1 Zur Nutzbarkeit der Tätigkeitsberichte des Vermittlungsausschusses für die Kategorisierung von Konflikttypen im Gesetzgebungsverfahren Sven Leunig/Hendrik Träger 1. Einleitung „Parteipolitik und Landesinteressen“ – so lautet der Titel eines 2012 von uns publizierten Sammelbandes, in dem die Mitwirkung des deutschen Bundesrates an der Gesetzgebung des Bundes zwischen 1949 und 2009 untersucht wurde. Die zentrale Fragestellung war dabei, ob bei Auseinandersetzungen zwischen Bundesrat und Bundestag bzw. Bundesregierung in Gesetzgebungsverfahren „Landesinteressen ggf. von parteipolitischen Interessen überlagert wurden“.1 Zur Beantwortung dieser Frage bedienten sich die Autoren des Sammelbandes sowohl qualitativer als auch quantitativer Methoden. Da es um die Analyse von Differenzen zwischen Bundesregierung und Bundestagsmehrheit einerseits sowie Bundesratsmehrheit andererseits über Gesetzesinitiativen/-beschlüsse2 ging, die häufig3 durch Anrufungen des Vermittlungsausschusses indiziert werden, wurde zunächst deren Anzahl für den jeweiligen Untersuchungszeitraum quantifiziert. Bei diesen Anrufungen wurde im Einzelnen untersucht, ob bei den Anrufungsgründen bzw. in den Verhandlungen zwischen den Akteuren föderale oder sachpolitische Konflikte dominierend waren. Konflikte, bei denen derartige Landesinteressen nicht zu vermuten waren, wurden als „Sachkonflikte“ bezeichnet. Föderale Konflikte wurden dahingehend definiert, dass bei ihnen Bundes- und Landesinteressen aufeinandertrafen, die unabhängig von programmatischen oder strategischen Positionen der die jeweiligen Landesregierungen stellenden Parteien waren. Konflikte, bei denen derartige Landesinteressen nicht zu vermuten waren, wurden als „Sachkonflikte“ bezeichnet. In dieser Kategorie fanden sich neben auf parteipolitischen Motiven beruhenden Auseinandersetzungen zwischen Bund und Ländern auch solche, die etwa auf rein fachlichen Differenzen zwischen den Landes An dieser Stelle möchte wir uns besonders bei Marcel Beckmann und Christian Stecker für hilfreiche Hinweise zu einer früheren Version des Beitrags bedanken. 1 Leunig, Sven/Träger, Hendrik, Einleitung, in: Dies., (Hrsg.) 2012: Parteipolitik und Landesinteressen. Der deutsche Bundesrat 1949 – 2009, Münster, S. 15-38, S. 24. 2 Die Frage, inwieweit sich parteipolitische Motive bereits bei den Initiativen des Bundesrates erkennen lassen, wurde jüngst von Harle und Stecker untersucht, vgl. Harle, Isabelle/Stecker, Christian 2011: Die Initiativtätigkeit des Bundesrates im Lichte der Parteipolitisierungsthese, in: ZParl (42. Jg), H. 2, S. 325334. 3 Es gibt freilich eine nicht geringe, allerdings weitaus schwerer bestimmbare, Zahl an Auseinandersetzungen zwischen beiden Akteursgruppen, die ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses im Wege informeller Verhandlungen gelöst werden, so zum Beispiel beim Gesundheitsstrukturgesetz 1992; vgl. Lehmbruch, Gerhard 2000: Parteienwettbewerb im Bundesstaat. Regelsysteme und Spannungslagen im politischen System der Bundesrepublik Deutschland, Wiesbaden, S. 168ff. 2 und den Bundesministerien über die administrative Ausführung des vorgelegten Gesetzes beruhten. Die Zuordnung der einzelnen Gesetze zu den Konfliktkategorien erfolgte auf Grundlage der nach dem Ende jeder Legislaturperiode des Bundestages veröffentlichten „Berichte über die Tätigkeit des Vermittlungsausschusses“. In diesen, v.a. von Mitarbeiter/innen der Bundesrats- bzw. Bundestagsverwaltung erstellten Dokumenten, die bis 1999 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurden und seit 2003 auf der Internetseite des Vermittlungsausschusses4 heruntergeladen werden können, sind alle Gesetze aufgeführt, wegen denen der Vermittlungsausschuss angerufen wurde. Zudem geben sie in knapper Form einen guten Überblick über die wesentlichen Anrufungsgründe, die zentralen Inhalte der ggf. erfolgten Kompromissvorschläge und etwaige Protokollbemerkungen der Bundesregierung. Im weiteren Verlauf jedes Aufsatzes des Sammelbandes – und das macht den qualitativen Teil des Methodenmix aus – wurden nach bestimmten Kriterien5 aus jeder Periode Gesetzgebungsprozesse ausgewählt und im Rahmen von Fallstudienanalysen untersucht. Ziel war es zunächst festzustellen, ob sich die auf der Basis der Tätigkeitsberichte des Vermittlungsausschusses vorgenommene Einordnung des Untersuchungsfalles in die Konfliktkategorien bestätigten. Sodann wurde am Einzelfall der Forschungsfrage nachgegangen, ob hier jeweils Landesinteressen von parteipolitischen Interessen verdrängt worden waren. Das heißt, ob beispielsweise das Landesinteresse ein bestimmtes Abstimmungsverhalten eines Landes hätte nahe liegen lassen, tatsächlich aber aufgrund parteipolitischer Motive anders abgestimmt wurde. Es liegt auf der Hand, dass bereits bei der quantitativen Untersuchung, aber natürlich um so mehr bei den qualitativen Fallstudien die Frage entscheidend war, was Parteipolitik ist bzw. was wir darunter verstehen wollen – gleiches gilt für die Kategorie „Landesinteressen“. Dabei kann man durchaus in Frage stellen, ob sich beides in der politischen Praxis überhaupt sinnvoll voneinander trennen lässt.6 Für unsere Studie haben wir diese Trennung analytisch allerdings aus folgendem Grund vorgenommen: Zwar besteht die Funktion des Bundesrates im Bereich der Bundesgesetzgebung de constitutione lata nur darin, den Ländern die Mitwirkung an dieser zu ermöglichen (Art. 50 GG), ohne dass die Art bzw. die Zielsetzung dieser Mitwirkung näher definiert wird. Dies erlaubt nach herrschender Meinung auch die Verfolgung von Zielen durch die Länder, die nicht aus deren Eigenschaft als föderale Glieder resultieren, also etwa aufgrund parteipolitischer Motive der Landesregierungen.7 4 Vgl. http://www.vermittlungsausschuss.de/VA/DE/aufgaben-arbeitsweise/berichte/berichte-node.html, zuletzt abgerufen am 29.03.2014. 