Darstellung und Wirkung des Sports in den Medien II Spitzensportler: Helden und Vorbilder Sandro Knoll [email protected] Schlüsselwörter: Spitzensport, Persönlichkeit, Charisma Einführung In dem vorliegenden Abstract über neuzeitliche Helden und Vorbilder des Spitzensports, möchte ich den Versuch unternehmen, charismatische Persönlichkeiten im Sport zu charakterisieren, die Selbstdarstellungsprozesse von Sportlern erläutern und letztendlich der Frage nachgehen, welche Rolle die Medien bei diesem Vermittlungsprozeß einnehmen. Inhalt Theoretischer Hintergrund Sicherlich ist die Bedeutung sportlicher Aktivität im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung respektive -entfaltung weitestgehend sowohl in der Sportwissenschaft als auch in Kreisen von Trainern, Sportlehrern oder Funktionären anerkannt und verifiziert. Hierbei wird der Sport als wesentlicher Sozialisationsfaktor verstanden, der zur Formung der Persönlichkeit, zur Ausbildung und Festigung charakterlicher Eigenschaften beitragen kann. Bereitschaft zu sozialem Handeln, Selbstdisziplin, Fairness und andere Dispositionen (Kooperations-, Leistungsfähigkeit sowie kognitive Eigenschaften) sollen durch den Sport positiv beeinflusst und gefördert werden. Ähnlich verbreitet ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften wesentliche Voraussetzung für sportliche (Höchst-) Leistungen darstellen. Jedoch zeigen die bisher vorliegenden empirischen Arbeiten zum Thema Persönlichkeit und sportlicher Aktivität wenig einheitliche, teilweise sogar widersprüchliche Aussagen. Einerseits ist dies möglicherweise auf unterschiedlich praktizierte Messmethoden zurückzuführen, andererseits lassen zahlreiche Arbeiten einen tiefgründigen theoretischen Rückbezug vermissen oder weisen Mängel im Hinblick auf Stichprobenauswahl und –umfang, Präzisierung und Kontrolle relevanter Variablen sowie die detaillierte Auswertung der erhobenen Daten auf. Die Selbstdarstellung von Spitzensportlern Auf Basis der Impression-Management-Theorie haben Mummendey und Mielke (1989) festgestellt, daß Personen in diversen Untersuchungssituationen versuchten, das Bild, welches man von ihnen erhalten soll, spezifisch zu kontrollieren. Dies soll auch heißen, daß sich Sportler darum bemühen, ein sportliches Image zu vermitteln. Womöglich liegt es an der besonderen Stellung in der Öffentlichkeit, daß Spitzensportler stärker als andere Personen wahrnehmen und antizipieren, wie sie vom Publikum (Fremdbild) eingeschätzt werden. Daraus bilden sie ihr Selbstbild unter Berücksichtigung dieser tatsächlichen und antizipierten Beurteilungen. Danach ergibt sich nun die, bereits in der Einführung aufgeworfene Frage nach dem Selbstdarstellungsprozess von Sportlern. Gelingt es dabei Persönlichkeiten, andere Menschen so „in ihren Bann zu ziehen“, dass diese herausragenden Personen als charismatische Persönlichkeiten bezeichnet werden? Der Begriff Charisma, bereits im neuen Testament als eine göttliche Gabe des Menschen bezeichnet, erhielt seine eigentliche Popularität von Max Weber, einem der bedeutendsten Soziologen des letzten Jahrhunderts. Weber kennzeichnete den Begriff mit besonderen ausseralltäglichen Fähigkeiten einer Person. Beispielsweise Gandhi, Lenin, aber auch Hitler werden in der politischen Soziologie als charismatische Führungsgestalten bezeichnet. In den Medien heute wird Charisma Personen wie Boris Becker, Franz Beckenbauer oder Lady Di zugeschrieben. Klar ist, daß eine charismatische Wirkung einzelner Personen keine Eigenschaft ist, die man eben hat oder nicht. Vielmehr entwickelt sie sich im Laufe der persönlichen Biographie bzw. könnte auch wieder verschwinden, was am Beispiel Franziska van Almsick nach ihrem erheblichen Leistungsabfall deutlich konstatiert werden kann. Ebenso läuft die Entwicklung einer Persönlichkeit nicht linear ab, sondern es begleitet sie Höhen und Tiefen, Siege und Niederlagen, eben diese Wiedersprüchlichkeiten, die die menschliche Nähe zu den Zuschauern nicht verschwinden lassen. Kurz gesagt, versteht man unter Charisma Ausstrahlung, die Fähigkeit, andere zu beeinflussen, zu überzeugen und/ oder zu faszinieren sowie ein „sicheres“ Auftreten, Sympathie und Selbstsicherheit. Wichtig dabei ist, dass vor allem die individuelle Wahrnehmung durch die Rezipienten gekoppelt mit der Individualität der charismatischen Persönlichkeit, eine Art interaktive Beziehung also, Ursache ist, „wieviel“ Charisma dem einen oder anderen bescheinigt wird. Die oben bereits erwähnte Impression-Management-Theorie, welche als theoretischer Ansatz der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie von Mummendey (1995) – vor allem im deutschsprachigen Raum – in Anlehnung an Goffman vertreten wird, spiegelt die Aussage wieder, dass Personen im alltäglichen Leben ähnlich wie Schauspieler auf einer Theaterbühne agieren, was heissen soll, dass sie im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse grundsätzlich darum bemüht sind, gegenüber