Auszüge aus einem Interview mit Sima Ganguly - TdU-Wien

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Sima Ganguly – die weibliche Stimme von Jana Sanskriti
Im Juni 2008 trafen sich internationale Forumtheatergruppen und JokerInnen1 beim
emkaefem – Festival in Pula, Kroatien. Neben Augusto und Julian Boal, Adrian
Jackson, Chen Alon und Muriel Naessans war das Kernteam der indischen
Theaterbewegung Jana Sanskriti die Hauptattraktion der Verantstaltungen am
Istrischen Nationaltheater. Dieses Mal hatten wir die Möglichkeit eines ersten
Interviews mit Sima Ganguly, Mitgründerin und Hauptschauspielerin der Gruppe zu
führen.
Jana Sanskriti’s Kernteam tourte Juni und Juli durch Spanien, Kroatien, Frankreich,
Schweden und Holland. Überall war der Besuch von Jana Sanskriti, ihre Auftritte und
Workshops, etwas ganz besonders erwartetes.. Sie lehren uns EuropäerInnen eine neue,
andere Dimension des Theaters der Unterdrückten. Es ist eine ungewohnt authentische
Empathie mit den Menschen und eine unvermutet direkte Art Dinge zu adressieren.
Die wenigen Texte die es zu Jana Sanskriti gibt wurden zumeist von Sanjoy Ganguly verfasst,
dem als mehrsprachig geübtem Redner, die Aufgabe zufällt die Gruppe nach außen zu
repräsentieren. Doch intern entscheidet die Gruppe im Kollektiv. Sima Ganguly ist eine der
zentralen Säulen des Teams. In Europa sammelt sie ihre Eindrücke meistens in Workshops
die Sanjoy leitet und in den Interventionen zu den Forumtheaterstücken in denen sie spielt.
Sima ist 42 Jahre alt, hat einen Sohn und stammt aus einer konservativen, traditionellen
westbengalischen Familie. Die Ehe mit Sanjoy ist begründet auf einer Liebesheirat. Simas
Sprache ist blumig und direkt und die LeserInnen sind angehalten ihre Worte nach
Möglichkeit sensibel zu kontextualisieren. Beim Interview ist Sima von Biti2 begleitet.
Sima, was ist dein erster Eindruck von den Frauen in Europa? Worüber möchtest du gern
sprechen?
Ich bin besorgt um Europa, ich weiß aber nicht ob mein Eindruck der richtige ist. Mir
scheinen die Frauen hier sehr unterdrückt, sie scheinen sich selbst und einander nicht
besonders zu lieben. Viele Kinder sind allein.
Kinder hören die Geräusche der Welt draußen schon wenn sie noch im Bauch sind. Hier in
Europa sagen die Menschen: das ist deine Trauer, dein Zimmer. Sie verstecken Dinge in sich,
sie isolieren sich, sie beziehen die Dinge nur auf sich.
Mein Sohn Sujoy wurde mitten ins Leben geboren. Von Beginn erlebte er wie sich Menschen
um einander kümmerten, sich aushalfen. Diese gegenseitige Empathie macht uns menschlich.
‚Birgits Problem ist nicht mein Problem’, so etwas kann ich nicht sagen. Es ist einfach nicht
möglich. Die Menschen in Europa müssen einen Dialog beginnen. Es ist falsch sich so allein
zu fühlen.
In Beziehungen sowie beim Entscheidungen treffen, scheinen die Menschen hier nicht in
einer politischen oder gesellschaftlichen Dimension zu denken, sondern immer nur auf sich
bezogen. In Indien haben wir viele Probleme, aber wir haben eine politische Identität. Es gibt
zwei Worte die mir hier besonders wichtig sind: Anpassung und Kooperation.
