ZBhausarbeitUNBEKANNT - Userpage

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ZBhausarbeitUNBEKANNT:
Liebe Kommiliton(inn)en !
Hier noch ein zweites Beispiel für eine gelungene Hausarbeit aus 03/2003. Bitte beachten Sie
auch hier wieder den Urheberschutz etc. - Auch hier wieder werden Sie festellen, wie sich
der argumentative Flußtext nur ganz leicht an die Gliederung anlehnt, diese fast nur noch
als Leser-Hilfe stehen läßt (bei einem Schritt weiter wäre es schon ein ESSAY), selbst bei
den kleinen Exkursen. – Bitte finden Sie dann unabhängig von solchen Beispielen die
Gliederung für Ihr eigenes (von AdT inspiriertes) Thema. Apropos: Die unten stehende Hausarbeit ist etwas zu lang geraten. Es reichen 8 bis 10 Seiten..Ein weiteres Apropos: Bitte lassen
Sie sich nicht einschüchtern. Sie schaffen das auch!!!!!
Es folgt die Hausarbaeit von UNBEKANNT:
Freie Universität Berlin
Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft
Lehrbereich:
Politische Theorie und politische Philosophie
Seminarart:
Proseminar zur Einführung für Studienanfänger
Titel der Veranstaltung:
PS 15012, The Federalist Papers
Dozent:
Prof. Dr. Dieter Löcherbach
Semester:
WS 2002/03
Hausarbeit
Die Diskussion über den zukünftigen konstitutionellen Rahmen
der EU aus dem Blickwinkel der Verfassungsgeschichte der USA
-2Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
3
2. Verfassungsgenese der Vereinigten Staaten um 1787 und des Europas derzeit
4
2.1 Politisch-historischer Vergleich: Die Unzufriedenheit mit der Ausgangslage
4
2.2 Politisch-rechtlicher Vergleich: Die Verfasstheit der Einzelstaaten
4
2.3 Politisch-kultureller Vergleich: Werte, Einheit und Identität der Bevölkerung
4
2.4 Vergleich der Akteure und Institutionen: Beteiligte an den Verfassungsdiskussionen
5
2.5 Beteiligung der Öffentlichkeit am Diskussions- und Ratifikationsprozess
5
3. Erfahrungen aus 215 Jahren US-amerikanischer Verfassungsgeschichte
6
3.1 Notwendigkeit von Geduld, Durchhaltekraft und politischem Willen
6
3.2 Verfassungsprinzipen von der "Balance of Powers" bis zur Subsidiarität
6
3.3 Die ungleiche Repräsentation der Bürger großer und kleiner Bundesstaaten
7
3.4 Die Auseinandersetzung zwischen Federalists und Anti-Federalists
7
3.5 Gründe für die Popularität der Verfassung
8
4. Der Konvent zur Zukunft Europas
8
4.1 Die Dynamik des Diskussionsprozesses
8
4.2 Die Debatte um die Architektur der zukünftigen Verfassung
9
4.3 Der Kampf um die Macht zwischen den großen und kleinen Nationalstaaten
10
4.4 Die europäischen Federalists in der Debatte um die zukünftigen Kompetenzen der EU 11
4.5 Forderungen nach mehr Transparenz und Offenheit des Konvents und der EU-Organe 11
5. Wertegemeinschaft Europa und die transatlantischen Beziehungen
12
5.1 Wertegemeinschaft Europa
12
5.2 Interessen des transatlantischen Partners Europas, der USA
13
6. Fazit
13
6.1 Ein Vorbild für Europa: 215 Jahre konstitutionelle Demokratie der Vereinigten Staaten 13
6.2 Ausblick: Chancen für die Zukunft Europas
Literaturverzeichnis
14
15
-31. Einleitung
Zwei Jahre nach dem Vertrag von Nizza, der für viele hinter den Erwartungen zurückblieb, steht
Europa heute vor der Herausforderung, sich eine gemeinsame Verfassung zu geben. Thema dieser
Arbeit ist eine Betrachtung der Diskussion über die Zukunft Europas aus dem Blickwinkel der 215jährigen Verfassungsgeschichte der USA. Ausgehend von einem Vergleich der politischen
Rahmenbedingungen für die US Verfassung von 1787 und die zukünftige Verfassung Europas soll die
Verfassungserfahrung der Vereinigten Staaten als Argumentationsgrundlage für die Debatten im
Konvent zur Zukunft Europas herangezogen werden. Ziel dieser Arbeit ist darzustellen, welche Lehren
die Mitglieder des Konventes zur Zukunft Europas aus der Verfassungsgeschichte der USA ziehen
sollten.
Zunächst wird dafür die Verfassungsentstehung der USA um 1787 mit der aktuellen Entwicklung in
Europa aus historischer, rechtlicher, kultureller und politischer Sicht verglichen. Beide Prozesse eint
die Unzufriedenheit mit der Ausgangslage: die existierenden Institutionen erweisen sich für kommende
Aufgaben als zunehmend handlungsunfähig. Dagegen unterscheiden sich die konföderierten
Postkolonialstaaten mit ihrer gemeinsamen Geschichte von den Nationen Europas mit ihren
unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und Wertvorstellungen, den vielfältigen Landessprachen und
den historisch gewachsenen, verfassten Demokratien. Im folgenden Kapitel soll deutlich gemacht
werden, dass sich bei vielen Debatten hinsichtlich der Architektur und Programmatik der europäischen
Verfassung auf Erfahrungen aus der US-amerikanischen Verfassungsgeschichte zurückgreifen lässt.
Dafür werden Schwachstellen der US Verfassung herangezogen, wie z.B. die ungleiche
Repräsentation der Bürger in der Legislative und wird auf die großen Erfolge der US Verfassung, vor
allem auf ihre bis heute ungebrochene Popularität, verwiesen. Anschließend wird in Kapitel vier ein
kurzer Überblick über die Dynamik der europäischen Verfassungsdebatte gegeben und auf die Frage
eingegangen, ob der europäische Integrationsprozess an den Partikularinteressen der Nationalstaaten
zu scheitern droht oder ob "europäische Federalists" die Zukunft Europas entscheidend prägen
werden können. Kapitel fünf sucht nach einer europäischen Wertegemeinschaft und einer Antwort auf
das amerikanische Verfassungsziel "life, liberty and the pursuit of happiness". Resümierend werden
schließlich Chancen und Gefahren für die Zukunft Europas im Hinblick auf die transatlantischen
Beziehungen und die gemeinsamen Werte mit den USA genannt.