5 Siehe dazu näher Leunig, Sven/Träger, Hendrik 2012 (FN 1), S. 27f. 6 Vgl. Leunig, Sven 2004: Länder- und Parteiinteressen im Bundesrat – realer Dualismus oder fiktive Differenzierung?, in: APuZ, B 50-51, S. 33-38, in diesem Sinne auch Robbers, Gerhard 2007: Art. 50, Rdnr. 16 m.w.N., in: Sachs, Michael (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, München. 7 Vgl. z.B. Robbers, Gerhard 2007 (FN 6), Art. 50, Rdnr. 13, 16 m.w.N.; Eith, Ulrich/Siewert, Markus B. 2010: Das ‚unechte‘ Unikat – der Deutsche Bundesrat, in: Riescher, Gisela/Ruß, Sabine/Haas, Christoph M. (Hrsg.): Zweite Kammern, 2. Auflage, S. 97-126, S. 116; zuletzt Morlok, Martin 2013: Rechtliche Grundlagen, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.), Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 241-260, S. 250. 3 Gleichwohl legt eine Zusammenschau des Artikels 50 GG sowie der Bestimmungen des Grundgesetzes, die dem Bundesrat im Wege der Zustimmungsbedürftigkeit eine besonders starke Stellung im Gesetzgebungsverfahren geben (siehe dazu Kapitel 2), die Vermutung nahe, dass der Bundesrat nach dem Willen der Verfassungsgeber ebenso sehr Landesinteressen in die Bundesgesetzgebung einbringen sollte.8 Darüber hinaus ging es den Verfassungsgebern vor allem um den Sachverstand der Landesverwaltungen, den diese in die Bundesgesetzgebung einbringen sollten.9 Allerdings ist, wie noch zu zeigen sein wird, die analytische Unterscheidung zwischen diesem allgemein-administrativen Sachverstand und parteipolitischen Motiven nicht ganz einfach (Kapitel 2.2). Leichter fällt dies dagegen hinsichtlich der Länderinteressen, bei denen man zum Beispiel auf die Differenzierung in Einspruchs- und Zustimmungsgesetze im Grundgesetz zurückgreifen kann, denn zustimmungspflichtig sind ja insbesondere jene Gesetzgebungsmaterien, bei denen die Interessen der Länder besonders betroffen sind (Kapitel 2.1).10 Problematisch wird es unserer Ansicht nun dann, wenn parteipolitische Motive der Landesregierungen deren spezifischen Landesinteressen in einem bestimmten Gesetzgebungsfall verdrängen; umso mehr, wenn dies sehr häufig geschehen würde. Denn dann wäre eine der beiden zentralen Funktionen des Bundesrates – die Einbringung von Landesinteressen im engeren Sinn in die Bundesgesetzgebung – in Gefahr, vernachlässigt zu werden, was zu einem ernsthaften Verlust an politischer Akzeptanz für das „föderale Bundesorgan“ in der Bevölkerung und möglicherweise auch zu einem verfassungsrechtlichen Legitimationsproblem führen könnte.11 Daher schien es uns mit Blick auf unseren Sammelband sinnvoll, abgeschlossene Gesetzgebungsverfahren auf diese Problematik hin zu untersuchen. Dabei erwies es sich, wie erwähnt, als schwierig, die Kategorien „Landesinteressen“ und „Parteipolitik“ trennscharf zu bestimmen. In diesem Beitrag wollen wir uns dieser konzeptionellen Herausforderung erneut stellen und versuchen, unsere Kategorien Adolf Süsterhenn, Mitglied des Parlamentarischen Rates, formulierte es 1957 pointiert so: „Allerdings ist der deutsche Bundesrat (…) keineswegs nur ein Organ zur Vertretung von Länderinteressen, sondern im Rahmen seiner grundgesetzlich festgelegten Kompetenzen ein echtes Bundesorgan“, Süsterhenn, Adolf 1990 [1957]: Senats- oder Bundesratssystem? Zum Problem der Gewaltenteilung innerhalb der Legislative, in: Wilke, Dieter/Schulte, Bernd (Hrsg.): Der Bundesrat. Die staatsrechtliche Entwicklung des föderalen Verfassungsorgans, Darmstadt, S. 161-192, S. 168. Süsterhenn führt weiter aus, der Bundesrat sichere „in besonderer Weise die Vertretung des regionalen Elements bei der Bildung des bundesstaatlichen Gesamtwillens“, Ebd., S. 176. Eine fast gleichlautende Gewichtung findet sich jüngst bei Wolfgang Rudzio, der dem Bundesrat „über den Schutz von Länderinteressen hinaus“ ein allgemeines politisches Mitwirkungsrecht attestiert, Rudzio, Wolfgang. 2011: Das politische System der Bundesrepublik Deutschland, 8. aktualisierte und erweiterte Auflage, Wiesbaden, S. 288. 9 Vgl. Jun, Uwe 2001: § 14: Der Bundesrat, in: Westphalen, Raban Graf von (Hrsg.): Deutsches Regierungssystem, München, S. 339-361, S. 340. 10 Vgl. Robbers, Gerhard 2007 (FN 6): Art. 50, Rdnr. 23 sowie Lücke, Jörg/Mann, Thomas 2007: Art. 77, Rdnr. 14, in: Sachs, Michael (Hrsg.): Grundgesetz. Kommentar, 4. Auflage, München. 11 Vgl. in diesem Sinne Jahn, Gerhard 2001[1976]: Bundesrat gegen Bundestag – Gesetzgebung im Spannungsfeld zweier Verfassungsorgane, in: Wilke, Dieter/Schulte, Bernd, Der Bundesrat. Die staatsrechtliche Entwicklung des föderalen Verfassungsorgans, Darmstadt, S. 370-379, S. 377; ebenso Strohmeier, Gerd Andreas 2003: Zwischen Gewaltenteilung und Reformstau: Wie viele Vetospieler braucht das Land?, in: APuZ, B 51, S. 17-22, S. 20. 8 4 weiterzuentwickeln. Insbesondere geht es uns darum, das allgemein fachliche, „sachpolitische“ Interesse der Landesministerialverwaltungen von der Parteipolitik der Landesregierungen zu unterscheiden. Der analytische Praxisnutzen der im Kapitel 2 formulierten Annahmen wird unmittelbar im Anschluss anhand der Gesetzgebungstätigkeit in der 2013 abgeschlossenen 17. Legislaturperiode des Bundestages überprüft. Konkret werden wir dazu den einschlägigen Bericht über die Tätigkeit des Vermittlungsausschusses heranziehen. Die Vermittlungsverfahren werden wir auf der Basis unserer theoretischen Annahmen zunächst in föderale und sachpolitische Konflikte differenzieren und dann der Frage nachgehen, ob sich bereits auf der Basis dieser Berichte fundierte Prognosen über das Vorliegen parteipolitischer Interessen in der Kategorie „Sachkonflikte“ formulieren lassen, oder ob dies erst im Rahmen detaillierter Einzelfallstudien möglich ist. Die Ergebnisse unserer Überlegungen werden wir in einem kurzen Fazit festhalten. 