23. Spitzensportler: Helden und Vorbilder?

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Darstellung und Wirkung des Sports in den Medien II
Spitzensportler: Helden und Vorbilder
Sandro Knoll
[email protected]
Schlüsselwörter: Spitzensport, Persönlichkeit, Charisma
Einführung
In dem vorliegenden Abstract über neuzeitliche Helden und Vorbilder des
Spitzensports,
möchte
ich
den
Versuch
unternehmen,
charismatische
Persönlichkeiten im Sport zu charakterisieren, die Selbstdarstellungsprozesse von
Sportlern erläutern und letztendlich der Frage nachgehen, welche Rolle die Medien
bei diesem Vermittlungsprozeß einnehmen.
Inhalt
Theoretischer Hintergrund
Sicherlich
ist
die
Bedeutung
sportlicher
Aktivität
im
Hinblick
auf
die
Persönlichkeitsentwicklung respektive -entfaltung weitestgehend sowohl in der
Sportwissenschaft als auch in Kreisen von Trainern, Sportlehrern oder Funktionären
anerkannt und verifiziert. Hierbei wird der Sport als wesentlicher Sozialisationsfaktor
verstanden, der zur Formung der Persönlichkeit, zur Ausbildung und Festigung
charakterlicher Eigenschaften beitragen kann. Bereitschaft zu sozialem Handeln,
Selbstdisziplin, Fairness und andere Dispositionen (Kooperations-, Leistungsfähigkeit
sowie kognitive Eigenschaften) sollen durch den Sport positiv beeinflusst und
gefördert werden.
Ähnlich verbreitet ist in diesem Zusammenhang die Sichtweise, dass bestimmte
Persönlichkeitseigenschaften wesentliche Voraussetzung für sportliche (Höchst-)
Leistungen darstellen. Jedoch zeigen die bisher vorliegenden empirischen Arbeiten
zum Thema Persönlichkeit und sportlicher Aktivität wenig einheitliche, teilweise sogar
widersprüchliche Aussagen. Einerseits ist dies möglicherweise auf unterschiedlich
praktizierte Messmethoden zurückzuführen, andererseits lassen zahlreiche Arbeiten
einen tiefgründigen theoretischen Rückbezug vermissen oder weisen Mängel im
Hinblick auf Stichprobenauswahl und –umfang, Präzisierung und Kontrolle relevanter
Variablen sowie die detaillierte Auswertung der erhobenen Daten auf.
Die Selbstdarstellung von Spitzensportlern
Auf Basis der Impression-Management-Theorie haben Mummendey und Mielke
(1989) festgestellt, daß Personen in diversen Untersuchungssituationen versuchten,
das Bild, welches man von ihnen erhalten soll, spezifisch zu kontrollieren. Dies soll
auch heißen, daß sich Sportler darum bemühen, ein sportliches Image zu vermitteln.
Womöglich liegt es an der besonderen Stellung in der Öffentlichkeit, daß
Spitzensportler stärker als andere Personen wahrnehmen und antizipieren, wie sie
vom Publikum (Fremdbild) eingeschätzt werden. Daraus bilden sie ihr Selbstbild
unter Berücksichtigung dieser tatsächlichen und antizipierten Beurteilungen.
Danach ergibt sich nun die, bereits in der Einführung aufgeworfene Frage nach dem
Selbstdarstellungsprozess von Sportlern. Gelingt es dabei Persönlichkeiten, andere
Menschen so „in ihren Bann zu ziehen“, dass diese herausragenden Personen als
charismatische Persönlichkeiten bezeichnet werden?
Der Begriff Charisma, bereits im neuen Testament als eine göttliche Gabe des
Menschen bezeichnet, erhielt seine eigentliche Popularität von Max Weber, einem
der bedeutendsten Soziologen des letzten Jahrhunderts. Weber kennzeichnete den
Begriff mit besonderen ausseralltäglichen Fähigkeiten einer Person. Beispielsweise
Gandhi, Lenin, aber auch Hitler werden in der politischen Soziologie als
charismatische Führungsgestalten bezeichnet. In den Medien heute wird Charisma
Personen wie Boris Becker, Franz Beckenbauer oder Lady Di zugeschrieben.
