Einführung in Grundbegriffe - Interpretation einer Videoszene aus der Reihe „Die Simpsons“ A) SZENE „LISA BLÄST TRÜBSAL“ Szene aus der US-amerikanischen Comic-Serie "Die Simpsons" (Matt Groening) Informationen zum Kontext der ausgewählten Szene: Lisa, 12jährige Tochter der Simpson Familie, fühlt sich einsam: - im Schulorchester ausgelacht und vom Orchesterleiter kritisiert, weil sie in der Probe auf ihrem Saxophon frei improvisiert; - die Eltern verstehen sie nicht; - die Witze des Bruders, über die sie sonst lachen konnte, findet sie dumm und kindisch. Lisa fühlt sich einsam: Sie legt sich aufs Bett, spielt Saxophon. Der Vater, beim Fernsehen gestört, stürzt ins Zimmer, meckert über das 'Gejaule'. Lisa flüchtet mit ihrem Saxophon in die nächtliche Stadt, trifft einen schwarzen Saxophonisten. Dieser bringt ihr einige neue Töne bei, findet Lisas Spiel großartig. Beide spielen und singen vor dem mondhellerleuchteten nächtlichen Himmel. Lisa ist glücklich. Die Mutter kommt, schimpft, zerrt sie ins Auto nach Haus. Am nächsten Tag - die Mutter fährt Lisa mit dem Auto zur Orchesterprobe in die Schule. Vor dem Gebäude stehen zwei jungen aus Lisas Schulklasse: Umschrift der Tonspur Die Simpsons, Matt Groening: „Lisa bläst Trübsal“ Marge nutzt die Fahrt zur Orchesterprobe zu einem Gespräch mit Lisa (Melancholische Musik im Hintergrund) Marge: Jetzt hör mir mal zu Lisa, das ist sehr wichtig. Ich möchte, daß Du heute endlich mal lächelst. Lisa: Aber mir ist gar nicht nach Lächeln. Marge: Es ist doch ganz gleich, was Du innerlich fühlst, weißt Du, nur was man äußerlich sieht, darauf kommt es an. Das hat meine Mutter mir auch beigebracht. Nimm Deine ganzen miesen Gefühle und schluck sie runter. Ganz tief runter bis unter die Knie bis Du fast auf ihnen läufst. Und dann geht alles wie von selbst. Man lädt Dich zu Parties ein, und die Jungs mögen Dich auch. /Ahhn (Lisa stöhnt)/ Und dann kommt das Glück. Marge: Na los, das kannst Du noch viel besser. /(Lisa versucht es)/ Marge: Gut so, braves Mädchen. Lisa: Da fühlt man sich gleich viel beliebter! (Geht in Richtung Schuleingang. Dort stehen zwei Jungen aus der Klasse.) 1. Junge: Hallo, Du Grinsekatze! 2. Junge: Hey! Wieso sprichst Du denn mit der, die haut Dich doch gleich doppelt in die Pfanne! Lisa: Wieso denn? 2. Junge: Weißt Du, ich habe Dich immer für so ne Intelligenzbestie gehalten. Aber ich glaube, Du bist ganz o.k. Lisa: Aha. 1. Junge: Hey, warum kommst Du nach der Probe nicht mal zu mir rübergeschneit und machst meine Hausaufgaben? Lisa: Aber gern. (Mutter wird unruhig.) Orchesterleiter: Fünf Minuten Herrschaften, fünf Minuten. Ach, Miss Sipmson! Ich hoffe, der gestrige Ausbruch ungezügelter Kreativität kommt nicht noch einmal vor! Lisa (kleinlaut): Nein, Sir, nie wieder. Marge: Mmmm! (Gibt Gas, fährt mit quietschenden Reifen vor, stoppt, reißt Lisa ins Auto, gibt Gas.) Orchesterleiter: (sinngemäß) Jetzt wissen wir wenigstens, woher sies hat! Lisa: Whoo! Mammi! Marge: Lisa, ich muß mich bei Dir entschuldigen, ich nehme alles zurück. Ich hab mich geirrt. Bleibe immer Du selbst. Wenn Du traurig sein willst, dann sei auch traurig, das ist ja kein Beinbruch. Und wenn dann deine Traurigkeit vorbei ist, dann freun wir uns gemeinsam. Weißt Du was, von nun an werd ich für uns beide lächeln. (Ruhige, harmonische Klänge.) Lisa: Einverstanden, Mammi. (Beide liegen sich in den Armen.) Marge: Ich hab gesagt, Du kannst damit aufhörn! Lisa: Aber wenn ich mich so fühle! B) FALLGESCHICHTE - INTERDISZIPLINÄR ANALYSIERT PERSPEKTIVE „ERZIEHUNG“ Disziplin: Erziehungswissenschaft/Pädagogik Thema: Geschlechtstypische Persönlichkeitserziehung Mutter als Erziehende (Erziehungssubjekt) - Tochter als Erzogene (Erziehungsobjekt) Szenische Abfolge von zwei unterschiedlichen Erziehungsmodellen („Ältere“ und „neuere“ Erziehungswerte) Problem: Konsistenz der Erziehungsziele (Mutter ist „inkonsistent“) Erstes Modell (Szene): „Es ist ganz gleich, was Du innerlich fühlst...nur was man äußerlich sieht, darauf kommt es an.