Staatliches Studienseminar für das Lehramt an beruflichen Schulen, Südbayern Methodisch-didaktische Fachbegriffe der Berufspädagogik: W.Heisel, 1. Ausbildungsabschnitt 2002 / 2003 Konfliktlösung 1. Randbedingungen Konflikte zwischen Schülern oder Schüler und Lehrer haben eine Vorgeschichte, die das Verhalten der Beteiligten im Moment des Konflikts bestimmt. Dies bedeutet, dass ein Konflikt Regeln folgt, die sehr prägen, aber nicht bekannt sein müssen, weder den Konfliktparteien noch einem Schlichter oder Vermittler. Diese unbekannten Komponenten erschweren einerseits die Lösung, aber sind wahrscheinlich gleichzeitig einer der wichtigsten Schlüssel zur Lösung. Ein Schlichter braucht viel Einfühlungsvermögen und wohl auch Phantasie und kühle Spontaneität, um Streitende erfolgreich zu trennen, indem er diese verdeckten Ursachen erspürt und darauf reagiert. 2. Lösungsstrategien Spontane Reaktion in einer brenzlichen Situation ist keine Strategie, denn Strategie erfordert Überlegung und Vorbereitung. Hat man bereits Erfahrung als Schlichter oder gar als Betroffener, ist man eindeutig im Vorteil, man kann sich eher selbst einschätzen und kennt vielleicht den Punkt besser, bis zu dem man sicher ist, dass man sich nicht provozieren lässt. Dieser Punkt ist absolut kritisch. Lässt man sich provozieren, ist man selber nicht mehr Herr der Lage und eher selber ein Teil des Problems, gleichgültig aus welcher Position heraus man zu dem Konflikt gekommen ist. Um diese ruhige Position zu gewinnen und zu halten kann man trainieren, im Ernstfall Ruhe zu bewahren, zuzuhören und auch die zu verstehen und ernst zu nehmen, die sich selbst nicht mehr in der Gewalt haben. Auf keinen Fall überstürzt handeln, oft hilft tief durchatmen um Zeit zum Überlegen zu gewinnen (aber nicht immer). Da dies eine schwere Aufgabe ist, droht Misslingen und man ist gut beraten, sich rechtzeitig in eine sichere Position zu bringen und mit Hilfe anderer die Lage zu entschärfen. Was tut man aber nun, solange die Lage übersichtlich ist, welche Ziele kann man anstreben? Hier gibt es Lösungen im wahren Sinne des Wortes und Lösungen, die lediglich zunächst den Konflikt aufschieben. Hierbei ist auch zu beachten, dass nicht jeder Konflikt sofort lösbar ist und auch nicht aus jeder Position heraus. Gute Lösungen in diesem Sinne wären a) Aushandeln eines Kompromisses Die Beteiligten rücken von ihren Maximalpositionen ab und machen Zugeständnisse, vorausgesetzt, dass dies sachlich überhaupt möglich ist. Hier ist ein geschickter Schlichter wichtig, zu dem die Betroffenen Vertrauen haben, so dass eine gewisse Offenheit möglich wird. b) eine neue, kreative Lösung suchen dies ist oft möglich, wenn wieder Ruhe eingekehrt ist und vielleicht sogar ein Schlichter wie beim Kompromiss eine vernünftige Diskussion ermöglicht. Dieser Weg entspricht oft auch dem Kompromiss und kann ebenso eine tragfähige Lösung sein. Lösungen, die den Konflikt zunächst nur aufschieben aber auf jeden Fall besser als eine Eskalation sind, sind folgende Methodisch-didaktische Fachbegriffe der Berufspädagogik: Konfliktlösung c) Nachgeben oder Kapitulation bzw. Sieg durch Übermacht Hierdurch kann die Situation durchaus im Moment entschärft werden, aber der Unterlegene wird wahrscheinlich eine Gelegenheit abwarten, sich zu revanchieren. Davor