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Hessischer Rundfunk
Hörfunk – Bildungsprogramm
Redaktion: Volker Bernius
WISSENSWERT
Psychologische Schlüsselbegriffe:
Was ist “manisch”?
Von Lisa Laurenz
Mittwoch, 13.06.2007, 08.30 Uhr, hr2
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07-048
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Den Begriff `Manie` kannte man schon im Altertum. Das griech. mania bedeutet: Raserei, Wut
und Wahnsinn, aber auch Begeisterung, Ekstase und Entrückung.
In unserer Alltagssprache nennt man jemanden manchmal manisch, wenn er ungewöhnlich gut
drauf ist, merkwürdig aufgedreht wirkt und in seiner guten Stimmung nicht zu bremsen ist. Das
kann, aber muss nicht beunruhigend sein.
Von einem krankhaft manischen Zustand spricht man erst, wenn die Hochstimmung noch von anderen spezifischen Merkmalen begleitet ist:
Zitator
“Niemand ist... mehr für die Öffentlichkeit auffällig als der manische Mensch.
Er sprengt jeden Rahmen, setzt jede soziale Übereinkunft für sich außer Kraft...
Jede sonst verlässliche Distanz ist aufgehoben... Ein Handlungsimpuls jagt den anderen... Die
schutzlose Offenheit gegen Reize von innen und außen verhindert jeden roten Faden...
Ablenkung vom Hundertsten ins Tausendste... Der Mensch
wird als grandiose und unkritische Selbstüberschätzung gelebt.: “Ich kann alles,
alle anderen können nichts.”... Er steht über den Dingen, vor allem über seiner Angst...”
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Diese Beschreibung stammt aus dem Buch `Irren ist menschlich`, ein Lehrbuch
für Psychiatrie und Psychotherapie, das Professor Klaus Dörner maßgeblich
mitverfasst hat:
Take 1
(Klaus Dörner)
Wer in einem krankhaft manischen Zustand ist, befindet sich in einem Aggressionszustand
mit dem Rest der Welt. Das kann ihn nun wieder so euphorisch stimmen, dass es ihm
dabei außerordentlich gut geht. Er ist sozusagen der King und King reicht ja gar nicht, er ist
der Super-King.
Das kann er ins Verrückte steigern und macht sich damit unerreichbar für
alle Menschen, von denen er vermutet, dass sie ihm was Böses wollen. Aber
es kann auch in die euphorisch fröhliche Gemütslage eingehen, wenn man sowieso jetzt
das Gefühl hat: es liegt alles an meinem Willen, ich bin von nichts abhängig, alles hängt
von mir ab. Also die Umdrehung der erlebten Wirklichkeit ist ein Befreiungsschlag.
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Manische Zustände können sich in jedem Lebensalter entwickeln. Meist bricht
die Störung zwischen dem 15. und 35. Lebensjahr aus. Da die Symptome sich
in jungen Jahren oft eher uncharakteristisch äußern, verwechselt man sie häufig
mit einer Pubertätskrise.
Im Erleben geht es dabei stets um einen Kampf mit Autoritäten, so Klaus Dörner. Das erklärt
auch, so der Psychiater, warum die Erkrankung häufig um das
20. Lebensjahr ausbricht. In einem Alter also, in dem der junge Mensch sich
von seinen Eltern löst und alle möglichen Autoritäten in Frage stellt, mit dem Ziel, innerlich frei zu
werden. Dieser Prozess kann gelingen oder auch misslingen:
Take 2
(Dörner)
Wenn es scheitert, kann es sich sehr gut in diesen manischen Symptomen ausdrücken,
wenn man übertrieben auf den Rest der Welt schlägt, zum Zwecke der Befreiung. Wenn
man übertrieben ist in seinem Hochgefühl,
wenn man übertrieben ist in der Art, dass man total leistungsfähig ist,
wenn man denkt, man würde alle Reichtümer der Welt besitzen, dann
ist das gewissermaßen aus dem Gleis gelaufen und überschreitet im
Grunde quantitativ eine Grenze, von der ab man nun so gefährdet ist
in der wirklichen Realität, dass es zweckmäßig ist, dass man für eine
Zeit eine Auszeit nimmt in der Psychiatrie.
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Die Manie ist ein uraltes Krankheitsbild. Man findet sie in allen Kulturen gleich
häufig, nämlich bei etwa ein Prozent der Bevölkerung. Der Begriff Manie hat allerdings im Laufe
der Zeit eine Wandlung durchgemacht, erklärt Thomas Bock, Diplompsychologe und Leiter der
Sozialpsychiatrischen Ambulanz an der
Hamburger Universitätsklinik:
Take 3
(Thomas Bock)
Früher war manisch ein Gesamtausdruck für verrückt, für eine Form des Wahnsinns. Heute
heißt Manie eher präzise: da ist jemand in seiner
Stimmung und seiner Energie, in seinem Antrieb über dem Strich. Heute ist die Manie Teil
der bipolaren Störung. D.h. ein Mensch schwankt nicht nur in Richtung Depression, was ja
relativ häufig ist, sondern er schwankt in beide Richtungen, nach unten und nach oben.
