Universität Hannover Germanistik Seminar: Einführung in die Literaturwissenschaft Sommersemester 2005 Dozent: Djoufack Referent: Sebastian Hahn Geniegedanke am Beispiel von Schillers Kabale und Liebe 1 Inhaltsverzeichnis Deckblatt - Seite 1 Inhaltsverzeichnis - Seite 2 Über den Autor - Seite 3 Hintergrund des Dramas Kabale und Liebe - Seite 4 Der Sturm und Drang - Seite 5 Der Geniegedanke des Sturm und Drangs - Seite 7 Die Umsetzung des Geniegedankens in Kabale und Liebe - Seite 8 Schillers Intention - Seite 15 Literaturverzeichnis - Seite 15 2 Über den Autor Johann Christoph Friedrich Schiller - Geboren am 10. November 1759 als Johann Christoph Friedrich Schiller in Marbach - Vater: Offizier Johann Kasper Schiller - Mutter: Elisabeth Dorothea Kodweiß - 1764 – 1766 Grundschulunterricht bei Pfarrer Moser - 1767 Eintritt in die Lateinschule von Marbach - 1773 Studium auf der militärischen Schule des Herzogs, der späteren Karlsschule - 1775 unfreiwilliger Wechsel zum Studium der Medizin - 1780 Entlassung als Doktor der Medizin aus der Karlsschule, Schiller wird Regimentsarzt in Stuttgart - 1781 erscheint Schillers Stück die Räuber im Selbstverlag - 13. Januar 1782 Uraufführung der Räuber in Mannheim, Da Schiller ohne Erlaubnis nach Mannheim gereist war, wird ihm von dem württembergischen Herzog Karl Eugen ein Reise und Schreibverbot erteilt. Noch im selben Jahr flüchtet er unter falschem Namen nach Mannheim, später nach Frankfurt und schließlich nach Bauerbach - 1783 Schiller stellt das Stück Kabale und Liebe fertig, während er in Bauerbach bei einer Freundin seiner Mutter lebt. Schiller ist zu diesem Zeitpunkt unglücklich in deren Tochter Charlotte verliebt. Am 24.7. 1783 reist er wieder nach Mannheim. - 07. September 1788 Schiller trifft zum ersten mal auf seinen späteren Freund Goethe - 22. Februar 1790 Schiller heiratet Charlotte von Lengefeld in Wenigenjena - 1791 Schillers schwere Lungenkrankheit zeichnet sich ab. Schiller legt eine längere Schaffenspause wegen einer Kur ein - 1794 längerer Aufenthalt in Weimar bei Goethe - 16. November 1802 Schiller wird geadelt - 9. Mai 1805 Schiller verstirbt in Weimar 3 Hintergrund des Dramas Kabale und Liebe - Das Drama Kabale und Liebe beginnt Schiller zunächst unter dem Titel Luise Millerin als bürgerliches Trauerspiel in der Zeit seines Arrestes wegen unerlaubter Reisen im Jahre 1782. - Er stellt es im April 1783 in Bauerbach fertig, als er bei der Freundin seiner Mutter, Frau von Wolzogen wohnt. - Im Mai dieses Jahres wird es auf Anregung des Intendanten des Mannheimer Nationaltheaters leicht verändert. - Es ist anzunehmen, dass Schiller dieses Drama aus Unmut gegenüber Herzog Karl Eugen schrieb, der ihm 1782 ein Reise- und Schreibverbot erteilt hatte. Darüber hinaus hegt Schiller einen gewissen Groll gegen den Adel im Allgemeinen, da er ihn für unmoralisch hält. - Die Thematik der Kluft zwischen Adel und Bürgertum lässt sich auf Schillers eigene Erfahrungen seiner unglücklichen Liebe zu Charlotte von Wolzogen zurückführen. - Am 15. April 1784 wird das Stück in Frankfurt Uraufgeführt, jedoch auf anraten des Schauspielers Iffland in Kabale und Liebe umbenannt, womit er einer modischen Erscheinung der Zeit folgte. - Am 17. April 1784 wird das Stück in Anwesenheit Schillers in Mannheim aufgeführt. Nach dem zweiten Akt erlebt Schiller wahre Begeisterungsstürme des Publikums, was für diese zeit eher ungewöhnlich ist. - 1784 wird das Drama in Berlin alleine sieben mal in einem Monat aufgeführt und feiert große Erfolge - die erste gedruckte Fassung von Kabale und Liebe erscheint zur Ostermesse 1784, eine englische Version folgt 1795, eine französische 1799 - In der Folgezeit wird das bürgerliche Trauerspiel Kabale und Liebe das erste soziale Drama der deutschen Literatur genannt und gilt als wegweisendes Werk des Sturm und Drangs 4 Der Sturm und Drang Um die Umsetzung des Geniegedankens in Schillers Werk „Kabale und Liebe“ zu untersuchen, muss zunächst einmal der Begriff des Sturm und Drangs, sowie die Absichten der Autoren dieser Epoche geklärt werden. Die literarische Epoche des Sturm und Drangs lässt sich etwa auf die Zeitspanne zwischen 1770 und 1780 datieren. Den Mittelpunkt dieser Bewegung, nicht nur literarisch sondern auch aufgrund der Kontaktsuche zu anderen Autoren dieser Epoche, bilden Goethe und Lenz. Matthias Luserke skizziert dreizehn allgemeine Merkmale, die die Epoche des Sturm und Drangs kennzeichnen.1 1. Der Sturm und Drang und damit auch die Autoren, die in dieser Richtung wirkten erhoben den Anspruch, „anders“ und also Avantgardistisch zu sein. 2. Sturm und Drang setzt sich bewusst ab von der vorhergehenden Literatur. Sowohl formal als auch inhaltlich wird Abstand von gültigen Normen genommen. 