Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen Erfahrungsaustauschtreffen vom 8. September 2004 in Luzern Zusammenfassung Referat «interkulturelle Konflikte, Ursachen, Folgen und erste Handlungsansätze» Gabor Kis Fallbeispiel: Auf dem Pausenplatz einer Oberstufenschule spielen die Buben Fussball. Als es zu einem Foul kommt, beginnt zwischen Christof, dem Schweizer und Sabri, dem Kosovo-Albaner, ein Streit Christof beschimpft Sabri mit «du Yugo-Schläger», worauf Sabri mit Drohgebärden auf ihn losgeht. Es entwickelt sich eine Rauferei. Minuten später schlagen die Buben aufeinander ein. Die Lehrerin kommt dazu, schreit die beiden an, worauf die zwei aufhören. Sie zitiert die zwei einzeln zu sich. Sie erteilt Christof aufgrund seiner Tat eine Strafaufgabe, für die er nun seinen freien Nachmittag opfern muss. Sie stuft sein Vergehen als ernst ein, sollte er doch als guter Schüler und Sportler in der Lage sein, sich besser zu beherrschen. Sabri wird von der Lehrerin ermahnt, und sie gibt ihm nach dem Unterricht einen kurzen Brief zuhanden der Eltern mit; sie sollen ihm bitte aufzeigen, dass man beim Fussball nicht aggressiv werden darf. Sie zeigt jedoch Verständnis für Sabris Tat, hatte er doch in seiner Heimat den Bürgerkrieg hautnah erlebt. Christof fühlt sich unfair behandelt und als Schweizer diskriminiert. Gegenüber der Lehrerin äussert er dies jedoch nur ansatzweise, aus Angst als Rassist dazustehen. Hingegen erzählt er das Geschehene seinen Eltern, die sich in ihrem Gefühl, ausländische Schüler würden in der Schule geschont, bestätigt sehen. Sabri staunt zunächst über die milde Reaktion der Lehrerin und zweifelt an ihrer Autorität. Den Brief an seine Eltern lässt er unterwegs in einem Abfallkorb verschwinden. Er denkt aber, dass es einfacher ist, mit seinen Landsleuten oder anderen Ausländern Fussball zu spielen. Die Schweizer Jungs möchte er lieber meiden. Spannungsfeld Schule: Interkulturelle Konflikte? Wenn zugewanderte und einheimische Personen in soziale Konflikte involviert sind, besteht immer wieder die Tendenz, die Zugewanderten als alleinige «Verursacher» zu orten. Häufig wird argumentiert, deren «kulturelle Andersartigkeit sei die eigentliche Konfliktursache, es handle sich also um Kulturkonflikte. Diese Betrachtungsweise berücksichtigt jedoch weder die strukturellen Rahmenbedingungen - in welchem sich ein Konflikt abspielt - noch das Verhalten der andern involvierten Akteure. Wir vom Tikk gehen davon aus, dass 98% dieser und ähnlicher Konflikte, wenn man genauer hinschaut, keine interkulturelle Konflikte sind. Konfliktdimensionen in so genannten Kulturkonflikten» - Interkulturell-ideelle Verständigungskonflikte (d-h. interkulturelle Konflikte im engen Sinn; u.a. über die unterschiedliche Interpretation der Welt, Natur; Menschenbilder, Gesellschaft, der eigenen Situation und Probleme) - Verhaltenskonflikte (d.h. Verletzung von Normen, Gesetzen und zwar seitens der Zugewanderten wie der Einheimischen - bis hin zur direkten Gewaltanwendung) - Knappheitskonflikte (aufgrund fehlender Ressourcen zur Befriedigung zentraler menschlicher Bedürfnisse insbesondere fehlende Schul-, Ausbildungs-, Arbeitsplätze, fehlender Wohnraum, erschwingliche Freizeiteinrichtungen und -räume usw.) - Mitgliedschafts- bzw. Ausschlusskonflikte (z.B. kein Zugang zu Peer-Gruppen, Discos, Einbürgerungskonflikte; Zugang zu schweizerischen Organisationen, Vereinigungen, zum politischen System u.a.) Mögliche Gründe für Konflikte zwischen Einheimischen und Zugewanderten: Seitens der einheimischen Bevölkerung können diese Konflikte auf folgende Faktoren zurückgeführt werden: 1. Fehlende Information, Sprachbarrieren, Unverständnis für die Problemlagen von Eingewanderten. 