Das Ende der Korrelation

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Das Ende der Korrelation?
Publikation zum gleichnamigen Forschungsprojekt
mit dem 5. Jahrgang 2003
im Gegenstand „Schwerpunkt Religionspädagogik“
Redigiert und herausgegeben von Felix Kucher
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Klagenfurt 2003
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Vorwort
3
I. Der aktuelle Anlass: Der Konflikt um den Lehrplan 2000
Zur Lehrplandiskussion
4
Brigitte Gomernik
II. Traditioneller Unterricht
Frontalunterricht: „Die armen Schüler!?“
11
Alexandra Branz-Schorn, Maria Lassnig, Ruth Rauter, Maria Pichler- Stachl
Inhalte im Religionsunterricht
18
Angela Talker
III. Das Problem der Korrelation
Korrelation- Didaktische Gestaltungsmöglichkeiten
des Gesprächs mit der Tradition
22
Marianne Jahn
Korrelation: Ja, aber mit einer verstärkten
Besinnung auf fundamentale Glaubensinhalte!
26
Maria Torker, Julia Kauer, Evelin, Rosenwirth, Gerda Kienzl
Korrelation am Ende?
37
Hanna Herndl, Monika Wornig, Ramona Schmölzer,
Erika Dörflinger
Abduktive Korrelation - eine Neuorientierung
für die Korrelationsdidaktik
44
Irene Schnattler
IV. Ein neues Paradigma?
Konstruktivismus und Religionspädagogik
56
Susanne Krachler, Kerstin Holdernig, Helga Pfeifhofer
Literaturverzeichnis
61
2
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Vorwort
Die aktuelle Publikation entstand im Rahmen eines Projekts im Fach
„Schwerpunkt Religionspädagogik“ im 5. Jahrgang 2002/2003 an der RPA
Klagenfurt. Obwohl mit dem Thema eine Fragestellung behandelt wird, die
zu den Fundamenten einer Religionsdidaktik gerechnet werden kann, betrifft
sie doch auch zentrale Fragen der Religionspädagogik, insofern diese den
Menschen als ens educandum und ens religiosum betrachtet. Die Frage, wie
Glaube und Religion überhaupt vermittelt werden sollen und ob sie
überhaupt vermittelbar sind, begleitet die Katechetik bzw. Religionspädagogik seit ihren Anfängen. Nach zahlreichen didaktischen Konzepten im
Gefolge der „anthropologischen Wende“ um 1970 – ich nenne nur die
Stichworte Korrelation, Elementarisierung und Konstruktivismus - stellt sich
heute dringlicher denn je die Frage, wie und ob überhaupt anthropologischlebensweltliche und biblisch-theologische Wirklichkeiten aufeinander zu
beziehen und ineinander zu verschränken sind oder ob aufgrund fehlender
Anknüpfungspunkte in der Welt der Schüler ein anderer Weg einzuschlagen
ist.
Ausgehend von der Debatte um den aktuellen Lehrplan an der Sekundarstufe
I in Österreich versuchten die Studentinnen, verschiedene Aspekte dieses
Themenkomplexes im Lichte der aktuellen Literatur zu beleuchten. Ich danke
an dieser Stelle allen Mitarbeiterinnen für ihre qualifizierten Beiträge und ihr
termingerechtes Arbeiten.
Klagenfurt, April 2003
Felix Kucher
3
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I. Der aktuelle Anlass: Der Konflikt um den Lehrplan
2000 in Österreich
Zur Lehrplandiskussion
Brigitte Gomernik
Jede Veränderung von Gewohnten bringt Meinungsverschiedenheiten mit
sich. Auch bei Lehrplanänderungen bzw. beim Erstellen eines Lehrplanes gibt
es Meinungsverschiedenheiten. Lehrpläne ermöglichen allen Kindern das
gleiche Recht auf Bildung und sie sichern dies auch inhaltlich ab. Sie
legitimieren Inhalte um Ziele zu erreichen und auch den wissenswerten Kern
– an Wissen und Können, Fertigkeiten und Kompetenzen, Erfahrung und
Verhalten – vor Zeitlichkeit und Vergesslichkeit ab. Die Religionspädagogik
in Österreich hat dies auch erfahren, denn beim Erstellen des Lehrplans 2000
gab es Konflikte und heute ist die Diskussion darüber noch immer nicht
beendet. Ein wesentlicher Punkt für den Konflikt war, „dass eine eindeutige
Zuordnung
(von
Lehrplaninhalten
zu
Leitzielen,
A.B.)
auch
mit
wissenschaftlichen Mitteln ausgeschlossen ist“
Anton Bucher1 meint, dass ein Lehrplan ein normatives Dokument ist und
bleibt. In diesem Dokument sind festgelegt:

pädagogische Zielsetzungen, die in der Schule verfolgt werden sollen

das, was den SchülerInnen gelehrt werden soll bzw. was sie lernen
sollen.
1
Vgl. Bucher (2002)
4
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An diesem Wort „sollen“ entzündete sich unter anderem die Kritik am
Lehrplan, bei dessen Erstellung darauf geachtet wurde, ihn so zu formulieren,
dass nichts vorgeschrieben klingt, sondern breiten Raum für Lehr- und
Handlungsfreiheit lässt.
Bucher sieht ihn dieser Freiheit eine Gefahr. Er kritisiert den Lehrplan mit der
Begründung, dass diese Freiheit in der Praxis zu wenig ernst genommen
würde und der Religionsunterricht dadurch oft massivst gestört werde.
Deshalb fände er, wie andere Vertreter dieser Meinung, gern die
Zielformulierung besser mit dem Wort „sollen“. Da Religion ebenso wie
Mathematik Unterricht ist, soll bzw. muss von den SchülerInnen etwas
gefordert werden, denn sonst würde das Fach Religion an Wert verlieren.
Durch die neue Form des Unterrichts im Fach Religion sind die LehrerInnen
herausgefordert, die SchülerInnen durch Aktivitäten sowie durch kognitiven
und lebensnahen Unterricht zu Leistungen zu motivieren. Beim Wort
„motivieren“ ist aber nicht klar erkennbar, ob auch Leistungen zu erbringen
sind. Die Schule kann nicht alleine Handlungsfeld des Glaubens für
SchülerInnen sein, sondern Glaubenserfahrung und Glaubensvermittlung soll
durch
Umwelt
und
Umfeld
ebenso
geschehen.
Somit
kann
Religionsunterricht nur einen Beitrag dazu leisten.
Sicherlich lässt der neue Lehrplan große Freiheiten zu und diese Offenheit
wurde ebenfalls kritisiert, denn in keinem anderen Gegenstand wurden auf
zielorientierte Formulierungen gesetzt. Erziehungsziele lassen sich nur
durch konkrete Inhalte und Situationen transparent machen. Abstrakte
Lernziele müssen mit bestimmten Inhalten verbunden werden und zwar so,
dass sie die in den Zielen vorgeschriebenen Werte und Haltungen
hervorrufen. Lernziele können nie völlig geplant werden, denn letztendlich
entscheidet
der/die
SchülerIn
mit
5
seiner/ihrer
Subjektivität.
Durch
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kurzgefasste Inhalte und Ziele, wird die Relation zu diesen stimmiger. Die
Idealform wäre, wenn mögliche Effekte von Zielen und Inhalten rekonstruiert
werden können. Ein Beispiel wäre, dass durch religiöse Dilemmageschichten
Schülerinnen zum freien Diskutieren und Artikulieren angeregt werden, und
dass diese Aktivitäten ihnen gleichzeitig auch neue und differenzierte
Argumente anbieten. Der üblichen Praxis, wo Inhalten den Zielen zugeordnet
werden, will der neue Lehrplan entgegenwirken, denn durch ihn wird die
Themenfindung leichter. Der Inhalt wird nicht mehr eingetrichtert, sondern
vermittelt - und dazu bedarf es der Korrelation. Wozu die vermeintliche
Sicherheit in der inhaltlichen Glaubensvermittlung (Religionsbüchlein, kleiner
Katechismus) die Großeltern und Elterngeneration geführt hat, können wir
jetzt erkennen. Eine theologische Glaubensvermittlung nach altem Muster
hätte sicherlich weit größere Folgen als bisher, denn in unseren religiös
pluralistischen
Gesellschaft
hält
eine
solche
Glaubensvermittlung
Auseinandersetzungen keineswegs stand.
Der Innsbrucker Religionspädagoge Matthias Scharer2 meint hingegen, dass
es in Religionslehrplänen gar nicht darum geht, dass alle Inhalte explizit
ausgewiesen
sind,
sondern
vielmehr
darum,
wie
im
jeweiligen
Lehrplankonzept damit umgegangen wird. Die Art und Weise der
Einbindung von Inhalten und in welchem theologischen Rahmen ist für den
Religionsunterricht
Ethikunterricht.
bedeutend
Wir
sind
und
zeigt
herausgefordert
den
Unterschied
zum
den
unentschränkbaren
Zusammenhang von ´Lebenshilfe´ und ´Glaubenshilfe´ zu vermitteln und
zwar durch einen Unterricht, der nicht von seinen theologischen Wurzeln
abgekoppelt
ist.
So
bleibt
auch
der
eigenständige
Wert
des
Religionsunterrichts im Rahmen der anderen Fächer gewahrt. Zwischen
´Lebenshilfe´ und ´Glaubenshilfe´ erkennt man keinen wirklichen Gegensatz.
2
Vgl. Scharer (2002)
6
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Dies hat man auch nach dem II. Vaticanum in den vielen kirchlichen und
theologischen
Bewegungen
gesehen,
wo
Mystik
und
Politik,
tiefe
Verwurzelung im christlichen Glauben und bewusster Einsatz für das Leben
nicht voneinander trennbar sind. Da Glaube nicht machbar ist, sondern
Geschenk Gottes, ist unsere Aufgabe im Religionsunterricht, den Boden für
das Geschenk zu bereiten, damit Glaube wirksam werden kann und zu
neuem Handeln ermutigen will, „das sich in Tun (actio) und Innehalten
(contemplatio) ausdrückt“3. Hier wird durch den neuen Lehrplan eine noch
nie da gewesene Dimension eröffnet.
Uns muss klar sein, dass unser Glaubenswissen den Charakter eines
Beziehungswissens hat. Und dieses Wissen um die Wirkkraft der Beziehung
zu dem unser Leben umfassenden Gott, gibt dem Leben Sinn und
Orientierung. Somit hilft das Glaubenswissen als Wissen um eine Beziehung
zum Leben. Bei einer Beziehung geht es darum, dass ich von anderen etwas
weiß. Somit muss ich das ´Gegenüber´, hier in Religion Gott in der Person
Jesus Christus, in all seinen Dimensionen erforschen. Dies wird durch
Lernprozesse erreicht und diese wiederum müssen für das Geschenk des
Glaubens offen bleiben. Bildungsinhalte können daher einen neutralen
unverbindlichen Charakter haben oder den einen Beziehungscharakter,
dessen Anspruch orientierend, sinn- und handlungsstiftend ist.
Da Beziehung schon vom Zeitpunkt der Empfängnis entsteht, hat auch die
Einbettung in lebendige Traditionen Bedeutung, weil sie lebendige
Gemeinschaft macht und diese identitätsstiftend wirkt.
Die Identitätsstiftung durch Jesus Christus steht für den Lehrplan 2000 im
Vordergrund und wird nicht im einzelnen einem Ziel zugeordnet, sondern
die Menschwerdung Gottes durch Jesus Christus steht über allen Inhalten und
Zielen, welche der Lehrplan ausweist. Damit werden die Erfahrungen der
3
Lehrplan für den katholischen Religionsunterricht, 1999, S. 3.
7
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SchülerInnen aus der Botschaft des christlichen Glaubens reflektiert. So
entstehen aus
der Glaubensperspektive Ziele, die wichtige Glaubens-
dimensionen aufweisen und den ganzen Menschen umfassen. Der neue
Lehrplan kann für SchülerInnen eine Herausforderung sein, da die christliche
Botschaft nicht nur inhaltlich, sondern auch im Geschehen
selbst zum
Ausdruck gebracht wird. Erwerben von Wissen und Fertigkeiten sind in
diesem Lernprozess eingebunden.
Die Situation des/der Schülerin ist von ständigem Wandel gezeichnet und dies
muss im Religionsunterricht beachtet werden, damit Ziele erreicht werden.
Somit stehen im neuen Lehrplan „junge Menschen mit ihren Lebens- und
Welterfahrungen“ im Mittelpunkt des Religionsunterrichts. Hier sind wir
verbunden mit Jesus Christus, der auch die Kinder in die Mitte stellt. Jesus
holt die Kinder dort ab, wo sie sind und schenkt ihnen die Gabe des Glaubens
durch annehmen, so wie sie sind. Hier sehen wir eine Logik, die auch in
unserem Unterricht wichtig ist: Kinder und Jugendliche sind dort abzuholen,
wo
sie
sind.
Aufgabe
des/der
Religionslehrers/In
dabei
ist,
einen
Kommunikationsraum für das offene Gespräch bereit zu stellen und auch
offen zu halten. Deshalb hat sich der Lehrplan auch diesen Anforderungen
geöffnet. Bildlich kann man sich das so vorstellen: in einen geschlossenen
Raum kommt niemand mehr hinein. Erst wenn die Tür geöffnet wird kann
Bewegung und Kommunikation entstehen und dies öffnet dann auch andere
Dimensionen.
Durch
die
neuen
Formulierungen
fordert
er
zur
Weiterentwicklung heraus und zwar so, dass „das menschliche Leben und
der christliche Glaube und deren Mit-, In- und Gegeneinander“4 Gegenstand
des Unterrichts ist, wobei mit ´Gegeneinander´ gemeint ist, dass Glaube und
Leben nicht immer deckungsgleich sind. So entsteht ein konfliktreicher
4
Lehrplan für den katholischen Religionsunterricht, 1999, S 1.
