Antidiskriminierung nach EU-Recht und deutsches Recht von Eberhard Eichenhofer, Jena I. Einleitung Nach Art. 13 des Vertrages über die Europäische Gemeinschaft (EG-Vertrag) darf die Europäische Gemeinschaft (EG) „geeignete Vorkehrungen treffen, um Diskriminierungen aus Gründen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung zu bekämpfen“1. Auf dieser Grundlage verabschiedete der Rat die Richtlinien (RL) 2000/432 und 2000/783. Die erste („Anti-Rassismus-RL“) bezweckt_ die Gleichbehandlung aller Menschen ohne Unterschied der Rasse und der ethnischen Herkunft, die zweite („RahmenRL“) erging „zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf“. 2002 beriet die Öffentlichkeit einen Gesetzes-Entwurf4 zur Umsetzung der Antirassismus-RL in deutsches Recht. Er wollte das Schikaneverbot nach § 226 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) um die in Art. 13 EG-Vertrag aufgeführten Diskriminierungsgründe erweitern und zugunsten der darin aufgeführten Gruppen potentieller Diskriminierung ein allgemeines Benachteiligungsverbot bei Begründung, Ausgestaltung, Durchführung und Beendigung von Verträgen über die Beschaffung von Waren und Diensten, Beschäftigung, Wohnung und Bildung vorsehen (§ 319 a BGB-Entwurf (E)). Ferner sollte jede unmittelbare wie mittelbare Diskriminierung wegen der inkriminierten Umstände (§ 319 b BGB-E) untersagt und bei Vorliegen von auf Diskriminierungsumstände hindeutenden Tatsachen die widerlegbare Vermutung der Diskriminierung begründet sein (§ 319 c BGB-E). Er erlaubte indes bei sachlicher Rechtfertigung eine Differenzierung auf der Basis der inkriminierten Umstände (§ 319 d BGB-E) und begründete schließlich Beseitigungs- und Schadenersatzansprüche bei Diskriminierungen (§ 319 e BGB-E). 1 2 3 4 Mark Bell, Antidiscrimination Law, Oxford University Press, 2002, p.121 ss; Streinz, in ders., EUV/ EGV, 2003, Art. 13 EGV, Rn. 18 f. Vom 29. Juni 2000 (ABl. L 180/22 vom 19.7.2000). Vom 27. November 2000 (ABl. L 303/16 vom 2.12.2000). Diskussionsentwurf des Bundesministeriums der Justiz vom 10.12.2001. Dem Entwurf wurde in der Öffentlichkeit wie der Fachöffentlichkeit5 massive Kritik entgegengebracht. Die Heftigkeit der Gegenreaktionen begründete die Sorge, dass das mit dem Entwurf verfolgte Anliegen eher Schaden nehme, als daraus Nutzen erwachse. Diese Schwierigkeiten sind jedoch europarechtlich unbeachtlich. 2003 lief die Umsetzungsfrist für die beiden RLen – abgesehen von Sonderregeln wegen der Diskriminierungsgründe bei Alter und Behinderung (bis 2006 umzusetzen) – ab, ohne dass ein neuerlicher Anlauf zu einer umfassenden Anti-Diskriminierungsgesetzgebung unternommen wurde. Dieses wäre unbedenklich, falls bereits das geltende Recht den Anforderungen der RLen genügte (II). Wäre dies jedoch zu verneinen, so ist zu erörtern, ob sich die Diskriminierungsverbote mit den Freiheitsrechten – namentlich der Privatautonomie – vereinbaren lassen (III). Weiter ist fraglich, in welcher Weise die Diskriminierungsverbote in deutsches Recht umzusetzen sind (IV, V). II. Schutz vor Diskriminierungen nach geltendem Recht 1. Geltendes Recht a) Verfassungsrecht Beginnend mit dem Augsburger Religionsfrieden6 besteht in Deutschland eine gefestigte Rechtstradition im Umgang mit religiösen, weltanschaulichen und landsmannschaftlichen Minderheiten. Art. 3 Abs. 3 Satz 1 Grundgesetz (GG) verbietet jegliche Diskriminierung aufgrund des Geschlechts, der Abstammung und Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, des Glaubens, der religiösen oder politischen Anschauungen. Ferner gelten die Grundsätze: „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) und „der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ (Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG). Diese Verfassungsgebote binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht (Art. 1 Abs. 3 GG). Die genannten Gebote sind daher sowohl im öffentlichen Recht – namentlich auch dem öffentliche Leistungsgewährung regelnden 5 6 Baer, ZRP 2002, 291; Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001; Johann Braun, Übrigens – Deutschland wird wieder totalitär, JuS 2002, 424; Neuner, JZ 2003, 57; Picker, JZ 2002, 880; Schiek, in Rust u.a., Die Gleichbehandlungsrichtlinie und ihre Umsetzung in Deutschland, 2003, 129, 138. Dazu Stolleis, Reformation und öffentliches Recht in Deutschland, Der Staat 24 (1985), 51 ff.; Eberhard Schmidt-Aßmann, in Isensee/Kirchof (Hg.), HdB Staatsrecht, 1987, Band 1 - § 24, nicht in der Anerkennung unterschiedlicher Konfessionen und der Verankerung des Prinzips: Cuius regio – eius religio ein Fundament des Rechtsstaats. 2 Sozialrecht – als auch im Privatrecht zu beachten.7 Die Diskriminierungsverbote und Förderungsgebote wirken jedenfalls – nach der Lehre von der mittelbaren Wirkung der Grundrechte über die ausfüllungsbedürftigen normativen Tatbestandsmerkmale der Privatrechtsnormen – etwa dem Schikane-Verbot (§ 226 BGB), der Nichtigkeit sittenwidriger Rechtsgeschäfte (§ 138 BGB), der deliktischen Schadenersatzpflicht für die vorsätzliche sittenwidrige Schädigung (§ 826 BGB) oder das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) auf die Privatrechtsordnung ein. b) Völker- und Europarecht Darüber hinaus ist Deutschland vielfältig in die internationale Rechtsordnung einbezogen. Daraus erwachsen Pflichten zum Schutz der Menschenrechte, insbesondere aufgrund der beiden Menschenrechtspakte der Vereinten Nationen (VN)8 über die bürgerlichen und politischen Rechte sowie die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Auf der Ebene der Vereinten Nationen gilt ferner das Anti-Rassismus-Abkommen,9 dem Deutschland beigetreten ist und mit der Ratifikation Teil des deutschen Rechts wurde. Das Übereinkommen Nr. 11110 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) verpflichtet Deutschland zur Schaffung einer Arbeits- und Sozialrechtsordnung frei von Diskriminierungen. Art. 14 EMRK untersagt bei dem Genuss der Konventionsfreiheiten jede Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, politischen oder sonstigen Anschauung, nationalen und sozialen Herkunft, Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status.11 In Art. 21 der Grundrechtecharta der Europäischen Union (EU) sind Diskriminierungsverbote formuliert, die sich an den in Art. 13 EG-Vertrag erfassten Tatbeständen wesentlich orientieren 12 Die international anerkannten Diskriminierungsverbote sind auch in Deutschland anzuwenden und durchzusetzen. 7 8 9 10 11 BVerfGE 89, 214, 232 ff; Claus-Wilhelm Canaris, Grundrechte und Privatrecht, 1999; ders., AcP 200 (2000), 273, 295 ff. Karl Doehring, Völkerrecht, 1999, § 20 Rn. 967, 987 f.: ius cogens; Kay Hailbronner, Der Staat und der Einzelne als Völkerrechtssubjekt, in Graf Vitzthum (Hg.), Völkerrecht, 2001, S. 161, Tz. 247 ff. Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7.3.1966 (BGBl. 1969 II, 961), dazu Knut Ipsen, Völkerrecht, 1999, § 48 Rn. 21, Art. 2 dieses Abkommen verpflichtet die Staaten zu aktiven Bekämpfung des Rassismus. Vom 25.6.1958, BGBl. 1961 II, 97; Übereinkommen Nr. 111, in IAO (Hg.), Übereinkommen und Empfehlungen 1919-1991, Band 1, S. 1103. Vgl. Art. 1 Prot. Nr.12 zur EMRK, der ein generelles Diskriminierungsverbot formuliert (vgl. dazu MeyerLadewig, EMRK, 2002, Art. 14 Rn. 3 ff., 6 ff.). 