Die Ich-Funktionen Die Affekttoleranz Das Ergebnis der psychischen Geburt ist die Herausbildung eines eigenen Ich-Bewußtseins des Individuums. Diesem „Ich“ obliegen verschiedene Aufgaben, die es mit seinen „Ich-Funktionen“ bewältigen muß. Als wesentliche Ich-Funktionen werden das Gedächtnis, das logische Denken, die Realitätsprüfung, die Beherrschung der Bewegungsfähigkeit ebenso verstanden, wie die Fähigkeiten zur Nachahmung, zur Identifikation und zur Verinnerlichung. Zentrale Ich-Funktionen, die den Verstand, das Gedächtnis, die Intelligenz oder die Körperbeherrschung steuern sind bei suchtkranken Menschen zunächst nicht gestört. Suchtgefährdete Menschen sind also genauso intelligent, geschickt oder lernfähig wie alle anderen Menschen auch. In Folge einer Suchterkrankung treten allerdings bei vielen Alkohol- oder Drogenabhängigen erhebliche Störungen auch der zentralen Ich-Funktionen auf. Der Volksmund sagt dann: „Der hat seinen Verstand versoffen“. Die vorgeschädigte Persönlichkeitsstruktur bei suchtgefährdeten Männern und Frauen betrifft allerdings zunächst ausschließlich diejenigen Ich-Funktionen, mit denen wir unser Gefühlsleben steuern. Die gestörten Ichfunktionen bei suchtkranken Menschen Eine vorgeschädigte Persönlichkeitsstruktur bildet sich in den ersten Lebensjahren. Voraussetzung dazu ist ein gewisses schädigendes Milieu, welches aber in allen sozialen Schichten auftreten kann. Als Ergebnis einer solch ungünstigen Entwicklung tritt eine Ich-Schwäche in Erscheinung. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß die betroffenen Menschen durch Belastungen und Konflikte in ihrem Leben tiefere seelische Beeinträchtigungen empfinden als der Durchschnittsmensch. Die heutigen psychoanalytischen Suchtforscher betrachten das Problem von Drogenabhängigkeit und Alkoholismus hauptsächlich unter dem Aspekt der gestörten Ich-Funktionen. Unter IchFunktionenen werden diejenigen Fähigkeiten des Individuums verstanden, mit denen es erfolgreich mit seiner Umwelt in Kontakt treten kann. Im Gegensatz zu den aus dem ES stammenden Trieben, die nach Befriedigung drängen, dienen die Ich-Funktionen dazu, die Bedürfnisse des Menschen zu verwirklichen, unter Beachtung der Realität. Drei Bereiche der Ich-Funktionen sind für das Verständnis der Persönlichkeitsstruktur suchtkranker Menschen von besonderer Bedeutung. Es handelt sich dabei um, die Fähigkeit mit unangenehmen und widersprüchlichen Gefühlen umzugehen (Affekttolleranz), die Art und Weise wie ich bei mir selbst und bei anderen gleichzeitig positive und negative Einstellungen und Regungen akzeptieren kann (Objekt- und Selbstrepräsentanz). Die Wahrnehmung unterschiedlicher Bewußtseinszustände (Bewußtseinsveränderung) Wie entwickeln sich diese Ich-Funktionen und welche Störungen sind hier beim suchtkranken Menschen aufgetreten? Zur Veranschaulichung dieser Fragestellungen sollen nun Fallgeschichten herangezogen werden, die sich tatsächlich so ereignet haben. Das Problem der Frustrationstolleranz (Affekttolleranz) Stefan1 Stefan ist gerade 29 Jahre alt als er zur Behandlung in die Fachklinik kommt. Bei der Aufnahme macht er einen etwas unsicheren, jedoch freundlichen und gepflegten Eindruck. Stefan ist seit gut einem Jahr arbeitslos und lebt im Hause seiner Eltern. Seine beiden Schwestern, 4 und 6 Jahre älter als er, leben in eigenen Familien in der Nachbarstadt. Mit dem Alkoholtrinken habe er schon recht früh angefangen, erzählt Stefan. Als er zwölf Jahre alt war, meldete ihn der Vater in einem Spielmannszug an, damit er mal aus dem Hause kam. Obwohl ihm das Musizieren sehr leicht