Giuseppe Verdi Don Carlo Liebe Macht Politik [?!] Ein Studienbehelf für jugendliches Publikum1 1. Zum Inhalt Was passiert und worum gehts? © Irene Froschauer Don Carlo ist eine Oper nach Friedrich von Schillers gleichnamigem Trauerspiel, die in verschiedenen Versionen aufgeführt wird. Heute erklingt die italienische Fassung in vier Akten. Die Handlung spielt um 1560. Vorgeschichte Don Carlo, der spanische Königssohn, soll - so will es die Politik - Elisabetta von Valois aus Frankreich heiraten. Beide entwickeln Gefühle füreinander. Aus Misstrauen beschließt Don Carlos Vater Filippo II. kurzfristig, Elisabetta selbst zu heiraten. Don Carlo ist verzweifelt. Freund Rodrigo steht ihm zur Seite. Er überredet ihn dazu, für die Befreiung von Flandern zu kämpfen, in der Hoffnung, dabei seinen Schmerz über den Verlust von Elisabetta zu vergessen. 1. Akt auf Bitte Don Carlos bringt Rodrigo Elisabetta einen Brief, in dem er sie um ein heimliches Treffen bittet Elisabetta gewährt ihm das Gespräch und hört sich die Bitte an, ihn für die Entsendung nach Flandern bei Filippo zu empfehlen Don Carlo muss sie umarmen sie stößt ihn weg und sagt, um sie zu bekommen, müsse er seinen Vater ermorden Filippo hat die Umarmung der beiden beobachtet Rodrigo versucht, den König zum Einsatz in Flandern zu überreden Filippo bleibt stur, bewundert Rodrigo aber insgeheim für seine moderne, offene Art und macht sich Rodrigo zu seinem Vertrauten 1 Erarbeitet im Rahmen des Seminars Neue Wege der Musikvermittlung 02 (Leitung Ass.Prof. Dr. Beate Hennenberg) am Institut für Musikpädagogik der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien, Sommersemester 2007/ 2008. 2. Akt: Elisabetta tauscht mit Prinzessin Eboli, die übrigens in Don Carlo heimlich verliebt ist, die Masken, um sich dem Trubel zu entziehen Don Carlo gesteht der vermeintlichen Elisabetta erneut seine Liebe und ist entsetzt, als er merkt, dass sich Eboli hinter der Maske verbirgt Nun will Eboli ihn mit den „Beweismaterialien“ erpressen und ihn zur Liebe zwingen, andernfalls würde sie Filippo von der Liebe zwischen Elisabetta und Don Carlos erzählen Rodrigo will daraufhin handgreiflich werden, Don Carlo verhindert dies In einer großen Zeremonie werden durch die Inquisition Verräter und Ketzer verbrannt Don Carlo Versuch will erneut von seinem Vater die Erlaubnis, für Flandern in den Befreiungskrieg gehen zu dürfen dieser lehnt ab, Don Carlo erhebt sein Schwert gegen den König, Rodrigo wirft sich noch dazwischen, Don Carlo wird verhaftet. 3. Akt: Filippo sinniert über seine Einsamkeit und sein schlechtes Verhältnis zu seiner Frau Elisabetta beklagt sich bei ihrem Mann über das Verschwinden einer Schatulle und ist entsetzt, als sie herausfindet, dass der König sie – überbracht von Eboli - in seinem Besitz hat Filippo wird neugierig, was sich darin befinden könnte er öffnet sie gewaltsam und findet ein Bild von Don Carlo darin, daraufhin beschuldigt er Elisabetta der Untreue Eboli erkennt ihre Schuld und möchte als letzte gute Tat vor ihrer Abreise vom Hof Don Carlo retten, indem sie das Volk mobilisiert der Aufstand wird von König Filippo beendet. als Rodrigo Don Carlo im Gefängnis besucht, um sich von ihm zu verabschieden, wird Rodrigo aus dem Hinterhalt erschossen sterbend teilt er Don Carlo mit, dass Elisabetta beim Kloster St. Juste auf ihn wartet 4. Akt: Don Carlo und Elisabetta treffen sich ein letztes Mal er will das Träumen von seiner großen Liebe endlich aufgeben und stattdessen im Gedenken an Rodrigo Flandern retten Als sich die beiden zum Lebewohl umarmen, werden sie erneut von Filippo erwischt daraufhin