3. Sturm und Drang sucht bewusst und politisch motiviert neue Themen oder betrachtet alte Themen von anderen Standpunkten. 4. Sturm und Drang ist die Literatur der Aufklärung und wendet die aufklärerischen Gedanken aggressiv gegen die politische und gesellschaftliche Gegenwartsnorm ihrer Zeit. 5. Autoren des Sturm und Drangs suchen in der Geschichte nach Gegebenheiten, die sie in ihrer Gegenwart vermissen. Sie beschreiben in Dramen, deren Handlung in der Gegenwart spielt, Gegebenheiten, die in der Realität nicht vorkommen. Die ihren Vorstellungen entsprechenden Menschen, die sich nicht auf Vernunft und Denken beschränken, sondern auch aus Gefühl handeln nennen sie „Kraftgenies“ oder „Kerls“. Mit diesen Begriffen titulieren sich die Autoren des Sturm und Drangs auch selbst. Goethe prägte in diesem Zusammenhang den Begriff des „Selbsthelfers“, der sich durch eigenständige Handlungen und Selbstbestimmung auszeichnet. 6. Sturm und Drang setzt sich über Rollenzuweisungen hinweg und glorifiziert das Individuum. Die Literatur will den Rezipienten bei der Selbstfindung unterstützen. 7. Sturm und Drang versucht sich außerhalb der ständischen Hierarchien zu bewegen, scheitert jedoch daran. 8. Sturm und Drang macht keine Vorschläge, wie die Welt auszusehen habe, sondern dient im Allgemeinen ausschließlich der Kritik. 1 Vgl. Mathias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag, 1997, Seiten 10 - 14 5 9. Sturm und Drang setzt sich ebenso über Sprachliche und stilistische Normen hinweg, nutzt Vereinfachungen und Verknappungen um die „unverfälschte Sprache der Leidenschaft“2 hervorzuheben. 10. Sturm und Drang ignoriert literarische Gattungsgrenzen. 11. Der Sturm und Drang fordert die Selbstbestimmung des Menschen nicht nur, sondern zeigt sie in seinen Dramen. 12. Sturm und Drang kritisiert die Aufklärung und zeigt die großen Differenzen zwischen aufklärerischen Gedankengutes und politischer Wirklichkeit. 13. Sturm und Drang ist eine Rebellion gegen die Fremdbestimmung und beschreibt deswegen oft Familienkonflikte, vor allem rebellische Akte gegen den Vater. Vatermord, Brudermord und ähnliches sind Inhalt der Literatur des Sturm und Drangs. Die Autoren des Sturm und Drangs kritisieren also vor allem: 1. „Das Herrschaftsverhältnis im Bereich gesellschaftlicher Macht“3, im Grunde also die Stände an sich. 2. Poetologische Regeln, ästhetische Normen und dramentheoretische Vorschriften4. 3. Bürgerliche Verhaltensstandards, durch die Aufklärung in Repression verkehrt werden5. 4. Der Sturm und Drang verweigert sich einer einheitlichen Theoriebildung, da dies Repression bedeuten würde, die von den Autoren des Sturm und Drangs kategorisch abgelehnt wird6. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, dass man erkennt, dass die Verfechter des Sturm und Drangs keinesfalls die Aufklärung an sich zu kritisieren versuchten, sondern die Differenz zwischen Theorie und Wirklichkeit bemängelten und der Gesellschaft vor Augen zu halten versuchten um diesen Missstand zu beseitigen. Die Autoren des Sturm und Drangs gehen also grundsätzlich mit den Ansichten der Aufklärer konform, unterscheiden sich aber in einigen Ansichten. Matthias Luserke formuliert in diesem Zusammenhang: „Die Maxime der Aufklärung, den Verstand aufzuklären und das Herz zu bessern, wird im Sturm und Drang umgekehrt. Nun rufen die jungen Dichter: Wir wollen das Herz aufklären und der Verstand verbessern!“7 2 Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag, 1997, Seite 13, Zeilen 6 & 7 Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag, 1997, Seite 63, Zeilen 8 & 9 4 Vgl. Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag, 1997, Seite 63, Zeilen 19 & 20 5 Vgl. Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag ,1997, Seite 64 ,Zeilen 5 - 7 6 Vgl. Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag ,1997, Seite 64, Zeilen 22 - 25 7 Matthias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag ,1997, Seite 65, Zeilen 22 - 25 3 6 Der Geniegedanke des Sturm und Drangs Das Genie, der autonome, sich selbst bestimmende Mensch, der keinen Regeln und Normen unterworfen ist, ist die oberste Maxime und das Ziel der Autoren des Sturm und Drangs. In Deutschland jedoch bleibt dies ausschließlich Gegenstand der Literatur und setzte sich nicht in der Realität durch. Dies mag der Grund sein, aus dem die Protagonisten des Sturm und Drangs, welche durchweg dem Geniegedanken entsprachen grundsätzlich in der deutschen Literatur scheitern. Die Autoren drückten damit aus, dass ihnen die gesellschaftlichen Gegebenheiten durchaus bewusst waren.8 Der weiter oben erwähnte Selbsthelfer weiß sich also, wie der Name schon sagt, durchaus selbst zu helfen, ist jedoch aus den gegebenen Umständen zum Scheitern verurteilt in dem Versuch, „Konventionen zu durchbrechen, ihre Individualität zu behaupten gegen eine Welt von Lügen und Korruption, Unterdrückung und Unrecht.“9 Schillers Drama Kabale und Liebe bildet nun insofern eine Ausnahmeerscheinung des Sturm und Drangs, als das es sehr ungewöhnlich war, einen Selbsthelfer, wie Ferdinand von Walter in der Gegenwart wirken zu lassen. Das Gros der anderen Autoren des Sturm und Drangs siedelten ihre Dramenhandlung in der Vergangenheit oder einer nicht bestimmten Zeit an, ein weiteres Indiz dafür, dass sich selbst die Autoren selbst der Tatsache bewusst waren, dass der von ihnen gepriesene Individualismus in der politischen Realität Deutschlands keinen Bestand haben konnte.10 Dennoch sollte den Menschen die Utopie des Autonomen Menschen vor Augen gehalten werden. Das Scheitern der Protagonisten dem Zwecke dienen, die Zuschauer eines Dramas des Sturm und Drangs aufrütteln, von ihren gesellschaftlichen Normen, seien es nun ständische oder bürgerliche Normen Abstand zu gewinnen, damit das Individuum nicht scheitern muss, wie es in den Dramen geschieht. Offenbar schätzte Schiller das deutsche Bürgertum als noch starrer als den deutschen Adel ein, denn in seinen Werken sind die Selbsthelfer zumeist Adlige, die jedoch bürgerlich denken. Die Bürger in Schillers Werken sind zumeist noch mehr darauf bedacht die Ständegrenzen aufrecht zu erhalten als der Adel. Im Falle von Kabale und Liebe ist der Selbsthelfer vor allem Ferdinand von Walter, der ursprüngliche Titel des Dramas, „Luise Millerin“ lässt allerdings schon darauf schließen, dass eben mindestens noch Luise Miller ebenfalls die gesellschaftlichen Normen zu durchbrechen versucht. Faktisch sind es sogar noch mehr Figuren, die zumindest Zweifel an den Gegebenheiten haben. 8 Andreas Huysser, Drama des Sturm und Drang, Kommentar zu einer Epoche, Winkler Verlag, 1980, Seite 59, Zeilen 5 - 59 9 Andreas Huysser, Drama des Sturm und Drang, Kommentar zu einer Epoche, Winkler Verlag, 1980, Seite 77, Zeilen 37 - 39 10 Vgl. Andreas Huysser, Drama des Sturm und Drang, Kommentar zu einer Epoche, Winkler Verlag, 1980, Seite 78, Zeile 39 – Seite 79, Zeile 13 7 Die Umsetzung des Geniegedankens in Kabale und Liebe Wie eingangs erwähnt ist Schillers Werk Kabale und Liebe dahingehend als ungewöhnlich zu bezeichnen, als dass es als Gegenwartsstück konzipiert ist, soll heißen, die Handlung findet in der gesellschaftlichen Umgebung statt, in der sich auch Schiller selbst bewegte. Es zeichnet sich deutlich ab, dass es ein Stück des Sturm und Drangs und nicht etwa der Aufklärung ist, denn neben der recht harschen Kritik an den Gepflogenheiten des Adels kritisiert Schiller auch die festgefahrenen Ansichten des Bürgertums, speziell in der Person des Musikus Miller, der maßgeblich daran beteiligt ist, dass der Adel in der Lage ist, das Bürgertum auszunutzen, indem er dies nicht nur zulässt sondern sogar allgemein befürwortet. Um nun aber das Bürgertum kritisieren zu können musste Schiller die Form des bürgerlichen Trauerspiels wählen, welches doch eher eine ungewöhnliche Form darstellte. Entgegen klassizistischer Normen entspringen also viele der Protagonisten dem Bürgertum und nicht ausschließlich dem Adel, denn nur durch eine solche Figurenkonstellation