Die vielfältigen Aspekte der amerikanischen und europäischen Verfassungsdiskussionen können
aufgrund ihres Umfangs und ihrer Komplexität in diesem Rahmen nur angerissen und in Ausschnitten
dargestellt werden. Die Arbeit erhebt deshalb keinen Anspruch auf Vollständigkeit, verfolgt aber das
Ziel, die wesentlichen Parallelen darzustellen und einige Chancen und Gefahren für die europäische
Verfassungsentwicklung aus der Betrachtung der US-amerikanischen Verfassungsgeschichte
herauszuarbeiten. Als Quellen dienen neben Geschichtslexika und Sekundärliteratur die aktuellen
Veröffentlichungen des Konvents zur Zukunft Europas und die kritische Betrachtung des USamerikanischen Demokratie- und Verfassungsverständnisses von R.A. Dahl.
-42. Verfassungsgenese der Vereinigten Staaten um 1787 und des Europas derzeit
2.1 Politisch-historischer Vergleich: Die Unzufriedenheit mit der Ausgangslage
Nach der Unabhängigkeitserklärung vom 4. Juli 1776 gründeten die 13 britischen Kolonien der neuen
Welt wenig später im Jahr eine "ewige Union" und verabschiedeten die "Artikel der Konföderation".
Doch über den Willen hinaus, das Joch der englischen Krone loszuwerden, reichte ihre Einigkeit
zunächst nicht aus. Obwohl man sich über die gemeinsame Geschichte verbunden fühlte war es
zunächst nicht möglich, in den Problembereichen, die der gemeinsamen Lösung bedurft hätten, z.B.
der Sicherung der Konföderation gegen die Feinde an den Außengrenzen und der Frage der
Ausdehnung des Territoriums Richtung Westen, im Rahmen der Konföderation zu Ergebnissen zu
kommen.
Von
den
konföderierten
Postkolonialstaaten
mit
ihrer
gemeinsamen
Geschichte
unterscheiden sich die Nationen Europas mit ihren unterschiedlichen Traditionen, Kulturen und
Wertvorstellungen, den vielfältigen Landessprachen und den historisch gewachsenen, verfassten
Demokratien. Dennoch eint beide Prozesse die Unzufriedenheit mit der Ausgangslage: die
existierenden Institutionen erweisen sich für kommende Aufgaben als zunehmend handlungsunfähig.
So scheitert die EU wie schon damals die Konföderation beispielsweise in der Frage der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, wie z.B. im Fall der Irakkrise, in der die EU keine
gemeinsame diplomatische Strategie finden kann.
2.2 Politisch-rechtlicher Vergleich: Die Verfasstheit der Einzelstaaten
Während sich die Einzelstaaten der Konföderation noch im Entwicklungsprozess der nationalen
Ordnungen befanden und die nationalen Verfassungen erst sukzessiver verabschiedet wurden –
Grundrechte, die einzelstaatlichen "Bill of Rights" gab es nur in einigen Staaten – können die Nationen
Europas auf lange und sehr unterschiedliche demokratische Verfassungsgeschichten zurückblicken.
In ihren supranationalen Institutionen lassen sich dennoch dieselben Grundprinzipien finden:
Subsidiarität und eine klare Kompetenzverteilung zwischen den Ebenen 1. In der Frage der
Kompetenzverteilung hat sich die heutige EU mit ihrer 50-jährigen Geschichte und ihrem komplexen
Vertrags- und Institutionengefüge bereits einen Schritt in Richtung Supranationalität und Staatlichkeit
entwickelt, so dass von "geteilter Souveränität" gesprochen werden kann (vgl. Rittberger, Woyke).
2.3 Politisch-kultureller Vergleich: Werte, Einheit und Identität der Bevölkerung
Einheit und Identität der US-Amerikaner ist das amerikanische Nationalgefühl: eine Einheit, zwar
"Melting-Pot" unterschiedlichster Kulturen, aber verbunden durch das gemeinsames Schicksal nach
dem Unabhängigkeitskrieg und die gemeinsamen große Herausforderung der Erschließung des
amerikanischen Kontinents. "United we stand" ist bis heute das Credo der Amerikaner. Sicherlich war
ein wichtiger Faktor für das Identitätsgefühl die sich als lingua franca durchsetzende englische
1
In der späteren US Verfassung entspricht dies der "reserved powers clause". Diese Prinzip findet sich als sog.
"begrenzte Einzelermächtigung" in den EU Verträgen und auch dem aktuellen Verfassungsentwurf wieder, vgl.
4.4.
-5Sprache. Im heutigen Europa wird die Frage nach den gemeinsamen Werten erst seit kurzen
diskutiert. Dennoch hat sich die Idee einer Wertegemeinschaft EU entwickelt (vgl. Plate). Es besteht
ein weitgehender Konsens darüber, dass die EU mehr ist und mehr sein soll als nur eine
Wirtschaftsgemeinschaft. Welche Werte letztlich die Menschen in der EU verbinden ist noch Inhalt
zahlreicher Debatten. Sicherlich prägen Traditionen und Kulturgeschichte der Völker diese Werte
entscheidend mit. Über die Frage religiöser Werte entbrannte unlängst mit dem Aufnahmegesuch der
Türkei ein Streit zwischen den Befürwortern einer christlichen und denen einer streng überreligiösen
Verortung der europäischen Union.
2.4 Vergleich der Akteure und Institutionen: Beteiligte an den Verfassungsdiskussionen
1787 trat in Philadelphia ein Konvent zusammen, um die überkommenen "Articles of Confereration"
grundlegend zu überarbeiten. Unter den 55 Delegierten, den "Founding Fathers" befanden sich
Benjamin Franklin, George Washington, Alexander Hamilton und James Madison als Vertreter der
Mehrheit im Konvent, die - überzeugt von der inhärenten Schwäche der 1781 geschaffenen
Konföderation der 13 vormaligen Kolonien – den bestehenden Staatenbund durch eine politische
Union unter einer nationalen Verfassung ersetzen wollten. Madison und Hamilton veröffentlichten
gemeinsam mit John Jay 85 Essays in New Yorker Zeitungen über die anstehenden
Verfassungsprobleme mit dem Titel "The Federalist". Auch wenn sie in ihrem Staat New York
zunächst scheiterten, zeichneten sich die Federalists durch ihren Willen Neues zu wagen und ihre
gleichzeitige Kompromissfähigkeit aus. Ihre Federalist Papers trugen so bis heute zur Popularität und
Stabilität der US Verfassung bei. Für Europa bleibt zu hoffen, dass sich ebenso weit blickende Köpfe
in den Reihen der Konventsmitglieder finden lassen. Diese setzen sich zusammen aus 115
Diplomaten und Fachleuten der 15 Unionsstaaten und der Beitrittsländer. Ihren Vorsitz hat der
Franzose
Giscard.
