Taylorreihen 8.11 Definition. Ist f : D → K beliebig oft differenzierbar und a ∈ D, so heißt Tf (t) = ∞ X f (k) (a) k! k=0 (t − a)k die Taylor-Reihe von f mit Entwicklungspunkt a. 8.12 Folgerung. Ist f durch eine Potenzreihe gegeben, so ist nach Satz 8.6(b) die Taylor-Reihe gleich der Potenzreihe. 8.13 Beispiel. Die Taylorreihe von exp, sin, cos sind die uns bekannten Reihen. 8.14 Warnendes Beispiel: Taylorreihe 6= Funktion. ( 1 e− t2 t 6= 0 . f (t) = 0 t=0 Dann ist f ∈ C ∞ (R, R) und f (k) (0) = 0 ∀k. Es folgt: Tf = 0 ist konvergent, aber Tf (t) 6= f (t) falls t 6= 0. 8.15 Beispiel. f (t) = ln(1 + t). Für |t| < 1 gilt ∞ f 0 (t) = X 1 (−1)k tk . = 1+t k=0 Die Summe konvergiert absolut und gleichmäßig auf [−c, c] für jedes c ∈ ]0, 1[. Also ist f (t) = f (t) − f (0) = |{z} =0 = Z t 0 1 ds = 1+s ∞ X (−1)k k+1 k=0 Z tX ∞ (−1)k sk ds 0 k=0 tk+1 = ∞ X (−1)k−1 k=1 k tk . Bemerkung: Man kann zeigen, dass die Formel auch noch für t = +1 gilt: ln 2 = 1 − 1 1 + + ... 2 3 (alternierende harmonische Reihe). 8.16 Satz: Binomialreihe. Es sei α ∈ R. Dann gilt für |t| < 1 α (1 + t) = ∞ X α k=0 Dabei ist k Y α−j +1 α := j k k tk . (1) (= 1 falls k = 0) j=1 definiert. Dies ergänzt die uns bekannte Definition, denn für α ∈ N0 ergibt das Produkt für k ≥ α + 1 stets 0. 45 Beachte: Für α ∈ R \ N0 sind alle αk von Null verschieden. Beweis. Setze f (t) = (1+t)α . Differentiation liefert f (k) (t) = α(α−1) . . . (α−k+1)(1+t)α−k . Also ist (1) die Taylorreihe für f . Konvergiert diese Reihe? Ja, nach dem Quotientenkriterium: α k+1 k→∞ α − k k+1 t |t| −→ |t| < 1. = α k k+1 k t Stellt aber die Taylor-Reihe wirklich die Funktion dar? Betrachte das Restglied Z 1 t Rn+1 (t) = (t − s)n f (n+1) (s) ds n! 0 Z t α = (n + 1) (t − s)n (1 + s)α−n−1 ds n+1 0 Fall 1: 0 ≤ t < 1. Setze C = max{1, (1 + t) α }. Dann gilt für 0 ≤ s ≤ t 0 ≤ (1 + s)α−n−1 ≤ (1 + s)α ≤ C und somit Z t α n C (t − s) ds |Rn+1 (t)| ≤ (n + 1) n+1 0 α n→∞ tn+1 → 0, falls |t| < 1, ≤ C n+1 da die Reihe P α n n t konvergiert. Fall 2: −1 < t < 0. Dann ist (weil für 0 ≤ s ≤ |t| gilt |t + s| = −t − s = |t| − s) Z |t| α n α−n−1 |Rn+1 (t)| = (n + 1) (t + s) (1 − s) dt n+1 0 Z |t| α (|t| − s)n (1 − s)α−n−1 dt = (n + 1) n+1 0 Z α − 1 |t| |t| − s n (1 − s)α−1 dt. = |α| 1−s n 0 |t|−s |t|−1 d = −(1−s)+(|t|−s) = (1−s) Nun ist ds 2 < 0 für 0 < s < |t|, also ist diese Funktion 1−s (1−s)2 monoton fallend und Z α − 1 |t| n |Rn+1 (t)| ≤ |α| |t| (1 − s)α−1 dt n 0 α−1 n |t| , = C n R |t| wobei C = |α| 0 (1 − s)α−1 dt unabhängig von n ist. Nun folgt aus der Konvergenz von P α−1 n C n t , dass Rn+1 (t) → 0. 8.17 Beispiel. 46 (a) (b) k α = −1: Hier ist −1 k = (−1) .P 1 k k Die geometrische Reihe 1+t = ∞ k=0 (−1) t ist also Spezialfall der Exponentialreihe. 1/2(−1/2) 1/2 1 1/2 1 1/2 α = 21 : Hier ist 1/2 = 1, = , = = − , = 1/2(−1/2)(−3/2) = 0 1 2 2 1·2 8 3 1·2·3 1/2(−1/2)(−3/2)(−5/2) −5/2 1/2 1 5 1 = = 16 · 4 = − 128 . 16 , 4 1·2·3·4 Also √ 1 1 5 4 1 1 + t = 1 + t − t2 + t3 − t + .... 2 8 16 128 8.18 Beispiel: Kinetische Energie eines relativistischen Teilchens. Ein Teilchen habe die Masse m. Nach Einstein hat es dann die Gesamtenergie E = mc 2 . Die Masse wiederum hängt von der Geschwindigkeit v des Teilchens ab; es gilt m0 , m= p 1 − (v/c)2 wobei m0 die Ruhemasse ist. In Ruhe hat das Teilchen die Energie E 0 = m0 c2 . Die kinetische Energie ist die Differenz Ekin = E − E0 . Da v < c ist schließen wir aus der Binomialreihenentwicklung (α = −1/2): ! 1 2 2 2 p Ekin = mc − m0 c = m0 c −1 1 − (v/c)2 3 2 4 2 1 (v/c) + (v/c) + . . . = m0 c 2 8 1 3 = m0 v 2 + m0 v 2 (v/c)4 + . . . . 2 8 Die erste relativistische Korrektur zur klassischen kinetischen Energie ist also 3 2 4 8 m0 v (v/c) . 8.19 Trick. Ein Satz aus der Funktionentheorie liefert manchmal die Darstellbarkeit durch Potenzreihen auf einfache Weise. Wir ersetzen – sofern das geht – die Variable t ∈ R durch z ∈ C. Man nennt eine Funktion f : Ω ⊆ C → C komplex differenzierbar oder holomorph, falls für jedes z0 ∈ Ω die komplexe Ableitung f 0 (z0 ) = lim z→z0 f (z) − f (z0 ) z − z0 existiert. Das ist in der Regel nicht schwieriger zu sehen als im reellen Fall. Dann existieren automatisch auch alle höheren Ableitungen (Satz). Ist nun a ∈ Ω, so konvergiert die Potenzreihe ∞ X f (k) (a) k=0 k! (z − a)k auf jeder abgeschlossenen Kreisscheibe um a, die ganz in Ω liegt, und stellt dort die Funktion f dar. Die Aussagen von Satz 8.6 gelten. 2 Beispiel Die Funktion z 7→ f (z) = cos(e z −1 ) ist auf ganz C differenhzierbar. Also wird f auf ganz C (also auch auf ganz R) durch seine Potenzreihe (mit beliebigem Entwicklungspunkt) dargestellt. 47