Karl Kraus

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Deutsche Literatur V – Seminar
Mgr. Ing. Jindra Broukalová
Wintersemester 2005
Karl Kraus
(1874 – 1936)
Die letzten Tage der Menschheit
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I.
Der Schriftsteller
Karl Kraus
Das Bild des jungen Kraus
Karl Kraus wurde am 28. April 1874 in Jičín als neuntes Kind eines Kaufmanns und
Papierfabrikanten geboren. Was sein Studium betrifft, waren für Kraus die Studienjahre an der
philosophischen Fakultät am wichtigsten. Auf Wunsch seines Vaters begann Kraus im Jahre 1892
an der juristischen Fakultät der Wiener Universität zu studieren, aber er war kein ordentlicher
Student. Anstatt die Vorlesungen zu besuchen, verbrachte er die meiste Zeit seines Studiums in
einem Wiener Café, wo viele junge Literaten zusammentrafen – im Café Griensteidl. Unter den
Besuchern dieses Cafés kann man auch solchen Namen begegnen wie z.B. Arthur Schnitzler,
Hugo von Hofmannsthal oder Hermann Bahr. Der junge Kraus war mit der Atmosphäre in
diesem literarischen Kreis nicht völlig einverstanden. Er sah in den Meinungen von den anderen
Literaten meistens nur leere Phrasen – in einem Brief an A. Schnitzler schrieb er davon: Ich hasse
und hasste diese falsche, erlogene „Decadence“, die ewig mit sich selbst coquettiert. Ich bekämpfe und werde immer
bekämpfen: die posierte, krankhafte, onanierte Poesie! Dazu kann man sagen, dass Kraus diesen Worten
treu war und sein weiteres Leben diesem Ziel wirklich widmete.
Dort, wo die anderen ihre wirklichen Meinungen hinter verschiedenen schönen Worten
verbergen, fürchtet Kraus nicht, seine Ansicht klar zu äußern, auch wenn es ihm viele
Unannehmlichkeiten bringen sollte. Ohne diesen Charakterzug kann man sich weder den jungen
noch den älteren Kraus, den Autor der Fackel, vorstellen.
Die ersten ernsteren Schwierigkeiten ließen nicht lange auf sich warten. Kraus stellte sich
nämlich sehr bald gegen eine anerkannte Persönlichkeit des Wiener literarischen Lebens – gegen
Hermann Bahr. Was Kraus an Bahr nicht gefallen hat, war seine chamäleonhafte
Verwandlungsfähigkeit und seine Reklamesucht. Hier muss man erwähnen, dass ähnliche
Chamäleonhaftigkeit später auch Kraus selbst vorgeworfen wurde. Dies geschah im
Zusammenhang mit seiner Konversion und späterem Austritt aus der Kirche, oder mit seinen
politischen Ansichten – das zeigt sich auch in dem Drama Die letzten Tage der Menschheit.
Der Inzident mit Hermann Bahr war auf keinen Fall der letzte seiner Art. Kraus wollte
nicht schweigen, er wollte nicht nur zuhören, während die anderen Leute ihre Meinungen der
allgemeinen Massenansicht anzupassen versuchten. Er wollte offen sagen, was sich in seinem
Gehirn und in seinem Herzen verbarg. Das machte er später in der eigenen Zeitschrift, in der
Fackel, deren erste Nummer im Jahre 1899 erschien.
Die Arbeit an der Fackel machte viele Persönlichkeiten zu Feinden des Herausgebers. In
seinem Leben traf er aber auch eine Menge Leute, mit denen er befreundet war, und es waren auf
keinen Fall unbekannte Namen – z.B. Adolf Loos, Sidonie Nadherny, oder Peter Altenberg.
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Kraus als Vorleser
Das Vorlesen war ein sehr wichtiger Moment im Kraus´ Leben. Seine öffentliche
Tätigkeit begann zwar mit einer Theateraufführung von Schillers Räubern im Jahre 1893, als er
19 war, wo er die Gestalt des Franz Moor spielte. Es war aber ein Misserfolg.
