Psychotherapie: Systematik by Perrez (Kapitel 22.1) 1. Was charakterisiert psychotherapeutische Methoden? Klinisch-psychother. Methoden (Merkmale): o werden zur Behandlung von Störungen eingesetzt o verwenden psychologische Mittel o angewandt in einem zielorientierten Prozess o theoretisch fundierbar o von Experten ausgeführt o in professionellem Setting Psychotherapiebegriff stärker für Syndrome und interpersonelle Systeme (z.B.Familien) ! weniger jedoch für gestörte psych. Funktionen (dann eher Behandlung) Innerhalb einer Psychotherapie kann aber auch Behandlung stattfinden (da Psyche auf Somatik wirkt und Somatik auf Psyche) Differenziert werden: o Behandlungs- und Therapiemethoden (= theoret. Regelsysteme; Handlungsregeln, die in Lehrbüchern stehen) o Praktische Anwendung (einsetzen der Regeln, Handlungen) Normalerweise besteht starker Schulenstreit bei psychotherapeutischen Methoden, Perrez will hier gemeinsame Prozess- und Strukturmerkmale aller herausarbeiten 2. Gemeinsamkeiten in der Verlaufsstruktur 2.1 Phasen der Veränderung Bevor Verhalten zu Veränderung führt, bedarf es vortherapeutischer Veränderungsprozesse (Prochaska, DiClimente, Norcross, 1992) o precontemplation stage (Phase ohne Problembewusstsein) - Person hat keine Absicht ihr Verhalten zu ändern - Zur Psychotherapie gezwungen, ohne Aussicht auf Erfolg o contemplation stage (Phase des Problembewusstseins) - bewusst, dass Probleme vorhanden, ohne Entscheidung getroffen zu haben - Person wiegt Vor- und Nachteile einer Therapie ab o preparation (Phase der Entscheidung und Vorbereitung) - entschließt sich die Person, in naher Zukunft etwas zu tun (z.B. Therapie) - Umgebung spielt in dieser Phase eine große Rolle für Entscheidungsprozess o action (Handlungsphase) - investieren aktiv in die Veränderung mit Zeit Geld und psych. Aufwand - in dieser Phase läuft der therapeutische Prozess ab (siehe Tabelle unten) o maintenance (Aufrechterhaltung) - Person investiert in die Aufrechterhaltung des Erreichten Vier verschiedene Verlaufstypen: o Stabiler Typus (verharren in einer Phase für längere Zeit) o Progressiver Verlaufstypus (lineare Bewegung) o Regressiver Typus (Patient fällt von späterem in früheres Stadium) o Recycling Typus (Pat. ändern die Veränderungsrichtung mind. 2 mal) Zusammenfassung von Ruth -1- 2.2 Strukturähnlichkeit in der zeitlichen Organisation der Psychotherapie Methoden teilen Strukturähnlichkeiten in ihrer zeitlichen Organisation: Phase Indikation (sind Handlungsregeln, welche Maßnahmen unter vorgegebenen Rahmenbeding. optimal sind; ~technolog. Regeln) Ziele Mittel Diagn. Abklärung (Patienten Interview, Anamnese Klassifikation) Persönlichkeitstests und klin. Tests Klärung der geeigneten Therapiemethode Aufklärung über Therapie & Einwilligung evt. medizinische Untersuchung Rollenstrukturierung (dem Pat. seine Rolle Verwirklichung von als Pat. erklären und erleichtern) Wertschätzung / Empathie Bildung von positiven (nach Rogers: Echtheit, Veränderungserwartungen Wärme, Empathie, (Problemklärung/ Aufbau der therapeut. Beziehung mit evt. Wertschätzung) Zielklärung) Vermittlung eines Ätiologiekonzepts Klärung der therapeut. Spielregeln Therapeut. Kontrakt (Häufigkeit der Sitzungen etc.) Inszenierung des Systematischer Kompetenzaufbau (VT) Einsatz spezieller therapeutischen Analyse der Erfahrungen von Verhaltenspsychother. Techniken Lernens und Erlebensmotiven (Psychoanalyse) Kontinuierlicher (Aufbau bzw. Abbau Beobachtung & Restrukturierung des Selbstbildes (GT) von relativ stabilen Evaluation