ist es möglich die Differenzen zwischen Adel und Bürgertum zu beschreiben. Vor allem aber ist es nur so möglich das Bürgertum und seine Moral anzuklagen. In Kabale und Liebe wird sehr schnell klar, dass Schiller die bürgerliche Moral für mindestens genauso schädlich hält wie den „Snobismus“ des Adels. Die weiter oben genannten Kriterien des Genies sind in dem Drama Kabale und Liebe an mehreren Figuren mal mehr, mal weniger signifikant zu erkennen. Andere Figuren werden gewissermaßen als Gegenbeispiele beschrieben. Diese Figuren zeichnen sich vor allem auch dadurch aus, dass sie im gesamten Drama praktisch keine Entwicklung durchmachen. Beim Präsidenten und dem Musikus Miller kann man diese zwar nach dem Tod ihrer Kinder ahnen, aber explizit beschrieben ist ihr weiterer Werdegang nicht. Direkt in der ersten Szene des ersten Aktes zeigt Schiller einen Musikus Miller, der sich jedem aufklärerischen Gedanken verschließt. Dass Ferdinand, der sich in seine Tochter verliebt hat, etwas anderes als nur ihren Körper im Sinn hat, ist für Miller eine geradezu absurde Vorstellung. Besonders deutlich wird Millers ablehnende Haltung in dieser Szene, als seine Frau ihm erzählt, dass Ferdinand Bücher ins Haus gebracht habe. Miller sagt daraufhin: „Die rohen Kraftbrühen der Natur sind ihro Gnaden zartem Makronenmagen noch zu hart. –Er muss sie erst in der höllischen Pestilenzküche der Bellatristen künstlich aufkochen lassen. Ins Feuer mit dem Quark“11 Man kann nun Annehmen, dass es sich bei jenen Büchern um freigeistige Literatur handelt, die entweder aufklärerische Themen behandelt oder gar schon von Schillers Autorenkollegen des Sturm und Drang stammen. 11 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 6, Zeile 35 – Seite 7, Zeile 3 8 Die Ablehnung Millers solcher Literatur, die die Standesgrenzen Anprangern und zu durchbrechen versuchen steht hier stellvertretend dafür, dass Miller in seiner ganzen Art den Gesetzen der Standesregeln nicht nur unterworfen ist, sondern diese voll und ganz vertritt; von einigen „genialen“ Momenten mal abgesehen. Ganz anders als Miller denkt dessen Frau über die Liebe zwischen Ferdinand und ihrer Tochter Luise. Sie befürwortet dies und ist stolz, dass ein Adliger ihrer Tochter den Hof macht. Sie benutzt auch Ausdrücke, die darauf hindeuten, dass sie eher die Ideale des Sturm und Drangs widerspiegelt und verinnerlicht hat. So sagt sie, ebenfalls in der ersten Szene des ersten Aktes: „Solltest nur die wunderhübschen Billetter auch lesen, die der gnädige Herr an deine Tochter als schreiben tut. Guter Gott! Da sieht man`s ja Sonnenklar, wie es ihm pur um ihre schöne Seele zu tun ist.“12 Allein der Terminus der „schönen Seele“ ein Ideal der Aufklärer, zeigt, dass Frau Miller völlig entgegengesetzte Ansichten als ihr Mann, der Musikus Miller, verkörpert. Dennoch kann sie nicht als Genie im Sinne der Stürmer und Dränger gelten, da sie zwar offenbar die Aufklärung befürwortet und wesentlich weniger an bürgerliche, selbst auferlegte Regeln gebunden ist als ihr Mann, aber aktiv nichts dafür tut, diese Regeln umzuwerfen. Dennoch ist zu erkennen, dass sie der wesentlich freiere Teil der Verbindung der Eltern von Luise ist. In der gleichen Szene spricht Frau Miller einen Sachverhalt, resultierend aus der bürgerlichen Moral an, der ein wenig paradox klingt: „Ich sprech ja nur, man müss den Herrn Major nicht disguschtüren, weil Sie des Präsidenten Sohn sind.“13 Eine interessante Formulierung, aber es ist nicht von der Hand zu weisen, dass der Musikus Miller versucht Ferdinand von Walter schlecht zu reden. Eine Reaktion, die man eher von einem adligen erwarten würde, dessen Tochter von einem bürgerlichen der Hof gemacht wird. Für den Bürger Miller aber ist die Vorstellung einer Verbindung zwischen den Ständen schlichtweg genauso undenkbar wie für den gewöhnlichen Adligen jener Zeit. Schiller zeigt hier also sehr deutlich, dass das Bürgertum, dessen Vertreter Miller in dieser Szene ist, genauso Schuld an der Starrheit der Standesgrenzen ist, wie der Adel selbst. Besonders das Schlusswort dieser Szene, gesprochen von Miller, zeigt dies: „Ich werde sprechen zu seiner Exzellenz: Dero Herr Sohn haben ein Aug auf meine Tochter; meine Tochter ist zu schlecht zu Dero Herrn Sohnes Frau, aber zu Dero Herrn Sohnes Hure ist meine Tochter zu kostbar, und damit Basta! – Ich heiße Miller.