Morphogenetische Bewegungen

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47. Entwicklung der Tiere
47.1 Bei der Entwicklung vom Ei zum Organismus erhält das Tier
schrittweise seine Gestalt: Das Konzept der Epigenese
Die Präformationslehre (die Ei- oder Samenzelle enthält einen komplett vorgebildeten
(präformierten) winzigen Embryo, der lediglich wachsen muss), die noch im neunzehnten
Jahrhundert die gängige Meinung war, wurde durch die Epigenese (schrittweise
Gestaltbildung des Embryos) ersetzt.
47.2 Die Embryonalentwicklung umfasst Zellteilung, Differenzierung und
Morphogenese
In der Embryonalentwicklung wirken Zellteilung, Differenzierung und Morphogenese eng
zusammen. Eine Reihe von mitotischen Teilungen untergliedern die extrem grosse Zygote in
eine grosse Anzahl von Zellen normaler Grösse. Diese Zellteilungsvorgänge allein würden
aber lediglich eine Kugel aus identischen Zellen zur Folge haben, die wenig Ähnlichkeit mit
einem Tier hat. Die Zellzahl nimmt also während der Embryonalentwicklung nicht nur zu, die
Zellen entscheiden sich auch für eine bestimmte Differenzierung, das heisst sie entwickeln
sich zu unterschiedlich spezialisierten Zellen und beteiligen sich an der Bildung von Geweben
und Organen. Die Gesamtheit jener Prozesse, die dem Tier und seinen Organen Form
verleihen, werden unter dem Begriff Morphogenese zusammengefasst, also
„Gestaltentwicklung“.
47.3 Die Besamung aktiviert das Ei und ermöglicht das Verschmelzen von
männlichem und weiblichem Vorkern
Die Besamung hat zwei Funktionen:
1. Das Zusammenführen der haploiden Chromosomensätze zweier Individuen (durch die
Gameten, das Spermium und die Eizelle) zu einer einzigen diploiden Zelle, der
Zygote.
2. Die Aktivierung des Eies: Das Eindringen der Samenzelle in das Ei löst eine Reihe
metabolischer Veränderungen aus, die den Beginn Der Embryonalentwicklung
einleiten.
Wenn das Spermium mit der Eioberfläche Kontakt bekommt, erfolgt die Akrosomreaktion:
Die Akrosomreaktion führt zum Verschmelzen des Spermiums mit der Eizelle (Hydrolytische
Enzyme ermöglichen ein rasches Vordringen durch die Gallerte), und nur der Spermienkern
kann in das Cytoplasma des Eies eindringen.
Bei der Fusion der Gameten findet eine Depolarisation der Ei-Plasmamembran statt und
erzeugt einen raschen Block gegen Polyspermie (verhindert Eindringen weiterer Spermien).
Die Cortikalreaktion ist ebenfalls eine direkte Folge der Verschmelzung von EI und
Spermium und führt zu tiefgreifenden Veränderungen in der äusseren Schicht (Cortex) des
Eiplasmas. In einer Signaltransduktionskette setzen Cortikalgranula (Vesikel der
Eiperipherie) unter Einfluss von Calcium-Ionen ihren Inhalt in den pervitellinen Raum ab
Raum zwischen Plasmamembran und Vitellinhülle). Die Vitellinhülle härtet aus und wird so
zur „Befruchtungshülle“. Diese wirkt jetzt als langsamer Block gegen Polyspermie.
Als Zeichen der Ei-Aktivierung steigt innerhalb weniger Minuten nach der Besamung die
Zellatmung und Proteinsyntheserate dramatisch an.
Fast gleichzeitig zum Hochfahren des Metabolismus in der aktivierten Eizelle beginnt der
Kern, der vom Spermium in die Eizelle gebracht wurde, anzuschwellen. Dieser sogenannte
männliche Vorkern (Pronucleus) verschmilzt nach etwa 20 Minuten mit dem weiblichen
Vorkern. Dies ist die eigentliche Befruchtung. Durch die Karyogamie (Kernverschmelzung)
entsteht ein diploider Zygotenkern.