viel, verspürte er stets große Ängste und Unsicherheiten 1 Alle persönlichen Angaben sind verschlüsselt. Namen, Orte und Zeiten sind so verändert, daß die wahre Identität nicht ermittelt werden kann. 1 den anderen Kameraden gegenüber, die er als viel älter und reifer als sich selbst erlebte. Diesen Unsicherheiten konnte er mit kleinen Streichen und Clownereien etwas entgegen setzen. Zu diesen Streichen gehörte auch, daß er manchmal mit einigen anderen Kindern bei Feiern die Reste aus den Bier- und Schnapsgläsern der Erwachsenen austrank. Bei diesen Anlässen stellte er fest, daß die anderen Jungs so viel tranken, daß sie sich übergeben mußten und dann am nächsten Tag die Finger davon ließen. Er hingegen freute sich immer schon, wenn es wieder gegen Ende eines Umzuges etwas zu feiern gab und er heimlich kleine Restmengen austrinken konnte. Bei solchen Gelegenheiten fühlte sich Stefan angenehm befreit und er konnte sogar mit den Erwachsenen reden und fühlte sich von diesen auch ernst genommen. Selbst mit Mädchen, vor denen er ansonsten immer große Unsicherheiten verspürte, konnte er dann scherzen. Ab dem sechzehnten Lebensjahr trank er dann auch offiziell beim Spielmannszug Bier und er fühlte sich in den Kreis der Männer aufgenommen. Obwohl er bis zum 18. Lebensjahr schon recht viel Alkohol konsumierte, verspürter er keinerlei Probleme, denn der Alkoholkonsum beschränkte sich ganz auf den Spielmannszug, wo er auch seine ersten Kontakte zu anderen Geschlecht bekam. Außerhalb dieser Welt, an seiner Lehrstelle als Werkzeugmacher, in der Berufsschule oder bei sonstigen Freizeitaktivitäten, fühlte er sich stets unsicher, kindlich und einsam. Er benennt das Gefühl, von der Außenwelt abgelehnt zu werden und kommt sich oft klein, hilflos und nichtssagend vor. In solchen Stimmungen fühlt er oft das Bedürfnis bei seiner Mutter Trost zu suchen oder beim Spielmannszug zu sein. Im Alter von knapp neunzehn Jahren wird Stefan zur Bundeswehr eingezogen. Hier verändert sich nun sein Trinkverhalten dramatisch. Er muß sich nun nicht mehr an die Regeln des Spielmannszuges halten, Bier wird jetzt schon morgens getrunken, bald über den ganzen Tag. Bis zum Ende der Bundswehrzeit hat er sein Bierquantum auf mindestens eine Kiste pro Tag gesteigert. Nach dem Wehrdienst arbeitete er noch kurz als Werkzeugmacher, verlor aber diese Stelle nach einem knappen Jahr wieder wegen schwerer alkoholbedingter Fehler. Nachdem sich dann auch noch seine Freundin von ihm trennte, die er noch aus den Zeiten im Spielmannszug kannte, versuchte er sein Leben zu verändern, indem er von zu Hause fort zog, in ein kleines Appartement in der Innenstadt. Dort verfiel er nun völlig dem Alkohol. Die beinahe täglichen Trinkexzesse brachten ihn bald um seine gesamten Ersparnisse, und innerhalb kürzester Zeit häuften sich seine Schulden auf über zehntausend Mark an. Der Vater bezahlte daraufhin die Schulden, kündigte das Appartement und richtete ihm im elterlichen Haus ein Zimmer ein, das Stefan dann bezog. Er spürte nun, daß er nicht fähig war allein zu leben. Andererseits fühlte er sich aber durch seine Mutter derart eingeengt, daß er immer wieder Ausbruchsversuche unternehmen mußte, die in extremen Alkoholräuschen endeten. Diese Trinkexzesse führten dann dazu, daß er mehrmals wegen Krampfanfällen im Krankenhaus behandelt werden mußte. Während dem vierten Krankenhausaufenthalt lernte er einen Patienten kennen, der Mitglied des Blauen Kreuzes war. Die Lebensgeschichte dieses Mannes beeindruckte ihn dermaßen, daß er dessen Rat annahm und sich an die örtliche Suchtberatungsstelle wandte. Von