2. Das Konzept föderaler vs. sachpolitischer Konflikte als Kategorienschema 2.1 Landesinteressen - Föderale Konflikte Die, wie bereits angedeutet, noch vergleichsweise leicht zu definierende Kategorie ist jene der „Landesinteressen“. Interesse an etwas zu haben bezieht sich immer auf einen bestimmten Gegenstand, in diesem Fall ein Gesetz, das den Ländern über den Bundesrat vorgelegt wird. Relevant wird das Interesse eines einzelnen Landes allerdings erst dann, wenn sich dieses Land mit anderen Ländern verbinden kann und eine Stimmenmehrheit (bekanntlich nicht zwingend identisch mit einer Ländermehrheit) im Bundesrat erzielen kann. Das muss keine positive Mehrheit in dem Sinne sein, dass sich eine Ländergruppe mit Stimmenmehrheit findet, um einen gemeinsamen Beschluss (etwa das Einlegen eines Einspruchs oder die Anrufung des Vermittlungsausschusses) zu fassen, auch wenn dies, wie noch zu zeigen sein wird, durchaus von Vorteil ist. Um eigene Interessen durchzusetzen reicht es auch, eine negative Mehrheit zu bilden, das heißt, die Gegenseite (also die Regierungsmehrheit im Bund) davon abzuhalten, ihre Interessen in Form materieller Gesetzesbestimmungen durchzusetzen. Gleichwohl können einzelne Länder unter Umständen auch dann eigene Interessen durchsetzen, wenn sie sich nicht mit anderen Ländern zu einer positiven oder negativen Mehrheit verbinden können: nämlich immer dann, wenn sie mit ihren Stimmen eine pivotale Position einnehmen. Das heißt dann, wenn es bei knappen Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat gerade ihre Stimmen sind, die über Erfolg oder Scheitern eines Gesetzes entscheiden. Was kann, so muss also gefragt werden, ein Land in einem Gesetzgebungsprozess wollen, unabhängig von der parteipolitischen Zusammensetzung seiner Regierung? Hier hilft ein Blick in jene Artikel des Grundgesetzes, die die Zustimmungspflichtigkeit von Gesetzen seitens des Bundesrates festlegen. Zustimmungspflichtig wird ein Gesetz immer dann, wenn durch dieses, so die Interpretation des Bundesverfassungsgerichtes, 5 der „Interessenbereich der Länder besonders stark berührt wird.“12 Wann geschieht dies also nach Ansicht des Grundgesetzes? Betrachten wir die einzelnen Verfassungsartikel, so kristallisieren sich im Wesentlichen zwei Gruppen heraus: Gesetze sind dann zustimmungspflichtig, wenn sie (a) in die Verwaltungskompetenzen der Länder eingreifen (z.B. Art. 84 I, Art. 85 I, Art. 87 III, Art. 108 III GG) oder (b) finanzielle Belange der Länder betreffen (Art. 106ff. GG), das heißt, wenn sie Folgen für die Landeshaushalte haben (können).13 Hinzu kommen Gesetze, die sich nicht auf die bundesstaatliche Kompetenzordnung beziehen, so sind etwa Grundgesetzänderungen (mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat), die „Drittstaatenregelung“ im Asyl-Artikel 16a GG sowie die Übertragung von Hoheitsrechten an die EU (Art. 23 GG) zustimmungspflichtig.14 Daraus lässt sich schließen, dass der Grundgesetzgeber offenbar ein besonderes Interesse der Länder dann vermutet hat, wenn es um die Ausführung von Gesetzen oder um Mehrausgaben bzw. Mindereinnahmen als Folge von Gesetzen geht. Dies ist auch wenig verwunderlich, stellt die Ausführung von Bundesgesetzen (neben der eigener Gesetze) doch mithin die Hauptaufgabe der Länder im deutschen Bundesstaat dar. Zum anderen enthalten die meisten Gesetze Bestimmungen mit finanziellen Folgen für die sie ausführenden Länder. So sind es häufig die Länder, die Gelder auszuzahlen oder gesetzlich angeordnete Verwaltungseinrichtungen zu finanzieren haben, ohne dass sie nennenswerte eigene Möglichkeiten besäßen, Steuern zu erhöhen. Steuerrechtliche Regelungen sind im Wesentlichen dem Bundesgesetzgeber vorbehalten, weshalb die Länder wiederum bei den entsprechenden Gesetzen über das Zustimmungsrecht – und damit über die Möglichkeit, gerade nicht zuzustimmen – verfügen. Wie am Beispiel des Tätigkeitsberichts der 17. Wahlperiode noch zu zeigen sein wird, werden mit diesen beiden Gruppen tatsächlich große Teile jener Interessen abgedeckt, die die Länder dazu bringen, einem Gesetz die Zustimmung zu verweigern und/oder den Vermittlungsausschuss anzurufen. Besitzstandswahrung bei der Gesetzesausführung und Ausweitung oder Sicherung der eigenen finanziellen Spielräume können also als zentrale Pfeiler des originären 12 BVerfGE 1, 76 (79); 37, 363 (381). Allerdings muss eingeräumt werden, dass nicht jedes Gesetz, das eine Beeinträchtigung von Länderinteressen bewirkt, zustimmungspflichtig ist. Dies gilt etwa für die Gesetze zur Länderneugliederung (Art. 29 VI GG) oder zur Staatsangehörigkeit in den Ländern (Art. 74 I GG). 13 Wie aus den Gründen für die Anrufung des Vermittlungsausschusses in der 17. Wahlperiode des Bundestages (vgl. Tabellen 1 und 2 im Anhang) deutlich wird, wird auch allerdings keineswegs jedes Gesetz, das finanzielle Folgen für die Länder hat, zu einem Zustimmungsgesetz. 14 Vgl. für eine detaillierte Darstellung Lehmann-Brauns, Richard 2008: Die Zustimmungsbedürftigkeit von Bundesgesetzen nach der Föderalismusreform, S. 105ff. Gerade mit Blick auf die Zustimmungspflichtigkeit jedweder Grundgesetzänderung, also unabhängig von der Betroffenheit der Länder, wird zwar deutlich, dass die Zustimmungspflichtigkeit ebenso ein Element der Gewaltenverschränkung darstellt. Betrachtet man aber die bei der Verabschiedung des Grundgesetzes in diesem befindlichen Zustimmungstatbestände, so wird deutlich, dass nicht nur vom Verhältnis der Artikel selbst her betrachtet jene Artikel, die explizit auf die Länderbetroffenheit im engeren Sinne rekurrieren, diejenigen, die auf die Funktion des Bundesrates als Element der Gewaltenteilung Bezug nehmen, deutlich übersteigen, vgl. Dästner, Christian 2001: Zur Entwicklung der Zustimmungspflichtigkeit von Bundesgesetzen seit 1949, in: ZParl, 32. Jg. H. 2, S. 290-309. 