8
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Kampf zwischen den sogenannten ´weltlichen Göttern´ und dem christlichen
Gott. Gerade dazu brauchen wir einen Kommunikationsraum, wo das zur
Sprache gebracht wird. Hier ist gemeint: sich verständigen, zu guten
Verhaltensweisen
auffordern
und
sich
auch
mit
den
Vorgängen
auseinandersetzen. Durch Austausch der Menschen untereinander über ihre
Gedanken, ihr Handeln und Fühlen geschieht Kommunikation und die
Beziehungsdimension kommt in den Vordergrund.
Wie jeder Lehrplan von offizieller Stelle approbiert wird, so wurde auch
dieser von der Bischofskonferenz im März 1999 approbiert und ist ein
integrierter
Bestandteil
der
im
Bundesgesetzblatt
verordneten
Gesamtlehrpläne. Nun hat die Bischofskonferenz den Beschluss gefasst, den
Lehrplan 2000 novellieren zu lassen.
Kardinal Schönborn hat in diesem Zusammenhang wiederholt darauf
hingewiesen, dass frühere Lehrpläne auch schon schülerorientiert waren und
nicht in ein schlechtes Licht gestellt werden sollten5.
Eine Stärke war die intensive Arbeit, welche eingebracht wurde und die
Vorgaben des allgemeinen Lehrplanes konsequent umgesetzt hat. Vorgelegt
werden soll ein neuer Lehrplan zur Novellierung. Wie weit die Novellierung
gehen
soll,
liegt
in
der
Verantwortung
einer
neu
eingesetzten
Lehrplangruppe, doch die letzte Entscheidung trifft die Bischofskonferenz.
Der
katholische
integrierender
Religionsunterricht
Bestandteil
im
muss
schulischen
ein
integrierbarer
Fächerkanon
sein.
und
Eine
Sonderposition ohne weithin klar definierte Inhalte kann weder diesem
Gegenstand, noch der Schule gut tun.
Die Schwäche ist darin zu sehen, dass das fachspezifische Profil des
Religionsunterrichts zu wenig deutlich ist und auch sehr gegenüber dem
praktischen Nutzen eines möglichen Ethikunterrichts ausgerichtet ist.
5
Vgl. Schönborn (2002).
9
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Teilweise
liegt
das
in
den
unklaren,
verwaschenen
vieldeutigen
Formulierungen und im Verzicht auf das Benennen von klaren biblischen
Traditionen.
Die Vision des Lehrplans, der zur Novellierung vorliegt, bedarf noch
intensiver Arbeit. Die Hoffnung, dass es der Kirche gelingt, den Lehrplan so
zu formulieren, dass die Botschaft so verkündet wird, dass sie dem Menschen
dienen kann und auch verstanden wird, im umfassenden Sinn eines Lebens
in Fülle. Dazu brauchen wir ein Ziel im Lehrplan, das ausdrücklich Bezug auf
Jesus Christus nimmt. Somit wird auf dem Weg eines unterscheidbaren
Profils für den Religionsunterricht noch schmerzliche Prozesse geben müssen,
wenn dies für alle lebbar sein soll. Die neue Lehrplangruppe soll einen
pädagogisch und religionspädagogischen,
qualitativ zeitgemäßen und
menschendienlichen Religionsunterricht sichern. Die Schülerinnen sollen in
altersgemäßer Weise mit Inhalten des Glaubens und der eigenen Kultur
vertraut gemacht werden, auch über ihren Horizont hinausgehende solide
Informationen
und
konkrete
Lebenserfahrungen
hinterfragen.
Dies
ermöglicht erst eine Entscheidung in Freiheit und dies muss Ziel des
Religionsunterrichts sein.
10
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II. Traditioneller Unterricht
Frontalunterricht: „Die armen Schüler!?“
Alexandra Branz-Schorn, Maria Lassnig, Ruth Rauter, Maria Pichler- Stachl
Kaum wird von Frontalunterricht gesprochen, fangen alle an zu stöhnen und
zu raunzen. Diese Unterrichtsform ist mit einem derart negativen
Beigeschmack belegt, dass dahinter kaum etwas Positives vermuten werden
kann.
Geschichtlich betrachtet ist Frontalunterricht eine fortschrittliche Erfindung.
Comenius rühmt diese Möglichkeit (die durch ihn ihre Existenz hat), da er mit
dieser Methode nicht nur ein oder wenige Kinder unterweisen kann, sondern
viele.
Zunächst einmal: Was ist Frontalunterricht?
Das Wort setzt sich zusammen aus dem Wort „Front“ – für „Vorderseite,
vordere Reihe“ und dem Wort „unterrichten“ – dessen Bedeutung von
„einrichten, anweisen, zurechtweisen“ entnommen werden kann.
Der Frontalunterricht ist gekennzeichnet durch eine Lehrerdominanz, die den
Schülern
gegenüber
steht,
und
der
Schülerabhängigkeit.
In
dieser
Unterrichtsform hält der Lehrer die Fäden in der Hand und bestimmt somit
das Thema sowie das Unterrichtsgeschehen.
Kann nun daraus der Schluss gezogen werden, dass diese Unterrichtsform
auch zu einer tatsächlichen Frontbildung zwischen Lehrern und Schülern
11
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beiträgt? Wird der Schüler durch sie entmündigt und manipuliert? Oder kann
ihre Dominanz auf eine letztlich unschlagbare Effektivität zurückgeführt
werden?
Der Lernprozess und das Schülerverhalten unterliegen vollständig der
Kontrolle des Lehrers. Dadurch übernimmt er auch die wesentlichen
Steuerungs-, Kontroll- und Bewertungsaufgaben. Genauso steht die Zuteilung
etwaiger Interaktionschancen an die Schüler in seiner alleinigen Vollmacht. So
gesehen bildet der Frontalunterricht den methodischen Grundpfeiler eines
lehrerzentrierten Unterrichts.
Im Frontalunterricht kommt es also zu einem überwiegend thematisch
orientierten,
sprachlich
lehrgangsmäßigen
Aufbau
vermittelten,
der
Stunde.
kognitiv
Im
strukturierten
Vordergrund
steht
und
die
Kommunikation zwischen Lehrer und Schülern. Die Interaktion unter den
Schülern wird nur begrenzt zugelassen.
Im Frontalunterricht kann sich die Lehrperson zwar authentisch einbringen
und Informationen schnell und einheitlich vermitteln, aber der individuelle
Lernweg, das persönliche Arbeitstempo und kooperative Arbeitsformen
werden hier gänzlich vernachlässigt. Das kann aber nicht Grund sein, dass
man dieser Unterrichtsform gegenüber eine abwertende und verneinende
Haltung einnimmt. Das Problem liegt nämlich nicht in der Methode selbst,
sondern in ihrem Einsatz, der übermäßig und unreflektiert erfolgt. Hinzu
kommt noch eine mangelnde Methodenqualität. Setzt man hingegen den
Frontalunterricht kompetent ein, so stellt er eine wertvolle und unersetzbare
Unterrichtsform dar.
Kritik
Folgende Kritik kann an diese Unterrichtsform herangetragen werden:
12
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Es herrscht fast immer im lehrgangsmäßig aufgebauten Frontalunterricht ein
Macht- und Kompetenzgefälle zwischen dem Lehrer und seinen Schülern. So
zeigt es jedenfalls der Schulalltag. Der Lehrer muss dabei nicht immer
physisch anwesend sein oder immer vorne stehen, reden und handeln. Er
kann sich nämlich auch Stellvertreter suchen, z. B. kann er einen Schüler
beauftragen, ein Referat zu halten, er kann einen Film vorführen usw.
So gesehen werden die Schüler durch diese Unterrichtsform zur Passivität
und Anpassung trainiert. Sie werden zum Ruhigsein, Ordnungs- und
Disziplinbewahren erzogen. Eine sehr konservative Art, die auch dort so
verstanden wird, wo die vom Lehrer vermittelten Inhalte und Einstellungen
fortschrittlich oder gar revolutionär sein sollten.
Wann macht Frontalunterricht Sinn?
Frontalunterricht ist dann sinnvoll, wenn eine Wissens- oder Problemstruktur
begriffen und nachvollzogen werden soll. Der Lehrer kann seine Sicht der
Dinge darstellen, weil er den Interaktions- und Kommunikationsprozess
steuern kann. Dabei darf nicht übersehen werden, dass die äußere und innere
Seite des methodischen Handelns des Lehrers auseinanderfallen können. Dem
Lehrer steht der Sachzusammenhang vor Augen, aber er muss ihn nicht für
die Schüler gleichermaßen verständlich präsentieren.
Die Schüler neigen dann dazu, dass sie Aufmerksamkeit, Interesse und
Verständnis heucheln. Sie melden sich fleißig zum Schein und gaukeln das
Bild eines Musterschülers vor. Darin besteht nun die Schwierigkeit für den
Lehrer. Er hat keine aussagekräftigen Rückmeldungen, die ihm zeigen, in
welchem Ausmaß die Schüler nun seinen Vortrag verstanden haben.
Handfeste Rückmeldungen bekommt er erst durch schriftliche Arbeiten
(Tests, Schularbeiten) - eigentlich wenn es viel zu spät ist.
13
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Weiters kann es passieren, dass der Lehrer gemeinsam mit ein paar wenigen
guten Schülern einen Sinn-, Sach- oder Problemzusammenhang inszenieren,
dem dann die leistungsschwächeren Schüler nicht mehr folgen können; sie
werden vernachlässigt. Das Fatale daran ist, dass dies der Lehrer nicht
bemerkt.
Wie Untersuchungen ergeben haben, kommt der Frontalunterricht mit
Abstand am häufigsten aller Unterrichts- und Sozialformen (nämlich rund
80% des gesamten Unterrichts!) zum Einsatz.
Gründe, die für den Einsatz des Frontalunterrichts stehen, können folgende
sein:
Das allerhäufigste Argument, das die Lehrer/innen hierfür nennen, ist, dass
sie ansonsten nicht mit dem Stoff durchkommen. Frontalunterricht wird hier
als die effektivste Form der Stoffvermittlung verstanden. Tatsächlich ist
Frontalunterricht nur eine geeignete Form der Darstellung von Sach-, Sinnund Problemzusammenhängen.
Im Unterricht geht es um reine Stoffvermittlung, jedoch muss bedacht
werden, dass nur jenes Wissen, das mit Kopf, Herz und Hand angeeignet und
in Handlungskompetenzen übertragen wurde, von Dauer ist.
Ein weiteres Argument lautet: „Nur so habe ich meine Pappenheimer unter
Kontrolle!“
Gewiss hat man mit Frontalunterricht die meisten Schüler unter Kontrolle
(kann sie tadeln, loben, zur Rede stellen, zum Schweigen auffordern usw.),
aber zur wünschenswerten Selbstdisziplin der Schüler führt er nicht. Erst
dort, wo Schüler selbständig und selbsttätig arbeiten, können sie auch lernen,
sich den Sachansprüchen der Lernaufgaben auszusetzen und sie zu meistern.
14
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Einen weiteren Grund stellt die erleichterte Ritualisierung des Unterrichts dar.
Dadurch wird die immer wieder gefährdete Machtbalance zwischen Lehrer
und Schüler gesichert.
Durch diese Unterrichtsrituale wird festgehalten „wer der Herr im Hause ist“.
Sie dienen eben dazu, die Macht der Institution zu demonstrieren. Es wird
kalkulierbare Verhaltenserwartungen für beide Seiten geschaffen.
Frontalunterricht wird von engagierten und leistungsstarken Lehrern als
befriedigend und sinnvoll erlebt, weil er direkte Rückmeldungen des eigenen
Lehrerfolges liefert.
Gegen das Gefühl des Erfolges ist nichts einzuwenden. Im Gegenteil, es
steigert die engagierte Weiterarbeit und dient der Verfeinerung des eigenen
Methodenrepertoires. Aber dieses Erfolgserlebnis kann sich der Lehrer auch
auf andere Art und Weise holen. Ergebnisse aus Gruppenarbeiten, von
selbständigen Einzelarbeiten und von Projektarbeiten können sich auch sehen
lassen, denn sie haben eine noch weitaus qualifiziertere Lehrarbeit zur
Voraussetzung. Viele Lehre haben auch Angst, die Schüler freizugeben. Dabei
kann jener Lehrer, der sich über die Abnabelung seiner Schüler von sich selbst
freut, als ein guter Lehrer bezeichnet werden.
Merke: Sowenig Frontalunterricht wie möglich aber wenn schon, dann bitte
ohne schlechtes Gewissen und mit didaktisch-methodischer Phantasie!
Vorzüge und Ziele dieser Methode:
Durch den Frontalunterricht kann der Darbieter den Inhalt – aus der ihm
relevanten Sicht - in klaren Strukturen und effizient vermitteln. Dabei kann er
noch sicherstellen, dass alle Rezipienten auf dem selben Stand sind.
Noch eine wichtige Bedeutung kommt dem Frontalunterricht zu:
15
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Er kann nämlich als Vorbereitung und Hinführung zu anderen Lernformen
wertvolle Dienste leisten.
Manfred Göllner führte in den Schuljahren 1999/2000 und 2000/01 eine
Untersuchung bezüglich des Frontalunterrichtes durch. An 40 Wiener
Gymnasien wurden 49 römisch- katholische Religionsstunden besucht, in
denen das Ausmaß von Frontalunterricht mit einer Stoppuhr festgehalten
wurde6:
In den beobachteten Stunden war neben dem Frontalunterricht die am
häufigsten eingesetzte Methode, die der Einzelarbeit. Damit kann der relativ
geringe Anteil an Frontalunterricht (61,6%) erklärt werden. Da es keine
vergleichbaren Studien gibt, kann nicht beurteilt werden, ob das Ausmaß des
Frontalunterrichtes
insgesamt
zurückgegangen
ist,
oder
der
Religionsunterricht schon immer einen geringen Anteil von Frontalunterricht
hatte.