hier wurde dann eine Langzeittherapie in einer Fachklinik eingeleitet. Am Fall Stefan soll nun das Problem der Frustrationstoleranz bzw. Affekttoleranz beleuchtet werden. Seit den Forschungen der Freud Tochter, Anna Freud, weiß die Psychoanalyse, daß der Säugling jedes Gefühl stärkerer Spannung, Unbehagen oder Unlust als Schmerz erlebt. Alle Menschen, die selbst mal kleine Kinder hatten, können sich an das herzerweichende Schreien ihrer Babys erinnern. Dazu kommt noch eine sehr geringe Schmerzschwelle bei den Kleinkindern, wodurch schnell seelische Erschütterungen entstehen können. Wenn in einer solchen Situation die Mutter2 dem Kind Geborgenheit vermittelt, wirkt sie wie ein Schutzschild gegen diese unangenehmen Empfindungen. Gleichzeitig fördert und trainiert die Mutter dadurch die Fähigkeit beim Kleinkind, zukünftig Spannungen und Schmerzen besser ertragen zu können. Bei Reizüberflutungen reagiert der Säugling körperlich und seelisch völlig chaotisch. In einem sogenannten „Ur-Affekt“ kann er Angst, Depression, Wut und Schmerz mit all ihren körperlichen 2 Die Psychoanalyse spricht nicht von Mutterbeziehung, sondern von Objektbeziehung. Damit wird deutlich, daß diese Bezugsperson nicht unbedingt die leibliche Mutter sein muß. Auch Väter, oder andere Menschen können die Rolle der hier beschriebenen Mutter übernehmen. Da es aber in unserer Kultur bisher üblich war, daß die Mütter diese Rolle übernommen haben, werde ich im folgenden von der Mutter sprechen, wenn auch andere frühe Bezugspersonen in Frage kommen. 2 Begleiterscheinungen nicht auseinanderhalten. Er erlebt dann die Gefahr akuter Vernichtung, also Todesangst. Durch eine gute Beziehung zu seiner frühen Bezugsperson (das ist meistens die Mutter), wird im Laufe der kindlichen Entwicklung die Frustrationstoleranz immer größer. Nach und nach kann das Kleinkind die verschiedenen Gefühle, wie Angst, Trauer, Wut usw. unterscheiden. Außerdem lernt es immer mehr zu unterscheiden, was wirklich gefährlich ist und was ungefährlich ist. Und schließlich macht es die ganz wichtige Erfahrung, daß unlustvolle Zustände vorübergehender Art sind. Diese wichtige Erfahrung kommt gut zum Ausdruck durch den Vers, den man kleinen Kindern vorsingt, wenn diese sich weh getan haben: „Heile, heile Gänschen ...... ......, in hundert Jahren ist alles wieder gut.“ Vom Ursprung her stammen körperliche Schmerzen und schmerzliche Gefühle aus ein und derselben Wurzel und sind eng miteinander verbunden. Daher kann der suchtkranke Mensch auch seelische Verstimmungen wie körperliche Schmerzen mit Schmerzmitteln bekämpfen. Die meisten harten Drogen sind ja nichts anderes als hochwirksame Schmerzmittel, das Morphium ist das bekannteste davon. In der weiteren Entwicklung der Gefühlsdifferenzierung beim Kleinkind bleiben Angst und Schmerz eng miteinander verbunden. Man weiß heute, das Menschen, die weniger Angst verspüren auch weniger Schmerz spüren. Stefan, der oben beschrieben wurde, hatte als kleines Kind eine sehr enge Mutterbeziehung. Die Familie hatte sich sehr einen Sohn gewünscht, jedoch zunächst zwei Mädchen bekommen. Die beiden älteren Töchter haben sich „völlig normal“ entwickelt, Suchtprobleme sind nicht zu erkennen. Warum gibt es nun bei Stefan diese Auffälligkeiten, die ich weiter oben schon als Persönlichkeitsstörung benannt habe. Der Sohn wurde nun von der Mutter sehr geliebt. Er sollte möglichst keine unangenehmen Erfahrungen machen, folglich paßte seine Mama stets gut auf ihn auf und räumte ihm all die Schwierigkeiten und Probleme nach Möglichkeit immer gleich aus dem Wege. Schon als Stefan