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Kolumnentitel
2 Kritikgespräch
2.1 Begriffliche Grundlagen
Kritikgespräche sind ein eigener Gesprächstyp. Ihr Zweck ist, explizit Kritik an
nichtprofessionellem Verhalten auszusprechen und Änderung zu verlangen.
Kritikgespräche führe ich unter der Zielsetzung, dass ein Problem möglichst dort
gelöst wird, wo es entstanden ist, und von denen, die es verursacht haben.
Kritikgespräche enthalten deshalb konstruktive Konfrontation und Orientierung aus
dem speziellen qualitätssichernden Rollen-Auftrag von Führung (+kEL).
Kritikgespräche in der Institution Schule sind in der Regel dreiphasig. Die beiden
ersten Phasen sind obligatorisch:
1. die Ausarbeitung der Kritik (Konfrontation): Kritik äußern – Stellungnahme der
kritisierten Person dazu – Klärung der Problem-`Haftung´ und der Folgen des
Problemverhaltens – Zusammenfassung der Kritik (in Konsens oder in
transparentem Dissens);
2. der Änderungsanspruch (Orientierung): Änderungsanspruch äußern –
Stellungnahme der anderen Person dazu – Zusammenfassung des
Änderungsanspruchs (in Konsens oder in transparentem Dissens) – bei Dissens:
ggf. Offenlegung evtl. Konsequenzen, die ich ziehe, wenn die andere Person die
beanspruchte Änderung verweigert.
Die dritte Phase ist fakultativ:
3. Unterstützungsangebote, falls darum gebeten wird oder falls sicher erkennbar
ist, dass sie gewünscht werden (z.B. ein Beratungsgespräch).
Am Ende von 3. – ansonsten von 2. – muss deutlich sein, bis wann und wie
weitgehend und auf welche Weise verifizierbar die andere Person die Änderungen
vornehmen wird. Diese Absprachen – oder Auflagen – sind zugleich der
Bezugspunkt für evtl. Folgegespräche.
Ein Kritikgespräch kann (zunächst) nur die unmittelbar vorgesetzte Person führen.
Das Kritikgespräch mit einer Lehrperson ist also an meine Rolle als
Schulleiterin/Schulleiter gebunden. Die für mich zuständige Schulaufsicht darf erst
dann selber das Kritikgespräch mit einem Kollegiumsmitglied meiner Schule
führen, wenn ich keine direkte Gesprächsmöglichkeit mit dieser Lehrperson mehr
sehe und die Schulaufsicht um Unterstützung bitte.
Wir grenzen den Gesprächstyp Kritikgespräch ab von kommunikativen Handlungen
wie „kritisieren“ oder „Feedback geben“:
„Kritisieren“ kann ich auch als Lehrer, und zwar sowohl andere
Kollegiumsmitglieder wie auch meine Schulleiterin. Ich kann als Lehrer diese
Personen aber nicht zu einem Kritikgespräch einladen oder gar `bestellen´.
„Feedback“ geben setzt darüber hinaus voraus, dass die andere Person eine
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Rückmeldung von mir zu ihrem Handeln haben will oder zumindest meinem
Feedbackangebot zustimmt.
Die Initiative zu einem Kritikgespräch liegt bei mir als Schulleiterin bzw.
Schulleiter.
Ich kann die Teilnahme an einem Kritikgespräch verlangen (im Unterschied zu
einem Beratungs- oder einem Schlichtungsgespräch, die ich nur
vorschlagen/anbieten kann).
Als gesprächsführende Person spreche ich einseitig das Arbeitsverhalten der
kritisierten Person an. Oft versucht diese mit einer Gegen-Kritik zu „kontern“. Sie
versucht damit (verständlicherweise) die sachliche Einlassung auf meine Kritik zu
vermeiden. Würde ich darauf eingehen, würde ich die Führung des Gesprächs
verlieren und wir gerieten in Gefahr, in Beziehungsclinch einzutreten, statt
Sachverhalte zu klären. Gesprächsführung bedeutet also, dass ich (während der
Dauer des Gesprächs) darüber orientiere, welche Themen in dieses Gespräch
gehören und welche ausgelagert werden.
Soweit die Gegen-Kritik nicht direkt etwas mit dem von mir angesprochenen
Thema zu tun hat, biete ich dafür ein eigenes Gespräch zu einem später(!) zu
vereinbarenden Termin an.
Soweit diese Kritik an meinem Verhalten etwas mit dem Sachverhalt zu tun hat,
wird sie einbezogen, etwa wenn es um die Haftung für das Problemverhalten geht.
Sie erledigt aber nicht (im Sinne einer gegenseitigen Kritik-`Verrechnung´) meine
Ausgangskritik; auch wenn ich meine evtl. eigenen Problemanteile an dem
kritisierten Verhalten der anderen Person anspreche bzw. einsehe.
Kritikgespräche sind dyadisch strukturiert: Ich kann mehrere Personen zugleich nur
dann kritisieren, wenn sie ein Team darstellen, dessen interne Haftungsverteilung
mir unbekannt ist bzw. von dem Team selbst verantwortet wird (und von dem Team
in einem anschließenden Teamgespräch geklärt werden würde).
Sind Kritikgespräche delegierbar?
StellvertreterInnen oder Abteilungsleiter müssen – außer bei Abwesenheit der
Schulleiterin / des Schulleiters – durch Delegation zu Kritikgesprächsführung (im
Einzelfall) beauftragt werden oder grundsätzlich schulöffentlich beauftragt sein.
Abteilungsleitende in Gesamtschulen sind demgegenüber durch ihre
Rollenbeschreibung strukturell bereits für die Führung von Kritikgesprächen mit
Lehrpersonen ihrer Abteilung bzw. Stufe autorisiert, weil sie formell zur
Schulleitung gehören. Abteilungs- bzw. Stufenleitende in den anderen Schulformen
gehören – als „Lehrerinnen/Lehrer mit besonderen Aufgaben“ – zwar nicht zur
Schulleitung, sie haben aber je nach den Rechtsvorschriften (ADO) spezifische
Zuständigkeiten und sind daher auch zur Führung von Kritikgesprächen berechtigt.
Freilich begrenzt sich diese Zuständigkeit auf Vorkommen, die (primär) ihre
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Abteilung/Stufe betreffen; es handelt sich also immer nur um eine Einzelfall- und
Ressort-Zuständigkeit.
In der Regel ist es nicht professionell, wenn ich als Schulleiter meinen
Stellvertreter informell mit solchen Gesprächen beauftrage. Wenn ich – im
begründeten (und für alle Beteiligten transparenten) Ausnahmefall – als
Stellvertreter (oder Abteilungs-/Stufenleiter) ein Kritikgespräch führe, muss ich mir
sicher sein, dass ich jederzeit (auch handelnd) von meiner Schulleiterin / meinem
Schulleiter gestützt werde.
Als Schulleiter muss ich wissen, wie Verantwortung rollengemäß zu teilen ist: wo
ich in eigener Verantwortung zuständig bin, wen ich über mein Gespräch
informieren und wann ich es delegieren müsste. Beispiele: Mein Stellvertreter ist
für Stundenplan und Vertretungsregelungen zuständig, bei häufigen Verspätungen
eines Lehrers könnte er nur auf der Basis von Delegation durch mich ein
Kritikgespräch vereinbaren und führen. Die Stufenleiterin 5/6 an meiner
Gesamtschule ist zuständig für Lehrkräfte, deren Probleme stufengebunden sind; sie
kann in dieser Zuständigkeit – z.B. bei häufiger Unpünktlichkeit eines vor allem in
ihrer Stufe unterrichtenden Lehrers – selber ein Kritikgespräch führen; möchte ich
dieses Gespräch selber führen, tue ich das in Absprache mit ihr.
Kritikgespräche als eher schwierige (ungeliebte) Aufgabe?
Kritikgespräch sind in deutscher Schulkultur nicht selbstverständlich und nie
Routine geworden. Meist werden sie nicht zum „rechten Zeitpunkt“ geführt,
sondern aufgeschoben. Wenn sie dann geführt werden, sind häufig bereits so viele
Emotionen aufgestaut, dass eine Eskalation kaum mehr zu vermeiden ist. Eine
solche negative Erfahrung führt beim nächsten Mal erneut zu einem Aufschub, etc.
Auftrags- und Rollenklarheit und die entsprechende Verfahrens-Transparenz
können
helfen,
Kritikgespräche
als
selbstverständlichen
Teil
der
Leitungskommunikation in Kollegien zu integrieren.
Unter Rollenklarheit verstehen wir, dass immer neu prozessorientiert alle
Kollegen „erinnert“ werden, dass ich bestimmte Dinge mit Auftrag und Rolle
versehen und nicht als Privatperson tue.
Den Persönlichkeits- und Rollen-Anteilen zugeordnet kann das folgendermaßen
aussehen:
Aus der Führungsrolle vernetze ich mein Erwachsenen-Ich – mit dem
konfrontierenden und orientierenden Auftrag – mit dem +kEL und bei (späteren)
Hilfsangeboten (z.B. Beratung) mit dem +fEL. Gleichzeitig fordere ich von
Lehrkräften entsprechende Vernetzung mit +Haltungen aus dem K ein.
Nach einer möglichen Kritikeröffnung als Schulleiterin:
„Ich habe Sie zum Gespräch gebeten, weil Sie jetzt dreimal ihre Pausenaufsicht nicht
wahrgenommen haben. Ehrlich gesagt, ich habe mich darüber geärgert, dass ich Sie
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jetzt als Schulleitung darauf hinweisen muss, dass das nicht geht.“ [= Orientierung
über die Sachlage, meine Rolle und wie ich sie empfinde]
könnte ich auf folgende Reaktion des Lehrers (= -K):
„Also das ist ja lächerlich, ich habe oben mit einem Kollegen ein Problem besprochen
und ich hatte den ganzen Hof im Blick, es ist doch so, auch andere Kollegen
schaffen es nicht immer, man muss ja jetzt ins Raucherzimmer, am Hof darf ich ja
nicht ...“etc.
folgende Antwort geben (= +kEL):
„Herr Meier, das kann ich ja alles menschlich bestens verstehen, nur ist es Ihre
Aufgabe in der Pause dort zu sein, wenn es vereinbart ist. Da ich es mit verantworten
müsste, wenn etwas passiert, erwarte ich von Ihnen, dass Sie Ihre Vorschriften
kennen und einhalten“
und auf folgende Reaktion von ihm:
„Also so rigide hat das Ihr Vorgänger nicht gesehen, das schafft ja hier nur schlechte
Stimmung!“
könnte ich wiederum so antworten:
„Herr Meier, wenn das für Sie ein Problem ist, schlage ich Ihnen vor, dass Sie mit
den Kollegen vielleicht einen Vorschlag machen, wie die Pausenaufsicht zu regeln ist
und was geschehen müsste, damit die Stimmung besser wird. Bleiben Sie aber im
gesetzlichen Rahmen, sonst kann ich das nicht akzeptieren“.
Schulleitung lässt sich hier nicht in die Minus-Positionen einladen, sondern hält die
orientierende, konfrontierende Erwachsenen-Ebene. Wäre ich demgegenüber der
Einladung beispielsweise gefolgt mit
“Sie könnten doch jederzeit mit Kollegen tauschen“,
hätte ich die Verantwortung für eine Lösung alleine übernommen und wäre in das
–fEL mit Über-Versorgung `abgerutscht´. Eine „passende“ Antwort des Lehrers
wäre dazu wiederum
„das habe ich längst versucht, das klappt ja nie ...“ usw.
Eine +K-Antwort des Lehrers gleich zu Beginn des Gesprächs hätte so aussehen
können:
„Ja, mir ist das selbst aufgefallen und es tut mir leid. Ich habe bereits Folgendes
getan: Ich habe mich mit einer Kollegin abgesprochen, die auch raucht. Wir werden
uns in Zukunft vertreten, damit jeder mal in der Pause rauchen kann.“
Jemanden (ohne passenden Auftrag und Rolle) zu kritisieren gefährdet im
gesellschaftlichen Alltag das „Image“ dieser Person: Die Sorge, dabei selbst „das
Gesicht zu verlieren“ bzw. durch Kritik das Gesicht einer anderen Person zu
„verletzen“, verlangt also erhebliche kommunikative Kompetenzen als
Voraussetzung für Kritisieren und Kritikgespräche. Und zwar brauchen beide
Parteien besondere Kompetenz, um einen „lebbaren“ Umgang mit Kritik zu
erreichen.
