Am heutigen Abend erklingen Werke von 4 Komponisten, deren

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Mittwoch, 9. Januar 2013
20 Uhr, Volkshaus
5. Philharmonisches Konzert Reihe A
Glaube und Opfer
Dmitri Schostakowitsch (1906-1975)
Kammersinfonie op. 110
(Instrumentiert von Rudolph Barschai)
Largo
Allegro
Allegretto
Tzvi Avni (*1927)
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 1
Confrontations (agitato)
Confession (andante tranquillo, poco rubato)
Youth Images (allegro giocoso)
Pause
Sergej Prokofjew (1891-1953)
Ouvertüre über hebräische Themen op. 34b
Ernest Bloch (1880-1959)
Drei jüdische Gedichte
Danse (poco animato)
Rite (andante moderato)
Cortège funèbre
Dirigent: Daniel Raiskin
Klavier: Heidrun Holtmann
Das Konzert wird von Deutschlandradio Kultur aufgezeichnet.
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Der Dirigent
Daniel Raiskin, geboren in St. Petersburg, ist aktuell als Chefdirigent des Staatsorchesters
Rheinische Philharmonie sowie seit 2008 in gleicher Position bei der Artur-RubinsteinPhilharmonie in Lodz angestellt.
Bereits mit sechs Jahren erhielt er Musikunterricht und nahm später ein Studium an der
renommierten Hochschule seiner Heimatstadt auf. Raiskin widmete sich zunächst der Geige
sowie der Bratsche und begann mit fünfzehn Jahren zugleich die Ausbildung zum Dirigenten –
die Begegnung mit dem Pädagogen Lev Savich hatte in ihm den Wunsch geweckt, einen Klang
mit den Händen, dem Körper und der ganzen Persönlichkeit formen zu können.
Mit der politischen Wende verließ Daniel Raiskin im Alter von zwanzig Jahren die Sowjetunion,
um in Amsterdam und Freiburg sein Studium fortzusetzen. Als gefragter Musiker gehörte er
schnell zu den führenden Bratschisten in Europa mit vielen Engagements als Solist und
Kammermusikpartner. Allmählich jedoch wechselte der Schwerpunkt vom Instrument zum
Taktstock und Raiskin entwickelte sich zu einem der anerkannt vielseitigsten Dirigenten seiner
Generation. Der zweifache Vater gastiert heute regelmäßig bei zahlreichen bekannten Orchestern
in Europa und Asien, darunter Copenhagen Philharmonic, Mozarteumorchester Salzburg, Prague
Symphony, Hong Kong Sinfonietta, National Symphony Orchestra Taiwan oder Shanghai
Philharmonic Orchestra. Darüber hinaus widmet er sich Produktionen im Opernbereich, darunter
Bizets Carmen, Dmitri Schostakowitschs Nase oder Mozarts Don Giovanni. Seine jüngsten
Einspielungen des Zyklus mit den Brahms Sinfonien sowie Schostakowitschs 4. Sinfonie fanden
ein großes Echo in der internationalen Presse. Die Aufnahme der Cellokonzerte von Korngold,
Bloch und Goldschmidt mit Julian Steckel erhielt sogar einen Echo Klassik 2012.
Die Solistin
Heidrun Holtmann, in Münster geboren, begann im Alter von vier Jahren Klavierunterricht zu
nehmen. Als Neunjährige wurde sie in die Klavierklasse von Prof. Renate Kretschmar-Fischer an
der Musikhochschule Detmold aufgenommen, wo sie ihre künstlerische Reifeprüfung „summa
cum laude“ bestand und ihre Ausbildung mit Auszeichnung abschloss. Die Pianistin war
mehrfach Preisträgerin nationaler und internationaler Wettbewerbe. Binnen weniger Jahre konnte
sie Publikum und Kritiker überzeugen. Engagements mit Dirigenten wie Antal Doráti, Iván
Fischer und David Zinman folgten und sie musizierte mit dem Royal Philharmonic Orchestra
London, dem Detroit Symphony Orchestra und dem Tonhalle-Orchester Zürich ebenso wie mit
zahlreichen anderen Sinfonie- und Kammerorchestern in der Bundesrepublik Deutschland und
im Ausland.