liefert der König seinen eigenen Sohn der Inquisition aus und besiegelt so seinen Tod. Personen der Oper Kaiser Karl V. (erscheint als Mönch) - Filippo II. (Nachfolger Karls V.) – Elisabetta (Tochter des französischen Königs Heinrich II.) - Don Carlo (Sohn Filippos II.) - Rodrigo (Marquis von Posa) - Prinzessin Eboli - Il Grande Inquisitore – Tebaldo (Page der Königin) - Il Conte di Lerma - Ein Herold Diskussionsstoff Warum darf eine Person wie Rodrigo tatsächlich so offen und provokant zu einer höher stehenden Persönlichkeit wie dem spanischen König sprechen? Was wollte Friedrich Schiller, der den Text schrieb, damit ausdrücken? Warum muss sich Elisabetta zwischen Liebe und Staat entscheiden? Was wahrt sie durch ihre Entscheidung für den Staat und gegen die Liebe? Gibt es heute noch politische Ehen oder Zwangsvermählungen? Welche Bedeutung hat „Würde“ heutzutage? Wie würdet ihr die Beziehung zwischen Rodrigo und Don Carlos beschreiben? Was bedeutet euch Freundschaft, Treue, Unterstützung? 2. Zum Komponisten Giuseppe Verdi (1813-1901) - Ein Mann des Theaters © Isida Pronjari Verdi als junger Künstler Giuseppe Verdi stammt aus der Provinz Parma (Italien). Mit fünf Jahren erhielt er in der Dorfpfarre Musikunterricht, dort machte sich seine musikalische Begabung früh bemerkbar. Später lernte er Orgel und Komposition in der Gemeindemusikschule in Busseto. Seine ersten Werke komponierte Verdi für die Società filarmonica, ein Verein für Laienmusiker. Die nächste Station Verdis ist Mailand, ein großes Musikzentrum, wo er seine Studien fortsetzte. 1838 erschien sein erstes gedrucktes Werk, eine Sammlung von 6 Romanzen. Die Oper Nabucco war der Durchbruch Verdis als Opernkomponist. Diese Oper wurde mit überwältigendem Erfolg 1842 uraufgeführt. In den nächsten Jahren versuchte er, mit den führenden Opernhäuser Italiens in Kontakt zu kommen. Verdi als Unternehmer Verdi war geschäftlich sehr geschickt und kam auf eine geniale Idee: Anstatt seine Partituren an die Opernhäuser zu verkaufen, wie es alle Komponisten um ihn herum taten, verkaufte er lediglich die Aufführungsrechte – natürlich um einen geringeren Preis. Die Partituren blieben aber bei seinem Verleger! Dieser konnte immer und immer wieder die Aufführungsrechte verkaufen. Mit dieser Strategie gelang es ihm, immense Summen zu verdienen, die zuvor noch undenkbar waren. Das war ein wichtiger Schritt, auch in Hinsicht auf die neue Idee des Urheberrechtes, das 1865 in Kraft getreten war. Verdi als Staatsbürger Verdi interessierte sich auch für das politische Geschehen in Italien, für die Freiheitsbewegungen und Kämpfe in seiner Heimat. Bereits in seiner Oper Nabucco versuchte er schon, die Idee des Patriotismus zu thematisieren. Verdi als berühmter Komponist In Italien waren damals die Opern von Rossini und Donizetti beliebt, weil im Zentrum der Gesang stand, nicht – wie in Österreich und Deutschland – die instrumentale Tradition. Verdi führte diese Tradition so weiter, dass die Musik den dramatischen Gehalt der Handlung verdeutlicht. Auch die Dauer und Spannung der einzelnen Opernabschnitte wird durch die Musik charakterisiert. Vor allem bringt sie aber die Gefühlswelt der Figuren zum Ausdruck. Verdi starb 1901 in Mailand. Seine berühmtesten Opern sind Rigoletto, La Traviata, Il Trovatore, La Forza del Destino, Aida, Othello, Falstaff. 