Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Karl-Heinz Wellmann WISSENSWERT Sind Designer-Pflanzen ein Gesundheitsrisiko? Gene auf dem Teller (2) Von Yvonne Mabille Sendung: 22.02.2006, 8:30 bis 8:45 Uhr, hr2 06-030 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. Gene auf dem Teller (2) 1 Musik, kurz, darüber Schritte, Musik bleibt im Hintergrund, dann: Zitator Nach der Arbeit eilt Herr Schulze direkt zu seinem bevorzugten Functional Food Store. Es ist schon spät, aber er hat Glück, und die Ernährungsberaterin ist gerade frei. Gemeinsam haben sie schon vor einiger Zeit ein Ernährungsprofil für Tochter Josefine erstellt, das endlich aktualisiert werden müsste, denn ihre Lebensgewohnheiten haben sich in den letzten Monaten geändert - und damit auch ihre Stoffwechsel-Daten. Für den Moment muss das alte Ernährungsprofil aber noch genügen. Frau Lustig empfiehlt ihm besonders ein spezielles Fischöl, das Josefines Vergesslichkeit vorbeugen soll, und außerdem ein neues Müsli, optimiert für Menschen mit wenig Bewegung. Musik kurz hoch – dann weg. Sprecherin Die Einkaufstour des ernährungsbewussten Herrn Schulze ist nicht allein der Phantasie entsprungen. Sie zeigt vielmehr ein Ernährungskonzept, das nach den Vorstellungen von Biotechnologen und Gentechnikern in den kommenden 15 Jahren Wirklichkeit werden könnte. “Biotechnologie 2020 – von der gläsernen Zelle zum maßgeschneiderten Prozess” heißt deren Vision. Ein Zitat: Zitator Der Leser erhält einen guten Eindruck von dem, was aus Sicht der Experten in Zukunft besonders bedeutsam sein wird... Die Ausblicke sind nicht spekulativ, sondern orientieren sich am aktuellen Wissensstand und Gene auf dem Teller (2) 2 verweisen auf das, was sehr wahrscheinlich eintreten wird.... Viel stärker als bisher wird die Biotechnologie ... Einzug in unseren Alltag halten. Sprecherin Im Alltag von heute sind die gentechnisch veränderten Organismen mit Eigenschaften ausgestattet, die in erster Linie für manche Produzenten, aber nicht für die Verbraucher attraktiv sind. Mitte der 1980er-Jahre brachten US-amerikanische Wissenschaftler den ersten transgenen Tabak aus dem Labor ins Freie. 20 Jahre später gibt es vier transgene Pflanzen, die in nennenswertem Umfang kommerziell angebaut werden: Soja und Mais, Baumwolle und Raps. Ihre Erbanlagen sind so verändert, dass sie entweder die Behandlung mit einem breit wirkenden Unkrautvernichtungsmittel unbeschadet überstehen, oder sie produzieren in ihren Zellen ein Insektenvernichtungsmittel, das sie vor Fraß schützt. In einigen Sorten sind beide Eigenschaften kombiniert. Beliebt sind sie in Europa nach wie vor nicht. Musikakzent Sprecherin Aber auch Pflanzen mit veränderten Inhaltsstoffen, die seit Jahren in der Entwicklung und im Versuchsanbau sind, stoßen bei Verbrauchern auf Vorbehalte. Angekündigt, aber noch nicht im Handel sind Nahrungsmittel mit angereicherten Nährstoffen: mit mehr Vitaminen, mit mehr essenziellen Aminosäuren, mit weniger belastenden Fettsäuren. Gentechnik–Kritiker bezweifeln, dass diese zweite Generation transgener Pflanzen gesundheitliche Vorzüge aufweisen wird. Ganz im Gegenteil, sagt Angela von Beesten, Ärztin für Homöopathie, Naturheilverfahren und Psychologie. Gene auf dem Teller (2) 3 Einblendung 1 II-41/v.Beesten Unterstellt wird, dass wir die Inhaltsstoffe substanziell sozusagen verbessern müssten, indem wir Vitamine hinzufügen, indem wir die Fettsäuremuster verändern usw., könnten wir für die Ernährung einen Gewinn erzielen. Aus der Erfahrungsheilkunde wissen