Heidrun Holtmann ist regelmäßig Gast bei internationalen Festivals, darunter in Salzburg, Paris,
Barcelona, Brescia/Bergamo, Stresa, Luzern, Berlin, dem Klavier-Festival-Ruhr, MDRMusiksommer, Schleswig-Holstein Musik Festival, Beethovenfest Bonn, Klavierfestivals in
Athen und Istanbul. Ihre Tourneen führten sie durch ganz Europa, Japan, Taiwan, Süd- und
Südostasien, die USA, Kanada und Südamerika.
Bedeutende europäische Rundfunk- und Fernsehanstalten arbeiten häufig mit ihr. So drehte zum
Beispiel das NDR-Fernsehen ein Künstlerportrait und engagierte sie für ein Fernsehkonzert. Ihre
Diskographie enthält die Gesamteinspielung der Werke für Klavier und Orchester von
Schumann, Beethovens 3. und 4. Klavierkonzert in Kammerfassungen des 19. Jahrhunderts
sowie mehrere Solo-CDs, die ein weitgespanntes Repertoire von J. S. Bach, Mozart, Schumann,
Chopin u. a. bis zur zeitgenössischen Musik umfassen. Kürzlich ist ihre CD Piano Music from
Israel mit Werken von Josef Tal, Tzvi Avni und Gil Shohat erschienen.
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Musik aus dem Exil
Am heutigen Abend erklingen Werke von vier Komponisten, deren Leben politischer Willkür
und Zensur ausgesetzt waren und die sich entweder in äußeres oder in inneres Exil begaben.
Es handelt sich konkret um Ernest Bloch, der zuerst aus Missachtung und Unverständnis seiner
Musik gegenüber und später aus politischer Bedrängnis in die USA ins Exil gegangen war.
Etwas später wurde Sergej Prokofjew geboren. Auch er nahm den Weg in die USA, nachdem die
Oktoberrevolution und der Kampf um die Vorherrschaft in Russland sein (Über-) Leben
erschwerten. Nachdem er dort aber nicht Fuß fassen konnte, kehrte er nach längeren
Aufenthalten in Frankreich in die stalinistische Sowjetunion zurück. Sein damaliger
Berufskollege Dmitri Schostakowitsch wuchs in der Zeit machtpolitischer Kämpfe auf; Der erste
Weltkrieg, der Sturz des Zaren, die Oktoberrevolution und der anschließende Bürgerkrieg. Das
Sowjetregime bedrohte seine engsten Verwandten und Freunde mit Terror. Er musste lernen,
sich selbst im Inneren treu zu bleiben und zugleich nach Außen hin den Staatskomponisten zu
mimen – ein Leben auf dem Drahtseil. Das Quartett wird von Tzvi Avni beschlossen. Im
Saarland als Kind jüdischer Eltern geboren, wurde seine Familie bald darauf von den Nazis
ausgewiesen. Ihr Weg führte sie ins Exil nach Palästina, ein fremdes Land mit fremder Schrift
und fremder Sprache.
Man kann nun mit dieser Kenntnis behaupten, dass die vier Werke des heutigen Konzertes ein
Kompendium der geschichtlichen Wirrnisse der vergangenen hundert Jahre darstellen. Es muss
aber gesagt werden, dass sie keine ausgesprochenen Musterstücke einer bestimmten
Kompositionsweise oder Schule sind. Eigentlich dokumentieren sie, wie Komponisten aus Not
und Bedrängnis heraus wunderbare Musik schaffen konnten, wie sie mit ihrer misslichen Lage
umgingen und ihr zum Trotz schöpferisch tätig waren. Die Musik aus dem Exil oder der inneren
Emigration als Glaubensbekenntnis, Geheimsprache, Trost und Versöhnung.
Die Komponisten und ihre Werke
Die ersten Töne des heutigen Konzerts werden Ihnen bekannt vorkommen. Es handelt sich um
eine Bearbeitung des berühmten 8. Streichquartetts op. 110 von »Dmitri Schostakowitsch«.
Sein ehemaliger Schüler Rudolph Barschai gründete 1956 das Moskauer Kammerorchester. Als
Bewunderer der Musik seines Lehrers fragte er ihn, ob er auch seine Werke für das Ensemble
umschreiben dürfte. Dmitri Schostakowitsch sagte zu und es entstanden in den Folgejahren
einige Umarbeitungen seiner Musik, so auch die »Kammersinfonie op. 110a«. Da Barschai mit
diesem Werk sehr nah an der Vorlage geblieben ist, möchte ich hier auch auf dessen
Entstehungsgeschichte eingehen.