Die erste öffentliche Vorlesung hielt er noch in dem selben Jahre, d.h. 1893 und es war
viel erfolgreicher als die erwähnte Theatervorstellung. Hier begann Kraus´ Vorlesungstätigkeit,
die ihn eigentlich das ganze Leben begleiten werden sollte. Erst etwa zwei Monate vor dem Tod
im Jahre 1936 kam es zu der letzten, der 700. Vorlesung. Seine Vorlesungen hatten verschiedene
Themen – er las seine eigenen Werke, aber auch Werke von anderen Autoren. Manche
Vorlesungen wurden auch anderen Literaten ganz gewidmet – z.B. P. Altenberg, J.W. Goethe,
J. Paul u.a.
Die Beziehung von Kunst und Geschäft
Karl Kraus war immer gegen die Verbindung von Kunst und Geschäft. Man kann sich
also nicht wundern, dass Kraus zu keinem ordentlichen Journalisten werden konnte, denn in der
Redaktion von jeder Zeitung gab es Leute, die den Gewinn zum Ziel ihrer Arbeit machten. Die
Lage ging so weit, dass Kraus ab 1911 der einzige war, der für die Zeitung Beiträge schrieb. Es
war im Jahre 1897, als Kraus sich entschloss, seine eigene Zeitschrift zu gründen.
Die Kritik an dem Zustand der zeitgenössischen Literatur äußert Kraus in seinem ersten
Werk – Die demolierte Literatur. Hier wurden viele Persönlichkeiten der Wiener literarischen
Welt porträtiert und kritisiert. Es geschieht aber auf eine sonderbare Art und Weise – Kraus
benützte hier Stellen aus ihren eigenen Werken, so dass sie eigentlich durch sich selbst lächerlich
gemacht wurden. Das hatte selbstverständlich eine viel größere Wirkung als alle vorstellbaren
kritischen Artikel über die Schriftsteller.
Kraus und die Fackel
Das erste Heft der Fackel erschien am 1. April 1899. Vielleicht ist es für den heutigen
Menschen schwer sich vorzustellen, wie das Erscheinen einer neuen Zeitschrift damals auf die
Öffentlichkeit wirkte. In der Monographie über Karl Kraus von Paul Schick gibt es folgende
Beschreibung, die uns ermöglicht, die Atmosphere des damaligen Wiens zu spüren: „Eines Tages,
soweit das Auge reicht, alles – rot. Einen solchen Tag hat Wien nicht wieder erlebt… Auf den
Straßen, auf der Tramway, im Stadtpark, alle Menschen lesen aus einem roten Heft.“
Das immense Interesse hatte natürlich vor allem darin seine Quelle, dass Kraus schon in
dem ersten Heft der Fackel alles unerschrocken angriff, was er bis jetzt nicht tun durfte – weil er
in einer Redaktion angestellt war und musste sich den Gesetzen anpassen, die von den Chefen
festgelegt worden waren.
Dass er die Großen und Mächtigen angegriffen hatte, blieb für ihn natürlich nicht ohne
Gefahr. Es kam sogar auch zu einem physischen Überfall. Kraus selbst machte sich über die
negativen Folgen der Fackel eine Statistik:
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Anonyme Schmähbriefe – 236
Anonyme Drohbriefe – 83
Überfälle - 1
Welche Konsequenzen das Erscheinen der Fackel nach sich zog und welche
Auswirkungen diese Zeitschrift für die Atmosphäre in Wiener literarischen Kreisen hatte, zeigt
ein weiteres Zitat aus der Monographie über Karl Kraus:
„Trotz aller Mittel, welche die vereinten Börsenjobber und Journalisten aller
Konfessionen zu opfern bereit waren, erwiesen sich alle Versuche, Kraus zu erledigen, als
unwirksam. Die Konkurrenzblätter gingen infolge Talentlosigkeit ein, das Theaterstück (ein
Lustspiel, in dem Kraus von seinen Gegnern verhöhnt wurde) musste nach einigen Tagen abgesetzt
werden. Die Fackel bestritt eine Zeitlang das ganze Geistesleben. Sie verdunkelte Theater, Politik
und Literatur, sie war selbst Alles in Allem. Wen wird sie morgen treffen? war die ständige Frage
in der Zeit dieser gedruckten Schreckenherrschaft. Die Fackel gehörte zum Straßenbild. Man
grüßte damals: Wie stehen Sie mit Kraus?“
II.