Ursprünglich
sollte
der
Konvent,
in
Analogie
zum
amerikanischen
Verfassungskonvent nur eine Revision des bestehenden Vertragswerks unternehmen und den Vertrag
von Nizza reformieren. Dass es dennoch sehr bald zur Zielsetzung einer europäischen Verfassung
kam, ist unter anderem der Verdienst des deutschen Außenministers Joschka Fischer, der diesen
Weg seit Amtsantritt konsequent gefordert hat 2.
2.5 Beteiligung der Öffentlichkeit am Diskussions- und Ratifikationsprozess
Trotz der von den Federalists öffentlich in den New Yorker Zeitungen geführten intellektuellen
Auseinandersetzung
und
Werbung
für
die
zukünftige
Verfassung
liefen
die
eigentlichen
Verhandlungen nahezu unter Ausschluss der Öffentlichkeit ab. Erst in einem zweiten Schritt wurden
für die Ratifizierung des Vertrages Konvente von den Einzelstaaten einberufen. Letztlich waren an der
Entscheidung für die Verfassung nur etwa 2000 Menschen beteiligt (vgl. Dahl). Dieselbe Kritik wird
auch
gegen
Giscards
Konvent
hervorgebracht,
obwohl
im
Gegensatz
zu
früheren
Verfassungsentstehungsprozessen sich erstmals Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen
2
vgl.: Fischer, Bundesaußenminister, an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema
"Vom Staatenbund zur Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration", 12. Mai 2000
-6–
an den Debatten beteiligen können 3. Allerdings wird es aller Voraussicht nach kaum Referenden über
die Verfassung geben.
3. Erfahrungen aus 215 Jahren US-amerikanischer Verfassungsgeschichte
3.1 Notwendigkeit von Geduld, Durchhaltekraft und politischem Willen
Bei vielen Debatten hinsichtlich der Architektur und Programmatik der europäischen Verfassung lohnt
sich ein Rückblick auf die US-amerikanische Verfassungsgeschichte. Die von Toqueville Mitte des
19.Jhd. beschriebene Kraft und Dynamik der "Demokratie in Amerika" (vg. Burghardt) fußt nicht auf
einem abgeschlossenen und perfekten Entwurf des Verfassungskonvents. Viel wichtiger war die
Popularität der Verfassung infolge der die Bürger an der langfristigen Entwicklung partizipierten. Wenn
eine ausreichend große und einflussreiche Zahl von Amerikanern die Verfassung ändern wollte, dann
taten sie es (vgl. Dahl). So war 1787 die Abschaffung der Sklaverei noch nicht konsensfähig. Sie
wurde in Amendment 17 erst viel später vollzogen. So brauchte es über 100 Jahre, bis die Verfassung
für alle Bundesstaaten Geltung erlang. Und sie überstand selbst den amerikanischen Bürgerkrieg. Es
gab zur Zeit der Verfassungsentstehung keine Einigkeit über das Wie der Verfassung, wohl aber eine
pragmatische Konsensorientierung. Der antifederalistisch beherrschte Ratifikationskonvent in New
York beugt sich weniger den Einsichten des Federalist als schlicht der Mehrheit der Staaten. Die
Bedeutung der Federalist Papers lag weniger in deren tagespolitischem Erfolg als in der
ideenpolitischen Langzeitwirkung auf das politische Selbstverständnis der amerikanischen Republik.
Es ging also letztlich nicht um die Schönheit der Architektur oder einem Absolutheitsanspruch der
Artikel der Verfassung sondern um Geduld, Vertrauen, die juristische Wirksamkeit der Artikel und die
Möglichkeit der späteren Verfassungsänderung4.
3.2 Verfassungsprinzipen von der "Balance of Powers" bis zur Subsidiarität
Die US Verfassung beruht auf den Prinzipien der Gewaltenteilung und der Volkssouveränität durch
Repräsentationssystem sowie auf dem Bundesstaatsprinzip. Der Kongress als "wohl stärkste
Legislative der Welt" (Burghardt) besteht aus Repräsentantenhaus (Volksvertretung) und Senat
(Staatenvertretung). Der Präsident als Exekutive wird über Wahlmänner gewählt. Er hat ein
aufschiebendes Vetorecht, gegen das sich der Kongress mit Zweidrittelmehrheit durchsetzen kann
und ist Oberbefehlshaber der Armee. Die enorme Machtkonzentration der Exekutive auf diese eine
Person wird häufig kritisiert in Verbindung mit "inhärenten demokratischen Defekten" (Dahl) im System
der Präsidentenwahl, da die Stimmen der Wähler im electoral college, also der Versammlung der
Wahlmänner, ungleich repräsentiert werden. Dahl schließt daraus, es wäre am demokratischsten, den
Präsidenten direkt zu wählen. Der Supreme Court, die Judikative wacht über die Rechtssprechung
3
Die Möglichkeiten dazu sind formell garantiert. Eingaben, Anfragen und Petitionen werden vom
Konventssekretariat bearbeitet und müssen vom Konvent diskutiert werden.
4
Dazu schreibt Dahl: "[...] to view our American Constitution as nothing more or less than a set of basic
institutions and practices designed to the best of our abilities for the purpose of attaining democratic values."
(Dahl, S.3)
-7–
und kann mittels Erklärung der Nichtkonformität zur Verfassung jedes Gesetz stoppen. Dahl schreibt,
die Gefahr der persönlichen ideologischen Auslegung der Verfassung einzelner Richter sei zu hoch.