“ Geschlechtstypische Persönlichkeitserziehung als „Affektkontrolle“ im Dienst der sozialen Anpassung (sozialen Beliebtheit) Trennung von Innen- und Außenleben „Außen“ als öffentlich sichtbare Fassade „Innen“ als private und unsichtbare Modellierung von Stimmungen und Gefühlen Soziale Anerkennung als Voraussetzung für persönliches „Glück“ Geschlechtstypisch: Anerkennung nicht über Leistung (z.B. in Schule), sondern über soziale Geschicklichkeit Zweites Modell (Szene): „Bleibe immer Du selbst“ Geschlechtstypische Persönlichkeitserziehung als Authentisch-Sein im Dienste der Forderung, Individualität zu leben Gefühle als Ausdruck der ganzheitlichen Persönlichkeit Aufhebung der Trennung von Innen- und Außenleben Aus der persönlichen Identität folgt soziale Anerkennung Erziehung (Pädagogik) E. ist ein von Erwachsenen geplanter Prozeß, um Heranwachsende in die geltenden sozialen Handlungsregeln und die Normen, die diesen zugrundeliegen, einzuführen. Der Prozeß ist durch pädagogische Verfahren und Methoden gesteuert und verfolgt bestimmte Erziehungsziele. In diesen Zielen ist niedergelegt, wie Heranwachsende auf wünschenswerte Weise in der Erwachsenengesellschaft sozial handlungsfähig werden. E. erfolgt in dafür vorgesehenen Institutionen von dafür legitimierten Personen; teilweise als Beruf, teilweise ehrenamtlich (Eltern!). E. in modernen Gesellschaften ist problematisch: Erziehungsziele sind umstritten; Autorität der erwachsenen Pädagogen ist geschwächt; Die Frage wird diskutiert, wer wen erzieht (Heranwachsende als Erzieher der älteren Generation). LENZEN, DIETER (Hrsg.): PÄDAGOGISCHE GRUNDBEGRIFFE. 2 Bände. Reinbek b.H.: Rowohlt 1989 PERSPEKTIVE „SOZIALISATION“ Disziplin: Soziologie und interdisziplinär 1. Geschlechtstypische Sozialisation in der Gesellschaft der Peers „Wieso sprichst Du denn mit der, die haut Dich doch gleich in die Pfanne.“ Solidaritätsregeln unter Gleichaltrigen a) Zusammenhalten gegen Außengruppen, insbesondere gegen Erwachsene - Bei Regelverletzung = Sanktion: Ausschluß aus der sozialen Gruppe - Bei Regelbefolgung = Soziale Anerkennung (o.k. sein) b) Betonung der Gleichheit (der Interessen, Fähigkeiten) - Besondere Fähigkeiten dürfen nur zum Nutzen der Gruppe eingesetzt werden Geschlechtstypik: - Jungen als Regelsetzer in gemischtgeschlechtlichen Schulgruppen - Versuch der Ausbeutung der braven Schulmädchen 2. Geschlechtstypische Sozialisation in der Abfolge der Generationen in der Familie: „Das hat meine Mutter mir auch beigebracht“ Familienbezogene Sozialisation im Verbund dreier lebender Generationen: Großmutter - Mutter - Tochter Mütter als „Scharnier“ in der Vermittlung kultureller Werte zwischen jüngerer und älterer Generation (Diskontinuität durch Präsenz beider Wertorientierungen) 3. „Heimliches Curriculum“ der Schulpädagogik: „Ich hoffe, der gestrige Ausbruch ungezügelter Kreativität kommt nicht noch einmal vor.