Ohne diese Kompetenzen und ohne Rollen-Klarheit wird eine kritisierte Person
versuchen das eigene Gesicht mit vertrauten Mitteln aus dem -aK zu wahren: etwa
durch Bagatellisieren oder Bestreiten des mir vorgeworfenen Verhaltens; durch
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Gegenangriffe – „Konter“ – auf die kritisierende Person, z.B. durch Abwertung, um
damit die Imagebalance zwischen uns wieder auszugleichen.
Aber auch als kritisierende Person werde ich versuchen das Gesicht des anderen
zu schützen, also eine überfürsorgliche Haltung (-fEL) einzunehmen, z.B. meine
Kritik indirekt einzubringen oder den Kritisierten schon präventiv zu entlasten („das
haben Sie doch aber sicher nicht so gemeint!“).
Kritikgespräche können ohne Schutz von Rollen und Organisation als eine
strukturell organisierte Gesichtsverletzung empfunden werden: Sie sprechen
einseitig Verhaltensmängel der anderen Person an; es liegt daher nahe, dass sie von
den Kritikbetroffenen als aggressiv, als Herrschaftsakt usw. eingestuft werden.
Insofern sind interaktionelle Komplikationen erwartbar.
In Trainingsgesprächen zum Kritikgespräch werden solche Komplikationen
erkennbar. Im Folgenden geben wir den Beginn des Trainingsgesprächs eines
Schulleiters mit einer Lehrerin anlässlich einer Schülerbeschwerde wieder. (Die
Lehrerin hatte vor dem Kritikgespräch wegen Krankheit gefehlt.)
Dieser Schulleiter (befangen im Beziehungsthema) möchte offenbar an den für
ihn heißen Kritik-Punkt im Schutz freundlicherer Themen `anschleichen´ (und wird
prompt von der Lehrerin dabei `erwischt´):
Schulleiter:
Lehrerin:
Ja, ich wollte nochmal ganz kurz über
Ihre zunächst mal über Ihren
gesundheitlichen Zustand sprechen
und fragen, wie s Ihnen jetzt geht
[und etwas weiter im Gespräch:]
Das ist
Aber ich glaub nicht, dass das der
Grund ist, warum Sie mich herbestellt
haben.
Das ist richtig, es ist der zweite
Grund, Sie sind gestern wieder da
und da / seit gestern wieder da und
es ist sehr schön. Und ich sagte, dass
ehm eine aus der Klasse, ich wills mal
gleich benennen, eine eine Beschwerde gekommen ist
In alltagsweltlichen Gesprächen platzieren wir in der Regel heiße Themen nicht an
den Gesprächsanfang, sondern versuchen die Beziehung durch Small Talk oder
positive Themen zu festigen. Im Kontext beruflicher Leitungskommunikation ist
dies kontraproduktiv: Kritikgespräche sind hier reguläres Instrument eines
professionellen Umgangs miteinander. Anfängliches „Drumherumreden“ ist hier
geradezu abwertend, weil die Eingeladene mit einer Kritik rechnet und ich sie damit
als Nichtprofi definiere (und zudem „ihre Zeit stehle“).
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Einige der methodischen Empfehlungen in Kritikgesprächen hängen mit dieser
Rücksicht auf Gesichtswahrung zusammen:
- Eingeforderte Kritikgespräche grundsätzlich unter vier Augen anbieten, damit
die Öffentlichkeit, in der das Image eines anderen beschädigt werden könnte,
möglichst klein ist. Ausnahme: Direktes Ansprechen von „Fehl“-Verhalten in
kollegiumsöffentlichen Situationen, z.B. in einer Konferenz:
[Die Schulleiterin zu einem Lehrer:] „Bitte würden Sie das Lesen jetzt einstellen“
oder
„.. das Rauchen jetzt einstellen“
-
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etc. Im Sinne der geteilten Verantwortung auf „erwachsener Rollen-Ebene“ hat
der Kritisierte durch sein (provokantes) Verhalten den Rahmen der möglichen
Kritik selbst riskant gewählt. Er muss die Verantwortung für seinen möglichen
Gesichtsverlust daher selbst tragen. Es handelt sich hier aber um Ad-hoc-Kritik
und nicht um ein Kritik-Gespräch.
Die Rollen-Handlungen und deren negative Wirkungen, nicht die Person
kritisieren (= eine sinnvolle, aber nie ganz gelingende Trennung, weil der Wert
der Person sich natürlich auch an ihren Handlungen festmacht).
Kritik funktional begründen, damit sie auf die Rolle, auf den Auftrag und auf
Arbeitsqualität bezogen werden kann.
Die bestmögliche innere Zugewandtheit vor dem Gespräch (wieder-) herstellen:
z.B. durch Analyse des eigenen (überzogenen) Ärgers (weil ich vielleicht
Defizite zu lange toleriert oder „heimliche“ Verträge aus der überfürsorglichen
„Retter“-Position geschlossen habe).
Ein Beispiel: Ich bekomme eine Lehrkraft von einer anderen Schule zugewiesen. Die
Schulaufsicht berichtet mir von konkreten Problemen, die es an der alten Schule gegeben hat.
Ein „heimlicher“ Retter-Vertrag sieht jetzt so aus: Im ersten Gespräch mit der Lehrkraft höre
ich mir an, wie schlecht es dieser an der alten Schule gegangen ist, im schlimmsten Fall
bedaure ich dies, im besseren sage ich nichts. Auf jeden Fall aber lege ich „einen roten
Teppich aus“:
„Ich glaube, bei uns wird es Ihnen ganz gut gehen ...“
oder
„... hier können Sie ganz neu anfangen ...“
Wenn dann das gleiche Defizit auftritt, ist mein Ärger auf jeden Fall überdimensioniert, weil
ich dieser Lehrkraft doch einen „Neustart“ ermöglicht habe. Mir ist nicht klar, dass diese
davon vielleicht nichts ahnt, sondern meine Großzügigkeit für selbstverständlich halten
durfte. Hier wäre das Kritikgespräch gefährdet, als „Zerstörungsakt einer mächtigen Person“
wahrgenommen zu werden.
Einen transparenten Vertrag bekomme ich aus der Verknüpfung der kritischen (+kEL) mit der
fürsorglichen (+fEL) Position: z. B. indem ich die Lehrkraft beim ersten Gespräch frage:
„Was werden Sie tun, damit Ihr Problem an unserer Schule nicht erneut auftaucht?“
Im Weiteren zeige ich meine Erwartung, bereits bei ersten Problem-Anzeichen (die von mir
auch definiert werden können) informiert zu werden, und benenne mögliche Hilfestellungen,
auf die die Lehrperson zurückgreifen könnte. Mit diesem „Vertrag“ werde ich, falls ich später
ein Kritikgespräch führen muss, weniger Ärger empfinden, weil ich das „Problem“ von
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Anfang an dort gelassen habe, wo es hingehört, nämlich bei der neuen Lehrerin. Die Rollen
sind jetzt im Grünen Dreieck positioniert und nicht im konfliktträchtigen Roten.
2.2 Strukturelle Voraussetzungen von Kritikgesprächen
Kritikgesprächen liegen unterschiedliche und unterschiedlich komplexe
Konstellationen zugrunde.
Im Folgenden werden drei Grundkonstellationen, teilweise mit Varianten,
unterschieden, kommentiert und mit einigen jeweils wichtigen methodischen
Folgerungen versehen:
Konstellation A:
Beispiel: Ein Schulleiter – der auf die Einhaltung eines (von ihm mit betriebenen)
Konferenzbeschlusses `Rauchverbot für Lehrpersonen in Gegenwart von
Schülerinnen/Schülern´ achtet – kriegt selber mit, dass ein Lehrer bei der
Pausenaufsicht raucht, und spricht ihn darauf an.
Der rauchende Lehrer zeigt regressives Verhalten. Er verhält sich wie ein
rebellischer Schüler, der eine Regel nicht anerkennt (man kann seinen Ich-Zustand
dem –aK zuordnen). In dem genannten Beispiel könnte der Schulleiter eine starke
Einladung fühlen, in abwertender Weise zu reagieren (-kEL) oder nichts zu sagen
und den Lehrer später (oder nächstes mal) zu einem Gespräch zu bitten (-fEL). Bei
rollensicherem Verhalten spricht er aus zugewandt konfrontierender Haltung
(+kEL) sofort den Lehrer an, und dies darf im Tonfall durchaus ärgerlich sein.
Strukturell ist diese Konstellation einfach: Hier kennt der Schulleiter den
Sachverhalt aus eigener Anschauung. Er zieht die Sicherheit, ob er ihn für
kritikwürdig hält, aus der eigenen Rollenklarheit (nämlich als `Garant´ für die
Einhaltung dieses Beschlusses). Die Öffentlichkeit hat der rauchende Kollege selbst
hergestellt und muss sie daher verantworten. (Wenn ich als Schulleiter Kollegen vor
ihrer Verantwortung „schütze“, überschreite ich meinen eigenen Rollenauftrag und
lade mein Gegenüber zu regressivem Verhalten ein!) Ich kann also hier direkt ein
Kritikgespräch führen.
Interaktionell schwierig kann daran sein, dass ich als Schulleiter (gemäß
vertrauter Schulkultur) mich als Opfer (-K) des Fehlverhaltens sehe und meine
Interventionszuständigkeit (+kEL) damit blockiere. Obwohl ich nicht der
`persönliche Kontrahent´ des kritisierten Lehrers bin, erlebt dieser mich
möglicherweise so und missachtet (damit) meine Schulleiter-Aufgabe, auf
Änderung zu dringen. Diese Missachtung könnte ich wiederum (-kEL) `persönlich´
nehmen, und schon sind wir beide zunehmend in einem Clinch auf
Beziehungsebene verstrickt, der mir keinen guten Stand mehr für ein Kritikgespräch
bietet.
Methodische Forderungen für diese Konstellation:
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mit der minimalen Personverwicklung arbeiten (also: Dritte heraushalten, aber
die eigene Rolle transparent halten: „Ich ... hier ... als Schulleiterin ...“). Zum
Beispiel führe ich keine `Fußtruppen´ ins Spiel („Das sehen auch viele Ihrer
Kollegen so wie ich!“), da ich meine „besondere“ Rolle sofort verlieren würde;
meine eigene Anschauung und Bewertung reicht aus.
Die Gesprächs-Öffentlichkeit auf das strukturell notwendige Minimum
begrenzen: Kritikgespräche sind eigentlich Vier-Augen-Gespräche (es sei denn
bei den genannten direkten Interventionen, wo sich bei angemessen geteilter
Verantwortung Öffentlichkeit von mir alleine nicht mehr ausschließen lässt, da
ich sonst in die überversorgende Rolle rutsche).
Als Schulleiter setze ich Kritikgespräche grundsätzlich ohne `Sekundanten´ (z.B.
Stellvertreterin/Stellvertreter) an. In Einzelfällen mit bereits gravierender Eskalation kann ich
ankündigen, dass bei jedem Gespräch auch die Stellvertretung dabei ist und daher auch eine
Lehrerin des Vertrauens von der anderen Seite mitgenommen werden kann. Kommt die
andere Seite angekündigt mit einer Person des Vertrauens, hat sie ihrerseits ein „öffentliches“
Setting gewählt. Ich richte mich (freundlich) danach und bitte z.B. die Stellvertretung ebenso
zugegen zu sein. Ich mache transparent, dass ich selbst davon ausgegangen bin, das Problem
wäre unter vier Augen zu klären, aber den Wunsch der anderen Seite nach Öffentlichkeit
respektiere. Kommt die andere Seite – unangekündigt – zum Kritikgespräch mit einem
„Zeugen“, sollte ich das Gespräch verschieben und deutlich machen, dass ich erwarte, dass
die Lehrkraft eine Änderung des Gesprächssettings vorab mit mir abstimmt. Das Gespräch
wird auf einen möglichst nahen Zeitpunkt verschoben, zu dem dann ich dann auch die
Stellvertretung bitte.
Konstellation B:
Beispiel: Eine Lehrerin beschwert sich bei der Schulleiterin einer Sonderschule über
unkollegiales Verhalten eines Lehrers (mit dem sie zusammen in einem Team
arbeitet).