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So nennt man die LeiterInnen von Theater der Unterdrückten Workshops und Forumtheateraufführungen
Mitschauspielerin und Aktivitstin von Jana Sanskriti
Der Kopf und das Herz müssen mit einander in Verbindung stehen. Unser Gespräch ist
letztendlich nur möglich, weil du dein Englisch an mein Englisch anpasst und wir auch mit
dem Herzen verstehen. Weil wir beide es wollen und es uns wichtig ist, gelingt uns dieses
Gespräch.
Als wir 2006 die SpectActor Rally3 machten, da fühlten sich die Frauen zu Hause bei uns. Sie
kamen weil sie offen und frei sprechen können und das ist eine ‚Revolution’ die sie sehr
lustvoll und freudig erleben. Wir zwingen die Menschen zu nichts, nicht so wie die
politischen Parteien, wir machen auch keine Versprechungen. Wir geben tatsächlich etwas.
Frauen haben viel Kraft, denke an Durga und an Eva. Wenn alle Frauen zusammenkommen,
dann haben wir alles gewonnen. Als ich aufwuchs, war ich umgeben von vier Wänden um
meine Welt herum. Jetzt ist meine Welt offen, ich finde Wege mich auszudrücken und
teilzuhaben.
Heute kann ich sagen, dass viele Frauen mit denen wir arbeiten ihre eigenen Entscheidungen
treffen. Seit 1984 haben wir viel erreicht. In Indien heiratest du nicht einen Mann, wenn du
heiratest, du heiratest eine ganze Familie. Jetzt triffst du auch Entscheidungen.
2006 erfuhr ich bei einem Aufenthalt in Frankreich, dass eine Frau von ihrem Mann ermordet
worden ist. Wie kann das hier geschehen? Bei diesem äußeren Grad der Emanzipation und
Gleichberechtigung? Frauen fahren mit dem Auto, sie tragen Männerkleidung und sprechen
viele Sprachen. Es fehlt die innere Revolution.
Es braucht Liebe. Liebe ist das letzte Wort und das erste Wort, ohne Liebe kannst du gar
nichts erreichen.
Wenn ich heute zu Biti komme und sie gibt mir eine Blume des Zorns und ich geb ihr eine
Blume der Liebe. Dann muß ich nachdenken. Was hab ich falsch gemacht, wo liegt mein
Fehler? Vielleicht ist Biti zornig weil ich irgendwie falsch eingestellt bin. Das müssen wir
herausfinden.
Als ich heiratete da war mein Schwiegervater so progressiv. Man fragte mich: Bist du nicht
verheiratet? Ist dein Schwiegervater tot? Hast du keine Schwiegermutter? Weil ich keine
Zeichen einer verheirateten Frau trug.
Ich wurde eine Tochter, keine Schwiegertochter. Mein Schwiegervater schlug vor, dass ich
Theater machen sollte. Ich lehnte das damals ab und sagte: Das kann ich nicht. Und er fragte:
Wie kannst du das wissen, wo du es doch noch nicht getan hast? Wenn ich jetzt mein Leben
ansehe, dann denke ich nicht an Gott, ich denke an meinen Schwiegervater.
Er hat mir nie Fehler vorgeworfen. Er sagte immer, das hast du gut gemacht. Wenn ich kochte
und sagte: Das ist mir heute nicht gut gelungen, dann antwortete er: Wie kannst du sagen, es
ist nicht gut? Du hast den ganzen Tag in der Küche verbracht, wenn du das nicht getan hättest
würde ich heute nicht essen. Ich weiß nicht wie man kocht.
Damals machte die Gruppe Propaganda Theater. Er sagte: „Schau es dir an, und dann
entscheide dich“. 1989/1990 fand das große 300 Jahre Kolkatafestival statt.. Jana Sanskriti
machte eine Alternativperformance dazu. Es fehlte ihnen eine Schauspielerin
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siehe Fraunesolidarität 01/07
Wer kann wissen was wir alles für Schätze in uns verborgen haben! Mein Schwiegervater
glaubte an mich. Also studierte ich die Rolle und trat auf.Ich wurde auf der Bühne
vergewaltigt und ich spielte meine Rolle gut.