Das Alter der Religionslehrer beeinflusst nicht den Anteil am frontalen
Unterricht. „Grund dafür könnte sein, dass die Religionspädagogik bereits
seit den 70er Jahren in ihren Konzeptionen auf die veränderte Stellung von
Religion und Glaube in der Gesellschaft – und damit auch in der Schule –
eingegangen
ist
und
dass
dies
bis
heute
ein
Schwerpunkt
der
Religionspädagogik geblieben ist.“7
Das Alter der Schüler beeinflusst die Anwendung des Frontalunterrichts
nicht. Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit sowie Frontalunterricht werden in
jeder Altersgruppe eingesetzt.
Die Schüleranzahl ist nicht wirklich wirksam auf die Anwendung des
Frontalunterrichtes, man kann vielleicht von einer geringen Tendenz
sprechen, dass bei weniger Schülern in einer Klasse eher frontal unterrichtet
6
7
Vgl. Göllner (2002)
Göllner (2002), S. 114.,
16
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wird. Der Religionsunterricht lebt von der Fähigkeit des Religionslehrers die
Schüler zu motivieren, sich selbst einzubringen.
Interessant ist, dass der Anteil des Frontalunterrichtes bei den männlichen
Religionslehrern bei 67,2% liegt, bei den weiblichen beträgt er nur 54,2%.
Daraus lässt sich schließen, dass der Frontalunterricht in hohem Ausmaß
Männersache ist. „Grund dafür ist der unterschiedliche Interaktionsstil von
Männern und Frauen, der sich auf die Kurzformel „männlich = dominant –
weiblich = kooperativ“ bringen lässt.8
Folgende Schlussfolgerungen lassen sich daher ziehen:
Vortrag
und
Frontalunterricht
zählten
zu
den
beliebtesten
der
Anwendung
Unterrichtsmethoden (28 Minuten/Stunde).
Der
geschlechtsspezifische
Frontalunterrichts
sollte
Unterschied
in
der
in
Lehrerausbildung
beachtet
des
und
problematisiert werden.
Es ist zu empfehlen, angehenden und auch in der Praxis stehenden Lehrern
Aus-
und
Fortbildungsmöglichkeiten
hinsichtlich
Lehrervortrag
und
Frageunterricht anzubieten.
Schlussbemerkung
Richtig angewandter und dosierter Frontalunterricht ist nicht schlecht,
sondern auch eine Methode von vielen verschiedenen Angeboten in der
Methodik. Man könnte auch hier wie in der Medizin den Ausspruch
Paracelsus anwenden: „Alles ist Gift, es kommt jedoch nur auf die Dosis an.“
8
ebda. S. 113
17
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Inhalte im Religionsunterricht9
Angela Talker
Die Inhalte spielen nach wie vor eine zentrale Rolle im Religionsunterricht. Sie
bestimmen aber nicht allein das Unterrichtsgeschehen, sondern sind als
Kontext des subjektorientierten Aneignungsprozesses der Schüler und
Schülerinnen zu sehen. In der „curricularen Phase“ der 70er Jahre wurde die
Bedeutung der Lernziele hervorgehoben, wie die Tatsache, dass drei Faktoren
für die ihre Gewinnung intervenieren: Schüler, Fachwissenschaften und
Gesellschaft.
Heute, mehr als 30 Jahre nach der „anthropologischen Wende“ in der
Religionspädagogik, in einer pluralen und postmodernen Zeit und angesichts
neuer Erkenntnisse in Theologie und Humanwissenschaften werden die
Lernenden selbst als Subjekte aller Lernprozesse, die sich an den Inhalten
abarbeiten und bilden, gesehen. Die didaktische Analyse bereitet die Inhalte
zu schülerrelevanten Themen auf und berücksichtigt die Prinzipien des
"Elementarisierens, der "kairologischen Pünktlichkeit, des "Exemplarischen,
der "existentiellen Hierarchie der Wahrheiten und des "Ganzen im
Fragment"10
1. Problemlage
Der Religionsunterricht sieht sich gegenwärtig mit einer Vielzahl von
divergierenden Erwartungen konfrontiert.
9
Vgl. zum Folgenden Stettberger /Leimgruber (2001).
18
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Er soll auf die Schüler eingehen, sie abholen, ihre Sprache sprechen und ihre
eigenen Lebensfragen behandeln, meinen sie einen.
Die Anderen, brüskiert durch die abnehmende Kirchlichkeit, sind für ein
zurück zu den zentralen Glaubensinhalten, eingetreten.
Die Antwort darauf, kann nicht in einem strikten Entweder – Oder -Schema
liegen, weil theologische, anthropologische und didaktische Aspekte das
Proprium des Religionsunterrichts bilden und daher eine Trennung von
beiden, nicht möglich ist.
Ein stofforientierter Katechismusunterricht bemüht sich um eine möglichst
vollständige und korrekte Darbietung der essentiellen Glaubensinhalte, aber
er
wird
den
Adressaten
problemorientierter
nicht
gerecht.
Religionsunterricht
Ein
läuft
bloß
aktualitäts-
Gefahr,
Lebens-
und
und
Glaubensfragen nur oberflächlich zu behandeln und jeden Sinn für biblische
und kirchengeschichtliche Themen zu verlieren.
Der heute zu verantwortende Religionsunterricht soll die Sehnsüchte und
Erfahrungen junger Menschen ernst nehmen, ihre Interessen und Fragen
aufgreifen, wie ihren bruchstückhaften Glauben so mit den Inhalten und
Zielen religiöser Bildung verknüpfen, dass die Auseinandersetzung mit
Sinnfragen an Tiefe gewinnt und neue religiöse Erfahrungen möglich werden.
2. Strukturwandel der Inhalte
Zur
Zeit
der
Katechismen
(1500-1960),
waren
die
Inhalte
im
Religionsunterricht eine klare Sache. Sie wurden in vier Hauptstücke
gegliedert:
Glaubenslehre, Sittenlehre, Sakramente und Gebete standen unverrückbar im
Zentrum der evangelischen und in der katholischen Unterweisung.
Die in den Katechismen geoffenbarte, unveränderliche Lehre des Glaubens
musste hinreichend gekannt und memoriert werden. Die Inhalte waren im
19
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relativ einheitlichen konfessionellen Milieu das Wichtigste für die Weitergabe
des Glaubens, sie mussten korrekt und vollständig vermittelt und rezipiert
werden.
Die angenommene Funktion der Katechetik bestand darin, die kirchliche
Dogmatik im Blick und auf das Verständnisvermögen der Kinder und
Jugendlichen hinabzutransportieren, oder zu vereinfachen, sodass die
Aussagen verstehbar wurden.
Im religiösen Nachgang des jüngsten Konzils kamen neu auch die in den
Lernvorgang involvierten Personen (Schülerinnen und Schüler, Lehrerinnen
und Lehrer, Eltern und Gesellschaft und die Ziele in Betracht, weil sie mit den
Inhalten verschränkt und mit konstitutiv für gelingendes religiöses Lernen
sind.
Zusammen mit den einschlägigen Fachwissenschaften bzw. der Lehre, den
Inhalten und der Gesellschaft bildeten die Lernenden die drei maßgeblichen
Determinanten
für
die
Erstellung
von
Curricula,
den
organisierten
Lernverläufen mit zu ererbenden Qualifikationen, welche zur Bewältigung
gegenwärtiger und künftiger Lebenssituationen ausstatteten.
Es kommt zu einem Strukturenwandel der Inhalte, insofern diese auf die
Schülersituation bezogen wurden.
Gemäß dem didaktischen Korrelationsprinzip sollen nun die Inhalte mit
Personen,
Glauben
und
Leben,
jüdisch-christliche
Tradition
und
Schülersituation miteinander verknüpft werden
Die Inhalte des Glaubens sollen von vornherein mit der Schülersituation in
eine wechselseitige produktiv – kritische Beziehung gebracht werden.
Ab 1980 sind die Grundlagenpläne einer offenen Curriculumtheorie
verpflichtet und gleichsam Orientierungshilfen für Plänemacher in den
einzelnen Bundesländern. In den Grundlagenplänen werden nur noch die
Zielrichtungen vorgegeben. Der Religionsunterricht in der Schule, die Schüler
20
_____________________________________________________________________
und Schülerinnen, wie auch die gesellschaftlichen Bedingungen kommen
vermehrt in das Blickfeld.
Für
junge
Menschen
ist
der
Angebotscharakter
der
Inhalte
des
Religionsunterrichts von entscheidender Bedeutung.
Der
Religionsunterricht
will
sie
nicht
infiltrieren
und
ideologisch
vereinnahmen, er ist offen und gegenüber anderen Religionen tolerant. Er
nimmt die Schüler und Schülerinnen als eigenständige und freie Personen
ernst.
RU heute darf meiner Meinung nicht mehr wie früher zum reinen
Katechismusunterricht werden. Die Inhalte sollen mit Personen – Glauben
und Leben, wie Schülersituation in eine wechselseitig produktiv – kritische
Beziehung gebracht werden. Nur so kann nach meiner Meinung nach der
Glaube als Etwas, dass zum Leben dazugehört, angenommen werden.
Die Tradition der Bibel, die Erfahrungen der Menschen seiner Zeit sollen nicht
außer acht gelassen werden, sondern mit den Situationen in unsrer Zeit
verstehbar gemacht werden. Wir leben heute mit allen Sinnen, wollen etwas
erleben, erspüren, erfahren, warum nicht auch im Glauben? Die Menschen
sind heute ja ganz anders offen als früher und natürlich auch kritischer und
hinterfragen viel. Das ist gut und richtig. Wenn man nicht fragt und einfach
annimmt, weil das jemand so gesagt hat, weil es einfach so ist, so frage ich
mich: Ist das wirklicher, fester Glaube?
Die Glaubenserfahrungen der Menschen sind vielseitig und bunt. Einseitige
Bildung hat immer zu einseitigen Aussagen geführt. Zurück zum
Katechismusunterricht bedeutet zurück zur Einseitigkeit im Glauben. Glaube
und Leben müssen in einander greifen.
21
_____________________________________________________________________
Jede Zeit hat ihre Deutung im Glauben. Ich meine dass die Zeit nie besser und
nie schlechter gewesen ist, die Menschheit nie besser und nie schlechter als
heute.
Die Vielfalt der Erkenntnisse des RU so zu vermitteln, dass die Inhalte im
Inneren des Schülers Fuß fassen, dass der Schüler merkt, seine Person ist
wichtig und wird ernst genommen, er wird geliebt und lernt seine
Verantwortung für sich selber, die Mitmenschen und der Welt zu erahnen
und
ist
bereit
daran
zu
wachsen,
ist
Aufgabe,
wie
gelungener
Religionsunterricht.
Korrelation – Didaktische Gestaltungsmöglichkeiten des Gesprächs mit
der Tradition11
Marianne Jahn
Warum überhaupt Korrelation?
Bei einer Korrelation auf theologisch und religionspädagogischer Basis geht es
darum, die Tradition christlichen Glaubens in Bezug zu unserer Gegenwart zu
bringen. Aber nicht auf traditionale Weise, was bedeuten soll, dass zwar
kritisch, reflexiv und achtungsvoll gehandelt werden soll, jedoch ohne
Hemmung vor Aktualisierung und Umsetzung. Dadurch soll deutlich
werden, dass die christliche Tradition auch in unserer Zeit Bedeutung hat,
aber der Lebenswelt jedes Einzelnen angemessen. Genau das macht die
11
Vgl. Englert (2002).
22
_____________________________________________________________________
hermeneutische Unerschöpflichkeit dieser großen Tradition aus, dass sie sich
einer definitiven Interpretation entzieht, und dadurch immer wieder aktuell
wird.
Was ist eigentlich Korrelation?
Von Korrelation spricht man, wenn die christliche Tradition und unsere
aktuelle Lebenssituation miteinander ins Gespräch gebracht werden. Das Ziel
soll aber nicht sein, dass das eine das andere außer Kraft setzt, sondern eine
kritisch-produktive
Wechselbeziehung,
bei
der
sich
beide
Teile
weiterentwickeln und in ihrer Wichtigkeit wachsen können.
Wo gibt es Probleme mit der Korrelationsdidaktik?
Korrelationsdidaktik ist ein Fachbegriff, der zeigen muss:
„wie eine
Korrelation zwischen Erfahrung und Tradition
1. unter den Voraussetzungen einer säkularen Schule in Gang gebracht und
2. unter den Bedingungen unterrechtlichen Handelns entwickelt werden
kann.“ 12
Es stellt sich aber die Frage, wie kann man das im Unterricht, mit zum
Großteil nicht mehr christlich geprägten Schülern, umsetzen.
Nach
Meinung
des
Religionspädagogen
Rudolf
Englert
kann
Korrelationsdidaktik nur funktionieren, wenn erstens die Schüler erahnen
können, was hinter dem überlieferten Glauben steht, und zweitens, wenn sie
erkennen können, wie sich die Welt und Lebensanschauung der Menschen in
der Gegenwart ausdrückt. Für den Religionsunterricht heißt das, wie die
Schüler über ihr Leben urteilen, über Glück, Gott, Freundschaft, soziale
Gerechtigkeit, u.s.w. Nur wenn der überlieferte Glaube in bestimmte
12
Englert (2002), S. 235.
23
_____________________________________________________________________
Erfahrungen eingebracht werden kann, wird er für die Lebenswelt der
Schüler relevant. Nur wenn es gelingt die Tradition des Glaubens in die
Erfahrungen zu interpretieren, und die Erfahrungen der Schüler auf ihre
Glaubensstruktur
hin
zu
verdichten,
kann
es
eine
fruchtbringende
Wechselbeziehung geben.