Das 8. Streichquartett ist das einzige Stück, das Schostakowitsch im Ausland schrieb. Auf
Einladung zu Gast in der DDR verbrachte Schostakowitsch im Sommer 1960 einige Tage in
Gohrisch bei Dresden. Ist es somit eine Komposition des Exils? Es handelt sich eigentlich um
einen Genesungsurlaub; Schostakowitsch musste sich nicht nur von den vorangegangenen Jahren
erholen. Neben dem Leiden an einer unheilbaren Rückenmarkserkrankung balancierte er immer
wieder zwischen hohen Auszeichnungen und Berufsverbot, zwischen Unterwerfung und
Widerstand. Er führte ein quälendes Doppelleben, das auch an seiner Gesundheit nagte. In eine
persönliche Krise geriet er, als er gezwungen wurde der KPdSU beizutreten. Nach außen wirkte
er mit seinem Amt als Sekretär des Komponistenverbandes linientreu. Doch im Inneren war er
ein gebrochener Mann: hoffnungslos, verzweifelt, aber immer noch wütend. Er musste aus
diesem unfreien System ausbrechen und nutzte die Gelegenheit der Kur, um sich aus seinem
inneren Exil vorübergehend in ein äußeres zu begeben, aus dem er wieder in die Sowjetunion
zurückkehren würde. Doch was sollte aus seiner Familie, seinen Freunden und all den Menschen
werden, die nicht fliehen konnten? Freunde beschreiben Schostakowitsch als Humanisten;
» […] ein großer Menschenfreund, und überall wollte er – soweit er konnte – den Menschen
helfen […] «. (Gabriel D. Glikmann)
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Ganz ohne Arbeit konnte er aber nicht sein. Als – nach außen hin – linientreuer Komponist war
er natürlich in den Propagandaapparat der Sowjetunion eingebunden. Das zeigte sich bereits an
den Titeln bisheriger Werke. Mit dem Medium Film kam eine neue Aufgabe hinzu. Schon immer
entnahm er seine Inspiration der Alltagsmusik. Salonmusik, Schlager und Jazz fanden Eingang in
sein Schaffen. Eigentlich sollte er nun in den Sommertagen des Jahres 1960 die Filmmusik zu »5
Tage – 5 Nächte« schreiben, doch es drängte ihn nach einem anderen Werk. Vielleicht saß er da
und dachte über seine unheilbare Krankheit, sein bisheriges Leben und seine momentane Freiheit
nach. Er selbst sagt von der damals entstandenen Komposition, dass sie sein Requiem wäre. Es
scheint zumindest eines seiner persönlichsten Werke zu sein.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks und der UdSSR erkannte man, dass Dmitri
Schostakowitsch nicht der Staatskomponist und Verfechter des Kommunismus war, als den man
ihn gern dargestellt hatte. Vielmehr hatte er mit kompositorischen Mitteln versucht, sich dagegen
abzugrenzen, immer in Angst vor Entdeckung und der folgenden Verbannung oder gar
Hinrichtung. So benutzte er kunstvoll versteckte musikalische Zitate aus anderen Werken, seine
eigenen Initialen oder Schlager mit dem Namen seines Sohnes Maxim, um seine Meinung zu
verkünden. In der Kammersinfonie verwendet er besonders viele dieser Art. Durch die
Vertonung seiner Initialen: D-eS-C-H in allen Sätzen macht er deutlich, dass es hier um ihn und
sein Leben geht.
Gleich zu Beginn des ersten Satzes wird die Tonfolge im Cello vorgetragen. Das Largo ist wenig
hoffnungsvoll gestaltet. Ein Zitat seiner 1. Sinfonie deutet auf seinen ersten Erfolg hin. Einerseits
brachte es Ruhm, andererseits kam er damit ins Visier der Machthaber und sein Schicksal nahm
seinen Lauf. Auch seine Oper Lady Macbeth von Mzenk wird zitiert – das Werk, das ihm Stalins
Ungnade und die Begrenzung durch Zensur einbrachte. Für die kommenden Jahre war er
Staatsfeind und musste jederzeit mit Deportation rechnen.