des therap. Verhaltensdispositionen allen gemein sind 4 Punkte: und die Neuorganisation Verlaufs 1. neue Beziehungserfahrungen machen von kogn. Strukturen 2. Rückmeldung über eig. Verhalten aufgrund therapeut. bekommen Erfahrungen) 3. zu Realitätstestung angeregt werden 4. neue Kompetenzen einüben zu können (siehe unten*) Evaluation vor Psychodiagn. Klärung der Therapieziel Gespräch und nach erreichung (Statusdiagnostik, ~SumEv) Diagn. Verfahren (Statusdiagnostik = Abschluss Sicherung der Generalisierung der ergebnisorientiert, sind Therapieergebnisse Makroziele erreicht? & Prozessdiagnostik = adaptive Formelle Beendigung des therapeut. Kontrolle des Therapieverlaufs) Verhältnisses Einvernehmliche Abschlussvereinbar. Aufbau der therapeutische Beziehung und Klärungsarbeit * Ergänzung zur Tabelle: neue Kompetenzen einüben: sehr zielorientiert a) Ziele für die Therapiesitzungen (Therapieprozessbezogene Ziele) konkret & kurzfristig, z.B. beim Rollenspiel angemessen mitspielen b) Mikroergebnisse (micro-outcome) Konkret & kurzfristig, z.B. konkrete Alltagssituation, die bisher gemieden wurde nicht mehr meiden c) Makroergebnisse (Macro-outcome) Global & langfristig, z.B. positives Selbstbild, angemess. Selbstwirksamkeit Zusammenfassung von Ruth -2- 3. Schulenübergreifende Grundmeachnismen der Veränderung in Psychotherapien 3.1 Theorienübergreifende Mechanismen und Prozesse 4 verschiedene Grundmechanismen der Veränderung nach Grawe (1997) o Bewältigungskompetenz störungsspez. fehlende Bewältigungskompetenzen aufbauen, sekundär. Bewertung verändern o Klärung und Veränderung der Bedeutungen Veränderung der primären Bewertung, Bewusstmachen der prim. Bewert. o Problemaktualisierung Aktualisieren problematischer Erlebens- und Verhaltensmuster um optimale Lernbedingungen zu gestalten o Ressoucen-Aktivierung Mobilisieren der Kräfte, die ein Pat. mitbringt um seine Veränderung in Gang zu setzen und zu stablisieren Prochaska, DiClimente und Norcross (1992) haben 10 Schulenübergreifende Veränderungsprozesse vorgeschlagen (S. 399): z.B. Selbstexploration, Selbst-Neueinschätzung, Gegenkondit., Helfende Bez. etc. Je nach Störung und Phase sind nach Prochaska et al bestimmte Prozesse zu initiieren, 2 Arten von Mismatchen können auftreten: o Therapeut wendet Methode für eine Phase an, die Pat. schon durchschritten hat o Therapeut wendet Methode für eine Phase an, die Pat noch nicht erreicht hat 3.2 Psycholog. Mittel und Lernprozesse in psychotherapeutischen Interventionen Theoriebezogener Systematisierungsvorschlag, orientiert am Lernen als Grundprozess psychotherapeut. Veränderungsprozesse: (basierend auf der Überzeugung, dass sich Methoden zur Behandlung/ Therapie methodenübergreifend nach Lernmechanismen und –mitteln beschreiben lassen) 7 Typen von psycholog. Mitteln und implizierte Lernprozesse o 1. Gewohnheitsbildung durch Übung - Verhaltenswiederholung (Sonderform mentales Training) - z.B. Entspannungstechniken o 2. Konfrontation mit de angstausläsenden Situation - zum Abbau von affektiven Reaktionen: Löschung / Habituation - z.B. Expositionstherapie o 3. Positive bzw. negative verbale und nonverbale Rückmeldung durch den Psychotherapeuten - auf motivationaler Ebene soziale Verstärkugnsprozesse in Gang setzen - z.B. in der Therapie: gezielte Unterlassung von bestrafenden Reaktionen o 4. Therapeut als Modell - Therapeut als Modell angemessener menschl. Beziehung - z.B. dadurch Abbau von angstbesetzten Meidetendenzen o 5. Kognitive Mittel - Deuten, Überzeugen, informales Rückmelden