Was kommt nach der Korrelationsdidaktik?
Hierzu nennt der Autor vier Ansätze, in denen er etwas Zukunftsträchtiges
vermutet:
1. Die implizite Korrelation
2. Die abduktive Korrelation
3. Das Elementarisierungskonzept
4. Das Konzept der Strukturanalogie
Die implizite Korrelation: Das soll bedeuten, dass sich Schüler in Anbetracht
ihrer Lebenswirklichkeit mit den christlichen Glaubenszeugnissen in
Beziehung setzen, dieser Prozess soll aber nicht genau vom Lehrer organisiert
werden, sondern dem Gestaltungstrieb der Schüler überlassen werden. Die
Aufgabe des Lehrers ist es dann die Tradition als Schlussfolgerung in den
Vordergrund zustellen.
Die abduktive Korrelation: Ihr Sinn besteht darin, dass sie versucht, die
bereits vorhandene Korrelation in der Religiosität der Schüler zu entdecken
versucht. Es lassen sich durchaus in den Äußerungen der Schüler Elemente
christlicher Tradition finden. Diese könnten dann als Ausgangspunkte für
weitere Lernprozesse dienen.
24
_____________________________________________________________________
Das Elementarisierungskonzept: Dieses Konzept sieht vor, dass bei der
Planung des Unterrichts die kindlichen Lernvoraussetzungen stärker beachtet
werden. Das Unterrichtsthema ergibt sich eigentlich erst im Dialog mit den
Schülern, denn bei eng strukturierten Lehrer-Schüler-Gesprächen haben die
Schüler keine Gelegenheit ihre eigenen Vorstellungen zu einem Thema zu
entwickeln. Sie sollen die Chance erhalten ihre eigene Sichtweise zu entfalten.
Das Konzept der Strukturanalogie: Die Idee dieses Konzeptes ist es, die
Schüler mit Hilfe eines konkreten Arbeitsauftrages in eine ähnliche Situation
zu versetzen, wie die, die in einem biblischen Text behandelt wird. Hier wird
das Thema sozusagen am Ende der Stunde aufgelöst.
„Korrelation ist ein dynamisches Prinzip, das didaktisch immer wieder neu
umgesetzt werden muss, damit das Gespräch mit der großen Tradition der
Juden
und
der
Christen
nicht
abreißt.
Eine
bestimmte,
Korrelationsdidaktik erscheint dabei eher hinderlich.“13
13
Englert (2002), S. 239.
25
normative
_____________________________________________________________________
Korrelation: Ja, aber mit einer verstärkten Besinnung auf
fundamentale Glaubensinhalte!
Maria Torker, Julia Kauer, Evelin Rosenwirth, Gerda Kienzl
Schwierigkeit der Glaubensvermittlung
Wir stehen am Beginn des 3. Jahrtausends, konfrontiert mit einer Überfluss- und
Genussgesellschaft, die sich in erster Linie von wirtschaftlichen und utilitaristischen
Überlegungen
leiten
lässt.
Zu
leugnen,
dass
in
diesem
Umfeld
eine
Glaubensvermittlung schwierig bis fast unmöglich ist, hieße die Augen vor den
Tatsachen verschließen.
Dieses Problem entstand aber nicht erst in den letzten fünf Jahren, sondern
schon viel früher. Auf die seit den Siebzigerjahren steigende Zahl der
Abmeldungen vom Religionsunterricht wurde in zweifacher Weise reagiert.
Auf der einen Seite reduzierte man den Religionsunterricht auf die reine
Weitergabe von Informationen über Religion, Kirche und Bibel und
klammerte dabei den Glauben völlig aus.
Als Gegenpol zu dieser Interpretation von Religionsunterricht beschritt man
den Weg der Korrelation, indem man „die sich aus den Lebensanforderungen
ergebenden Lernziele in den Mittelpunkt stellte und den Inhalten eine
geringere Bedeutung zuwies“14. In diesem Sinne verstand sich der
Religionsunterricht als Unterricht, der SchülerInnen befähigen sollte, „jene
Lebenssituationen
zu
bewältigen,
in
denen
sich
individuell
oder
gesellschaftlich die Sinnfrage stellte“15. Indem theologische und biblische
Inhalte in den Hintergrund gedrängt wurden, entwickelte sich der
Religionsunterricht immer mehr zu einem Lebenskunde- und SozialkundeUnterricht.
14
15
Baudler (2002), S.447.
Ebda.
26
_____________________________________________________________________
Die Position Kardinal Ratzingers
Bereits 1983 hatte Joseph Kardinal Ratzinger16 in einer Rede in Frankreich auf
diese Krise in der Katechese hingewiesen und Überlegungen zu ihrer
Überwindung angestellt.
Er versteht unter Katechese als zentraler Lebensfunktion der Kirche - und
dazu gehört in einer Zeit, in der Kinder nicht mehr durch das Vorbild ihrer
Eltern und Großeltern wie selbstverständlich in ihren Glauben, wie in ihre
Muttersprache hineinwachsen, immer stärker der Religionsunterricht, - die
Weitergabe des Glaubens und verlangt an dieser Grundlage festzuhalten.
Ein anthropologisches Weltbild, welches die Machbarkeit mehr auf den
Menschen als auf Gott richtet und moralische Maßstäbe nicht in der
Schöpfung sucht, sondern sie nach der bestmöglichen Gestaltung der Zukunft
ausrichtet, bezeichnete Ratzinger als Gründe für diese Krise, die ebenso wie
ihre Folgen schon oft beschrieben und diskutiert wurde.
Als zusätzlicher Problemfaktor erweist sich die Tatsache, dass die Familie als
traditionelle
soziale
Grundform
der
christlichen
Kirche
in
ihrer
ursprünglichen Form sehr oft gar nicht mehr oder nur mehr rudimentär
vorhanden ist. Dadurch entsteht ein Vakuum und der Katechet kann nicht
mehr an die Erfahrungen gelebten Glaubens anknüpfen.
Die Praktische Theologie, versuchte diese Problematik mit der Suche nach
neuen Wegen der Glaubensvermittlung zu entschärfen, trug aber oft mehr zu
einer Verschärfung als zu einer Überwindung bei.
Der größte Fehler war es nach Meinung Ratzingers, den Katechismus
abzuschaffen bzw. die Gattung Katechismus als überholt zu erklären. Es kam
dadurch zu einer Fragmentierung von Glaubensaussagen.
16
Vgl. Ratzinger (1983).
27
_____________________________________________________________________
Eine didaktische und pädagogische Entwicklung, welche die Methode zum
Maßstab des Inhalts machte, ließ die Ernsthaftigkeit einzelner Inhalte fragwürdig
erscheinen, indem sie zusammenhanglos und beliebig aus dem Ganzen
herausgerissen wurden.
In der Folge verstand sich die praktische Theologie nicht mehr als
Weiterführung
und
Konkretisierung
der
Dogmatik,
sondern
als
selbstständigen Maßstab. Man stellte die Praxis über die Wahrheit und der
Glaube wurde nicht mehr als Ganzes, sondern nur mehr als ausschnitthafte
Spiegelung einzelner anthropologischer Erfahrungen gesehen.
Ratzinger sah den Grund in einer Krise des Mitglaubens mit der Kirche aller
Zeiten und befürchtete, dass die Katechese das Dogma weitgehend auslässt,
wenn sie gleich von der Bibel her den Glauben konstruiert.
Aus dieser neuen an den Quellen orientierten Katechese entsprang zwar viel
Positives indem alles konkreter und menschlicher wurde, andererseits besteht
die Gefahr, dass die Schrift von der lebendigen Gemeinschaft, in der allein sie
überhaupt Schrift ist, abgetrennt wird und das Dogma zu einem äußeren
Orientierungsrahmen entwertet wird. Die eigene Erfahrung wird dann zum
entscheidenden Maßstab für das was gegenwartsfähig ist.
Ratzinger sah zwei Hauptprobleme:
-
Die Frage des Verhältnisses von dogmatischer und historisch-kritischer
Schriftauslegung muss gelöst werden, damit die Gewissheit des
Glaubens nicht durch die Sicherheit der historischen Hypothese
abgelöst wird.
-
Klärung des Verhältnisses von Methode und Inhalt, von Erfahrung
und Glaube, denn ein Glaube ohne Erfahrung reduziert sich auf leere
Formeln und wird er auf die Erfahrung reduziert, verliert er seinen
Mittelpunkt.
28
_____________________________________________________________________
Ratzinger sah in der Bevorzugung des Taufglauben gegenüber didaktischen
und theologischen Theorien eine Möglichkeit der Überwindung dieser
Problematik.17
Dabei geht es auch um die Stellung der Glaubensquellen in der
Glaubensübermittlung.
In
diesem
Zusammenhang
verweist
Ratzinger
am
Internationalen
Katechesenkongress am 8. Oktober 2002 erneut auf die lehrmäßige Aktualität
des „Katechismus der Katholischen Kirche“ zehn Jahre nach seiner
Veröffentlichung.
Er weist darauf hin, dass unser Glaube der feste Grund ist, auf dem wir leben
und sterben können und durch diese Gewissheit eröffnen sich uns immer neue
Horizonte, nicht durch fortwährende Experimente.
Ratzinger betont, dass, weder Befürworter noch Kritiker des Katechismus
vergessen dürfen, dass er kein Buch der Theologie, sondern ein Buch des
Glaubens bzw. der Glaubenslehre ist, der in erster Linie eine, in der Kirche
gewachsene, lehrmäßige Ausformung des Glaubens bieten will und kann – so
sagt der Papst – „einem jeden Menschen angeboten werden, der uns nach
dem Grund unserer Hoffnung fragt (vgl. 1Petr 3.15) und kennen lernen
möchte, was die katholische Kirche glaubt.“
Und die Vermittlung dieser grundlegenden Glaubenswahrheiten ist in der
heutigen
Zeit,
wo
Kinder
oft
keine
Glaubensbasis
Religionsunterricht mitbringen können, wichtiger denn je.18
Ziel und Inhalt der Katechese:
17
18
vgl. Ratzinger (1983).
vgl. Ratzinger (2002).
29
mehr
in
den
_____________________________________________________________________
Als ersten Aspekt sieht Ratzinger die Fähigkeit das Leben selbst zu erlernen,
und zwar eines das wert und fähig ist immer zu bleiben, denn Glaube zielt
auf Lebenkönnen.
Gemäß
des Auftrags an die
Apostel das
Gehörte
und Gesehene
weiterzugeben und mit anderen in diese communio einzutreten bezeichnet
Ratzinger als den zweiten Aspekt, denn der Glaubensakt ist immer auch ein
Akt des Beteiligtwerdens an einem Ganzen.
Direkt von der Schrift her, ohne Zusammenhang mit der eigentlichen Quelle,
nämlich des in Christus handelnden Gottes historische Quellen zu
interpretieren, hieße den Glauben der Kirche wegzulassen. Katechese würde
zu einer Theorie neben anderen.
Struktur der Katechese:
Das
Gefüge
der
Katechese
ergibt
sich
aus
den
grundlegenden
Lebensvollzügen der Kirche, die in den wesentlichen Dimensionen der
christlichen
Existenz
entsprechen.
Die
Hauptstücke
der
Katechese
(Glaubensbekenntnis, Dekalog, Sakramente, Gebet des Herrn) spiegeln die
Lebenselemente der Kirche wieder, öffnen den Eingang in die Bibel wie in die
lebendige Kirche. Ratzinger stellt die Frage, warum man diese einfache,
theologisch und pädagogisch richtige Struktur heute um jeden Preis verlassen
will. Er kritisiert, dass der Strukturverlust in der Folge zu einer zufälligen
Auswahl von aktuellen Situationen führte.
Inhaltliche Probleme:
1. Lag das Problem früher in einer Reduzierung des Schöpferglaubens, weil
man bei einer zu starken Betonung um die zentrale Stellung der
Christologie fürchtete, so macht er sich heute mehr Sorgen um die
Verdrängung des Gottesbegriffes indem das Religiöse immer öfter im
30
_____________________________________________________________________
psychologischen und soziologischen Raum ansiedelt. Er spricht von einer
Tendenz auszuweichen und sich auf das Symbolischen zurückzuziehen.
2. Bezüglich des Dekalogs befürchtet er, dass der Katechese
ihre
Grundstruktur entzogen wird, weil der Dekalog immer mehr aus der
Katechese ausgeschieden und durch die Seligkeiten der Bergpredigt
ersetzt wird.
Formalstruktur der Katechese:
Ratzinger verweist auf die Bedeutung der kirchlichen Überlieferung durch die
allein es möglich wird die Bibel wörtlich zu nehmen. Überlieferter Glaube ist
der Garant historischer Treue der Bibel gegenüber.
Zu Methode und Inhalt verweist er auf den Katechismus Romanus des 16.
Jhdt. Der sich schon damals dieses Problems bewusst war und forderte Alter,
Fassungskraft, Lebensgewohnheiten und soziale Situation der Hörer genau zu
studieren um wirklich allen gerecht zu werden. Der Katechet muss sich auf
die Aufnahmefähigkeit der Zuhörer einstellen. Wobei der Katechismus aber
bewusst keinerlei Art und Weise der didaktischen Vermittlung vorgibt. Er
stellt dem Katecheten zwar die unverzichtbaren Grundstücke der Katechese
und
ihre
einzelnen
Inhalte
bereit,
verlangt
aber
von
ihm,
den
situationsgemäßen Weg ihrer Vermittlung selbst zu suchen. 19
Daraus ergibt sich eigentlich kein wesentlicher Widerspruch zu Korrelation.