Man muss wissen, dass in einer bipolaren Störung die Depressionen in der Regel
überwiegen. Die Manie ist, wenn man so will, eine Art Flucht nach vorne, aus der
Depression heraus, aber über den Mittelpunkt hinweg, überschießend nach vorne.
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Die reine Manie ist eher selten. Meist wechseln sich manische
Phasen mit depressiven Phasen ab. Man weiß, dass diese Phasen –
auch unbehandelt –
einen Anfang und ein Ende haben. Eine Manie dauert in der Regel
zwei bis
drei Monate, eine Depression vier bis fünf Monate, mit Behandlung
deutlich
kürzer. Dazwischen liegen unterschiedlich lange stabile Phasen, die
von
wenigen Tagen bis mehrere Jahre dauern können.
Der Beginn einer manischen Episode kann sich langsam über Wochen
entwickeln, manchmal auch innerhalb von wenigen Tagen oder Stunden.
Wenn jemand manisch wird, dann sieht es zunächst so aus, als ob er sehr unkonventionell ist und
alle Grenzen sprengt. Doch der Schein trügt:
Take 4
(Bock)
Tatsächlich sind die allermeisten Menschen, die bipolar werden, über-angepasst. Es sind
eher Menschen, die in ihrer Sozialisation sehr versucht haben, es allen recht zu machen,
alle Erwartungen zu erfüllen und eigene Maßstäbe zu wenig entwickelt haben. Und in der
Depression ist er offen-sichtlich niedergedrückt von allen Erwartungen, erschlagen vom
Über-Ich.
In der Manie wird der Ausbruch versucht, aber gelingt nicht, weil er von der Erkrankung
wieder eingeholt wird.
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Manische Menschen wirken in der Regel nicht krank, zumindest nicht auf den
ersten Blick und vor allem dann nicht, wenn es sich nur um leichte bis mittel-
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schwere manische Zustände handelt. Vielleicht wundert man sich über ihren ansteckenden und
nicht zu bremsenden Optimismus, ihre Hyperaktivität, ihren Rededrang, ihre Maßlosigkeit, ihr
geringes Schlafbedürfnis. Für Angehörige,
Freunde oder Arbeitskollegen kann der Umgang mit einem Maniker allerdings äußerst
anstrengend sein.
Der Betroffene empfindet sich selbst nicht als krank. In den akuten Phasen fühlt
er sich sogar blendend und denkt gar nicht daran, sich in Behandlung zu begeben. Warum auch,
denn er ja hat das Gefühl, noch nie in so guter Stimmung und noch
nie so erfolgreich gewesen zu sein. Eine Fehleinschätzung die mitunter zu
riskanten Unternehmungen führt, wie man auf der Internetseite des Psychiatrienetzes nachlesen kann:
Zitator
“Schwerwiegend sind die Folgen unübersichtlicher finanzieller Unternehmungen,
die aus manisch bedingten Größenideen heraus begonnen werden. Wir sind
immer wieder beeindruckt, wie es manischen Patienten gelingt, ohne eigenes
Geld während einer manischen Phase ein Haus oder einen Rolls-Royce zu
kaufen, ein Ballett oder ein Orchester zu verpflichten und eine Veranstaltungshalle in einer Großstadt zu mieten. Weder für die Betroffenen noch für die Familien sind die
Folgen solcher Erfahrungen lustig.”
Take 5
(Bock)
Die Manie ist die Flucht nach vorne, aber der manische Zustand, auch wenn es am Anfang
mit Euphorie und Erleichterung verbunden ist, ist kein wirkliches Glück. Wer manisch wird,
sucht das Glück eher da, wo man es nicht finden kann, weit weg von sich selbst. Es hat
auch etwas mit der Entfernung von der inneren Mitte zu tun und nicht wirklich mit Glück.
Insofern sind beide Zustände, Depression und Manie, zwei Seiten einer Medaille und
haben eher etwas mit Leere, Gefühllosigkeit und Entfernung von der inneren Mitte zu tun.
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Fachleute sehen in der Manie so etwas wie ein Fenster, das Einblick
gibt in
die persönliche Not eines Menschen. Denn bei beiden Störungen,
der manischen
wie der depressiven, leidet der Betroffene unter unerträglichen
Angst- und Spannungszuständen, die er loszuwerden versucht:
Take 6
(Dörner)
Der depressive Weg ist, dass man die Erklärung für diese empfundene Unerträglichkeit in
sich selber sucht und das ist die nach Innen gerichtete Strategie. Das andere ist, was im
Sammelbegriff manisch ist, dass man sich dadurch erleichtert, dass man sagt: der Grund
dafür muss irgendwo außer mir liegen und jetzt schlage ich auf meine Umwelt solange
drauf, bis es mir da-durch besser wird, bis ich eine Erklärung finde. Dann haut man
natürlich oft daneben und sagt etwas, was mir zwar hilft, es entlastet mich, weil ich dran
glaube, auch wenn die übrige Welt den Kopf schüttelt und sagt: der spinnt
nun komplett.