Klar ist, daß eine charismatische Wirkung einzelner Personen keine Eigenschaft ist,
die man eben hat oder nicht. Vielmehr entwickelt sie sich im Laufe der persönlichen
Biographie bzw. könnte auch wieder verschwinden, was am Beispiel Franziska van
Almsick nach ihrem erheblichen Leistungsabfall deutlich konstatiert werden kann.
Ebenso läuft die Entwicklung einer Persönlichkeit nicht linear ab, sondern es
begleitet
sie
Höhen
und
Tiefen,
Siege
und
Niederlagen,
eben
diese
Wiedersprüchlichkeiten, die die menschliche Nähe zu den Zuschauern nicht
verschwinden lassen.
Kurz gesagt, versteht man unter Charisma Ausstrahlung, die Fähigkeit, andere zu
beeinflussen, zu überzeugen und/ oder zu faszinieren sowie ein „sicheres“ Auftreten,
Sympathie und Selbstsicherheit.
Wichtig dabei ist, dass vor allem die individuelle Wahrnehmung durch die
Rezipienten gekoppelt mit der Individualität der charismatischen Persönlichkeit, eine
Art interaktive Beziehung also, Ursache ist, „wieviel“ Charisma dem einen oder
anderen bescheinigt wird.
Die
oben
bereits
erwähnte
Impression-Management-Theorie,
welche
als
theoretischer Ansatz der Sozial- und Persönlichkeitspsychologie von Mummendey
(1995) – vor
allem im deutschsprachigen Raum – in Anlehnung an Goffman
vertreten wird, spiegelt die Aussage wieder, dass Personen im alltäglichen Leben
ähnlich wie Schauspieler auf einer Theaterbühne agieren, was heissen soll, dass sie
im Rahmen sozialer Interaktionsprozesse grundsätzlich darum bemüht sind,
gegenüber
ihren
jeweiligen
Interaktionspartnern
und
einem
fiktiven
oder
tatsächlichen Publikum einen positiven Eindruck zu erwecken/ bewahren. Dadurch
steht im Zentrum der Impression-Management-Theorie die Selbstdarstellung des
Individuums mit seiner sozialen Umwelt. Auf der Basis dieses Selbstbildes
manipulieren und steuern Personen in sozialen Interaktionen den Eindruck, den sie
auf andere Individuen machen. Dementsprechend erhalten die Rezipienten ein
Fremdbild der Person, welches sich wiederum auf das Selbstbild der Persönlichkeit
auswirkt.
Bei allen Überlegungen muß berücksichtigt werden, wenn man Goffman und
Mummendey folgt, daß das körperliche Aussehen, das Gesicht, die Stimme sowie
auch das nonverbale Verhalten (Körperbewegungen, Gesten etc.) wesentlich zur
Austrahlung der Persönlichkeit beitragen.
