Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 $Id: taylor.tex,v 1.4 2015/04/17 12:45:09 hk Exp $ $Id: integral.tex,v 1.33 2015/04/17 12:54:26 hk Exp $ §1 Taylorpolynome und Taylorreihen 1.2 Taylorreihen Zum Abschluß dieses einleitenden Kapitels wollen wir noch kurz die sogenannte Taylorreihe behandeln. In der Taylorformel in der Form des I.§12.Satz 16 betrachtet man ein Taylorpolynom n X f (k) (x0 ) (x − x0 )k Tn (x) = k! k=0 zur Approximation einer geeigneten gegebenen Funktion f , wobei x0 der Entwicklungspunkt und n die Ordnung der Entwicklung sind. Der Approximationsfehler war dann als f (n+1) (ξ) (x − x0 )n+1 f (x) − Tn (x) = (n + 1)! für ein ξ zwischen x0 und x gegeben. Die Taylorreihe entsteht indem wir zu unendlicher Ordnung übergehen, also das Taylorpolynom durch die Potenzreihe T (x) := ∞ X f (n) (x0 ) n=0 k! (x − x0 )n ersetzen, dies ist dann die sogenannte Taylorreihe von f zum Entwicklungspunkt x0 . In günstigen Fällen stimmt die Taylorreihe für Argumente x ausreichend nahe beim Entwicklungspunkt x0 mit der Funktion f überein. Damit die Taylorreihe überhaupt definiert ist muss die Funktion f unendlich oft differenzierbar sein, aber dies reicht nicht aus um die Gleichheit von f und T sicherzustellen. Beispielsweise kann man sich überlegen, dass die Funktion ( 2 e−1/x , x 6= 0, f : R → R; x 7→ 0, x=0 unendlich oft differenzierbar mit f (n) (0) = 0 für alle n ∈ N ist, die Taylorreihe von f zum Entwicklungspunkt x0 = 0 ist also T (x) = 0 und stimmt bis auf x = 0 nirgends mit f überein. Wir schauen uns nun einige Beispiele von Taylorreihen an und beginnen mit der sogenannten binomischen Reihe, die oft auch als Newtonsche Reihe bezeichnet wird. Sei α ∈ R und betrachte die Potenzfunktion fα : (−1, 1) → R; x 7→ (1 + x)α . 2-1 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 Wir wollen ihre Taylorreihe T zum Entwicklungspunkt x0 = 0 berechnen. Für jedes n ∈ N ist die n-te Ableitung von fα offenbar als fα(n) (x) = α · (α − 1) · . . . · (α − n + 1)(1 + x)α−n gegeben. Für n = 0 müssen wir dieses leere Produkt wie üblich als 1 interpretieren. Als Koeffizienten unserer Taylorreihe ergeben sich (n) fα (0) α · . . . · (α − n + 1) = . n! n! Es ist üblich für diese Zahlen eine spezielle Notation einzuführen. Für n, m ∈ N mit n ≤ m haben wir m m! m(m − 1) . . . (m − n + 1) = = , n n!(m − n)! n! und dies legt es nahe für alle n ∈ N und beliebiges α ∈ R den verallgemeinerten Binomialkoeffizienten α α · . . . · (α − n + 1) := n n! einzuführen. Für n = 0 soll dies, wie schon bemerkt, gleich Eins sein. Für α ∈ N stimmen die verallgemeinerten Binomialkoeffizienten im Fall n ≤ α mit dem üblichen Binomialkoeffizienten überein, und im Fall α < n wird der Ausdruck zu Null. Die Taylorreihe von fα schreibt sich damit als ∞ X α n T (x) = x n n=0 und wir behaupten das für jedes x ∈ (0, 1) stets fα (x) = T (x) gilt. Sei also x ∈ R mit 0 < x < 1 gegeben. Für jedes n ∈ N gibt es nach dem Satz von Taylor I.