Das Kind als Akteur seiner eigenen Entwicklung – in der Schule

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Das Kind als Akteur seiner eigenen Entwicklung – in der Schule
Monique Espitalier-Egharevba
Definition:
Was würde es für das Kind bedeuten, Akteur seiner eigenen Entwicklung zu sein? Was
müsste in der Schule gegeben sein, damit man das Kind hier tatsächlich als Akteur seiner
eigenen Entwicklung bezeichnen könnte?
 Es müsste z.B. die Lehrpläne/Lerninhalte und Lernbedingungen in der Schule bis zu
einem gewissen Grad beeinflussen können.
 Es müsste den Lehrern sagen können, was ihm am Unterricht und in der Schule
allgemein gefällt und welche Veränderungen es sich wünschen würde.
 Es müsste die Gelegenheit haben, sowohl seine Stärken als auch seine Schwächen
auszuleben und in seiner Besonderheit angenommen zu werden.
Tatsächliche Möglichkeiten in der Schule:
Ab einem gewissen Alter können die meisten Kinder oder Jugendlichen durchaus verbal
ausdrücken, was sie stört und was sie gern hätten. Sie beklagen sich vielleicht tatsächlich über
die Bedingungen in den Schulen (auch in Demonstrationen) und haben oft sehr genaue
Vorstellungen darüber, wie ihre Schule aussehen sollte. Die Frage ist eben nur, ob sie
tatsächlich mit den Lehrern darüber sprechen oder sich auf irgendeine Art kundtun, oder ob
sie es nur unter sich besprechen. Auch werden die Schüler nicht immer ernst genommen, auch
wenn vielleicht realistische Vorstellungen geäußert werden.
Hier gilt im Prinzip das Gleiche wie auch für Grundschüler, die sich oft eher nonverbal
ausdrücken: Die Lehrer müssten ihre Schüler aufmerksam beobachten und vielleicht auch
direkt auf bestimmte Punkte ansprechen, wenn sie merken, dass die Schüler ein Problem zu
haben scheinen.
Die Beobachtung kann noch viel weiter gehen:
„Schwierige Kinder gibt es nicht“ – von Henning Köhler
Henning Köhler (geb. 1951, Heilpädagoge im „Janusz Korczak Institut“ in Wolfschlugen bei
Stuttgart) beschreibt in seinem Buch „Schwierige Kinder gibt es nicht – Plädoyer für eine
Umwandlung des pädagogischen Denkens“ die Kunst des Erziehens und Bedeutung des
„werterkennenden Blicks“:
Er geht davon aus, dass die menschliche Seele, bevor sie im Kind geboren wird, aus der
„geistigen Welt“ kommt mit einer bestimmten Fragestellung oder Zielsetzung. Es „muss sich
der Drang ergeben haben, herunterzusteigen in die physische Welt..., um das in der
physischen Welt zu suchen, was nicht mehr in der geistigen Welt gesucht werden konnte“
(Rudolf Steiner, GA 296). Hierbei, so erklärt Köhler, sucht sich das Kind die Eltern, die für
seinen Weg die Richtigen sein werden und ihm zu seinem Ziel mit verhelfen können. So wie
Rudolf Steiner vor ihm, warnt Köhler Eltern (wie auch Erzieher und Lehrer) davor, ihren
eigenen Maßstab von Gut und Böse auf die Kinder zu übertragen und stets entscheiden zu
wollen, welche Eigenschaften der Kinder gut und welche schlecht sind. Vielmehr sollte das
Kind mit dem „werterkennenden Blick“ gesehen werden ohne die eigenen (Vor-)Urteile
entscheiden zu lassen. Scheinbar schlechte Eigenschaften könnten genauso ein wichtiger
Schritt auf dem Weg des Kindes sein wie die guten. Es bleibt den Erziehenden die wichtige
Aufgabe, zu versuchen zu verstehen wohin der Weg des Kindes es führt oder führen könnte.