Ratzinger fordert zwar die Grundpfeiler christlichen Glaubens nicht aus den
Augen zu verlieren und auf den Katechismus zu ihrer Vermittlung
zurückzugreifen, schließt aber die Verwendung korrelativer Methoden, die
sich an der Aufnahmefähigkeit und Befindlichkeit der Zuhörer orientieren,
zur Erreichung dieses Ziels keineswegs aus.
19
Vgl. Ratzinger (1983).
31
_____________________________________________________________________
Christoph Casetti: Kritik an der Methode des heutigen Religionsunterrichts
Hat sich Ratzinger vor allem auf theologischer Ebene mit diesem Problem
befasst, so beschreibt Domherr Christoph Casetti20 in seinem Vortrag
„Katechese und Katechismus in der Schweiz“ auch die praktische Seite. Er übt
Kritik an katechetischen Institutionen und Religionsunterricht und wirbt für
die neue Buchreihe „Glaube und Leben“. Mittels eines Rückblicks in die
Vergangenheit, einer Schilderung der Gegenwart und eines Ausblicks in die
Zukunft reflektiert er über den Religionsunterricht vergangener Jahre,
bewertet den der heutigen Zeit und entwickelt Perspektiven für die nächsten
Jahre.
Vergangenheit
Casetti würdigt die Bedeutung des Katechismus der katholischen Kirche. Er
erinnert sich an den RU in seiner Schulzeit, als ein Priester in der Volksschule
Fragen und Antworten aus einem für Kinder bestimmten Katechismus
erarbeitete und diese abfragte. Auch im Gymnasium ging es in erster Linie
um die Vermittlung von solidem Wissen und zugleich wurden die Schüler
religiös
„sozialisiert“
durch
besondere
Eucharistiefeiern,
gemeinsame
Unternehmungen usw.
Nach ihrem Theologiestudium wurden die jungen Priester von „erfahrenen“
Katecheten auf die Erteilung des RU vorbereitet. Zu dieser Zeit gab es keinen
Katechismus mehr im RU aber der Rahmenlehrplan orientierte sich noch an
diesem. Nun wurde weniger Wissen als vielmehr religiöse Erfahrung
vermittelt. In den Religionsstunden sollten die Kinder vor allem etwas
erleben. Die Methoden sollten möglichst abwechslungsreich sein und die
20
Vgl. Casetti (2002).
32
_____________________________________________________________________
Kinder dort abholen, wo sie standen. Dass dieser Ansatz die Inhalte des
Glaubens eher vernachlässigte, wurde Casetti alsbald klar.
Dieser Ansatz erhebt in einer volkskirchlich einigermaßen intakten Struktur
zumindest
den
Anspruch
der
Ergänzung,
zu
einem
vielleicht
zu
„kopflastigen“ Katechismus-RU. Doch je mehr sich die volkskirchlichen
Strukturen auflösten, desto mehr musste bei dieser Methode das religiöse
Unwissen zunehmen. Warum? Kinder bekamen nicht nur relativ wenige
Glaubensinhalte vermittelt, sie bekamen auch nie einen Überblick über das
Ganze des Glaubens. Casetti versuchte dem entgegen zu steuern, indem er
Anregungen seines damaligen Professors (Ratzinger) fruchtbar machte: In der
Advents- und Weihnachtszeit griff er Themen des Gottesbildes auf;: Was für
ein Gott ist das, der für uns Mensch geworden ist? In der Fastenzeit fragte er
nach Jesus Christus und seiner Erlösungstat; usw. Damit versuchte er ein
gewisses
Gleichgewicht
zwischen
Glaubensfragen
und
Lebensfragen
herzustellen.
Vor mehr als 10 Jahren musste er aber feststellen, dass selbst Katecheten und
Katechetinnen einen ausgeprägten Affekt gegen Katechismen haben. Er hielt
damals ein Referat über den Katechismus der katholischen Kirche und
versuchte dessen Sinn und Notwendigkeit vor ReligionslehrerInnen zu
begründen.
Gegenwart
Heute zeigt sich - so Casetti - im RU folgendes Bild: Obwohl sich
Katecheten/innen viel Mühe geben, ist nach mehr als zehn Jahren
schulischem RU bei Jugendlichen das religiöse Wissen erschreckend
gering. Es gelingt auch nicht, die Kinder kirchlich wirklich zu beheimaten.
Schon am Sonntag nach der Erstkommunion/der Firmung sieht man kaum
mehr Kinder und Jugendliche in der Kirche.
33
_____________________________________________________________________
Gegenwart
Dem entspricht die Erfahrung, die wir als Religionslehrerinnen in der Praxis
machen.
Mehrere
Komponenten
sind
dafür
verantwortlich,
dass
Religionsunterricht zu einer immer größeren Herausforderung wird.
Wir haben es im Religionsunterricht immer öfter mit Schülern und
Schülerinnen zu tun, in deren Elternhaus eine primäre religiöse Sozialisation
nur mehr rudimentär oder gar nicht stattfindet. Diese fehlende Glaubensbasis
erschwert folglich den Religionsunterricht und hat außerdem eine geringe
kirchliche Beheimatung der Kinder zur Folge. Beispielsweise haben
SchülerInnen oft nur sehr wenig Wissen über kirchliche Feste, ihren Ablauf,
den Zeitpunkt ihrer Feier und ihre Bedeutung. In vierten Klassen der
Hauptschule ist es zum Beispiel teilweise notwendig den Ablauf der
Karwoche zu wiederholen. Hier zeigt sich ganz deutlich, dass unsere
SchülerInnen dieses für Christen wichtigste Fest meist gar nicht mehr
mitfeiern oder nur als traditionelle Feier ansehen deren Höhepunkt die
„Fleischweihe“ ist.
Vielfach
kommen
SchülerInnen
auch
in
Konflikt,
weil
das
im
Religionsunterricht Gelernte und Erlebte zu Hause von den Eltern negativ
bewertet wird. Vor allem VolksschülerInnen, die ihre(n) Religionslehrer(In)
oft sehr gerne haben, müssen erst damit fertig werden, dass die Eltern zu
Hause von „Blödsinn“ oder „Unnötigem“ sprechen.
Ein weiteres Problem stellen die veränderten Familienstrukturen dar. Die
traditionelle, intakte Familie, bestehend aus Vater, Mutter, Kindern und evt.
Großeltern existiert oft nicht mehr. Heute haben wir es vermehrt mit Kindern
und Jugendlichen zu tun, die mit alleinerziehenden oder geschiedenen
Elternteilen oder in sogenannten „Patchworkfamilien“ aufwachsen. Es bedarf
34
_____________________________________________________________________
dann eines sehr großen Fingerspitzengefühls um Themen, wie zum Beispiel
das 6. Gebot zu bearbeiten, wenn in der Klasse einige Kinder sitzen, deren
Eltern auf Grund einer neuen Beziehung geschieden wurden.
Die unterschiedlichsten Erziehungsstile der letzten Jahre und die Tatsache,
dass viele Eltern die Erziehungsarbeit immer mehr der Schule überlassen,
fördern oft Disziplinlosigkeit, Distanzlosigkeit gegenüber Lehrern und
allgemeines schlechtes Benehmen (wie mangelnde Gesprächskultur, erhöhte
Gewaltbereitschaft,
Konfliktunfähigkeit
usw.).
Dadurch
werden
die
Unterrichtsbedingungen maßgeblich erschwert.
Außerdem trägt ein gesellschaftlicher Wertewandel, in Richtung Geld,
Konsum, Unterhaltung, Freizeit, usw. wesentlich dazu bei, dass Themen wie
Geborgenheit, Mitgefühl, Vertrauen, Liebe, Wärme usw. nur bedingt zur
Sprache gebracht werden können um an Glaubensthemen anzuknüpfen.
Vor allem die Methoden- und Medienauswahl wird dadurch zunehmend
schwieriger. Viele sind unter diesen Voraussetzungen einfach unbrauchbar
oder nur bedingt einsetzbar.
Unsere Schüler und Schülerinnen sind übersättigt mit einer Vielzahl an
Medien, Konsumgütern, „Action“ usw. Es stellt sich die Frage, ob man da als
ReligionslehrerIn mithalten und sich mit vielseitigem Medieneinsatz die
Aufmerksamkeit der SchülerInnen sichern soll oder ob man einen
gegenteiligen Weg beschreiten soll. Hier erweist sich dann oft die Unfähigkeit
der SchülerInnen, Stille auszuhalten, ein Gespräch zu führen, aufmerksam
zuzuhören, in sich hineinzuhören, sich in andere einzufühlen als Hindernis.
Aus all diesen Gründen finden wir nicht nur in der Lebenswelt von Kindern
und
Jugendlichen
immer
weniger
Anknüpfungspunkte
für
große
Glaubensthemen sondern kämpfen im Religionsunterricht auch zunehmend
35
_____________________________________________________________________
mit äußeren Bedingungen wie kleinen Klassen, hohen Schülerzahlen,
Disziplinlosigkeit, ablehnenden KollegInnen, usw.
Auch Casetti verweist auf diese Problematik und empfiehlt für die Zukunft
„Gott als den ganz „Anderen“ und das christliche Leben als wirkliche
Alternative, als eine Lebensform, für die es im zeitgeist-tendigen Leben
gerade keinen Anknüpfungspunkt gibt zu verkünden21.“
Als probates Hilfsmittel, um den Glauben nicht nur im Religionsunterricht,
sondern auch in der Familie weitergeben zu können befürwortet Casetti die
Verwendung der neu erschienenen Buchreihe „Glaube und Leben“. Dieses
aus Amerika kommende, von der Bewegung Hauskirche für den deutschen
Sprachraum bearbeitete Werk, das ausdrücklich dem Katechismus der
katholischen Kirche verpflichtet ist, soll Eltern und Katecheten bei der
Glaubenserziehung von 6-14jährigen Kindern und Jugendlichen eine Hilfe
sein22.
Somit bemühen sich sowohl Ratzinger als auch Casetti um eine erneute
Anerkennung der lehrmäßigen Aktualität des Katechismus der Katholischen
Kirche um den Schwerpunkt wieder auf die Vermittlung fundamentalen
Glaubenswissens zu verlagern.
Damit gäbe es eine Hilfestellung sowohl für ReligionslehrerInnen als auch für
Eltern, die ihre Kinder religiös erziehen möchten, denen aber oft die richtigen
Worte, bzw. die entsprechende Literatur fehlt, was in weiterer Folge dann oft
zu einer Ablehnung des Glaubens aus Mangel an Wissen oder auf Grund von
Missverständnissen führt.
21
22
Ebda.
Vgl. ebda.
36
_____________________________________________________________________
Wir sind davon überzeugt, dass Glaubenserziehung und Religionsunterricht
in der derzeitigen Situation keinem Zufallsgenerator überlassen werden sollte,
sondern vorgegebene einheitliche Richtlinien, wie sie eben in dieser Reihe
„Glaube und Leben“ oder dem „Katechismus“ aufgezeigt werden, als
Grundlage für den RU dienen sollten.
Dies soll nun keine Rückkehr ins dunkle Mittelalter mit seiner
„Rohrstaberlpädagogik“ und eine völlige Abkehr von korrelativen
Methoden, welche die Lebenswelt, Befindlichkeit und Bildungsstand der
SchülerInnen berücksichtigen, bedeuten, aber es sollten doch wesentliche
Säulen unseres Glaubens unverrückbar und unverformbar gelehrt werden,
um so eine fundamentale Richtung zu weisen. Auf diesem Fundament kann
dann ein persönlicher Glaube wachsen und sich weiterentwickeln.
Korrelation am Ende?
Hanna Herndl, Erika Dörflinger, Monika Wornig, Ramona Schmölzer
Der Religionsunterricht sieht sich derzeit mit zweierlei Fronten konfrontiert.
Dies ist zum einen, so der Fundamentaltheologe Thomas Ruster23, eine
Einführung in das biblische Wirklichkeitsverständnis d.h. die Welt verstehen
23
Vgl. Ruster (2000).
37
_____________________________________________________________________
„gemäß den Schriften“ und zum anderen, so Rudolf Englert24, etwas, woran
die Schüler ihr Herz hängen, worauf sie ihr Leben ausrichten.
Ausgangspunkt Erfahrung
Laut Englert ist es die Aufgabe des Unterrichts, die existentiellen Erfahrungen
der Schüler anzusprechen, zu klären und sie dem der Kirche aufgetragenen
Evangelium zuzuführen. Die Religionspädagogik sollte nicht zuerst fragen,
wie Religion in Theologie und Kirche vorkommt, sondern zunächst einmal,
wo und wie Religion in der Welt heutiger Kinder und Jugendlicher
vorkommt.
Ausgangspunkt zukünftigen Religionsunterrichts müssten von daher noch
stärker als bisher die bei Kindern und Jugendlichen heute wahrnehmbaren
religiösen Suchbewegungen sein und insofern ihre subjektive Religion, ihr
persönlicher Lebensglaube, die verschiedenen Formen „verborgener
Religion“. Diesem Lebensglauben und den sich bei seiner Ausarbeitung
herausbildenden religiösen Bedürfnissen müsste die religiöse Tradition der
Christen dienstbar gemacht werden.
Es gibt bei Englerts Theorie einige Aspekte zu beachten, die sehr vielfältig
sind:
►
Heutzutage ist es leider so, dass Kinder wenig bis gar kein religiöses
Basiswissen haben und der religiöse Hintergrund vom Elternhaus oft
komplett fehlt. Der Lehrer kann also in der Schule nicht voraussetzen,
dass Grundbegriffe und religiöse Inhalte schon bekannt sind und diese
sollten also erst vermittelt werden. Man kann aber nicht den Alltag mit
etwas korrelieren, dass man nicht kennt.
24
Vgl. Englert (1998).