§12.Satz 16 ein ξn mit 0 < ξn < x < 1 und n X α k f (n+1) (ξn ) n+1 α x = fα (x) − x = (1 + ξn )α−(n+1) xn+1 . k (n + 1)! n + 1 k=0 Wähle y ∈ R mit x < y < 1 und ein n0 ∈ N mit n0 ≥ 1 und y α+1 < 0< 1− n x für alle n ∈ N mit n ≥ n0 . Für jedes n ∈ N mit n ≥ n0 haben wir dann auch n+1 Y n n X α α α + 1 x k α (1 + ξn ) x = 1− fα (x) − k n 1 + ξn k 0 k=0 k=n0 +1 n Y α α α+1 (1 + ξn )α xy n , (1 + ξn )α xn0 +1 ≤ x · 1 − ≤ k n0 n0 k=n +1 0 2-2 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 und 1 < 1 + ξn < 2, es gibt also eine Konstante C ≥ 0 mit n X α k x ≤ Cy n fα (x) − k k=0 für alle n ∈ N mit n ≥ n0 , nämlich 2α α · x, α ≥ 0, n C := α 0 · x, α < 0. n0 Wegen 0 < y < 1 ist (y n )n∈N −→ 0 und somit ist T (x) = ∞ X α n=0 n xn = fα (x) = (1 + x)α . wie behauptet. Tatsächlich gilt diese Gleichung auch für x ∈ R mit −1 < x < 0, allerdings ist unsere Darstellung des Approximationsfehlers in der Taylorformel nicht gut geeignet dies einzusehen. Daher werden wir dies mit einem indirekten Argument nachweisen das keine explizite Abschätzung des Approximationsfehlers benötigt. Wir wissen das die Potenzreihe ∞ X α n T (x) = x n n=0 für 0 < x < 1 konvergiert, sie hat also nach I.§11.Lemma 16.(a) einen Konvergenzradius r ≥ 1. Nach I.§12.Satz 5 ist T : (−1, 1) → R damit eine differenzierbare Funktion mit ∞ X α T (x) = (n + 1) · xn n + 1 n=0 0 für alle x ∈ (−1, 1). Für alle x ∈ (−1, 1) ist somit auch ∞ X α α n (1 + x)T (x) = (n + 1) x + (n + 1) · xn+1 n + 1 n + 1 n=0 n=0 X ∞ α α α = + (n + 1) +n xn , 1 n + 1 n n=1 0 ∞ X und verwenden wir das für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 stets α α α · . . . · (α − n + 1) · (α − n) α · . . . · (α − n + 1) (n + 1) +n = +n· n+1 n n! n! α α = (α − n + n) =α n n 2-3 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 gilt, so wird dies zu ∞ X α n (1 + x)T (x) = α + α x = αT (x) n n=1 0 für alle x ∈ (−1, 1). Die Hilfsfunktion h : (−1, 1) → R; x 7→ T (x)(1 + x)−α erfüllt also h0 (x) = T 0 (x)(1 + x)−α − αT (x)(1 + x)−(α+1) = ((1 + x)T 0 (x) − αT (x))(1 + x)−(α+1) = 0 für jedes x ∈ (−1, 1), ist also nach Lemma 1 konstant. Wegen h(0) = 1 ist damit für jedes x ∈ (−1, 1) stets h(x) = 1, d.h. T (x) = (1 + x)α . Damit haben wir α (1 + x) = ∞ X α n=0 n xn für |x| < 1 gezeigt. Als ein konkretes Beispiel ist etwa √ 1/2 1 + x = (1 + x) = ∞ X 1/2 n=0 n xn für alle x ∈ (−1, 1). Für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 ist dabei 1/2 = n − 1 · . . . · 21 − (n − 1) (1 − 2) · (1 − 4) · . . . · (1 − 2(n − 1)) = n! 2n · n! (2n − 2)! 1 · 3 · . . . · (2n − 3) = (−1)n−1 n n−1 = (−1)n−1 n 2 · n! 2 ·2 · n! · (n − 1)! (2n)! , = (−1)n−1 n 4 · (2n − 1) · n!2 1 2 · 1 2 und dies gilt auch im Fall n = 0. Damit haben wir √ 1+x= ∞ X n=0 (−1)n+1 (2n)! für |x| < 1. 4n · (2n − 1) · n!2 Auch die Berechnung der Taylorreihe ist oftmals möglich ohne explizit Ableitungen der Funktion zu bestimmen. Um dies einzusehen, beginnen wir mit einer kleinen Vorüberlegung. Angenommen wir haben einen Entwicklungspunkt x0 ∈ R und eine reelle Potenzreihe ∞ X f (x) = an (x − x0 )n n=0 2-4 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 mit positiven Konvergenzradius r > 0. Nach I.