2. Strukturelle Bedrohung, Ablehnung der Zugewanderten bzw. Fremdenangst kann in vielen Fällen eine Reaktion auf die reale oder befürchtete Gefährdung des Schulerfolgs der eigenen Kinder, der Bedrohung von Bildungskarrieren, Ausbildungschancen, Arbeitsplätzen, Sozialhilfeansprüchen usw., aber auch von demokratischen Errungenschaften sein. 3. Subjektive Reaktionen auf die Bedrohung: FREMDENANGST Begegnung mit jemandem, der ganz anders aussieht als man selber es tut, der sich ganz anders verhält, als einem vertraut ist, der ganz andere, unnachvollziehbare Ansichten vertritt. Zeigt sich in Gefühlen der Angst vor dem Unvertrauten oder der Abstossung. FREMDENFEINDLICHKEIT Die unguten Gefühle werden hier zu Bedrohungsängsten; diese Ängste können einen realen Aufhänger haben (z.B. Angst um den Arbeitsplatz, Studienplatz, um die Zukunft der Kinder) oder ohne realen Anhaltspunkt sein. Zeigt sich im Vermeiden von Kontakten, Auseinandersetzungen mit der «gehassten» bedrohlichen Gruppe, im Suchen nach Sündenböcken und im Einfluss über die politische Ebene. ETHNOZENTRISMUS Diffuses Gefühl der Benachteiligung, der Ungleichbehandlung der eigenen Gruppe (Schweizer) gegenüber anderen (Nicht-Schweizern), Höherbewertung der eigenen Nation, ethnischen oder religiösen, Gruppegleichzeitige Abwertung anderer Gruppen, Nationen. Höherbewertung und Abwertung können sich auf das Aussehen, das Verhalten oder die Ansichten, die gemeinsame Kultur ihrer Mitglieder beziehen. Zeigt sich, indem andere Kulturen oder Gruppen ausgegrenzt werden, deren Ressourcen und Kompetenzen für das eigene Fortkommen genutzt oder ausgebeutet werden. Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen / Erfahrungsaustauschtreffen vom 8. September 2004 in Luzern 2 RASSISMUS ALS IDEOLOGIE Aufgrund der biologisch bedingten Ungleichheit zwischen den Rassen existiert eine Hierarchie der Rassen, so dass einige Rassen als höherwertig und überlegen anzusehen seien, andere dagegen als minderwertig und unterlegen. Es wird ausgegangen von einer unaufhebbaren, kulturellen Differenz zwischen Gruppen und Völkern. Man leitet daraus ein Recht auf kulturelle Integrität, Homogenität und Stabilität ab. Das heisst, der kulturalistische Rassismus vermag ebenso wie der biologische Rassismus Praktiken der Ausgrenzung und Abschiebung des Fremden/Andersartigen zum Zwecke der Bewahrung der eigenen Kultur zu legitimieren. Zeigt sich, indem die «Ausübenden» glauben, dass sie als höherwertige Rassen bzw. Volk oder Gruppe moralisch befugt und berechtigt seien, den «Minderwertigen» zu befehlen beziehungsweise sie zu dominieren. Insbesondere die Anwendung von Gewalt als Mittel der Auslese und der natürlichen Durchsetzungsbefähigung erhält so ihre Legitimität. 4. Ebenso kann aber Verständnis für abweichendes Verhalten und ein indifferenzierter Ruf nach Toleranz - wie im Fallbeispiel - wieder neuen Konfliktstoff beinhalten. Seitens der zugewanderten Bevölkerung gibt es Konflikte im Zusammenhang mit: - Fehlender Information; Nichtbeherrschung der Sprache des Einwanderungskontextes, dem oft ungewohnten Umgang mit Behörden. - Integrationsschwierigkeiten in Schule, Beruf, Arbeit, Wohnumfeld, Politik. - Kultur-/Ehr- bzw. Identitätsverlust. - Unverarbeiteten Traumata aus Folter-, Flucht-, Kriegserfahrungen. - Unverhandelbaren ethnisch-nationalen oder religiösen Loyalitäten. - Je nachdem rassistisch motivierten Diskriminierungs- und Ausgrenzungserfahrungen. Diese Konstellationen können - prinzipiell bei allen Menschen welcher Herkunft auch immer Resignation und Apathie, aber auch eine latente Gewaltbereitschaft bewirken; wenn sie gehäuft auftreten, können sie auch zu Gewalthandlungen führen. Handlungsansätze: Einschreiten, Intervenieren: Selbstverständlich muss den Schülern der Rahmen gegeben werden, wo sie Auseinandersetzungen selber austragen lernen. Jedoch muss die Präsenz und insbesondere das Nichttolerieren von Grenzverletzungen seitens der Lehrerschaft klar aufgezeigt