Das Drama
Die letzten Tage der Menschheit
Formales
Das Werk Die letzten Tage der Menschheit ist kein Drama im richtigen Sinne, oder besser
gesagt, in dem Sinne, wie man sich heute meistens ein Drama vorstellt. Schon die Länge des
Stückes ist ein Grund dafür, dass es sich um eine auf der Bühne fast unrealisierbare Tragödie
handelt. Karl Kraus selbst hat von seinem Drama Folgendes gesagt: „Die Aufführung des
Dramas, dessen Umfang nach irdischem Zeitmaß etwa zehn Abende umfassen würde, ist einem
Marstheater zugedacht.“ Und wirklich war er selbst auch dagegen, dass es auf der Bühne realisiert
werden sollte. Alle Angebote von renomierten Regisseuren lehnte er ab.
Kraus fürchtete, dass eine Bühnenaufführung seines Dramas die tiefen Gedanken nicht
zum Ausdruck bringen könne, und dass es für die Zuschauer zu einem bloßen
Unterhaltungsstück würde. Abgesehen davon gibt es aber bei der Realisation viele
unüberwindliche technische Hindernisse. Schon die Menge der Gestalten oder der
Handlungsorte ist unglaublich und es gehört eben zu den charakteristischen Zügen des Dramas.
Wenn dies also verändert würde, wäre es nicht mehr dasselbe Drama.
Es wird von den Letzten Tagen meistens als von einem Lesedrama gesprochen. Der Autor
aber sah es anders. Auch wenn er es verboten hatte, das Stück in seiner Zeit aufzuführen, hoffte
er, dass es in der Zukunft die Theatertechnik und der ganze Gesellschaftszustand ermöglichen
wird, das Drama aufzuführen. Später hat er sogar selbst das Werk überarbeitet und eine
Bühnenfassung vorbereitet, und zwar für eine geplante Aufführung einer sozialistischen
Theatergruppe in Wien. Zu dieser Vorstellung kam es jedoch nicht.
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Die Letzten Tage der Menschheit ist ein dokumentarisches Drama. Der ganze Text wird durch
eine Menge Szenen gebildet, die unterschiedlich umfangreich sind. Es gibt Szenen, die mehr als
drießig Seiten füllen, es gibt aber auch solche, die nur aus einem einzigen Wort bestehen. (z.B. die
28. Szene des zweiten Aktes enthält eine einzige Interjektion: „Bumsti!“). Die einzelnen Szenen
bilden zusammen eine umfangreiche Beschreibung des Gesellschaftszustandes in der Zeit des
ersten Weltkrieges. In der Sekundärliteratur spricht man oft von einem „Panorama des
Schreckens des Krieges“.
In dem Text findet man an zahlreichen Stellen verschiedene Gedichte, sogar auch
Notenaufzeichnungen von ein paar Liedern, die von den Protagonisten gesungen werden. Im
Allgemeinen kann also gesagt werden, dass es um eine Montage geht.
Insgesamt gibt es in dem Drama fünf Akte, ein Vorspiel und einen Epilog. Die einzelnen
Akte sollen dabei den einzelnen Hauptphasen des ersten Weltkrieges entsprechen.