Allein der Versuch, das Kind zu verstehen und die positive Hinwendung bewirken eine
warme, entwicklungsfördernde Atmosphäre für das Kind und so lösen sich scheinbare
Konflikte oft wie von selbst nur dadurch, dass der Erwachsene versucht zu verstehen.
Ich habe nur stark verkürzt versucht darzustellen, womit sowohl Rudolf Steiner als auch
Henning Köhler sich auf vielen Buchseiten beschäftigt haben. Ob man nun an diese spirituelle
Sichtweise glaubt oder nicht: Ich denke, man kann hierdurch lernen, wie wichtig diese
werterkennende anstelle von problemorientierter Beobachtung ist.
Wenn beispielsweise ein Kind in der Schule „auffälliges Verhalten“ an den Tag legt, kann
dies viele unterschiedliche Bedeutungen haben: Vielleicht ist das Kind im Unterricht
überfordert, vielleicht aber auch unterfordert. Vielleicht gibt es Probleme mit den
Mitschülern, vielleicht auch mit dem Lehrer. Vielleicht durchläuft das Kind gerade eine
„schwierige Entwicklungsphase“... Es gibt so viele Möglichkeiten und vielleicht wird keiner
der Erziehenden (Eltern und Lehrer) die Lösung so leicht finden, sie können aber versuchen,
zu verstehen, auf dem Weg liebevolle Begleiter zu sein und die Eigenarten des Kindes zu
akzeptieren, anzuerkennen und als weiteren Entwicklungsschritt zu sehen. Dies soll nicht
bedeuten, dass „antiautoritär“ erzogen werden soll, dies wäre eine Steigerung, die Köhler die
„Alles-okay-(Fahr-)Lässigkeit“ nennt.
So kann also ein Kind in der Schule Akteur seiner Entwicklung sein, indem es sich einfach
„verhält“ wie es ihm zu eigen ist. Wenn die Lehrer die Eigenarten der Kinder erkennen,
können sie auch ihre Unterrichtsweise auf diese ausrichten und versuchen, jedes Kind in
unterschiedlicher Weise zu erreichen. Dies bedarf natürlich einer starken Vor- und
Nachbereitung des Unterrichts und einer Planung, die über die „einfache“ Überlegung der
Lehrinhalte hinausgeht.
Als (zukünftige) Lehrer müssen wir meiner Meinung nach diesen werterkennenden Blick
üben und gar nicht erst damit anfangen, vorgefertigte Meinungen und „Schubladendenken“ zu
akzeptieren weil es doch so schön einfach ist. Wir werden lernen müssen, uns mit den
Eigenarten der Kinder anzufreunden und uns auf sie einzustellen, anstatt zu erwarten, dass
sich die Kinder immer nur auf die Gegebenheiten in der Schule einstellen. Auf diese Weise
können wir die Kinder in ihrer Entwicklung bestärken ohne sie in Bahnen lenken zu wollen,
die sie vielleicht gar nicht gehen sollen.
Zum Schluss möchte ich gern noch ein Zitat aus Köhler’s Buch bringen, welches mir
besonders gut gefällt:
„Man würde durch pränatale Konditionierung nur perfektionieren und sozusagen auf den
Punkt bringen, worauf materialistisch verstandene Pädagogik mitsamt ihres verlängerten
Armes, der Kinderpsychotherapie, ohnehin ausgerichtet ist: Ausmerzung des <Störenden>,
<Absonderlichen> mit der bedauerlichen, aber unvermeidlichen Begleiterscheinung, dass man
auf diese Weise auch das Besondere allmählich zum Verschwinden bringt. Denn wo sich
Besonderes ankündigt, kündigt es sich störend an und bringt unsere bürgerliche Wohnkultur
mit ihren gemütlichen Vorurteilssitzmöbeln, Begriffsschubladenschränken und sorgsam
gepflegten Gewohnheitsteppichen gehörig durcheinander.“
Literaturverzeichnis:
Köhler, Henning: „Schwierige“ Kinder gibt es nicht. Plädoyer für eine Umwandlung des
pädagogischen Denkens. 5. Auflage – Stuttgart: Verlag Freies Geistesleben 2001. Praxis
Anthroposophie 40.
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