Der Supreme Court solle nur im Rahmen fundamentaler demokratischer Grundrechte handeln
können. Die Gewaltenteilung von Exekutive, Legislative und Judikative ist in ein System gegenseitiger
Kontrolle und Abhängigkeiten eingebunden. Diese sog. "Checks and Balances" sollen ein
überproportionales Machtungleichgewicht zugunsten einer Institution verhindern. Zwischen der
Zentralgewalt und den Einzelstaaten sind die Zuständigkeiten klar verteilt nach den Prinzipien der
Subsidiarität und der sog. "reserved powers clause" nach der alle nicht durch die Verfassung der
Zentralgewalt zugewiesenen Zuständigkeiten bei den Mitgliedsstaaten verbleiben. 1789 wurden die
ersten 10 Ergänzungsartikel zur Verfassung hinzugefügt, die sog. "Bill of Rights". Damit erhielten
fundamentale Grund- und Menschenrechte Verfassungsrang. Die Frage, ob die Verfassung der USA
eine republikanische oder eine demokratische ist, beantwortet Dahl wie folgt: "Madison meint
Demokratie, wenn er repräsentativ, direkt oder indirekt durch das Volk gewählte, republikanische
Regierung sagt" (Dahl, S.5, S.161).
3.3 Die ungleiche Repräsentation der Bürger großer und kleiner Bundesstaaten
Der große Erfolg der Federalists, der Kompromiss mit den Bewahrern der "states-rights" im Konvent
führt bis heute zum Streit um die ungleiche Repräsentation der Bürger in der Legislative. Das
Zweikammernsystem des Kongress ist das Ergebnis dieses "Great Compromise" zwischen den
Befürwortern gleichberechtigter Einzelstaaten und denen der proportionalen Repräsentation der
Staaten abhängig von der Bevölkerung. Während das Repräsentantenhaus die Demografie der
Bevölkerung gleich wiedergibt gilt im Senat das Prinzip der "one state – one vote": jeder Staat stellt
die gleiche Anzahl an Senatoren. Je nach Bevölkerungszahl eines Bundesstaates wirkt also die
Stimme eines US-Bürgers bis über 50fach stärker als die des Bewohners eines anderen Staates. Die
Debatte um die ungleiche Repräsentation bzw. Bevorteilung geografischer Minderheiten dauert bis
heute an (vgl. Burghardt, Dahl).
3.4 Die Auseinandersetzung zwischen Federalists und Anti-Federalists
Die Federalists wollten den 1787 bestehenden Staatenbund durch eine politische Union unter einer
nationalen Verfassung ersetzen. Die Opposition der sog. Antifederalists konstituierte sich aus den
Bewahrern der "states-rights". Diese waren in den Verhandlungen des Konvents klar unterlegen.
Dennoch
kam
es
zu
großen
Kompromissen,
da
die
"Founding
Fathers"
nicht
den
Ratifizierungsprozess, der die Annahme der Verfassung in mindestens neun Staaten verlangte,
gefährden wollten. Mit den 85 Essays, den Federalist Papers, wollten Hamilton, Madison und Jay die
mehrheitlich antifederalistisch geprägten New Yorker von den Qualitäten und der Notwendigkeit einer
starken Zentralregierung überzeugen. Zudem formulierten sie die Einsicht, dass – im Gegensatz zu
einer Monarchie – nicht die Exekutive, sondern die Legislative der dominierende Machtarm sein
-8–
müsse. Durch die Möglichkeit Entscheidungen schnell auszuführen und der Fähigkeit mit einer
Stimme zu sprechen, verschaffte konnten die USA ihre Handlungsfähigkeit ausbauen und festigen. Es
unbestritten, dass die Beiträge Federalists entscheidend zu der Entwicklung und der heutigen
weltpolitischen Stellung der USA in der Welt beigetragen haben. Gleichzeitig ist aber der
Kompetenzstreit zwischen den Regierungsebenen bis heute nicht beigelegt.
3.5 Gründe für die Popularität der Verfassung
Ein Grund für den Erfolg der Verfassung trotz vieler Probleme liegt in ihrer bis heute ungebrochenen
Popularität. Durch ihre öffentliche Diskussion von Anfang an und ihre "Vulgarisierung" (Burghardt)
durch die Federalists gelang eine ungewöhnliche Dynamisierung. Die frühe Einbindung der "Bill of
Rights" stellte einen persönlichen Bezug zum Bürger her. Obwohl seit dem 19.Jhd. der ideologische
Verdacht geäußert wird, die amerikanische Verfassung sei mit ihren aristokratischen Elementen eine
Erfindung der reichen Oberschicht, ist die persönliche Identifikation der US-Amerikaner mit den Zielen
und liberalen Werten der Verfassung sehr hoch.
4. Der Konvent zur Zukunft Europas
4.1 Die Dynamik des Diskussionsprozesses
In Nizza ersuchte der Europäische Rat 2000 einen Konvent zu prüfen, "wie eine genauere, dem
Subsidiaritätsprinzip entsprechende Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen der Europäischen
Union und den Mitgliedstaaten hergestellt und danach aufrechterhalten werden kann". Der
Europäische Rat (Laeken) ging noch mehr in die Einzelheiten und ersuchte den Konvent zu prüfen,
"wie wir die Aufteilung der Zuständigkeiten transparenter gestalten können", "ob die Zuständigkeiten
nicht neu geordnet werden müssen" und "wie gewährleistet werden kann, dass die neu bestimmte
Aufteilung der Zuständigkeiten erhalten bleibt und wie man zugleich darüber wachen kann, dass die
europäische Dynamik nicht erlahmt" (CONV 528/03 DE, S.15). 2003 definiert Konventspräsident
Giscard die Aufgaben des Konventes ganz anders und grundlegend: "The Convention had been set
up because real problems had been identified [...]. The Convention would have failed if it preferred the
status quo to solutions. There was a need to be bold and imaginative" (CONV 508/03 EN, S.2). Seit
der Montanunion und Jean Monnet, der den Integrationsprozess als "ever closer union" beschrieben
hatte war der europäische Einigungsprozess immer von einer großen Dynamik geprägt. Dennoch
überrascht die Geschwindigkeit, mit der Europa sich nun eine Verfassung geben will. Seit Fischers
Rede über die Zukunft Europas und seiner Vision einer verfassten Föderation 5 sind knapp drei Jahre
vergangen bis in den letzten Monaten die ersten konkreten Verfassungsentwürfe diskutiert wurden.
