Traut euch, ganze „normale Stunden“ zu halten

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Sind „normale Stunden“ überhaupt noch erlaubt?
Bei meinen Unterrichtsbesuchen passiert nicht selten folgendes: Die Religionslehrerin sagt
bedauernd, fast entschuldigend: „Leider habe ich heute nur eine ganz normale Stunde.“
Meine Antwort lautet ganz ehrlich, dass mich eine solche Stunde am meisten interessiert. Als
ich zu Studierenden einmal gesagt habe, dass sie sich trauen sollten, auch ganz normale
Stunden zu halten, sagte eine ganz spontan: „Bin ich froh, dass Sie das gesagt haben.“ Das
stimmt mich nachdenklich und ich frage mich, was da passiert ist.
Man könnte jetzt lange darüber philosophieren, was eine „normale Stunde“ ist, aber ich
denke, wir alle wissen, was die Lehrerin damit gemeint hat und ich glaube, alle verstehen, was
ich mit der Überschrift meine. Was ist da eigentlich passiert, wenn Lehrer/innen oder
Studierende meinen, „normale Stunden“ seien überholt, würden den Ansprüchen an guten
Unterricht nicht mehr genügen, seien nur in Ausnahme- oder Notfällen erlaubt? Woher
kommt diese Meinung?
Aufgefallen ist mir, dass in einschlägigen didaktischen Publikationen über Unterricht zunehmend der Eindruck entsteht, dass der „gewöhnliche Unterricht“ eher eine didaktische
Randerscheinung geworden ist und vom Besonderen, Herausragenden, eben Ungewöhnlichen
abgelöst worden ist. Unterricht quasi als eine didaktische Kette von Highlights, Unterricht,
dessen Partitur verlangt, dass alle Register gezogen werden. Oder sagen wir es anders: Das
Spektakuläre als Kriterium für Qualität. Referenten oder Autorinnen packen gerne ihre
„Sternstunden“ aus und Studierende oder Lehrer/innen glauben mitunter, dass es in der Schule
immer so sein sollte. Möglicherweise sind auch Lehrer/innen selber die Auslöser solcher
Missverständnisse, wenn sie sich wechselseitig nur von ihren Sternstunden erzählen.
Was meine ich nun mit einer „normalen“ oder gewöhnlichen Stunde, von der ich überzeugt
bin, dass sie sehr wohl den Kriterien eines qualitätsvollen Unterrichts gerecht werden kann?
Vielleicht sage ich zuerst besser, was ich nicht damit meine: Mit „normal“ meine ich nicht
banal, billig, anspruchslos, oberflächlich, unüberlegt, wenig oder schnell vorbereitet, sondern
da denke ich mehr an unauffällig, nicht unbedingt Aufsehen erregend, einfach, aber gut überlegt, solid, aber ohne Knalleffekte, gründlich, lebendig, kindgemäß, aber nicht für mediale
Präsentation... Wenn wir auf dieser „normalen“ Schiene nicht guten = qualitätsvollen Unterricht zustande bringen, dann reißen wir das Steuer auch mit Spektakulärem, Außergewöhnlichem oder Brandneuem nicht herum.
Was macht nun meiner Meinung nach eine „gute Religionsstunde“ aus? Meine Antwort
will weder vollständig noch systematisch sein:
- Da fällt mir zuallererst ein, dass die Religionslehrerin selber von dem zu leben versucht, was
Botschaft ihres Religionsunterrichtes ist, dass sie für die Schüler/innen spürbar selber „hinter
dem steht“, was sie da sagt. Es gibt keinen guten Religionsunterricht ohne diese bezeugende
Dimension, die unser Bischof meint, wenn es sagt: „Wir stellen nicht etwas her, wir stellen
etwas dar.“
- Dann braucht der Religionslehrer einen „guten Draht“ zu seinen Schüler/innen. Es gibt
keinen guten Religionsunterricht ohne gute Beziehung zwischen Religionslehrerin und
Schülern. Diese gute Beziehung ist meiner Meinung für das Gelingen von Schule ganz
grundsätzlich notwendig.