Gegenüber Konstellation A liegen hier komplexere und kompliziertere
Dreiecks-Strukturen vor:
- Ich kenne als Schulleiterin den fraglichen Sachverhalt nicht aus eigener
Anschauung, sondern vom `Hörensagen´, nämlich durch die Beschwerde der
Lehrerin (habe dazu aber meistens bereits eine eigene Meinung). Was
tatsächlich vorgefallen ist und wer wie weit für das Problem haftet, ist zunächst
nicht sicher.
- Schon bei der Beschwerde selber muss ich mit der Lehrerin klären, ob sie ihren
Kollegen von ihrer Beschwerde in Kenntnis gesetzt hat und ob sie vorher bereits
selbst versucht hat, eine kritische Auseinandersetzung mit ihm auf kollegialer
Ebene zu führen: Es gehört zu meinem Auftrag, kritisches Feedback unter
Kollegen zu fördern und auch einzufordern.
- Falls die Lehrerin ihren Kollegen nicht über ihre Beschwerde bei mir
vorinformiert hat, verlange ich von ihr – noch während ihrer Beschwerde selber
–, die Verantwortung für diese Beschwerde zu übernehmen. Anonyme
Beschwerden sind regressiv und lassen mir keinen Handlungsspielraum:
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„Ich verstehe Ihren Ärger über die Kollegin, Sie können zwei Dinge tun: Sprechen Sie
es selbst mit dem Kollegen an. Wenn das nichts bessert, kommen Sie wieder zu mir.
Ich führe dann ein Klärungsgespräch mit dem Kollegen, vorausgesetzt ich kann ihm
gegenüber offen mit Ihrer Beschwerde umgehen.“
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Sollte die Lehrerin darauf bestehen, ich dürfte ihre Beschwerde nicht offen
legen, soll aber z.B. ihren Kollegen aus dem Team nehmen, werde ich nur mein
Bedauern äußern, nichts tun zu können, und ich werde sie mit ihrer mangelnden
Kompetenz konfrontieren, kritisches Feedback auf kollegialer Ebene zu geben.
Aber auch Selbstklärung mit mir ist wichtig, da ich mich möglicherweise
verführen lasse, die Lehrerin zu schützen, weil ich damit (endlich) einen Anlass
habe, dem Lehrer `einmal die Leviten zu lesen´ für Ärger, den ich schon lange
auf ihn habe, mich aber nicht in eigener Sache anzusprechen getraut habe. Dann
würde ich nämlich aus der Retter-Haltung die Lehrerin in ihrer Opfer-Haltung
(„Ich kann niemanden kritisieren, das gibt nur schlechte Stimmung“ ) bestätigen und
anschließend meinerseits aus der Täter-Perspektive den Lehrer zum Opfer
machen: („Über Sie haben sich Kollegen, ich möchte nicht sagen wer, beschwert
…“). Zusammengenommen wären das beste Voraussetzungen für einen
eskalierenden Konflikt.
Ob also überhaupt ich es bin, der herausfinden muss, was tatsächlich vorgefallen
ist und wer (Mit-) Verursacher ist, hängt von den jeweiligen
Rollenkonstellationen ab. Hier ist die Verführung besonders groß,
überversorgend zu handeln, indem ich ohne Auftragsklärung tätig werde.
Wenn ich mich für klärungs- und kritikgesprächszuständig halte, steht mit dem
Lehrer zunächst ein Klärungsgespräch an. Innerhalb dieses Klärungsgesprächs
könnte ich – sofern ich diesen Gesprächswechsel metakommunikativ
verdeutliche – unmittelbar in ein Kritikgespräch überleiten, sobald aus meiner
Sicht ein kritikwürdiger Sachverhalt klar erkennbar ist. Ich fordere in der Regel
diesen Lehrer auf, seinerseits mit seiner Kollegin professionell auf der
Sachebene in Kontakt zu gehen und mit ihr Lösungsmöglichkeiten für ihr
gemeinsames Problem zu suchen. Manchmal werde ich – nach diesem
Klärungsgespräch mit dem Lehrer – erst ein Klärungsgespräch mit der Lehrerin
führen, wenn ich den Eindruck gewinne, dass sie auch oder gar vorrangig für
das Problem verantwortlich ist.
Möglicherweise sehen die beiden sich nicht in der Lage, diesen Kontakt
miteinander herzustellen; dann erst kann ich ein Dreier-Gespräch – das dann
Schlichtungsanteile haben kann – vorschlagen. Meine Leitungsaufgabe ist dabei,
den Sach- und Qualitätsfokus in den Vordergrund zu bringen und evtl. darüber
zu orientieren, dass gute Arbeitsqualität die wichtigste Voraussetzung ist, eine
gute Beziehung (wieder-) herzustellen. Als Schulleitung muss ich dann aber
deutlich Stellung beziehen können, was hier „gute Arbeit“ bedeutet. Wenn die
beiden Lehrpersonen weder untereinander noch mit mir in einem
Schlichtungsgespräch das Problem lösen, kündige ich beiden jeweils
Kritikgespräche an; deren Thema wäre dann ein doppeltes: zum einen das
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Problem, das der Beschwerde zugrunde lag; zum andern ihre geringe
Kompetenz/Bereitschaft, sich um kollegiale, kooperative Lösungsmöglichkeiten
zu kümmern.
Mögliche Anschlussgespräche mit dem einen (und/oder der anderen) können
auch Beratungsgespräche sein; ich kann – wenn z.B. bei der Lehrerin berufliche
Schwierigkeiten deutlich werden – ein Beratungsgespräch anbieten (natürlich
nicht verlangen).
Wenn mir SchülerInnen Beschwerden mitteilen, kann ich ihnen (je nach
Umständen) zusichern, ihre Namen aus der folgenden Klärung herauszuhalten.
Wenn demgegenüber Lehrpersonen (als Profis dieses Systems) oder Eltern (als
eigenverantwortliche Erwachsene) sich bei mir beschweren, behalte ich mir vor, sie
als Beschwerdequelle zu nennen. Sonst erhielte ich von ihnen `Geheimaufträge´,
die ich auch dann nicht mehr aus meinem (Leitungs-) Kopf verbannen kann, wenn
ich ihr Beschwerdeansinnen zurückweisen würde.
Daher muss ich meinen Umgang mit solchen Beschwerden im System
transparent vermitteln bzw. in Konferenzen ansprechen.
Konstellation C:
Beispiel: Die Schulleiterin erhält vom Klassenlehrer den Hinweis, dass sich eine
Lehrerin – laut Aussage von Eltern – gegenüber (einigen) Schülern in einer ihrer
Englischklassen öfters entwertend äußere.
Hier liegt eine Mehrecks-Struktur vor: Der Konflikt wird mir vom Klassenlehrer
mitgeteilt (dessen Eigeninteressen ich nicht gleich erkennen kann): Was weshalb
Schüler gegenüber ihren Eltern, die Eltern gegenüber dem Klassenlehrer und der
gegenüber mir als Schulleiterin behauptet, ist eine komplizierte Kette von
Erzählungen, in denen die jeweiligen Erzähler vermutlich eigene Motive und
Rollenunklarheiten mit unterbringen.
Als Schulleiterin habe ich es hier bereits mit einer relativ umfänglichen
Öffentlichkeit zu tun (die es beispielsweise erfahren muss, wenn der Konflikt
beigelegt ist).
Daher gelten für diese komplexe Konstellation weitere methodische
Forderungen:
1. Ich muss Klarheit gewinnen, mit welchen – offensichtlichen und evtl. auch
heimlichen – Zwecken der Beschwerdeführer sich an mich wendet (erst recht,
wenn es nicht der Klassenlehrer, sondern eine andere Lehrperson wäre).
Mögliche Fragestellungen: Wie oft haben sich Eltern beschwert? Wie viele
Eltern? Wie oft hat die Lehrerin (oder hat sie überhaupt) bereits von der
Elternbeschwerde erfahren? Wer hat was bisher unternommen: Welche
Lösungsversuche gab es bisher? Hat der Klassenlehrer seine (kritischen)
Eindrücke an seine Kollegin zurückgemeldet? Und mit welchem Ergebnis? Was
genau erwartet der Klassenlehrer jetzt von mir und wozu? Hat er seinerseits
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noch keine Gespräche mit der Lehrerin geführt oder noch keine Lösungen
versucht, muss er mit einem entsprechenden Auftrag zurückgeschickt werden (er
kann jetzt nicht mehr so tun, als hätte er mir nur eine „hilfreiche Information
zugesteckt“).
2. Wenn hierbei deutlich wird, dass wirklich Schulleitung eingreifen muss, muss
bei den anstehenden Klärungen grundsätzlich auf den Instanzenweg geachtet
werden: Ich spreche erst mit der Lehrerin, dann erst mit Schülern (auch wenn
ich sicher wäre, dass die Lehrerin den Konflikt maßgeblich verursacht hat). Und
ich gebe erst der Lehrerin den Auftrag bzw. die Möglichkeit, selber mit den
Schülern (und dann evtl. den Eltern) den Konflikt zu klären. Ich verlange für
diesen Fall von ihr, dass sie mir berichtet, ob und wie die Klärung gelungen ist.
Und ich muss den Klassenlehrer in seiner Rolle als Klassenlehrer beteiligen
bzw. informieren (lassen).
3. Ich kündige – hier z.B. gegenüber der Lehrerin – offen an, was meine nächsten
Schritte sind: hier z.B. mein Gespräch mit Schülern. Ich brauche, wenn ich
rollenangemessen handele, keine Geheimpolitik zu machen, die
Konfliktbeteiligten sollen vielmehr grundsätzlich erfahren, wer jeweils an dem
Konflikt bzw. seiner Klärung beteiligt wird. Entsteht bei mir das Bild, die
Lehrerin verursacht häufiger diesen Konflikttyp, kann ich auch entsprechende
Kontrollen (z.B. Unterrichtsbesuche) als angemessene Konsequenzen
ankündigen.
4. Ich muss die beteiligte Konflikt-Öffentlichkeit über alle klärenden Absprachen
oder problemlösenden Schritte informieren, und ich muss die Beteiligten
miteinander in Kontakt bringen (lassen) (z.B. kann ich mit der Lehrerin
absprechen, ihrerseits den Klassenlehrer von der Konfliktklärung zu
unterrichten).
Es liegt nahe, dass ich als Schulleiterin, `um ganz sicher zu sein, was an den
Vorwürfen dran ist´, bei weiteren Personen (anderen Schülerinnen/Schülern,
Elternvertretern, Lehrpersonen) recherchiere, was denn das Problem und seine
Geschichte ist, bevor ich mit der Lehrerin selber spreche. Diese kommunikative
Umzingelung von ihr wäre konflikteskalierend: Sie etabliert Geheimnisse in der
Schule, die den direkten Kontakt mit der Lehrerin erschweren (und ich müsste mit
allen diesen Personen zumindest nach der Klärung des Konflikts ansprechen, wie
der Stand gerade ist).
Daher erinnern wir nochmals an den Grundsatz: Die Leitungsrolle verlangt
Klärungen herzustellen, eigene Wahrnehmungen kompetent einzubeziehen und
dabei Transparenz zu ermöglichen.
Diese Rolle ist aber kein Richter-Amt, wo ich nur etwas sagen darf, wenn alles
bewiesen ist. Die Verantwortung teilen heißt hier: Der Klassenlehrer muss
Verantwortung für seine Beschwerde (und seine Überzeugung von ihrer
Notwendigkeit) übernehmen und dazu stehen – ich bin als Schulleiterin niemals
eine heimliche Verbündete von ihm. Die Lehrerin muss (evtl.) die Verantwortung
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tragen, dass Schüler sie als abwertend wahrnehmen (es geht selten darum, was
jemand tatsächlich getan/gesagt oder nicht getan/gesagt hat). Die Eltern müssen
ihre Beschwerde bei dem Klassenlehrer verantworten: auch der Klassenlehrer ist
niemals ein heimlicher Verbündeter von ihnen. Und im besten Fall lernen auch die
Schülerinnen und Schüler ihre Gefühle und Wahrnehmungen zu verantworten und
sich zu vertreten. Als Leitung muss ich die interaktionelle Kompetenz des
Ansprechens von Problemen und Personen öffentlich modellieren können: Sollte
sich herausstellen, dass die Lehrerin nur geringen Anteil an dem Konflikt hat,
braucht mir dies nicht peinlich zu sein, es sei denn, ich hätte sie innerlich bereits
vorab verurteilt.