38
_____________________________________________________________________
►
Weiters ist es so, dass nicht wirklich jeder Inhalt korrelierbar ist und
diese Tatsache führt oft zu krampfhaften Verknüpfungen zwischen
Religion und Umwelt.
►
Die Schüler sind auch konfrontiert mit vielen verschiedenen
Glaubensrichtungen und dieser Synkretismus, der dadurch entsteht,
führt zu Halbwissen bezüglich einer bestimmten Religion und
Verwechslungen der verschiedenen Religionen. Die Kinder sehen nur,
was sie interessiert und die religiösen Suchbewegungen tendieren in
verschiedenste Richtungen.
Ausgangspunkt Bibel
Komplett gegensätzlich dazu geht es bei Thomas Ruster um die Frage, wie die
Botschaft der Bibel bzw. der Gott der Bibel an Menschen vermittelt werden
kann, die der Bibel fremd gegenüberstehen. Diese Frage ist eine Kardinalfrage
des Christentums, die sich in dem Augenblick ergab, als im Zuge der
Heidenmission der Raum, in dem die hebräische Bibel als bekannt
vorausgesetzt werden konnte, verlassen wurde. Konnte im jüdischen Kontext
auf zum Teil eigene, zum größeren Teil aber erinnerte Erfahrungen mit
diesem Gott zurückgegriffen werden, so fiel diese Erfahrungsgrundlage bei
den Heiden aus.
Wenn nun vor Heiden von diesem Gott zu reden war, musste ein anderer
Referenzrahmen für die biblischen Äußerungen gefunden werden. Gemäß der
universalen Ausrichtung der christlichen Verkündigung kam als ein solcher
Referenzrahmen nur die allgemeine menschliche Vernunft in Frage. Hier liegt
die Entstehung der sogenannten Natürlichen Theologie, die die christliche
Botschaft auf dem aufbauen lassen will, was alle Menschen im Lichte der
natürlichen Vernunft von einem Gott wissen und einsehen können.
39
_____________________________________________________________________
Historische Tatsachen und Umstände müssen für sich stehen bleiben und
können nicht in die heutige Zeit verlegt werden. Es ändern sich die sozialen
Umstände und heute werden bestimmte Dinge ganz anders gesehen als vor
Jahrhunderten.
Neben diesem Konzept einer Korrelation dominiert den heutigen RU das
Konzept der „Elementarisierung“, in der es um die Zweipoligkeit des RU
geht.
Auf der einen Seite stehen die „elementaren Strukturen“ und die
„elementaren Wahrheiten“, auf der anderen Seite aber die „elementaren
Erfahrungen und Zugänge“ der Schüler. Sie assimilieren sich die biblischen
Geschichten in den eigenen Verstehenshorizont.
Unter dem Kriterium der Aneignungsbedingungen bleibt, so Ruster, der
spezifisch biblische Gehalt der behandelten Themen auf der Strecke. Die
Logik z.B. des Gleichnisses von den Arbeitern im Weinberg lässt sich nicht
mit dem Weltbild der Kinder vereinbaren. Das Wirklichkeitsverständnis der
Schüler steht offenbar fremd zum Wirklichkeitsverständnis der Bibel, es kann
nicht einfach assimiliert werden.
Der RU stellt demnach eine Begegnung mit fremden Welten dar. Die
Fremdheit biblischer Texte sei eine besondere Chance gegenüber anderen
Fächern,
so
Ruster.
Nicht
die
Orientierung
an
den
gewohnten
Wahrnehmungsmustern der Schüler sei jetzt mehr angesagt, sondern die
Auseinandersetzung mit einem anderen Wirklichkeitsverständnis.
Am Beispiel der biblischen Wunder zeigt z.B. Stefan Alkier 25 auf, wie die
Religionspädagogik versucht habe, diesen ihren Charakter des Wunderbaren
zu nehmen und sie durch irgendwelche rationalistischen Manöver in das
neuzeitliche Wirklichkeitsverständnis einzupassen. Eine Religion kann aber
25
Alkier/Dressler (1998), zit. Nach Ruster (2000).
40
_____________________________________________________________________
nicht wirklich erschlossen werden, wenn sie zuvor auf das reduziert wird,
was mit unseren Rationalitätskriterien vereinbar ist. Es geht um die
Bereitschaft, sich an einer fremden Tradition zu reiben, „sich mit ihr zu
streiten.“ In einem solchen Streit könnte dem RU womöglich die
Langweiligkeit genommen werden.
Biblische Texte, so Alkier und Dressler, „sollten grundsätzlich als fremde
Welten gelesen werden, die wir ganz neu erkunden müssen“ 26.
Wir kennen die Gesetze der fremden Welten nicht, und wir müssen unbedingt
damit rechnen, dass die Gesetze und Regeln, die in diesen fremden Welten
herrschen, andere sind, als die, die unsere Welt bestimmen.
Lehrer und Schüler stehen gemeinsam vor der Aufgabe, die fremde Welt zu
erkunden. – Dies wäre auch eine enorme Entlastung für den Lehrer.
Zur fremden Welt gehört auch ein fremder Gott. Denn von außerbiblischen
Voraussetzungen aus kann nichts über den Gott der Bibel erschlossen werden.
Unser
Wirklichkeitsverständnis
richtet
sich
überwiegend
nach
den
Naturgesetzen, das biblische nach den Schriften. Nach jüdischer Auffassung
ist die Realität der äußeren Welt nicht an Naturgesetzen ablesbar, sondern
wird durch die Tora, das göttliche Gesetz repräsentiert. Die Tora gibt die
Strukturen vor, in denen erfasst werden kann, was Wirklichkeit ist. Glaube
heißt daher, am biblischen Wirklichkeitsverständnis teil zu haben und von
ihm aus die Welt zu sehen.
Biblische Grunderfahrung mit Gott ist das Wissen um die Fülle: Für alle ist
genug da. Uns ist heute biblisches Wirklichkeitsverständnis sehr fern. Dieser
Abstand zur Bibel hängt vermutlich mit der totalen Durchsetzung der
Geldwirtschaft
zusammen.
Dadurch
erscheint
das
Programm
der
Assimilation der biblischen Geschichten in den eigenen Denkhorizont
aussichtslos.
26
Ebda., S. 193.
41
_____________________________________________________________________
Rusters Gleichnis
Ruster vergleicht das Christentum, die Repräsentanz des biblischen
Wirklichkeitsverständnisses unter den Völkern mit einem italienischen
Restaurant inmitten von McDonalds und BurgerKing, irgendwo in der
amerikanischen gastronomischen Wüste.
Nun stelle man sich vor, amerikanische Lehrlinge sollen in der Küche des
Restaurants angelernt werden, wobei auch der Küchenchef kein geborener
Italiener ist, sondern sein Handwerk nur erlernt hat. Dann hätte man etwa die
Lage des Religionslehrers.
Nun wäre eine Art historisch-kritische Einführung in die italienische
Gastronomie möglich. Die ursprüngliche Gestalt der Rezepte würde
„literarkritisch“ rekonstruiert, und spätere Zusätze zu den Rezepturen
aufgedeckt. Auch sozialgeschichtliche Informationen wären nützlich, die tief
in die vergangene Welt Italiens hineinführen und auch „formgeschichtlich“
den „Sitz im Leben“ von Pasta, Pizza erklären. Das alles ist wichtig, aber
kochen lernt man dadurch noch nicht.
Ein anderer Ansatz wäre die korrelative Methode. Die Lehrlinge würden bei
ihren eigenen Geschmackserlebnissen abgeholt, ihr Sinn für das gute Essen
würde geschärft und erweitert. Die amerikanischen Jugendlichen könnten
sich von der italienischen Küche dazu anregen lassen, bei McDonalds
Vorschläge für eine bessere Speisekarte einzubringen. Der unverwechselbare
Charme der italienischen Gastronomie ginge dabei aber vermutlich verloren;
am Ende käme so etwas wie Pizza-Burger heraus.
Religionsunterricht, das will das Bild aussagen, steht vor der Aufgabe, die
Schülerinnen und Schüler an einer fremden Erfahrung teilhaben zu lassen.
Die eigene Erfahrung, das Leben in einer geldbestimmten Wirklichkeit – gibt
ja den Zugang zum Italienischen bzw. jetzt: zum Biblischen nicht her.
42
_____________________________________________________________________
Erfahrung ist aber etwas sehr Subjektives und kann eigentlich nicht vermittelt
sondern nur selbst „erfahren“ werden. Es geht also nun darum, die Bibel als
fremde Welt zu akzeptieren und jenen Entdeckungsgeist zu aktivieren, der
jedem Zeichen, jeder Spur in den Texten nachgeht und sie zu entschlüsseln
versucht. Es geht um die Aneignung eines der jeweiligen Lebenswelt
gegenüber fremden Wirklichkeitsverständnisses und der ihm zugrunde
liegenden Erfahrungen.
Aufgabe des Lehrers
Der Beitrag des Lehrers ist es, die „Reise“ zu organisieren und das „fremde
Land“ in all seiner Schönheit sichtbar zu machen.
Der Religionslehrer hat, so Ruster das Recht, die Kinder mit der Welt der Bibel
zu konfrontieren, ohne deren Aneignungs- und Verstehensbedingungen bei
der Auswahl der Inhalte und den Formen der unterrichtlichen Vermittlung
vorgängig zu berücksichtigen.
Zu
diesem
Thema
meinte
schon
Kardinal
Ratzinger,
es
sei
ein
schwerwiegender Fehler gewesen, den Katechismus abzuschaffen, denn
dieser sei unverzichtbar. Durch die Absage an eine strukturierte, aus dem
Ganzen der Überlieferung schöpfende Grundgestalt der Glaubensvermittlung
kam es zu einer Fragmentierung der Glaubensaussage, die die Ernsthaftigkeit
der einzelnen Inhalte fraglich werden ließ, die einem Ganzen zugehören und,
von diesem losgelöst, zufällig und zusammenhanglos erscheinen. Laut
Ratzinger bedeute Vorrang der Methode vor dem Inhalt Vorrang der
Anthropologie vor der Theologie.
--Wir glauben, dass jede „Monokultur“ nicht förderlich ist und dass es besser
ist, von jeder Methode Elemente herauszunehmen und zu verwirklichen. Die
Bibel soll unserer Meinung nach als „Bibel“ stehen bleiben, denn sie stellt
43
_____________________________________________________________________
eine fremde Welt dar und kann teilweise einfach nicht verkindlicht,
veranschaulicht, korreliert werden. Die Schüler sollen die Welt der Bibel
auch so kennen lernen und akzeptieren. Im Unterricht ist uns schon
aufgefallen, dass Schüler sehr interessiert sind am Lesen von Bibelstellen und
dies auch gerne tun.
Der Lehrer sollte über die theologischen Hintergründe Bescheid wissen, um
die Schüler richtig auf verschiedene Themen aus der Bibel hin zu führen.
Der Unterricht jedoch steht und fällt mit dem Lehrer und deshalb sollte jeder
Lehrer die Methode auswählen, die am besten zu seinem Typ passt und mit
der er am meisten bei den Kindern bewirken kann. Der Lehrer hat eine große
Vorbildwirkung und dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Abduktive Korrelation – eine Neuorientierung für die
Korrelationsdidaktik27
Irene Schnattler
0. Einleitung
Auch wenn in der Diskussion um die Korrelationsdidaktik in den letzten
Jahren klar geworden ist, dass man auf sie nicht verzichten kann, so suchen
27
Vgl. dazu Prokopf/Ziebertz (2000); Wirth (1995).
44
_____________________________________________________________________
doch viele nach einem Ausweg aus der Sackgasse deduktiver und induktiver
Konzepte.
Laut Ziebertz und Prokopf ist es der Korrelationsdidaktik bisher nicht
gelungen, religiöse Traditionen und aktuelle Erfahrungen der Jugendlichen so
miteinander in Verbindung zu bringen, dass es nicht immer in eine deduktivtraditionsorientierten oder in eine induktiv-erfahrungsorientierte Richtung
gekippt wäre.
Denn entweder es wird von der subjektiven Erfahrung eines Jugendlichen
ausgehend auf eine allgemeine Glaubenssaussage geschlossen (die aber durch
die konträre Erfahrung eines anderen Jugendlichen rasch widerlegt werden
kann) oder man erschließt von der Tradition eine „passende“ Aussage für die
Lebenswelt des Jugendlichen (deduktiv). In beiden Fällen kommt eine Seite zu
kurz.
Die Abduktive Korrelation könne nach der Meinung der Autoren hier wieder
ein Gleichgewicht herstellen.
1. Das Abduktionskonzept
1.1 Das Peirce´sche Abduktionskonzept
Nach Peirce ist die Abduktion der einzige echt synthetische 28 Schlussmodus,
da sie nicht nur Erklärungen findet, sondern auch neue Theorien erfindet.
28
Synthetische Urteile sind solche, in denen das Prädikat nicht schon im Subjekt enthalten ist (z.B.
„7+5=12“; 12 ist weder in 7 noch in 5 enthalten). Im Gegensatz dazu sind die analytischen Urteile (z.B.
„Der Kreis ist rund“) solche, die keinen Erkenntniszuwachs bringen, in dem sie das Subjekt nur
entfalten, aber nicht erweitern. Vgl. dtv-Atlas Philosophie, München 71998, S.137.
45
_____________________________________________________________________
Während beim deduktiven Schließen die Prämissen gegeben sind und die
Konklusionen (Resultate) gesucht werden, ist bei der Abduktion die
Konklusion gegeben, und die möglichen Prämissen müssen erschlossen
werden.