Zu Beginn des zweiten Satzes hören wir ff-Schläge der Streicher. Die Musik wirkt gehetzt,
immer wieder setzen die Streicher Attacken. Das D-eS-C-H-Muster wird ständig wiederholt, es
dreht sich im Kreis und kommt nicht voran. Gegen Ende des zweiten Satzes verbindet sich alles
zu einem wilden Tanz höchster Verzweiflung. Auch zu Beginn des dritten Satzes erscheinen
seine Initialen in hohen Lagen wieder. Ein wiegender ¾-Rhythmus schließt sich an.
Schostakowitsch hat schon immer wie hier scheinbar schöne Melodien in Schieflage gebracht,
sie bis ins Groteske verzerrt. Die daraus sprechende Ironie und der Sarkasmus sind heute für uns
zu seinen Erkennungszeichen geworden.
Im Nachhinein gibt er dem 8. Streichquartett den Titel »Im Gedenken an die Opfer des
Faschismus und des Krieges«. Können wir dies ernst nehmen oder war es nur eine weitere
Verschleierungstaktik? Über seine Musik schrieb er einmal:
»Die meisten meiner Sinfonien sind Grabdenkmäler. Zu viele unserer Landsleute kamen an
unbekannten Orten um. […] Ich würde gern für jeden Umgekommenen ein Stück schreiben. […]
Darum widme ich ihnen allen meine gesamte Musik. «
Es folgt ein Stück des israelischen Komponisten Tzvi Avni, sein 1. Klavierkonzert.
Als Kind jüdischer Eltern 1927 in Saarbrücken geboren, wurde die Familie Steinke nach dem
Anschluss des Saarlandes an das Deutsche Reich aus ihrem Heimatland verbannt. Man kann von
Glück reden, dass sie während dieser frühen Phase der Judenverfolgung in Deutschland die
Möglichkeit der Ausreise erhielten.
Tzvi Avni, der früher den deutschen Namen Hermann Steinke trug, lebte sich in seinem Exil ein
und konnte sich mit Hilfe der Musik an die neue Situation anpassen. Sein Vater starb bald nach
der Ankunft in Palästina. Seine Mutter musste als Schneiderin für ihren Lebensunterhalt sorgen.
Gelegentlich konnte der Junge bei den Nachbarn Radio hören. Zu seiner Barmitswa, am 13.
Geburtstag, erhielt er eine Mundharmonika – sein erstes Instrument. Die Musik bereitete ihm
soviel Freude, dass er bald andere Instrumente spielen wollte. Zur Finanzierung dieses Traumes
arbeitete er schon mit 14 Jahren bei den städtischen Wasserwerken. Das Geld reichte für eine
Mandoline und eine Blockflöte, woraufhin er bald Noten erlernte. Seine Musikerkarriere wird
durch die Staatsgründung Israels und die damit verbundene Wehrpflicht unterbrochen. Nach
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zwei Jahren kann er endlich an der israelischen Musikakademie Komposition studieren. Er
machte seinen Abschluss 1958 und studierte vier Jahre darauf in den USA am Columbia
Princeton Electronic Music Center und Tanglewood weiter. Nach seiner Rückkehr wurde er
Pädagoge am Mann-Auditorium und anschließend Direktor an der Jerusalemer Musik- und
Tanzakademie. Er heiratete die Sängerin Pnina und zu seinem Bekanntenkreis gehörten bald die
namhaftesten Musiker Israels – eine künstlerische Schaffens-Atmosphäre in der zahlreiche
Werke und Projekte entstehen konnten. Avnis Musik war in ihren Anfängen sehr von Béla
Bartók, Maurice Ravel und Claude Debussy sowie später auch Arnold Schönberg beeinflusst. Im
Verlauf wandte er sich der Avantgarde und nahöstlicher Melodik zu.
Sein bisher einziges Klavierkonzert ist ein Auftragswerk für die Duisburger Philharmoniker. Es
wurde am 2. September 2010 dort uraufgeführt. Avni beschreibt in einem Interview, dass auf
ihm ein großer Druck lastete, da so viele Größen des 20. Jahrhunderts vor ihm Meisterwerke des
Genres geschaffen hatten, man denke hier nur an die Klavierkonzerte eines Rachmaninows.
Aufgrund seiner Freundschaft mit Heidrun Holtmann, welche auch am heutigen Abend am
Flügel sitzen wird, übernahm er den Auftrag und schrieb für sie das Konzert für Klavier und
Orchester Nr. 1.