6 Landesinteresses betrachtet werden. Hinzu kommt ein naheliegendes Desinteresse an einer Verschiebung von Gesetzgebungskompetenzen zugunsten des Bundes, die in der Regel im Wege der Verfassungsänderungen erfolgen müssen. In der Regel wird man bei diesen Interessen davon ausgehen können, dass sie grundsätzlich allen Ländern gemein sind, Mehrheiten für „Gegenmaßnahmen“ seitens des Bundesrates also vergleichsweise leicht zu finden sein dürften. Allerdings dürfte das Interesse an der Vermeidung finanzieller Lasten nicht unbedingt in allen Ländern gleich groß sein. Vor allem dann, wenn ein Land in besonderem Maße von Steuereinnahmen abhängig ist und es zugleich unter einer schwachen Ökonomie leidet, aus der sich nur verhältnismäßig geringe Steuermittel generieren lassen, ist dessen Wunsch naheliegend, seine finanziellen Spielräume zu wahren, also durch Bundesgesetze entstehende finanzielle Belastungen für den Landeshaushalt abzuwehren. „Reichere“ Länder können demgegenüber gelassener auf Ausgabengesetze reagieren. Das leitet dazu über, dass es im materiellen Bereich von Gesetzen durchaus weitere Motive geben kann, die Länder für oder gegen ein Gesetz stimmen lassen, ohne dass die oben genannten Gründe relevant sein dürften. Dies sollte immer dann der Fall sein, wenn es länder(gruppen)spezifische Interessen gibt, die sich etwa aus der wirtschaftsgeographischen, naturräumlichen, ökonomischen oder demografischen Situation eines Landes heraus bestimmen lassen. Klassisches Beispiel sind Länder, in den eine bestimmte Industrie (z.B. Bergbau, Fahrzeugbau, Chemie) dominiert oder die naturräumlich ähnlich gestaltet sind (z.B. Küstenländer). In solchen Fällen lassen sich Interessen vermuten, die auf den ersten Blick sachpolitischer Art sein könnten, die zugleich aber eine enge Verbindung zum jeweiligen Land bzw. zur jeweiligen Ländergruppe haben.15 Gesetze, die diese Bereiche besonders berühren, können also auch betroffene Länder besonders interessieren. Allerdings müssen die Landesregierungen, wenn sie besondere Interessen erfolgreich geltend machen wollen, den „Umweg“ über die oben definierten beiden Gruppen von zustimmungsauslösenden Bestimmungen gehen können, da ein „spezifisches Landesinteresse“ keine verfassungsrechtlich anerkannte Begründung für eine besondere Schutzbedürftigkeit dieses Interesses ist (mit der Folge der Zustimmungsauslösung). In jedem Fall kollidieren hier Landes- mit Bundesinteressen, was einen, wie wir es nennen, föderalen Konflikt zur Folge hat. 2.2 Parteipolitik – sachpolitische Konflikte Es gibt allerdings eine Reihe von Gesetzen bzw. Teile von Gesetzen, bei denen sich solche Betroffenheiten spezifischer oder allgemeiner Landesnatur nicht finden lassen. Diese „Sachkonflikte“ definieren sich also zunächst negativ: durch die Abwesenheit erkennbarer Landesinteressen. Weil die zu diesem Konflikttyp gehörenden „parteipolitischen Konflikte“ sowohl in der wissenschaftlichen als auch in der 15 Vgl. hierzu Stegmann, Helmut 1996: Das Gesetzgebungsverfahren im Bundesrat, in: Postlep, WolfDieter (Hrsg.): Aktuelle Fragen zum Föderalismus, Marburg, S. 141-165, S. 165. 7 politischen Diskussion auf besonderes Interesse stoßen, geht es uns im Folgenden darum, diese parteipolitischen Konflikte zu definieren und Parameter für ihre Identifizierung innerhalb von Gesetzgebungsprozessen zu finden. Sachkonflikte, um dies noch einmal zu wiederholen, sind nicht mit parteipolitischen Konflikten identisch. Vielmehr umfassen Erstere auch Differenzen zwischen Bundestag und Bundesrat, die rein administrativer Natur sind, etwa weil Letzterer ein ihm vorliegendes Gesetz oder Teile von diesem für nicht durchführbar hält. „Denn“, wie Uwe Jun festhält, „es sind die Landesverwaltungen, die durch den täglichen Vollzug von Gesetzen und Verordnungen Lücken erkennen oder Schwächen einzelner Bestimmungen ausmachen können.“ Tatsächlich sei die Arbeit des Bundesrates durch das Wirken der Landesministerialbürokratien wesentlich geprägt, die denn auch häufig die Anregungen zu einer solchen Stellungnahme bzw. zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geben würden.16 Diese Auseinandersetzungen sind nicht leicht von solchen zu trennen, die aufgrund der Kompetenz der Länder zur Ausführung von Bundesgesetzen entstehen, die wir oben in die Kategorie „föderale Konflikte/Landesinteressen“ eingeordnet haben. Die Trennlinie ziehen wir dort, wo es konkret um die Einrichtung von Behörden geht, die das Gesetz den Ländern vorschreibt. Schreibt das Gesetz also einen konkreten, durch das Land zu realisierenden Behördenaufbau vor, so würden wir Änderungswünsche des Landes daran den Landesinteressen zuordnen. Geht es dagegen um allgemeine Änderungswünsche zur Gesetzesausführung, zählen wir die Differenzen zu den sachpolitischen Konflikten. Um diese Sachkonflikte aufgrund administrativer Motive nun von solchen auf der Basis von parteipolitischen Interessen zu unterscheiden, müssen wir eine Definition von „Parteipolitik“ vornehmen. Nähert man sich dieser Kategorie einerseits von den Zielen und Handlungsmotiven von Parteien, andererseits von den Dimensionen von Politik her, so lässt sich folgende Beziehung herstellen: Parteien wollen ihre Inhalte und programmatischen Ziele in den staatlichen Entscheidungsprozess einbringen (policy seeking); das geschieht vor allem über Gesetze, aber auch über andere staatliche Entscheidungen (z.B. ökonomische Förderprogramme). Vor diesem Hintergrund streben die Parteien also nach (möglichst alleiniger) Regierungsübernahme (office seeking), wozu es zunächst nötig ist, bei Wahlen viele Stimmen und daraus resultierend viele Mandate zu erhalten (vote seeking). Dazu bedarf es sowohl strategischen Handelns als auch – in Verbindung damit – der Überzeugung von Wählern. Es geht also um die Prozessdimension von Politik, hier in Form des Werbens um Wählerstimmen/Mandate mit Hilfe der Parteiprogrammatik. Dabei können sich Strategie und Programmatik auch insofern gegenseitig beeinflussen, als strategische Gründe nahelegen können, bestimmte Teile der Programmatik