Hans Mendl Religion erleben Chancen und Grenzen eines Unterrichts, der MEHR ist als ein REDEN ÜBER RELIGION 1. Die zentrale Frage lautet: Wie können Kinder und Jugendliche Religion als spezifischen Modus einer Weltdeutung verstehen, wenn sie immer weniger mit Religion, Kirche und Glaube vertraut sind? 2. Die veränderte Situation nach dem Traditionsabbruch erfordert einen veränderten Präsentationsmodus religiöser Ausdrucksformen (Rudolf Englert). Die Fähigkeit zur Deutung von Religion muss deshalb ergänzt werden mit einer „Partizipationskompetenz“ (Dietrich Benner). Nur so wird die erlebnisorientierte Basis gelegt, um eigenes und fremdes religiöses Handeln auch verstehen zu können. 3. Die Last der Geschichte religiösen Lernens erschwert aber ein unreflektiertes Inszenieren von Religion in der Schule. Kritiker argwöhnen: mit einem performativen Ansatz erfolge ein Rückfall in die Zeiten eines missionarischen (Evangelische Unterweisung, Materialkerygmatik) Konzepts religiösen Lernens. Dies gilt es zu entkräften! 4. In einer postchristlichen Gesellschaft und angesichts des „garstigen Grabens“ zwischen einem fehlenden expliziten religiösen Erfahrungswissen und der Glaubenstradition erscheint ein ausschließliches Reflexionsmodell religiösen Lernens als nicht mehr tragfähig, wenn es das Ziel ist, dass Kinder und Jugendliche religiös kompetent werden. Denn die Eigenart des Gegenstands Religion kann man nur verstehen, wenn dieser in seiner eigenen Form auch erlebbar wird und Kontaktzonen mit der Praxis gelebten Glaubens geschaffen werden. 5. Wissenschaftstheoretisch wird die veränderte Profilierung religiösen Lernens mit den Konzepten eines „performativen Religionsunterrichts“ beschrieben. Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass Religion „in Form“ bleibt, weil sie nur so verstanden werden kann. 6. Strittig ist aber die angemessene Qualifizierung religiöser Erlebnisse im Religionsunterricht: Handelt es sich um eine unterrichtliche Inszenierung, ein ernsthaftes Spielhandeln, um Vollzüge im „als-ob“ oder um authentische Erlebnisse? Mein Ansatz: Mit performativen Unterrichtsformen laden die Lehrenden zum Vollzug religiöser Handlungsformen ein. Diese Einladung muss aber geprägt sein von der Möglichkeit einer subjektiven Bedeutungszuweisung durch die Lernenden. Ob aus einzelnen Erlebnissen subjektiv bedeutsame und nachhaltige Erfahrungen werden, entzieht sich der Steuerung durch die Lehrenden. Denn die tatsächliche Wirkung einer Sprechhandlung ist didaktisch nicht verfügbar. Um die Freiheit der individuellen Erfahrungsbildung zu sichern, erscheint eine didaktische Rahmung als unverzichtbar, welche Elemente des Erlebens mit solchen der kognitiven Verankerung und besonders der Reflexion verbindet. 7. Ein performativer Religionsunterricht verbleibt in den konzeptionellen Grenzen eines schulischen Unterrichtsfachs. Er darf nicht mit Katechese und ihren Zielsetzungen einer Einübung in den Glauben und einer Beheimatung in der Kirche verwechselt werden. Lernende sollen im Religionsunterricht respektvoll dazu angeregt werden, inmitten einer postmodernen Palette von Sinndeutungen Leben und Glauben selbst zu konstruieren. Diese Haltung ermöglicht es aber auch, selbstbewusster und entschiedener „den Glauben vorzuschlagen“ (Brief der französischen Bischöfe 1996) und zum Ausprobieren und Reflektieren der Schätze christlicher Tradition einzuladen. In diesem Sinne bedarf es einer stärkeren Erlebnisorientierung (Selbst-, Gemeinschafts-, Sozial-, Kirchen- und spirituelle Erfahrung) religiösen Lernens (Konkretionen: siehe eigenes Arbeitsblatt bzw. die 20 Praxiskapitel in „Religion erleben“). 