Die bisherigen Betrachtungen zur Befruchtung sind experimentell an Seeigeln (marines,
wirbelloses Tier) herausgefunden worden. Im Gegensatz zur Befruchtung beim Seeigel, die
extern erfolgt, haben Landtiere, also auch Säuger, eine Interne Befruchtung, die sich durch
einige Unterschiede auszeichnet:
- Einige Sekrete im weiblichen Reproduktionstrakt verändern bestimmte
Oberflächeneigenschaften der Spermien. Erst durch diese Veränderungen erlangen die
Spermien ihre Befruchtungsfähigkeit. Die Phase dieser sog. Kapazitation dauert beim
Menschen etwa 6 Stunden.
- Bei der Cortikalreaktion geben zwar die Cortikalgranula ebenfalls ihre Inhaltsstoffe
nach aussen ab, doch im Gegensatz zum Seeigelkeim hebt sich keine
Befruchtungshülle ab. Stattdessen härten Enzyme aus den Cortikalgranula die Zona
pellucida (extrazelluläre Matrix des Eies), und diese funktioniert nun als langsamer
Block gegen Polyspermie.
- Es gibt keine Fusion der haploiden Vorkerne. Stattdessen lösen sich ihre Kernhüllen
vorzeitig auf und es werden erst nach der ersten Furchung diploide Kerne gebildet.
47.4 Die Furchung zerteilt die Zygote in viele kleinere Zellen
In der Frühentwicklung verwirklichen drei embryonale Prozesse die Gestaltbildung eines
Tieres. Eine besondere Form von Zellteilung, die man als „Furchung“ bezeichnet, zerteilt die
Zygote bis zum Stadium einer Blastula. Mit dem Beginn der Gastrulation, bei der die drei
Keimblätter eines Embryos positioniert werden, bezeichnen wir den Keim als Gastrula.
Schliesslich bilden sich während der „Organogenese“ die Organanlagen, aus denen
schliesslich Adultstrukturen wachsen.
Die Furchung beginnt kurz nach der Befruchtung und ist durch eine rasche Abfolge von
Zellteilungen charakterisiert. Die Furchung verteilt das Cytoplasma, das in unterschiedlichen
Regionen der Zygote eine unterschiedliche Zusammensetzung enthalten kann, auf immer
kleiner werdende Zellen, die Blastomeren.
Die Keime vieler Tiere besitzen eine erkennbare Polarität, die z.B. durch Dotter
hervorgerufen wird. Der Dotter liegt eng gepackt am vegetativen Pol des Eies. Am
entgegengesetzten animalen Pol ist die Dotterkonzentration niedrig. Die Furchungsebenen
liegen oft in einer festen Anordnung zum vorhandenen Achsensystem.
Unmittelbar nach der Besamung wird das Eiplasma im Amphibienkeim (z.B. Frosch)
reorganisiert. Dabei entsteht der graue Halbmond (Cytoplasma mit heller Pigmentierung)
entgegengesetzt von der Eintrittstelle des Spermiums und ist ein wichtiger Marker der
Polarität im Embryo.
Durch wiederholte Furchung entsteht zunächst eine Zellkugel, die man als Morula
(„Maulbeere“) bezeichnet. Im Zentrum der Morula bildet sich dann das Blastocoel, ein
flüssigkeitsgefüllter Hohlraum. Die Zellaffinität nimmt im Laufe der weiteren Entwicklung zu
und es entsteht eine zelluläre Hohlkugel mit glatter äusserer Oberfläche, die man als Blastula
bezeichnet.
Bei dotterreichen Eizellen bleibt die Furchung auf einen kleinen Teilbereich am animalen Pol
beschränkt. Solch eine unvollständige Teilung bezeichnet man als meroblastische Furchung.
Eine holoblastische Furchung, also eine komplette Teilung der Eizelle, findet man bei Arten
mit dotterarmen Keimen.
