageability): Überzeugung eines Menschen, dass Anforderungen und Herausforderungen lösbar sind, weil geeignete Ressourcen zur Verfügung stehen. Auch der Glaube kann dazugehören, im entscheidenden Moment von anderen Menschen Hilfe und Unterstützung zu bekommen 3. Gefühl von Sinnhaftigkeit (sense of meaningfulness): Ausmaß, in dem das eigene Leben als sinnvoll und wertvoll wahrgenommen wird, so dass man Energie in die weitere Gestaltung von Biographie und Lebenslauf investiert Widerstandsressourcen psychisch genetisch organisch Stressoren im psychosozialen Bereich physischen Bereich biochemischen Bereich Art der Lebenserfahrung Kohärenzsinn als Gefühl des Vertrauens in die eigene Sinnstiftung Spannungsmanagement erfolgreich erfolglos Stesszustand Position auf dem Kontinuum von Gesundheit und Krankheit Psychosomatische und soziosomatische Modelle Körperliche Beschwerden geben Auskunft über die aktuelle Befindlichkeit und die ihr zu Grunde liegenden Konflikte. Krankheit als Versagen von Anpassungsmechanismen. Ausgangspunkt für Ausbruch und Entwicklung einer Krankheit ist die Überbeanspruchung sozialer, psychischer und somatische Anpassungsfähigkeiten des Menschen als Bio- Psycho- Soziales System. Gesundheitsbeeinträchtigungen sind in dieser Sichtweise als Unfähigkeit des Organismus zu verstehen, bestimmten inner- und außerorganischen Anforderungen gerecht zu werden und sie zu bewältigen. Entscheidend ist das Ausmaß des Adaptiertseins an die Umgebung, also der Vorgang, in dem sich die Beziehungen zwischen Individuum und Umgebung 7 herstellen und verändern. Dieser Vorgang wird als ein dynamischer Prozess verstanden. Jedes Individuum muss sich an seiner Umgebungen ständig neu anpassen. 8 3. Sozialisationstheorien Beziehungen zwischen Persönlichkeitsentwicklung und Gesundheit im gesamten Lebenslauf (biographische Perspektive). Sozialisation: Prozess der lebenslang anhaltenden Konstituierung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von und in kontinuierlicher Auseinandersetzung mit der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt und der biophysischen Struktur des Organismus. Modell der produktiven Realitätsverarbeitung Eigene Persönlichkeit aufbauen und weiterentwickeln durch ständige intensive Auseinandersetzung und Austausch mit inneren und äußeren Ressourcen. Persönlichkeit: charakteristische Gefüge von Merkmalen, Eigenschaften, Einstellungen, Fertigkeiten und Handlungskompetenzen Persönlichkeitsentwicklung: Veränderung wesentlicher Elemente dieses Gefüges im Verlauf des Lebens. Persönlichkeitsentwicklung = ständige Abstimmung zwischen den eigenen körperlichen und psychischen Bedürfnissen und Möglichkeiten und den Vorgaben und Angeboten der sozialen und materiellen Umwelt Sozialisationstheoretisches Modell der Belastung- Bewältigung- Prozesse Produktive Realitätsverarbeitung gelingt, wenn zwischen Belastungen und Ressourcen ein Gleichgewicht hergestellt werden kann. Ausreichende innere und äußere Ressourcen gesundheitsförderlicher Verlauf der Persönlichkeitsentwicklung Ressourcen nicht ausreichend vorübergehende oder dauerhafte Störung der Gesundheitsbalance soziale Ressourcen: unterstützendes Potential des sozialen Netzwerkes und der gesamten Umwelt personale Ressourcen: Persönlichkeits- und Temperamentmerkmalen wie z. B. der persönliche Verarbeitungsstil und die individuellen Handlungskapazitäten Personale Ressourcen Belastung durch Entwicklungsaufgaben körperlich psychisch kulturell sozial politisch ökologisch Produktive Realitätsverarbeitung Soziale Ressourcen 9 Ergebnis des BelastungBewältigung-Prozesses: gelingende Gesundheitsbalance gestörte Gesundheitsbalance Prozessdynamisches Modell für Gesundheitsstörungen Statusübergänge und neuartige Entwicklungsaufgaben im Lebenslauf stellen jeweils Stadien einer intensiven und beschleunigten Veränderung der an das Individuum gestellten Lebensanforderungen dar. Prozessdynamisches Modell der Entstehung sozialer Abweichungen und