“14 Um seinen Ruf fürchtend, will Miller selbst den Vater von Ferdinand darum bitten, die Verbindung von Ferdinand und Luise zu verbieten. Gerade der letzte Satz, „Ich heiße Miller“ besagt, dass seine Motivation dafür der bürgerliche Stolz beziehungsweise die bürgerliche Moral ist, die Schiller hier ankreidet. Diese Szene leitet also nicht nur die Handlung ein, sondern wird von 12 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 6, Zeilen 20 - 23 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 7, Zeilen 35 - 37 14 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 8, Zeilen 6 - 10 13 9 Schiller auch für eine Menge Kritik am Bürgertum genutzt, dessen Vertreter wie oben gesagt eben Miller ist. Dessen Frau ist in dieser Szene dagegen der Konterpart, vertritt prinzipiell das aufgeklärte Bürgertum, ist jedoch nicht durchsetzungsfähig genug um etwas gegen die starren Gedankengänge ihres Mannes ausrichten zu können. Das Miller seine Frau und deren Argumente entweder ignoriert oder sie mit Beleidigungen einzuschüchtern versucht, kann man auch schon als Zeichen verstehen, dass Millers Standpunkt der Falsche ist, denn wie Jean-Jacques Rousseau sagte: „Beleidigungen sind die Argumente derer, die Unrecht haben.“ Man könnte auch vermuten, dass Schiller mit der Art, wie Miller mit seiner Frau spricht die Stellung der Frau in der bürgerlichen Gesellschaft kritisieren will, allerdings ist das im weiteren Verlauf des Dramas nicht von genug Gewicht um schließen zu können, dass es Schiller darauf ankommen könnte. Sieht man nun den Musikus Miller als Vertreter der bürgerlichen Moral, die Schiller ankreidet, und dessen Frau als Vertreterin einer liberaleren Einstellung an, so ist deren Tochter Luise von beiden beeinflusst. Sie schwankt zwischen der bürgerlichen Moral, die sie von ihrem Vater gelehrt bekommt und dem romantischen Gedanken, es wäre irgendwie möglich, über die Grenzen des Standes hin, mit Ferdinand zusammen zu sein. Auch in der dritten Szene des ersten Aktes wird wieder auf die Bücher angespielt, die Ferdinand ins Haus der Millers gebracht zu haben scheint. Luise betritt das Zimmer mit dem Buch in der Hand und scheint dieses soeben gelesen zu haben, denn sie bemüht sich im folgenden nicht nur einer poetischen Sprache sondern scheint auch Gedankengänge des Sturm und Drangs verinnerlicht zu haben. Diese relativ kurze Szene zeigt einen deutlichen Konflikt zwischen den Vorstellungen des Vaters, dass Luise auf keinen Fall mit dem adligen Ferdinand zusammen sein kann und der Vorstellung Luises, dass Ferdinand für sie bestimmt wäre. Luise lässt sich hier eindeutig nicht von Vernunft und der bürgerlichen Moral leiten sondern allein von ihrem Herzen. Luise bringt in diesem Akt sogar eines der Leitmotive des Stückes, respektive der gesamten Thematik des Sturm und Drangs hervor: „Dann, Mutter – dann, wenn die Schranken des Unterschiedes einstürzen – wenn von uns abspringen all die verhasste Hülsen des Standes – Menschen nur Menschen sind – ich bringe ja nichts mit mir, als meine Unschuld, aber der Vater hat ja so oft gesagt, dass der Schmuck und prächtigen Titel wohlfeil werden, wenn Gott kommt, und die Herzen im Preise steigen.“15 Diese Worte Luises sind schon sehr eindeutig formuliert, sie beschreibt damit nicht nur die Utopie Schillers, wie die Welt schon im Diesseits zu sein hat, sondern spielt schon darauf an, dass 15 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 14, Zeilen 13 - 19 10 sie in der ersten Szene des fünften Aktes den Freitod wählen will, was ihr Vater ihr jedoch ausreden kann. Auffällig an der Figur Luises ist die Art der Sprache, die Schiller ihr verleiht. Im Gegensatz zu ihren Eltern, speziell ihrem Vater, der eine sehr einfache Sprache, gespickt mit dem ein oder anderen Kraftausdruck, verwendet, bedient sie sich einer eher gebildeten Sprache, speziell in jenen Momenten in denen eben das Genie des Sturm und Drangs aus ihr spricht. Besonders in der Siebenten Szene des vierten Aktes, in der sie sich mit Lady Milford unterhält und ihr auch schon sagt, dass sie Aufgrund der Zwangsverbindung von Ferdinand mit der Lady den Freitod wählen