8. Zum professionstypischen Habitus von Religionslehrerinnen und -lehrern gehört eine konfessionelle Positionalität und individuelle Spiritualität, aber auch ein hohes Maß an Beziehungsfähigkeit und DifferenzVerträglichkeit sowie die Fähigkeit, zwischen unterschiedlichen didaktischen Perspektiven zu wechseln. Literaturauswahl: Benner, Dietrich, Bildungsstandards und Qualitätssicherung im Religionsunterricht, in: Theo-web. Zeitschrift für Religionspädagogik 3 (2004), Heft 2, 22-36. (www.theo-web.de) Dressler, Bernhard / Klie, Thomas / Kumlehn, Martina, Unterrichtsdramaturgien. Fallstudien zur Performanz religiöser Bildung, Stuttgart 2012. Englert, Rudolf, Der Religionsunterricht nach der Emigration des Glauben-Lernens. Tradition, Konfession und Institution in einem lebensweltlich orientierten Religionsunterricht, in: KatBl 123 (1998), 4-12. Husmann, Bärbel / Klie, Thomas, Gestalteter Glaube. Liturgisches Lernen in Schule und Gemeinde, Göttingen 2005. Klie, Thomas / Leonhard, Silke (Hg.), Schauplatz Religion. Grundzüge einer Performativen Religionspädagogik, Leipzig 2003. Klie, Thomas / Leonhard, Silke (Hg.), Performative Religionsdidaktik. Religionsästhetik – Lernorte – Unterrichtspraxis, Stuttgart 2008. Klie, Thomas / Merkel, Rainer / Peter, Dietmar (Hg.), Performative Religionsdidaktik und biblische Textwelten, Loccum 2012. Mendl, Hans, Im Mittelpunkt der Mensch. Prinzipien, Möglichkeiten und Grenzen eines schülerorientierten Religionsunterrichts, Winzer 2004. Mendl, Hans (Hg.), Konstruktivistische Religionspädagogik. Ein Arbeitsbuch, Münster 2005. Mendl, Hans, Wie viel Annäherung ist gefragt? Einige Thesen zu notwendigen und problematischen Konvergenzbewegungen heute, in: KatBl 132 (2007), 92-94. Mendl, Hans, Religion erleben. Ein Arbeitsbuch für den Religionsunterricht. 20 Arbeitsfelder, München 2008. Mitteilungen RU, hg. v. Abteilung Bildung. Referat Schule. Erzbischöfliches Generalvikariat Hamburg, 2/2013: Performativer Religionsunterricht … mehr als Reden über Religion. Notizblock 49/2011: Performativer Religionsunterricht. Basisbeiträge und Unterrichtsvorschläge zum performativen Religionsunterricht. Religionsunterricht an höheren Schulen 45 (2002), Heft 1: Performativer Religionsunterricht. Roose, Hanna, Performativer Religionsunterricht zwischen Performance und Performativität, in: Loccumer Pelikan 3/2006, 110-115. Schmid, Hans, Mehr als Reden über Religion, in: Religionsunterricht an höheren Schulen 45 (2002), 3-10. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Den Glauben anbieten in der heutigen Gesellschaft. Brief an die Katholiken Frankreichs von 1996, Bonn 2000 (= Stimmen der Weltkirche 37). Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen, Bonn 2005. Zeitschrift für Pädagogik und Theologie 60 (2008), Heft 1: Didaktik - Performanz – Bildung. Performatives Arrangement Religion Theologie Glaubenspraxis Glaubenstheorie Performanz Illokutionäre Absicht – perlokutionäre Wirkung Zeichentheorie Rel. (Handlungs-) Zeichen verstehen präsentieren Objektive Religion Diskursive Einführung Beschreibung - des Erlebens-Modus, der zeitlichen und räumlichen Begrenzungen - der Erwartungen an die Schüler, der Habitus-Optionen Befähigung zur Code-Unterscheidung (Haltungen, Deutungen) Subjektive Religion Religion Spieltheorie Begrenztes Probehandeln Ästhetik wahrnehmen urteilen handeln Pädagogik Deutungs- u. Partizipationskompetenz Lernpsychologie träges Wissen vs. intelligentes Wissen Konstruktivismus subjektive und aktive Lernprozesse Alteritätsdidaktik Differenzhermeneutik Fremdheitserfahrung Performatives Erleben thematisch fokussierte Erlebnisdimensionen offene Formen subjektive Bedeutungszuweisung Elemente der Zwischenreflexion Distanzierungsmöglichkeit Diskursive Reflexion Subjektive Positionierung (erleben + reflektieren = erfahren) verstehen Austausch über subjektive Erlebens-Modi („was war?“) Austausch über subjektive Erfahrungs-Konstruktionen („was bedeutet das?“) Begründungslinien einer performativen Religionspädagogik