COPYRIGHT Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Es darf ohne Genehmigung nicht verwertet werden. Insbesondere darf es nicht ganz oder teilweise oder in Auszügen abgeschrieben oder in sonstiger Weise vervielfältigt werden. Für Rundfunkzwecke darf das Manuskript nur mit Genehmigung von DeutschlandRadio / Funkhaus Berlin benutzt werden. DeutschlandRadio Kultur OrtsZeit/NachSpiel Sonntag, 19. März 2006 Sendemanuskript: Frankensteins Kinder erobern den Sport Risiken und Gefahren des Gendopings Von Holger Schück ca. 30’00 Gesamtlänge: 31’33 Wortende: 27’55 Redaktion: Technik: Jörg Degenhardt Hermann Leppich O-Ton 1: (Meldung) „Magdeburg – Die Staatsanwaltschaft wirft Leichtathletiktrainer Thomas Springstein vor, in einer E-Mail das Präparat Repoxygen angefordert zu haben. Das ist ein praktisch nicht nachweisbares Mittel für Gendoping. Die Substanz, die als Medikament nicht zugelassen ist, verankert das EPO-Gen in Muskelzellen. Sie wird nach Einschätzung von Experten offensichtlich schon in Untergrund-Labors hergestellt.“ Diese Meldung schlug Mitte Januar 2006 wie eine Bombe ein. Die Feststellungen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen Thomas Springstein waren die weltweit erste notierte Erkenntnis, dass im Sport eine neue Doping-Pest Einzug gehalten hat. Szenenwechsel: In Berlin lebt ein kleiner Junge, der eine genetische Mutation hat; sie ist angeboren: O-Ton 2: (Sprecherin) „So klein und schon ein wahres Muskelpaket. In der Charité wird ein Berliner Junge behandelt, der mit seiner Genmutation einmalig ist auf der Welt. Weil in seinem Körper der Eiweißstoff Myostatin ausgeschaltet ist, hat er doppelt so stark entwickelte Arm- und Beinmuskeln wie Kinder in seinem Alter. Myostatin reguliert normalerweise das Muskelwachstum. Schon mit vier Jahren konnte der Kleine Drei-Kilogramm-Gewichte halten – und das an jedem seiner ausgestreckten Arme.“ Seine Mutter ist übrigens eine ehemalige Sprinterin. Ist dieser heute sieben Jahre alte Junge der geborene absolut dopingfreie Super-Olympiasieger? ATMO 1 Olympiafanfare Als ideale Sprinter gelten jedenfalls Dunkelhäutige mit westafrikanischen Wurzeln – das ist genetisch bedingt. Sie haben eine größere Knochenmasse; somit mehr Muskelvolumen – und dann mehr schnelle Muskelfasern, mehr sauerstofflose Enzyme, einen erhöhten Testosteronspiegel, also mehr männliche Sexualhormone. Das alles sorgt für Explosivität. So auch bei Asafa Powell. Der Sprinter aus Jamaika ist Weltrekordhalter über 100 m. Was macht ihn so erfolgreich? Asafa Powell gibt zum Besten: O-Ton 4: (Statement Jamaika-Sportler Asafa Powell) Übersetzung: „In erster Linie ist es harte Arbeit. Man sollte auch ein gewisses Talent mitbringen und sich auf seine Ziele konzentrieren. Außerdem muss man sich richtig ernähren. Bei uns gibt es nicht so viel Fast food, sondern wir ernähren uns überwiegend von Gemüse, das in der Erde gewachsen ist…“ Wer’s glaubt?! Aber auch die Marathonläufer aus Ostafrika sind von Natur aus begünstigt: Sie haben eine größere Lungenkapazität, mehr langsame Muskeln, eine schmale Körperstruktur, und sie setzen Sauerstoff effizienter um. Das alles sind genetisch bedingte Vorteile, die den kleinen Unterschied bei einem Top-Athleten ausmachen. An sich! Genforscher wollen diese und andere Begünstigungen im genetischen Material von Menschen nutzbar machen. Tierische und pflanzliche Genmanipulationen haben schon längst stark um sich gegriffen. Resistenter Reis mit hohen Hektarerträgen, Äpfel mit knackiger Farbe und schädlingsresistent, proteinreicher Mais und stärkeoptimierte