in einem Wahlkampf besonders zu betonen, andere dagegen zu vernachlässigen.17 Entsprechend 16 Jun, Uwe 2001 (FN 9), S. 346; vgl. ebenso Ziller, Gebhard/Oschatz, Georg-Berndt 1998: Der Bundesrat, 10., vollständig überarbeitete Auflage, Düsseldorf, S. 28f. 17 Vgl. Wiesendahl, Elmar 2006: Parteien, Frankfurt am Main, S. 6f.; Merz, Nicolas/Regel, Sven 2013: Die Programmatik der Parteien, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.), Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 211-240, S. 212f. 8 können politische Inhalte die Ansprache bestimmter Wählergruppen als besonders ratsam erscheinen lassen.18 Wie lässt sich nun dieses Verständnis von Parteipolitik auf das Agieren von Landesregierungen im Bundesrat anwenden? Der Bundesrat ist Teil des gesamten politischen Systems; die in ihm vertretenen Landesminister sind in aller Regel Mitglieder einer Partei oder stehen einer Partei zumindest nahe.19 Diese Partei wiederum befindet sich innerhalb eines Landes im Wettstreit mit den anderen Parteien; zugleich ist sie Teil einer bundesweiten Organisation, weshalb von ihr eine gewisse inhaltliche Übereinstimmung mit den grundsätzlichen Zielen ihrer Bundespartei erwartet wird.20 Dies gilt umso mehr, als die Parteigliederungen in den anderen Ländern ebenso wie im Bund jeweils mit den gleichen anderen Parteien um Wählerstimmen konkurrieren.21 Ein möglichst einheitliches Auftreten wird, so die Wahrnehmung der Parteiführungen, von den Wählern grundsätzlich honoriert.22 Allerdings können bestimmte Umstände der politischen „Großwetterlage“, wie ein schlechtes Standing der „eigenen“ Bundesregierung oder landesspezifische Besonderheiten in der politischen Kultur, auch einen gelegentlich dezidierten „Anti-Bund-Wahlkampf“ im Lande angezeigt sein lassen, der sich unter Umständen auf das Verhalten von Landesregierungen im Bundesrat auswirken kann. Ebenso sind die Programme der Landes- und Bundesorganisationen einer Partei nicht völlig deckungsgleich, was ebenfalls zu einem Abstimmungsverhalten im Bundesrat führen kann, das nicht der Linie der Bundespartei entspricht.23 Die Landesparteien und die von ihnen gestellten Regierungen sind also zusammenfassend von einer weitgehenden, aber nicht völligen programmatischen Kohärenz mit der Bundespartei geprägt und haben zugleich Möglichkeiten eigenständiger Inhalts- und Strategiebestimmung für ihre jeweiligen Wahlkämpfe und das Agieren im Bundesrat. Dessen Hauptaufgabe ist es, Gesetze und Verordnungen zu prüfen. Über den Bundesrat können die Landesregierungen Bundesgesetze im Sinne der Programmatik der sie tragenden Partei(en) beeinflussen. Zugleich werden sie ihr Verhalten strategisch orientieren: So können die Inhalte eines Gesetzes zwar mit der Programmatik einer Landesregierung übereinstimmen; es kann aber zugleich strategisch geboten sein, dem 18 Diese sehr knappe Darstellung darf natürlich nicht vergessen lassen, dass Parteien auch nur Teile dieser Ziele anstreben können, etwa, wenn sie allein auf Stimmenmaximierung aus sind, ohne eine Regierungsbeteiligung zu wünschen; vgl. Schoen, Harald 2005: Wahlkampfforschung, in: Falter, Jürgen W./Schoen, Harald (Hrsg.): Handbuch Wahlforschung, S. 503-542, S. 505-511. 19 Vgl. zum Folgenden Morlok, Martin 2013: Rechtliche Grundlagen, in: Niedermayer, Oskar (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden, S. 241-260, S. 243f. 20 Vgl. Detterbeck, Klaus 2010: Parteien in Föderalen Systemen, in: Ders./Renzsch, Wolfgang/Schieren, Stefan (Hrsg.): Föderalismus in Deutschland, München, S. 197-224, S. 207. 21 Vgl. Benz, Arthur 2003: Reformpromotoren oder Reformblockierer? Die Rolle der Parteien im Bundesstaat, in: APuZ, H. 29-30, S. 32-38, S. 34; Detterbeck, Klaus/Renzsch, Wolfgang 2002: Politischer Wettbewerb im deutschen Bundesstaat, in: Europäisches Zentrum für Föderalismusforschung (Hrsg.): Jahrbuch des Föderalismus 2002, S. 69-81, S. 69. Davon ausgenommen sind nur die wenigen landespolitisch relevanten Parteien, die, wie gegenwärtig nur noch der SSW in Schleswig-Holstein, lediglich in einem oder mehreren Ländern, nicht aber auf Bundesebene agieren. 22 Vgl. Renzsch, Wolfgang 1998: Parteien im Bundesstaat: Sand oder Öl im Getriebe?, in: Männle, Ursula (Hrsg.): Föderalismus zwischen Konsens und Konkurrenz, Baden-Baden, S. 93-102, S. 93f. 23 Vgl. Benz, Arthur 2003 (FN 20), S. 32-38, S. 34f. 9 vorgelegten Gesetz etwa aus wahltaktischen Gründen nicht zuzustimmen bzw. dessen Beschluss zu verzögern. An dieser Stelle muss noch einmal das gesamte politische System in den Blick genommen werden: Der Bundesrat berät und beeinflusst Gesetze, die – zumeist – von der Bundesregierung initiiert und von den Koalitionsfraktionen im Bundestag beschlossen wurden. Aufgrund der geschilderten engen Verknüpfung der Landesparteiorganisationen mit ihrer Bundespartei wird sich das parteipolitische Verhalten von Landesregierungen also nicht allein an ihrem Interesse am Wahlerfolg im Lande, sondern auch am Wahlerfolg ihrer Partei auf der Bundesebene orientieren. Dies legt eine dominierende Konfliktlage im Bundesrat nahe: Die Länder, die von Parteien regiert werden, die mit den Parteien der Bundesregierung bzw. der Bundestagsmehrheit identisch sind (R-Länder), werden sowohl aus programmatischen als auch aus strategischen Gründen einem Gesetz der Bundesregierung positiv gegenüberstehen und dieses unterstützen. Demgegenüber werden jene Länder, die von den Parteien der Bundestagsopposition regiert werden (O-Länder), dem gleichen Gesetz mit großer Wahrscheinlichkeit eher kritisch gegenüberstehen. Am wenigsten kalkulierbar ist das Verhalten jener Länder, deren Regierungen sich sowohl aus Koalitions- als auch als Oppositionsparteien der Bundesebene zusammensetzen (M-Länder). In diesen Fällen kommt es sehr stark auf das Kräfteverhältnis der Regierungsparteien zueinander an, wie sich diese Länder im Bundesrat verhalten. Können