3. Zum Text Don Karlos, Infant von Spanien von Friedrich Schiller © Matej Santi Mein „Lieblingskinde“ Anlässlich der Weltausstellung 1867 erhielt Giuseppe Verdi von der Pariser Oper einen Kompositionsauftrag. Dafür wählte Verdi Schillers Trauerspiel Don Karlos, Infant [Titel für Kinder der spanischen Monarchen] von Spanien. Schiller war überzeugt, dass Don Karlos sein bestes Stück werden könnte. Wie es in einem Brief aus dem Jahr 1783 zu lesen ist, trug er das Werk immer mit sich. Es wollte die Inquisition anklagen und deren „Schandflecke fürchterlich an den Pranger stellen.“ 1785 nannte er das Stück das „Lieblingskinde meines Geistes“. Das Libretto, also der gesungene Operntext, so wie es Méry und Camille du Locle gestaltet haben, folgt im Großen und Ganzen den Vorgaben Schillers. Aber es finden sich auch paar kleine Unterschiede: die Librettisten ließen weniger interessante Szenen fort und fügten andere hinzu, die sich besser für eine Operaufführung eignen. Es gibt sieben Opernfassungen! Hier wird die vieraktige italienische Fassung von 1882/ 83 dargestellt, welche 1884 an der Mailänder Scala aufgeführt würde. In dieser Fassung wurde der erste Akt und das Ballett gestrichen, welches eigentlich in der französischen Operntradition eine wichtige Rolle spielt. Das Grauen der Inquisition Im Jahr 1516, nach dem Tode Ferdinands II., wurde dessen Enkel Karl (Sohn von Johanna der Wahnsinnigen und vom Habsburger Philipp des Schönen) König von Spanien. Er erbte von mütterlicher Seite das spanische Reich, von Seite des Vaters die habsburgischen Territorien in Österreich, Burgund sowie die Niederlande. 1519 wurde er als Karl V. zum König des Heiligen Römischen Reichs gewählt, 1530 zum Kaiser. Obwohl Karl V. 1521 die österreichischen Erblande an seinen Bruder Ferdinand abgab und mehrere Kriege zwischen Spanien und Frankreich stattfanden, stieg Spanien zur europäischen Hegemonialmacht auf. Die Konquistadoren [Eroberer] Hernán Cortéz und Francisco Pizarro eroberten große Territorien in Amerika. Der Nachfolger Karls V., Philipp II., konnte im Frieden von Cateau-Cambrésis gegenüber Frankreich die spanische Vorherrschaft behaupten. Eine große Rolle spielte der Katholizismus, als sein Machtinstrument wütete die Inquisition (lateinisch: „gerichtliche Untersuchung“). Sie war seit 1478 in Spanien sogar eine staatliche Einrichtung, ihr Oberhaupt ein Großinquisitor. Die Inquisition verfolgte Minoritäten und Andersgläubige wie Morisken (spanische Mauren), Protestanten und Juden. Oft kam es zur Denunziation, darauf folgten Verhaftung, Folter und öffentliche Verbrennung. In Spanien sind zwischen 1481 und 1808 über 31000 Menschen auf diese Art ums Leben gekommen. (aus: Der Brockhaus, Geschichte, Leipzig, Mannheim 2006) Diskussionsstoff Hast Du in deiner bisherigen Ausbildung schon einmal etwas über die Inquisition gehört? Nicht nur in Spanien, auch in Österreich gab es unter Herzog Leopold VI. um 1215 Ketzerverfolgungen, eine größere Inquisition um 1260 im Gebiet zwischen dem Salzkammergut und dem Wienerwald. Glaubst du, ob etwas ähnliches heute - unter welchen Umständen wieder möglich wäre? Was kannst Du aktiv gegen Ausgrenzung, Diskriminierung und Verfolgung von Andersdenkenden tun? 4. Eine besondere Szene Liebeserklärung Don Carlos an die als Elisabeth verkleidete Eboli (2. Akt, 1. Bild) © Veronika Jetter Don Carlo hat einen Brief erhalten, in dem steht, dass er sich um Mitternacht mit Elisabetta in deren Garten treffen soll. Er ist voller Erwartung, seine Geliebte zu sehen und ahnt nicht, dass der Brief von Eboli stammt, welche Don Carlo heimlich liebt. Eboli kommt verschleiert, aber Don Carlo glaubt, Elisabetta vor sich zu haben und überhäuft sie mit Liebesbekundungen: „Sei tu, sei tu,bell` adorata Che appari in mezza ai fior! Sei tu, sei tu! l`alma beata Già scorda il suo dolor! O tu cagion del mio contento Parlati posso almen! O tu cagion del mio tornento Sei tu, amor mio, sei tu, mio ben!