Hessischer Rundfunk Hörfunk – Bildungsprogramm Redaktion: Karl-Heinz Wellmann WISSENSWERT Traditionelle Heilund Aromapflanzen Von Yvonne Mabille Sendung: 18.11.2004, 8:40 bis 8:55 Uhr, hr2 04-161 COPYRIGHT: Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt. Der Empfänger darf es nur zu privaten Zwecken benutzen. Jede andere Verwendung (z.B. Mitteilung, Vortrag oder Aufführung in der Öffentlichkeit, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verteilung oder Zurverfügungstellung in elektronischen Medien, Übersetzung) ist nur mit Zustimmung des Autors/ der Autoren zulässig. Die Verwendung zu Rundfunkzwecken bedarf der Genehmigung des Hessischen Rundfunks. 1 Musik Die Gregorianischen Gesänge: Choralschola der Capella Antiqua München, Philips 426838-2, CD 1, Schnitt 5, 0:01- 0:12 frei, dann darüber: Sprecherin Der Anbau von Heilkräutern lag im Mittelalter hauptsächlich in Händen der Mönche. In den Klöstern blühte die Gartenkunst, und die Heilkunst stützte sich auf die Klostermedizin. Als Kaiser Karl der Große per Verordnung bestimmte, welche Gemüse, welche Obstsorten und Kräuter auf seinen Ländereien angebaut werden sollten, war das echte Johanniskraut als Heilpflanze schon lange bekannt. Äußerlich und innerlich als Balsam oder Tee angewendet, sprach man den strahlend gelben Blüten sogar magische Kräfte zu, die gegen böse Geister helfen konnten. Regie Musik weg Sprecherin Mit botanischem Namen heißt Johanniskraut Hypericum perforatum – es öffnet seine Blüten im Juni zur Sonnenwende. Johanniskraut wirkt stärkend, schmerzstillend und entzündungshemmend, und es wird auch für Leber und Galle verordnet. Regelmäßig eingenommen, macht es die Haut lichtempfindlich: Dann ist Vorsicht vor Sonneneinwirkung geboten. Die Pflanze liebt es trocken und wächst gern an Wegrändern. Im Volksmund hat das Johanniskraut noch viele andere Namen: Zitator Hexenkraut, Johannisblut, Hartheu, Sonnwendkraut und Teufelsflucht. Sprecherin Genauer erforscht wurde die stimmungsaufhellende Wirkung des Johanniskrauts erst vor gut 150 Jahren. Bis heute wird das pflanzliche Antidepressivum sehr geschätzt, denn es hat weniger Nebenwirkungen als die meisten modernen Psychopharmaka. Zu seiner Wirkung auf die Psyche kann man schon in einer alten Handschrift folgendes lesen: Zitator So einer durch zauberische Liebe von Sinnen gekommen und unsinnig worden, dem kann man also helfen mit Johanniskraut anderthalb Hand voll / 2 edlen Dorant zwei Hand voll / und siedet dasselbige in drei Maß Wein / davon lass den Kranken trinken abends. Einblendung 1 I-17 Mautner Johanniskraut ist eine Arzneipflanze, die wirklich zum klassischen Arzneipflanzenschatz Mitteleuropas gehört. Wir können sagen, 2000 Jahre reicht ihre Anwendung zurück. Bei Karl dem Großen ist sie bekannt gewesen. Um 1400 gibt’s ein Kräuterbuch, da haben sie geschrieben: Wenn die Römer das Johanniskraut schon richtig gekannt hätten, dann hätten sie es Fugae daemonium genannt – Vertreib die Dämonen! Also, auch damals hat man bereits solche stimmungsrelevanten, antidepressiven Eigenschaften gekannt. Das Johanniskraut hat wunderbar funktioniert und funktioniert bis heute sehr, sehr gut. <Stimme oben!> Sprecherin Ulrich Mautner sitzt an der Quelle. Er ist Mitarbeiter von Salus. Der lateinische Firmenname „Salus“ bedeutet auf deutsch: Wohlsein und ist zugleich Programm. Seit bald 90 Jahren entwickelt der Familienbetrieb in Bruckmühl bei München Arzneien und Stärkungsmittel auf pflanzlicher Basis: Tees und Tinkturen, Tropfen und Dragees. Leiter der Forschungsabteilung bei Salus ist Rolf Franke. Einblendung 2 I-5 Franke Dieses Kräuterwissen ist von der Antike her auf uns überkommen, angereichert um neue Pflanzen, die mit dem Zeitalter der Eroberungen und Entdeckungen zu uns gekommen sind. Denken sie an die Kartoffel und viele andere Pflanzen. Oder die eben auch in viele andere Teile der Welt transferiert worden sind. <Stimme oben!