3 c) Historische Erfahrung Darüber hinaus hat Deutschland im 20. Jahrhundert während der NS-Zeit, Diskriminierungen aus rassischen, religiösen, weltanschaulichen Gründen, wegen einer Behinderung, des Geschlechts oder der sexuellen Ausrichtung praktiziert. Auch in der DDR wurden Menschen wegen ihrer Religion oder politischen Überzeugung gesellschaftlich geächtet und politisch verfolgt. In Fortführung der unrühmlichen Tradition der „Fremdarbeiter“-Beschäftigung nach heutigen Maßstäben verfassungs- wie völkerrechtswidrige Zwangsarbeit13 - lebten aus „Bruderstaaten“ stammende in der DDR Beschäftigte kaserniert und isoliert am Rande der Gesellschaft. Das wiedervereinigte Deutschland hat also eine gefestigte leidvolle Erfahrung mit vielfältigen Erscheinungen von Diskriminierung. Es gehört daher zum Grund-, weil Gründungskonsens der Bundesrepublik Deutschland, allen Menschen – ohne Ansehen der Person – die elementaren Menschen- und Freiheitsrechte zu gewähren und gewährleisten. Deutschland hat also zur Thematik Diskriminierung einen klaren, eindeutigen Zugang: Diskriminierungen sind die Herrschaftsinstrumente totalitärer Regime. Diesen ist die offene Gesellschaft entgegenzusetzen, in der alle Menschen als Freie und Gleiche einander begegnen und miteinander zusammenarbeiten sollen. 2. Reicht der vorhandene Normenbestand zur Erfüllung des Richtlinienauftrages aus? a) Das Bekenntnis zur Nichtdiskriminierung genügt nicht Ausweislich ihrer Erwägungsgründe14 nehmen die beiden Richtlinien (Rlen) die genannten internationalrechtlichen Gewährleistungen der Diskriminierungsverbote als gemeinsames völkerrechtliches Fundament sämtlicher Mitgliedstaaten an, lassen es bei der Anerkennung der darin enthaltenen abstrakten Rechtsgrundsätze jedoch nicht bewenden. Die RLen präzisieren vielmehr den Tatbestand der Diskriminierung, untersagen jede unmittelbare und mittelbare Diskriminierung. Sie gebieten den Schutz potentieller Diskriminierungsopfer vor Belästigungen, regeln den Rechtsschutz, die Beweislastverteilung zum Nachweis einer Diskriminierung, den Schutz vor Viktimisierung, die Unterrichtung der Allgemeinheit, Einbeziehung von Sozialpartnern und Nichtregierungsorganisationen in die Verwirklichung 12 Hölscheidt, in Jürgen Meyer, Kommentar zur Charta der Grundrechte der EU, 2003, Art. 21 Rn. 27 ff.; Matthias Mahlmann, in Rust, Anm. 5, 47, 52; Streinz, Anm. 1, Art. 13 EGV, Rn. 9. 13 4 der Diskriminierungsverbote und sehen deren administrative Kontrolle und wirksame Sanktionierungen bei Verstößen vor. Die RLen setzen also Verletzungen der Diskriminierungsverbote voraus und entwickeln Maßnahmen für die Sanktionierung der Normverletzung. Es genügt mithin nicht, dass sich die einzelnen Mitgliedstaaten zu den vielen international anerkannten Diskriminierungsverboten förmlich bekennen. 14 Erwägungsgründe (3) RL 2000/43/EG; (4) RL 2000/78/EG. 5 b) Die Pflichten im einzelnen Die RLen gehen über diese Zielsetzung hinaus und verlangen „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung … im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.15 Die Staaten sind danach angehalten, zur Sicherung der Gleichbehandlung aktive Maßnahmen gegen einzelne Diskriminierungsakte zu ergreifen. Deshalb wird der Diskriminierungsopfern gewährleistete Rechtsschutz ergänzt um Beteiligungsrechte für Verbände, Organisationen und andere juristische Personen, die ein rechtmäßiges Interesse an der Einhaltung von Diskriminierungsverboten haben. Diese sollen entweder stellvertretend für die Opfer oder mit Billigung und im Zusammenwirken mit diesen Ansprüche geltend machen können. Der Schutz vor Viktimisierung bedeutet, bei Wahrnehmung von