sich die Partner nicht einigen, ist in den Koalitionsvereinbarungen in der Regel eine Stimmenenthaltung im Bundesrat vorgesehen; auch ein solches Verhalten ist im Gesetzgebungsverfahren eine klare Positionsbestimmung und kann zu Erfolg oder Scheitern eines Gesetzes führen.24 Das Agieren der Länder im Bundesrat im Rahmen von Gesetzgebungsprozessen wird aber in der Regel nicht auf ein einfaches Ablehnen oder Zustimmen gerichtet sein. Vielmehr dürften vor allem die O-Länder darauf abzielen, die umstrittenen Gesetze der Bundesregierung inhaltlich in ihrem Sinne zu verändern, um so ihre Programmatik zu realisieren. Es bleibt also festzuhalten: Parteipolitik im Bundesrat ist das an der eigenen Programmatik und Strategie ausgerichtete, auf die Veränderung bzw. Beibehaltung der Inhalte von Bundesgesetzen, ggf. auch auf deren völliges Scheitern abzielende Handeln von Landesregierungen. Zum erfolgreichen Agieren ist in der Regel das konzertierte Handeln mehrerer Landesregierungen nötig, die über eine absolute oder jedenfalls so große Stimmenzahl im Bundesrat verfügen, dass sie die Zustimmung zu Bundesgesetzen verhindern können. Nun stellt sich die Frage, wie sich diese Kategorie von Interessen operationalisieren, also in abgeschlossenen Gesetzgebungsprozessen anhand von vorgegebenen Indikatoren identifizieren und von den nicht parteipolitisch bedingten, auf administrativen Motiven beruhenden Konflikten abgrenzen lässt. Hierzu schlagen wir folgende Indikatoren vor: 24 Vgl. Laufer, Heinz/Münch, Ursula 2010: Das föderale System der Bundesrepublik Deutschland, München, S. 168-172; Sturm, Roland 2010: Föderalismus. Eine Einführung, 2. Auflage, Baden-Baden, S. 66ff. 10 a) Akteursebene: Im Rahmen von Fallanalysen ließe sich feststellen, von welchem institutionellen Akteur Änderungen am Gesetz gewünscht werden. Handelt es sich um Ministerialbeamte unterhalb der Staatssekretärsebene, deutet dies auf eine administrative Motivation hin. Hier sind vor allem die Protokolle der das Gesetz bzw. dessen Entwurf behandelnden Ausschüsse relevant. Die Wahrscheinlichkeit des Vorliegens einer parteipolitischen Motivation wird des Weiteren erhöht, wenn zu dem fraglichen Gesetz eine Plenardebatte im Bundesrat stattfand. Sie steigt weiter mit der Länge der Debatte bzw. der einzelnen Redebeiträge und der politischen Prominenz der Redner (Staatssekretär – Minister – Ministerpräsident). b) Inhaltsebene: Wesentlicher Punkt der Identifikation von Parteipolitik ist natürlich der Inhalt der Änderungswünsche des Bundesrates. Bei diesen Quellen muss darauf geachtet werden, ob es sich um eher administrative Detailänderungen bei der Durchführung des Gesetzes oder um Änderungswünsche am materiellen Gehalt des Gesetzes handelt. Bei Letzterem ist ein Bezug zur Programmatik der Mehrheitsparteien im Bundesrat von besonderem Gewicht. Hinzu kommen Hinweise bezüglich der Relevanz des Gesetzesinhalts auf der politischen Agenda: Bei besonders intensiv von den Medien wahrgenommenen Gesetzen ist von einer hohen politischen Bedeutung und damit von einer hohen Wahrscheinlichkeit parteipolitischer Motivation auszugehen. c) Arenenkonstellation: Jedes Gesetz wird nach dem Bundesrat (sofern es sich um eine Regierungsinitiative handelt) bzw. vor diesem (bei Initiativen des Parlaments) vom Bundestag beraten und beschlossen. Hier ist sowohl auf die Akteure, das heißt: die im Parlament auftretenden Redner, als auch auf die Inhalte zu achten. Treten auch Minister(präsidenten) der Länder in der Debatte auf und stimmen die Argumente, die im Bundestag die Opposition bzw. die Mehrheitsfraktionen vortragen mit denen der entsprechenden Länder im Bundesrat überein, so ist auch im Bundesrat von einer parteipolitischen Motivation auszugehen. Auch hier gilt es, Debatten(beitrags)länge und Prominenz der Redner im Bundestag ebenso wie die Berichterstattung in den Medien in den Blick zu nehmen. 3. Die Tätigkeitsberichte des Vermittlungsausschusses als Analyseinstrument zur Konfliktkategorisierung am Beispiel der 17. Legislaturperiode Um bei konkreten Gesetzgebungsverfahren die Differenzen zwischen Bundesrat und Bundestag den oben vorgestellten Konfliktkategorien zuzuordnen, bietet es sich an, die in den Tätigkeitsberichten des Vermittlungsausschusses gemachten stichwortartigen Angaben über das Anrufungsbegehren, die diesbezüglichen Vorschläge des 11 Vermittlungsausschusses sowie ggf. auch ergänzende Bemerkungen (etwa auf Protokollnotizen der Bundesregierung zum Gesetz) zunächst nach Hinweisen auf das Vorliegen von Landesinteressen zu untersuchen. Gibt es solche Hinweise, dann lässt sich die Konfliktkonstellation als „föderal“ einordnen; in allen anderen Fällen kann von sachpolitischen Konflikten ausgegangen werden. Es liegt in der Natur der Sache, dass auf der Basis einer vergleichsweise wenig detaillierten Darstellung wie der des Tätigkeitsberichts eine Grauzone von Anrufungsbegehren verbleibt, die weder der einen noch der anderen Untergruppe zugeordnet werden kann. Dies trifft insbesondere auf jene Begehren zu, die sehr allgemein gehalten, also zum Beispiel auf eine grundsätzliche Überarbeitung oder (im Falle einer Anrufung durch Bundesregierung bzw. Bundestag) eben auf die Bestätigung eines Gesetzes gerichtet sind,25 sofern sich nicht aus dem Vermittlungsvorschlag oder den Protokollnotizen der Bundesregierung die Konfliktlage begründet vermuten lässt.26 In diesen – wie natürlich auch allen anderen – Fällen kann eine endgültige Klärung erst im Wege einer detaillierten Analyse des jeweiligen Gesetzgebungsprozesses erfolgen. Unsere Vorgehensweise erlaubt aber eine erste, grobe Annäherung an die tatsächlichen Konfliktcharakteristika. Betrachtet man nun die Anrufungen des Vermittlungsausschusses in der 17. Wahlperiode27 zunächst unter der Fragestellung, ob sich in ihnen eher föderale oder mehr sachpolitische Konflikte widerspiegeln, so ergibt sich