Folgende Tabelle soll die Unterschiede deutlich machen:29
Deduktion
Induktion
Abduktion
Regel
Alle Bohnen aus diesem Fall
Diese Bohnen sind
(allgemein)
Sack sind weiß
(besonders)
aus diesem Sack
Fall
Diese Bohnen sind aus
Resultat
Diese Bohnen sind
Regel
Alle Bohnen aus
(besonders)
Resultat
diesem Sack
Diese Bohnen sind weiß Regel
weiß
Alle Bohnen aus
(allgemein)
Fall
diesem Sack sind weiß
Diese Bohnen sind aus
diesem Sack sind
(besonders)
diesem Sack
Resultat
Sokrates ist sterblich
(allgemein)
Resultat
Diese Bohnen sind
weiß
weiß
Oder im Anschluss an ein sehr bekanntes Beispiel:
Regel
Alle Menschen sind
Fall
Sokrates ist ein
(allgemein)
sterblich
(besonders)
Mensch
Fall
Sokrates ist ein Mensch
Resultat
Sokrates ist
Regel
Alle Menschen sind
(besonders)
Resultat
Sokrates ist sterblich
Regel
sterblich
Alle Menschen
(allgemein)
Fall
sterblich
Sokrates ist ein Mensch
(allgemein)
sind sterblich
(besonders)
Im Unterschied zur Deduktion ist der Schluss bei der Abduktion nur ein
wahrscheinlicher (wie bei der Induktion), erweitert aber die Erkenntnis, da er
neue Ideen hervorbringt.
Erkenntnistheoretische Grundlagen:
Für Charles Sanders Peirce gibt es im Universum eine Tendenz, die vom
Chaos her zur Ordnung drängt, das bedeutet für ihn eine Tendenz zu Formen
als Gewohnheiten oder Formgewohnheiten. Für ihn bewirken diese
29
Vgl. dtv- Atlas Philosophie. München, 71998, S. 172.
46
_____________________________________________________________________
Gewohnheiten
statische Gleichförmigkeiten. Er geht davon aus, dass ein
Zusammenhang zwischen allgemeinen Vorstellungen und Einzelfakten
besteht. Jedes Einzelereignis ist
integriert in einen
kontinuierlichen
Zusammenhang. Einzelereignisse können nur über Sinneswahrnehmungen
erkannt werden.
Diese Erfassung von Sinneseindrücken ist für Peirce ein Teil des universalen
Strebens vom Chaos zur Ordnung. Von diesen Wahrnehmungen können
dann universelle Sätze abgeleitet werden.
Sie
laufen
auch
kritikunabhängig
ab
und
werden
durch
einen
kontinuierlichen Schlussprozess in eine Abduktion geführt.
Der abduktive Prozess
Charles Sanders Peirce definiert Abduktion als „Prozess, eine erklärende
Hypothese zu bilden. Er ist die einzige logische Operation, die irgendeine neue Idee
einführt“30 (CP 5.171). Abduktion als „originäres Argument“ stellt in Form
einer „Vor-Aussage“ hinsichtlich eines bestimmten Erwartungshorizontes
eine problematische Theorie auf. Diese hypothetische Aussage bringt logische
und praktische Konsequenzen hervor: Logische Konsequenzen werden
deduktiv ermittelt, praktische induktiv geprüft.
Peirce vermutet, dass der Mensch über einen instinktiven Spürsinn verfügt,
der es ihm erlaubt, die Gesetze seiner Lebenswelt zu erahnen. Da die
Abduktion
nur
Vermutungen
anbietet,
ist
sie
weniger
eine
Forschungsmethode als eher eine Forschungsstrategie, die einen Ausgleich
zwischen instinktiver Einsicht und gültigen logischen Formen schafft.
Abduktive Einsichten kommen blitzartig. Sie verbinden Elemente, von den
wir nie zuvor gedacht hätten, dass sie zusammengehören.
30
Peirce; C.S.: Collected Papers (8 Bände), Band I-V
47
_____________________________________________________________________
Triadisch–relationale Zeichenstruktur
Für Peirce hat alles Denken die Form schlussfolgernden Interpretierens von
Zeichen.
Er teilt Zeichen in Ikons, Indizes und Symbole auf. Für das Funktionieren
eines Zeichen sind drei Dinge nötig: Das Zeichen selbst, sein Objekt und sein
Interpretant. „Der Interpretant ist das, was ein Zeichen in einem Interpreten
erzeugt, indem es ihn zu einem Gefühl, einer Handlung oder zu einem Zeichen
determiniert“31.
Die relationale Natur des Zeichens erkennt man daran, dass es als etwas für
etwas (das Objekt) zu etwas (dem Interpretanten) in Beziehung steht. Die
Zeichenrelation ist eine triadische Relation, deren Korrelate Objekt, Zeichen
und Interpretant sind. Jede Relation in dieser Trias kann durch eine der
Kategorien „Erstheit“, „Zweitheit“ und „Drittheit“ beschrieben werden.
Die Kategorien „Erstheit“, „Zweitheit“ und „Drittheit“
„Erstheit ist das, was so ist, wie es ist, wie eindeutig und ohne Beziehung auf
irgendetwas anderes ist“ (PLZ; 55). Dieses Erste hat keine Einheit und keine
Teile. „Was die Welt für Adam war, an dem Tag, an dem er die Augen öffnete, bevor
er irgendwelche Unterscheidungen gemacht hatte oder seiner eigenen Existenz
bewusst geworden war“ (CP 1.357), das kennzeichnet die Erstheit.
Mit der Zweitheit ist das Verhältnis eines Subjektes auf der einen Seite zu
einem Objekt auf der anderen Seite angesprochen, und zwar in dem Moment,
wo sie aufeinander einwirken. Dabei verschwindet die Unbestimmtheit der
Erstheit, und es kommt zu einem gegenüber von Subjekt und Objekt.
31
Oehler (1993), S. 129.
48
_____________________________________________________________________
Die Zweitheit wird durch die Drittheit hervorgebracht, indem sie die
Vermittlung von Erstheit und Zweitheit leistet. Drittheit ist die Figur der
Vermittlung, der im Zeichenprozess die zentrale Rolle zukommt.32
Die spannungsreiche Beziehung zwischen „Erstheit“, „Zweitheit“ und
„Drittheit“ konstituiert den abduktiven Prozess. Wahrnehmungsinhalt und
Wahrnehmungsurteil vermitteln sich gegenseitig in einem abduktiven
Prozess: Transformation geschieht durch das Zeichen, das jeweils den es
Benutzenden und das von ihm Bezeichnete überschreitet. Das Zeichen, das
den abduktiven Prozess konstituiert, ist das Dritte, ist die Brücke zwischen
Subjektivität und Objektivität.
Konsequenzen für die Religionspädagogik
Für
den
Religionspädagogen
Hans-Georg
Soeffner
geht
abduktive
Religionspädagogik von einer immer schon zeichenhaft ausgedeuteten
Lebenswelt aus, in der auch die jüdisch –christliche Tradition ihren
kulturellen Platz hat und immer neu in verschiedene Zusammenhänge
transformiert wird. Abduktive Religionspädagogik hat nicht als primäre
Aufgabe, Religion als eine fremd gewordenen Tradition neu zulehren. Es gilt
jedoch Kompetenzen zu entwickeln (zunächst auf Seiten der Lehrenden und
dann auf Seiten der Lernenden), das vorhandene habituelle Zeichen- und
Traditionsreservoir wahrzunehmen und einer kritischen Reflexion zugänglich
zu machen. Dadurch würde Vergessenes neu gelernt und auch auf den
organischen Zusammenhang von Tradition und Erfahrung aufmerksam
gemacht.
32
Oehler, K., (1993), S. 58.
49
_____________________________________________________________________
1.2 Abduktive Hermeneutik bei Ulrich Oevermann
Eine These lautet, dass die wahrgenommene Kluft zwischen heutiger
Erfahrung und christlicher Tradition daraus resultiert, dass die zeichenhafthabituelle Komponente der christlichen Tradition nicht mehr explizit
wahrgenommen wird, aber trotzdem latent vorhanden ist.
Rituale, Symbole und christliches Traditionsgut sind immer ein Bestandteil
des öffentlichen Diskurses. Hier kann man aber auch Anknüpfungspunkte für
religionspädagogisches Arbeiten finden. Ulrich Oevermann hat das Konzept
der Latenz in das von Peirce entwickelter Abduktionsprinzip integriert. Es
gilt, die vom Subjekt her latent vorhandenen traditionellen Spuren des
Christentums aufzuspüren. Oevermann führt den Begriff der „latenten
Sinnstruktur“ neu ein. Religion muss nicht dogmatisch-traditionell in die
Lebenswelt deduziert werden, auch nicht empirisch aus der Lebenswelt
induziert werden. Religion wird gesehen als zeichenhaft vermittelte, latent
handlungsleitende „Drittheit“ im Peirce´schen Sinne.
Dabei
gibt es drei aufeinander bezogene
Probleme in der Struktur von
Religiosität
 Die Frage, wie es nach dem Tode weitergeht, lässt sich nicht
beantworten.
In
jedem
kleinen
Lebensabschnitt
gibt
es
Entscheidungsmöglichkeiten, in denen wir uns bewähren müssen. Zur
Bewältigung dieser Entscheidungskrisen wird ein Leitfaden benötigt,
der die Richtung anzeigen soll, in die es im Leben gehen soll.
Oevermann nennt diesen Leitfaden „Bewährungsmythos“.
 Diese Bewährungsmythen sollen eine Sicherheit in einer Welt herstellen,
in der es eigentlich keine Sicherheiten gibt. Diese Sicherheiten entstehen
dort, wo viele Menschen an bestimmte Maßregeln glauben und von
ihnen fraglos überzeugt sind.
50
_____________________________________________________________________
 Die Erzeugung von Sicherheiten in einer unsicheren Welt und damit die
Bereitstellung von Entscheidungsoptionen wird von Oevermann als ein
Strukturmodell von Religiosität gesehen.
Handeln ist nach Oevermann der materielle Ausdruck von Überzeugungen,
die aber nicht identisch mit dem bewussten und abfragbaren Wissen sind,
das Handeln motiviert. Krisen entstehen dann, wenn das Handeln an
Unvorhergesehenem, nicht Planbarem scheitert („brute facts“).
Abduktion hilft in dieser Situation, indem es innerhalb dieser Krisen eine
zeichenhaft verbürgte Ordnung auffindet. Es ist ein Verhalten, das zur
Orientierung notwendig ist und somit schon auf der Subjektebene permanent
und universell latent vollzogen wird. Auf diese Weise sichert die Abduktion
die Identität des Subjekts.
Die Abduktion erhält ihre Gültigkeit dadurch, dass sie sich an die brute facts
„anschmiegt“. Mit „Anschmiegen“ ist ein Sich-Einlassen auf die Dinge selbst
gemeint. Die Abduktion greift dabei auf das im Unbewussten abgelagerte
Wissen zurück. Das Neue entsteht durch die erneute Ausdeutung des Alten.
Abduktion will aufdecken, was latent im Alltag an Korrelation zwischen
Besonderen als aktuelle Erfahrung und Allgemeinen als Tradition vollzogen
wird. Abduktion soll zum Denken und Begreifen im religiösen Bereich
anregen.
2. Abduktive Hermeneutik in der Religionspädagogik
Religion unterliegt Transformationen, die mit den Bedingungen und
Erfordernissen der Gegenwart zusammenhängen: Kontingenzerfahrungen
und Krisen als „Urauslöser“ für religiöse Artikulationen können auch heute
51
_____________________________________________________________________
noch gemacht werden. Religiöse Antworten dürfen nicht immer gleich
dargestellt werden. Wichtig für die abduktive Religionspädagogik ist die
Suche nach den jeweils zeitgemäßen religiösen Artikulationsformen, wobei
die
traditionellen
Quellen,
die
diese
Artikulationsformen
speisen,
aufzudecken sind. Der Dualismus von Tradition und Erfahrung bzw.
aktueller Interpretation, der in der Theologie oft zu Konflikten führte, kann in
der Religionspädagogik als konstitutiv erlebt werden. Aus theologischabduktiver Perspektive ist die Trennung der beiden Elemente Tradition und
Erfahrung unnötig und sogar problematisch, denn beide gehören zusammen.
Weiterentwicklung der Korrelationsdidaktik aus abduktiver Perspektive
Es geht um den Entwurf eines religionspädagogischen Konzeptes, welches
aktuelle Erfahrungen und Tradition in Bezug auf Religion in einem
organischen Zusammenhang sehen kann. Dieses Konzept muss korrelativ
angelegt sein, so, wie es von der Korrelationstheologie Paul Tillichs
ausgehend, möglich wäre. Für Tillich waren Tradition und Erfahrung als
einander wechselseitig bedingend zugeordnet. Für ihn galt es nicht
Korrelation herzustellen, wie es in der Korrelationsdidaktik schon immer
vergeblich versucht wurde, sondern die schon bestehenden Korrelationen
zwischen Tradition und Erfahrung aufzudecken.
Nach
Oevermann
lassen
folgende
vier
Fallstrukturen
religiöser
Kommunikation abduktive Schlüsse zu:
a.) Besonders und Allgemein
Wenn Jugendliche Sinnkrisen durchmachen, so sind diese in ihrer
Besonderheit und Einmaligkeit zu sehen und gleichzeitig zeigen sich
darin Elemente, die als allgemeingültig gedeutet werden müssen.
b.) Diachrone und Synchrone Struktur
52
_____________________________________________________________________
Im
diachronen
Gesprächsverlauf
(Schüler
schildert
seine
Glaubenszweifel) lassen sich immer wieder synchrone Elemente
entdecken (Religionskritik (19. Jh.), Klage und Zweifel (z.B.: Hiob))
c.) Reproduktion und Transformation
Religiöser Ausdruck und Glaubensinhalte erleben immer wieder
größerer oder kleinere Transformationsschübe. Darin werden aber
häufig bekannte Traditionen reproduziert (Ein Schüler, der in
meditativen Situationen und Selbstgesprächen auch Momente des
Betens sieht, reproduziert keine bestimmte mystische Schule, aber
transformiert Elemente mystischer Traditionen auf individuelle Weise).
d.) Diskontinuität und Kontinuität
Jede noch so brüchige religiöse Biographie weist im Hintergrund
kontinuierliche Strukturen auf. Wenn sich zeigen lässt, dass neue
religiöse Artikulationsformen nicht unbedingt einen Bruch mit der
religiösen
Tradition
bedeuten,
sondern
dass
hier
alte
Traditionselemente neu artikuliert werden, würde die Verbindung
zwischen Tradition und Erfahrung eine neue Basis erhalten.