- Wie die Volksschullehrerin oder der Hauptschullehrer muss natürlich auch die Religionslehrerin fachlich kompetent sein. Keine Frage, man muss auch in Religion etwas lernen, aber
dieses Lernen kann in Religion nicht nur – dort natürlich auch - im Kopf passieren, es muss
auch die tieferen Schichten der Person erreichen.
- Bischof Stecher hat einmal - an die Adresse der Religionslehrer/innen gerichtet – gesagt
„Vergesst die Freude nicht!“ Und ich glaube tatsächlich, dass die Freude so etwas wie der
archimedische Punkt im Religionsunterricht ist. Freude ist eine wesentliche Lernbedingung,
positive Atmosphäre eine Voraussetzung, dass Unterricht gelingt.
- Das Erzählen, das lebendige, gut vorbereitete Erzählen kann Schüler noch immer fesseln.
Leider wird das Erzählen von analysierenden Lehr- und Lernformen zu sehr verdrängt. Wenn
zum Beispiel eine zweiminütige Impulsgeschichte eine Stunde lang durch den Fleischwolf
analysierender Fragen getrieben wird. Wes das Herz voll ist, des geht der Mund erzählend
über. So brauchen wir einen Religionsunterricht der vollen Herzen. Die Kultur des Erzählens
aus vollem Herzen ist ein Qualitätskriterium für guten Religionsunterricht.
- Das Tafelbild traue ich mich fast gar nicht anzusprechen. In einer Zeit der Beamer und
anderer Projektoren, in einer Zeit, in der fast schon jedes Statement über Powerpoint
präsentiert wird, ist die Kreide natürlich aus der Mode gekommen. Und manche können mit
ihr auch tatsächlich nichts mehr anfangen. Viele Schultafeln könnte man ebenso gut
abmontieren, denn für die paar Wörter, die allenfalls noch an die Tafel geschrieben werden,
tut es ein Flipchart auch. Wetten, dass die Schüler über ein gelungenes Tafelbild mehr staunen
als über alles Projizierte?
- Ein gut überlegtes, einfaches Lehrer-Schüler-Gespräch ist durchaus noch „normal“, denn
Unterricht ist Kommunikation. Miteinander Reden ist die natürlichste und so gesehen
„normalste“ Lehr- und Lernform.
Da wäre noch vieles aufzuzählen., was guten Religionsunterricht ausmacht. Und es ist immer
wieder eine Freude für mich, in einer solch ganz normalen, guten Religionsstunde im
wahrsten Sinn des Wortes Gast sein zu dürfen.
Jetzt könnte jemand den Spieß umdrehen und umgekehrt fragen: Sind Sternstunden
erlaubt? Keine Frage, die Schule braucht Sternstunden, Highlights. Was wäre eine Schule
ohne solche Sternstunden? Aber wenn wir Highlights zum Alltäglichen machen wollten, dann
geht es den Schülern so wie jemandem, der täglich ein erlesenes fünfgängiges Menü auf
seinem Speiseplan hat und froh wäre, wenn er endlich wieder einmal Wurstnudeln bekäme.
Ich rede hier nicht einem ewiggestrigen Unterrichtstil das Wort und will auch nicht „gute, alte
Zeiten“ heraufbeschwören, die so gut ja nicht waren, wie wir wissen. Ich bringe hier nur
meine Erfahrung, aber auch Sorge zum Ausdruck, dass die Richtung, in die sich der Unterricht entwickelt, einer permanenten, kritischen Prüfung bedarf. Neue Entwicklungen sind
nicht schlecht, weil sie neu sind, und alte Tatsachen nicht gut, weil sie alt sind. Aber mein
Hausverstand sagt mir, dass die Schule auf der fieberhaften Suche nach Neuem Gefahr läuft,
an tatsächlicher Qualität einzubüßen. Erneuerung muss auch Verbesserung sein. Dass dieser
kritische Blick bei allen, die mit Schule und insbesondere mit Religionsunterricht zu tun
haben, nicht abhanden kommt, das war die Absicht dieser Zeilen. Alles Gute und viel Freude
im Unterricht wünscht euch und euren Schüler/innen
Josef Gredler.
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