will, zeigt sich Luise der Lady sowohl moralisch als auch sprachlich überlegen. In dieser Szene wird deutlich, dass Luise durchaus in ihren Momenten, in denen sie sich von ihrem Herzen leiten lässt absolut dem Genie entspricht. Auch ist schon allein darin eine Überschreitung der Stände zu erkennen, dass Luise sich überhaupt traut, Lady Milford aufzusuchen um sie zu maßregeln. Für jemanden, der nicht Genie ist eine undenkbare Tat. Dennoch gibt es immer wieder die Momente, in denen Luise sich nicht nach ihrem Herzen richtet, sondern ihrer bürgerlichen Moral und Ehre folgt. Es ist ziemlich auffällig, dass in dem Drama diejenigen Momente, in denen die Protagonisten sich nicht von ihrem Herzen leiten lassen immer negative Folgen haben. Das stärkste Beispiel dafür ist die sechste Szene des dritten Aktes, in der Luise schwören muss, dass der Liebesbrief an den Hofmarschall von Kalb nicht gefälscht ist. Ihre Vorstellung von Moral und Ehre verbieten ihr, diesen Eid zu brechen, was schlussendlich dazu führt, dass Ferdinand sie im Rausch der Emotionen beide umbringt. Auch das kalt berechnende Verhalten des Präsidenten und dessen Sekretärs Wurm ist durchgängig negativ behaftet, was eher darauf zurückzuführen ist, dass sie völlig Emotionslos und rational handeln, als dass es eine Kritik am Adel allgemein wäre. Denn, dass auch der Adel zu Größe und Genie in der Lage ist zeigt sich zum Beispiel an Lady Milford. In der ersten Szene des zweiten Aktes wird diese Figur eingeführt, wie sie sich ob der Gefühlskälte des Adels niedergeschlagen zeigt. In dieser Szene zeigt sich, dass Lady Milford ähnlich wie Luise in einer Situation ist, in der sie schwankt zwischen den Gelüsten ihres Ehrgeizes und denen ihres Herzens. Sie offenbart ihrer Kammerjunger Sophie, dass der Grund, warum sie Ferdinand heiraten will doch keine Kabale ist, sondern weil sie sich in ihn verliebt hat und vom Fürsten entfliehen will, da sie die Kabalen und die Berechenbarkeit des Adels verabscheut. Um die Lady wird innerhalb des Dramas eine eigene Geschichte gesponnen, in der sie im Großen und Ganzen ziemlich positiv beschrieben wird. In der zweiten Szene des zweiten Aktes erfährt sie von einem Kammerdiener des Fürsten, was für Gräueltaten der Fürst begeht und wirkt ehrlich bestürzt darüber. Die Juwelen, die bezahlt mit unfreiwilligen Soldaten sind weigert sie sich zu tragen und lässt sie stattdessen verkaufen um den Erlös den Geschädigten eines Feuers zukommen zu lassen, wohl wissend, dass sie mit einer solchen Tat in Ungnade fallen könnte. In der 11 neunten Szene des vierten Aktes, der letzte Auftritt der Lady Milford, siegt ihr Herz endgültig über jeden Ehrgeiz und Stolz und die Lady will das Land verlassen, die Verbindung zum Fürsten beenden und setzt sich damit über alle Normen hinweg, da sie in diesem Zuge gleichzeitig ihren Besitz und ihren Titel aufgibt. „Groß, wie eine gefallene Sonne, will ich heute vom Gipfel meiner Hoheit heruntersinken, meine Herrlichkeit sterbe mit meiner Liebe und nichts als mein Herz begleiten mich in diese stolze Verweisung.“16 Lady Milford durchbricht damit eindeutig die Grenzen des Standes, denn sie gibt die Stellung die sie innehat auf, damit ihr Herz frei sein kann. Sie löst sich damit von den Zwängen, die ihr von der Gesellschaft auferlegt werden durch die Kraft des eigenen Herzens. Gerade in ihrem letzten Auftritt kann Lady Milford also durchaus als Genie im Sinne des Sturm und Drangs genannt werden. Ebenfalls aus dem Stand des Adels entspringt die Figur, die mehr als alle anderen die Ständegrenzen angreift und Gegebenheiten zu sprengen versucht, in Form von Ferdinand von Walter. Ferdinand ist schon insofern, ähnlich wie Luise, ein Vertreter des Sturm und Drangs, als dass er einen Konflikt mit seinem Vater ausfechtet, wenn auch mit noch erheblich größerer Vehemenz als Luise dies mit ihrem Vater tut. „Feierlich entsag ich hier einem Erbe, das mich nur an einen abscheulichen Vater erinnert.