5
Fischer, Bundesaußenminister, an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema "Vom Staatenbund zur
Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration", 12. Mai 2000
-9–
Aktuelle Fragen sind die Positionierung der Grundrechtecharta in der Verfassung und deren
Auswirkung auf die Geltung der Menschenrechtscharta des Europarates, die Definition nachhaltiger
Entwicklung als Verfassungsziel der EU und die Definition einer Wertegemeinschaft christlicher
Prägung. Große Chancen sind zurzeit in der Weiterentwicklung der gemeinsamen Außen- und
Sicherheitspolitik (GASP) festzustellen. Um Europas Rolle in der Welt entscheidend zu stärken, sollen
Entscheidungen der GASP in der Regel mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Fischer forderte
in der Konventssitzung am 20./21.Januar 2003 darüber hinaus, dass statt durch 4 Personen
(Außenminister des Vorsitzlandes, des künftigen Vorsitzes, Hoher Vertreter und Außenkommissar) die
Union in der operativen Außenpolitik nur noch durch eine Person vertreten werde.
4.2 Die Debatte um die Architektur der zukünftigen Verfassung
Nachdem erst im Oktober 2002 ein Entwurf für die europäische Verfassung vorgelegt worden war,
legte der Konventspräsident Giscard D'Estaing bereits Anfang Februar 2003 eine Arbeitsversion der
ersten 16 Artikel vor. Sie enthalten Definition und Ziele der EU sowie einen Katalog von
Grundprinzipen und Zuständigkeiten der Unionsorgane. Er ließ darin offen, ob die Grundrechtecharta
als integraler Bestandteil der Verfassung in einem zweiten Teil oder einem beigefügten Protokoll
wiedergegeben werden solle (vgl. CONV 528/03 DE, S.3). Bedeutend in diesem Vorschlag ist die
Definition der EU weit über eine Wirtschaftsgemeinschaft hinaus: Grundlage der Union soll eine
Wertegemeinschaft sein, beruhend auf der Achtung der Menschenwürde und -rechte, Freiheit,
Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Der Gliederung der Verfassung wird in Kapiteln und Artikeln
stattfinden. Der Ort vieler Textbausteine, ob z.B. einZiel als solches im Kapitel der Ziele genannt oder
in eine Präambel eingefügt werden wird, bleibt dabei vorerst offen. Der Entwurf der Artikel 1 bis 16 des
Verfassungsvertrags sieht vor, dass in den Artikeln 1 bis 4 Definition und Ziele der EU genannt
werden6. Das folgende Kapitel über Grundrechte und Unionsbürgerschaft umfasst die Artikel 5 bis 7.
Wichtigstes Element ist die Artikulierung des Verfassungsrangs für die Charta der Grundrechte. Artikel
8 setzt die Grundprinzipien der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Institutionen und den
Nationalstaaten7.
Insgesamt definiert das dritte Kapitel über die Art. 8 bis 16 die zukünftigen
Zuständigkeiten der Union. Über die in Art. 13 genannte Wirtschaftspolitik und die in Art. 14
ausgeweitete
Gemeinsame
Außen-
und
Sicherheitspolitik
(GASP)
gehen
die
genannten
Zuständigkeiten deutlich über den Status quo hinaus: vor allem wird die gesamte gemeinsame
Handelspolitik einbezogen (CONV 528/03). Im Januar wurde von Frankreich und Deutschland ein
Kompromissvorschlag über die institutionelle Architektur eingebracht, der für große Diskussionen
6
Vgl.: Art.3(1) Die Union hat das Ziel, den Frieden, ihre Werte und das Wohlergehen ihrer Völker zu fördern.
Art.3(2) Die Union strebt ein Europa der nachhaltigen Entwicklung auf der Grundlage eines ausgewogenen
Wirtschaftswachstums und sozialer Gerechtigkeit an, mit einem freien Binnenmarkt und einer Wirtschafts- und
Währungsunion, mit dem Ziel der Vollbeschäftigung und im Hinblick auf einen hohen Grad an
Wettbewerbsfähigkeit und einen hohen Lebensstandard. [...] (CONV 528/03, S.2)
7
Vgl.: Art.8(1) Für die Abgrenzung und Ausübung der Zuständigkeiten der Union gelten die Grundsätze der
begrenzten Einzelermächtigungen, der Subsidiarität, der Verhältnismäßigkeit und der loyalen Zusammenarbeit.
(CONV 528/03, S.2)
- 10 -
sorgte8. Um mehr Klarheit, Legitimität und Effizienz zu schaffen fordert er eine (gleichgewichtige)
Stärkung des institutionellen Dreiecks sowie eine grundlegende Reform der Außenvertretung der
Union in der Europäischen Verfassung. Durch die Wahl des Kommissionspräsidenten durch das
Europäische Parlament solle das Parlament an politischem Einfluss, und die die Kommission an
demokratischer Legitimität gewinnen 9. Der Kommissionspräsident solle mit Richtlinienkompetenz und
die Kommissare mit individuellem Weisungsrecht ausgestattet werden. Das Europäische Parlament
würde durch generelle Anwendung des Mitentscheidungsverfahrens als Mitgesetzgeber deutlich
aufgewertet. Als Befürworter einer starken Union fordern sie die Wahl von Kommissions- und
Ratspräsident auf längere Zeit um so Kontinuität zu fördern. Der Versuch der Wiederholung des
"Great Compromise" ist die Idee einer Doppelspitze der beiden Präsidenten, die dennoch auf Kritik der
kleinen Nationen stieß.