Bei der Insektenentwicklung erzeugt die meroblastische Furchung zunächst ein syncytiales
Stadium (eine Zelle mit vielen Kernen in einem gemeinsamen Cytoplasma), das sich
anschliessend zur Blastula umwandelt. Bei dieser Blastula umhüllt ein einschichtiges Epithel,
das Blastoderm, eine zentrale Dottermasse.
47.5 Die Gastrulation reorganisiert die Blastula, wodurch der Embryo
dreischichtig wird und ein Urdarm entsteht
In einem Prozess der Morphogenese, den man als Gastrulation bezeichnet, wird die
Anordnung der Zellen dramatisch verändert. Ausgehend von der relativ einfach gebauten
Blastula ist der Embryo nun wesentlich komplexer und wird als Gastrula bezeichnet.
Bei vielen Keimen können nach der Gastrulation drei Gewebeschichten identifiziert werden,
die als Ektoderm, Mesoderm, und Entoderm bezeichnet werden. Dies sind die embryonalen
Keimblätter. Das Ektoderm bildet die Epidermis der Gastrula. Aus dem Entoderm entsteht die
Wand des embryonalen Darmes. Das Mesoderm füllt teilweise den Raum zwischen Ekto- und
Entoderm. Im Laufe der weiteren Entwicklung bilden diese Keimblätter alle Strukturen des
Adulttieres aus.
Zusätzlich zu den drei Keimblättern entsteht ein Urdarm (Archenteron) durch eine
Reorganisation der Zellen an der vegetativen Polplatte. Die Vegetative Polplatte stülpt sich
durch Invagination ins Blastocoel ein. Die Öffnung dieses Urdarmes bezeichnet man als
Blastoporus (Urmund), der später zum After wird.
47.6 Während der Organogenese entstehen aus den drei embryonalen
Keimblättern die Organe des Tieres
Während der Organogenese bilden mehrere Regionen der drei Keimblätter Organanlagen. Die
Strukturierung eines Organs gehen im mehrschichtigen Keim drei Typen von
morphogenetischen Veränderungen voraus: Faltung, Abspaltung und Kondensation (ClusterBildung) von Zellen.
In der frühen Organogenese entstehen die Chorda durch eine Verdichtung des dorsalen (auf
der Rückenseite liegend) Mesoderms, das Neuralrohr als Einsenkung der ektodermalen
Neuralplatte, die Somiten aus den mesodermalen Säumen beidseitig der Chorda (Somiten:
bilden Wirbel der Wirbelsäule und Muskulatur , die mit dem Achsenskelett verbunden ist)
und das Coelom durch Aufspaltung des lateralen Mesoderms.
47.7 Die Embryonen der Amnioten entwickeln sich im beschalten Ei oder
im Uterus in einer flüssigkeitsgefüllten Blase
Die Embryonalentwicklung aller Wirbeltiere erfordert eine wässrige Umgebung. Als
Wirbeltiere an Land gingen, hatten sie das Problem, sich in einer trockenen Umgebung
fortpflanzen zu müssen. Als eine Lösung entwickelte sich im Verlauf der Evolution das Ei der
Reptilien und Vögel, das von einer Schale umhüllt ist. Eine andere Lösung ist der Uterus der
placentalen Säuger. In Eischale und Uterus befinden sich die Embryonen in einer
flüssigkeitsgefüllten Blase, dem sog. Amnion, das sie vor Austrocknung schützt. Darum
werden sie als Amnioten bezeichnet. Die in 47.6 gemachten Angaben haben sich auf die
Entwicklung eines Anamniers, also eines Wirbeltiers ohne Amnion, bezogen, nämlich den
Frosch. Zum Vergleich die Frühentwicklung von zwei Amniotengruppen, den Vögeln und
den Säugern.
Die Vogelentwicklung
Die meroblastischen Furchungen produzieren zunächst eine Kappe von Zellen am animalen
Pol, die Keimscheibe, die einer ungeteilten Dottermasse aufliegt. Die Blastomeren teilen sich
anschliessend in eine oberflächliche und tiefere Zellschicht, die man Epiblast
beziehungsweise Hypoblast nennt. Zu Beginn der Gastrulation bildet sich in dieser
Keimscheibe die Primitivrinne. Funktionell ist die Primitivrinne der dorsalen Urmundlippe
des Froschkeimes gleichzusetzen.