noch ein ganz kleines Kind war, konnte es seine Mutter nicht ertragen, wenn der Junge mal etwas Unangenehmes erlebte. Sie versuchte möglichst alles, was ihm auch nur annähernd Unbehagen bereiten könnte, von ihm abzuwenden. Zwischen den Eheleuten kühlte sich die Beziehung zunehmend ab. Stefans Mama kümmerte sich nahezu ausschließlich um ihn, die beiden älteren Töchter waren ohnehin schon etwas selbständiger. In den Kindergarten wurde Stefan nicht geschickt, weil seine Mutter befürchtete, er würde dort nicht gut behandelt. Auch wenn der Junge mit anderen Kindern spielen wollte, so sah es die Mutter nicht gern, weil sie einen schlechten Einfluß dieser Kinder vermutete. Deshalb versuchte sie auch den Kontakt zu den anderen Kindern zu unterbinden. So wuchs Stefan sehr gut behütet, in enger Bindung an seine Mutter auf und man könnte meinen, das Kind hätte nun so viel Liebe erhalten, daß es ein gutes und stabiles „Ich“ entwickeln konnte. Das Gegenteil ist aber der Fall. Durch die Überfürsorge der Mutter, die uns besonders bei Alkoholikern oft begegnet, hatte der Junge keine Möglichkeiten die eigene Emotionalität zu trainieren. Stefan sollte möglichst keine unangenehmen Erfahrungen machen. Folglich lernte er auch nicht unangenehme Gefühle zu verarbeiten, denn sobald er sich was getan hatte war die Mutter zur Stelle. Diese Probleme verschärften sich für Stefan noch, denn die Mutter war ja immer gut zu ihm. Und so kam erschwerend hinzu, daß er ein schlechtes Gewissen bekam, wenn er mal unabhängig von der Mama sein wollte oder „böse“ Gedanken auf sie hatte. Die überfürsorgende Mutterliebe führte schließlich zu zwei Störungen in der Persönlichkeitsentwicklung bei Stefan. Zum einen konnte er nicht üben, Schmerz und Unbehagen selbst zu bewältigen, und zum anderen bekam er immer ein schlechtes Gewissen wenn er mal etwas unabhängiges von der Mutter tat. Schließlich mußte er ja immer die Erfahrung machen, daß Mama es ja nur gut mit ihm meinte. Die Probleme die Stefan dann in der Grundschule bekam waren hauptsächlich sozialer Art. Er war kein schlechter Schüler aber ein Einzelgänger, und er wurde manchmal von seinen Mitschülern als „Weichei“ verspottet. Der Vater war nur selten zu Hause. Wenn er nicht in der Firma war engagierte er sich im Schützenverein, der Gewerkschaft und in einer politischen Partei. Als er wegen einer längeren Krankheit mal zu Hause bleiben mußte, bekam er Streit mit seiner Frau, wegen deren Überfürsorge. 3 So kam es, daß er den Jungen im Spielmannszug anmeldete. Dafür machte ihm seine Frau später schwere Vorwürfe, weil sie hier die Ursache für Stefans Alkoholismus sah. Im Spielmannszug machte Stefan zunächst zwiespältige Erfahrungen. Zum einen fühlte er sich ohne die Nähe der Mutter unsicher und ängstlich und sehnte sich bei unangenehmen Erfahrungen nach ihr. Zum anderen bekam er ein schlechtes Gewissen der Mutter gegenüber, wenn es ihm mal gut ging und er Freude im Spielmannszug bekam. Diese beiden Beeinträchtigungen verlor er nachdem er Alkohol getrunken hatte. Durch die Forschungen der Psychoanalyse weiß man heute, daß durch eine gelungene Objektbeziehung (bei Stefan: Mutterbeziehung), die Frustrationstolleranz im Laufe der kindlichen Entwicklung immer größer wird. Dadurch führen Frustrationen zu immer geringeren gefühlsmäßigen Belastungen. Das Kind erwirbt schließlich die Fähigkeit die Gefühle sprachlich auszudrücken. Dadurch wird der Weg zur geistigen Verarbeitung unangenehmer Gefühle frei. Um das zu erreichen, muß das Kind, unter dem Schutze einer es liebenden Bezugsperson, unangenehme Gefühle und Schwierigkeiten