“17 Ferdinand ist in diesem Stück von Anfang an jemand, der frei sein will von jeglichen Zwängen und Verpflichtungen, die sein Stand mit sich bringt. Macht und Reichtum sind ihm absolut unwichtig und so lehnt er jedwede Teilnahme an den Kabalen seines Vaters ab. Grundsätzlich steht er dem gesamten Adel ablehnend gegenüber und vertritt im Großen und Ganzen einen ähnlichen Standpunkt wie Lady Milford, indem er den Intrigen und den Gepflogenheiten nur Unverständnis oder gar Verachtung entgegenbringen kann. Jede Intrige seines Vaters, des Präsidenten, verabscheut er und will damit absolut nichts zu tun haben. „Es ist besser, gar nicht geboren sein, als dieser Missetat zur Ausrede dienen.“18 Ferdinand ist der Lady Milford in seinen Ansichten ohnehin ziemlich ähnlich, denn so wie Lady Milford die Flucht vom Hofe des Fürsten antreten will, denkt auch Ferdinand daran, mit Luise vor dem höfischen Leben und der Missgunst der Gesellschaft gegenüber der Liebe zwischen einem adligen und einer Bürgerlichen fliehen. „Schlag ein Uhr Mitternacht wird ein Wagen hier anfahren. Ihr werft euch hinein. Wir fliehen.“19 16 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 91, Zeilen 21 - 24 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 23, Zeilen 33 - 35 18 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 23, Zeilen 22 - 23 19 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 64, Zeilen 30 - 32 17 12 Ferdinand entspricht aber auch dahingehend dem Geniegedanken, dass er sich durch das ganze Drama hindurch von Emotionen leiten lässt und die Vernunft völlig außen vorlässt. Dies zeigt schon allein die Tatsache, dass er sich überhaupt in eine Bürgerliche verliebt hat und dies dann auch noch jedem gegenüber offen zugibt. Jemand, dessen Handeln auf Vernunft und Rationalität fundiert ist, würde zumindest versuchen eine solche Liebe geheim zu halten, um nicht den Argwohn der Gesellschaft oder eben seines Vaters auf sich zu ziehen. Völlig wissentlich riskiert Ferdinand der Liebe willen sein Erbe, seinen Titel und jegliches Ansehen innerhalb der Gesellschaft und stößt mit seiner extremen Emotionalität oft an die Grenze zum Wahnsinn. Anders als Luise gibt es in ihm nämlich keinen Moment des Zweifels oder gar des Wankens, Für ihn zählt nichts als die Liebe zu Luise und in diesen Momenten agiert er oftmals Gedanken – wenn nicht gar Rücksichtslos. Ebenfalls in der 4. Szene des dritten Aktes schwelgt er in seinen Träumen einer gemeinsamen Flucht und Zukunft mit Luise, die daraufhin eher skeptisch ist, da sie es immerhin als ihre Pflicht ansieht auch ihrer Familie zur Seite zu stehen. Ferdinand aber nimmt die Zweifel, die Luise äußert als persönlichen Affront auf und zerschmettert in seiner Wut darüber, dass Luise ihm nicht bedingungslos folgen will und damit seine doch ziemlich realitätsfernen Träume zerstört, eine Geige des Musikus Miller und verlässt das Haus mit der Anschuldigung, Luise habe einen anderen Liebhaber. Denn das Luise etwas anderes als so hoch erachtet wie die Liebe zu ihm, nämlich ihre bürgerliche Moral kann er nicht verstehen, da er im Gegensatz zu ihr vor allem dem Ideal der Freiheit und des Individualismus folgt. Seiner Ablehnung gegenüber der Abhängigkeit anderer Personen gegenüber und seine Abscheu gegen Bevormundung macht er vor allem in der Siebten Szene des ersten Aktes Luft. Denn auf den Hohn seines Vaters: „Wenn es nach deinem Kopf ginge, du kröchest dein Leben lang im Staube.“20 Erwidert Ferdinand ziemlich drastisch und für die Verhältnisse seiner Zeit mehr als revolutionär: „O, immer noch besser, Vater, als ich kröch um den Thron herum.“21 Mit Aussagen wie diesen, zeigt Ferdinand sehr deutlich, dass ihn das höfische Leben kein bisschen interessiert, sondern er nur darauf bedacht ist, die Liebe zu erlangen und zu verteidigen. Durch Ferdinand kritisiert Schiller besonders stark den Unterschied, der zwischen den Menschen zweier Stände gemacht wird. Ferdinand selbst sieht sich nämlich nicht als höher gestellte Persönlichkeit an, sondern verfolgt den Grundsatz, dass jeder Mensch gleich sei, ähnlich wie Luise, die jedoch glaubt, dass die Menschen erst im Jenseits unabhängig von ihrem Stand beurteilt werden. Ferdinand aber zeigt mit seinen Aussagen deutlich, dass er die Stände für unwichtig hält. „Lass doch sehen, ob mein Adelsbrief älter ist, als der Riss zum unendlichen Weltall?