ist man auch selbst nicht gefeit, wenn man unter Gesichtsverlust kapitulieren muss. Und was für einen selbst gilt, gilt wahrscheinlich auch für den Anderen. d) Einschalten von Drittpersonen als Öffentlichkeit Damit sind keine Drittpersonen gemeint, die das Gespräch ermöglichen wollen, sondern eine Art Öffentlichkeit, in deren Gegenwart man sich nicht traut weiter zu streiten. Eine neutrale Umgebung also, die nur durch ihre Präsenz wirkt und die sich nicht um den Konflikt selbst kümmern will. 3. Konfliktgeschichte Konflikte ohne Grund gibt es nicht. Dies bedeutet umgekehrt, dass man als Lehrer auf einige Konflikte zwischen Schülern durchaus im Vorfeld bereits Einfluss nehmen kann. Dazu gehört jedoch ein Vertrauensverhältnis zur betreffenden Klasse und speziell zu den betroffenen Schülern. Hierzu gehören neben der Fähigkeit zuzuhören auch einige Regeln, die man sich selbst antrainieren kann und die man mit der Klasse üben kann. Dazu gibt es einige recht gute Bücher und sehr unterschiedliche Unterlagen von Schulinitiativen. Im Folgenden möchte ich eine kleine Sammlung der mir zugänglichen Literatur geben, ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit. Sehr empfehlenswert ist das Buch von Jamie Walker, „Gewaltfreier Umgang mit Konflikten in der Sekundarstufe I“ aus dem Cornelsen Verlag. Hier werden präventive Methoden besprochen mit denen man in Klassen üben kann, Gewalt zu verhindern. Gut gefallen haben mir auch die Unterlagen der Augsburger Volksschule vor dem Roten Tor, „Streitschlichter“, zusammengestellt von Alexandra Brumann und Anke Trausch. Die Autorinnen schildern ihr Projekt, das in den 90ern an ihrer Schule durchgeführt wurde. Im Internet findet man unter www.bildungsverlag1.de einen Artikel von H. Pohlmann, „Unterrichts- und Verhaltensstörungen, Disziplin im Klassenzimmer“ in dem Klassifizierungen zu Störungen im Klassenzimmer angegeben werden. Und unter der gleichen Adresse hat H. Pohlmann einen zweiten Artikel veröffentlicht, „Konfliktlösungen im Unterricht“. Hier werden verschiedene Entwicklungskontexte der Humanistischen Psychologie aufgeführt und verschiedene Lösungsmethoden skizziert. Und auch mein Vorgänger Karl Simon, der sich im vergangenen Jahr im selben Ausbildungsabschnitt mit dem selben Thema „Konfliktlösung“ befasst hat, möchte ich hier noch zitieren. Die Methode nach Thomas Gordon ist im Folgenden nach seinen Unterlagen beschrieben. 4. Methode der Konfliktlösung zwischen Schüler und Lehrer nach Thomas Gordon Wichtig ist nach Thomas Gordon das Prinzip Mitbestimmung ohne Niederlage. Konflikte sollen gelöst werden, ohne dass eine Seite siegt oder kapituliert. a) Problemlösungsprozess in 6 Schritten, von denen auch einzelne übersprungen werden können: 1. Definition des Problems/Konflikts 2. gemeinsame Sammlung verschiedener Lösungen 3. Wertung der Lösungsvorschläge 4. Entscheidung für die beste Lösung Methodisch-didaktische Fachbegriffe der Berufspädagogik: Konfliktlösung 5. Richtlinien für die Realisierung der Entscheidung 6. Bewertung der Effektivität der Lösung Wichtig ist, dass dieser Prozess zuvor eingeübt werden muss, damit er dann im Konfliktfall angewendet werden kann. Es soll kein Machtunterschied zwischen Lehrer und Schüler bestehen. Der von der Position her stärkere Lehrer verzichtet auf die Anwendung