“ „Ihr seid es, schöne Geliebte. Die durch Blumen wandelt Ihr seid es! Meine entzückte Seele sieht ihre Schmerzen schwinden. O brennende, heilige Quelle meines süßesten Glücks, meiner geliebten Traurigkeit mein Leben, meine Liebe, Ihr seid es!“ Eboli hat somit erfahren, wie sehr Don Carlo in seine jetzige Stiefmutter verliebt ist. Dies hat in den nächsten Szenen schwere Folgen für Don Carlos. Wie könnte so eine Situation heute aussehen? Stell Dir vor, Du hast Dich in jemanden verliebt, der schon mit deinem besten Freund/deiner besten Freundin zusammen ist. Du willst das Ganze natürlich geheim halten und triffst dich deshalb mit ihr/ihm nur heimlich im Internet (msn messenger oder skype). Ein guter Freund/eine gute Freundin von deiner/m Angebeteten ist aber wiederum in dich verliebt. Da sie/er das Passwort von dessen/deren account kennt, logt er/sie sich heimlich unter dem Namen des anderen ein und verabredet sich mit dir zum Chat. Du freust Dich riesig drauf und schreibst gleich drauf los, was du ihm/ihr schon längst über deine Gefühle sagen wolltest. Der/die andere antwortet darauf, aber Du merkst, dass das nicht die Art ist, zu schreiben, wie Du es von dem/der anderen kennst. Der/ die andere kommt hinter dein Geheimnis und da er/sie beleidigt ist, weil du nicht in ihn/sie verliebt bist, schreibt er/sie, dass er alles ausposaunen wird. Was würdest Du tun?!? 5. Zum Jugendprojekt an der Wiener Staatsoper Oper – eine wunderbare Kunst Ein Erfahrungsaustausch mit Chefdramaturg Dr. Andreas Láng © Kaoru Asayama Wie entsteht eine Oper und wer ist daran beteiligt? Die inhaltlichen und organisatorischen Vorbereitungen für eine Opernpremiere an der Wiener Staatsoper beginnen rund ein Jahr zuvor, die konkreten musikalischen Proben dann sechs Wochen vor dem Premierentermin. An der Wiener Staatsoper arbeiten – inklusive Orchester, Ballett und Chor – rund eintausend Menschen. Pro Vorstellungsabend sind 400 Mitarbeiter beschäftigt, für die Bühne allein arbeiten abendlich 40 bis 50 Menschen. Das hängt davon ab, ob die Inszenierung technisch kompliziert ist oder – wie die älteren Produktionen – einfach. Wichtig für eine gelungene Aufführung ist nicht nur die Qualität der SängerInnen, sondern auch der Maskenbildner, der Garderobieren, der Beleuchter. Weiters zu nennen ist die Akustikabteilung am Haus, die die Untertitel koordiniert, der Chordirektor, der Korrepetitor, der Regieassistent, der Inspizient, der Maestro suggeritore. Alles sind ausgebildete Musiker und helfen, dass der Abend gelingt. Der Souffleur beherrscht vier bis fünf Sprachen. Die wichtige Rolle der Dramaturgie Oft ist es nicht auf den ersten Blick ersichtlich: der Dramaturgie kommt an jedem Opernhaus, so auch an der Wiener Staatsoper, eine der wichtigsten Rollen zu. Der Operndramaturg arbeitet von Anbeginn sehr eng mit dem Direktor des Hauses, der die Werke auswählt, und dem Regisseur und dessen Regieassistenten, der den Opern dann seine eigene Handschrift gibt, zusammen. Die Dramaturgen haben hervorragende Kenntnisse über das neuzuinszenierende Werk und dessen geschichtliche und intellektuelle Hintergründe. An der Wien Staatsoper arbeiten zwei Dramaturgen, wovon einer direkt mit dem jeweiligen Regisseur arbeitet. Der andere, Dr. Andreas Láng, ist zuständig für Programmhefte, für das Opernjournal, für Interviews wie auch die Zusammenarbeit mit den Jugendlichen. So betreut er auch dieses heutige Magna-Jugendprojekt und ist euer Ansprechpartner. Übrigens ist er selbst ein ausgebildeter Pianist, der zuvor mehrere Jahre Korrepetitor in der Staatsoper war.