Klagebefugnissen wegen Diskriminierungen nicht gemaßregelt zu werden. Die Mitgliedstaaten haben die Berechtigten am Arbeitsplatz über die geltenden Vorschriften und die ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten. Die zur arbeitsrechtlichen Normsetzung berufenen Betriebs- und Tarifpartner sind durch die Mitgliedstaaten auf den Schutz vor Diskriminierungen zu verpflichten. Nichtregierungsorganisationen die dem Schutz vor Diskriminierungen verpflichtet sind, müssen durch die Mitgliedstaaten anerkannt und beteiligt und Verstöße gegen die Pflichten zum Schutz vor Diskriminierungen wirkungsvoll sanktioniert werden. Einzelne Diskriminierungsakte können auch Schadensersatzleistungen an die Opfer umfassen. Die Diskriminierungen aus den in Art. 13 EG-Vertrag genannten Gründen sind daher durch rechtseigene Maßnahmen effektiv – d.h. durch Sanktionierung zu unterbinden. c) § 75 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) Die in den RLen geforderten vielfältigen und differenzierten rechtlichen Garantien weist das geltende deutsche Recht nur in Ansätzen auf. Für die Beschäftigten gilt zwar das allgemeine Verbot der Diskriminierung nach § 75 BetrVG. Dessen Anwendbarkeit auf die Einstellung von Arbeitnehmern ist Betriebsverfassungsrecht aber keine nicht eindeutig16 Regelung für Diskriminierungsverbots. 15 Art. 1 RL 2000/43/EG; Art. 1 RL 2000/78/EG. 6 geklärt. den Fall Außerdem der enthält Verletzung das dieses 16 Alle – aber auch nur die – Beschäftigten: Fitting, BetrVerfG, 2002 (21. Aufl.), § 75 Rn. 10 f.; Richardi, BetrVG, 2002 (8. Aufl.), § 75 Rn. 7; aA Galperin-Löwisch, BetrVerfR, § 75 Rn. 5; Zöllner, Gutachten 52. DJT D 81 (auch Einstellung). 7 3. Einzelne ausgearbeitete Diskriminierungsverbote a) Schutz behinderter Menschen Weit gediehen ist in Deutschland der Schutz behinderter Menschen. In einem Volk, das zwei Weltkriege erleiden musste, in deren Folge Millionen junger Menschen in ihrer Erwerbsfähigkeit gravierend beeinträchtigt wurden, hat der Schutz und die Förderung behinderter Menschen eine gefestigte Tradition.17Die im Sozialgesetzbuch IX (SGB IX) niedergelegte Behinderten-Gesetzgebung18 setzt durch zahlreiche Bestimmungen19 die in der RahmenRL getroffenen Schutzpflichten um.20 Danach sind Arbeitgeber mit mehr als 20 Beschäftigten gehalten, 5 %21 Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten zu besetzen. Darüber hinaus hat der Arbeitgeber unter den zu beschäftigenden schwerbehinderten Arbeitnehmern, Arbeitnehmer mit besonderen Benachteiligungen bevorzugt zu berücksichtigen (Art. 72 SGB IX). Arbeitgeber, die dieser Pflicht nicht nachkommen, schulden eine an das Intergrationsamt zu entrichtende Ausgleichsabgabe. Deren Höhe hängt vom Maß der Unterschreitung der Beschäftigungsquote ab. Schwerbehinderte Menschen erhalten Arbeitsentgelt ohne Anrechnung der ergänzend gewährten Sozialleistungen (§ 122 SGB IX), sind von der Pflicht zur Mehrarbeit generell ausgenommen (§ 124 SGB IX), erhalten Zusatzurlaub (§ 125 SGB IX) und dürfen wegen ihrer Behinderung bei Beschäftigung und Ausbildung nicht benachteiligt werden (§ 81 Abs. 2 SGB IX). Sie können Beschäftigung, Weiterbildung und die behindertengerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen und Arbeitsorganisation verlangen (§ 81 Abs. 3 SGB IX). Arbeitgeberund Schwerbehindertenvertretung haben eine Integrationsvereinbarung abzuschließen,22 welche die Berücksichtigung der Behindertenbelange im Betrieb sichern und alle Einzelheiten der behindertengerechten Regelung der Arbeit konkret normieren soll (§ 83 Abs. 2 SGB IX). Die behinderten Menschen genießen Sonderkündigungsschutz (§§ 85 ff. SGB IX). 