Das gesamte Konzert ist sehr rhythmisch angelegt. Zu Beginn werden Streicher und Klavier als
Rhythmusinstrumente eingesetzt, ähnlich der vorangegangenen Kammersinfonie
Schostakowitschs im zweiten Satz. Es schließt sich eine lyrische Passage an, eine Oboe leitet ein.
»Märchenklänge« wie Glitzern und ein Glockenspiel werden dem Klavier, das vermeintlich in
Clustern spielt, beigestellt. Der erste rhythmische Abschnitt wird wieder angeschlossen.
Im zweiten Satz wird der mittlere Teil des ersten wieder aufgenommen. Er beginnt sehr leise.
Das Klavier spielt chromatische- und Ganztonläufe. Die Instrumente erklingen als Individuen,
als hätte jedes seine eigene Melodie. Tzvi Avni sagt, dass Melodien für ihn enorm wichtig sind,
sie sind die Basis, das Wesentliche. Hier haben wir keine gewöhnliche oder eine einfache
Melodie – aber es ist eine Melodie! Er überschreibt diesen zweiten Satz mit »Bekenntnis«.
Das Klavier wird im letzten Satz endlich zum Soloinstrument. Jetzt wird konzertiert: Die beiden
Hauptakteure stehen sich gegenüber. Ein effektvolles Finale mit der Herausstellung der
Perkussionsinstrumente auf Seiten des Orchesters ist zu hören. Die Solistin eröffnet nun auch
ihre kurze Solokadenz mit einem Echo-Akkord. Nach und nach gesellen sich wieder die anderen
Instrumente dazu. Zum Schluss ist man wieder an den ersten Satz erinnert. Eine runde Sache?
Sie sind heute in der einmaligen Lage ein absolut neues Musikstück zu hören und einzuschätzen.
Wer weiß, ob Tzvi Avni ohne die Erfahrung des Exils solche Musik hätte schreiben können.
Wäre sie »deutscher« oder hätte sie genauso viele Einflüsse wie von Ravel, Bartók, Gamelanoder russischer Musik?
Nach der Pause erklingt das wohl gefühlsbetonteste Stück des Abends. Ein lässig-scherzhafter
Klezmertanz eröffnet die Ouvertüre über hebräische Themen op. 34b von Sergej Prokofjew.
Sie entstammt der weltlichen jüdischen Musik. Ich betone dies, da sich im Gegensatz dazu das
nachfolgende Werk von Ernest Bloch an synagogaler Musik orientierte. Voller Humor und
Ironie blinzelt keck eine von der Klarinette vorgetragene Melodie um die Ecke. Jüdische Musik
ist für mich immer eine traurige Glückseligkeit. Schostakowitsch umschrieb es einmal als
»Lachen unter Tränen«. Man findet im schlimmsten Moment immer eine optimistische Note.
Umgekehrt ist auch im höchsten Glück jedes Mal Wehmut zu spüren. Als Gegenthema hören wir
eine sehnsuchtsvoll-melancholische Melodie, die zu einer Offenbarung aufblüht und unser Herz
mitreist. Man kommt ins Schwelgen und wird ganz still. Ab der Hälfte des Stückes weckt uns der
rhythmische Klezmertanz wieder aus unseren Träumereien auf. Man möchte sich bewegen, die
Arme in die Luft heben und dabei mit den Fingern schnipsen, sich ausgelassen im Kreis drehen.
Aber immer bleibt im Hinterkopf die liebend-leidende Erinnerung. So stellen wir uns jüdische
Musik vor. Hier wunderbar angenehm vertont von Sergej Prokofjew.
Dieser traf 1919 in seinem Exil, den USA, auf ehemalige Kommilitonen des Petersburger
Konservatoriums. Sie hatten sich mittlerweile zu dem Ensemble »Zimro«, welches aus einem
Streichquartett, einer Klarinette und einem Klavier bestand, zusammengefunden und baten den
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befreundeten Komponisten ein Eröffnungsstück für ihr Programm zu schreiben. Dafür gaben sie
ihm ein Heft mit jüdischen Liedern in die Hand. Prokofjew war eher abgeneigt, vorgegeben
Musik zu vertonen, setzte sich dann trotzdem ans Klavier und begann über die Liedthemen zu
improvisieren. Eine Legende besagt, dass sich die Melodien wie von selbst zusammenfügten und
ein ganzes Stück ergaben. Die Uraufführung in New York war ein großer Erfolg, so dass die
Komposition auch für Orchester umgeschrieben wurde. Diese Vertonung hören wir am heutigen
Abend.