“ Orchesterleiter als Repräsentant schulisch „geordneter“ kultureller Leistung und Individualität Sozialisation S. bezeichnet den Prozeß, durch den Heranwachsende sich, von Geburt an, die sozialen Handlungsregeln, die in der Gesellschaft gelten, und die Normen/Werte, die diesen zugrundeliegen, aktiv aneignen. Der Prozeß findet seinen Abschluß, wenn die Heranwachsenden in der Erwachsenengesellschaft sozial handlungsfähig werden. S. in modernen Gesellschaften ist problematisch: Moderne Gesellschaften wandeln sich rasch, haben unterschiedliche Handlungsregeln ausdifferenziert, produzieren vermehrt abweichendes Verhalten und Subkulturen. Daher ist der Prozeß der S. - unabgeschlossen/unabschließbar (lebenslanges Lernen) - gruppenspezifisch ausdifferenziert („Pluralismus“) - mit sozialer Abweichung verknüpft („Subkulturen“) (N. Luhmann: Abweichende S. ist die Regel, nicht abweichende S. die Ausnahme) Im Vergleich zur Erziehung ist S. der umfassendere Prozeß. S. schließt Erziehung mit ein. S. findet in allen Begegnungen der Heranwachsenden mit erwachsenen Personen und Institutionen der Erwachsenengesellschaft statt, nicht nur in pädagogischen, wie im Fall der Erziehung. PERSPEKTIVE „ENTWICKLUNG“ Disziplin: (Entwicklungs-)Psychologie 1. Modell der Reifung (älteres entwicklungspsychologisches Modell) Körperliche Entwicklung (Pubertät) löst psychische und soziale Veränderungen aus. Die Heranwachsenden müssen lernen, diese Veränderungen (= Entwicklungsanreize) zu bearbeiten: - Entdeckung des Ich und Einsamkeit (Ablösung vom Eltern-Modell) - Sexualität und gegengeschlechtliche Beziehungen 2. Modell der altersspezifischen Entwicklungsaufgaben (neueres Modell) Den einzelnen Altersphasen sind normativ (gesellschaftlich, pädagogisch) spezifische Aufgaben zugeordnet, die in diesem Lebensabschnitt bewältigt werden müssen. - Aufbau von befriedigenden Beziehungen zum anderen Geschlecht (Freundschaft) - Lernen, in Einklang mit seinen persönlichen Gefühlen leben (Individuierung als neue Stufe der Ich-Entwicklung) Entwicklung E. bezeichnet den Prozeß, in dessen Verlauf die Heranwachsenden zu Personen werden und eine eigene Persönlichkeit herausbilden („Individuation“). E. geschieht in Auseinandersetzung - der Person mit sich selbst (Körper, Selbst), - mit der sozialen Umwelt (Mitmenschen) und - mit der materiellen Umwelt (Natur, Gegenstände, Bauten). E. in modernen Gesellschaften ist problematisch - Traditionen des Aufwachsens sind nicht gesichert, (z.B. biologische Zeittafeln). - Starker Außendruck wirkt auf E. ein: (Neue Medien; Wandel Wohnumwelt). - Jede Generation findet veränderte Entwicklungsbedingungen vor. PERSPEKTIVE ENKULTURATION Disziplin: Kulturanthropologie; interdisziplinär Thema Simpson: Soziale Beliebtheit unter Gleichaltrigen als starke Norm. Einübung in die Kultur der US-amerikanischen Mittelschicht. Enkulturation (Vgl. dagegen AKKULTURATION „in die multikulturelle Gesellschaft“) Enkulturation bezeichnet den Prozeß, durch den Heranwachsende von Geburt an die kulturellen Überlieferungen ihrer Gruppe (Kultur der Erwachsenen) erlernen und somit „Mitglieder“ dieser Kultur werden. Zentral: Das Erlernen der Sprache einer Kultur. (Sprache als das komplexeste kulturelle Symbolsystem.) Im Verlauf der Enkulturation werden viele Elemente und Muster der Kultur „verinnerlicht“ und dadurch Bestandteile der „soziokulturllen Persönlichkeit“. Enkulturation läßt sich als ein Teil der Sozialisation verstehen. Sozialisation ist der umfassendere Prozeß. Quelle: W. Fuchs u.a. (Hrsg.) (1978): Lexikon zur Soziologie. Opladen