Er ermöglichte mir, in mir selbst ungeahnte Schätze zu entdecken. Für mich bedeutet meine
Ehe die Welt. Andere Frauen wollen nicht verheiratet sein. In meinem Fall öffneten Sanjoy
und sein Vater eine Tür für mich.. So begann ich mein neues Leben als Schauspielerin.
Sima, von was träumst du?
Eines Tages werden alle Menschen einen Dialog führen können, die ganze Welt. Die Theater
der Unterdrückten Familie ist groß, vielleicht können alle Menschen einmal frei sein ihr
eigenes Selbst zu entdecken.
Ich liebe es zu Jokern. Weil ich dann eine Mediatorin bin, eine Zuschauerin und eine
Schauspielerin und eine Aktivistin. TO4 macht Platz für intellektuelle und spirituelle
Entwicklung, ich fühle mich sehr gut dabei und ich beobachte wie die Menschen dabei ihren
Weg gehen. Wir leben alle unter einem Himmel, wir sind nicht so verschieden.
Wann wird endlich diese Trennung aufhören? Ob ich Brahmanin bin oder Muslimin, das Kind
nährt sich von meiner Brust..
Biti: Möchtest du uns auch etwas erzählen?
Wir haben unser eigenes Dorfteam und jeder kann sehen wie wir uns durch die Arbeit
verändern. Also für mich kann ich das sagen, ich habe mich sehr verändert, wir in der Gruppe
haben uns verändert.
Da war ein Schauspieler in der Theatergruppe seine Frau regelmäßig schlug. Das war sehr
normal für ihn, er war es gewohnt. Als er es wieder einmal tat, weil er beleidigt war, stoppte
er ganz plötzlich und sagte: Das kann ich nicht mehr tun, das ist falsch! Wir lachten aus
ganzen Herzen als wir davon hörten.
Unser wichtigstes Thema ist die Bildung. Die Lehrer bei uns unterrichten nicht, es gibt eine
Menge Korruption. Die Regierung gibt Geld für Essen für die Schüler und die Schulen
manipulieren die Zahlen. Es gibt vielleicht 15 SchülerInnen und sie sagen es gäbe 80. Dann
nehmen die Lehrer das Essensgeld oder das Essen das zugeteilt wird.
Wenn wir über diese Situation Forumtheaterstücke machen und in den Dörfern aufführen,
dann haben wir Schreiber mit uns, die nach den Interventionen und Publikumsdiskussionen
einen Bericht and den Unterrichtsminister verfassen und ihm schicken.
Wir leiten auch Schulen. Die Dorffrauen unterrichten und die Dorfgemeinschaft entscheidet,
wer eine Lehrerin sein wird. Wir verlangen 5 Rupees im Monat.
Die Menschen bevorzugen unsere Schulen den Regierungsschulen gegenüber. Es ist
Vorbereitungsniveau. Wir zeigen den Kindern wie man näht Wir unterrichten den Rhythmus
des Lebens, die alltäglichen Routinen, wir verwenden keine Bücher.
Wir unterrichten wie man lernt.
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Abkürzung für Theater of the Oppressed
Sima Ganguly ist Gründungsmitglied und Hauptschauspielerin des Kernteams von Jana
Sanskriti, dem weltweit größtem indischen Theater der Unterdrückten Netzwerk. Sie ist auch
Ehefrau von Sanjoy Ganguly, der die Theaterbewegung nach außen vertritt und leitet.
Birgit Fritz ist Lektorin für transkulturelle Theaterarbeit am Institut für Internationale
Entwicklung an der Universität Wien und Mitgründerin des TdU-Wien.
Webtipps:
www.janasanskriti.org
www.theatreoftheoppressed.org
www.tdu-wien.at
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