§12.Satz 5 ist f auf dem Konvergenzintervall I := (x0 − r, x0 + r) differenzierbar mit der Ableitung 0 f (x) = ∞ X (n + 1)an+1 (x − x0 )n n=0 für alle x ∈ I und diese hat wieder den Konvergenzradius r. Wenden wir dies ein weiteres Mal an, so ergibt sich das f auch zweifach differenzierbar mit der zweiten Ableitung ∞ X f 00 (x) = (n + 1)(n + 2)an+2 (x − x0 )n n=0 für alle x ∈ I ist und diese hat ebenfalls Konvergenzradius r. Iterierte Anwendung dieser Überlegung liefert das f unendlich oft differenzierbar ist und für alle k ∈ N und alle x ∈ I ist die k-te Ableitung von f in x durch die Potenzreihe f (k) (x) = ∞ X n (n + 1) · . . . · · · (n + k)an+k (x − x0 ) = n=0 ∞ X (n + k)! n=0 n! an+k (x − x0 )n mit dem Konvergenzradius r gegeben. Insbesondere gilt für jedes k ∈ N stets f (k) (x0 ) = k! · ak , d.h. die Taylorreihe von f im Entwicklungspunkt x0 ist f selbst. Wir betrachten nun den Arcustangens. Wir wissen das dieser differenzierbar mit der Ableitung 1 d arctan x = dx 1 + x2 für alle x ∈ R ist. Diese Ableitung können wir als geometrische Reihe schreiben, für jedes x ∈ R mit |x| < 1 ist auch | − x2 | < 1 also wird ∞ X 1 = (−1)n x2n . 2 1+x n=0 Wie gerade festgestellt ist diese Funktion unendlich oft differenzierbar und gleich ihrer Taylorreihe im Entwicklungspunkt x0 = 0. Damit ist auch der Arcustangens unendlich oft differenzierbar und für jedes n ∈ N mit n ≥ 1 haben wir ( (−1)(n−1)/2 (n − 1)!, n ist ungerade, dn dn−1 1 = arctan x = dxn x=0 dxn−1 x=0 1 + x2 0, sonst. Die Taylorreihe des Arcustangens wird damit zu T (x) = ∞ X (−1)n 2n+1 x 2n + 1 n=0 2-5 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 mit dem Konvergenzradius 1. Wir behaupten das diese Potenzreihe auf ihrem Konvergenzkreis mit dem Arcustangens übereinstimmt. Hierzu betrachte die Differenz arctan −T . Diese ist in (−1, 1) differenzierbar mit ∞ X d 1 (arctan x − T (x)) = − (−1)n x2n = 0 dx 1 + x2 n=0 für alle x ∈ (−1, 1), also ist die Funktion arctan −T nach Lemma 1 konstant. Andererseits ist sie im Entwicklungspunkt x0 = 0 gleich Null, also arctan −T = 0 und es folgt ∞ X (−1)n 2n+1 arctan x = x 2n + 1 n=0 für alle x ∈ R mit |x| < 1. §2 Integralrechnung In diesem Kapitel wollen wir die Integration reeller Funktionen f : [a, b] → R besprechen. Es gibt verschiedene Möglichkeiten den Integralbegriff informell einzuführen. Die wohl wichtigste dieser Möglichkeiten ist die Interpretation des Integrals als eine kon” tinuierliche R Summe“. Aus dieser Richtung kommt auch das für Integrale verwendete Symbol “ das sich aus einem gestreckt geschriebenen S“ für Summe“ entwickelt ” ” ” hat. Das Urbeispiel für unsere kontinuierlichen Summen“ ist der Begriff der Arbeit. ” Wir denken uns ein sich bewegendes Objekt auf das zum Zeitpunkt t eine Kraft F (t) wirkt. Da wir nur reellwertige