Gesundheitsstörungen in jeder Stufe der Entstehung und Entwicklung von Abweichungen, Störung und Beeinträchtigungen setzt ein dynamischer Suchprozess ein, der eine Neuorganisation der personalen und der sozialen Ressourcen mit sich bringt nach jeder Stufe der Entwicklung kann es bei effektiven Einsatz der personalen und sozialen Ressourcen zu einem positiven Ausgang, zu einer normalen, befriedigenden und gesunden Weiterentwicklung der Persönlichkeit kommen Rückkopplungen: bei effektiv eingesetzten Ressourcen können auch die Ausgangsbedingungen rückwirkend verändert werden bei ineffektivem oder nichtgelingendem Einsatz der Bewältigungs- und Unterstützungsressourcen kann es hingegen zum Voranschreiten im Prozess der Entwicklung von Abweichungen, Störung und Beeinträchtigung kommen. Persönlichkeitsmerkmale Umweltmerkmale Stufe 1: Herausforderung durch Entwicklungsaufgaben (kritische Lebensereignisse, Berufseintritt, Arbeitslosigkeit) Soziale Ressourcen Personale Ressourcen Stufe 2: Überforderung der Bewältigungskompetenzen (Nervosität, Unruhe, Stressempfinden) Personale Ressourcen Soziale Ressourcen Stufe 3: Auftreten von Symptomen der Überlastung (Drogenmissbrauch, psychosomatische Beschwerden) 10 Personale Ressourcen Soziale Ressourcen Stufe 4: Verfestigung und Verstärkung von Gesundheitsstörungen (Manifeste Erkrankung, Entwicklung einer Krankheitskarriere) Die Konzepte Selbstbild und Identität Selbstbild: spiegelt die individuelle Bewertung der Merkmale der eigenen Person sowie die zurückliegenden Erfahrungen mit der inneren und äußeren Realität wieder Identität: Kontinuität des Selbsterlebens, das Erleben des Sich- Selbst- GleichSeins; Koordinationsprozess des Individuums, der sich nach zwei Seiten richtet Identität ist eine Voraussetzung für Gesundheit vollständige Gesundheit: befriedigender Gleichgewichtszustand der Koordination von inneren und äußeren Anforderungen und eine zufriedenstellende Kontinuität des Selbsterlebens (Identität) körperliche, seelische, soziale Gesundheit: Aufbau von konstruktiven Sozialbeziehungen, soziale Integration, Befriedigung der Grundbedürfnisse Gesundheit ist kein statisch-stabiler Dauerzustand, sondern ein Gleichgewichtsstadium zwischen verschiedenen Kräften und Anforderungen, das auf der Basis der bisherigen lebensgeschichtlichen Kontinuität immer wieder hergestellt werden muss 11 4. Interaktions- und Sozialstrukturtheorien Die strukturfunktionalistische Theorie von Gesundheit und Krankheit (= Balancemodell) Persönlichkeit als Spiegelbild der Sozialstruktur gesellschaftliche Strukturen bilden eine fast übermächtige Umwelt für das Individuum und bestimmen, ob ein Mensch gesund oder krank ist biologisch- organische System: versorgt Persönlichkeit mit Energie für physiologische und psychische Grundfunktionen psychische System: Antriebsenergien zu kontrollieren und in gesellschaftlich erlaubte und vorgeschriebene Bahnen lenken die Persönlichkeit eines Menschen ist in dieser Sichtweise wesentlich durch die Struktur der kontrollierenden Bedürfnisdispositionen charakterisiert gesund ist der, der mit den Anforderungen der Gesellschaft reibungslos zurechtkommt der gesellschaftliche Wert eines Individuums wird in heutigen Gesellschaften nach verwertbaren Leistungen bestimmt Krankheit: danach interessierte Störung der Leistungsfähigkeit des Individuums für die normalerweise zu erwartende Erfüllung von Aufgaben 1. der Patient ist vorübergehend von seinem gesellschaftlichen Rollenverpflichtungen befreit 2. der Patient wird für seine Krankheit nicht moralisch verantwortlich gemacht 3. der Patient hat die Verpflichtung, gesund zu werden und hierzu fachkundige Hilfe aufzusuchen Modell bezieht sich nur auf akute, voll heilbare Krankheiten Systemtheoretische Modelle von Gesundheit und Krankheit Fähigkeit des Selbstorganisation und Selbststeuerung von sozialen Institutionen und Organisationen soziale Bestimmungsfaktoren in der Lebens- und Arbeitswelt zu identifizieren, die günstige