Der Embryo wird ausschliesslich aus Zellen des Epiblasten gebildet, die durch die
Primitivrinne wandern. Die Entstehung von Neuralrohr, Chorda und Somiten, aber auch die
anderen Ereignisse der Organogenese erfolgen wie im Froschembryo.
Es tragen nur Teile der Keimblätter zur Bildung des eigentlichen Froschembryos bei. Die
Gewebeschichten ausserhalb des embryonalen Körpers entwickeln vier extraembryonale
Membranen („Hüllen“), welche die Weiterentwicklung des Embryos ermöglichen. Dies sind
der Dottersack, das Amnion, das Chorion, und die Allantois.
Die Säugerentwicklung
Im Gegensatz zu den grossen, dotterreichen Eiern der Reptilien und Vögel sind die Eier der
placentalen Säuger klein und dotterarm. Die Furchung ist deshalb holoblastisch und die
Zygote besitzt keine erkennbare Polarität, aber Gastrulation und frühe Organogenese
verlaufen ähnlich wie beim Vogel oder Reptil.
Etwa 7 Tage nach der Befruchtung besteht der Embryo aus rund 100 Zellen mit einem
zentralen Hohlraum. Dieses Stadium ist die Blastocyste. Auf einer Seite im Blastocoel liegt
eine Ansammlung von Zellen, die innere Zellmasse oder der Embryoblast, der den
eigentlichen Embryo und einige seiner extraembryonalen Hüllen bilden wird. Das äussere
Epithel der Blastocyste ist der Trophpblast; gemeinsam mit dem Mesoderm wird er den
fötalen Anteil der Placenta bilden.
Nach der Befruchtung und der Frühentwicklung im Eileiter nistet sich die Blastocyste in die
Wand des Uterus ein. Der Trophoblast leitet die Bildung des fötalen Anteils der Placenta ein,
und der Embryo selbst entwickelt sich innerhalb der Blastocyste aus nur einer Zellschicht,
dem Epiblasten.
Auch während der Embryonalentwicklung der Säuger bilden sich die vier extraembryonalen
Hüllen, die man von den Reptilien und Vögeln her kennt.
47.8 Das Entwicklungsschicksal einer Zelle wird determiniert durch
Faktoren im Cytoplasma, ihre räumliche Lage im Embryo und ihre
Wechselwirkung mit anderen Zellen
Nachdem wir die Abfolge der Ereignisse besprochen haben, die aus dem befruchteten Ei
einen vielzelligen, mehrschichtigen Embryo entstehen lassen, werden wir uns nun auf die
dahinterstehenden Mechanismen konzentrieren. Morphogenetische Mechanismen verleihen
dem Tier und seinen Organen zwar ihre charakteristische Form, aber die Entwicklung
erfordert auch die rechtzeitige und ortsgerechte Differenzierung vieler Zelltypen. Diese
unterschiedlichen Zelltypen besitzen fast ausnamslos das gleiche Genom, zeigen aber
unterschiedliche Muster der Genexpression. Unsere derzeitigen Kenntnisse über die
genetischen und zellulären Grundlagen der Embryonalentwicklung lassen sich in zwei
allgemeinen Regeln zusammenfassen:
1. Die heterogene Organisation des Cytoplasmas in der unbefruchteten Eizelle führt zu
regionalen Unterschieden in den frühen Embryonen vieler Tierarten. (Blastomeren
erhalten unterschiedliche mRNAs, Proteine und andere Moleküle, was zur Entstehung
von Körperachsen und zur Beeinflussung der Genexpression führt)
2. Durch Zell-Zell-Interaktionen vermehren sich die Unterschiede, die bereits aufgrund
der cytoplasmatischen Organisation und Umordnung von Zellen während der
Morphogenese entstanden sind. (Wechselwirkungen zwischen Blastomeren können
viele spezialisierte Zelltypen induzieren; weil morphogenetische Zellbewegungen wie
die Gastrulation Zellen aus entfernten Regionen des Embryos zusammenführen,
können diese zellulären Wechselwirkungen eine Veränderung der Genexpression
auslösen)
Polarität und Grundorganisation des Körpers
Mit Ausnahme der Säuger wird die Polarität bei den meisten Tierarten in der unbefruchteten
Eizelle oder Während der frühen Furchungen festgelegt. Die Körpergrundgestalt richtet sich
nach diesen Polaritätsachsen. (z.B. im Frosch-Ei bestimmt der graue Halbmond die Lage der
dorsoventralen und der Links-Rechts-Achse.)