von Macht. Die gemeinsame Anstrengung der beiden Konfliktparteien führt zu einer für beide Seiten zufriedenstellenden Lösung. Gordons Methode bietet jedoch keine Standardlösung, sondern verlangt die Kreativität aller Beteiligten. b) Wichtige Bestandteile der Konfliktlösung nach Gordon: Aktives „Zuhören“: d.h. die Äußerungen werden kommentiert, durch Kopfnicken oder Antworten. Der Schüler weiß, dass der Lehrer zuhört. Schweigendes Zuhören reicht nicht. „Ich-Botschaften“: Der Lehrer formuliert seine Botschaften in der Ich-Form und zeigt damit dem Schüler, dass auch er ein Problem hat. Diese Ich-Botschaften enthalten keine negative Beurteilung des Schülers ("Ich bin frustriert über dein ständiges Zuspätkommen"). Machtverzicht (wie oben bereits erwähnt). Mit dieser Methode lassen sich soziale Spannungen vermeiden und Unmut, Ärger, Feindseligkeit, Frustration, Hass, Verlegenheit, Unsicherheit sowie das Gefühl, ungerecht behandelt worden zu sein. Damit treten auch die Schülerreaktionen, die für einen autoritären Stil typisch wären, wie z.B. rebellieren, lügen, rächen, trotzen weniger auf,. c) Vorteile: Förderung des kreativen Denkens. Förderung der Sozialkompetenz von Schüler (und Lehrer). Starke Motivation durch das "Prinzip der Mitwirkung". Keiner fühlt sich als Verlierer und somit keine Spannungen zwischen den Konfliktparteien. Konflikt wird offen angesprochen und nicht verdrängt. Lehrer muss nicht die von ihm getroffene Entscheidungen den Schülern erklären und begründen. Gegebenenfalls operiert Lehrer nur noch als Moderator. Förderung der Beziehung zwischen Lehrer und Schülern durch gegenseitigen Respekt und Vertrauen. Den Schülern wird signalisiert, dass sie fähig zu reifem Verhalten sind und dass ihnen Entscheidungen und deren Ausführung zugetraut werden (Akzeptanz). d) Nachteile: Bereitschaft zum aktiven Zuhören ist Voraussetzung. Der Lösungsprozess ist komplex und muss erst eingeübt werden (Zeitfaktor). Dazu ist gegenseitiges Ernstnehmen Voraussetzung. Unwirksam, wenn Schüler andere Wertvorstellungen haben, d.h. wenn Schüler das Problem nicht erkennen. Zunächst zeitaufwendige Konfliktlösung. Methodisch-didaktische Fachbegriffe der Berufspädagogik: Konfliktlösung e) Grenzen der Anwendung des Modells von Gordon in der Berufsschule: In der schulischen Praxis treten dabei verschiedene Probleme auf: hoher Zeitbedarf des gesamten Ablaufs; eventuell sind wichtige soziale Kompetenzen der Schüler noch nicht ausgereift, z.B. Demokratiefähigkeit, Kompromissfähigkeit, die Fähigkeit zuzuhören (passives Zuhören); ebenso sind Artikulationsfähigkeit und Lösungstreue teilweise eingeschränkt; die rechtlichen Vorschriften in der Schule schränken die Möglichkeiten zusätzlich ein, was die Realisierung vieler Kompromisse erschwert; um diese Methode dauerhaft benutzen zu können, müssten alle bzw. viele Lehrer eines Kollegiums die Methode verwenden, da sonst die Schüler das Verfahren zu wenig anwenden und üben können. Ein einzelner Lehrer kommt oft schnell von dieser Methode ab, wenn er keine Gelegenheiten hat, Erfahrungen auszutauschen; wenn sich Schüler tätlich angreifen, muss der Lehrer zunächst diese Schüler trennen und nicht versuchen ein Gespräch aufzubauen (latenter Handlungsdruck) und danach kann evtl. das Konfliktlösungsmodell nach Gordon verwendet werden;