4.3 Der Kampf um die Macht zwischen den großen und kleinen Nationalstaaten
Anders als das politische System der Nationalstaaten war das System der EU schon immer in
ständiger dynamischer Entwicklung begriffen: hinsichtlich der Politikfelder und Aufgabenbereiche hat
die EU so deutlich gewonnen. Auch das immer komplexer gewordene Entscheidungssystem hat einen
Wachstumsprozess durchgemacht. Noch gilt die vom
Bundesverfassungsgericht in seiner
Entscheidung zum Vertrag von Maastricht für die EU verwendete Bezeichnung "Staatenverbund", die
Nationalstaaten sind also die Hauptkomponenten der Union. Mit dem Subsidiaritätsprinzip wurde
angestrebt, eine "angemessene föderale Balance zu finden und immer wieder neu zu bestimmen"
(Woyke). Der deutsch-französische Vorschlag zur institutionellen Architektur der Union konzentriert
sich auf die Rolle des Rates und die Frage des Vorsitzes im Rat einerseits und die Betonung der
künftigen Rolle des Präsidenten der Kommission und der Rolle des Europäischen Parlamentes
andererseits. Die kleineren Mitgliedsstaaten befürchteten die Institutionalisierung eines Konfliktes
zwischen dem Vorsitzenden des Europäischen Rates und dem Präsidenten der Kommission, da beide
exekutive Aufgaben hätten, und den Verlust ihres Einflusses, wenn sie nicht mehr per
Rotationsverfahren den Vorsitz des Rates erhalten oder einen Kommissar stellen können. Den
Federalists unter den Teilnehmern der Diskussion, sie sind z.B. bei den Vertretern der Kommission zu
finden, geht der Vorschlag nicht weit genug. Ein Präsident, von den EU-Bürgern direkt gewählt, solle
das zukünftige Gesicht der EU werden. Dagegen wird der Vorschlag eines EU-Außenministers
begrüßt – kaum jemand diskutiert aber ernsthaft die Möglichkeit, die Außenminister der
Mitgliedsstaaten im Gegenzug "abzuschaffen". Die Logik ist hier auch im "Kleingedruckten" zu finden:
denn in Giscards Vorschlag der ersten 16 Artikel wird die ausschließliche Zuständigkeit der Union zum
8
Fischer, Villepin: Deutsch-französischer Beitrag zum Europäischen Konvent über die institutionelle
Architektur der Union vom 15. Januar 2003. (Entnommen der Anlage des Konventdokuments CONV 489/03)
9
Dieser Vorstoß in Richtung einer "Balance of Powers" und einer gleichmäßigen Stärkung der Institutionen
wurde von den meisten Konventsmitgliedern begrüßt (vg. CONV 508/03 EN, S.2)
- 11 –
Abschluss internationaler Abkommen definiert 10. Möglicherweise liegt hierin der Sprengstoff für
weitere Debatten, so würde sich z.B. Deutschland mit seiner Vorreiterrolle in Sachen Klima- und
Umweltschutz dadurch im diplomatischen Geschäft schwächen. Erst müsste die EU überzeugt
werden, in der "grüne" Themen nach der Osterweiterung kaum mehr als regionale Bedeutung hätten.
4.4 Die europäischen Federalists in der Debatte um die zukünftigen Kompetenzen der EU
Außenminister Fischer löste mit seiner Rede vom 12. Mai 2000 zur Zukunft Europas 11 eine neue
europapolitische Grundsatz- und Orientierungsdebatte aus. Er benannte dort als anzustrebendes
Fernziel einen Verfassungsvertrag für eine europäische "Föderation". In hier unterstellter Tradition der
Federalists zerstreute er sogleich die Bedenken möglicher Gegner einer starken Zentralregierung und
zeichnete ein Konzept der "Souveränitätsteilung" von Europa und den Nationalstaaten ohne die
Gefahr einer Ablösung der Staaten. Dieses Konzept findet sich heute mit der Flexibilitätsklausel 12 im
Verfassungsvorschlag Giscard D'Estaings wieder; damit kann die Union auf Ratsbeschluss auch
Aufgaben übernehmen, die den Staaten zugeordnet sind, sollte dies als notwendig erachtet werden.
Das korrespondierende Gegenprinzip der Flexibilitätsklausel ist der in Art.8(2) niedergelegte
Grundsatz der "begrenzten Einzelermächtigung". Entsprechend der US-amerikanischen "reserved
powers clause" verbleiben darin alle nicht durch die Verfassung zugewiesenen Zuständigkeiten bei
den Mitgliedsstaaten. Ebenso findet sich im Kanon der Grundprinzipien das aus US Verfassung und
EU Verträgen bekannte Subsidiaritätsprinzip 13 wieder. Im Konvent forderten dazu im Januar etliche
Mitglieder einen ausgebauten Subsidiaritäts-Frühwarnmechanismus (CONV 508/03 EN, S.2). Noch ist
völlig offen, ob sich die Federalists Europas durchsetzen werden oder der europäische
Integrationsprozess
Prozess
an
den
Partikularinteressen
der
Nationalstaaten
scheitert.
Wahrscheinlich ist ein Kompromiss in der Frage der Repräsentation und eine kurz- bis mittelfristige
Stärkung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik GASP im Sinne der Federalists möglich.
Ein Beitrag dazu werden wohl auch die negativen Erfahrungen der Irakkrise leisten können.
4.5 Forderungen nach mehr Transparenz und Offenheit des Konvents und der EU-Organe
10
Vgl.: Art.11(2) dieses Artikels spiegelt die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur ausschließlichen
Zuständigkeit der Union für den Abschluss internationaler Übereinkommen wider. (CONV 528/03 DE)
11
Fischer, Bundesaußenminister, an der Humboldt-Universität Berlin zum Thema "Vom Staatenbund zur
Föderation – Gedanken über die Finalität der europäischen Integration", 12. Mai 2000
12
CONV 528/03, Art.8(1): "Erscheint ein Tätigwerden der Union im Rahmen der in Teil II festgelegten Politik
erforderlich, um eines der Ziele dieser Verfassung zu verwirklichen, und sind in dieser Verfassung die hierfür
erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen, so erlässt der Rat einstimmig auf Vorschlag der Kommission und
nach Zustimmung des Europäischen Parlaments die geeigneten Vorschriften."
13
CONV 528/03, Art.8(3): "Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre
ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen
Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können, wegen ihres Umfangs
oder ihrer Wirkungen aber besser auf Unionsebene erreicht werden können."
- 12 –
"Ab 2004 werden voraussichtlich bis zu zehn Staaten aus Ost- und Südosteuropa der EU beitreten die bisher größte Erweiterung in der Geschichte der EU. Kompetenzen und Arbeitsmethoden müssen
überdacht werden. Es geht aber auch um mehr Demokratie und Transparenz in der Union. Wie kann
eine "europäische Öffentlichkeit" entstehen? Wird eine europäische Verfassung die europäische
Identität stärken? Soll der Präsident der Kommission vom Europäischen Parlament gewählt
werden?"14 Zwar finden die Verhandlungen des Konventes großteils in Arbeitsgruppen und unter
Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Diese fehlende Transparenz wird von den verschiedenen
gesellschaftlichen Gruppen und Stakeholdern stark kritisiert. Dennoch geht Europa in Sachen
Bürgernähe
einen
Schritt
weiter
als
in
allen
früheren
Verfassungsentstehungsprozessen.
Nichtregierungsorganisationen und Privatpersonen können sich erstmals an den Debatten beteiligen.
Die Möglichkeiten dazu sind formell garantiert. Eingaben, Anfragen und Petitionen werden vom
Konventssekretariat bearbeitet und müssen vom Konvent diskutiert und beantwortet werden. Inwieweit
die Institutionen der EU transparenter gemacht werden ist noch unklar, viele Konventsmitglieder
fordern aber Modifikationen für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit (vgl.: CONV 508/03 EN,
S.2). Des Weiteren wurde gefordert, mehr Bürgernähe durch institutionelle Reformen zu schaffen15.