Wenn auf dem Gebiet des religiösen Ausdrucks viele Hintergründe latent da
sind, dann heißt dass nicht, dass sofort eine Deutung und Erklärung dieser
Hintergründe im Unterricht angestrebt werden soll. Dies wäre laut
Oevermann nicht möglich und würde auf eine Bevormundung des Schülers
herauslaufen.
Den Schülern müssten Möglichkeiten geboten werden, dass sie selbst die
latenten Traditionsbezüge erkennen und kommentieren. Auf diese Weise,
hätte er/sie die Möglichkeit, sich mit den Parallelen der christlichen
Überlieferung in Beziehung zu setzen. Damit wäre eine aktive Rolle der
Schüler initiiert und überlieferte Religion würde ihre Fremdheit verlieren,
wenn sie zu einer konkreten Erfahrung in Beziehung gesetzt wird. Die
53
_____________________________________________________________________
individuellen Erfahrungen der Schüler würden von ihrer Zufälligkeit befreit
in einen tieferen Bezug zur Geschichte gestellt werden.
3. Vorhandene Brücken betreten: Korrelation vom Subjekt aus betrachtet
In der abduktiven Religionspädagogik ist Tradition nicht ohne Erfahrung,
Erfahrung nicht ohne Tradition und religiöse Unterweisung nicht ohne beide
zu denken.
Der abduktive Prozess ist für die Religionspädagogik bedeutsam, weil er
Religion strukturell sozialpsychologisch im menschlichen Bewusstsein
verankert sieht. Deshalb muss Religion weder dogmatisch traditionell in die
Lebenswelt deduziert werden, noch empirisch aus der Lebenswelt induziert
werden, sie liegt vielmehr strukturell menschlichen Handeln zugrunde. Daher
geht es nicht darum Brücken zu bauen, sondern die immer schon bestehenden
Brücken zwischen Tradition und Erfahrung sichtbar zu machen und zu
begehen. Den ersten Schritt kann immer nur das erfahrende Subjekt tun, das
sich Traditionen aneignet.
Ein passiv aneignendes Subjekt ist für die abduktive Religionspädagogik
undenkbar. Vielmehr sieht sie sich der Überzeugung verpflichtet, ein aktivrekonstruierendes Subjekt in den Blick zu nehmen.
Dabei geht es, Korrelationsdidaktik zu einem Ereignis zu machen, welches
Korrelation im Lebenskontext der Person zünden lässt „und nicht in unserem
Arrangement kopierter Textauszüge. Und dass Korrelation zündet liegt nicht an
uns“.33
33
Zilleßen, D.: Friedrich Niebergall (1866-1932), in: Schroer H. / Zilleßen D. (1996), S. 32.
54
_____________________________________________________________________
Reinhold Boschki34 setzt sich für einen Religionsunterricht ein, der weder
theologisch deduziert noch anthropologisch induziert, sondern der im Dialog
zwischen Sozialwissenschaft und theologischer Hermeneutik die Struktur
religiösen Lernens in den Blick zu nehmen vermag. Das kann die abduktive
Religionspädagogik, die das Besondere der menschlichen Erfahrung im
Allgemeinen der menschliche Kommunikation ermöglichenden traditionellen
Bezüge zu sehen vermag. Dies bietet die Grundlage für religiöse
Kommunikation.
Abduktive Religionspädagogik geht davon aus, dass Religion nicht im
Unterricht gemacht wird, sondern individuell vorliegt.
34
Boschki (1998), S. 17.
55
_____________________________________________________________________
IV. Ein neues Paradigma?
Konstruktivismus und Religionspädagogik
Susanne Krachler, Kerstin Holdernig, Helga Pfeifhofer
1. Religionspädagogik im Spannungsfeld des Konstruktivismus
In der Religionspädagogik wird gegenwärtig darüber diskutiert, ob
inhaltsorientierten oder lebensweltorientierten Konzepten den Vorzug
erhalten
sollen.
Diese
Kontroverse
wurde
durch
den
Einzug
des
Konstruktivismus in die Religionspädagogik noch verschärft.
Seit den 50er Jahren ist der radikale Konstruktivismus in mehreren
Geisteswissenschaften vertreten. Er behauptet, es gebe keine objektive
Wirklichkeit, diese sei stets eine subjektiv konstruierte. Denn jeder nimmt das
Geschehen anders wahr und die Wirklichkeit als solche entsteht nur dadurch,
dass Menschen sich auf das verständigen, was gilt. Die Wissensaneignung
erfolgt im Konstruktivismus nicht durch Vermittlung, sondern alle Erkenntnis
beruht auf der aktiven Konstruktion des Subjekts.35 Das Lernen soll
konsequent selbständig erfolgen, das ist im Unterricht zu fördern und zu
fordern, wobei der Lernprozess individuell erfolgen soll, damit die Lernenden
je ihre Konstruktion von Wirklichkeit entdecken. Diese selbstständigen
Konstruktionsleistungen erfordern eine Lernumgebung, die es den Lernenden
ermöglich, selbst zu erfahren, zu experimentieren, zu recherchieren. Im
radikalen
35
Konstruktivismus
wird
Vgl. Kucher (2002), S. 174.
56
die
herkömmliche
Wissens-
und
_____________________________________________________________________
Stoffvermittlung,
und
damit
auch
der
Frontalunterricht,
prinzipiell
abgelehnt.36
Der radikale Konstruktivismus verneint in Bezug auf Religion die
Möglichkeit, dass es eine objektive Religion gibt - also Lehrinhalte die für alle
gleich gelten. In dieser Vorstellung hat Religion als „Tradition“37 keinen
eigenen Wert. „Wert hat das, was Menschen als Religion ‘erkennen’.“38
In der Religionsdidaktik wird in den letzten Jahren ein gemäßigter
Konstruktivismus vertreten. Bei diesem Modell wird angenommen, dass es
Religion
gibt,
diese
aber
keinen
Wahrheitsanspruch
hat.
Aus
konstruktivistischer Sicht geht es darum, wie Schüler - von ihrer Lebenswelt
ausgehend - über diese Religionen zu religiösen Bedeutungen kommen.
Dabei wird davon ausgegangen, dass bereits frühere Generationen durch ihre
Erfahrungen zu einem Weltbild gekommen sind, das die Kultur und die
Gesellschaft prägte und damit jeden von uns, unabhängig von der eigenen
Konstruktionsleistung. Auch die Tradition und die Entdeckungen der
Wissenschaft haben diese Wirklichkeit mitgestaltet. Um zu einer eigenen
Weltsicht zu kommen, müssen die tradierten Überlieferungen hinterfragt
(rekonstruiert) werden, denn auch sie waren nur das Ergebnis von
Interpretationen und Deutungen anderer.
Der Religionsunterricht kann Weltsichten und Deutungen anbieten, die der
einzelne zu hinterfragen hat, um durch eigene Konstruktion, gründend auf
altem Wissen, das nicht erst erfunden werden muss, zu Sinn und Glauben zu
finden.39
36
Hilger (2001), S. 98.
Ebda, S. 98.
38
Ebda.
39
Ebda., S. 98f.
37
57
_____________________________________________________________________
Wirklichkeit wird im gemäßigten Konstruktivismus nicht geleugnet, wird
aber nur als relevant betrachtet durch die aktive Aneignung und in der
Auseinandersetzung mit Deutungen und Interpretationen anderer, über die
im Lernen nachzudenken ist. „Gemeint ist damit die Rekonstruktion der
Wirklichkeitskonstruktionen anderer in der Geschichte und in der Gegenwart.
Wirklichkeitsaneignung und Lernen sind also sowohl Konstruktions- als auch
Rekonstruktionsleistungen.“40
Lernen im Wechsel von Konstruktion und Rekonstruktion kann spannend
sein, denn der Lernende hat die Möglichkeit, durch Austausch mit der
Sichtweise anderer und die der Tradition zur eigenen subjektiven Weltsicht
zu kommen. Welche Gefahr besteht aber, wenn jeder zu seiner eigenen
Weltsicht kommt? Hält die Theologie diese Vielfalt aus? Die Vertreter des
gemäßigten
Konstruktivismus
argumentieren
damit,
dass
Gott
dem
Menschen die Freiheit geschenkt hat. Er hat die Freiheit, „immer wieder
Gewissheiten in Frage zu stellen, falsche Gewissheiten zu zerstören, zu
enttarnen, um wieder (vorläufig) neue Möglichkeiten zu entdecken“ 41
Papst Johannes Paul II. kritisiert in seiner Predigt vom 10. Dezember 2000
konstruktivistische Tendenzen und warnt davor, „sich den Glauben ‘nach
eigenem
Belieben
zu
basteln’“42.
Er
sieht
die
Gefahr,
bestehende
Glaubensinhalte würden verwässert.
2. Konstruktivismus im Religionsunterricht heute?
Auf die Praxis bezogen stellen sich nun folgende Fragen: Ist das, was heute in
der Schule unterrichtet wird noch Korrelation, oder schon Konstruktivismus?
40
Ebda., S. 99
Ebda. S. 100
42
Kucher (2002), S. 175
41
58
_____________________________________________________________________
Wird zur Glaubensvermittlung der Schüler mit seiner individuellen
Erfahrungswelt ins Zentrum gestellt, oder verlassen wir uns auf seine
subjektive Glaubenskonstruktion?
Wie man das Blatt auch wendet, für Kritiker wird es immer Lernmethoden
geben, welche ‚konstruktivistische’ Anzeichen vermuten lassen, „die nicht
ursprünglich mit dieser Strömung zu tun haben, sondern lediglich eine
größere Selbsttätigkeit des Lernenden in den Mittelpunkt stellen.43“ Zu diesen
Methoden gehören zum Beispiel:
Die Freiarbeit ermöglicht dem/der SchülerIn durch die freie Wahl der Inhalte,
der Methoden, der Zeiteinteilung, des Arbeitsniveaus, der Sozialform und des
Lernortes, selbstständig und eigenverantwortlich Arbeitsaufträge zu lösen.
Der/die LehrerIn tritt aus dem Zentrum der Aufmerksamkeit, wodurch den
Kindern und Jugendlichen die Chance geboten wird, sich selbst entfalten zu
können. Dies bedeutet aktive Wissensaneignung statt Belehrung.44
Ein weiteres Beispiel wäre die Projektarbeit: Projektorientierter Unterricht
eröffnet dem/der SchülerIn besondere Lernchancen, „ohne den traditionellen
Unterricht ersetzen zu wollen.“45 Durch gezielt eingesetzte Methoden soll der
SchülerIn herausgefordert und motiviert werden Lösungsstrategien zu
entwickeln,
einzusetzen
und
zu
erproben.
Projektunterricht,
im
ganzheitlichen Sinn, lebt von der Erfahrungswelt des Schülers, die einen
breiten Raum einnimmt. Die Kunst der Pädagogen besteht gerade darin die
Glaubensvermittlung an die Lebenswelt der SchülerInnen anzuknüpfen, um
sie danach systematisch, methodisch christliche Glaubensinhalte zu lehren
oder zu transferieren. Bekommt der/die SchülerIn nicht erst dadurch die
Chance die Botschaft der Bibel, das Wort Gottes besser zu verstehen, wenn er
43
Ebda.
Riegel (2001), S. 479ff
45
Ziebertz (2001), S. 455
44
59
_____________________________________________________________________
merkt,
dass
seine
Erfahrungen
–
bereits
gelebte,
tradierte
Glaubenserfahrungen sind? Beginnt an diesem Punkt nicht der eigentliche
Religionsunterricht auch im Sinne der Evangelisierung? „Projektorientiertes
Lernen kennzeichnet den ‚etwas anderen Unterricht’, bei dem Kopf, Herz und
Hand beteiligt sind.46“
Grundsätzlich sollten sich Institutionen im Bildungsbereich gegenüber neuen
Strömungen in der Pädagogik stets offen zeigen. Unterrichtsformen wie
Projekt- und Freiarbeit konnten deshalb im Regelschulwesen Einzug halten.
Es kommt auf den verantwortungsvollen Einsatz dieser Lehrmethoden an,
dann wird es möglich sein, auch tradierte Glaubensinhalte als Bereicherung
für den Einzelnen unverkürzt weiterzugeben.
46
Ebda.
60
_____________________________________________________________________
Literatur
Ammermann, Norbert: Wahrheit und Sinn als Konstruktdimensionen
des Religionsunterrichtes.
http://afeth2000.de/Dokumente/Essays/Credo/Credo.htm
Baudler, Georg: Korrelation von Glaube und Leben in: Bitter G. u.a. (Hgg.):
Neues Handbuch religionspädagogischer Grundbegriffe, München 2002, S.
Boschki, R.: Dialogisch-kreative Religionsdidaktik. Eine Weiterentwicklung
der korrelativen Hermeneutik und Praxis, in: Katechetische Blätter 3(1998), S.
13-23.
Bucher, Anton: Ohne verlässliche Inhalte zurück zur Katechese?, in: CPB
3/2002, S. 177-180.
Casetti, Christoph: Katechese und Katechismus in der Schweiz. Vortag von
beim Internationalen Katechismuskongress in Rom (8.-11.Oktober 2002); auf
http://www.kath.net/detail.php?id=3520, 6.12.2002.
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