Anlagepläne und Zellgenealogie
Bei Keimen mit einer frühen Achsendetermination ist es möglich, die Herkunft einzelner
Gewebe und Organe eines späteren Embryos auf bestimmte Areale von Zellen der Blastula
zurückzuführen. Daraus kann man einen Anlageplan erstellen.
Heute ermöglichen mehrere Techniken der Markierung von Einzelzellen während der
Furchungsphase die Analyse der Ausbreitung und Differenzierung der mitotischen
Nachkommenschaft der markierten Zelle im Embryo. Ein Anlageplan mit dieser Genauigkeit
nennt man Zellstammbaum-Analyse oder Zellgenealogie.
So wurde z.B. der Selbstmordmechanismus (programmierter Zelltod = apoptotischer
Mechanismus) vieler Zellen entdeckt. Der programmierte Zelltod ist bei Wirbeltieren
essenziell für die Entwicklung des Nervensystems, für die Formgebung einiger Körperteile
wie Finger und Zehen, und für das normale Funktionieren des Immunsystems.
Determination und Einschränkung der Entwicklungspotenz
In den Keimen mancher Tiere befinden sich gewisse Substanzen in bestimmten
Cytoplasmabereichen und werden so gezielt bestimmten Blastomeren zugeführt. Weil sie das
Entwicklungsschicksal der Blastomeren festlegen, vermutlich über eine Kontrolle der
Genexpression, bezeichnet man solche Substanzen als cytoplasmatische Determinanten.
Im Anfangsstadium sind alle Blastomeren noch totipotent, d.h. die Blastomeren eines
Amphibienkeimes sind alle noch in der Lage eine vollständig normale Kaulquappe zu bilden.
Bei vielen Arten ist nur die Zygote totipotent. Hier verteilt die erste Furchung die
cytoplasmatischen Determinanten in einer Weise, dass die Blastomeren nur noch bestimmte
Teile des Embryos liefern können. Die Zellen des Säugerkeims bleiben dagegen bis zur
Aufteilung der Blastocyste in Trophoblast und Embryoblast totipotent.
Wie unterschiedlich die Potenzen der Zellen im frühen Embryo auch immer sein mögen, eine
allmähliche Einschränkung dieser Potenzen im Laufe der Entwicklung charakterisiert die
Embryogenese aller Tiere. Man bezeichnet die fortschreitende Einengung der
Entwicklungspotenz embryonaler Zellen als Determination. Eine Zelle ist dann determiniert,
wenn sich das Entwicklungsschicksal experimentell, zum Beispiel durch Transplantation,
nicht mehr verändern lässt.
Morphogenetische Bewegungen
Unter morphogenetischer Bewegung versteht man alle Formänderungen und Wanderungen
von Zellen während der Furchung, Gastrulation und Organogenese.
Morphologische Zellbewegungen beeinflussen die Determination, indem Zellen in ein
unterschiedliches chemisches und physikalisches Umfeld gelangen. Glycoproteine der
extrazellulären Matrix leiten die Zellen zu ihren Zielgebieten.