werden. Ein Nichteingreifen bei Gewaltereignissen legitimiert und fördert sie dazu. Wenn man die Menschenrechte als den Kulturen übergeordnetes Bezugssystem akzeptiert, muss jede Form von Gewalt verurteilt werden. Erarbeiten von Regeln: 1. Erzählen und Beschreiben lassen, wie die Konfliktparteien das Ereignis erlebt hatten und wie es ihnen nun zumute ist. 2. Den Regelverstoss thematisieren und gemeinsam erarbeiten, wozu diese Regeln dienen. (Begründung, Normenverdeutlichung) 3. Herausarbeiten, wie man zukünftig handeln kann, damit Aggression nicht zu Gewalt wird. Unterscheidung machen zwischen Aggression und Gewalt und Rassismus. Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen / Erfahrungsaustauschtreffen vom 8. September 2004 in Luzern 3 Vermittlung bzw. Mediation: 1. Durch Lehrer selber in Rahmen ihrer Möglichkeiten und seiner Rolle. Das bedeutet dass die Lehrer bei Konflikten ihre Stellung und Autorität zunächst einsetzen können, um eine Einigung zwischen den Konfliktparteien zu erzielen. 2. Durch Einsatz von Schülern als Mediatoren. Für eine Peer-Mediation werden Gleichaltrige in Schulen ausgebildet. Der Peer-Mediator ist selber Mitglied einer Peer-Gruppe und kennt die informellen sozialen Normen der Altersgruppe aus eigenen Erfahrungen. 3. Durch Beizug von Fachleuten in Mediation und interkulturelle Vermittler. Interkulturelle Vermittler sind sowohl in der einheimischen wie auch der zugewanderte Kultur heimisch, sie können die sprachliche wie auch die sinngemässe Übersetzung leisten und kennen die Grundregeln der Mediation. Wichtig in der Mediation ist der Aspekt der Gerechtigkeit: oft besteht zwischen den Konfliktparteien eine Asymetrie, eine Ungleichheit was Macht und Ressourcen angeht. In diesen Fällen muss der Mediator seine neutrale Rolle aufgeben und zunächst die schwächere Partei stärken. Zusammenarbeit mit Migranten-Eltern: Die Eltern sollen miteinbezogen und ausführlich informiert werden (nicht erst beim Auftreten von Problemen), auch wenn dies einen Mehraufwand bedeutet. Ein Gespräch bei der Familie zuhause kann das Vertrauen besser herstellen. Der Einbezug eines Dolmetschers kann die Sprachbarriere überwinden. Vielfalt der Ressourcen der Zugewanderten sehen, erkennen z.B. soll der Zugang und das Vertrauen zum eigenen kulturellen Hintergrund der Migrantenschüler. insbesondere der Sprache, gefördert werden können. Begleitung von Migrantenkindern bei Übergängen: Sei es von einer Schulstufe zur anderen oder vor Lehreintritt; eine Unterstützung und Orientierung bei den Übergängen in die nächsten Ausbildungsstufen ist für Migrantenkinder sehr wichtig. Entschlüsselung, Analyse von Konflikten: Die sorgfältige Entschlüsselung der tatsächlichen Konfliktursachen ist immer sehr wichtig. Hier ist die Auseinandersetzung mit dem eigenen kulturellen Hintergrund sehr wichtig. Die persönliche Auseinandersetzung im interkulturellen Kontext - wie z.B. in der Schule - darf und muss hier stattfinden. Wenn man selber in ein Geschehen involviert und persönlich betroffen ist, besteht die Gefahr. dass diese «Entschlüsselung» selber nicht mehr gelingt. In diesem Fall können «Aussenstehende» sehr behilflich sein. Unterstützung holen, Netzwerk ausbauen: Beizug von Mediation, insbesondere von interkulturellen Vermittlerinnen. Zusammenarbeit mit Schulsozialarbeiter, Schulberater und Schulleitung. Information an die Schulbehörde, Verantwortung teilen. Zusammenarbeit mit anderen Fachleuten, Kollegen, Ausbau des Netzwerkes. Sich grundsätzlich der eigenen Rolle bewusst werden, der Lehrer kann nicht alle Probleme der Schüler lösen. Verein Taskforce interkulturelle Konflikte TikK, Strassburgstrasse 15, 8004 Zürich, Tel. 044 291 65 75, Fax: 044 291 66 82, e-mail: [email protected], www.tikk.ch Netzwerk Gesundheitsfördernder Schulen / Erfahrungsaustauschtreffen vom 8. September 2004 in Luzern 4