wir, dass wir je naturbelassener die Lebensmittel sind umso größeren gesundheitlichen Nutzen haben. D.h. eine Ernährung, die vielfältig stattfindet mit naturbelassenen Lebensmittel mit möglichst nicht industriell bearbeiteten, die sind gesundheitszuträglich. Musik-Akzent Sprecherin Gentechnische Verfahren machen den Genaustausch über die natürlichen Grenzen hinweg möglich. Selbst die Kreuzungsbarriere zwischen Mensch und Fisch kann leicht übersprungen werden: Das menschliche Wachstumsgen kann einen Zuchtlachs acht mal größer werden lassen, als seine wilden Artgenossen. Wie sich die gentechnisch veränderten Pflanzen und Tiere langfristig auf Gesundheit und Umwelt auswirken, ist nicht bekannt. Langzeitstudien liegen so gut wie keine vor. Was auf internationaler Ebene vereinbart wurde, sind Rahmenregelungen, an denen sich die Sicherheitstests für gentechnisch veränderte Pflanzen oder Produkte orientieren sollen. Es gilt das so genannte Prinzip der substanziellen Äquivalenz. Zitator Die neuen Organismen oder Produkte dürfen sich nicht wesentlich von den traditionellen unterscheiden - hinsichtlich Zusammensetzung, Nährwert, Stoffwechsel sowie ihrem Gehalt an unerwünschten Stoffen. Sprecherin Standardverfahren, anhand derer die Sicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen oder Produkte geprüft werden könnte, gibt es bislang jedoch nicht. Gene auf dem Teller (2) 4 Jeder Konzern gestaltet die Sicherheitsstudien für seine Produkte nach eigenem Gutdünken. Es gibt lediglich Rahmenvereinbarungen, sagt Maria-Anna Schauzu vom Bundesamt für Risikobewertung: Einblendung 2 Schauzu /22 Vergleich der Inhaltsstoffe. Da gibt es von der OECD Papiere entwickelt, in welchen Pflanzen, welche relevanten Inhaltsstoffe enthalten sind. Eben toxische, anti-nutritive, aber auch allergene oder eben auch die für die Ernährung wertvollen. Die müssen alle verglichen werden, um festzustellen: Hat es unbeabsichtigte Veränderungen gegeben? Was weiß ich über die Pflanze, in der das neue Protein exprimiert wird? Sprecherin "Vorhersehbar ist nur die Unvorhersehbarkeit", meint Richard Firn von der Universität York sarkastisch. Der britische Biologe beschäftigt sich seit langen mit dem Stoffwechsel der Pflanzen, also mit dem Aufbau und Abbau von lebenswichtigen Inhaltsstoffen in den Pflanzenzellen. Gleiche Ausgangsbedingungen können ihm zufolge ganz unterschiedliche Resultate haben. Einblendung 3 / Richard Firn 28 The pathways are not all... high degree of unpredictability. Übersetzer Nicht alle Stoffwechselpfade sind gleich. Einige können viele Stoffe produzieren, andere produzieren nur einen Stoff. Unglücklicherweise kommen die nützlichsten biochemischen Stoffe in den Pflanze alle aus Stoffwechselpfaden, die viele verschiede Stoffe produzieren. Das heißt, wenn wir da herummanipulieren ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass wir nicht voraussagen können, was herauskommt. Gene auf dem Teller (2) Sprecherin 5 Zu den meist diskutierten Gesundheitsrisiken der Gentechnik gehören Allergien. Allergische Reaktionen auf Nahrungsmittel gehen hauptsächlich auf das Konto von Eiweißen, von Proteinen. Gut bekannt ist die allergische Wirkung von Paranüssen. Als 1996 ein Paranuss-Eiweiß auf Sojabohnen übertragen wurde, um deren Gehalt an bestimmten Aminosäure zu erhöhen, ging auch ein Allergen auf die Sojabohne über. Die Folgen wäre massive allergische Reaktionen gewesen, das Bohnen-Projekt hätte eingestellt werden müssen. Bevor neue Proteine durch Gentransfer in die Nahrungskette kommen, werden sie