2.3 Ein Blick auf Gesprächs-Beispiele
Kritikgespräche sind schwierige Gespräche, die Rollengenauigkeit und klare
Führung verlangen.
Im Folgenden zeigen wir an Ausschnitten von Trainingsgesprächen (aus
Gesprächsführungs-Trainings mit Schulleitungsmitgliedern), in welche typischen
Fallen ich eingeladen werde und wie ich sie vermeiden kann.
Diese Beispiele sollen den Blick für interaktionelle Details schärfen und damit
die Chance erhöhen, solche Gespräche gut aus der eigenen Rollenposition zu
führen.
in der Vorbereitung
Ich muss darauf achten, die Verantwortung mit den jeweilig Beteiligten
rollenangemessen zu teilen, bevor ich Konfliktlösungen aus einer
„überversorgenden“ Haltung an mich ziehe (das würde KollegInnen wiederum
einladen, ihrerseits passiv oder regressiv zu reagieren): Sind die Instanzen sinnvoll
eingehalten? Sind alle Instanzen ausgeschöpft oder muss erst an die Zuständigkeit
anderer Instanzen erinnert werden?
Im folgenden Gespräch hat sich der Klassensprecher direkt beim Schulleiter
über das Verhalten einer Lehrerin beschwert Der Schulleiter hat sich einladen
lassen, das Problem ohne Klärung zu übernehmen (statt erst die richtige Verteilung
einer Lösungssuche anzustreben). Mögliche Gründe, in eine solche „Falle“ zu
gehen: Ich weiß bereits von den Defiziten der Lehrerin und bin prinzipiell mit dem
Klassensprecher einig, oder ich kenne den Klassensprecher gut und vertraue ihm,
oder ich habe schon eine Menge solcher Beschwerden bekommen (aber bisher nie
etwas unternommen), etc.
Nachdem der Schulleiter zu Beginn des Kritikgesprächs das ihm vom
Klassensprecher zugetragene angebliche Fehlverhalten der Lehrerin anspricht,
reagiert die Lehrerin folgendermaßen:
Lehrerin: „Also ich kann gut verstehn, dass Sie jetzt eh Interesse ham, das zu klären,
aber ich bin doch befremdet darüber, dass Sie keinen aus der Klasse, wenn die
direkt zu Ihnen gehn, eh zu mir schicken und einfach mit mir zu klären; es ist kein
Schüler zu mir gekommen und hat mit mir gesprochen, und das befremdet mich doch
Kolumnentitel
sehr, dass Sie sich den Schuh jetzt ganz anziehn und eh jetzt hier der ehm der
Mann, mit dem das zu klären ist, ich denke, das muss auf nem andern Tablett
ablaufen.“
Wir können hier gut sehen, dass die Wahrscheinlichkeit groß ist, dass ich es als
dieser Schulleiter schwer haben werde, in diesem Gespräch die Führung zu
behalten: Wir sprechen nämlich jetzt nicht mehr über den Beschwerde-Inhalt (=
mein Thema), sondern eher über das Beschwerde-Verfahren (= ihr Thema). Die
Lehrerin hat eine unmittelbare Gegenkritik und es wird für mich schwer sein, das
ursprüngliche Thema trotzdem zu halten, beispielsweise so:
Schulleiter: „Sie haben Recht; das hätte ich machen sollen; ich werde also auf jeden
Fall dem Schüler sagen, er soll das erst mit Ihnen klären. Wenn Sie jetzt aber schon
hier sind, möchte ich Sie gerne einladen, mir Ihre Version zu erzählen, damit ich Ihre
Sicht kenne, für den Fall, dass mich der Schüler erneut anspricht. Sind Sie
einverstanden?"
in der Terminvereinbarung
In der Terminvereinbarung – sofern sie nicht schriftlich geschieht – informiere ich
zwar die Lehrperson mit einem Stichwort, worum es gehen wird, insistiere aber
darauf, dass wir nicht direkt in ein (inhaltliches) `Vorgeplänkel´ geraten. In dem
folgenden Auszug lässt sich die Schulleiterin immer wieder in die Sache selbst
verwickeln (z.B. 74 und 97) und kämpft sich dann wieder heraus (z.B. 78 bzw.
100):
Hinweise zu Besonderheiten der Verschriftlichung:
-
gleichzeitig gesprochene Äußerungsteile werden unterstrichen
schwer verständliche Äußerungsteile werden so markiert: „(wir dürfen)“
unverständliche Äußerungsteile werden mit „(...)“ markiert
Schulleiterin:
56
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. 68
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..71
..72
73
[...] also mir wärs sehr wichtig mit
Ihnen darüber zu sprechen und vielleicht könnte man gucken wann käm
es Ihnen aus? denn sonst sitzen wir
unter Zeitdruck ich guck schon weil
ich ja gleich gehn muss.
Ja, ich möcht mich schon eh dass wir
ne dreiviertel Stunde eben dass wir
Zeit haben
Lehrer:
Ja
Ach so ja (...)
Ach so. Ja, wir könn das morgen früh
machen; ich hab morgen eine freie
Stunde; da / ich glaub, da kommen
zwar auch Eltern, aber das dauert ja
sicherlich nicht dreiviertel Stunde.
Ja. Da könn wa
Ach so, ja. Ja doch?
Aber ich find das eigentlich kein Problem, wenn ich doch meinen Unterricht beendet hab, und die Kinder
können ja nach Hause gehn
13
14
Kolumnentitel
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102
Also ich find es zunächst ein Problem,
dass die Kinder vorzeitig entlassen
werden
Eh ich denke, wir sollten vielleicht
morgen ausführlich darüber reden.
Ich muss / wenn Sie damit einverstanden sind, treffen wir uns morgen
um acht Uhr bei mir. Ja, Sie sachten,
Sie haben ne Freistunde.
Ich kann Ihnen auch anbieten, ich hab
in der dritten Stunde, da haben Sie
allerdings Unterricht, oder in der
sechsten
Also ich denke, wenn Sie sich
Ich denke, wir sprechen da morgen
drüber. Dann eh habn wir einfach
etwas mehr Zeit [...]
(...) von mir
Ja
Hm. Ich mach das ja auch nich
immer, nich normalerweise
Hm
Um acht Uhr schon?
Ja. Ja gut. Acht Uhr, ja.
Nein
Nein, wir können das um acht Uhr
schon machen, ne, abba ich ich seh
da jetzt nich so das Problem, ich
mein, wir können da gerne drüber
sprechen, nich, abba ich ich weiß
nich, warum das so schlimm is, wenn
die Kinder mal früher nach Hause
gehen, die freun sich darauf.
Darum wars wahrscheinlich auch laut,
ne, das sachten Sie ja, wär so laut
gewesen, die habn sich so gefreut, ne?
Hm
Führungsschwächen im Gespräch wirken sich sofort einladend aus: 57-59 „und
vielleicht könnte man gucken“ und „wann käm es Ihnen aus?“ , statt gleich zu fragen:
„Können Sie morgen in der ersten Stunde. Ich hab gesehen, da haben Sie frei?“
In 78 geht die Schulleiterin wieder auf ihre eigene Linie, aber besser wäre: “Ich
würde das gerne morgen mit Ihnen besprechen!“
Auf das „Um acht Uhr schon?“ in 82 muss ich nicht antworten, sondern kann eine
fragende Pause einlegen. Dann würde ich sehr wahrscheinlich hören, dass der
Lehrer einverstanden ist (wenn auch ungern). Aus der „Retter“-Rolle hört die
Schulleiterin das gar nicht, sondern reagiert nur auf die Stimmung und bietet sofort
einen weiteren Termin an. Die Sachebene (aus dem Erwachsenen-Ich) lautet
Terminfindung: Ich biete Termine an und brauche auf andere Angebote wie etwa
Inhalte oder Signale „schlechter Stimmung“ nicht einzugehen; all das würde mich
einladen, die Orientierung darüber, was jetzt ansteht, abzugeben. Ich lade damit
unbewusst sozusagen in einen Machtkampf ein.
Der Lehrer reagiert auf das „Überangebot“ an Terminen (85-88) sofort mit dem
(weiter gehenden) Versuch, den Inhalt vorweg zu nehmen. Das tut er nicht bewusst
oder gar bösartig, sondern weil er sich nicht orientiert zu fühlen braucht darüber,
was gerade ansteht und wer die Terminabsprache „führt“.
Kolumnentitel
100-102 müsste lauten: “Ich möchte morgen mit Ihnen darüber sprechen; wir haben
jetzt morgen 8 Uhr ausgemacht, dann haben wir eine ¾ Stunde Zeit“ . (Und hier folgt
eine klare Verabschiedung, z.B. durch Aufstehen, Türe öffnen, etc). Durch die IchBotschaft und die Zusammenfassung bleibe ich durchgängig orientierend und in der
Leitungsrolle. Wenn ich das Gespräch führe, sollte dies als Botschaft eines
`beruflichen Ich´ gestaltet sein, damit ich nicht grundlos (und damit übergriffig)
Verantwortung dem anderen wegnehme: Ob nämlich „wir“ morgen darüber
sprechen, hängt genau genommen auch davon ab, ob auch der Lehrer kommt.
Ein weiteres Beispiel: Wie gehe ich um mit der Ankündigung eines Lehrers, er
wolle eine Person des Vertrauens mitbringen? Die Schulleiterin macht hier ihre
Priorität deutlich, versucht ihm aber nicht auszureden, jemanden vom Lehrerrat
mitzubringen.
Schulleiterin: „Selbstverständlich können Sie gerne jemanden eh vom Lehrerrat
mitbringen, ich würde es eigentlich lieber eh als Gespräch mit Ihnen führn, eh aber
von mir aus gern.“
Stimmiger wäre wohl, das erste „gerne“ wegzulassen und statt des „lieber“ zu sagen
„ich hätte Ihnen vorgeschlagen, es erst unter vier Augen zu versuchen, aber wenn Sie
das möchten, bringen Sie jemanden Ihres Vertrauens mit. Die Stellvertreterin wird dann
auch dabei sein“, oder statt des zweiten „gern“ zu sagen: „eh aber für mich ist das ok.
Sie wissen, dass dann auch meine Stellvertreterin dabei sein wird?“
Grundsätzlich würden wir hier – konträr zur praktizierten Schulkultur –
Folgendes zu bedenken geben:
Auf der Sach- und Erwachsenen-Ebene muss es Teil der Rollenkompetenz von
Lehrern sein, Kritik zu äußern und entgegenzunehmen, d.h. der Umgang mit Kritik,
Kontrolle und Bewertung gehört auf allen Ebenen zu den Aufgaben, für die Lehrer
bezahlt und daher auch Kompetenzen von ihnen erwartet werden können. Mit einer
diffusen Begründung („zur Stützung“ etc.) in ein Kritikgespräch einen Lehrer seines
Vertrauens mitnehmen zu können, kann demgegenüber als Einladung verstanden
werden, nicht nur regressiv mit Kritik umgehen zu dürfen, sondern diese auch
vorrangig auf der Beziehungsebene, statt auf der Sachebene zu behandeln. Das
erschwert Kritikgespräche, die Arbeitsqualität zum Thema haben sollen, erheblich,
und es ist nicht verwunderlich, dass sie ungern und häufig auch mit wenig Erfolg
geführt werden. Schulleiter haben es unter diesen Umständen schwer, ein
orientierendes und konfrontierendes Gespräch zu führen, wenn sie bereits mit der
Forderung nach einer Begründung für das Mitbringen des „Vertrauten“ Gefahr
laufen, eine wie immer geartete „Beziehung zu stören“ (die von der Lehrperson
nicht einmal transparent benannt werden kann). Sie müssen sozusagen schon vorab
akzeptieren, dass (krass ausgedrückt) nicht „der Lehrer“ (in seiner Rolle und
Aufgabe) zum Gespräch kommt, sondern eine „ängstliches Kind“, das noch nicht
einmal begründen muss, warum es mir gegenüber diese „Gefühle“ hat. Genau
genommen, wäre dies selber schon Anlass für Kritik an einem klaren RollenVerhalten. Hier verdreht die vorherrschende Schulkultur die Tatsache, dass gute
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16
Kolumnentitel
Arbeitsqualität auch gute (Arbeits-) Beziehungen schafft, zu der falschen These,
dass erst die „Beziehung“ stimmen muss, bevor man gute Arbeit anzubieten
braucht.