ihren jeweiligen Interaktionspartnern und einem fiktiven oder tatsächlichen Publikum einen positiven Eindruck zu erwecken/ bewahren. Dadurch steht im Zentrum der Impression-Management-Theorie die Selbstdarstellung des Individuums mit seiner sozialen Umwelt. Auf der Basis dieses Selbstbildes manipulieren und steuern Personen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie auf andere Individuen machen. Dementsprechend erhalten die Rezipienten ein Fremdbild der Person, welches sich wiederum auf das Selbstbild der Persönlichkeit auswirkt. Bei allen Überlegungen muß berücksichtigt werden, wenn man Goffman und Mummendey folgt, daß das körperliche Aussehen, das Gesicht, die Stimme sowie auch das nonverbale Verhalten (Körperbewegungen, Gesten etc.) wesentlich zur Austrahlung der Persönlichkeit beitragen. Natürlich ist bei allen fundierten wissenschaftlichen Theorien nicht ausser Acht zu lassen, dass primär stets die sportliche Leistung das Grundgerüst einer charismatischen Wirkung darstellt. Beispielsweise könnte sich Franz Beckenbauer heutzutage nie so in Szene setzen, wenn er nicht außergewöhnliche sportliche Höchstleistungen (u.a. Weltmeister als Spieler und Trainer) vollbracht hätte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Kontext, in dem Persönlichkeiten ihre charismatische Ausstrahlung auf ihr Publikum (Fans) entfalten können. Einmal geschieht dies in der sportlichen Arena, hier wird die Begeisterung der Rezipienten durch das Kriterium „Masse der Zuschauer“ noch verstärkt, zum anderen können die Fernsehzuschauer indirekt dem Geschehen beiwohnen. Genau hier setzen nun die Medien als vierte Gewalt an, die den Sportler entprivatisieren, ihn zum „gläsernen Spitzensportler“ verwandeln und somit die Wahrnehmungsgestalt bei den Zuschauern entstehen lassen. Sicher ist zwar, dass es kein „künstliches“, durch die Medien inszeniertes Charisma gibt. Es kann nicht durch sie geschaffen werden, wohl aber kann der Effekt beim Publikum deutlich verstärkt werden. Insbesondere das Fernsehen bereitet charismatischen Persönlichkeiten die Bühne für ihr Szenario und unterstützen diese Inszenierung durch vielfältige Zeremonien, Rituale und feierliche Handlungen, was die emotionale Aufnahmebereitschaft der Rezipienten verstärkt. Medien als Schaltstelle der Heldenproduktion? Die Medien, vielfach bezeichnet als Mittler von Sportereignissen, Verstärker von Einschätzungen oder sogar Veränderer von Anschauungen, treten als Multiplikatoren zwischen den Athleten (Helden) und der sportinteressierten Gesellschaft auf. Trotz des teilweise bestehenden Spannungsverhältnisses (entstanden durch ethisch fragwürdigen Boulevard-Journalismus) entwickelt sich zunehmend eine Art Symbiose professionell arbeitender Spitzensportler mit den Sportmedien. Ohne die massenmediale (Re-)Produktion der Persönlichkeit sowie deren sportliche Leistung, würde der Bekanntheitsgrad und demzufolge auch der Marktwert sinken. Dabei ist die grösste Wirkungschance der Medien ihre Thematisierungs- und Themenstrukturierungsfunktion (siehe „agenda-setting function of the media“), welche sich auf kognitive Effekte beim Publikum bezieht. Dadurch können Spitzensportler zu Helden avancieren, allerdings nur solange, wie ein Held seine „Aura der Stärke“ wahren kann. Diese Selbstdarstellung, die Präsentation individueller Stärken, ist eine Fähigkeit über die eigentliche sportliche Leistung hinaus. Es zählen hierbei personale Merkmale wie Persönlichkeit und Charisma. Gefragt sind dabei Vorbilder und Integrationsfiguren. Aufgrund des enormen Wettbewerbsdruckes nach Einschaltquoten und Auflagenerhöhungen führt es in gewisser Weise dazu, daß die Massenmedien zu Hochstilisierungen und dramatischen Überhöhungen, eben dieser Heldenproduktion beitragen. Sicher liegt diese Heroisierung auch im Interesse des Spitzensports, denn es macht ihn gegenüber anderen Bereichen bedeutsam und ressourcenverschaffend. Ebenso ein Interesse von Politik und Wirtschaft entschuldigt streckenweise jene Heroisierung, Beeinflussung sowie Instrumentalisierung. Zusammenfasung, Kritik, Diskussion, Ausblick Abschließend ist zu erkennen, dass all jene Heroisierung stets Spitzenleistungen der Sportler als Voraussetzung haben. Vor allem jedoch, dass es dabei aber auch noch von der Popularität der Sportart abhängt, ob man (von der Öffentlichkeit und den Medien) als Held angesehen wird. Es gibt viele Sportarten mit besonderen Persönlichkeiten, ist allerdings das massenmediale Interesse reduziert, werden diese Sportler nie zu Helden und charismatischen Persönlichkeiten. Oftmals bleibt dann nur der häufig unreflektierte Lockruf von Spitzenathleten in Richtung Sportmedien übrig: „Ohne die Medien bist du tot“ (Strähl & Anders, 1993, S. 82). Literatur Schär, S. (1992). Spitzensportler/in und Opfer aus der Sicht der Sportjournalistin. In Strähl, E. (Red.) & Anders, G. (1993). Spitzensportler – Helden und Opfer, 76-80. 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