Ein Beitrag dazu schüfe der deutsch-französische Vorschlag, den Kommissionspräsidenten durch das
Europäische Parlament wählen zu lassen. So könnte der Bürger direkten Einfluss auf die Kommission
nehmen Der politischen Willensbildungsprozess in Europa würde so gestärkt.
5. Wertegemeinschaft Europa und die transatlantischen Beziehungen
5.1 Wertegemeinschaft Europa
Während der europäische Einigungsprozess die Union auf den Raum des ganzen Kontinents bis an
die Grenzen Asiens und an den Nahen Osten ausdehnt und die Europäer vor neue, nicht nur
wirtschaftlich-soziale sondern auch sicherheitspolitische Chancen und Risiken stellt, werden in der
Diskussion über die Zukunft Europas die Fragen nach den gemeinsamen Werten und Zielen der
europäischen Völker immer bedeutender. Bereits Jean Monnet, der erste Vorsitzende der
Montanunion (EGKS) hatte mit seiner Formel der "ever closer union" diese Richtung vorgegeben und
damit auf das amerikanischen Prinzip einer "ever stronger union" eine charakterisierende Antwort
formuliert. Dass sich die Union von einer Wirtschafts- zu einer Wertegemeinschaft mit weit mehr als
nur wirtschaftspolitischen Aufgabenstellungen entwickelt und entwickeln soll ist breiter Konsens,
geplant war diese Entwicklung nicht. Das lässt sich zeigen anhand des vielfältigen Mosaik aus
Institutionen und Verträgen auf dem europäischen Kontinent. Neben der Westbindung durch das
transatlantische Verteidigungsbündnis (NATO) sei hier nur auf die OSZE und vor allem den Europarat
hingewiesen. Letzterer, eingesetzt für Demokratie und Menschenrechte in Europa und mit Mitgliedern
14
Aus der Einleitung zum Forum zur Zukunft Europas auf dem Internetangebot des Auswärtigen Amtes
<http://www.auswaertiges-amt.de>
15
Aus der Zusammenfassung der Konventssitzung vom 20./21.Janunar 2003"Several saw a need to make the
institutions more directly relevant to Europe's citizens. There was also a call to maintain the 'Community method'
[...]." (CONV 508/03 EN, S.2)
- 13 –
weit über die europäische Union hinaus bis hin zu Russland, kann in der Frage der Grund- und
Menschenrechte mit der
europäischen
Union
in einen
Konflikt geraten,
sollte sich
die
Grundrechtecharta negativ auf die Menschenrechtskonvention der Straßburger Organisation
auswirken. Welche Werte letztlich die Menschen in der EU verbinden sollen, wird noch Inhalt
zahlreicher Debatten. Sicherlich prägen Traditionen und Kulturgeschichte der Völker diese Werte
entscheidend mit. Über die Frage religiöser Werte entbrannte unlängst mit dem Aufnahmegesuch der
Türkei ein Streit zwischen den Befürwortern einer christlichen und denen einer streng überreligiösen
Verortung der europäischen Union. "Frieden, ihre Werte, das Wohlergehen ihrer Völker fördern" und
letztlich "Nachhaltige Entwicklung auf der Grundlage eines ausgewogenen Wirtschaftswachstums und
sozialer Gerechtigkeit" (CONV 528/03) definiert Giscards Entwurf die Ziele der europäischen Union.
Auch wenn die Formulierung vielen sozialen und umweltpolitischen Nichtregierungsorganisationen als
zu schwammig bezeichnet wird, sollten diese Zielvorgaben nicht unterschätzt werden. Vielleicht
werden
die
aus
der
Nachhaltigkeit
abgeleiteten
Prinzipien
der
Solidarität
und
Generationengerechtigkeit einmal die europäische Antwort auf das amerikanische Verfassungsziel
"life, liberty and the pursuit of happiness".
5.2 Interessen des transatlantischen Partners Europas, der USA
Die Haltung Amerikas zur europäischen Einigung ist immer ein Faktor der Beschleunigung oder
Verzögerung gewesen. Zwar ist heute in den USA ein gewisses Maß an Verständnis über die
jeweiligen Entscheidungsprozesse und die sie beeinflussenden Faktoren erreicht, aber über die
Fortschritte Europas und die Verfassungsdebatte herrscht weitgehend Unwissenheit und Besorgnis.
Vor allem werden eine Entwicklung in Richtung antagonistischer Regionalblöcke (vgl. Burghardt) und
eine protektionistische "Festung Europa" befürchtet. Die USA unterstützen daher die eher die EuropaSkeptiker um die weltpolitische Macht Europas gering zu halten.
6. Fazit
6.1 Ein Vorbild für Europa: 215 Jahre konstitutionelle Demokratie der Vereinigten Staaten
Aus der Geschichte der US Verfassung sollten die Mitglieder des Konventes zur Zukunft Europas
Lehren ziehen. Die Folgen ihrer Architektur und ihres Entstehungsprozesses, Fehler und Erfolge
können in den USA beobachtet werden. Die vielleicht wichtigste Lehre ist, nicht von der Verfassung
als absoluter und einziger Quelle einer stabilen Demokratie bzw. einer stabilen Ordnung der
verfassten Einheit auszugehen. Das in der jeweiligen Verfassungswirklichkeit demokratisch verfasster
Länder gegebene Verhältnis von Markt, Parlamentarismus, Sozialstaatlichkeit und den darin
enthaltenen Chancen zu einer lebendigen Demokratie ist vielmehr von Faktoren abhängig, die über
bloße Verfahrensregeln hinausweisen: von der politischen Kultur, der Öffentlichkeit und von dem
Bedürfnis der Bürger, in Freiheit unter ihresgleichen leben zu wollen (vgl. Dahl, S.3). Auf der anderen
Seite sollte die Geschichte der US Verfassung und ihre Popularität nach noch 215 Jahren den
Europäern Mut machen, visionär zu sein und in der Verfassungsdiskussion langfristig zu denken.