folgendes Bild: Von den 43 Gesetzen, wegen denen ein Vermittlungsverfahren eingeleitet wurde, würden wir achtmal allein föderale Konflikte im oben definierten Sinne und 19-mal sachpolitische Differenzen vermuten. In neun Fällen gehen wir von beiden Konflikttypen aus; in sieben Fällen ließen sich auf der Basis des Tätigkeitsberichts des Vermittlungsausschusses die zugrunde liegenden Konflikte nicht bestimmen (siehe Tabelle 1 im Anhang). Bei den 17 Gesetzen, bei denen wir entweder ausschließlich von föderalen oder sowohl von sachpolitischen als auch föderalen Konflikten ausgehen, lassen sich zehn identifizieren, bei denen die Länder Änderungswünsche mit Blick auf die aus dem Gesetz resultierenden Kosten für Bund und Länder äußerten. Dies konnte, wie z.B. beim „Dreiundzwanzigsten Gesetz zur Änderung des In der 17. Wahlperiode betrifft dies das Sechste und Siebte „Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“, das „Gesetz zu dem Abkommen vom 21. September 2011 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Zusammenarbeit in den Bereichen Steuern und Finanzmarkt in der Fassung vom 5. April 2012“, das „Gesetz zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich“ und das „Gesetz zur Neuordnung der Regulierung im Eisenbahnbereich“. Für das „Gesetz zur Ergänzung des Betreuungsgeldgesetzes (Betreuungsgeldergänzungsgesetz)“ wurde sogar die komplette Streichung gefordert. Beim „Jahressteuergesetz 2013“, zu dem der Vermittlungsausschuss von der Bundesregierung angerufen wurde, ist im Vermittlungsvorschlag nur unspezifisch von „zahlreichen Änderungen“ zu verschiedenen Bereichen des Gesetzes die Rede. 26 So etwa beim „Gesetz zur Änderung des Rechtsrahmens für Strom aus solarer Strahlungsenergie und zu weiteren Änderungen im Recht der erneuerbaren Energien“. 27 Vgl. Podschull-Wellmann 2013: Die Tätigkeit des Vermittlungsausschusses in der siebzehnten Wahlperiode des Deutschen Bundestages, http://www.vermittlungsausschuss.de/SharedDocs/auschuessetermine/va/ergebnis/taetigkeit-17wp-titel-lang.pdf?__blob=publicationFile&v=4, abgerufen am 9.5.2014. 25 12 Bundesausbildungsförderungsgesetzes“, die Forderung nach einer kompletten Übernahme aller aus dem Gesetz resultierenden Mehrausgaben durch den Bund sein. Ebenso konnte es sich aber auch um die Forderung nach Kompensationszahlungen durch den Bund an die Länder handeln, wie etwa bei dem „Gesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertrags“, dem „Zweiten Gesetz zur Modernisierung des Kostenrechts“ und dem mit ihm verbundenen „Gesetz zur Änderung des Prozesskostenhilfe- und Beratungshilferechts“. Bei den sieben Gesetzen, bei denen es offenbar keine Differenzen wegen der entstehenden Kosten gab, ging es zum einen um Zuständigkeitsfragen im engeren Sinn, zum anderen um Beteiligungsrechte der Länder über den Bundesrat. So schlug der Vermittlungsausschuss beim „Gesetz zur Förderung der Mediation und anderer Verfahren der außergerichtlichen Konfliktbeilegung“ Öffnungsklauseln vor, die es den Ländern ermöglichen sollten, eigene Rechtsverordnungen auf der Basis des Bundesgesetzes zu erlassen. Die andere Variante findet sich etwa beim „Gesetz zur Änderung telekommunikationsrechtlicher Regelungen“, wo die Festschreibung einer Zustimmung des Bundesrates bei bestimmten Rechtsverordnungen des Bundes im Rahmen dieses Gesetzes gefordert wurde. Allerdings ist es durchaus denkbar, dass sich insbesondere spezifische Landesinteressen auch in jenen Bereichen finden lassen, die wir auf der Basis des Tätigkeitsberichts als „sachpolitisch“ eingestuft haben. Das liegt daran, dass sich manche Landesinteressen erst auf der Basis einer vertieften Kenntnis der Gesetzesmaterie erkennen lassen. Dies gilt zum Beispiel für das 2010 im Vermittlungsausschuss beratene „Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes“: Dank der medialen Berichterstattung wird deutlich, dass es bestimmte Länder gab, die ein besonders Interesse an einer Veränderung des Gesetzes hatten, weil die durch das Gesetz betroffenen Wirtschaftsunternehmen, etwa der Solarenergiebranche, bei ihnen besonders stark vertreten sind (z.B. Thüringen, Sachsen).28 Die sachpolitischen Änderungswünsche hinsichtlich einer Begrenzung der Verringerung der Einspeisevergütung für Strom bestimmter Anlagen hatten also einen durchaus handfesten landespolitischen Hintergrund. Dies ist zweifellos auch in etlichen anderen, weniger medial präsenten Anrufungsfällen denkbar, allerdings erst im Wege einer intensiveren Befassung mit dem jeweiligen Fall zu klären. Als Nebeneffekt der Konkretisierung der jeweiligen landespolitischen Gründe, die zur Anrufung des Vermittlungsausschusses geführt haben, wird deutlich, dass die Betroffenheit der Länder keineswegs automatisch zu einer Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes führt. Wie aus Tabelle 2 im Anhang deutlich wird, sind von den 17 Gesetzen, bei denen (ausschließlich bzw. auch) Landesinteressen als Anrufungsgründe identifiziert wurden, sechs Einspruchsgesetze. Bei diesen wiederum sind in jeweils drei 28 Vgl. Sattler, Karl-Otto 2010: Warten auf die Rechnung. Der Vermittlungsausschuss vertagt den Streit um die künftige Förderung von Sonnenstrom, in: Das Parlament, Nr. 25/26 vom 21.6.2010. 