daher genau getestet. Maria-Anna Schauzu vom Bundesamt für Risikobewertung. Einblendung 4 Schauzu / 27 Man macht erst einen Vergleich z. B. des Proteins, der Aminosäuren des neuen Proteins mit bekannten Allergenen. Das kann man am Computer machen. Dann macht man einen zweiten Schritt: Abbaustudien unter Magen-Darm-Bedingungen. Der letzte Schritt ist dann das Tier. Sprecherin Ob das neue Eiweiß irgendwann einmal zum Allergieauslöser wird, lässt sich nicht voraussagen, das lässt sich nur durch Ausprobieren am lebenden Objekt nachweisen. Umstritten sind auch die so genannten Markergene. Da man nicht sehen kann, ob das erwünschte Gen in eine Pflanzenzelle eingeschleust wurde, wird zusätzlich ein Gen für eine Wiederstandsfähigkeit gegen ein Antibiotikum ins Erbgut eingeschleust. Anschließend werde alle Zellen mit Antibiotika beträufelt. Nur die widerstandsfähigen überstehen das, und das sind dann genau jene Zellen, die sowohl die Antibiotika-Resistenz als auch das erwünschte Gen in sich tragen. Gene auf dem Teller (2) 6 Einblendung 5 Schauzu 30 Also die kritische Frage ist ja immer: Was passiert, wenn sich ein solcher Antibiotikaresistenzmarker im pflanzlichen Material, was mit der Nahrung aufgenommen wird, wenn sich der jetzt im Magen-Darmtrakt auf pathogene Mikroorganismen überträgt? Die ja dann nicht mehr behandlungsfähig wären. Sprecherin Schon jetzt sind viele Antibiotika unwirksam, weil Bakterien resistent geworden sind. Antibiotika der Klasse 1 und 2 werden nur noch kombiniert angewendet. Zwar konnte eine Resistenzübertragung von der Pflanze auf ein Bakterium bisher nur unter Laborbedingungen nachgewiesen werden, aber der Gesetzgeber war dennoch alarmiert. Einblendung 6 Schauzu/ 34 Es gibt die Klasse 3 und das sind die therapeutisch relevanten Antibiotika und solche Resistenzmarker dürfen auf keinen Fall angewendet. Das ist ganz eindeutig Konsens und ich denke auch weltweit. Musik-Akzent Zitator Obst und Gemüse: Keine Gentechnik im Regal - Sprecherin - so informiert Anfang 2006 die Internetseite “transgen” vom Bundesverband kritischer Verbraucherinnen und Verbraucher. Zitator Keine Pflanze, die roh oder zubereitet als Lebensmittel verzehrt wird, gibt es in Deutschland bisher in gentechnisch veränderter Form zu kaufen. Äpfel und Auberginen, Erdbeeren und Melonen, Zucchini und Blumenkohl – Obst und Gemüse sind gentechnik-frei. Gene auf dem Teller (2) Sprecherin 7 Europas Verbraucher lehnen die so genannten transgenen Nahrungsmitteln noch immer ab. Um ihnen trotzdem den Zugang auf den europäischen Binnenmarkt zu verschaffen, hat die Politik entschieden, zwei parallele Produktionsketten einzurichten: Eine Kette mit Gentechnik und eine ohne. Seit 2004 sind in Deutschland die Kennzeichnungsregelungen in Kraft, die auf EU-Ebene ausgehandelt wurden. Seither müssen Nahrungsmittel als gentechnisch verändert gekennzeichnet sein, wenn sie ... Zitator ... zufällige oder technisch unvermeidbare Spuren von gentechnisch veränderten Organismen von mehr als 0,9 Prozent enthalten. Sprecherin Ein weißer Fleck in der Kennzeichnungslandschaft bleibt aber der große Bereich tierischer Produkte. Fleisch, Milch und Eier von Tieren, die mit gentechnisch veränderten Futtermitteln gefüttert wurden, sind ebenso wenig kennzeichnungspflichtig wie Honig und Hilfsstoffe, die bei der Verarbeitung gebraucht werden, im Lebensmittel selbst aber keine Funktion mehr haben. Z.B. Chymosin, das zur Käseherstellung verwendet wird. Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit entstehen neben den Lebensmittel-Pflanzen nun auch transgene Pharmapflanzen. Mikroorganismen, die Pharmazeutika produzieren, sind längst an der Tagesordnung. Insulin wird seit langer Zeit in Bakterienkulturen produziert. Unter Pharma-Pflanzen versteht man transgene Pflanzen, die nach einer gentechnischen Veränderung pharmakologisch wirksame Proteine, Impfstoffe, oder technische Werkstoffe herstellen - z.B. Rohmaterial für Gene auf dem Teller (2) 8 Kunststoffe. Hauptsächlich zwei Argumente werden für solche Pharmapflanzen angeführt: Manche pharmazeutisch wirksame Substanzen könnten preiswerter aus Pflanzen gewonnen werden statt – wie bisher – relativ aufwändig in einem chemischen Labor. Andere Substanzen werden heute aus tierischen oder menschlichen Zellkulturen gewonnen, was stets einen großen Aufwand erfordert, um die Übertragung zum Beispiel von Viren auszuschließen. Mit solchen Pharmapflanzen wird die Grenze zwischen medizinischer “roter” Gentechnik und landwirtschaftlicher “grüner” Gentechnik aufgehoben, denn Nahrungspflanzen können gleichzeitig Arzneimittel sein. So begrüßen die Befürworter dieser 3.Generation transgener Pflanzen z.B. die Aussicht auf Bananen, die einen Choleraimpfstoff produzieren. Dieser Impfstoff hätte den Vorteil, dass er bereits verpackt wäre - in der Bananenschale; dass er ein natürliches Ablaufdatum hätte – das Verfaulen der Banane; dass er einfach zu verabreichen wäre und umweltschonend dort hergestellt werden könnte, wo er gebraucht würde – auf der Südhalbkugel. Musik kurz hochziehen – und weg. Sprecherin Mit den so genannten Pharmapflanzen erreicht die Diskussion über die Risiken gentechnisch veränderter Kulturpflanzen eine neue Stufe: Es geht nicht mehr um die Fragen, wie eine gentechnisch veränderten Maissorte sich auf Gesundheit und Umwelt auswirkt. Was aber wären die Folgen, wenn Pharma-Mais in die Nahrungskette gelangen würde? Auch dafür hat die Industrie eine technische Lösung vorbereitet: Sie arbeitet an sterilen Pflanzen. Andreas Bauer vom Umweltinstitut in München beschreibt, wie der so genannte Terminator funktionieren soll. Gene auf dem Teller (2) 9 Einblendung 7 II-60 Indem die Pflanzen so gentechnisch verändert werden, dass sie sich kurz vor der Ausreifung des neuen Samens selbst umbringen. Die gentechnische Veränderung besteht in dem Fall darin, dass so genannte Genschalter eingebaut werden, die durch chemische Behandlung ...ausgelöst werden. Diese Genschalter und diese Chemikalien setzen eine Kettenreaktion in Gang, die letztlich dazu führt, dass sich der Embryo im Korn abgetötet wird. Sprecherin Mit diesem so genannten Terminator hätte die Industrie zugleich einen “biologischen Patentschutz” in der Hand. Bisher müssen Landwirte Lizenzgebühren bezahlen, wenn sie gentechnisch veränderte Sorten anbauen. Georg Janßen von der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft. Einblendung 8 II-29 Der Nachbau von Saatgut ist ein Jahrhunderte altes Recht in der ganzen Welt. Die Bauern und Bäuerinnen im Süden bauen zu 80 Prozent der Ernte wird nachgebaut. Hier in den Industrieländern sind es immerhin noch 40 bis 50 Prozent. Wenn das durchkommt, dann sind wir in der völligen Abhängigkeit von den großen Industriekonzernen, die vom Acker bis zum Teller die Produktion bestimmen wollen. Sprecherin ... und auch das Patenrecht auf ihrer Seite wissen. Kommen nach den Energiemonopolen jetzt die Saatgutmonopole? Eine internationale Kampagne macht sich dafür stark, dass die Terminator-Technologie weltweit geächtet wird. Ihr Motto heißt: “Freie Saat statt tote Ernte”.