Kartoffeln sind das Ergebnis von Eingriffen mithilfe der Gentechnik. Und nun ist der Mensch an der Reihe. MUSIK 1: The Sweet – Love is like oxygen (Intro) Schon seit einigen Jahren ist der Mensch ins Visier der Genforscher geraten. So hat die Medizin seit 1989 erhebliche Fortschritte gemacht, um mit gentherapeutischen Verfahren schwere Erbkrankheiten zu heilen. Im weltweiten Wettlauf der pharmazeutischen Labors geht es darum, durch Einbringen eines funktionierenden Gens in die kranken Zellen AIDS zu bekämpfen, aber auch weit verbreitete Volkskrankheiten wie Lungenkrebs, Infektionen sowie Herz- und Kreislaufleiden. ATMO 2 Wettkampfgeräusche Schwimmen Das hat auch Auswirkungen für den Sport: Doping mit Tabletten und Spritzen war gestern! High Tech-Betrug im Sport nach der rasanten Eigendynamik der Biotechnologie ist heute! Und die Horror-Vision, einen Super-Athleten aus perfekten Genen zu konstruieren, scheint morgen Realität zu werden. O-Ton 5: „Wehret den Anfängen,“ fordert der evangelische Theologe und SPD-Bundestagsabgeordnete Steffen Reiche. O-Ton 6: „denn Gendoping, in welcher Form auch immer, ist nicht nur, wie alle Genmanipulationen, unmenschlich, sondern sie ist auch unsportlich.“ Und der Gesundheits- und Sportexperte der FDP-Bundestagsfraktion, Detlef Parr, fordert nicht nur Verbote, sondern einen Bewusstseinswandel: O-Ton 7: „Wir brauchen einen neuen Diskurs in der Öffentlichkeit über Recht und Ethik in der modernen Medizin. Da hatte der Bundestag eine Enquetekommission in den letzten Legislaturperioden eingerichtet. Es gibt einen Nationalen Ethikrat. Und ich denke, diese Gremien sollten sich dringend mit dieser Frage beschäftigen. Es wird die Enquetekommission wahrscheinlich nicht wieder eingerichtet – dann brauchen wir auf parlamentarischer Ebene aber ein entsprechendes Gremium, das diesen öffentlichen Diskurs in Gang setzt.“ Das ist die Tragik der biotechnologischen Revolution: Die Beschleunigung der modernen Wissenschaften wird schon längst nicht mehr mit humanwissenschaftlichen Grenzdämmen getaktet. Vor einigen Monaten noch ferne Utopie ist heute die Manipulation der genetischen Informationen für den Spitzensport ein konkretes Gefahrenpotential. Gendoping wird schon seit einigen Jahren von den kritischen Medien als Schattengespenst, ja, als Horror-Vision des modernen Sports gezeichnet. Und in ehemaligen sowjetischen Labors soll schon längst Anwendungsforschung betrieben werden: geheim und mit Sicherheit auch ohne Skrupel. ATMO 3 Wettkampfgeräusche Sport Manfred von Richthofen, der Präsident des Deutschen Sportbundes, sieht schon heute ein bedrohliches Potential: O-Ton 8: „Das ist eine teuflische Entwicklung, die man natürlich sehr ernst nehmen muss. Und ich plädiere an und für sich dafür, dass man in einer kleinen Arbeitsgruppe sich ausschließlich mit diesen Genmanipulationen zu beschäftigen hat. Das wird ein ernstes Thema für den internationalen Sport. Die WADA, die Weltagentur im Kampf gegen Doping, nimmt sich dieses Themas auch an. Aber wir werden auch national in sehr enger Kooperation mit unseren beiden hervorragenden Instituten in Kreischa und in Köln auch die Voraussetzungen schaffen müssen, um diesen Kampf aufzunehmen.“ MUSIK 2: The Sweet – Love is like oxygen (instrum.) Molekularbiologen haben 30 Gene im Visier, die einen positiven Effekt auf die Leistungsfähigkeit eines Athleten haben können. So werden wohl Schöpfungen von Muskelaufbau- und Wachstumskontroll-Genen die Dopingmittel der naheliegenden Zukunft sein. O-Ton 9: “Man muss sehr, sehr wachsam sein.