Voraussetzungen für die Sicherung der Gesundheit in der Bevölkerung schaffen Gesundheitsbalance wieder herstellen Strukturelle Bedingungen sind zu erfüllen: sozioökonomischer Bereich: wirtschaftliche und soziale Sicherheit und Wohlstand, Berufs- und Arbeitsangebote, soziale Gerechtigkeit kultureller Bereich: klare soziale Normen, Weltbilder, Verfügbarkeit von Bildung, Chance zur Selbstbestimmung und Selbstverantwortung politischer Bereich: Stabilität und Transparenz, Frieden, intakte Umwelt Psychische und körperliche Störungen werden letztlich auf den Mangel an Kontrolle der Menschen über ihre Arbeits-, Wohn- und Freizeitbedingungen zurückgeführt Ziel: die verlorengegangene Leistungs- und Funktionsfähigkeit eines Menschen wiederherzustellen Problem: Die Medizin hat ein Definitionsmonopol, sie kennt keine Zwischenkategorien zwischen gesund und krank. Nur für Krankheiten ist ein Arzt als Fachperson ausgebildet Interaktionstheoretische Modelle der Krankheitsentwicklung Bei chronischen Krankheiten und auch bei auffälligen psychischen Störungen lässt sich teilweise nichtmehr unterscheiden, worin die eigentliche Störung besteht und r 12 wo sie in einer von der Umwelt vorgenommene Zuschreibung als psychische und soziale Abweichung übergeht. These: Wer einmal in die Rolle des Patienten hineingerutscht ist, kann möglicherweise durch die mit der Rolle verbundenen veränderte Selbst- und Fremddefinitionen aus diesem Stadium nicht wieder herausfinden. Sowohl der professionelle Therapeut als auch der Patient müssen dabei durch drei Stadien gehen: 1. Unsicherheitsstadium: Diskrepanz zwischen den typischerweise für eine Krankheit anzunehmenden und den im konkreten Fall vorfindlichen Symptomen 2. Diagnosestadium: Definitionsprozess 3. Stadium der Krankheitskarriere: Folge der Diagnose, nachdem der Definitionsprozess beendet ist die Diagnose wird in jedem Fall zu einem Wendepunkt in der Biographie des Patienten Umschlagpunkt in eine neue berufliche, private, soziale und persönliche Existenzform gemeinsames Ziel: Genesung des Patienten Beachte: für das Krankenhauspersonal ist diese soziale Situation vertraut, denn es handelt sich um den täglichen Arbeitsplatz. Für den Patienten ist die Aufnahme in ein Krankenhaus der Eintritt in eine fremde und unvertraute Umwelt Grounded Theorie Analysiert, wie chronisch kranke Menschen ihr Leben und ihren Lebensstil nach einer Krise, z. B. Herzinfarkt, neu aufnehmen und reorganisieren. Dabei spielen die vitalen Ressourcen, die eine Person zur Verfügung hat und auch die sozialen Unterstützungen eine entscheidende Rolle. Ob die Reorganisation des Lebensstils und damit die mögliche Rückintegration in den Status des Gesunden gelingt, hängt von der Bewältigung der medizinischen Behandlung, der Neuordnung von Zeitperspektiven und der Wiederaufnahme von bisher als normal angesehenen Vorkehrungen und Kontakten ab. Modelle konfliktreicher Handlungs- und Rollenerwartungen kulturelle Umweltbedingungen für Gesundheit sind klare soziale Normen, die das Alltagsverhalten steuern. In der modernen Gesellschaft ist die Kommunikation rein zweckrational Qualitätsminderung der zwischenmenschlichen Beziehungen gestörte Persönlichkeiten, die anfällig für seelische und körperliche Krankheiten sind Analysen zum Organisationscharakter von Versorgungseinrichtungen Das Indivuduum muss sich den Verhaltensanforderungen des Systems unterwerfen, ob es das will oder nicht Ausgangspunkt von Störungen des gesundheitlichen Gleichgewichts Wichtig für das Management: Anforderungen der Organisation mit den Bedürfnissen der MA in Übereinstimmung zu bringen Wichtig bei Kliniken: Ziel der Selbsterhaltung und wenn sowohl die Systeminteressen als auch die individuellen Interessen der MA und Kunden erfüllt werden und zugleich und zusätzlich die Interessen anderer, wichtiger gesellschaftliche Teilsysteme berücksichtigt werden 13 5. Public- Health- Theorien Interdisziplinär orientiert Wissenschaft und Kunst der Verhütung von