Auf der Sachebene stellt sich das noch anders dar: Der Lehrer erklärt, er kann
meiner Einladung nur im Beisein eines Vertrauten folgen. Ich muss als Schulleiterin
eigentlich vorher – spätestens zu Beginn des Gesprächs – von dem Lehrer eine
transparente Erklärung erwarten, warum und in welcher Rolle der Lehrer des
Vertrauens mitkommt: Wenn dieser „vermitteln“ soll: Warum, meint der Lehrer, ist
das nötig? (Ich muss z.B. einer solchen vermittelnden Rolle nicht zustimmen, wenn
mir der Grund nicht einleuchtet.). Wenn er für den Lehrer sprechen soll, warum
kann dieser es nicht selbst? Wenn ich das nicht klären will oder kann, werde ich auf
jeden Fall auf der Sachebene ein offizielles Setting herstellen: Auf der
Erwachsenenebene ist dies ein Setting mit „Gesprächszeugen“, und ich könnte zu
meiner Entlastung (auf der Sachebene) ein anderes Schulleitungsmitglied bitten,
dabei zu sein; die Verantwortung für diesen „Ebenen-Wechsel“ würde ich bei dem
Lehrer lassen; gleichzeitig definiere ich dann die Rollen der beiden Mitanwesenden
als parteiliche Zeugen (und/oder spätere mögliche Feedbackgeber), die sich aber
selber im Gespräch heraushalten müssen. Als Schulleiter erleichtert mir dieser
Setting-Wechsel die Gesprächsführung auf der Rollen-Ebene erheblich, weil ich es
nicht als meine Aufgabe sehen muss, herauszufinden, warum ein Lehrer des
Vertrauens nötig ist oder warum wer im Gespräch das Wort ergreift, ebenso wie ich
mich nicht auf regressive Einladungen (der Kultur, des Systems oder Einzelner)
einzulassen brauche.
in der Eröffnungsphase
Die Eröffnung des Kritikgesprächs ist folgenreich: Solange ich mir innerlich ein
Kritikgespräch in seiner Asymmetrie nicht erlaube, versuche ich diese einseitig zu
kompensieren – z. B. durch verzögernden Small Talk, durch besonders
rücksichtsvolle Formulierungen, durch Verharmlosung meiner Gesprächsabsicht.
Damit aber schwäche ich meine Rolle und werte zugleich mein Gegenüber ab, weil
ich ihm damit von vornherein unterstelle, mit der Rollenasymmetrie nicht umgehen
zu können.
Gesprächseinleitungen, die Führung abgeben, sind häufig:
In dem Beispiel auf S. 5 kommentierten Beispiel übernimmt die Lehrerin die
Führung, indem sie ihren Schulleiter „coacht“:
„Aber ich glaub nicht, dass das der Grund ist, warum Sie mich herbestellt haben“.
Ein weiteres Beispiel:
Schulleiter: „Ja, Herr Effert, is schön, dass Sie noch eh Zeit haben nach der fünften
Stunde; ich hatte Sie ja heute morgen gebeten, mal noch bei mir vorbeizukommen,
denn ich hab da so was im Magen liegen und ich muss n Problembereich ma
ansprechen.“
Kolumnentitel
Auffällig ist die Formulierung „is schön, dass ...“; sie entspräche Dankbarkeit/Freude
über ein Entgegenkommen des Lehrers. Diese Formulierung und auch die
Formulierung „ich hatte Sie ... gebeten“ entsprächen einem freiwilligen Angebot des
Lehrers, nicht aber entsprechen sie der Verpflichtung zur Teilnahme an einem
Kritikgespräch, d.h., auch hier wird vorrangig die Beziehungsebene bedient.
Mit dem „mal noch bei mir vorbeizukommen“ bietet der Schulleiter eine
bagatellisierende Formulierung für den Status des Kritikgesprächs an: „mal“ betont
die relativ geringe Wichtigkeit, ebenso „vorbeikommen“ (gewissermaßen „auf einen
Sprung reinschauen“). Möchte der Schulleiter den Lehrer beruhigen (oder möchte
er sich dadurch vor einem befürchteten Affekt des Lehrers schützen)?
„Ich hab da so was im Magen liegen“ verdeutlicht noch einmal gut die
Startsituation: Zunächst habe ich als Schulleiter jetzt ein interaktionelles Problem,
wie ich den Lehrer dazu bringe, das Sach-Problem als seines zu übernehmen.
Interessant auch das Modalverb „ich muss ...“ – distanziert er sich von seiner
eigenen Schulleiterrolle (um die Haftung für diesen Image-Angriff, den jedes
Kritikgespräch bedeutet, auf seine Rolle zu schieben)? Wenn ich als Schulleiter
anfange, die Beziehungsebene zu bedienen, habe ich es wesentlich schwerer,
anschließend die Sachebene wieder ins Spiel zu bringen.
Im nächsten Beispiel beruft sich die Schulleiterin auf eine Vereinbarung innerhalb
des Kollegiums, die es erlaubt habe, einander kritische Rückmeldungen zu geben.
Sie nimmt sich also nicht das Recht auf ein Kritikgespräch aus ihrer Rolle als
Schulleiterin. Dadurch verschwindet sie in dem Gespräch als Schulleiterin, und ob
sie als Kollegin den Lehrer für eine Änderung seines Verhaltens gewinnen kann, ist
mehr als zweifelhaft. Der Sachverhalt: Der Lehrer hört öfters früher mit dem
Unterricht auf; auch jetzt sitzt er bereits vor dem Pausenklingeln im Lehrerzimmer:
Schulleiterin: „Herr B. Sie sitzen hier eh im Lehrerzimmer, ich hab grad geguckt, Sie
hatten ja heut früh Unterricht und es war auch sehr laut. Ehm ich sprech Sie an, wir
hatten ja eh abgemacht so in der letzten Konferenz, eh dass wir solche Dinge uns
direkt sagen, und möchte jetzt das eigentlich als Anlass nehmen, eh ja darüber ich
ne mit Ihnen zu sprechen.“
Aus der Leitungsrolle und dem Erwachsenen-Ich könnte das so lauten:
„Herr B., Sie handeln gerade gegen Ihre Unterrichts- und Aufsichtspflichten, bitte
gehen Sie in Ihre Klasse zurück. Ich finde es ärgerlich, dass ich Sie darauf
aufmerksam machen muss. Bitte kommen Sie nachher zu einem Gespräch zu mir.“
den kritischen Sachverhalt ansprechen
Ähnlich wie dem obigen Beispiel und aus Gründen der oben beschriebenen
leitungsschwächenden Schulkultur meinen viele Schulleitungsmitglieder, ihre
Leitungsrolle verstecken zu müssen, um überhaupt Kritik üben zu dürfen. In dem
Rollentraining, aus dem der folgende Auszug stammt, nähert sich der Schulleiter
z.B. dem Lehrer zunächst in der Verkleidung als Kollege, der sich vom Lärm in der
Nachbarklasse gestört fühlt (und wird von dem Lehrer selber später `gestellt´ mit
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Kolumnentitel
der Nachfrage, in welcher Rolle er diese Kritik denn äußere). Der Sachverhalt ist
der gleiche – ein Lehrer hört häufig früher mit seinem Unterricht auf; der
Schulleiter spricht den kritisierten Sachverhalt so an:
Schulleiter: „Eh ich bin mir nich so ganz sicher, ob das ne glückliche Lösung is, dass
Sie das so ja ganz spontan eben individuell mit der 7a gelöst haben ...“
Als Schulleiter ist er vermutlich ganz sicher, dass es ein grober Verfahrensübergriff
des Lehrers ist, Unterrichtszeit-Änderungen selber vorzunehmen, statt das Problem
der Schulleitung gegenüber anzusprechen.
Eine rollenangemessenere Formulierung wäre z.B.:
„Dass Sie die Unterrichtszeiten in Ihrer Klasse individuell ändern, ist nicht ok. Das
können Sie nur über die Schulleitung versuchen.“
Diese Kritik bliebe auch dann angemessen, wenn die individuell vorgenommene
Zeitänderung in der Sache für alle Beteiligten störungslos geblieben wäre. Hier geht
es zunächst um das inkorrekte Verfahren, erst dann um mögliche
Lösungsvorschläge innerhalb eines korrekten Verfahrens.
Ein weiteres Beispiel: Lehrpersonen können (zumal solange sie meine Leitungsrolle
zu leugnen versuchen) Kritikäußerung als (öffentliche) Imageschädigung erleben,
ohne in dieser Einstellung (auf Rollenebene) dazulernen zu müssen. Der Lehrer hier
formuliert diese Beschädigung in den beiden ersten Äußerungen analog zu einer
Lehrer-Schüler-Beziehung (er fühlt sich also als Schüler), in der dritten mit dem
Bild einer öffentlichen Szene:
Lehrer: „Das würde / stellt mich nämlich in so ne Ecke nach dem Motto, ich bin
unzuverlässig was Konferenzen angeht. [...]“;
„Also was ich jetzt nicht gut finde, ist, dass ich jetzt in dieses / in diese / in diese
Position gerate, ich würde Konferenzen da schwänzen [...]“;
„das find ich schon n bisschen merkwürdig, jetz so so so am Pranger zu stehn“.
Der Schulleiter lässt sich – als der, dem vom Lehrer diese Imageverletzung
zugeschrieben wird, – offenbar unter Druck setzen:
Schulleiter: „Sie stehn hier nich am Pranger, eh deshalb se/ machen wir das hier, eh
in meinem Raum. Und wir beiden unterhalten uns darüber. Ich hab da auch mit
keinem andern drüber gesprochen, dass ich da n Problem mit habe.“
Eine Alternative für den Schulleiter wäre hier z.B.:
„Was werden Sie unternehmen, damit Sie in Zukunft in den Konferenzen präsent
sind, so dass dieser Eindruck erst gar nicht entstehen kann?“
Hier würde ich als Schulleiter die Verantwortung für das Bild „am Pranger stehen“
(oder „schwänzen“) gar nicht erst annehmen, sondern direkt beim Lehrer als
Verursacher stehen lassen. Ich bleibe stattdessen bei meinem Kritikthema: Der
möglicherweise entstandene (von ihm geschilderte) Eindruck (bei ihm) muss von
ihm selbst verantwortet werden, da ich ihn als Folge seines unprofessionellen
Verhaltens (= Konferenzen fern zu bleiben) sehe.
Der Schulleiter im Trainingsgespräch dagegen akzeptiert den Vorwurf sofort als
alleiniges Schulleitungs-Problem, indem er den Lehrer beschwichtigt mit dem
Kolumnentitel
Verweis auf die schützenden Bedingungen des Kritikgesprächs. Die semantische
Herabstufung des Kritikgesprächs durch „unterhalten“ auf ein informelles Gespräch
erscheint als logische Folge und lässt die Rollen und Aufgaben beider
verschwinden. Es kann spätestens jetzt nur mehr auf Beziehung gesetzt werden.
den Änderungsanspruch ausarbeiten
Auch
die
Formulierung
des
Änderungsanspruchs
ist
für
viele
Schulleiterinnen/Schulleiter unter den genannten Voraussetzungen offenbar
schwierig; sie sind in der Sorge, als autoritär wahrgenommen zu werden, und
wollen diese Möglichkeit bereits vorweg ausschließen. Präventiv den anderen vor
seinen Gefühlen retten zu wollen, lädt automatisch in Konfliktspiralen der DramaKommunikation ein.
Der Schulleiter unternimmt in dem folgenden Gesprächsbeispiel an zwei
verschiedenen Stellen den Versuch, seinen Änderungsanspruch gegenüber dem
Lehrer `sozialverträglich´ zu formulieren:
Schulleiter: „[Hüsteln] Grundsätzlich wär ich Ihnen eigentlich dankbar, wenn Sie
erkannt hätten, da is n Problem für meine Schüler und das müssten wir eigentlich
auch vonner Schulseite aus lösen ...“
Diese erste Änderungsanspruchsformulierung ist in ihrer vielfachen
Selbstrücknahme besonders auffällig:
„Grundsätzlich …“: also nicht notwendigerweise in jedem (zum Beispiel diesem
konkreten) Fall?
„… wär ich Ihnen eigentlich dankbar, wenn …“ : Und wenn ich der Aufforderung
des Schulleiters nicht folge, ist das dann auch akzeptiert (nur dass ich in diesem Fall
halt keine Dankbarkeit des Schulleiters erhalte)?