“ meint Roland Augustin, Geschäftsführer der Nationalen Anti-Doping-Agentur in Bonn. O-Ton 10: “Hier ist es auch sinnvoll, den Sport und die Biochemie im Sport mit anderen biochemischen Einrichtungen zu vernetzen, das heißt auch im Bereich der Deutschen Forschungsgemeinschaft, im Bereich der Grundlagenforschung frühzeitig die Hinweise auch zu geben: Kann es Missbrauch geben, kann es dort Probleme im Bereich des Sports geben: in diesen Entwicklungen, die man bekommt? Das heißt, dass man den Elfenbeinturm schlicht und ergreifend verlässt und miteinander spricht über Entwicklungen, die man hat, und nicht nur einfach in seinem eigenen Fachbereich bleibt.“ Auf die biotechnologische Revolution, die den Sport erobern will, vielleicht sogar in Teilbereichen schon erobert hat, blicken Dopingforscher skeptisch. Das sei Spekulation – meint Prof. Wilhelm Schänzer, ein Biochemiker, Leiter des Doping-Kontrolllabors an der Deutschen Sporthochschule Köln. O-Ton 12: „Gentherapeutische Verfahren sind in der Entwicklung, und es ist im Augenblick noch kein Verfahren für die Therapie beim Menschen erarbeitet und in der Entwicklung, das aus meiner Sicht für den Sport von Interesse sein könnte. Das wäre sicherlich dann der Fall, wenn man ein gentherapeutisches Verfahren für EPO entwickeln würde, also um entsprechende Nierenerkrankungen, wie Anämie, zu behandeln. Das kann sicherlich in ein paar Jahren anders aussehen – vielleicht in fünf, zehn oder 15 Jahren. Aktuell ist es sicherlich so, dass von den vielen Hunderten von Verfahren, die in der gentherapeutischen Entwicklung sind – wobei man sagen muss, dass noch keines zugelassen ist aufgrund der Nebenwirkung und der Problematik –, für den Dopingbereich aktuell aus meiner Sicht keines wirklich positive Effekte versprechen würde.“ Schänzers Meinung orientiert sich am publizierten Forschungsstand von Humangenetikern. Doch andere Dopingexperten meinen: Allein schon das folgende Verfahren ist bereits ziemlich weit entwickelt: ATMO 4 Laborgeräusche Man nehme den Insulin-ähnlichen Wachstumsfaktor IGF-1 als synthetisches Gen und benutze Virenhülsen als Genfähre, also als biologisches trojanisches Pferd, als Überträger. Die mit dem Gen für IGF-1 ausgestatteten Viren werden direkt in den Muskel gespitzt. Die eigenen Gene des Virus werden so manipuliert, dass keine Krankheitserreger oder schädigende Effekte in den Körper kommen. Mit dieser „Außenhaut“ dockt nun das Virus an und entlässt das Erbgut ins Innere der Zelle. Die Folge: Die Muskelmasse vergrößert sich, durch Krafttraining sogar um das Doppelte. Der so transportierte Wachstumsfaktor IGF-1 kann nicht im Blut und Urin nachgewiesen werden; er ist identisch mit natürlichen körpereigenen Substanzen. Der US-Wissenschaftler Professor Lee Sweeney aus Philadelphia testet seit 1998 diese Variante der Gentherapie an Ratten. Und er schuf kleine Nager mit geballter Muskelkraft – durch genetische Manipulation, aber auch hartem Training der Tiere. Sie klettern in ihren Laborkäfigen fix steile Leitern nach oben, während an ihrem Schwanz kleine Gewichte die Übung zusätzlich erschweren. Prof. Sweeney: O-Ton 13: “The virus carried a synthetic gene that allowed the rats to overproduce a growth factor IGF one in the muscle and we had previously shown that IGF one would rapidly drive muscle repair even in the absence of training the muscles get in the order of 15 to 20 per cent bigger and stronger without doing anything. And indeed the genetic manipulation on top of the training basically doubled the strength they would have otherwise and furthermore they were able to maintain it for a much longer period of time once they stopped training.