Eine andere Art jüdischer Musik komponierte Ernest Bloch mit seinen 3 jüdischen Gedichten.
Hier gestaltet sich die Thematik der Musik des Exils anders. Das Werk entstand 1913, als Bloch
noch in seiner Heimat, der Schweiz, lebte. Es war Musik, welche dort nicht verstanden, nicht
beachtet wurde – Musik eines Juden. Ich möchte hier noch betonen, dass er zwar die Gesänge
der Synagogen kannte, diese jedoch in seinen Kompositionen nicht notengetreu nachzeichnete.
Denn er war nach seinen Worten schließlich kein Archäologe! Vielmehr nutzte er typische
Merkmale der hebräischen Musik und bildete seine eigene Tonsprache heraus. Ob er bei seiner
Auswahl von der Wiederbelebung nationaler Werte der jüdischen Musik in St. Petersburg unter
Rimsky-Korsakow gewusst hatte, lässt sich nicht genau verfolgen. Gewiss aber ist, dass seine
Musik ab 1916 im Exil in den USA viel größere Anerkennung erfuhr und anscheinend dort
heimisch war. Im Anschluss folgten immer wieder Kompositionen jener Art, die dann zu einem
»Jüdischen Zyklus« zusammengefasst wurden. In einem Text für die Zeitschrift musica hebraica
beschrieb Bloch seine Kompositionsweise wie folgt: »In meinem als jüdisch bezeichneten Werk
[… benutzte ich] mehr oder weniger authentische Melodien (die meistens den anderen Völkern
entliehen, angeglichen sind) oder mehr oder minder geweihte >orientalische< Formeln. «
Jüdische Merkmale verbinden auch die Sätze der 3 Gedichte. Beispielsweise der auf die Musik
übertragene hebräische Sprechrhythmus, der eigentlich keine langen oder kurzen Vokale kennt,
oder der als Schofar-Klang interpretierte Einsatz von Trompeten. Für den Schofar, ein
altertümliches Instrument aus Widder-Horn, gibt es verschiedene Spielformeln; sie reichen vom
Ausdruck der Freude und des Glücks, über Bedauern und Bekümmernis, bis hin zu
Vorandrängen und dem letzten Triumph.
Der erste Satz mutet zu Beginn orientalisch an, doch die Benutzung von kleinen Intervallen in
den Holzbläsern von den Streichern übernommen bis zum Erschallen der Trompeten, kehrt dann
doch den jüdischen Charakter des Stücks heraus.
Der zweite Satz wird im selben Klangmodus durchgeführt und erinnert dabei durchaus an die
Filmmusik eines »Lawrence von Arabien«, die zur Entstehungszeit dieses Werkes noch gar nicht
existierte. Wieder erklingen nach kurzer Zeit die eindringlichen »Schofar-Trompeten«. Der ruhig
fließende Hauptteil, der ein Bild der Idylle zeichnet, beschließt diesen Satz.
Über die Entstehung des dritten und letzten Gedichtes – den Trauermarsch – haben wir konkrete
Angaben. Blochs Biografin Mary Tibaldi Chiesa beschreibt für uns folgende Szene:
»[…] er schrieb es [den Trauermarsch] nachdem er die Nacht neben seines Vaters leblosem
Körper verbracht hatte, in der Pein und den Schmerz über das unerbittliche Verhängnis, aber in
Ergebenheit und Läuterung angesichts des Schicksals.« Ganz in der Darstellung dieses
Geschehens aufgehend, komponiert er einen impressionistischen vom gesamten Orchesterklang
getragenen Part.
Für Ernest Bloch waren die 3 jüdischen Gedichte erst der Anfang, ein – sehr gelungener –
Versuch, seine individuelle, neue Musiksprache zu entwickeln. Aber schon hier befolgt er seine
eigene Vorschrift, die Komposition mit einem optimistischen Schluss oder wenigstens einem
Hoffnungsstrahl zu beenden.
Jessica Brömel, M.A.
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