Induktion
Wechselwirkungen zwischen Zellen und Zellschichten während und nach der Gastrulation
sind essentiell für die Entstehung der meisten Organe. Die Fähigkeit einer Zellgruppe, die
Entwicklung einer benachbarten Zellgruppe zu beeinflussen, ist eine induktive Fähigkeit; die
Beeinflussung selbst nennt man Induktion. Eine Induktion kann durch einen direkten
Kontakt zwischen zwei Zellgruppen oder auch durch chemische Signale erfolgen. In beiden
Fällen ist es das Ziel des Induktors, im anderen Gewebe eine bestimmte Palette von Genen zu
aktivieren, damit sich dieses Gewebe spezifisch differenzier.
Differenzierung
Im Laufe der Differenzierung werden Zellen zu Spezialisten, die nur noch bestimmte Proteine
synthetisieren.
Weil die Linsenzelle Kristalline produziert, aber eine Blutzelle nicht, muss man wohl
annehmen, dass die Linsenzelle andere Gene exprimiert, als die Blutzelle. Eine einfache
Erklärung wäre, die Zellen würden bei der Differenzierung die nicht benötigten Gene
verlieren. Zahlreiche Befunde zufolge besitzen jedoch fast alle Zelltypen eines Organismus
Kerne, die alle die gleichen Gene tragen, und wir bezeichnen dieses Phänomen als die
Äquivalenz der Kerne.
Es interessiert, ob Gene bei der Differenzierung irreversibel inaktiviert werden:
Bei Transplantationsversuchen mit Kernen nahm die Fähigkeit eine Normalentwicklung zu
bewirken mit dem Alter des Kernspenders ab. Wurden Kerne aus undifferenzierten Zellen
früher Embryonen verwendet, entwickelten sich die Empfänger-Eizellen zu normalen
Kaulquappen. Wurden für die Kerntransplantation allerdings Kerne aus dem Darm einer
Kaulquappe genommen, entwickelten sich weniger als zwei Prozent der Empfänger-Eizellen
zu normalen Kaulquappen.
Resultat:
1. Die Kerne ändern sich im Laufe der Differenzierung irgendwie.
2. Die Veränderung ist nicht immer irreversibel; der Kern einer differenzierten Zelle
besitzt noch alle Gene, und dies ermöglicht theoretisch die Entwicklung aller
Komponenten eines Organismus. Körperzellen unterscheiden sich also nicht
strukturell und funktionell, weil sie unterschiedliche Genausstattungen enthalten,
sondern weil nur bestimmte Bereiche eines einheitlichen Genoms exprimiert werden.
Musterbildung
Die Entwicklung der räumlichen Organisation eines Tieres, also die für das Tier
charakteristische dreidimensionale Anordnung von Organen und Geweben, nennt man
Musterbildung. Die Gesamtheit molekularer Signale, welche die Musterbildung steuern, ist
die Lageinformation (Positionsinformation); sie vermittelt die Lagebeziehung einer Zelle
bezogen auf ihre Nachbarn, und wie die Zelle und ihre Nachkommenschaft zukünftig auf
molekulare Signale reagieren wird.
Musterbildung beruht auf den Fähigkeiten von Zellen, Signale in ihrer Umgebung
wahrzunehmen, die von Ort zu Ort unterschiedlich sind. Die Zu- oder Abnahme dieses
Signale entlang den drei Achsen verschafft den Zellen jene Lageinformation, die sie braucht,
um ihre Position innerhalb einer Organanlage zu bestimmen. Im Falle der
Wirbeltierextremitäten wurden einige Polypeptide als mögliche Vermittler der
Positionsinformation identifiziert.
47.9 Die Musterbildung bei Drosophila wird durch eine hierarchische
Kaskade von Genaktivierungen gesteuert
Viele Entwicklungsbiologen nutzen den Embryo der Taufliege als Modellsystem für die
Erforschung der genetischen Kontrolle der Musterbildung, die vom Ei zum Adulttier
kaskadenartig verläuft.