Jeder der fünf Akte beginnt auf dieselbe Art und Weise – wir befinden uns in Wien auf
dem Ringstraßen-Korso, wo unter einer Menge der Bewohner Wiens ein Zeitungsverkäufer in
dem Wiener Dialekt laut ausruft: „Extraausgabee! Extraausgabee!“ Meistens berichtet er gleich
von einem bedeutenden Geschehnis, das sich abgespielt hatte, was eigentlich die Bewegung in
der Zeit andeuten soll – z.B.
1.Akt - das Attentat auf den potentionellen Thronfolger Ferdinand im Juni 1914
2. Akt – die Kriegserklärung Italiens im Jahre 1915
5. Akt – die Kapitulation Bulgariens im Jahre 1918.
Das Geschehen auf dem Ringstraßen-Korso ist jedoch nicht das einzige Motiv, das sich
in dem ganzen Werk wiederholt. Etwas Ähnliches bilden in dieser Hinsicht die Dialoge des
Nörglers mit dem Optimisten. Es wurden lange Aufsätze geschrieben, die sich um eine
Interpretation vor allem der Gestalt des Nörglers bemühen. Manche Wissenschaftler sind der
Meinung, dass diese Figur eigentlich den Autor Karl Kraus selbst symbolisiert, es gibt aber auch
andere Literaturforscher, die diesen Standpunkt bestreiten.
Auch andere Gestalten sind interessant. Es gibt ein allgemeines Problem, dass Karl Kraus
in dem Werk Personen auftreten ließ, die noch am Leben waren und die damals Teilnehmer an
dem politischen Leben nicht nur von Österreich waren. Weil aber nicht alle von diesen zu Kraus
Anhängern gehörten (ganz im Gegenteil), bedeutete es für den Schriftsteller große Gefahr. Es
gab damals in Österreich sogar ein Gesetz, nach dem keine Personen, die noch am Leben sind,
zum Objekt eines Theaterstücks werden dürfen. Dieses Problem wurde jedoch von Kraus außer
Acht gelassen.
Dies war aber notwendig, wenn das Drama zu einem realistischen Werk werden sollte.
Kraus selbst drückte es in den oft zitierten Worten folgendermaßen aus: „Die
unwahrscheinlichsten Taten, die hier gemeldet werden, sind wirklich geschehen; ich habe gemalt,
was sie nur taten. Die unwahrscheinlichsten Gespräche, die hier geführt werden, sind wörtlich
gesprochen worden; die grellsten Erfindungen sind Zitate.“
Oft ist es auch so, dass anstatt Menschen nur ihre Eigenschaften auftreten oder dass die
Menschen auf bloße Marionetten reduziert werden. Häufig gibt es also Gestalten, die
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ausgesprochen absurd wirken - Zum Beispiel im Epilog treten nicht eine Frau und ein Mann in
Gasmasken auf, sondern „weibliche Gasmaske“ und „männliche Gasmaske“. Im zweiten Akt in
der 28. Szene gibt eis einen einzigen Protagonisten auf der Bühne – „eine Stimme, die „Bumsti“
ruft“. Weiter begegnen wir auch z.B. folgenden Gestalten: „einer Toilettenfrau“, „einem
Mädchen mit dem Säbel“, „einem Offizier ohne den Säbel“, „einem jungen Mann mit Gürtelrock
und weissen Gamaschen“, oder auch dem „ungenannt sein wollenden Herrn Oberleutnant, der in
Schaumanns Apotheke, Stockerau, zu Gunsten des Roten Kreuzes den Betrag von i K erlegt
hat“.
Neben Menschen werden auch Tiere oder Marionetten zu Protagonisten von Kraus´
Drama. zum Beispiel in dem fünften Akt in der 25. Szene findet man folgende Personen auf der
Bühne: das Mammut, die Zieselmaus, das Walross, das Nashorn, den Kaiman oder den Leguan.