17 18 19 20 21 Michael Stolleis, Geschichte des Sozialrechts in Deutschland, 2003, 238 ff.; Zacher, Bd. 1, 2002, … Dazu Klaus Lachwitz/Walter Schellhorn/Felix Welti (Hg.), SGB IX, 2002; Pitschas, SGb 2003, 65; Volker Neumann, Handbuch Rehabilitation und Teilhabe, 2003. Ulrike Davy, in Deutscher Sozialrechtsverband, Die Behinderten in der sozialen Sicherung, 2001; Moritz, ZfSH/SGB 2002, 204 ff. Wolfhard Kohte, Die Verantwortung für Prävention im Arbeitsleben von Arbeitgebern, Rehabilitationsträgern und Integrationsamt, in: Gerhard Igl/Felix Welti/Dagmar Felix (Hg.), Gesundheitliche Prävention im Sozialrecht, 2003, 107 ff. Oder falls die Arbeitslosigkeit der Behinderten überdurchschnittlich hoch bleibt, ab dem 1.1.2003 der 6 %. 8 Das deutsche Behindertenrecht wird den in der RahmenRL getroffenen Anforderungen weitgehend gerecht.23 Es enthält Regeln, welche den behinderten gegenüber den nichtbehinderten Arbeitnehmern zwar Vorteile sichern; diese sollen aber die auf die Behinderung zurückzuführenden Nachteile ausgleichen. Sie werden damit durch den in Art. 5 RahmenRL enthaltenen Förderauftrag legitimiert. Man mag streiten, ob der Schutz der behinderten Menschen deren Beschäftigungschancen förderlich ist. Es ist eine allgemeine und grundsätzliche Frage der Sozialpolitik, ob Schutzregeln für typisch Benachteiligte diesen letztlich nützen oder – da sie den Arbeitgeber belasten24 – den Zugang Benachteiligter zu Arbeitsplätzen erschweren.25 Die EG-rechtlichen Anforderungen sind aber gewahrt. Der Rechtsschutz ist umfassend gewährleistet, die Beweislast ist in § 81 Abs. 2 Nr. 1 SGB IX dahin geregelt, dass den Arbeitgeber bei dem objektiv begründeten Anschein einer Diskriminierung eines behinderten Menschen die Nachweislast trifft, einen Beschäftigten nicht wegen seiner Behinderung zu benachteiligen. Ein Schutz vor Viktimisierung ist ebenso gesichert, wie die Mitwirkung der Behindertenorganisationen im Rahmen des Integrationsamtes, dessen beratendem Ausschuss sie anzugehören haben (§ 3 SGB IX). Noch zu schaffen ist allerdings der Schutz Behinderter vor Belästigungen. Des weiteren ist der Begriff der Behinderung des Gemeinschaftsrechts weiter als derjenige des deutschen Rechts. Hieraus mögen sich weitere Anpassungsnotwendigkeiten des deutschen Behindertenrechts an den europäischen Rechtszustand ergeben. Sie berühren den grundsätzlich bereits heute bestehenden Einklang von deutschen und EU-Recht jedoch nicht. b) Schutz vor rassischer und ethnischer Verfolgung Für den Schutz rassisch Verfolgter musste Deutschland wegen seiner jüngeren Geschichte besondere Regelungen aufweisen. In der Tat ist die Leugnung des Holocausts und die Herabsetzung der „Juden“ als Gruppe nach § 130 Strafgesetzbuch (StGB) wegen 22 23 24 25 Silke Ruth Laskowski/Felix Welti, Positive Maßnahmen als Option: Integrationsvereinbarungen nach § 83 SGB IX als Lehrbeispiel?, in Rust/Däubler u.a., Anm. 5, 261, 277. Umsetzungsprobleme sind allerdings weit verbreitet: Keyvan Danesch, Justitia und andere Blinde, in: DIE ZEIT 9.10.2003, 20. Zgl. Zu dieser Problematik BVerfG 18.11.2003 – 1 BvR 302/96 mit Anm. Eichenhofer, BB 2004, 47, 50 f. Alternative ist die Entlastung des Privatrechts von Aufgaben sozialen Schutzes und deren Übertragung auf Einrichtungen sozialer Sicherheit (grundlegend: Hans F. Zacher, Zur Anatomie des Sozialrechts, in ders., Abhandlungen zum Sozialrecht, 1993. 