> Sprecherin So eine Ausbreitung von Süden nach Norden erlebte im 20. Jahrhundert die Teufelskralle. Diese Pflanze gedeiht nur in der Kalahariwüste im südlichen Afrika und verdankt ihren Namen den spitzigen Dornen an ihren Früchten. Aus ihren kartoffelähnlichen Wurzelknollen wird ein Wirkstoff gewonnen, der sich bei rheumatischen Erkrankungen als schmerzlindernd und entzündungshemmend bewährt hat. Teufelskralle wird bei Salus zu Tee verarbeitet... (Text bitte ohne längere Pause weitersprechen) Atmo 1 II-11 Gehen / unter den Text der Sprecherin legen 3 Sprecherin ... wie man bei einem Rundgang durch Produktionshallen und Lagerräume erfahren kann. Atmo 1+2 (II-11) Gehen – Türrollen. Dann: (II-3) Mützen /Rascheln und Knistern Einblendung 3 I-69 /Mautner So, das sind Kopfmützen, die müssen wir aufsetzen, weil wir hier unter sogenannten GMP-Regularien wirken – die Good Manufacturing Practice, die „gute Herstellungsart“. Und da ist für den pharmazeutischen Bereich vorgeschrieben, dass man solche Barrieren hier zur Hygieneverbesserung einhält und dann tatsächlich von der Straßenkleidung sich hier entsprechend noch mal abschirmt. <Stimme oben!> Sprecherin Umfassende Hygienevorschriften, weitläufige Verarbeitungsräume, riesige Lagerhallen bis an die meterhohe Decke angefüllt mit Säcken, in denen Kräuter lagern – die Drogen also, wie die Heilkräuter im Fachjargon heißen. Pflanzen aus aller Welt, werden hier nach 250 Rezepturen zubereitet; zum Großteil werden sie biologisch angebaut. Einblendung 4 II-7 Hier riechen wir Pfefferminze...Hier haben wir eine absolute Rarität, das gibt es nur bei Salus: Wir haben hier zur Herstellung besonders qualitativ hoch gereinigter Drogen, haben wir hier noch mal Verlesebänder, wo Frauen noch mal die bereits schon sehr aufwendig vorsortierten Drogen noch mal auf Fremdbeimengungen auslesen <O-Ton reißt ab!> Atmo 3 Klack-klack der Messer einer Schneidemaschine 4 Sprecherin Das Zerkleinern der Pflanzen mit schweren Messern ist nur einer der vielen Verarbeitungsschritte, die hier vom Anliefern übers Auslesen, Zerkleinern und Sieben bis zum Abpacken und Lagern reichen. Bevor ein Produkt marktreif ist, können Jahre vergehen, erzählt Rolf Franke. Er ist bei Salus zuständig für Pflanzenbeschaffung, Züchtung und Anbau. Einblendung 5 I-23/ Rolf Franke Wenn man dann so eine neue Pflanze hat, wir heben ja nicht auf die Substanz ab, sondern auf die Pflanzen, dann ist es einfach so, dass bei uns natürlich die üblichen Laborarbeiten anlaufen. Man muss, wenn man es als Arznei in den Handel bringen will, muss man natürlich die Wirksamkeit, die Unbedenklichkeit sicherstellen. Also müssen dafür entsprechende Untersuchungen gemacht werden. Und dann geht es in den Bereich des Marketing. Es wird also geprüft, kann man das verkaufen, an welche Zielgruppe kann man’s verkaufen, in welchen Umfängen? Und es wird gleichzeitig auch geprüft, wie ist die Rohstoffsituation? Kann ich die Rohstoffsituation nachhaltig sicherstellen? Sprecherin Die Rohstoffsituation ist in vielen Fällen so kritisch, dass Naturschützer aktiv wurden. 4000 Pflanzenarten sind laut Weltnaturschutzunion vom Aussterben bedroht: Weil ihre natürlichen Lebensräume verschwinden, weil Wälder abgeholzt und Wiesen oder Küstenstreifen verbaut werden; weil die Pflanzen nicht schonend gesammelt und die Bestände daher übernutzt werden. Jahr für Jahr kommen weltweit 400 000 Tonnen pflanzliche Rohware in den Handel. Nicht alle werden zu Naturheilmitteln verarbeitet. Sie wandern auch in Kosmetika oder in Reinigungs- und Nahrungsergänzungsmittel. Das pflanzliche Ausgangsmaterial ist oft wesentlich preiswerter für die Hersteller als chemische Substanzen. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation WHO sind aber 80 Prozent der Weltbevölkerung nach wie vor auf Naturheilkunde und traditionelle Heilpflanzen angewiesen, weil sie keinen Zugang zu chemischen Pharmaprodukten haben oder weil sie diese nicht bezahlen können. Und in den Industrieländern erleben Naturheilkundeverfahren gerade eine Renaissance. Pauschale Sammelverbote sind jedoch keine Lösung, bestätigt auch Uwe Schippmann vom Bundesamt für Naturschutz in Bonn. 5 Einblendung 6 13/ Bundesamt für Naturschutz Es geht ja bei allen Bemühungen nicht darum, dort einen Riegel vorzuschieben und zu sagen: Oh, das ist aber ganz gefährlich, was hier passiert. Da darf keine Entnahme und kein Handel mehr erfolgen, sondern unser ganz klares Ziel ist, dass es weiter eine Nutzung geben muss zum Vorteil der Leute, die sammeln und dadurch ein Einkommen haben. Aber auch zum Vorteil der Pflanzenpopulationen, die nicht geschädigt werden sollen. Wir sind ganz sicher, dass es da einen Kompromiss gibt. Weil man kann diese Pflanze so sammeln, dass sie hinterher immer noch da ist. Sprecherin Nach diesem Konzept handeln die Naturschützer vom Amt, seitdem sie den sprunghaft angestiegenen Import von Teufelskralle nach Deutschland als ernsthaftes Problem erkannt haben: Von 50 Tonnen Anfang der 1990er Jahre erhöhte er sich auf fast 2000 Tonnen bis zum Jahr 2000. Darum nahm das Bundesamt Kontakt auf mit Partnerbehörden in Namibia und Südafrika – und tatsächlich stellte sich heraus, dass die massive Sammlung von Teufelskralle an einigen Sammelorten problematisch geworden war. Ein mehrjähriges Kooperationsprojekt zwischen dem Bundesamt, der Firma Salus und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, der GTZ, verfolgte eine Doppelstrategie, erinnert sich Rolf Franke. Einblendung 7 Franke /I-24 Bei uns war das so, dass wir gesagt haben: O.k., wir machen die Wildsammlung. Wir haben dann dieses gtz-Projekt gemacht, um ein Anbauverfahren zu entwickeln – denn das ist ja wie gesagt eine ganz neue Pflanze eigentlich – ein Anbauverfahren, was inzwischen gute Früchte trägt. Und wir haben gleichzeitig in einem zweiten Projekt mitgearbeitet, wo eine nachhaltige Wildsammlung organisiert worden ist. Um sozusagen sicherzustellen, auch wissenschaftlich betreut sicherzustellen, die Regeneration der Pflanze. Sprecherin Oft gelingt es nicht, Wildpflanzen zu zähmen und in den Anbau zu nehmen. Und selbst wenn es gelingt, ist das keine Garantie, dass die Wildformen erhalten bleiben, wie die Erfahrung lehrt. So wird der fernöstliche Ginseng seit 100 Jahren kultiviert. Trotzdem ist der Baum in der freien Natur ausgestorben, weil sein natürlicher Lebensraum nicht geschützt wurde. Hinzu kommt, dass das Sammeln von Wildkräutern in vielen Ländern ärmeren Bevölkerungsgruppen ihr Einkommen sichert. So sind es im südlichen Afrika hauptsächlich San, die Ureinwohner Südafrikas, die vom 6 Sammeln der Teufelskralle leben. Wenn die Pflanze in den Anbau kommt, verlieren sie dieses Einkommen. So steht für die Pflanzen und für die Sammler in vielen Regionen die Zukunft auf des Messers Schneide. Atmo 3 Klack-klack der Messer einer Schneidemaschine Einblendung 8 II-27/WWF Das ist ja der moderne Naturschutzansatz, also nachhaltige Nutzung ...mit drei Aspekten. Nämlich, es muss ökologisch sinnvoll, so dass also tatsächlich die natürlichen Ressourcen nachwachsen können. Es muss aber auch sozial verträglich sein, dass die Menschen, die beteiligt sind an der Sammlung, an der Nutzung ihr Einkommen bekommen, ihren Anteil bekommen. Und das beides funktioniert aber nur dann, wenn es auch einen ökonomischen Nutzen hat. Sprecherin Auch die