Das Werk hat also keine Hauptfigur, keinen Protagonisten, dessen Schicksal die Leser
beim Lesen des Buches verfolgen könnten. Das Werk hat sogar eigentlich keine Handlung, wenn
wir den ersten Weltkrieg selbst nicht für eine Handlung halten wollen. Und schlieβlich gibt es in
dem Werk auch keinen Ort, der zum Hauptort der (nicht vorhandenen) Handlung erklärt werden
könnte. Auf den ersten Blick würde man sagen, dass sich die alten antiken Dramatiker mit allen
ihren Einheiten der Tragödie im Grabe einigemal umdrehen müssten, wenn sie so was lesen
sollten. Aber der Schwerpunkt der Letzten Tagen der Menschheit liegt nicht in der formalen Seite,
sondern in der Idee des Werkes.
Die Sprache
Was die Sprache betrifft, ist das Werk nicht einheitlich. Damit sollte nicht gesagt werden,
dass der Autor in seiner Arbeit nicht konsequent wäre und dass er aus Versehen Fehler begangen
hätte, die sich in der Sprache des Dramas spiegeln würden. Ganz im Gegenteil. Wie auch im
persönlichen Leben, war Kraus auch bei der Arbeit an den Letzten Tagen der Menschheit sehr
sorgfältig und es sieht so aus, dass er sich wirklich auch mit kleinsten Detaillen abgefasst hatte.
In dem Werk findet man ganze Reihe von Sprachregistern, dass man zwar bewundert ist,
wie genau es die Atmosphere der jeweiligen Szene und die Charakter der jeweiligen Personen
illustriert, auf der anderen Seite ist es aber für einen Menschen, dessen Muttersprache nicht
Deutsch ist, ganz schwierig, wenn nicht unmöglich, alle diese Sprachregistern, alle Schattierungen
des Wiener Dialekts richtig zu verstehen und wirklich schätzen zu können.
Die Entstehung des Dramas
Kraus begann im Jahre 1915 an den Letzten Tagen zu arbeiten. Bis zur Fertigstellung des
Werkes dauerte es ungefähr sieben Jahre – die engültige, finale Version erschien im Jahre 1922.
Es wurde schon erwähnt, dass Karl Kraus auch in seinem persönlichen Leben sehr sorgfältig war,
und es ist von ihm bekannt, dass es ihm sogar Spaß machte, die von ihm schon geschriebenen
Artikel, Aufsätze oder auch längere Texte noch einigemal durchzulesen und zu korrigieren, wenn
nicht zu überarbeiten, was sehr oft der Fall war.
Bevor die finale Fassung gedruckt erschien, bekamen die Leser schon früher die
Möglichkeit, das neue Werk ein wenig kennenzulernen, oder mindestens festzustellen, woran
Kraus arbeitet und was sie erwarten können. Einige Szenen wurden nämlich schon in der
Vorkriegszeit erschienen, und zwar in der Fackel. Wenn man auch dieses zu der
Entstehungsgeschichte des Werkes rechnen sollte, würde es dann heißen, dass der ganze
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Entstehungsprozess der Letzten Tagen der Menschheit eigentlich zehn Jahre umfasste – von dem
Jahre 1913, als die ersten Szenen in der Fackel abgedruckt worden waren bis 1922 (das Jahr der
finalen Version).
Vielleicht ist es normalerweise nicht so wichtig zu wissen, wie lange ein Werk entsteht. Im
Falle von den Letzten Tagen ist es aber von großer Bedeutung, denn es ist ein Werk über den
Krieg. Und ein Werk über den Krieg muss sich selbstverständlich mit der politischen Situation
beschäftigen. Stellen wir uns einen Menschen vor, der in der Zeit von einem so großen
internationalen bewaffneten Konflikt lebt, wie es die Zeit des ersten Weltkriegs ohne Zweifel
war, und dazu noch einen so intelligenten Menschen wie Karl Kraus, ist es uns klar, dass sich
seine politischen Ansichten im Laufe des Krieges ein Bisschen verändert haben müssen. Es ist
wahr, dass es bei Kraus etwas weiter ging, denn er änderte seine politische Anschauung ganz
bedeutend, und umso größeren Einfluss muss dies auch auf das Werk haben, dass in der
Zeitspanne von zehn Jahren geschrieben wurde.