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Bei der Suche nach den Ursachen der Manie hat man biographische, soziale
und genetische Faktoren ausgemacht. Thomas Bock findet es besonders
wichtig, die psychologischen Hintergründe zu verstehen:
Take 7
(Bock)
Wenn man die Manie als Flucht nach vorne versteht, dann ist es auch
eine Selbstwerterkrankung. Das Selbstwertgefühl hat natürlich mit Lebens-erfahrungen zu
tun, was baut uns auf, was stellt uns in Frage, was stärkt unser Selbstwertgefühl. Und das
ist etwas, was in der Kindheit passiert und später auch. Natürlich spielen hier
Lebenserfahrungen eine Rolle, so dass ausgehend von diesen Lebenserfahrungen dann
auch bei manchen Menschen, beim einen mehr beim anderen weniger, eine eigene
Dynamik
im Hirnstoffwechsel passiert, sodass man dann immer noch empfindlicher
wird für neue Entbehrungen und neues Unglück und das ist dann die Stelle, wo dann auch
medikamentöse Hilfe ausgleichend wirkt. Also nicht, weil im Hirnstoffwechsel die Ursache
ist, sondern weil ausgehend von Lebens-erfahrungen bekommen Entbehrungen und
Kränkungen mehr Eigendynamik als vielleicht bei anderen Menschen.
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Es ist bekannt, dass viele Kreative und Künstler, Schriftsteller, Musiker und
Maler manische Zustände erlebt haben. Das gibt es auch heute noch. In den depressiven Phasen
leiden sie häufig unter Gedankenleere und Unproduktivität,
in der manischen Hochstimmung leben sie ihre Kreativität aus. Meist handelt
es sich dabei um weniger ausgeprägte manische Zustände, Hypomanie genannt. Zwar sind auch
dabei Stimmung und Antrieb verändert, doch der Betroffene
kann sein soziales Verhalten noch kontrollieren.
Halten sich manische und depressive Phasen in erträglichen Grenzen, dann
können Krisen oft alleine bewältigt werden. Wiederholt sich dieser ständige
Gemütswechsel und nimmt er ernste Ausmaße an, dann wird eine Behandlung notwendig.
Ein manisch erkrankter Mensch ist allerdings nur schwer in Therapie zu bringen.
Das liegt vor allem daran, dass er von seiner momentanen Hochstimmung nicht befreit werden
will. Doch gerade der Maniker braucht rasche und konsequente
Hilfe, um mit Unterstützung von stabilisierenden Medikamenten zum Kern seines seelischen
Problems vorzudringen:
Take 8
(Bock)
Tatsächlich geht um es Zugang zu Gefühlen und um Zugang zu Kränkungen. Auch darum,
die Phasen - bei allem Schrecken – nicht nur als Katastrophe zu sehen, sondern auch aus
ihnen zu lernen, sie als Fenster zu sehen und zu betrachten. Ich würde ganz allgemein
sagen: es hilft ein Gegenüber, entweder ein guter Freund, manchmal auch gute Bücher,
manchmal auch Selbsthilfe-gruppen. Aber darüber hinaus helfen therapeutisch geschulte
Menschen, die auch nicht so viel Angst davor haben. Die Methodik spielt dabei gar nicht so
eine Rolle wie eine authentische Person, zu der man Vertrauen hat.
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Medikamente können die Manie nicht heilen, betont Thomas Bock. Medikamente können nur
helfen, der Eigendynamik im Kopf entgegenzuwirken, damit man nicht immer noch empfindlicher
wird. Der Maniker muss lernen, die eigene Mitte zu
inden. Dabei können andere Menschen ihn unterstützen. Besonders die
Angehörigen spielen eine wichtige Rolle:
Take 9 (Bock)
Die Angehörigen sind sehr belastet durch die Spannweite der Störung, aber sie haben auch
eine wichtige Bedeutung bei der Hilfe. Insofern ist es sehr wichtig, die Angehörigen auch
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als Profis ernst zunehmen, sie zu begleiten. Menschen mit Manie und Depression zu
behandeln ohne die Angehörigen einzubeziehen, ist ein Kunstfehler.
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Der manisch kranke Mensch kann aus seiner Krankheit auch lernen:
Take 10 (Bock)
Tatsächlich stehen Menschen mit bi-polaren Störungen vor der Aufgabe, wie sie auch
ungewöhnliche Seiten und Bedürfnisse der eigenen Person ins Leben integrieren können,
statt sie immer nur für die Manie aufzubewahren. D.h. ein Therapeut darf sich nicht damit
begnügen zu disziplinieren und zu begrenzen, sondern er muss eine Ebene tiefer gucken:
wie kann dieser Mensch seine ungewöhnlichen Seiten, seine schwierigen Bedürfnisse
integrieren, statt sie immer nur in der Manie auszuleben.
Lisa Laurenz
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