etc. sollen kognitive Repräsentationen und das Erwartungssystem beeinflussen - z.B. Veränderung von kogn. Schemata nach Beck o 6. Psychophysiologisch orientiere Methoden - Körpererleben, physiologische Rückmeldungen explizit miteinbezogen - z.B. Biofeedback o 7. Therapeutische Beziehung Zusammenfassung von Ruth -3- - wird in manchen Therapieformen systematisch als Medium benutzt - Ziel: Patienten an Hand der mikrosozialen Modellsituation die Gelegenheit verschaffen, sich mit best. Inhalten auseinanderzusetzen – ohne Bestrafungsrisiko einzugehen 4. Methodenübergreifende Therapiewirkungen Erfolgreiche Behandlung = wenn beim Pat. therapeutisches Lernen stattgefunden hat Methodenübergreifende Wirkungen: o Prozessebene: therapeut. Beziehung gestärkt, Hoffnung auf konstruktive Veränderungen intensiviert o Ergebnisebene: Mirkoergebnisse (kleine Fortschritte innerhalb einer Therapiesitung), Makroergebnisse (längerfrist. Bedeutung, betreffen zentralere Strukturen der Person wie z.B. neue Einstellungen) 3 Wirkungsunterschiede: 1. Veränderung des Wohlbefindens 2. Symptomveränderung 3. Veränderung der Persönlichkeitsstruktur (Empirie: Persönlichkeitsveränderungen gehen meist den beiden anderen voraus) Über allgemein übergreifende Wirkungen hinaus können methodenabhängig spezielle Effekte erzielt werden Somit gibt es: a) Merkmale der Therapie, die bei den meisten Therapieformen feststellbar sind (d.h. haben alle Gemeinsam) b) Merkmale die speziell sind für eine Therapieform, z.B. der Einsatz spezieller Techniken (d.h. ist Therapieform – Spezifisch 5. Methodenübergreifende Therapeutenvariablen Therapeutenmerkmale = Merkmale des Therapeuten, die in einem Zusammenhang mit dem Erfolg des Patienten und dem Therapieverlauf stehen Auswirkungen folgender Therapeutenmerkmale: o Ähnlichkeit zwischen Pat-Therap. ist förderlich o Warme, wertschätzende, angstfreie Beziehung ist sehr bedeutungsvoll o Erwartungsvariable (Einstellungen des Therapeuten zum Pat.) hat stärkste Wirkung wenn die Erwartungen von Therapeut und Patient positiv sind o Persönlichkeitsmerkmale des Therapeuten spielen wohl patientenunabhängig immer eine Rolle (z.B. gut wenn der Therapeut sicher, selbstakzeptierend, angstfrei auftritt und eine hohe Frustrationstoleranz aufweist) o Erfahrungsvariable: wenig einheitliche Befunde (! Kritisch, da Erfahrung unterschiedl. definiert, mal Laien = Leute mit Therapiausbildung ohne Studium, mal Laien = Therapeuten, die gerade erst ausgebildet wurden und noch unerfahren sind) Laien können auch Therapieerfolge erzielen, vermutlich nehmen sie langfristig abre stärker selbst Schaden durch ihre Tätigkeit Siehe Skizze Seite 404 6. Methodenübergreifende Patientenvariablen Patientenmerkmale und ihre Auswirkungen: o Attraktivität des Patienten (am liebsten haben alle die „YAVIS“ Patienten, die young, attractive, verbally skilled, intelligent, successful sind) – bei ihnen ist es oft leichter eine positive Bez. aufzubauen Zusammenfassung von Ruth -4- ! Achtung aber, Sympathie kann sich durch Interaktion ändern o Therapieerwartung die Patient hat (wenn mit Therapeutenerwart. Übereinstimmend, dann eher erfolgreiche Therapie) o Erfolgserwartung (wenn hoch, dann eher Erfolg) o Dem Therapeuten zugeschriebene Glaubwürdigkeit/ Kompetenz (je höher, desto besser) o Ausmaß der Defensivität (sollte gering sein, dadurch „Annahmebereitschaft“ höher, therapeut. Lernen besser möglich) o Persönlichkeitsmerkmale (Alter, Geschlecht, Ich-Stärke, Intelligenz) o Intensität und Form der Störung beeinflusst auch mit