“22 Obwohl „Kabale und Liebe“ als Bürgerliches 20 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 24, Zeilen 1 - 2 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 24, Zeilen 3 - 4 22 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 16, Zeilen 13 - 15 21 13 Trauerspiel gilt, ist es doch gerade dadurch, dass der Protagonist in Ferdinand ein Adliger ist, noch eher legitimiert, den Adel anzukreiden, denn dass sich ein Bürgerlicher über den Adel auslässt hat doch wesentlich weniger Gewicht als wenn jemand, der selbst zum Adel gehört diesen anzweifelt. Sowohl Ferdinand als auch Lady Milford sind Figuren, die sozusagen aus eigener Erfahrung sagen können, dass der Adel verdorben ist. Ferdinands Ablehnung des Adels scheint damit Hand und Fuß zu haben. Die Szene, in der sich Ferdinand am extremsten gegen seinen Vater stellt und damit gleichzeitig gegen den Adel und die Ständeunterschiede im allgemeinen ist diejenige, die bei den ersten Aufführungen des Dramas wohl auch die spektakulärste und am frenetischsten Gefeierte war. Es handelt sich um siebte und zugleich letzte Szene des zweiten Aktes, in der der Präsident, Ferdinands Vater, die Familie Miller mit der absoluten Willkür der damaligen Herrschenden ergreifen will. Bereits in der fünften Szene ist Frau Miller die baldige Ankunft des Präsidenten bekannt und sie fürchtet: „Der Präsident wird hieherkommen – Er wird unser Kind misshandeln – Er wird uns misshandeln – Herr von Walter, und sie verlassen uns?“23 Dieser Satz und das nachfolgend geschehende sind schon eine vernichtende Kritik am Adel seitens Schiller. In der Siebten Szene des zweiten Aktes wird diese Kritik jedoch noch gesteigert, wenn auch, entgegen der Erwartung an diese Figur, durch den Musikus Miller, der seiner Frau sagt, nachdem diese vor dem Präsidenten um Gnade flehend niederkniet: „Knie vor Gott, alte Heulhure, und nicht vor – Schelmen, weil ich ja doch schon ins Zuchthaus muss.“24 In dieser Szene muss der Adel also mächtig einstecken, dass ein Bürgerlicher einen Adligen als Schelm tituliert dürfte in der damaligen Zeit ziemlich selbstmörderisch gewesen sein. In der gleichen Szene noch geraten der Präsident und Ferdinand heftig aneinander und als Ferdinand erkennt, dass er mit „fairen“ Mitteln nichts erreichen kann, stellt er zuletzt die Drohung in den Raum: „Ihr führt sie zum Pranger fort, unterdessen erzähl ich der Residenz eine Geschichte, wie man Präsident wird.“25 Diese als Drohung gemeinte Aussage Ferdinands impliziert wohl sehr direkt, dass der Präsident auf unlautere Art und Weise seinen Posten erhielt. Dadurch, dass Ferdinand sich in dieser Szene völlig gegen seinen Vater wendet, als auch seine Liebe mit Waffengewalt verteidigen will, ist dies wohl die Szene, in der am klarsten wird, dass es sich bei Ferdinand um ein Genie im Sinne des Sturm und Drangs handelt. Dafür spricht auch, dass er am Ende des Stückes doch mit Luise vereint ist, auch wenn es nur im Tod ist. 23 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 46, Zeilen 16 - 19 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 51, Zeilen 3 - 5 25 Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001, Seite 52, Zeilen 17 - 20 24 14 Schillers Intention Meines Erachtens ist Kabale und Liebe in erster Linie, wie gewöhnlich für den Sturm und Drang eine Kritik an den Ständeunterschieden. Auch die bürgerliche Moral wird kritisiert, auch wenn dies nur in Ansätzen erkennbar ist. Absolut dominant ist aber die Kritik am Adel, die in diesem Drama alles überschattet. Der Adel wird als Skrupellos und Gierig angesehen. Das Leben des Adels als „Kriechen um den Thron“ diffamiert und in der Person des Hofmarschalls von Kalb geradezu parodistisch verarbeitet. Die Aussage ist demnach nicht nur, wie es gewöhnlich für den Sturm und Drang wäre, dass das Individuum in der Vordergrund gerückt und glorifiziert wird, sondern es scheint als ob Schiller hier ein revolutionäres Werk verfasst hat. Kein Wunder also, dass es kurz nach Erscheinen in ganz Deutschland von den Landesfürsten verboten wurde. Literaturverzeichnis Friedrich Schiller, Kabale und Liebe, Reclam Verlag, 2001 Mathias Luserke, Sturm und Drang, Reclam Verlag, 1997 Andreas Huysser, Drama des Sturm und Drang, Kommentar zu einer Epoche, Winkler Verlag, 1980 Theo Herold und Hildegard Wittenberg, Aufklärung / Sturm und Drang, Klett Verlag 1. Auflage Hans Georg Müller, Lektüre Kabale und Liebe, Klett Verlag, 16. Auflage 15