Bewusstsein und Körper Nahtod-Forschung Der Blick ins Jenseits ist seit jeher ein Menschheitstraum. Doch wo der Tod beginnt, bestimmen heute vor allem die Ärzte. Die Grenze zwischen Leben und Tod ist dabei oft unscharf, selbst wissenschaftlich nur schwer zu bestimmen. Sterben ist ein Prozess. Ein Fluss, den der Sterbende durchschwimmt und aus dem er auch wieder zurück ins Leben kommen kann. Durch die moderne Medizin gibt es viele Menschen, die so "zurückgekehrt" sind. Einige von ihnen berichten von unglaublichen Dingen: Erfahrungen aus dem verschwommenen Grenzbereich zwischen Leben und Tod. Solche Nahtod-Erfahrungen sind außergewöhnliche Erlebnisse, die das Leben des "Nahtod-Erlebers" häufig stark verändern. So war es auch bei dem jungen Architekten Jens Scherzer. Lange Jahre hat er sein Erlebnis verschwiegen, aus Angst für verrückt gehalten zu werden. Es geschah, als er noch ein Kind war, auf einem Reitausflug in den Ferien. Mit seinem Pferd kommt er der Landstraße zu nahe, als ein Reisebus heranschießt. Sein Pferd scheut und er wird vor den Bus geschleudert. Was dann passierte schildert er so: "Als ich auf die Straße gefallen bin, sehe ich noch den Bus und dann hat sich meine Wahrnehmung komplett verändert, dass heißt ich hab dann mich plötzlich fallen und liegen sehen, von oben, aus einer, ja so zwei, drei Meter über mir stehenden Perspektive, und sah so, wie der Bus auf mich zurast. Und als der Bus kurz vor mir war, hat sich die Wahrnehmung wieder verändert, in so eine Art Tunnel rein, eine Tunnelröhre, mit lauter Bildern außen rum und am Ende ganz helles Licht, das mich richtig angezogen hat. Und da bin ich durch, habe dann unglaublich viele Bilder gesehen, aus meinem vergangenen Leben und, wie ich jetzt weiß, auch aus meinem damals zukünftigen Leben, und bin also weiter auf dieses Licht zu, das war ein ganz tolles, irgendwie herrliches Gefühl, also Glücksgefühl, Wärme, Geborgenheit. Und kurz bevor ich in dem Licht war, spüre ich einen harten Ruck an meinem Körper, und sehe mich wieder aus meiner normalen Perspektive, wie ich am Boden lieg und der Bus mich gerade noch mit seinem letzten Ausrollen antippt." Nahtod-Erlebnis ohne Verletzung Jens Scherzer bleibt unverletzt. Er war also nicht in körperlicher Lebensgefahr. Doch allein die Gewissheit dem Tod sehr nah zu sein, kann wohl bereits ein Nahtod-Erlebnis auslösen. Zu diesem Schluss kommt auch Michael Schröter-Kunhardt, einer der wenigen Nahtod-Forscher in Deutschland. Seine Methoden sind aber unter Wissenschaftlern durchaus umstritten, ebenso wie seine Ergebnisse. Denn für ihn haben die Nahtod-Erlebnisse häufig eine übersinnliche Qualität. "Das sind wahrscheinlich eben die ersten beginnenden Prozesse, in den das Gehirn sozusagen seine Beschränkungen überschreiten kann," sagt Michael Schröter-Kunhardt, "weil eben der Tod droht und damit eben auch möglicherweise die Seele den Körper verlassen muss, und damit dieses Dimension in der wir jetzt leben sozusagen eben überschreitet. Das sind natürlich meine Thesen, die kann man nicht beweisen, aber man kann sie eben mindestens genauso gut postulieren wie die These, dass jetzt alles nur Hirnforschung oder Hirnbiologie ist." In erster Linie Glaubensfrage Ob es eine vom Körper losgelöste Seele gibt, ist natürlich in erster Linie eine Glaubensfrage. Doch die meisten Wissenschaftler meinen, die NahtodErfahrungen auch ohne diesen Ausflug ins Übersinnliche erklären zu können: mit der Funktionsweise unseres Gehirns. Für den Neurologen und Psychiater Professor Paul Schönle haben die Nahtod-Erfahrungen denn auch wenig Mystisches: "Wir wissen einfach von Berichten von Patienten, dass all diese Phänomene, die von NahtodErlebern berichtet werden, auch von Patienten berichtet werden, dass heißt, das sind Reaktionen, die das Gehirn auch üblicherweise hat und die wir selbst als Gesunde auch machen können, nur fehlt uns dann, sagen wir mal, das was Außenrum ist, also das primäre Erlebnis dazu." Gehirn schafft sich seine Realität Allein die Lebensgefahr könnte im Gehirn also die Nahtod-Erlebnisse entstehen lassen. Besonders in der Bewusstlosigkeit, wenn nur wenige Informationen zu uns dringen. Dann erschafft sich das Gehirn seine Realität nämlich häufig selbst. Eine Art Traum, in den vielleicht ein paar Geräusche aus der Umgebung einfließen. Den eigenen Körper verlassen Sogar das Verlassen des eigenen Körpers lässt sich so erklären. Denn es gibt spezielle Hirnregionen, die uns die Fähigkeit geben, dass wir uns in Gedanken selbst von oben sehen können. Das kennt fast jeder aus Träumen oder Erinnerungen. Im Schock des Sterbens kann es sein, dass nur diese Hirnregionen aktiv sind. Dann kann der Eindruck entstehen, dass man tatsächlich seinen Körper verlässt. Die Situation scheint absolut real - sogar im Nachhinein. Verlässt der Geist den Körper? Dieses Gefühl lässt sich sogar künstlich erzeugen, wenn die entsprechenden Hirnregionen elektrisch gereizt werden. Nach Meinung der Hirnforscher verlässt daher auch kein Geist den Körper. "Der Geist als solches ist ja ein Produkt des Gehirns oder spielt sich im Gehirn zunächst einmal ab." sagt Prof. Paul Schönle, "Und wenn das Gehirn nicht mehr existiert, existiert der Geist, der in diesem Gehirn war auch nicht mehr. Folglich kann der Geist nicht aus seinem Nervenzellsubstrat als der Grundlage von Nervenzellen, seinem Gehirn hinaustreten und woanders immateriell existieren." Unmögliche Erinnerungen Wieso gibt es dann aber immer wieder Berichte, dass sich Patienten an Dinge aus dem OP erinnern, die sie eigentlich nicht wissen können? Kann vielleicht doch - entgegen aller Naturwissenschaft das Bewusstsein den Körper verlassen? Klarheit könnte da bald ein Experiment in England bringen: Dort sollen Nummern-Codes so in OPs angebracht werden, dass sie nur von oben zu sehen sind. Wenn ein Patient diese Codes wiedergeben könnte, wäre das der Beweis, dass er tatsächlich seinen Körper verlassen hat. Denn vom OP-Tisch aus sollen die Zahlen nicht zu sehen sein. Bis dahin bleibt es aber wohl weiter eine Glaubensfrage, ob sich der Geist vom Körper lösen kann - oder nicht. Autor: Patrick Hünerfeld