„... erkannt hätten“: Reicht mir also die Erkenntnis des Lehrers (und braucht er
also in diesem oder ähnlichen Fällen keine Handlungsfolgerungen zu ziehen)?
„das müssten wir eigentlich auch“: also doch nicht unbedingt?
Und gegen Ende des Kritikgesprächs:
„Ich wär Ihnen dankbar, wenn Sie jetzt mal in den nächsten zwei Wochen versuchen
könnten, den normalen Rhythmus, den die andern auch alle haben, einzuhalten.“
Auch diese verhaltensbezogene Anspruchsformulierung ist zweifach
zurückgenommen:
Mit „ich wär Ihnen dankbar, wenn ...“ wählt der Schulleiter erneut den Modus der
Bitte (auf deren Erfüllung er mit Dank zu reagieren hätte); vermutlich rechnet er
damit, dass vor dem Hintergrund seiner Rolle als Schulleiter die `Bitte´ vom Lehrer
als Aufforderung/Verlangen hochgerechnet wird (er gibt damit die Entscheidung, ob
er leiten darf oder nicht, an den Lehrer ab).
„... versuchen könnten ...“: Reicht dem Schulleiter der gute Wille des Lehrers?
Und was täte er, wenn der Lehrer ihm nach ein paar Tagen mitteilt, `es habe halt
nicht geklappt´?
Eine Alternative (weiter freundlich!):
19
20
Kolumnentitel
„Bevor wir das Gespräch beenden, möchte ich gerne von Ihnen wissen, wie Sie die
nächsten 2 Wochen für einen normalen Rhythmus sorgen werden.“
Wenn die Lehrperson sich nicht glatt auf mein Änderungsverlangen einlässt,
komme ich nicht umhin, klare Forderungen zu stellen und evtl. auch Konsequenzen
anzugeben, falls sich die Lehrperson nicht an meine Auflagen hält. Im folgenden
Beispiel tut der Schulleiter das zwar:
„[...] und dass ich es auch eh von Ihnen erwarte, dass Sie demnächst kontinuierlich
und vor allen Dingen pünktlich auch an den eh Konferenzen teilnehmen. Sie Sie Sie
ham den Plan vorliegen und ich bitte Sie einfach darum, eh mich nicht wieder in
diese Situation bringen zu müssen, eh Sie dann eh zu einem Gespräch zu laden,
wobei wir eh dann /“
Ab „und ich bitte Sie einfach darum, ...“ weicht er dann aber aus in eine BittstellerRolle. Steht dahinter die Erfahrung, dass man Lehrer am ehesten über ein
Helferrollen-Angebot einfängt? Interessanterweise endet diese Äußerung (= bevor
der Schulleiter vom Lehrer unterbrochen wird) mit der Andeutung einer Drohung:
„wobei wir eh dann /“.
am Gesprächsende
In fast allen rollengespielten Kritikgesprächen bedanken sich am Ende des
Gesprächs die jeweiligen Schulleiter-Spielenden. Warum: Weil es für sie glimpflich
verlaufen ist? Weil es ein Zeitgeschenk der jeweiligen Lehrperson an sie war und
sie eigentlich keinen Anspruch darauf hatten? An sich brockt ja die Lehrperson
ihnen eine Mehrarbeit zu.
Ein gutes Ende eines Kritikgesprächs wäre:
- die Zusicherung einholen, dass und wie der Lehrer das Problem behandeln wird,
oder
- die Terminierung eines weiteren Gesprächs, in dem die Ergebnisse der
Veränderung überprüfbar werden, oder
- das Feststellen eines eventuellen Dissenses und der damit verbundenen
Konsequenzen.
Verabschiedungs-Rituale auf der Sachebene wären dann: „Ich wünsche Ihnen ein
gutes Gelingen“ oder „Wenn Sie Unterstützung brauchen, sprechen Sie mich bitte an“
oder „Ich empfehle Ihnen, das Ganze noch einmal zu überdenken, vielleicht finden Sie
noch eine Lösung“ [z.B. bei Dissens].
2.4 Methodische Empfehlungen
Empfehlungen zur Gesprächsplanung
Ein zentraler Teil der – grundsätzlichen wie aktuellen – Vorbereitung auf Gespräche liegt in der genauen Klärung meiner Rolle, meiner Ziele, der Situation und
meiner Ressourcen für das anstehende Gespräch:
Kolumnentitel
1. Rollen- und Auftrags-Klärung: Was darf ich bzw. was sollte ich von meiner
Rolle als Schulleiter her tun?
In welcher beruflichen Zuständigkeit habe ich mit dem Problem zu tun? Differenziere ich
zwischen Anspruch, dringendem Appell und Wunsch an die Lehrpersonen und ihre
Veränderung, in realistischer Einschätzung des mit meiner Rolle (und meiner Person)
gegebenen Einflusses?
2. Ziel-Entscheidung: Was (davon) will oder werde ich tun?
Will ich eine klare Vorstellung von meiner Schule, ihrem Entwicklungsbedarf und meiner
Rolle dabei gewinnen, und erarbeite ich diese klare Vorstellung auch? Ein Ziel bestimmen
bedeutet den Entwurf einer Langzeit-Perspektive (vgl. den nachfolgenden Absatz) und einer
Kurzzeit-Perspektive (z.B. ist das Ziel „wer den Ärger verursacht, soll auch damit beschäftigt
werden“ kleiner und realistischer als das Ziel „wer den Ärger verursacht, den muss ich
ändern“).
3. Situations- und System-Analyse: Welche Bedeutung messen ich und andere dem
Problem bei. Welche Problemdefinitionen gibt es bereits? Wem dienen sie? Wie
viel Veränderung ist möglich und rollen-notwendig. (wenn ich z.B. Zeitung
Lesen in der Konferenz nicht direkt anspreche, welche Folgen hat das für andere
Kollegen, für mein Selbst- und Fremdbild als Leitung, etc.?). Was (davon) passt
bzw. ist wichtig in der gegenwärtigen Lage meiner Schule und ihrer Personen
und für mich als Leit-Figur?
In welcher Arbeits-Beziehungs-Geschichte stehe ich mit dieser Lehrperson (gibt es
wiederholte Inkompetenz-Probleme mit ihr oder ist es ein erstmaliges Geschehen)?
Entsprechend kann ich situations-, rollen- und zielbezogen eine angemessen konfrontative
Gangart wählen. Wenn ich mich für Rücksichtnahme entscheide, sollte ich diese immer in der
Sache transparent machen (warum, wofür, wie lange?).
4. Ressourcen-Prüfung: Was davon traue ich mich bzw. traue ich mir im
Augenblick interaktionell zu? Welche innere Rollenklarheit kann mir dabei
helfen?
Welche der nötigen Interventionen traue ich mir im gegenwärtigen Augenblick zu und welche
nicht? Auch hier ist wichtig, dass ich unterscheiden lerne zwischen rollenangemessenen
Rücksichtnahmen auf andere und einer nur vermeintlichen Schonung des andern, die
eigentlich nur mir selber eine in meinen Augen unangenehme Intervention erspart. Ich darf
auf mich und meine Sorgen um mich Rücksicht nehmen, ich brauche es mir gegenüber nicht
zu verheimlichen.
Problemdefinition
Ein wichtiger erster Blick bezieht sich auf die Struktur des kritikwürdigen
Sachverhalts: insbesondere auf die Frage, wer der Beteiligten zu welchem Zeitpunkt
welches Problem hat:
- Wer sieht ein Problem? (Könnte er selber zur Änderung beitragen?)
- Wer verursacht (angeblich) welches Problem?
- Wer ist in welchem Ausmaß von diesem Problem betroffen? (Ist die
Betroffenheit allen Beteiligten klar?)
- Wer ist dabei initiativ geworden? (Mit welchem Ziel?)
21
22
Kolumnentitel
-
Wer hat Änderungsansprüche bzw. -wünsche? (Hat er diese allen Betroffenen
schon vermittelt?
Welche positiven Folgen (für wen) hätte die Änderung dieses Problems?
Wer sollte dafür was (wie) tun?
Der zweite Blick betrifft die Definitions-Macht von Leitung: Wie sehe ich das
Problem, wie möchte ich es aus der Leitungsrolle definieren und wie hätte ich die
obigen Fragen beantwortet?
1. Rollenklärung
„Was darf bzw. was sollte ich als Schulleitungsmitglied tun?“
„Wer außer/statt mir ist – unter welchen Rollen-Aspekten – zuständig?“
(= „Delegation“ und „Instanzenweg“)
„Wem gehört das Problem?“
(= Wie kommt das Problem wieder dorthin, wo es hingehört? Von wem erwarte ich einen
Lösungsvorschlag?)
2. Ziel-Entscheidung
„Was genau will ich in einem ersten Schritt erreichen?“
(Z.B. könnte ein erstes Ziel einfach sein: Ich will das Problem rollenklar angesprochen
haben. Das Ziel sollte niemals sein, dass andere etwas „einsehen“ oder sich gar gleich
ändern)
3. Antizipation
„Was passt bzw. ist wichtig in der gegenwärtigen Lage dieser Schule?“
(= Was hat/hätte welche Modell-Wirkung? Welche Folgen muss ich bedenken und evtl.
zulassen (weil sie zur Veränderungsdynamik gehören)?
4. Ressourcenprüfung
- „Was traue ich mich bzw. traue ich mir im Augenblick interaktionell zu?“
(= Wie hilft mir dabei Bewusstheit über meine Rolle und meinen Auftrag?“
Brauche ich Supervision im Vorfeld?)
Phasenbezogene methodische Empfehlungen
Planungsphase
Auf ein Kritikgespräch verzichten? Wenn ich bei einer einzelnen Lehrperson
damit rechne, dass sie sich – von ihrem bisherigen sichtbaren Verhalten – nicht auf
meine Änderungsansprüche einlassen, sondern sich offen weigern wird, etwas an
ihrer Professionalität zu tun: Erspare ich mir dann lieber von vornherein die
Konfrontation? Grundsätzlich halten wir es für die Aufgabe von Leitung,
inkompetentes Verhalten von LehrerInnen anzusprechen und damit zu erschweren.
Wenn ich Konfrontationen vermeide, gebe ich eine konträre Botschaft:
Inkompetentes Verhalten wird erleichtert, insbesondere wenn sich eine Person
hartnäckig der Qualitätsverbesserung verweigert. Ich kann folgende Gesichtspunkte
bedenken:
- Ich muss berechtigte Sorge vor einer `Ansteckung´ (Demotivierung) anderer
engagierter Kollegiumsmitglieder haben.
Kolumnentitel
Andere Lehrkräfte – mich und mein Leitungsverhalten beobachtend – könnten
ein Nicht-Handeln als Leitungsschwäche auslegen – aber auch ein Handeln als
Härte. Ich kann mich also nicht danach richten, was die Mitglieder meines
Kollegiums von mir denken. Wohl aber muss mir bewusst sein, wo ich
modellhaft – in Vorbildfunktion – meine Leitungs-Aufgaben transparent
wahrnehme oder etwa vermeide.
- Meine Unentschiedenheit könnte zu viel Energie und Aufmerksamkeit an das
Verhalten dieser Lehrperson binden, so dass ich auch um meiner Psychohygiene
willen diese ansprechen sollte.
- Ich muss bedenken dass ich – auf dem Weg zu einer Bitte an die Schulaufsicht
um Versetzung dieser Lehrperson – ihr nachweislich die Chance (und dem
Verfahren einen notwendigen Zwischenschritt) geben muss, das Problem im
eigenen Hause zu lösen. Als Leitung nichts zu tun kann diese Lehrperson (zu
Recht) in der Meinung stärken, alles wäre „kompetent“, was sie tut.
Ich kann in einem solchen Kritikgespräch (dem freilich auch ein Klärungsgespräch
vorausgehen sollte) der Lehrperson ggf. offen sagen, dass ich Sie ab jetzt für ihre
Probleme zuständig mache, wenn sie nichts verändert. Z.B habe ich auch das Recht,
wenn sie sich offen allen Ansprüchen von mir verweigert, sie mit ihrem Problem im
Kollegium (und z.B. auch gegenüber sich beschwerenden Eltern) als Problemträger
zu nennen und sie immer aufs Neue zu Lösungen zu verpflichten. So könnte ich das
Teilziel erreichen, dass der Ärger für mich energiesparend zur Routine und für die
Lehrperson zur Mehr-Arbeit wird. Daran könnte ich erkennen, dass ich die
Verantwortung für das Problem jetzt angemessen geteilt habe.