Funktionen behandeln wollen, nehmen wir an das diese Kraft immer dieselbe Richtung hat und daher als Zahl interpretiert werden kann. Außerdem nehmen wir der Einfachheit halber an, dass das Objekt sich mit konstanter, zu Eins normierter, Geschwindigkeit bewegt, so das wir keinen Unterschied zwischen Zeitabschnitten und in diesen zurückgelegten Wegstücken machen müssen. Die von der wirkenden Kraft geleistete Arbeit von einem Zeitpunkt t = a bis zu einem Zeitpunkt t = b, beziehungsweise genauer längs des in diesem Zeitabschnitt zurückgelegten Wegs, ist dann die Summe“ über die F (t) für a ≤ t ≤ b. Dies ist keine Reihensumme im ” Sinne des I.§5 des letzten Semesters, auf der mathematischen Seite brauchen wir also eine neue Definition. Wir diskutieren zunächst einmal die anzustellende heuristische Überlegung. Schauen wir uns erst einmal den einfachsten Fall an, dass die wirkende Kraft F (t) = F konstant ist. Die Arbeit ist dann einfach W = Kraft · zurückgelegte Strecke, also W = F · (b − a) da wir zwischen Zeitabschnitten und Strecken keinen Unterschied machen wollten. 2-6 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 F(t) Den allgemeinen Fall einer sich zeitlich ändernt=b den Kraft wollen wir auf diesen einfachen Fall zurückführen“. Zu diesem Zweck denken wir uns ” das Zeitintervall von a bis b in kleine Teilstücke t [a, t1 ], [t1 , t2 ], [t2 , t3 ], . . ., [tn−1 , b] zerteilt, also a =: t0 < t1 < t2 < . . . < tn−1 < tn := b. Auf jedem dieser Teilabschnitte [ti−1 , ti ] approximieren t=a wir die wirkende Kraft durch einen Mittelwert“ ” Fi , und tun so als würde längs [ti−1 , ti ] konstant diese Kraft Fi wirken. Dieses Teilstückchen trägt dann zur Arbeit den Anteil Fi (ti −ti−1 ) bei, und durch Summation über alle Teilstücke erhalten wir eine Näherung W ≈ n X Fi (ti − ti−1 ) i=1 der Arbeit W . Führen wir jetzt in irgendeinem Sinne den Grenzwert nach immer R b feiner werden Zerteilungen durch, so sollten diese Näherung gegen die Arbeit W = a F (t) dt konvergieren. Wir werden das Integral durch eine etwas formalere Version dieser Überlegung definieren. Zuvor schauen wir uns aber noch eine alternative Interpretation des Integrals an. In der Näherungssumme für W können wir jeden Summanden Fi (ti − ti−1 ) als die Fläche des Rechtecks der Breite ti −ti−1 und der Höhe Fi interpretieren. Damit wird die Fläche im Fall Fi < 0 mit einem Vorzeichen versehen. Beim Grenzübergang zu immer feineren Zerteilungen entsteht dann die Fläche unterhalb des Graphen von F . Dabei werden unter der x-Achse liegende Teile der Fläche negativ gezählt. Eine weitere hiermit verwandte Interpretation des Integrals ist es Integration als Mittelung P zu interpretieren. Das arithmetische Mittel von Zahlen a1 , . . . , an ist bekanntlich (1/n) nk=1 ak und beim Übergang zu kontinuierlichen Summen wird Z b 1 F (t) dt b−a a zum Mittel der Funktion F über das Intervall [a, b]. Die Interpretation des Integral als einer Fläche ist für unsere