internationale Naturschutzorganisation WWF benennt den Schutz der Heilpflanzen als eines ihrer Ziele. Susanne Honnef vom Artenschutzreferat des WWF betont die große Verantwortung Deutschlands für den Erhalt der Pflanzen. Einblendung 9 (hinter II-30) Es ist sehr wenigen Menschen bewusst, aber wir sind im weltweiten Handel viertgrößter Importeur von Heilpflanzen-Rohwaren und auch viertgrößter Exporteur. Von etwa 400 000 Tonnen Heilpflanzenrohware, die jährlich gehandelt werden, kommen allein nach Europa 120 000 Tonnen und davon wieder der Bärenanteil nach Deutschland. Also in Europa sind wir die absolute Nummer 1. Sprecherin Der WWF hat begonnen, konkrete Praxisstandards und Durchführungskriterien für die nachhaltige Nutzung von Heilpflanzen zu erarbeiten, zusammen mit dem Bundesamt für Naturschutz und der Weltnaturschutzorganisation; vergleichbar mit den Standards für nachhaltige Forstbewirtschaftung oder ökologische Landwirtschaft. Ein erster Schritt sei es, die vorhandenen Bestände im Herkunftsland zu prüfen, sagt Susanne Honnef. 7 Einblendung 10 II-36 Was ist überhaupt da? Zu gucken, wie kann ich eine bestimmte Pflanze nachhaltig nutzen? Im Falle der Teufelskralle ist es, indem man nur einen Teil der Wurzel entnimmt. In anderen Fällen kann es sein, dass man eben die Blätter besonders schonend entnimmt. Bis aber auch dahingehend, dass man sagt: Wie müssen die Sammler sich organisieren, um für sich auch möglichst viel rauszuholen, aus dem Handel mit den Pflanzen und somit auch den Wert darin zu sehen, die Ressource schonend zu behandeln. Sprecherin Schonende Sammelweisen könnten gezielt an Sammler weitervermittelt werden, zumal an Neulinge, die nicht zu den traditionellen Sammlern gehören. Vor allem aber bräuchten sie mehr Planungssicherheit, um den Fortbestand der Pflanzen und das eigene Überleben langfristig sichern zu können. Die aktuelle Praxis lässt das aber oft nicht zu. Einblendung 11 II-53/ WWF Das Problem derzeit ist, dass häufig Ankäufer in Regionen reingehen und sagen: Wir brauchen in 3 Wochen, in 6 Wochen so und soviel Tonnen Rohware, und dass diese dann dort beschafft wird, weil man erst mal sich darum kümmert, die Existenz für jetzt zu sichern und nicht so sehr darüber nachdenkt, was nächstes Jahr ist. Und das ist eine Verantwortung, die sehen wir bei den Unternehmen, bei den Händlern, die diese Nachfrage nach Rohwaren haben. Da muss von der Seite etwas passieren. Sprecherin Weltweiter marktführend ist die Martin Bauer Gruppe – früher ein kleiner Familienbetrieb im Frankenland, heute beinahe globaler Monopolist mit Filialen in aller Welt. Der WWF bemüht sich um Kooperation mit dem Riesen und hofft, ihn für die Umsetzung der geplanten Standards zu gewinnen. Denn wenn bedrohte Pflanzen künftig gedeihen und zur naturheilkundlichen Nutzung bereitstehen sollen, müssen alle Beteiligten am gleichen Strang ziehen. In Deutschland wurde ein erster Schritt dazu bei der Expo 2000 gemacht: Dort gründete sich die „Arbeitsgemeinschaft Medizin und Artenschutz“ – ein runder Tisch, an dem Industrievertreter, Händler, Naturschützer und Regierungsvertreter nach Lösungen suchen. 8 Einblendung 12 WWF/ II-32 Der Verbraucher ist im Moment noch nicht in einer besonders guten Position zu wählen. Er hat leider nicht die Möglichkeit zu sagen: Ich wähle dieses Produkt, weil es aus nachhaltiger Produktion kommt. Sprecherin Gleichwohl rät der WWF, wo immer möglich beim Einkauf nachzufragen, unter welchen Bedingungen die Ware gesammelt wurde, denn schon derartige Fragen können langfristig ein Beitrag zum Erhalt der Vielfalt der Heil- und Aromapflanzen bei uns und anderswo sein – auf dass die Teufelskralle, aber auch Adonisröschen, gelber Enzian und Schlüsselblume auch in Zukunft noch blühen.