“ Übersetzung: „Ein Virus hat ein künstliches Gen in ihre Muskeln transportiert. Es bildet dort große Mengen eines Wachstumsfaktors namens IGF- 1, der die Reparatur von Muskeln anregt. Selbst ohne Training werden die Muskeln dadurch 15 bis 20 Prozent größer und stärker. Unter dem Training verdoppelt sich der Kraftzuwachs noch einmal, und die Ratten behielten die Muskeln noch lange, nach dem Ende des Trainings.“ 40 Prozent mehr Kraft – das alles dank der Kombination aus Gentherapie und Belastungstraining. Lee Sweeneys Ziel ist es, Menschen mit einer Muskelschwäche zu helfen; die Ergebnisse lassen sich eines Tages wohl auch anwenden, um den Kräfteverlust im Alter zu stoppen. Als Sweeneys Forschungsergebnisse publiziert wurden, hagelte es an der Universität von Pennsylvania E-Mails: Viele Kranke mit Muskelschwäche erhofften sich eine heilende Therapie; und die Hälfte der Anfragen kam von gesunden Leistungssportlern. ATMO 5 Siegerehrung Das besonders Prekäre: Nur durch Muskelbiopsie, also mit Hilfe einer Gewebeprobe, wären das synthetische Gen und sein Überträger aufzuspüren – da allerdings viele Personen mit dem Überträger-Virus infiziert sein können, kann dies kein Doping-Nachweis sein. Muskelbiopsie: Es dürfte einen Aufschrei geben, wenn Sportler bei Trainings- und Wettkampfkontrollen nicht nur Urin und Blut abgeben müssten, sondern ihnen auch ein winzig kleines Stück Muskel entnommen wird. Prof. Lee Sweeney meint: Die praktischen Hürden für eine genetische Betrugsvariante im Sport seien einfach zu hoch. Noch! O-Ton 14: “The technology is not something that an athlete can do in his garage he would have. This has to be made under carefully controlled circumstances theses viral vectors and they have to be injected by whatever route of delivery is not gonna be that simple. The athlete will not able to do this without considerable help. And so I think in a country like this, were the regulations are tight the prospects of this happening any time soon are very far off. I think from the Olympic committee and the sports world sort of point of view the bigger worry are not the tightly regulated countries but countries that are not so tightly regulated.” Übersetzung: “Diese Technik kann ein Sportler nicht einfach in seiner Garage anwenden. Die Viren, die die Gene in den Muskel transportieren sollen, müssen unter sorgfältig kontrollierten Bedingungen erzeugt werden, und sie können auch nicht nur einfach gespritzt werden. Ohne umfassende Hilfe kann das kein Sportler schaffen. Hierzulande, wo die Kontrollen streng sind, wird das nicht so bald möglich sein. Aus der Sicht des Internationalen Olympischen Komitees und des Sports würde ich mir eher Sorgen machen um Länder, die nicht so scharfe Kontrollen haben.“ Professor Wilhelm Schänzer ist skeptisch, dass Sweeneys genetische Manipulationen bei Laborratten auf Menschen übertragbar sind: O-Ton 15: „Ob jetzt IGF-1 wirklich ein Gen ist, was hier gerade auch für den Sport von Interesse sein könnte, das mag noch nicht ganz geklärt sein. Ich bezweifele das so ein bisschen. Und deshalb würde ich im Augenblick sagen: Das mit IGF-1 ist mit Sicherheit noch ein bisschen Zukunftsspekulation. Ob es dann wirklich eine Substanz ist, die hier Dopingeffekte dann bewirken kann, das ist aus meiner Sicht nicht ganz gesichert. Beim Wachstumshormon gilt das im übrigen im gleichen Maße: Es steht zwar auf der Liste drauf, auch IGF-1.“ Die Liste – das ist die Anti-Doping-Liste der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) und ihres deutschen Ablegers NADA. Noch ist diese Form des gentechnischen Betrugs sehr teuer: US-Medien schätzen die Kosten einer Dosis auf eine Million Dollar. Zumindest dürfte eine Genmanipulation dieser Art bestimmt 100.000 Dollar kosten. NADAGeschäftsführer Roland Augustin: O-Ton 16: „Die Preise zeigen auch, wie wenig weit das ganze Material entwickelt ist. Das heißt: Es sind Produkte, die wirklich in einem sehr, sehr frühen Stadium einer kommerziellen Anwendung sind. Aus diesem Bereich heraus kann man schon argumentieren und, ich glaube, zu Recht argumentieren, dass diese Produkte noch nicht eine Marktreife letztendlich erreicht haben. Man muss sehr, sehr wohl im Auge behalten, was im Bereich der klinischen Medizin sich an Entwicklungen ergibt.“ MUSIK 3: Lucio Battisti – questione di cellule Durch Gendoping ist aber auch zielgerichtet die körpereigene Synthese von Hormonen zu erreichen. Beispiel zwei: Das Nierenhormon Erythropoietin, abgekürzt: EPO. Mit dieser synthetisch hergestellten Droge ist der ProfiRadsport in den letzten Jahren stark manipuliert worden. EPO kann nun durch gentherapeutische Maßnahmen in Körpern von Lebewesen sogar nach Bedarf ausgeschüttet werden. Das Gen, das EPO kodiert, wurde in Viren verpackt an Affen getestet; es sorgt für eine große Zunahme an roten Blutkörperchen, die den Sauerstoff im Körper verteilen und die Ausdauerleistung stärken. Das EPO-Gen ist auch in den menschlichen Körper einschleusbar. Prof. Wilhelm Schänzer weiß: O-Ton 17: „Ja, es gibt hier Daten, die im Tierexperiment ermittelt worden sind: bei Mäusen, es gibt das auch beim Affen, wo man durch so ein gentherapeutisches Verfahren dann die entsprechenden Informationen in die Erbinformation eingebracht hat, dass das Tier dann vermehrt EPO produziert. Es hat jetzt auch in jüngster Zeit eine Publikation gegeben, wo man überlegt oder vielmehr vorschlägt, das langfristig auch beim Menschen entwickeln könnte und einsetzen könnte: nämlich als Medikation oder zur Behandlung von Nierenkranken.“ Offiziell noch nicht. Doch niemand hat den richtigen Durchblick, was Pharmakonzerne schon alles entwickeln. Jedenfalls sehen sie für diese biotechnologischen Neuheiten einen Riesenmarkt. Tests haben sogar ergeben: Man kann vor dem EPO-Gen ein Regulator-Gen hängen, das mit einer speziellen Hautcreme aktiviert wird. Lässt die Wirkung der Salbe nach, schaltet sich auch das EPO-Gen vorübergehend aus. Prof. Wilhelm Schänzer: O-Ton 18: „Das könnte sicherlich dann, wenn es entwickelt wird, zu einer Leistungsmanipulation im Sport missbraucht werden. Das wäre sicherlich dann ein Problem, was sich für den Sport stellen würde. Ich denke mal, aktuell ist es noch nicht verfügbar. Jetzt, die Verfahren, die im Tierexperiment gemacht worden sind, auf Menschen zu übertragen: Ich denke, das ist dann schon ein Verfahren, was sicherlich hoch-, höchstgefährlich ist. Gut, man kann es nicht ausschließen, dass jemand in selbstmethodischer Absicht das anwendet. Ich glaube nicht, dass es dann auch schon direkt effektiv ist. Das Problem ist ja dann, es zu kontrollieren. Und da sind die Nebenwirkungen gerade bei solchen gentherapeutischen Verfahren sicherlich sehr hoch.“ Roland Augustin von der NADA denkt in den Betrugs-Szenarien eher pragmatisch: O-Ton 19: „Vorausgesetzt, dieses System funktioniert tatsächlich, hat man auch da wieder den Klassiker: Man hat eine Creme, die das ganze aktiviert. Wenn man weiß, welche Cremes dafür verwendet werden, ist es relativ einfach, sich Gedanken darüber zu machen, wie man da an diese Cremes kommt und wie man da auch deren Wirkstoffe nachweisen kann. Auch da kann man Möglichkeiten und Wege gehen.“ Prof. Wilhelm Schänzer warnt davor, dass die somatische Gentherapie, also zur Behandlung von Krankheiten, mit EPO schon bald Realität sein könnte: O-Ton 20: „Das hört sich auch sehr negativ an, sehr schlecht für die Kontrollen an. Es hat allerdings die französische Arbeitsgruppe um Francois Lasne in Paris, die ja auch das Verfahren zum EPO-Nachweis im Urin entwickelt hat, bereits entsprechende Untersuchungen bei Affen durchgenommen, die mit diesem EPO-therapeutischen Verfahren so in dieser Art behandelt worden sind. Dabei hat sich dann gezeigt, dass dieses EPO in der Muskelzelle gebildet worden ist und nicht in der Niere, wie es normalerweise üblich ist. Und das hat dann – wir sagen dazu – einen anderen Zuckerbesatz, ein anderes Verhalten in unserer Analytik. Also, in der Hinsicht hat man dann auch schon eine Möglichkeit, das nachzuweisen.“ Die neuen Varianten der biochemischen Manipulation, die möglich sind, bedeuten ohne Zweifel einen Methodenwechsel. Mussten dopingwillige Sportler bisher klammheimlich Hormonpräparate in Tablettenform schlucken oder sich beschwerlich EPO aus Ampullen spritzen, so lassen sich wohl schon jetzt Gene relativ unkompliziert in den menschlichen Körper einpflanzen. Die in den Organismus injizierten Erbfaktoren sorgen sehr lange für Nachschub. ATMO 6 Sportgeräusche Das ist an sich schon eine Horror-Vision: Denn die gesundheitlichen Risiken sind in ihrer Gesamtheit weder zu erkennen noch beherrschbar. Auf alle Fälle: Der Sportler bliebe nach einer somatischen Gen-Behandlung lebenslänglich ein manipulierter Mensch. Bei aller Skepsis: Wissenschaftler, allesamt internationale Genforscher, wollen Licht in dieses Dunkelfeld bringen. Die Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) hat Experten wie Professor Sweeney als Berater verpflichtet, den GendopingSumpf auszutrocknen, bevor er sich überhaupt so richtig entwickelt. WADAChef Richard Pound aus Kanada ist sich ziemlich sicher: O-Ton 21: “What we like to do in this new branch of science is to be there early to help in the formation in the regulation of it make sure that the ethics are considered. And generally to be there as things happen. The World Anti Doping Code at the moment includes gene transfer technology as a banned practice. We are not sure that we can detect it in fact today, it would be quite difficult and today we don’t have to worry about it, we are starting to.” Übersetzung: “Bei diesem neuen Ansatz wollen wir von Anfang an dabei sein, damit Regelungen beschlossen werden und die Ethik beachtet wird. Die weltweiten Anti-Doping-Regeln beinhalten schon jetzt ein Verbot der Genmanipulation. Aber wir könnten das überhaupt nicht nachweisen. Heute müssen wir uns noch keine Sorgen machen, aber wir fangen an, beunruhigt zu sein.“ Allerdings: Genmanipulationen dieser Art allein bringen natürlich niemanden aufs Siegertreppchen. Ohne hartes Training nützt auch ein genetisch aufgeblähter Muskel nichts. Rein gar nichts! Jedoch: Genau wie die klassischen Dopingmittel können gentechnische Eingriffe darüber hinaus das I-Tüpfelchen auf der Jagd nach Medaillen bilden: also, die entscheidende Hundertstel Sekunde, das Quentchen mehr Ausdauer und Kraft, der Zentimeter mehr. MUSIK 4: Alan Parsons Project – The tell-tale heart Der nächste Schritt auf der Skala der Möglichkeiten wäre dann Doping durch keimbahnverändernde Therapien. Das sind vor der Geburt vorgenommene Eingriffe am Erbgut. Sie sind weltweit verpönt – zu Recht. Manipulationen dieser Art werden an die nächsten Generationen weitergegeben. Eine global verbindliche öffentliche Kontrolle müsste jede privatwirtschaftliche Verwertung menschlicher Gene untersagen, damit keine vierarmigen Pianisten erschaffen oder etwa im Sport Drei-Meter-Frauen für den Hochsprung, Schützen mit Adleraugen und Schwimmer mit Häuten zwischen den Fingern kreiert werden. ATMO 7 Wettkampfgeräusche Schwimmen Der Supersportler als King Kong-Kampfmaschine? O-Ton 22: „Das sind wirklich absolute Horror-Szenarien.