-
Kritikgespräch oder Kritisieren? Gab es (mindestens eine) hinreichend deutliche
informelle Ansprache auf das heikle Verhalten und ist insofern das Kritikgespräch
hinreichend einleuchtend für die kritisierte Person? Und umgekehrt: Ist das
Kritikgespräch viel zu spät platziert, so dass es mit einer inzwischen in mir
gesammelten Liste von Einwänden und Vorwürfen und auch Kränkungsgefühlen
überlastet ist?
Nur wenn ich solche internen Unsicherheiten mit mir geklärt habe, greifen
meine mentalen Vorbereitungen auf das Gespräch selber; sonst würden diese
konzeptionellen Unklarheiten auf die Ebene der Formulierungen als interaktionelle
Undeutlichkeiten durchschlagen. Wenn ich ein Kritikgespräch zu lange nicht
geführt habe und deshalb vielleicht stark mit Emotionen besetzt bin, sollte ich mir
eine Sitzung Supervision zur Vorbereitung und Rollen-Klärung gönnen.
Initiative: Die Leitungsrolle verlangt (auch modellhaft für die KollegInnen),
vorsorglich aktiv ins Gespräch zu gehen, statt es erst als Rechtfertigung auf
Initiativen und Zeitpunktentscheidungen anderer (mit)zumachen.
Zeitpunkt: Die grundsätzliche Empfehlung ist, Kritikgespräche so frühzeitig zu
führen, dass ich gegenüber der anderen Person noch genügend
23
24
Kolumnentitel
Achtung/Anerkennung/Nähe habe, die ich als innere Gesprächs-Brücke für ein
gutes Gespräch brauche, um auf der Sachebene zu bleiben.
Konflikt- und Kritikgespräche kann ich nur gut führen, wenn ich der anderen
Person grundsätzlich Veränderung zutraue und sie nicht (innerlich) abwerte. Wenn
ich sie zu lange vor meiner Kritik „gerettet“ habe und sie mir dies nicht mit
freiwilligen Änderungen dankt (sondern sich weiterhin kritikwürdig verhält), liegt
es nahe, dass ich in die Verfolgerrolle rutsche und entwertend kommuniziere. Wenn
ich also in mir bereits starke Abwertungsgefühle oder Zorn spüre, muss ich mich
immer fragen, wie lange ich diese Person schon „gerettet“ habe, ohne dass sie
davon wissen kann. In diesem Zustand kann ich kein Kritikgespräch führen, ohne
eine ausführliche innere Rollen-Klärung.
Delegation: Die Problembearbeitung möglichst an die problem-nahsten `Profis´
delegieren: bei Lehrer-Schüler-Problemen an den Lehrer, bei Lehrer-LehrerSchüler-Problemen an den Klassenlehrer. Wenn Schülerinnen/Schüler betroffen
sind, wird die Problembearbeitung also nicht oder nur mit Anleitung an diese
Schülerinnen/Schüler delegiert, weil sie als Nicht-Erwachsene und unterrichtlich
`Abhängige´ nicht für die Problembearbeitung zuständig sind.
Transparenz bedeutet immer, dass alle Beteiligten über den gesamten Prozess zu
jedem Zeitpunkt orientiert sind und zur Übernahme von Eigenverantwortung
verpflichtet werden.
Öffentlichkeit: Öffentlichkeit nur so groß werden lassen, wie funktional (= zur
Bearbeitung des Problems) unbedingt nötig. Je größer die Öffentlichkeit, desto
aufwendiger auch die Information dieser Öffentlichkeit nach Abschluss des
Problems bzw. der Problembearbeitung. Das hat drei methodische Folgerungen:
- bei Recherchen mit möglichst wenigen zur Sache Befragten auskommen;
- nur Rollen-Betroffenen von der Angelegenheit erzählen;
- Kritikgespräche sind in der Regel 4-Augen-Gespräche: Also nehme ich in
Kritikgespräche als Schulleiterin niemand Zweites mit (außer die Lehrperson
bringt einen Kollegen ihres Vertrauens mit, dann stelle ich das PersonenGleichgewicht her, in dem ein weiteres Mitglied der Schulleitung dabei sein
(aber nur zuhören, nicht mitsprechen) wird.
Instanzen: bei der Planung der Klärungsgespräche die angemessene Reihenfolge
der Gesprächspartner beachten.
Verabredung zum Kritikgespräch
Einladungsform: im Regelfall mündlich; sollte es üblich sein, durch schriftliche
Nachrichten Lehrkräfte zu Schulleitergesprächen einzuladen, geht dies natürlich
auch.
Thema mitteilen? Das Thema immer als Stichwort mitteilen, nicht erst, wenn die
Lehrperson nachfragt, worum es denn gehe. Die Lehrperson hat ein Recht darauf,
Kolumnentitel
den Gesprächszweck (hier: Beschwerdeklärungs- bzw. Kritikgespräch) zu erfahren
und auch den Schweregrad, damit sie sich selber innerlich auf das Gespräch
einstellen kann.
Eine solche Angabe von Gesprächszweck und Gegenstand der Kritik verlangt
im Termingespräch genaue Führung (um die inhaltliche Diskussion außen vor zu
halten), sie ist damit zwar anstrengender, entlastet aber das eigentliche
Kritikgespräch.
Dauer der Terminvereinbarung: Ein weitergehendes Ansprechen z.B. des
Beschwerdeinhalts zugewandt verweigern, und zwar nicht aus einer Retter-Position
(mit vermeintlicher Rücksichtnahme auf die Lehrperson), sondern mit offener
Rücksichtnahme auf einen selber („Ich brauche hinreichende Ruhe und Zeit für das
Gespräch ...“). Bei der Terminvereinbarung auf Kürze insistieren, auch wenn die
andere Person mich in die sachliche Auseinandersetzung hineinziehen will. Diese
aktive Begrenzung der Terminvereinbarung auf die Mitteilung des
Gesprächszweckes und des Themas fällt auch deshalb nicht leicht, weil wir in
alltäglichen Gesprächen gewohnt sind, erst dann das Gespräch zu beenden, wenn
auch die andere Person sichtbar der baldigen Beendigung zugestimmt hat; ich muss
also notfalls ohne dieses Einverständnis der anderen Person das Gespräch beenden.
Frist: Man kann die Lehrperson relativ kurz (z.B. am gleichen Morgen) vor dem
geplanten Gesprächstermin einladen, so dass sie sich (und die Schülerinnen/Schüler
im Unterricht bis zu dem Gespräch) nicht unnötig lange verunsichert.
Kritikgespräch
Ort/Rahmen
Setting: Kritikgespräche gehören in den Schulleiterraum; dort – wie alle Gespräche
– an den Besprechungstisch, nicht an den Schreibtisch; Sitzordnung: wie bei allen
Gesprächen über Eck, nicht frontal gegenüber.
`Service´: den bei Gesprächen mit mir üblichen Service anbieten: Wenn ich als
Schulleiter in allen Gesprächen Kaffee o. ä. anbiete, tue ich es auch in
Kritikgesprächen; wenn ich keinen Kaffee anzubieten pflege, tue ich es auch nicht
in diesen Gesprächen (sonst suggeriert der besondere Service die anschließende
besondere `Gefahr´; der Kaffee wird als `Henkersmahlzeit´ gesehen).
Gesprächseröffnung
Warming-up? Kein Small Talk, weil er die Fallhöhe, den Temperatur-Sturz des
Gesprächs-Kerns erhöhen würde, weil er meine Sorge vor dem Gespräch als größer
erscheinen und damit die phantasierte Schärfe des Kritiksachverhaltes als höher
phantasieren lassen könnte und weil er Kritikgespräche als etwas Besonderes,
Nichterlaubtes, zu Vermeidendes zeigen könnte (Retter-Positionen laden
bekanntlich zu Opfer-Positionen ein!).
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Kolumnentitel
Ich kann meine Zugewandtheit auch in der freundlich sachlichen Art zeigen, in
der ich direkt das verabredete kritische Thema anspreche.
Themenreihenfolge: bei mehreren Kritikpunkten Platzierung des heißesten am
Anfang, nicht wie zunächst spontan in fast allen Trainingsgesprächen gewählt (=
Prinzip Schiebewurst) am Ende; denn das Ende eines Gesprächs soll möglichst
konsenshaltig gestaltet werden, weil die End-Stimmung in die Zeit bis zum
nächsten Gespräch wirkt. Aus dem gleichen Grund auch eine metakommunikative
Thematisierung von Konsens und Dissens am Ende des Gesprächs, so dass
wenigstens auf Meta-Ebene Konsens entsteht (wir sehen übereinstimmend, wo
zwischen uns noch Dissens ist, so dass wir in der Zukunft darauf gut achten
können).
Ich benenne möglichst nur eine Begebenheit, in der das Problem auftaucht, und
lasse dann dem anderen Zeit zu Wort zu kommen. Es macht wenig Sinn, wenn ich
eine ganze List von Vorkommnissen aufzählen würde. Das würde nur bedeuten,
dass ich dieses Gespräch viel zu spät führe. Weitere Beispiele (aber auch dann nicht
alle!) müsste ich nur ins Spiel bringen, wenn keinerlei Einsicht entsteht.
Gesprächs-Sorgen thematisieren: Wenn ich vor einem Gespräch Sorgen habe
(mich aber entschlossen habe, es dennoch zu führen), ist es in der Regel
konstruktiver, solche Sorgen in der Eröffnungsphase anzusprechen, als sie der
anderen Person vorzuenthalten: „Ich hab ein bissel Sorge vor diesem Gespräch, weil
ich in der letzten Zeit öfters schwierige und dissente Themen mit Ihnen besprochen
habe. Trotzdem scheint es mir nötig aus folgenden Gründen … Wie geht es Ihnen mit
unseren
Dissensen?“
Solche Thematisierungen erlauben beiden, im
Gesprächsverlauf miteinander kritische Augenblicke zu haben; sie sind zugleich
eine Plattform, um in solchen kritischen Augenblicken innezuhalten und einen
neuen Weg zu suchen; sie enthalten zudem ein Stück Anerkennung der anderen
Person als erwachsener Person und zeigen – bei aller (oder gerade: in ihrer)
Direktheit – ein Stück rollenangemessener Für-Sorge.
Gesprächs-Kern
Das Problem ansprechen: in `entwaffnender Offenheit/Direktheit´ ansprechen;
man kann diese Direktheit metakommunizieren: „Ich sag Ihnen einfach erst einmal
ganz direkt, was das Problem ist: ...“; kein `fragend entwickelndes´ oder `entdecken
lassendes´ Verfahren (aus dem -fEL); solche Verfahren sind – allenfalls – für
Unterricht mit Kindern angemessen und laden unbewusst in Regression ein (-aK).
Zugewandt konfrontieren: den Änderungsanspruch als Zu-Mutung formulieren:
Fordernd „... Ich achte Ihre biografisch schwierige Situation, aber ich erwarte, dass Sie
an dieser Situation etwas verändern ...“, Veränderungsbereitschaft erwartend: “... Wie
und bis wann denken Sie, dass Sie eine Lösung gefunden haben?“ und auf
Unterstützungsoptionen verweisend: „... Wenn Sie dabei eine Unterstützung brauchen
Kolumnentitel
können, sagen Sie mir Bescheid; dann können wir gerne darüber reden, was möglich
ist.“
Funktionale vor formalen Begründungen: funktionale Begründungen rahmen die
formalen ein: „Ihre Präsenz (und die der Kollegen) bei Lehrerkonferenzen von Anfang
bis Ende stellt sicher, dass alle Lehrpersonen den gleichen Informationsstand haben
(...). Insofern ist die Teilnahme an Lehrerkonferenzen auch als hochrangige Dienstpflicht
verankert“.
Eine persönliche Bedeutung – wenn sie für mich besteht – gehört in den
Begründungszusammenhang durchaus hinein: „... für mich ist es auch ein Zeichen von
Abwertung von mir und von Kollegen, wenn Sie – außer im vorab mit mir geklärten
Sonderfall – nach eigener Priorität mal mehr, mal weniger spät teilnehmen. Und ich
möchte die inzwischen an unserer Schule etablierte Genauigkeit im Umgang mit solchen
zentralen Kooperations-Instanzen auch nicht durch Ihre Sonderregelung gefährdet
haben.“ Hier sind drei miteinander zusammenhängende Gründe genannt.