trainieren, sonst bleibt es auf einem frühen Zustand der Schmerzverarbeitung stehen oder fällt in Krisensituationen wieder darauf zurück. Stefan ist nie soweit gekommen, für seine unangenehmen Gefühle die richtigen Worte zu finden und sie zu verarbeiten. Er blieb auf seine Mutter angewiesen, wodurch er in deren Abwesenheit ständig ein unterschwelliges Gefühl von Hilflosigkeit erlebte. Schon ganz normale Unannehmlichkeiten des Lebens wurden für Stefan nahezu unerträglich, ganz zu schweigen von konflikthaften Auseinandersetzungen und Schmerzen. Unbewußt fühlte er sich in Situationen, die der Nichtsüchtige als allgemeine Widrigkeiten des Lebens empfindet, von einem kindlichen Ur-Affekt bedroht, den er ohne den Schutz der Mutter nicht überleben kann. Auffällig ist bei vielen alkoholkranken Menschen, genau wie bei Stefan, der Wunsch nach absoluter Geborgenheit. Gleichzeitig wird aber, besonders im Rausch, eine ablehnende Wut der Mutter gegenüber empfunden. Darauf wird dann wiederum mit Schuldgefühlen reagiert. Stefan hat seine Spannungen mit dem kindlichen Gefühl empfunden, daß die Umgebung die Pflicht hat, Erleichterung und Geborgenheit zu vermitteln. Diese Wünsche sind beim Kleinkind ja völlig berechtigt. Wenn sie nicht verarbeitet werden, fühlt sich der erwachsene Alkoholiker in seinen elementaren Bedürfnissen von der Umwelt betrogen, wenn diese nicht seine kindlichen Riesenansprüche erfüllt. Der Vater hat bei Stefan schließlich darauf reagiert, indem er seine Wohnung gekündigt hat, die Schulden beglich und ein Zimmer im elterlichen Haus für ihn einrichtete. Spannungen werden im Laufe der normalen kindlichen Entwicklung nicht nur ertragen und geübt weil die Mutter Schutz und Sicherheit gibt sowie Triebbefriedigung garantiert. Sie werden besonders auch dadurch verarbeitet, indem die Mutter das Kind ermutigt selbst Erfahrungen mit Emotionen zu machen. Wenn das gelingt ist das Kind stolz darauf und es bildet sich nach und nach ein Selbstwertgefühl heraus. Das Kind ist zunächst das als was es von den Eltern empfunden wird. Ist es geliebt und traut man ihm etwas zu entwickelt es einen höheren Selbstwert. Dieses Selbstwertgefühl wird stabilisiert, indem elterliche Haltungen, Gebote und Verbote verinnerlicht werden. Wenn diese Haltungen vom Kind angenommen werden so bilden sie einen eigenen Teil der Persönlichkeit als Bestandteile des Ichs und des Überichs. Durch die Verinnerlichung von elterlichen Normen und Regeln stabilisiert sich das Selbstwertgefühl weiter, denn der junge Mensch weiß nun selbst was „richtig und falsch“ ist, er ist auf Hilfe von außen nicht mehr ausschließlich angewiesen. Dieses Selbstwertgefühl und die Frustrationstolleranz hat Stefan im Spielmannszug durch den Alkohol erhalten. Er machte die Erfahrung, daß er sich mit der Hilfe von Alkohol selbstsicher, weniger ängstlich und unabhängig vom müttelichen Schutz fühlte. Das war der Einstieg in seine Suchtkarriere. Im Falle von Stefan wurde die Ich-Entwicklung durch eine überfürsorgende Objektbeziehung beeinträchtigt. Diese Fälle sind unter alkoholkranken Menschen häufig anzutreffen. Stefan ist eigentlich in diesem Zusammenhang ein „leichterer Fall“, dessen Störung nicht von einer unmittelbar „bösartigen“ Mutter ausgegangen ist. Natürlich gibt es auch die bösartigeren fälle bei denen es dann bis zum sexuellen Mißbrauch gehen kann. Die andere Seite der Medallie sind aber die vernachlässigten bzw. unterversorgten Kinder, die ebenso wie die überversorgten Kinder eine Suchterkrankung entwickeln können. Auf einen solchen fall werde ich im nächsten Kapitel zu sprechen kommen. 4