“ meint Roland Augustin, der NADA-Geschäftsführer: O-Ton 23: „Dieser Bereich geht sehr massiv auch in die Ethik der Medizin, in die Ethik der Biochemie und in die komplette Ethik der Wissenschaft. Und da ist man momentan auch noch sehr gut beraten, daran nicht zu rütteln, daran nicht zu rühren und diese Dinge eben nicht zu machen. Ich warne wirklich davor, hier einzugreifen: Dann maßt man sich als Mensch an, über Leben und Tod und letztendlich zu entscheiden, welches Leben lebenswert ist und welches nicht. Und diese Diskussion möchte ich nicht erleben.“ Und in seinem Kölner Dopingkontrolllabor kommt Prof. Wilhelm Schänzer ins Grübeln: O-Ton 24: „Keimbahn-Manipulation ist wirklich eine Sache, die man natürlich versucht, durch ethische Vorgaben auszuschließen. Aber ganz ausschließen wird man es vielleicht doch nicht können. Ich denke, dass ist auch eine Horror-Vision, die vielleicht in den nächsten Jahren auch noch nicht Früchte tragen wird. Das ist nicht sehr einfach, so etwas zu manipulieren. Wenn Spitzensportler sich verheiraten und dann Kinder zeugen, ist es auch schon eine Selektion. Das ist natürlich keine Manipulation in dem Sinne. Bis das mal greifen wird? Ich wage das im Augenblick nicht abzusehen. Da kann man spekulieren. Das ist Stoff für Romane, für Filme.“ Sport und Politik meinen: Diese biotechnologische Hexenküche sei unbedingt zu versiegeln. Schließlich wäre der Frankenstein-Athlet das Ergebnis eines besonders pervertierten, menschenverachtenden Experiments; er wäre ein Übermensch, der sich nicht mehr zu dopen braucht, weil er bereits als gedoptes Wesen in die Welt käme. ATMO 8 Fanfare Siegerehrung Sport Wehret den Anfängen! Das fordert die Politik hierzulande unisono. Detlef Parr, FDP-Parlamentarier, zeigt sich entrüstet: O-Ton 25: „Wir haben uns als Bundestag schon der weltweiten Ächtung des Reproduktionsklonens angeschlossen. Es ist ein Unding, dass man in die Keimbahn eingreift und damit Folgen erzeugt, die nicht wünschenswert sind. Wohl müssen wir das therapeutische Klonen weiter unterstützen. Da haben wir diese Diskussion um die embryonale Stammzellenforschung; wir haben ein Embryonenschutzgesetz, das hier enge Grenzen setzt.“ ATMO 9 Olympiafanfare Turin Experten rechneten schon bei den Olympischen Winterspielen 2006 in Turin mit den ersten Dopingsündern, die verbotenes Gen-Tuning anwenden. Doch entdeckt wurde nichts – was nicht unbedingt heißen muss, es habe nichts gegeben. Der Vorsitzende des Sportausschusses des Deutschen Bundestages, der SPDAbgeordnete Peter Danckert, fordert ein schnelles Handeln von Staat und Sport: O-Ton 26: „Ich finde gerade das Stichwort Gendoping besonders wichtig, weil es zeigt, dass die, die hier Manipulationen oder kriminelle Machenschaften betreiben, immer einen Schritt voraus sind. Und wir laufen hinterher. Und wir müssen auch im Bereich von Gendoping als Gesetzgeber eingreifen, um diese Form der Manipulation, der Leistungssteigerung zu unterbinden und damit auch für fairen Sport zu sorgen.