Am Anfang war Kraus Angehöriger der konservativen Seite. Später war aber Kraus
enttäuscht, als er sah, in welcher Richtung sich die Politik der österreichischen Führungsschicht
begab. Das führte zu einer Neigung zu den Sozialdemokraten. Schließlich wurde er zum
hartnäckigen Gegner der christlich-sozialen Partei, die die Wahlen nach dem Krieg gewonnen
hatte. Das machte ihm zu einem radikalen Republikaner.
Der Inhalt und die Sendung
Ganz allgemein kann man von dem Drama Die letzten Tage der Menschheit sagen, dass es ein
Drama über und gegen den Krieg ist. Auch wenn hier gesagt wurde, dass Karl Kraus während
der Arbeit an dem Stück seine politischen Anschauungen geändert hatte, blieb sein
Hauptgedanke der selbe – der Krieg ist auf keinen Fall eine optimale Lösung der internationalen
politischen Situation, der Krieg sollte sich auf der Ebene der Worte abspielen, nicht auf der
Ebene der Waffen, der Krieg bedeutet eine Niederlage der ganzen Menschheit.
Eines der Themen des Werkes ist die Heuchelei mancher Bevölkerungsschichten – vor
allem z.B. der Journalisten. Sie nehmen die großen Ereignisse, wie zum Beispiel die Ermordung
Franz Ferdinands, ganz ruhig und sagen davon Folgendes: „a bisserl a Aufmischung – gar nicht
schlecht – kann gar nicht schaden – höxte Zeit”. Sie haben endlich etwas, wovon sie in die
Zeitung Aufsätze schreiben können, und das reicht ihnen.
Die Leute scheinen nicht begreifen zu können, dass sie auch Akteure der großen und
schrecklichen Ereignisse sind, dass es sich um das Schicksal ihrer selbst und ihrer eigenen Nation
handelt. Nach Kraus ist ihre Stellung, die sie zum Krieg einnehmen, der eines Voyeuren gleich.
Was alles hat sich durch den Krieg deutlich gezeigt, das wird zum Thema des Epilogs.
Das ganze Werk endet nämlich mit einer fast apokalyptischen Szene, in der die Menscheit
ausstirbt, besser gesagt aufhört zu existieren, und zwar durch einen Angriff aus dem Kosmos.
Darin wird die Idee ausgesprochen, dass die Menschheit ihres Erdendaseins nicht würdig ist, und
das sie dieses Existenzrecht bestreitet, in dem sie es zugelassen hatte, dass es zu dem Krieg kam.
Was heißt das aber, das die Menschheit durch den Kosmos zerstört wurde? Es heißt, dass
es noch eine höhere Macht, eine höhere Autorität gibt, die die Aufgabe hat, kosmische Ordnung
aufrechtzuerhalten. Die Menschheit auf dieser Erde hat ihre Chance verschwendet. Zur
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Illustrierung dieses Gedankens kann man den letzten Satz des ganzen Dramas nehmen, den die
Stimme Gottes ausspricht: „Ich habe es nicht gewollt“. Es ist natürlich auch eine Anspielung auf
die Worte Wilhelms des II., mit denen sich Kaiser Wilhelm II. von seiner Mitverantwortung am
Krieg freizusprechen versucht hat.
Verwendete Literatur:
Karl Kraus: Die letzten tage der Menschheit, Suhrkamp Verlag am Main 1986
Edward Timms: Karl Kraus, Satiriker der Apokalypse, Franz Deuticke Verlaggesellschaft
m.b.H., Wien 1995
Paul Schick: Karl Kraus – mit Selbstzeugnissen und Bilddokumenten, Rowohlt
Taschenbuch Verlag, Hamburg 1965
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