Therapeuten und Patientenmerkmale sind intraindividuell (d.h. nicht jeder Therapeut hat alle diese Merkmale) voneinander unabhängig, Außerdem: interindividueller Wechselwirkung (d.h. durch Passung von Therapeut und Patient zeigt jeder der beiden bestimmte Eigenschaften, das kann mal förderlich, mal hinderlich sein) 7. Methodenübergreifende Merkmale der Therapeut-Patient-Dyade Charakterisieren Aspekte der Beziehungsstruktur Helfender vs. Hilfesuchender Dyadenmerkmale für den Therapieprozess: o Wechselseitige interpersonelle Attraktivität (Sympathie, zueinander positiv eingestellt): Befunde zeigen pos. Einfluss auf Therapieerfolg o Passung, Ähnlichkeit/ Komplementarität von Persönlichkeitsmerkmalen: Befunde uneinheitlich o Therapeut-Pat. Interaktion (eher formal wie z.B. Anzahl der Wortwechsel): Befunde unklar 8. Methodenübergreifende institut., soziale, sozio-kulturelle Kontextvariblen 1. Institutioneller und organisatorischer Kontext o Zugänglichkeit hat Einfluss auf Selektion (genauso wie Honorar etc) 2. Soziales Umfeld in dem der Pat. lebt o wenn Umwelt unterstützend wirkt bei Therapie - bessere Prognosen 3. Sozio-kulturelle Faktoren o Ätiologie, Sozialisation, Wahl der Therapeuten, Health beliefs haben durchaus wichtige Wirkungen Siehe Schema S.407 – da ist Zusammenwirken der Faktoren dargestellt in Modell von Orlinsky und Howard (1986) 9. Systematik der psychotherapeutischen Behandlungsformen Es gibt eher Ansätze als ein umfassendes Konzept Hier sollen einige Ordnungsgesichtspunkte beschrieben werden: 9.1 Einteilung nach formalen Merkmalen o Anzahl der therapeut. Interaktionspartner (Therapeut-Patientendyade vs. Gruppentherapie?) o Zeitfaktor: Langzeit vs. Kurzzeittherapie o Ort der therapeutischen Macht: a) Power to the therapist (z.B. Einzelsitzungen) b) Mediatorenkonzept (z.B. Hilfe für Bezugspersonen) Zusammenfassung von Ruth -5- c) Selbsthilfemethoden (z.B. Organisation von Selbsthilfegruppen) o Beeinflussungsebene: intrapersonelle Funktionen vs. interpers. Systeme 9.2 Einteilung nach Therapiezielen Therapierichtungen können a) einsichtsorientiert b) verhaltensorientiert sein ! diese Dichotomisierung ist unpassend, da Einsicht auch in VT nötig Therapierichtungen können c) repäsentationsorientiert d) reaktionsorientiert sein Einteilung der Therapieformen nach theoretischen Ansätzen o Klassifikation nach Schulen ohne einheitliches wissensch. Referenzsystem (siehe Tabelle 410) o Therapien unterscheiden sich in ihrem Selbstverständnis ! Achtung: Unterschieden zwischen den Ansätzen und Homogenität innerhalb eines Ansatzes wird in der Praxis weniger deutlich akzentuiert Stichworte für Schulenübergreifende Bemühungen: o Integration (was haben die Ansätze gemeinsam) o Eklektizisms (wirksame Elemente aus jeder Schule werden herausgegriffen - dabei mehr als eine Schule berücksichtigt) o Konzept „gemeinsamer, unspezifischer Faktoren“ sollte besser methodenübergreifende Variablen genannt werden, es werden Faktoren angeführt, durch die Psychotherapie beschrieben werden kann: z.B. therapeut. Beziehung, Erfolgserwartung, Konfronation mit dem Problem etc. Grawe: Konzept der „allgemeinen Psychotherapie“ o Grundmechanismen (s.o.) der Ressoucenaktivierung, Problemaktualisierung, aktive Hilfe zur Problembewältigung, Motivationale Klärung o Es handelt sich um übergeordnetes Verständnis von Psychotherapie o Achtung, missverständlich: Grawe hat mit diesem Konzept keine Metatheorie (Rahmentheorie) entworfen! o Eine Metatheorie liegt bis jetzt noch nicht vor Zusammenfassung von Ruth -6-