13 Fällen finanzielle bzw. kompetenzielle Gründe erkennbar, die (mit) zur Anrufung des Vermittlungsausschusses beigetragen haben.29 Diese Differenzierungs- bzw. Kategorisierungsproblematik tritt, wie bereits angesprochen, verstärkt bei der Frage auf, welche Anrufungsbegehren im Bereich der von uns als „sachpolitische Konflikte“ eingeordneten Fälle denn nun als im engeren Sinne „parteipolitisch“ bzw. von Parteiinteressen der Landesregierungen geprägt sind. Die von uns in Kapitel 2.2. formulierten Indikatoren lassen sich erkennbar auf die Angaben in den Tätigkeitsberichten kaum anwenden; sie sind weitgehend auf tiefergehende Fallstudien bezogen. So ist natürlich zu vermuten, dass parteipolitische Überlegungen keine Rolle gespielt haben dürften, wenn etwa beim „Gesetz zur Fortentwicklung des Meldewesens“ gefordert wird, die Zeit- und Berufssoldaten sollten unter bestimmten Umständen bei einem Umzug von der Meldepflicht befreit werden. Hier spricht alles dafür, dass es sich um einen Änderungswunsch handelte, der aus Sicht der betroffenen Landesverwaltungen eine einfachere Handhabung des Gesetzes für den Bürger bewirken sollte. Anders verhält es sich bei dem Wunsch nach einer „Einschränkung der Verwendung einer einfachen Melderegisterauskunft für Zwecke der Werbung und des Adresshandels sowie Normierung der Notwendigkeit einer Einwilligung der betroffenen Person zu dem jeweiligen Verwendungszweck“. Aber erst wenn man die Mediendiskussion über dieses Gesetz hinzuzieht, wird deutlich, dass hier grundsätzliche programmatische Differenzen zwischen Regierungsmehrheit und Bundesratsmehrheit über den Schutz bzw. die Verwendung personenbezogener Daten eine wesentliche Rolle gespielt haben könnten. Ebenso sehr parteipolitisch motiviert könnte eine Forderung an den Vermittlungsausschuss nach Lösungsvorschlägen für das Problem gewesen sein, dass die Altersversorgung durch das „Gesetz zur Verbesserung der steuerlicher Förderung der privaten Altersversorgung“ nicht „gleichmäßig verbessert“ werde – hier dürfte wohl die inhaltliche Unzufriedenheit der Opposition mit dem Gesetz der Regierung hinter dem Begehren nach einem Vermittlungsverfahren gestanden haben. In den meisten Anrufungsfällen sind parteipolitische Motive allein auf der Basis der Tätigkeitsberichte des Vermittlungsausschusses aber kaum eindeutig identifizierbar. Die Schlussfolgerung, ein hoher Anteil als sachpolitisch eingeordneter Konflikte im Vermittlungsausschusses lasse automatisch auf eine Vielzahl parteipolitisch motivierter Auseinandersetzungen schließen, ist so also nicht zulässig. Die Zahl der Sachkonflikte kann allenfalls als weicher Indikator für die Intensität parteipolitischer Konflikte zwischen Bundesrat und Bundestag in einer Legislaturperiode gelten. 4. Fazit 29 Marcel Beckmann konnte in einer von den Verfassern angeregten studentischen Hausarbeit nachweisen, dass es sich auch bei dem von uns als unklar klassifizierten „Siebten Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ um ein allein aus landespolitischen Gründen angegriffenes Gesetz handelt, ohne dass dieses als Zustimmungsgesetz deklariert wurde. 14 Im Zentrum dieses Beitrags standen zwei Ziele: zum einen, die Analysekategorien „Länderinteressen“ und „Parteipolitik“ näher zu definieren; zum anderen die Nutzbarkeit der Tätigkeitsberichte des Vermittlungsausschusses am Beispiel der 17. Legislaturperiode des Bundestages für die Bestimmung von Länder- bzw. Parteiinteressen bei der Anrufung des Vermittlungsausschusses zu prüfen. Hinsichtlich der präziseren Bestimmung der beiden Kategorien konnten wir zunächst anhand unter anderem der einschlägigen Verfassungsbestimmungen zu den Zustimmungsgesetzen einige Parameter für die präzisere Identifikation von Länderinteressen finden. Von diesen, so unsere Annahme, ist immer dann auszugehen, wenn das fragliche Gesetz entweder Folgen für die Haushalte der Länder hat, in Landeskompetenzen bei der Ausführung von Gesetzen eingreift oder einzelne Länder(gruppen) durch das Gesetz aufgrund spezieller sozio-ökonomischer oder räumlicher Gegebenheiten besonders betroffen sind. Lassen sich bei einer Anrufung des Vermittlungsausschusses Forderungen finden, die sich auf diese Indikatoren beziehen, so ist von einem Konflikt zwischen Länder- und Bundesinteressen auszugehen. Anhand der allgemeinen Ziele parteipolitischen Handelns, die wir speziell auf das Agieren von Parteien in föderalen Systemen übertrugen, gelang es uns außerdem, Indikatoren für parteipolitische Konflikte zu finden. Diese haben wir entlang der Akteursebene, der Inhaltsebene des Gesetzes und der Arenenkonstellation differenziert. Schließlich konnten wir anhand der Anwendung der Parameter beider Kategorien auf die im Bericht zur Tätigkeit des Vermittlungsausschusses in der 17. Wahlperiode feststellen, dass die Berichte gut geeignet sind, landespolitische Motive zu identifizieren. Hinsichtlich der parteipolitischen Interessen, so unser Fazit, gelingt deren Identifizierung insbesondere in Abgrenzung zu administrativen Änderungswünschen der Landesverwaltungen nur schwer. Hier wird die Forschung weiter auf tiefergehende und umfassendere Konfliktanalysen im Wege qualitativer Fallstudien angewiesen sein. Dies gilt ebenso und in besonderem Maße für jene Gesetze, bei denen entweder der Bundesrat eine „grundlegende Überarbeitung“ des Textes bzw. sogar die komplette Aufhebung des Gesetzes forderte oder das Vermittlungsverfahren nach einer Zustimmungsversagung des Bundesrates durch die Bundesregierung oder den Bundestag angerufen wurde. Bei diesen Fällen ist allein auf der Basis der Tätigkeitsberichte keine begründete Kategorisierung möglich.30 Beispielhaft sei hier ein kurzer Blick auf das „Siebente Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“ geworfen. Die möglicherweise naheliegende Vermutung, einen allgemeinen Änderungswunsch des Bundesrates stets als parteipolitisch motiviert zu betrachten, wird bei näherer Betrachtung des Diskussionsverlaufs zu diesem Gesetz in Bundesrat und Bundestag widerlegt. Tatsächlich handelt es sich hierbei allein um Differenzen über finanzielle Zuschüsse des Bundes über die Landeshaushalte an die Kommunen zur Finanzierung von Unterkunfts- und Heizungskosten für Hartz IV Empfänger. Insofern ließen sich hier keinerlei parteipolitische oder administrative Motive hinter der Anrufung erkennen. Vielmehr war es die Unzufriedenheit der Landesfinanzminister mit der Höhe der Bundesbeteiligung, die jährlich angepasst wird, vgl. BRat-Drs. 635/1/10; BR-PlProt. 876, S.427; BRPlProt. 880 S.80. 30