Rede des Bundespräsidenten vor dem Diplomatischen Corps in der

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Rede des Bundespräsidenten vor dem Diplomatischen Corps in der Wiener Hofburg in deutscher,
englischer und französischer Sprache
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius,
Herr Vizekanzler,
Exzellenzen,
meine sehr geehrten Damen und Herren!
Ich danke Ihnen, hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius als Doyen des Diplomatischen Corps in Österreich, sehr herzlich für Ihre
guten Wünsche und möchte meinerseits Ihnen sowie allen Anwesenden und den von Ihnen vertretenen Staaten ein friedvolles,
erfolgreiches und gutes Jahr 2012 wünschen.
Exzellenzen!
Das Jahr 2011 stand für Österreich und Europa stark im Zeichen der Finanz- und Schuldenkrise in der Eurozone.
Auch 2012 wird von dieser Krise und den Maßnahmen zu ihrer Überwindung noch geprägt sein.
Viele Schritte wurden in den vergangenen eineinhalb Jahren gesetzt, um das Vertrauen in den Euro nachhaltig zu sichern. Weitere
Maßnahmen sind dringend notwendig. Dazu zählen zunächst Reformen der wirtschaftspolitischen Koordinierungsarchitektur, die ein
rascheres und effektives Handeln zur Krisenbewältigung ermöglichen.
Am 9. Dezember 2011 haben die Staats- und Regierungschefs der EU weitreichende Beschlüsse gefasst. Österreich trägt diese
vollinhaltlich mit, zumal wir uns stets für eine handlungsfähige Europäische Union und für Solidarität innerhalb der EU ausgesprochen
haben. Angesichts der weiter angespannten Situation auf den Finanzmärkten müssen wir nun die Beschlüsse des Dezember-Gipfels
rasch umsetzen.
Die österreichische Regierung arbeitet auch an der raschen Einführung einer sogenannten „Schuldenbremse“.
Eine einfache gesetzliche Regelung vom Dezember 2011 gibt es bereits, doch bemüht sich die Regierung um eine Verankerung auf
verfassungsrechtlicher Ebene.
Es ist klar, dass alle europäischen Staaten, so auch Österreich, ihre Neu- und Gesamtverschuldung reduzieren müssen und wollen. Ein
wichtiges Anliegen dabei ist aber, dass dies in einer für alle Bevölkerungsgruppen möglichst gerechten Weise erfolgt und Europa und
Österreich als Arbeits- und Wirtschaftsstandort nicht schädigt.
Exzellenzen!
Wir wurden im vergangenen Jahr Zeugen bedeutender Umwälzungen in der arabischen Welt. Österreich begrüßt demokratische
Entwicklungen, die der Bevölkerung mehr Freiheit und mehr Mitbestimmung bringen.
Es zeigt sich aber mit aller Deutlichkeit, wie schwierig in der Praxis der Übergang von autoritären Strukturen zu einem funktionierenden
demokratischen System ist und alle Beteiligten werden sich auf einen längeren Prozess des Überganges und der Entwicklung
spezifischer und geeigneter Formen der Demokratie in den betreffenden Ländern einstellen müssen.
Jedenfalls betrachten wir die Forderung nach Grundrechten und die Forderung nach politischer Partizipation aller Bevölkerungsgruppen,
einschließlich der Frauen, als legitim und berechtigt.
Mit besonderer Sorge erfüllt uns die aktuelle Eskalation der Gewalt in Syrien. Es ist zu hoffen, dass die Bemühungen der Arabischen
Liga zu einem Ende der bewaffneten Auseinandersetzungen und einer Beruhigung der Lage in Syrien beitragen können.
Das Wiederaufflammen von Gewaltakten und die Verschärfung der politischen Auseinandersetzungen im Irak sind beunruhigend und
müssen Anlass zu verstärkten Anstrengungen in Richtung einer echten Aussöhnung sein.
Österreich wird auch weiterhin die Bemühungen um eine Haltungsänderung des Iran in der Nuklearfrage unterstützen, mit dem Ziel, den
Iran wieder an den Verhandlungstisch zurück zu bringen.
Exzellenzen!
Österreich misst der Tätigkeit der Vereinten Nationen nach wie vor größte Bedeutung bei.
Zur Eröffnung der jüngsten Generalversammlung der Vereinten Nationen im September 2011 war ich gemeinsam mit dem Herrn
Bundeskanzler und dem Herrn Vizekanzler in New York, um zahlreiche wichtige bilaterale und multilaterale Termine wahr zu nehmen.
Es freut mich sehr, dass der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-moon, im Februar Wien besuchen und auch einen Vortrag
halten wird.
Besonders gefreut hat mich im vergangenen Jahr auch, dass ich im Oktober die indische Präsidentin Pratibha Patil und kurz darauf den
chinesischen Präsidenten Hu Jintao zu Staatsbesuchen in Österreich begrüßen durfte. Beide Besuche sind Ausdruck der gegenseitigen
Wertschätzung und der exzellenten Beziehungen zwischen unseren Ländern, wovon ich mich schon bei meinen eigenen Besuchen in
Indien vor 6 Jahren und in China Anfang 2010 überzeugen konnte.
Bei einem Besuch von Präsident Mahmud Abbas in Österreich vor wenigen Wochen ergab sich die Gelegenheit, neuerlich mit
Nachdruck auf die Notwendigkeit einer Lösung der offenen Probleme zwischen Israel und den Palästinensern hinzuweisen mit dem Ziel,
sowohl für Israel als auch für Palästina ein Leben als anerkannte Staaten in Frieden und Sicherheit zu führen.