Vorwurf-Rechtfertigungs-Schema: „Warum“-Nachfragen zu dem gerade
kritisierten Sachverhalt („Warum haben Sie denn X gemacht?“) eröffnen in der Regel
ein Vorwurf-Rechtfertigungs-Muster, nicht ein `Mehr-vom-Problem-Verstehen´Muster. Geeignete so genannte W-Fragen sind: „Was möchten Sie dazu sagen?“ –
„Wie verstehen Sie die Situation?“ – „Wie könnten Sie das ändern?“
Formulierungsprobleme: nicht mit „ja, aber“ anschließen, weil es Zeichen einer
widerwilligen Kooperation ist, bei der man innerlich immer schon bei der
Zubereitung des eigenen Widerspruchs ist (= Pseudo-Eingehen auf die andere
Person und ihren Beitrag). Führung im Gespräch bedeutet auch, dass ich manche
Einwürfe schlicht ignoriere und meinem roten Faden folge. Mit „Ja, aber“ gebe ich
diesbezüglich auch eine Doppelmeldung.
Wahrnehmung: eigene innere Reaktionen (insbesondere Affekte) wahrnehmen,
ohne ihnen gleich im Handeln zu folgen. Ich kann mich entscheiden, z.B. meinen
Ärger später anzusprechen und in einer `zu-mutbaren´ kommunikativen Form.
Empathie: die Probleme auch mit den Augen der anderen Person sehen können,
ohne die eigenen Augen gleich zu schließen. Wichtig ist, den Automatismus zu
unterbrechen, dass ich – wenn ich Empathie für den anderen habe – auch gleich für
ihn etwas tun muss! Es ist durchaus möglich, voller Verständnis für das Problem
des andern zu sein und ihm dennoch die komplette Lösung zu überlassen.
Zuhören und Pausen: Deutliche Pausen entstehen lassen, so dass mein Gegenüber
Zeit zum Denken bekommt; Pausen und Stille aushalten.
Diagnostisches Zuhören (= versteckte Zusammenhänge heraushören), auch auf
`schwache Signale´ hören lernen.
Gegenkritik: Direkt intervenieren, wenn ein von mir kritisierter Lehrer im
Gegenzug mich zu kritisieren anfängt, sei es in ähnlicher, sei es in anderer Sache:
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Kolumnentitel
Dieser Lehrer darf mir gerne seine Kritik mitteilen, ich finde das wichtig und werde
gerne schauen, wo sie mir berechtigt erscheint und wo ich daher in meinen
Handlungen Folgen ziehe; diese Kritik gehört aber nicht in das jetzige Gespräch. Er
kann gerne nach Abschluss dieses Gesprächs mit mir einen Termin vereinbaren, in
dem ich mir dann Zeit nehme, seine Kritik zu hören. – Ich brauche die KonterVersuche dieses Lehrers dabei nicht zu bekämpfen, sondern ich lasse mich lediglich
nicht auf sie ein.
Dissens im `Tatbestand´: Wenn der von mir angesprochene Lehrer den von mir
vorgehaltenen Tatbestand (z.B. Äußerungen gegenüber Schülerinnen/Schülern, die
diese und ihre Eltern – und ich – für entwertend, also nicht vertretbar halten) anders
bewertet als ich und daher keinen Grund für Kritik sieht, erreichen wir – jedenfalls
in diesem Gespräch – vermutlich keinen Konsens; ich brauche jetzt nicht weiter um
diesen Konsens zu kämpfen. Es sind hier vier Varianten im Umgang mit Dissensen
denkbar:
1. Ich bin durch die Sicht des andern hinreichend überzeugt, dass dessen
Bewertung angemessen ist, und ich verzichte daher unmittelbar auf Änderung
seines Verhaltens in Richtung meiner Sicht. Damit endet zugleich der Typus
Kritikgespräch.
2. Ich werde nachdenklich durch die Darlegungen des andern, ob meine Sicht ganz
angemessen ist; ich kündige an, darüber weiter nachzudenken, ggf. mit dem
andern (und evtl. noch weiteren Kollegiumsmitgliedern), ich rechne mit einer
Neupositionierung von mir/uns und räume daher bis auf weiteres dem andern
ein, weiter seinem Verhalten zu folgen.
„Ich will selber noch mal nachdenken, ob ich Ihre Sicht verstehen und teilen kann,
bitte lassen Sie sich die Sache auch noch einmal durch den Kopf gehen; ich werde
Sie sicher in den nächsten Tagen noch einmal darauf ansprechen“.
3. Wie 2., ich verlange aber von dem andern, bis zu einer sichtbaren
Umorientierung sein Verhalten nach den von mir vertretenen Maßstäben zu
richten.
4. Ich sehe keinen Grund, meine Position zu überdenken, und verlange von dem
andern eine Problemlösung und kündige an, diese (mit ihm gemeinsam) zu
begutachten innerhalb einer vereinbarten Zeit
„Ich habe Ihnen meine Sichtweise zum Thema Abwertung von Schülerinnen und
Schülern erläutert. Sie sind anderer Meinung. Dennoch erwarte ich von Ihnen, dass
die ständigen Beschwerden der Eltern aufhören. Ich würde sonst das nächste Mal
den Eltern den Weg zur Schulaufsicht frei machen …“.
Im Falle von (4) und (3) wird mein Veränderungsverlangen durch den Dissens des
anderen also nicht storniert; im Fall von (2) storniere ich meine Entscheidung, ob
ich von dem anderen Änderung verlange; im Falle von (1) breche ich das
Kritikgespräch ab (und in diesem Fall macht es Sinn, mich bei dem anderen für das
Gespräch und den für mich darin zugänglichen Erkenntnisgewinn zu bedanken!).
Kolumnentitel
Änderungsverlangen: den Anspruchs-Status meines Änderungsverlangens überdeutlich machen: erlassmäßig gestützter Anspruch? dringender Appell von mir?
Bitte an die andere Person aufgrund eines konzeptionellen/pädagogischen
Wunsches von mir?
Ein Änderungsverlangen kann im Einzelfall auch eine Problemverschiebung
sein: Ein Lehrer wird häufig von Eltern und SchülerInnen verdächtigt, während des
Unterrichts Alkohol zu trinken. Der Lehrer bestreitet dies: Wenn er nach Alkohol
riecht, dann nur, weil er Medizin nimmt; wenn er den Unterricht verlässt, um etwas
zu trinken, dann nur, damit die Kinder das Medizinfläschchen nicht sehen. Das
Änderungsverlangen der Schulleiterin kann so aussehen:
„Ich erwarte, dass Sie Ihre Medizin-Einnahme so regeln, dass kein AlkoholismusVerdacht mehr aufkommt. Was schlagen Sie vor?“
Keine Fußtruppen: Wenn ich als Schulleiter ein Verhalten eines Lehrers aus
meiner eigenen Anschauung kenne, dann brauche ich keine dritten Personen zu
bemühen (z.B. Lehrpersonen, denen das Verhalten des kritisierten Lehrers ebenfalls
unangenehm aufgefallen ist); den interaktionellen Druck des kritisierten Lehrers –
der aus seiner Sicht verständlich ist – muss meine Rolle gut aushalten, ich lenke ihn
nicht auf abwesende Beschwerdeführer um. Je begrenzter die Zahl der in die
Auseinandersetzung verwickelten Personen, desto leichter die Regulierung und
desto geringer der Aufwand, nach der Konfliktklärung alle zu informieren.
Affekt: Die kritisierte Person darf sich aufregen; ich nehme ihren Affekt zur Gänze
als ihren momentanen Selbst-Ausdruck, nicht als (mich drückenden) Appell an
mich, meine Kritik abzuschwächen oder auf Änderungsansprüche zu verzichten:
Ich darf mich auf die Sach-Ebene konzentrieren (wenn eine Lehrerperson etwas
ändert, geht es mich nichts an, ob sie dies murrend oder fröhlich tut!), allerdings
darf ich bei einer Über-Präsenz von Gefühlen diese ebenfalls kritisch ansprechen:
„Frau Müller, mir ist aufgefallen, dass Sie jedes Mal, wenn es um Kritik geht, in
Tränen ausbrechen. Sie haben damit schon mehrere Gespräche erschwert. Ich halte
es für professionell, auch bei Kritik auf der Sachebene bleiben zu können, und das
erwarte ich auch von Ihnen [...] Ich habe Sie mehrfach auffordern müssen, in Ihre
Klasse zu gehen, während Sie noch im Lehrerzimmer saßen, um Ihren Unterricht
vorzubereiten, der längst begonnen hatte. Und ich möchte mit Ihnen hier darüber
sprechen, wie Sie das ändern. Dass Ihnen das negative Gefühle bereitet, wenn Sie
das nicht schaffen, kann ich verstehen, aber das ist hier nicht das vorrangige
Thema“.
Gesprächskrisen: Wenn ich momentan keine Ressourcen mehr in mir sehe, das
Gespräch gut weiterzuführen, brauche ich es nicht `tapfer´ durchzustehen, sondern
habe eine Reihe von Möglichkeiten:
- Ich spreche den Zustand aus meiner Sicht an und biete selber an – und lade auch
die andere Person dazu ein –, nochmals einen Neustart im laufenden Gespräch
zu versuchen. Aus Sackgassen kann ich also im Gesprächsverlauf selber offen
herausgehen (es ist erstaunlich, wie wenig solche metakommunikativen
Steuerungen im Gesprächsalltag genutzt werden):
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Kolumnentitel
„Ich glaube, wir sind vom Thema abgekommen, ich würde gerne noch einmal darauf
zurückkommen, welche Ideen Sie haben, das ändern zu können“.
-
Ich schlage eine `Auszeit´ vor:
„Ich erlebe die augenblickliche Gesprächssituation als schwierig und möchte das
Gespräch jetzt unterbrechen und erst morgen fortsetzen. Ich will Ihnen auch sagen,
was für mich im Augenblick schwierig ist: ... Wie geht es Ihnen damit?“
Durch diesen Vorschlag kann das Gespräch noch mal in guter Weise in Gang
kommen, so dass ich keine Auszeit mehr brauche.
-
Ich nehme mir eine `Auszeit´:
„Mir geht es jetzt so: Mir ist das Problem wichtig, und wichtig ist mir, mit Ihnen gut in
dieser Sache sprechen zu können. Ich möchte daher im Augenblick erst einmal
stoppen, möchte für mich ein bissel darüber nachdenken können und werde mich
morgen (/heute Nachmittag/...) wieder an Sie wenden.“
Gesprächsende
Absprachen: Verbindliche Absprachen immer mit einem Zeitaspekt versehen. Ich
setze also einen Termin fest, an dem gemeinsam Erfolge oder Misserfolge
ausgewertet werden und auch über Konsequenzen entschieden wird.
Oder: Bitte um Bericht; freilich muss ich mir diesen Termin notieren und auf
Einlösung überprüfen; sonst nochmals ein Gespräch.
Konfliktbeziehung `schließen´: Sofern mein Kritikgespräch auf eine Beschwerde
eines/r Dritten zurückgeht, den Gesprächspartner / die Gesprächspartnerin
ermuntern, mit solchen Dritten selber wieder in Kontakt zu gehen; ggf.
Schlichtungsgespräch anbieten.
Vergewisserung des Verständnisses in der Sache: in allen schwierigen
Gesprächen am Ende eine gesprächsverlaufsbezogene Evaluation machen:
“Ich fasse noch mal kurz zusammen, … ich bekomme von Ihnen … in 2 Wochen …
Kann ich mich darauf verlassen? …“
Wichtig ist, dass ich klare Antworten („Ja“, „Nein“, „In Ordnung“ o. ä.) erwarte und
abwarte, Zustimmungen also nicht einfach voraussetze. Ohne solche deutliche
Antworten habe ich Absprachen nur mit mir selbst. Viele Schulleitungsmitglieder
haben in den Rollentrainings zu wenig Zeit für klare Zustimmung oder Ablehnung
gelassen.
Entwarnung: genau die Öffentlichkeit (= Beteiligte und Informierte) davon in
Kenntnis setzen, dass der Konflikt bearbeitet ist. Beteiligte erfahren dabei von dem
Ergebnis der Bearbeitung, die restliche Öffentlichkeit erfährt nur, dass die
Bearbeitung abgeschlossen ist.
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