Der segmentale Aufbau im Körperbauplan von Drosophila ist nicht im Ei oder im frühen
Embryo präformiert, sondern er entsteht schrittweise (Epigenese). Die Positionsinformation
wirkt im Laufe der Entwicklung in immer kleineren Bereichen: Zunächst wird die grobe
Körperorganisation des Tieres festgelegt ( z.B. Vorderende – Hinterende), dann werden die
Signale für die Entstehung einer festen Anzahl von Segmenten in der korrekten Anordnung
zum Achsensystem gegeben, und schliesslich wird noch die Segmentidentität durch eine
unterschiedliche morphologische Ausstattung festgelegt.
Maternaleffektgene und die Ei-Polarität
Die Aktivierung von Musterbildungsgenen beginnt schon vor der Befruchtung und zwar mit
den Maternaleffektgenen. Dies sind Gene deren Phänotypen in der Nachkommenschaft
ausschliesslich durch Produkte des mütterlichen Genoms realisiert werden; das väterliche
Genom kann diese Eigenschaften nicht beeinflussen. Dazu gehören z.B. die Eipolaritätsgene,
die das Achsensystem des zukünftigen Embryos bereits vor der Befruchtung festlegen.
Segmentierungsgene
Morphogene, die auf lokale unterschiede der Aktivität von Maternaleffektgenen
zurückzuführen sind, verursachen ihrerseits regionale Unterschiede in der Expression von
Segmentierungsgenen und leiten die Segmentierung ein.
Drei Klassen von Segmentierungsgenen werden der Reihe nach aktiviert und vermitteln eine
Positionsinformation für immer feinere Details in modularen Körperbauplan. Als erste
bewirken die Produkte der Lückengene oder Gap-Gene eine grobe Unterteilung entlang der
anterior-posterior Achse des Embryos. Als nächste Gruppe von Segmentierungsgenen werden
die Paarregelgene aktiviert. Sie unterteilen das modulare Muster in Segmentpaare. Die
Segmentpolaritätsgene bilden eine dritte Gruppe innerhalb der Segmentierungsgene und
legen die anterior-posteriore Polarität in den jeweiligen Segmenten fest.
Die Produkte der Segmentierungsgene sind wie die Produkte der Maternaleffektgene
ausnahmslos DNA-bindende Proteine, die als Transkriptionsfaktoren einen nächsten Satz von
Genen in der Musterbildungskaskade aktivieren. Bis zu diesem Stadium lässt sich die
Kaskade folgendermassen zusammenfassen: Die Maternaleffektgene rufen eine lokale
Expression der Lückengene hervor; Die Lückengene lösen eine regionale Expression der
Paarregelgene aus; die Paarregelgene aktivieren in bestimmten Regionen eines Segmentes
Segmentpolaritätsgene. Nunmehr sind also die Grenzen und Achsen jedes Segmentes
festgelegt. In der Hierarchie der Aktivierung von Musterbildungsgenen müssen nun solche
Gene exprimiert werden, die jedes Segment anatomisch spezifizieren.
Homöotische Gene
Als eine Voraussetzung der modularen Anatomie einer normalen Fliege müssen Antennen,
Beine und Flügel am richtigen Segment entstehen. Die anatomische Identität der einzelnen
Segmente wird von Regulatorgenen, den homöotischen Genen, festgelegt.
Wie schon zuvor sind auch hier die Endprodukte der homöotischen Gene wieder
regulatorische DNA-bindende Proteine. Diese Proteine beeinflussen die selektive
Genexpression, die für die Entwicklung des segmentalen Grundbauplans im Embryo
erforderlich ist.
47.10 Beim Vergleich der Entwicklungsgene so unterschiedlicher Tiere wie
Fliegen und Säuger zeigen sich überraschenderweise Homologien
Bei der Sequenzierung eines homeotischen Gens von Drosophila fand man einen Abschnitt
mit einer Länge von 180 Basenpaaren, der auch bei allen anderen homöotischen Genen der
Fliege vorkommt. Diese für homöotische Gene so typische DNA- Sequenz wird als
Homöobox bezeichnet. Die gleiche oder eine recht ähnliche Homöobox fand man bei einer
Vielzahl anderer Eukaryoten. Sie ist ein Indiz für die frühe Entstehung solcher Gene in der
Evolution.
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