Krankheit, der Lebensverlängerung und der Förderung psychischer und körperlicher Gesundheit der Bevölkerung durch gesundheitspolitische und sozialpolitische Aktivitäten = Gesundheitswissenschaften Die Entwicklung von Public Health in Deutschland durch den Nationalsozialismus verlor Deutschland die international führende Position der sozialmedizinischen und medizinsoziologischen Forschung die Medizin war in Deutschland seit 1945 fast ausschließlich krankheitsorientiert die präventiv ausgerichtete Sozialhygiene verlor immer mehr an Boden erst ab 1980 begann die Wiederaufnahme Analysen der Bedingungen für Gesundheit und Krankheit der Bevölkerung zwei Theorietraditionen: 1. Gesundheitsforschung: epidemiologische Analyse der körperlichen, seelischen und sozialen Bedingungen 2. Gesundheitssystemforschung: Analyse der Verzahnung von Gesundheitsförderung, Prävention, Therapie, Kuration, Rehabilitation und Pflege Schwerpunkte der sozialepidemiologischen Gesundheitsforschung analysiert die Verteilung von Krankheiten in der Bevölkerung nach personalen und sozialen Merkmalen (Geschlecht, soziale Lage, Umweltbedingungen) medizinisch- klinische Praxis: Organstörung im menschlichen Körper steht im Mittelpunkt. In der Epidemiologie: Merkmale und Verhaltensweisen von Menschen wie Geschlecht, Alter, Beruf, Lebensstile klinische Medizin: Diagnose und Therapie. Sozial- und Bevölkerungsmedizin: strukturelle Zusammenhänge, Erfassung von Risikofaktoren und ihre Verteilung in der Bevölkerung Risikofaktorenmodell: Risikofaktor: das kalkulierbare Risiko einer Person mit einem bestimmten Charakteristikum, in einem definierten Zeitraum von einer bestimmten Krankheit befallen zu werden Das Modell der Risikofaktoren Risikofaktoren eignen sich, einen bestimmten Krankheitszustand auf einen oder mehrere Ausgangsfaktoren zu beziehen (Herzinfarkt, Rauchen und Übergewicht) das Modell stellt nur Zusammenhänge fest, blendet die Verbindungsschritte zwischen dem Risikofaktor und dem Ergebnis aber aus. Das Umfeld wird in den Wirkungsprozess nicht miteinbezogen Ausgleich der konzeptionellen Schwäche: das Risikofaktorenmodell um Elemente der Stresstheorie anzureichern 14 Hierarchie von Risikofaktoren zur Erklärung von Herzinfarkt Persönlichkeitsstruktur genetische Disposition Temperament Gesellschaftlicher Wandel Arbeitsanforderungen Sozialprestige Unzufriedenheit Angst sekundäre Risikofaktoren Stressreaktion Übergewicht Bewegungsmangel primäre Rauchen Risikofaktoren Bluthochdruck Blutfett Blutzucker Blutgerinnung Herz-Gefäß-Störung Endergebnis Herzinfarkt Ansätze der Gesundheitssystemforschung zweiter Schwerpunkt von Public Health Ziel: Analyse der Grundlagen, Strukturen, Funktionsweisen, Kosten, um die Verbesserung und Weiterentwicklung des Gesundheitssystems einzuleiten. Dabei steht die vorbeugende und fördernde Perspektive im Vordergrund. Unterscheidung zwischen Strukturen, Prozessen und Ergebnissen: 1. Struktur: relativ stabile finanzielle, organisatorische und politische Rahmenbedingungen der Leistungserbringung 2. Prozesse: Aktivitäten innerhalb einer Versorgungseinheit, die auf die Realisierung der angestrebten Ergebnisse hinwirken 3. Ergebnisse: Effekte auf den Gesundheitszustand der betroffenen Versorgungspopulation 15 Input: die zum Zwecke der Zielrealisierung aufgewendeten Materialien (Personal, Material, Geld) und immateriellen (Zeit, Aufwand) Mittel verstanden Verhältnis von Input und Output kann in Evaluationsanalysen erfasst werden Gesundheitssysteme werden daran gemessen, ob sie eine bedarfsgerechte, dem aktuellen Krankheitsspektrum angemessene und zugleich flexibel integrierte Versorgung der Bevölkerung leisten sie dürfen nicht nur auf körperliche, sondern auch auf psychischer, soziale und Umweltbedingungen von Gesundheit ausgerichtet sein Ziel: organisatorische Strukturen des Gesundheitssystems zu flexibilisieren eine wirkungsvolle Krankenversorgung darf nicht von den sozialen Lebensbedingungen der Patienten abstrahieren 16