Natürlich ist bei allen fundierten wissenschaftlichen Theorien nicht ausser Acht zu
lassen, dass primär stets die sportliche Leistung das Grundgerüst einer
charismatischen Wirkung darstellt. Beispielsweise könnte sich Franz Beckenbauer
heutzutage nie so in Szene setzen, wenn er nicht außergewöhnliche sportliche
Höchstleistungen (u.a. Weltmeister als Spieler und Trainer) vollbracht hätte.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Kontext, in dem Persönlichkeiten ihre
charismatische Ausstrahlung auf ihr Publikum (Fans) entfalten können. Einmal
geschieht dies in der sportlichen Arena, hier wird die Begeisterung der Rezipienten
durch das Kriterium „Masse der Zuschauer“ noch verstärkt, zum anderen können die
Fernsehzuschauer indirekt dem Geschehen beiwohnen. Genau hier setzen nun die
Medien als vierte Gewalt an, die den Sportler entprivatisieren, ihn zum „gläsernen
Spitzensportler“
verwandeln
und
somit
die
Wahrnehmungsgestalt
bei
den
Zuschauern entstehen lassen. Sicher ist zwar, dass es kein „künstliches“, durch die
Medien inszeniertes Charisma gibt. Es kann nicht durch sie geschaffen werden, wohl
aber kann der Effekt beim Publikum deutlich verstärkt werden. Insbesondere das
Fernsehen bereitet charismatischen Persönlichkeiten die Bühne für ihr Szenario und
unterstützen diese Inszenierung durch vielfältige Zeremonien, Rituale und feierliche
Handlungen, was die emotionale Aufnahmebereitschaft der Rezipienten verstärkt.
Medien als Schaltstelle der Heldenproduktion?
Die Medien, vielfach bezeichnet als Mittler von Sportereignissen, Verstärker von
Einschätzungen oder sogar Veränderer von Anschauungen, treten als Multiplikatoren
zwischen den Athleten (Helden) und der sportinteressierten Gesellschaft auf. Trotz
des teilweise bestehenden Spannungsverhältnisses (entstanden durch ethisch
fragwürdigen Boulevard-Journalismus) entwickelt sich zunehmend eine Art Symbiose
professionell
arbeitender
Spitzensportler
mit
den
Sportmedien.
Ohne
die
massenmediale (Re-)Produktion der Persönlichkeit sowie deren sportliche Leistung,
würde der Bekanntheitsgrad und demzufolge auch der Marktwert sinken. Dabei ist
die
grösste
Wirkungschance
der
Medien
ihre
Thematisierungs-
und
Themenstrukturierungsfunktion (siehe „agenda-setting function of the media“),
welche sich auf kognitive Effekte beim Publikum bezieht.
Dadurch können Spitzensportler zu Helden avancieren, allerdings nur solange, wie
ein Held seine „Aura der Stärke“ wahren kann. Diese Selbstdarstellung, die
Präsentation individueller Stärken, ist eine Fähigkeit über die eigentliche sportliche
Leistung hinaus. Es zählen hierbei personale Merkmale wie Persönlichkeit und
Charisma. Gefragt sind dabei Vorbilder und Integrationsfiguren.
Aufgrund
des
enormen
Wettbewerbsdruckes
nach
Einschaltquoten
und
Auflagenerhöhungen führt es in gewisser Weise dazu, daß die Massenmedien zu
Hochstilisierungen und dramatischen Überhöhungen, eben dieser Heldenproduktion
beitragen. Sicher liegt diese Heroisierung auch im Interesse des Spitzensports, denn
es
macht
ihn
gegenüber
anderen
Bereichen
bedeutsam
und
ressourcenverschaffend. Ebenso ein Interesse von Politik und Wirtschaft entschuldigt
streckenweise jene Heroisierung, Beeinflussung sowie Instrumentalisierung.
Zusammenfasung, Kritik, Diskussion, Ausblick
Abschließend ist zu erkennen, dass all jene Heroisierung stets Spitzenleistungen der
Sportler als Voraussetzung haben. Vor allem jedoch, dass es dabei aber auch noch
von der Popularität der Sportart abhängt, ob man (von der Öffentlichkeit und den
Medien) als Held angesehen wird. Es gibt viele Sportarten mit besonderen
Persönlichkeiten, ist allerdings das massenmediale Interesse reduziert, werden diese
Sportler nie zu Helden und charismatischen Persönlichkeiten. Oftmals bleibt dann
nur der häufig unreflektierte Lockruf von Spitzenathleten in Richtung Sportmedien
übrig: „Ohne die Medien bist du tot“ (Strähl & Anders, 1993, S. 82).
Literatur
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