9 Volksverhetzung26 strafbar. Außerdem sieht das Bundesentschädigungsgesetz (BEG) die Entschädigung der wegen ihrer religiösen oder politischen Überzeugung während der NS-Zeit Verfolgten vor. Aber das deutsche Recht kennt kein allgemeines Verbot rassistischer - d.h. an äußerlichen Merkmalen geknüpfter - Zuschreibungen oder Unterscheidungen.27 Auch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verwirft nur eine rassistische Regelung oder Praxis als nichtig, sieht aber keine weiteren Vorkehrungen gegen ihr Vorkommen und keinerlei Sanktionen bei ihrer Verletzung vor. c) Religion Auch hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung wegen der Religion ist der Hinweis auf das gedankliche Fundament von Religionsfreiheit gestattet, welches John Locke bereits 1685/6 mit seinem „Letter Concerning Tolerance“28 legte. Glaubensfreiheit erschöpft sich danach nicht in dem Recht, einen Glauben zu haben, sondern umschließt das Recht, im Einklang mit anderen den eigenen Glauben im öffentlichen Raum zu praktizieren. Freiheit der Religion bedeutet seit- und daher, die Speise-, Arbeits- und Ruhe – sowie Bekleidungsgebote der eigenen Religion zu befolgen und einzuhalten – einerlei, ob diese den Traditionen der Christenheit, des Judentums, des Islam oder einer anderen Religion entsprechen. Das Gebot der Achtung der religiösen Überzeugung eines jeden ist nach den Diskriminierungsverboten des Gemeinschaftsrechts also nicht auf die Angehörigen der Mehrheitsreligion zu beschränken. 4. Gehalt gemeinschaftlicher Diskriminierungsverbote a) Der europarechtliche Auftrag Auf dem Prüfstand des Europarechts verfangen die Bedenken gegen Diskriminierungsverbote nach innerstaatlichem Recht freilich nicht. Ihr Inhalt liegt fest. Die RLen haben ein gefestigtes Fundament in Art. 13 EG-Vertrag. Die in Deutschland vorherrschenden Bedenken bestehen 26 27 28 Eine Norm, die zentral rechtsextremistische und nazistische Propaganda und Verhaltensweisen poenalisiert: Lencker, in Schönke-Schröder, StGB, 2001, 26 Aufl., § 130 Rn. 1 ff., 7 (Auschwitzlüge). Guild, 29 (2000) ILJ 416, 418 immutable characterististics approach. John Locke, Ein Brief über Toleranz, Englisch- Deutsch, 1996: “The care of souls cannot belong to the civil magistrate” ,,because his power consists only in outward fora: but true and saving religion consists in the inward persuasion of the mind” (14); “all men know and acknowledge that God ought to be physically worshipped … Men, therefore, constituted in this liberty, are to enter into some religious society“ (54). 10 auch andernorts; dennoch nahmen es manche Gesetzgebungen anderer Staaten auf sich, die Diskriminierungsverbote umzusetzen. Die RLen gehen über den Stand der bereits seit Jahrzehnten anerkannten nationalen und internationalen Diskriminierungsverbote hinaus, weil sie einen „allgemeinen Rahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung“29 aus den in Art. 13 EG-Vertrag aufgeführten Gründen schaffen. Die Menschenrechte sollen also nicht durch einen primär permissiven Staat beachtet werden. Die Mitgliedstaaten sollen durch die RLen vielmehr dazu gebracht werden, die Gleichheit aller und damit Bedingungen der Möglichkeit zur Entfaltung der Menschenrechte für alle zu schaffen und zu gewährleisten. Die RLen wenden sich damit an den Staat als den zentralen gesellschaftspolitischen Akteur. Dieser wird nicht als Garant individueller, als vorstaatlich gedachter natürlicher Freiheiten verstanden, sondern als der zur Sozialgestaltung ermächtigte, wie berufene Sozialstaat angesprochen30und in zahlreichen Handlungsgeboten höchst differenziert in die Pflicht genommen. b) Der Traditionsbestand Deswegen werden die Mitgliedstaaten angehalten, sich aktiv schützend – Diskriminierungen „bekämpfend“ – vor Menschen zu stellen, die hergebracht oder gegenwärtig Opfer sozialer Ausgrenzung und Zurücksetzung geworden sind oder werden: Frauen, Angehörige religiöser Minderheiten, