MANAGEMENT MARKETING Interview mit Dr. Sven Köhler, metrixx-Institut für Marketing und Innovation Die Bedürfnisse der Mieter von morgen verstehen Die Wohnbedürfnisse haben sich nicht nur in den letzten Jahrzehnten stetig verändert. Sie ändern sich bei den meisten Menschen auch im Laufe ihres Lebens. Wie stark der gesellschaftliche Wandel auf die Wohnbedürfnisse einwirkt, merken viele erst, wenn sozio-demografische Veränderungen, sich ausdifferenzierende Lebensstile, Familien- und Wohnformen sich in mangelndem Vermietungserfolg niederschlagen. Innovative Ansätze, mit denen Wohnungsunternehmen ihre Kunden gewinnen und binden können, sind dann gefragt. Der Züricher Marketingexperte Dr. oec. Sven Köhler gibt der DW Hinweise. Gute Kundenbeziehungen aufzubauen und zu erhalten kostet Geld und macht Arbeit. Was haben Immobilienunternehmen davon? Dr. Köhler: Ich glaube nicht, dass die ständige Neuakquise von Kunden nachhaltig ist. Ein häufiger Wohnungswechsel ist für beide Seiten mit großem Aufwand verbunden und unwirtschaftlich. Aus Marketingsicht wäre deshalb zu überlegen, wie man beim Angebot und bei der Preisbildung neue Wege gehen kann, um einen ständigen Wechsel zu verhindern. Dabei spielen neben dem direkten ökonomischen Nutzen sekundäre Aspekte eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Der Wettbewerb wird zunehmen. Es werden diejenigen Unternehmen überleben, welche die Bedürfnisse der Mieter von morgen am besten verstanden haben und hierfür geeignete Lösungen entwickeln. Wir wissen, dass zufriedene Mieter einerseits eher Mietpreiserhöhungen akzeptieren, andererseits Dr. Sven Köhler aber auch ein Quelle: Privat Nährboden für Weiterempfehlungen und positive Kundenwerbung sind. Zum Beispiel reduzieren sich Akquisitionskosten, wenn die Mieter wissen, dass eine Wohnung leer wird und sie diese in Wie Wohnen Identität stiftet – ein Beispiel aus Hamburg Ein gelungenes Beispiel für nachhaltige Kundenbindung ist das Geschichtsprojekt der Altonaer Spar- und Bauverein eG „altoba forscht“. Die altoba erklärte das Jahr 2011 zum Forschungsjahr und lud Genossenschaftler und Akteure im Stadtteil ein, gemeinsam die Geschichte der 1882 gegründeten Wohnungsgenossenschaft zusammenzutragen. Daraus entstanden die verschiedensten Begegnungen. Schüler eines Geschichtskurses der 11. Klasse befragten Senioren zu den veränderten Wohnverhältnissen in den verschiedenen Jahrzehnten: Liebesgeschichten wurden aufgeschrieben, Erinnerungen bei Kaffee und Kuchen ausgetauscht, Zeitzeugen über das Schicksal jüdischer Genossenschaftler in der Zeit zwischen 1933 und 1945 befragt. Der Leiter des Altonaer Museums erklärte anschaulich, was Alltagsgegenstände wie Nachttopf, Waschschüssel oder Milchkanne über die Menschen erzählen, die sie benutzt haben, eine Historikerin aus dem Stadtteilarchiv erinnerte an die Opfer des Nationalsozialismus, ehrenamtlich brüteten zehn Mitglieder der Sütterlin-Gruppe 42 ihrem eigenen Bekanntenkreis vermarkten. Über Mieter erhalte ich Informationen über veränderte Wohnbedürfnisse und damit auch Potenziale für Innovationen. Sie sind eine gute Quelle für das Entdecken neuer Wohnbedürfnisse. An welche neuen Bedürfnisse denken Sie? Dr. Köhler: Allein schon im Bereich der Altersversorgung ist das Potenzial an möglichen Servicedienstleistungen sehr groß. Spannend ist auch das Thema Customer Integration. Anstatt einen externen Hausmeisterdienst oder Schneeräumservice zu beauftragen, fragt man lieber in der Wohnanlage nach, ob ein Mieter dies gegen Entgelt tun möchte. Das erhöht die Bindung über Dokumenten in alter Handschrift, während Kinder zu Museumsexperten wurden und ihre Familien, Nachbarn und Freunde durch das Altonaer Museum führten. Eine Autorin wies nach, wie der familiäre Zusammenhalt innerhalb weniger Jahrzehnte an Bedeutung verloren hat und wie die Beziehungen zu Freunden und Nachbarn an diese Stelle treten. Bei der altoba sind sich alle einig: Das Geschichtsprojekt, das von der Journalistin Bärbel Wegner angeregt und begleitet wird, trägt zu guten Nachbarschaften bei. Elke Kunze, altoba Erzählcafé des Altonaer Spar- und Bauvereins nach dem Motto „altoba forscht“. Quelle: altoba Die Wohnungswirtschaft 9/2011 BBA-Marketingtagung Wie Marketing zum Erfolg von Wohnungsunternehmen beiträgt, wie stark Customer Relationship, Erfolgskontrolle von PR, QR-Code und Social Gaming, professionelle Pressearbeit und rechtliche Aspekte des InternetMarketings dabei im Fokus stehen, klärt die Marketingtagung der BBA – Akademie der Immobilienwirtschaft, die am 27. September 2011 in BerlinMitte stattfindet. Weitere Informationen bei Ulrike Künert, Telefon: 030 230855-22, [email protected] und senkt gegebenenfalls die Kosten. Ich kann bei größeren Wohnanlagen auch ein Community-Management betreiben, um neue Services zu identifizieren. Wenn Sie beispielsweise eine Wohnanlage für Studenten bauen, dann haben diese andere Bedürfnisse als Familien. Für Erstere kann ein kleines Café, ein Copy-Self-Service oder ein Waschsalon integriert werden und für Letztere vielleicht ein Kinderbetreuungsservice. Welche weiteren Maßnahmen können Wohnungsunternehmen ergreifen, um ihre Kunden an sich zu binden? Dr. Köhler: Dies ist abhängig von Ausgangslage und Zielsetzungen des Unternehmens. Maßnahmen können bei der Preis- und Vertragsgestaltung angefangen, bis zu Mieterzeitschriften oder neuen Medienformen im Internet gehen. Beispielsweise muss man einem Mieter nicht gleich kündigen, wenn er durch Trennung von seinem Lebenspartner temporär in einer finanziellen Notlage ist. Vielleicht findet man eine Übergangslösung, bis sich die Situation entspannt hat. Ein Mieterwechsel würde nur dazu führen, dass das Risiko eines mehrmonatigen Leerstandes steigt. Ein anderer Ansatz wären innovative Preismodelle. So könnte man Wohnungen ähnlich wie in der Hotellerie auch danach bepreisen, wie viele Personen in einer Wohnung leben. Schließlich entsteht mehr Abnutzung, wenn eine 80-QuadratmeterWohnung von einer Familie mit zwei Kleinkindern anstatt von einem Single bewohnt wird. Wenn geringe soziale Beziehungen in einer Wohnanlage bestehen, steigt das Risiko vermehrter Wohnungswechsel. Dem kann man vorbeugen, wenn man Interaktion und Sozialleben fördert. Über Social Media können Sie Mieter emotional an Die Wohnungswirtschaft 9/2011 das Objekt und ihre Nachbarn binden. Im realen Leben gelingt das in Form von Events. Je besser Sie Ihre Mieter- oder Käuferklientel verstehen, desto besser können Sie mit ihnen kommunizieren und desto mehr Vertrauen gewinnen Sie. Haben Mieter heute andere Ansprüche als früher? Dr. Köhler: Die Wohnbedürfnisse sind in einem stetigen Wandel. Veränderungen aus technologischer, ökologischer, soziodemografischer und ökonomischer Sicht bedingen Anpassungen im Wohnungsangebot. Lebensstile haben sich verändert, familiäre Planungszeiträume werden sich noch stark verändern, das heißt, man muss immer flexibler werden, und selbstverständlich sind auch die Ansprüche gestiegen. Kunden kaufen heute auch kein Auto ohne Klimaanlage mehr. Gibt es irgendwann Wohncontainer, die man mitnehmen kann, wenn man in eine andere Stadt zieht? Der Markt braucht jedenfalls Wohnungsbaulösungen, welche die Flexibilität für die Mieter verbessern. Zum Beispiel, indem man in ein Wohnzimmer schnell und einfach eine modulare Trennwand einzieht und so ein zusätzliches Kinderzimmer erhält. Und später, wenn die Kinder aus dem Haus sind, kommt die Trennwand einfach wieder heraus. Aus meiner Sicht stehen wir beim Wohnungsbau erst am Beginn des Wandels. Bisher mussten sich die meisten Menschen den verfügbaren Wohnungen anpassen. In Zukunft passen sich die Wohnungen den Bedürfnissen der Menschen an. Was sollten Wohnungsunternehmen in puncto Kundenbindung besser vermeiden? Anders gefragt: Welche Maßnahmen haben sich als nicht nachhaltig erwiesen? Dr. Köhler: Sinnvoll ist es, die Kernzielgruppe stärker in den Planungs- und Entwicklungsprozess von Wohnungen einzubeziehen, anstatt alles den Architekten zu überlassen. Generell ist eine verstärkte Mieterorientierung notwendig. Zu viele Unternehmen und Verwalter kennen die Mieter und ihre Bedürfnisse zu wenig. Hier braucht es eine intensive Hinwendung zur Mieterschaft und ein professionelles Management derselben. Herr Dr. Köhler, vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Christine Plaß für die BBA – Akademie der Immobilienwirtschaft e. V., Berlin.