Zwecke nicht weiter wichtig, historisch war sie aber eine der 2-7 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 Motivationen zur Einführung des Integrals. Es gab auch noch eine zweite Grundmotivation eher rechnerischer Natur. Das Integral löst die einfachste Differentialgleichung y 0 (t) = f (t) erster Ordnung deren rechte R t Seite nicht von y abhängt, die Lösung der Gleichung mit y(a) = b ist y(t) = b + a f (s) ds. Tatsächlich wird auch die Lösung allgemeinerer Differentialgleichungen oftmals als deren Integration bezeichnet. Als eine Folgerung ergibt sich die Berechnung von Integralen über Stammfunktionen, die sich dann natürlich als die wichtigste Methode hierfür herausstellt. Trotzdem sollte man sich Stammfunktionen nicht als Bestandteil der Definition des Integrals vorstellen, sie dienen zur Berechnung von Integralen aber nicht dazu zu sagen was Integrale sind. 2.1 Das Rieman Integral Es gibt eine ganze Reihe verschiedener Integralbegriffe, diese unterscheiden sich nicht in den Werten von Integralen sondern darin welche Funktionen überhaupt integrierbar sind. Wir wollen hier das sogenannte Rieman Integral diskutieren, da dieses recht nahe an der Idee zerteilen und Grenzwert nach immer feineren Zerteilungen bilden“ liegt. ” Wir beginnen mit einigen Grunddefinitionen. Definition 2.1 (Zerlegungen eines Intervalls) Seien a, b ∈ R mit a < b. Eine Zerlegung von [a, b] ist ein Tupel α = (t0 , t1 , . . . , tn ) reeller Zahlen mit a = t0 < t1 < . . . < tn = b. Meist schreiben wir Zerlegungen nicht als Tupel, sondern in der Form a = t0 < . . . < tn = b“. Die Zahl n nennen wir die Anzahl ” der Teilintervalle der Zerlegung und für 1 ≤ i ≤ n ist [ti−1 , ti ] das i-te Teilintervall der Zerlegung. Schließlich heißt die Zahl δ(α) := max (ti − ti−1 ), 1≤i≤n d.h. die maximale Länge eines Teilintervalls der Zerlegung, die Feinheit der Zerlegung. Wir führen noch eine kleine Variante des Zerlegungsbegriffs ein. Definition 2.2 (Zerteilungen eines Intervalls und Riemansummen) Seien a, b ∈ R mit a < b. Eine Zerteilung von [a, b] ist ein Paar ζ = (t0 , . . . , tn ; s1 , . . . , sn ) bestehend aus einer Zerlegung (t0 , . . . , tn ) von [a, b] und Punkten si ∈ [ti−1 , ti ] für 1 ≤ i ≤ n. Wir nennen α = (t0 , . . . , tn ) die zu ζ gehörende Zerlegung und δ(ζ) := δ(α) die Feinheit der Zerteilung ζ. Ist schließlich f : [a, b] → R eine Funktion, so definieren wir die zur Zerteilung ζ von [a, b] gehörende Riemansumme von f als n X R(f ; ζ) := f (si ) · (ti − ti−1 ). i=1 Oft werden wir äquidistante Zerlegungen verwenden, d.h. Zerlegungen bei denen alle Teilintervalle dieselbe Länge haben. Ist n ≥ 1, so gibt es offenbar genau eine äquidistante Zerlegung von [a, b] in n Teilintervalle, nämlich α = (t0 , . . . , tn ) mit b−a b−a tk = a + k · für 0 ≤ k ≤ n, also δ(α) = . n n 2-8 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 Es ist technisch hilfreich neben den Riemansummen noch einen mit diesen verwandten Begriff einzuführen, die sogenannten Ober- und Untersummen einer Zerlegung. Mi mi t i−1 Riemansumme R(f ; ζ) ti Zur Unter- und Obersumme Definition 2.3 (Untersummen und Obersummen einer Zerlegung) Seien a, b ∈ R mit a < b und f : [a, b] → R eine beschränkte Funktion. Sei α = (t0 , . . . , tn ) eine Zerlegung von [a, b]. Für jedes 1 ≤ i ≤ n seien dann mi := inf f ([ti−1 , ti ]), Mi := sup f ([ti−1 , ti ]). Die zur Zerlegung α gehörende Unter- beziehungsweise Obersumme von f sind dann S(f ; α) := n X mi · (ti − ti−1 ) (Untersumme), i=1 S(f ; α) := n X Mi · (ti − ti−1 ) (Obersumme). i=1 Ist die Funktion f stetig, so sind Unter- und Obersummen nach I.§11.Satz 13 auch Riemansummen bezüglich der Zerlegung α, für allgemeinere Funktionen muss dies nicht unbedingt der Fall seien. Untersumme Obersumme 2-9 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 Wir wollen drei kleine Beispiele durchgehen. Zunächst nehme an, dass f : [a, b] → R eine konstante Funktion ist, etwa f (x) = c für alle x ∈ [a, b]. Für jede Zerlegung α = (t0 , . . . , tn ) ist dann offenbar S(α) = S(α) = n X c(ti − ti−1 ) = c(b − a), i=1 und auch jede Riemansumme dieser Funktion liefert denselben Wert. Als nächstes betrachten wir die Funktion f : [a, b] → R; x 7→ x wobei a, b ∈ R mit a < b sind. Sei α = (t0 , t1 , . . . , tn ) eine beliebige Zerlegung von [a, b]. Sei nun 1 ≤ i ≤ n, und wir wollen die Zahlen mi und Mi berechnen. Dabei ist mi der kleinste Funktionswert von f (x) = x für ti−1 ≤ x ≤ ti , und dies ist natürlich einfach der Wert an der linken Seite des Intervalls, also mi = ti−1 . Ebenso ist der größte Funktionswert von f (x) = x in diesem Intervall gleich dem Funktionswert an der rechten Seite, d.h. Mi = ti . Unterund Obersumme bezüglich dieser Zerlegung ergeben sich als S(α) = S(α) = n X mi (ti − ti−1 ) = n X i=1 i=1 n X n X Mi (ti − ti−1 ) = i=1 ti−1 (ti − ti−1 ), ti (ti − ti−1 ). i=1 Es ist S(α) ≤ S(α) und wir wollen uns überlegen, wie weit sich diese beiden Zahlen voneinander unterscheiden. Hierzu betrachten wir die Differenz von Ober- und Untersumme n X (ti − ti−1 )2 . S(α) − S(α) = i=1 Wie groß kann dies maximal werden? Um dies zu sehen ziehen wir den größtmöglichen Wert der Abstände ti − ti−1 aus der Summe heraus, also S(α) − S(α) = n X i=1 2 (ti − ti−1 ) ≤ max (ti − ti−1 ) · 1≤i≤n n X (ti − ti−1 ) = δ(α) · (b − a). i=1 Wie schon bemerkt sind die Ober- und die Untersumme beides auch Riemansummen bezüglich der gegebenen Zerlegung. Als eine weitere Riemansumme schauen wir uns die Zerteilungspunkte si := (ti + ti−1 )/2 für 1 ≤ i ≤ n an. Ist dann ζ = (α; s1 , . . . , sn ), so ergibt sich die Riemansumme R(ζ) = n X ti + ti−1 i=1 2 n n b2 − a2 1X 1X 2 2 (ti − ti−1 ) = (ti + ti−1 )(ti − ti−1 ) = (ti − ti−1 ) = . 2 i=1 2 i=1 2 Ziehen wir die Summe gleich im ersten Schritt auseinander, so folgt das die Riemansumme auch S(α) + S(α) R(ζ) = 2 2-10 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 das arithmetische Mittel von Unter- und Obersumme ist. Als unser letztes Beispiel betrachten wir eine etwas merkwürdige Funktion, die sich aber schön einfach behandeln läßt. Sei ( 1, x ∈ Q, f : [0, 1] → R; x 7→ 0, x ∈ / Q, die sogenannte Dirichlet Funktion. Sei α = (t0 , . . . , tn ) eine Zerlegung von [0, 1]. Sei 1 ≤ i ≤ n. Wir behaupten das dann mi = 0 und Mi = 1 sind. Hierzu müssen wir uns nur klarmachen, dass es für alle a, b ∈ R mit a < b stets eine rationale Zahl ζ ∈ Q und eine irrationale Zahl η ∈ R\Q mit ζ, η ∈ (a, b) gibt, und dies wollen wir als ein kleines Lemma formulieren. Im Beweis des Lemmas werden wir wiederum benötigen das√es überhaupt eine irrationale Zahl gibt, ganz konkret behaupten wir das die Wurzel 2 irrational ist. Dies ist √ eines der klassischen Beispiele eines Beweises durch Widerspruch. √ Nehme also an das 2 rational, also ein Bruch ganzer Zahlen, ist. Wegen 2 > 0 gibt √ es dann natürliche Zahlen p, q ∈ N mit p, q ≥ 1 und 2 = p/q. Durch eventuelles Auskürzen können wir dabei annehmen das p und q teilerfremd sind. Wegen 2= √ 2 2 = p2 ist p2 = 2q 2 , q2 d.h. p2 ist gerade. Da das Quadrat ungerader Zahlen wieder ungerade ist, muss daher auch p selbst gerade sein, d.h. es gibt eine weitere natürliche Zahl r ∈ N mit p = 2r, also insbesondere r ≥ 1. Es folgt 2q 2 = p2 = (2r)2 = 4r2 , also q 2 = 2r2 und somit ist auch q 2 gerade. Genau wie bei p folgt das damit auch q gerade ist, d.h. p und √ q haben den gemeinsamen Teiler 2, ein Widerspruch. Dieser Widerspruch zeigt das 2∈ / Q irrational sein muss. Damit können wir zum angekündigten Lemma kommen. Lemma 2.1: Seien a, b ∈ R mit a < b. (a) Es gibt eine rationale Zahl q ∈ (a, b) zwischen a und b. (b) Es gibt eine irrationale Zahl ξ ∈ (a, b) zwischen a und b. Beweis: (a) Aufgrund der archimedischen Eigenschaft der reellen Zahlen I.§1.Lemma 5 existiert ein n ∈ N mit n(b − a) > 1, also insbesondere n ≥ 1. Ebenfalls aufgrund der archimedischen Eigenschaft gibt es ein p ∈ N ⊆ Z mit p > na und wir wählen p ∈ Z minimal mit dieser Eigenschaft. Dann ist p − a ≤ na, also p−1 p ≤a< . n n Wir erhalten der rationale Zahl q := p/n ∈ Q mit q > a und q= p p−1 1 1 = + ≤ a + < a + (b − a) = b. n n n n 2-11 Mathematik für Physiker II, SS 2015 Freitag 17.4 √ √ (b)√ Es gilt auch√a/ 2 < b/ 2 und nach (a) existiert eine rationale Zahl q 0 ∈ Q mit 0 a/ 2 < √q < b/ 2.√Es gibt sogar 0eine von Null verschiedene0 rationale Zahl q ∈ Q\{0} und ist q 0 = mit a/ 2 < q < b/ 2, denn ist q 6= 0 so können wir q := q verwenden √0, √ 0 so liefert eine weitere Anwendung von (a) ein q√∈ Q mit a/ 2 < q < q < b/ 2, also √ insbesondere q 6= 0. Damit ist auch ξ := q · 2 irrational, denn andernfalls wäre 2 = ξ/q rational, und es gilt a < ξ < b. Teil (a) des Lemmas war auch Aufgabe (10.g) des vorigen Semesters. Kommen wir zum Beispiel der Dirichlet Funktion und unserer Zerlegung α zurück, so zeigt das Lemma tatsächlich mi = 0 und Mi = P1 für alle 1 ≤ i ≤ n. Als Unter- und Obersummen ergeben sich S(α) = 0 und S(α) = ni=1 (ti − ti−1 ) = 1. 2-12