“ Genetische Manipulationen in exzessiver Form könnten das Menschsein in gravierender Weise zerstören – so sieht es der evangelische Pfarrer und SPDBundestagsabgeordnete Steffen Reiche aus Cottbus: O-Ton 27: „Hier braucht es Halte-Signale, und hier braucht es vor allem auch das Zusammenhalten aller Menschen, die an dieser Stelle um ihre Verantwortung wissen und die wissen: Wer den Anfängen nicht wehrt, der kommt auf die schiefe Bahn und der wird eine Entwicklung mit zu verantworten haben, die eben den Sport im Kern kaputt macht. Wohin das führen kann? Da gibt es ja eine sehr alte Prognose, die man sich angucken kann in Aldous Huxleys „Schöne neue Welt“. Der Mensch scheint es erstmals auf seiner langen kulturhistorischen Wegstrecke in der Hand zu haben, aus sich ein Wesen zu machen, das nicht mehr menschlich ist. ATMO 10 Laborgeräusche Auf alle Fälle: Schöpfungen von Muskelaufbau- und Wachstumskontroll-Genen werden die Dopingmittel der nahen Zukunft sein. Wissenschaftler und Funktionäre aus den USA rechnen bei den Olympischen Spielen 2008 in Peking mit den ersten Gendopern, die mit der neuen cleveren, hochgefährlichen Variante des Dopings betrügen wollen – gerade in der Kernsportart Leichtathletik, die ja schon seit Jahrzehnten für gigantische DopingBetrugsmanöver anfällig ist. Ben Johnson, Katrin Krabbe, Tim Montgomery, Kostas Kenteris stehen stellvertretend für eine ganze Galerie von Manipulateuren. Der Vizepräsident des Leichtathletik-Weltverbandes, Prof. Helmut Digel aus Tübingen, spielt die Drohkulisse der Apokalypse herunter: O-Ton 28: „Ich sehe diese Gefahr derzeit nicht. Wir haben internationale Kongresse zu dieser Frage durchgeführt. Ich denke, gerade die naturwissenschaftlichen Experten innerhalb des IOC und der Weltsportverbände sind bezogen auf diese Frage bestens vorbereitet. Und wir werden auch dieses Problem, wenn es denn wirklich zum Tragen kommt, mit entschiedenen Lösungen bekämpfen. Ich habe da derzeit keine große Sorge, dass wir von diesem Problem belastet sein werden.“ MUSIK 5: Kraftwerk – Die Mensch-Maschine Was bleibt? Frust oder Hoffnung? Wohl beides. Konsequenzen sind nötig, Kontrolle allein genügt nicht: Es gibt keine Alternative dazu, den grenzenlosen Wachstumsfetischismus zu stoppen, weil er schon heute fast ausschließlich nur durch betrügerische Manipulation zu füttern ist. Anti-Doping-Konventionen oder –Codes sind allenfalls als Lesestoff hilfreich; sie ändern nichts an der Grundmisere. So sieht es auch Detlef Parr, Gesundheits- und Sportexperte der Freien Demokraten im Deutschen Bundestag: O-Ton 33: „Wir müssen den Grundsatz „Höher, schneller, weiter“ auf den Prüfstand stellen. Ich glaube, dass „Höher, schneller, weiter“ für den Sport nicht mehr absolut gelten darf. Wir unterziehen uns einem Diktat der Zahl, schauen wie gebannt auf Ergebnistafeln. Und wenn dann Hundertstel Sekunden Verbesserungen erscheinen, Weltrekorde erscheinen, Europarekorde erscheinen, jubelt das Stadion und heizt damit im Grunde genommen dieses „Immer höher, immer schneller, immer weiter“ an. Ich weiß nicht, ob man sich wieder zurückbesinnen sollte auf den Wert des Sports an sich, den Wert des Wettbewerbs, des Messens miteinander, den Wettkampf zu genießen und nicht sich absolut an der Zahl zu orientieren.“ MUSIK 6: Kraftwerk – Die Mensch-Maschine Musikliste: The Sweet – Love is like oxygen (Scott/Griffin) Sweet Publ. Polygram – edel LC 7719 Lucio Battisti – Questione di cellule, von der Import-CD: “Io tu noi tutti” (Battisti/Mogol) Numero Uno, PD 70147 The Alan Parsone Project – The tell-tale heart (Woolfson-Parsons) Mercury 832 820-2 Kraftwerk – Die Mensch-Maschine (Hutter, Bartos/Hutter) Electrola LC 4513