Hochwürdigster Herr Apostolischer Nuntius,
Exzellenzen!
Von besonderer Bedeutung für Österreich ist das Thema: Dialog der Kulturen und Religionen.
Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang den von mir besonders geschätzten Philosophen Sir Karl Popper zitieren, der meinte: „Der
Wert eines Dialogs hängt vor allem von der Vielfalt der konkurrierenden Meinungen ab.“ In Österreich haben wir bezüglich Integration
und Partizipation der Menschen mit Migrationshintergrund eine eindeutige Botschaft: Wir sind bemüht um Pluralismus, Diversität und
eine friedliche, offene Gesellschaft.
Wir verfolgen damit die Stärkung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie den Abbau von ethnisch oder religiös
motivierten Vorurteilen.
Dem Bestreben um bessere Integration von Migrantinnen und Migranten in unsere Gesellschaft Rechnung tragend, wurde im
vergangenen Jahr ein eigenes Integrationsstaatssekretariat im Innenministerium eingerichtet. Jede Form von Fremdenfeindlichkeit ist
entschieden abzulehnen.
Nicht unerwähnt soll in diesem Zusammenhang bleiben, dass wir dieses Jahr das 100-jährige Jubiläum des Bestehens des
österreichischen Islamgesetzes feiern. Mit der rechtlichen Anerkennung des Islams nahm Österreich 1912 innerhalb Europas eine
Vorreiterrolle ein. Religiöser Pluralismus gehört zu einem lange erkämpften und heute besonders schützenswertes Gut in unserer
Gesellschaft.
Exzellenzen!
Im multilateralen Dialog-Kontext möchte ich noch auf zwei Entwicklungen besonders aufmerksam machen.
So unterzeichneten die Außenminister von Österreich, Spanien und Saudi Arabien kürzlich in Wien das Gründungsübereinkommen
eines neuen Internationalen Zentrums für interreligiösen und interkulturellen Dialog. Mit diesem Zentrum soll dem Dialog von Vertretern
von Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen eine dauerhafte Plattform gegeben werden. Durch Konferenzen, Seminare und
Fortbildungsprojekte sollen Kommunikation, Verständigung, aber auch konkrete Kooperationen zwischen Menschen unterschiedlicher
kultureller und religiöser Zugehörigkeit entstehen bzw. unterstützt werden.
Als wertvolle multilaterale Entwicklung hat sich auch die Allianz der Zivilisationen erwiesen. Aufbauend auf einer spanisch-türkischen
Initiative wurden Jahresforen in Madrid, Istanbul, Rio de Janeiro und zuletzt in Doha abgehalten. In diesem Zusammenhang freut es
mich, dass das nächste Forum der Allianz der Zivilisationen im Februar 2013 hier in Wien stattfinden wird. Vertreter von Staaten und der
Zivilgesellschaft werden Themen wie Jugend, Erziehung, Migration und Medien erörtern, mit dem Ziel „good practices“ aufzuzeigen und
konkrete Projekte zu erarbeiten.
Exzellenzen,
sehr geehrter Herr Vizekanzler!
Was Österreich selbst betrifft, sind wir seit vielen Jahren fest eingebettet in die Entwicklung der EU und der Euro-Zone.
Die Prognosen für unser Wirtschaftswachstum im Jahr 2012 liegen derzeit im Bereich unter 1%.
Die Arbeitslosigkeit sollte auch 2012 zwischen 4 und 5% bleiben, was derzeit den günstigsten Wert in der Europäischen Union darstellt
und in Bezug auf die Inflation wird eine rückläufige Tendenz erwartet.
Wir freuen uns über die ausgezeichneten Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten und auch zu den Staaten in unserer näheren
Umgebung.
Wir gratulieren Kroatien zum erfolgreichen Abschluss der Beitrittsverhandlungen mit der EU.
Und wir treten dafür ein, dass im März der Kandidatenstatus für Serbien beschlossen wird, das große und sichtbare Anstrengungen für
die Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen unternommen hat.
Wenn ich in Übereinstimmung mit europäischen Institutionen und anderen europäischen Staaten Besorgnisse und Diskussionsbedarf
über bestimmte Entwicklungen in unserem Nachbarland Ungarn nicht verschweige, dann geschieht dies nicht aus einer unfreundlichen
Haltung heraus, sondern – ganz im Gegenteil – aus der Sicht eines Landes, das sich Ungarn ganz besonders und freundschaftlich
verbunden fühlt.
Ungarn braucht Europa, und Europa braucht Ungarn.
An dieser Gewissheit sollte nicht gerüttelt werden.
Exzellenzen!
Das Jahr 2012 wird also im Zeichen großer und komplexer Herausforderungen für uns alle stehen. Österreich wird – das kann ich Ihnen
auch dieses Mal versichern – ein verlässlicher Partner im Bemühen um Frieden, Dialog und Verständigung bleiben.
In diesem Sinne freue ich mich auf weitere gute Zusammenarbeit und darf Ihnen, Ihren Angehörigen und den von Ihnen vertretenen
Staaten nochmals alles Gute für 2012 wünschen.
Address by Austrian Federal President Dr. Heinz Fischer
on the Occasion of the New Year’s Reception for the Diplomatic Corps
13 January 2012
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