- 14 –
Dazu gehört auch Geduld und als Kehrseite der Medaille Kompromissfähigkeit. Die langfristige
Dynamik der Verfassung sollte nicht unterschätzt werden: können Ziele heute nicht erreicht werden,
so muss das nicht das Ende eines großen Verfassungs- und Integrationskonzeptes bedeuten. Nichts
spricht dagegen, dass die Verfassung Europas zu einem späteren Zeitpunkt noch verändert wird und
verändert werden kann. Im Einzelnen sei an den "Great Compromise" erinnert: oft ist der "langfristige
Nutzen eines Kompromisses zugunsten der schwächeren Mitglieder einer Gemeinschaft viel größer,
als der kurzfristige Verlust an Macht und Einfluss auf Seiten der Stärkeren" (Burghardt). In der Frage
der Grundrechte sind die Europäer den Amerikanern voraus: sie wurden bereits beschlossen. Ihre
unmittelbare Wirkung auf den einzelnen Bürger kann, so an prominenter Stelle eingebaut, der
Verfassung zu einem Mehr an Popularität verhelfen. Eine zweite Ursache in den USA war dafür die
öffentliche Diskussion der Verfassungsfrage durch die Federalists. Dies soll die Konventsmitglieder
animieren noch stärker selbst in die Öffentlichkeit zu treten und für ein höheres Maß an Transparenz
aller europäischen Institutionen einzutreten. Im Hinblick auf die EU Erweiterung sollte zudem
gewährleistet werden, dass sich aufgrund der Größe der Union nicht die Perspektivlosigkeit eines 2Parteiensystems einstellt, wie es in den USA der Fall war. Die Gefahr ist, dass viele der Parteien, die
heute im Europa-Parlament tätig sind, durch die Vielfalt ihrer Werte und Programmatiken zu
regionalen Splittergruppen degradiert werden und langfristig an Bedeutung verlieren. Gerade hier
zeigt sich ja das Modell der europäischen "Einheit in Vielfalt". Dieses Modell darf in der Debatte um
eine zukünftige europäische Identität und Wertegemeinschaft nicht aus den Augen verloren werden!
Zur Erhaltung der Handlungsfähigkeit und des dynamischen Motors Europas mit seinem komplexen
Institutionengefüge sollte Europa mit einem lernenden Blick über den Atlantik an der Verbesserung
seiner
Implementationsprozesse
arbeiten,
also
seine
Fähigkeit,
Entscheidungen
schnell
durchzuführen, verbessern. Letztlich steht die Entscheidung, ob Europa auch weltweit einen Beitrag
für Stabilität, Sicherheit und Frieden zu leisten gewillt ist. Dazu bedarf es, entsprechend einer der
Leitmotive der Federalist Papers, der Herstellung außenpolitischer Handlungsfähigkeit.
6.2 Ausblick: Chancen für die Zukunft Europas
Die größte Chance (und außenpolitische Aufgabe) des zukünftigen Europa wird die Wahrung
internationaler Multipolarität zur Sicherung von Vielfalt und Frieden in der Welt sein können. Dazu
bedarf es aber einer starken Union, die die Erfolgsgeschichte der Vereinigten Staaten wiederholt und
in der Lage sein wird, den USA ein weltpolitisches Gegengewicht entgegen zu stellen. Die daraus
resultierende Gefahr wird indes von den USA ausgehen: die Amerikaner werden wohl kaum zulassen,
dass Europa den Status quo, also ihre hegemoniale Vormachtsstellung in Frage stellen könnte. Sie
wären also klug beraten, alles daran zu setzen, die Europäer davon abzuhalten, eine europäischrepublikanisch-nationale Identität zu entwickeln und Europa daran zu hindern, zu selbstbewussten
und starken "Vereinigten Staaten zu werden. Das Ende des transatlantischen Bündnisses ist daher
die wahrscheinliche Folge einer zukünftigen Emanzipation des vereinigten Europas von den USA. Der
langfristige Vorteil der strategischen Freundschaft Europas mit den USA, einen zukünftigen Konflikt
zwischen zwei gleich starken Weltmächten Europa und USA zu vermeiden, sollte also – ohne damit
- 15 die Haltung der EU und ihrer Mitgliedsstaaten zum Irakkonflikt, der Ursache für die derzeitige
Abkühlung dieser Freundschaft ist, zu beurteilen – nicht für kurzfristige Ziele aufs Spiel gesetzt
werden. Auf diesem Wege wird Europa vielleicht schon bald einen friedensstiftenden Gegenpol zur
Hegemonie der USA in gleichzeitiger transatlantischer Interdependenz darstellen.
Literaturverzeichnis
Burghardt, Guenter: The Development of a European Constitution from the US Point of View,
Berlin, Vorlesung vom 6. Juni 2002 an der Humboldt-Universität Berlin,
<http://www.eurunion.org/news/speeches/2002/020606gb.htm> (4. März 2003)
Dahl, Robert Alan: How Democratic Is the American Constitution,
Yale: Yale University, 2002
Gebhardt, Jürgen: "The Federalist", in: Klassiker des politischen Denkens, Bd.2,
überarbeitete Ausgabe der 5. Auflage, München: C.H.Beck, 2001
Plate, Bernhard von: OSZE und Europarat – Stabilität durch Krisenmanagement und
Interessenausgleich, Wertegemeinschaft Europarat,
in: Informationen zur politischen Bildung Nr. 274/2002, S.16ff
Rittberger, Volker; Zangl, Bernhard: Internationale Organisationen. Politik und Geschichte,
3. überarbeitete Auflage,
Opladen: Leske + Budrich, 2003, S.162-166, S.234-243, S.253-259
Sekretariat des Europäischen Konventes: Vorentwurf des Verfassungsvertrages,
Dokument Nr.: CONV 369/02, Brüssel, 28. Oktober 2002
Sekretariat des Europäischen Konventes: Deutsch-französischer Beitrag zum Europäischen Konvent
über die institutionelle Architektur der Union,
Dokument Nr.: CONV 489/03, Brüssel, 16. Januar 2003
Sekretariat des Europäischen Konventes: Summary report on the plenary session,
Dokument Nr.: CONV 508/03, Brüssel, 20./21. Januar 2003
Sekretariat des Europäischen Konventes: Entwurf der Artikel 1 bis 16 des Verfassungsvertrages,
Dokument Nr.: CONV 528/03, Brüssel, 6. Februar 2003
Weingärtner, Daniela: Sozialrecht mit Sprengkraft, Brüssel, 2003
in: die tageszeitung, 11. März 2003, S.6
- 16 Woyke, Wichard (Hrsg.): Handwörterbuch Internationale Politik,
8. aktualisierte Auflage, Lizenzausgabe für die Bundeszentrale für politische Bildung,
Bonn: Leske + Budrich, 2000
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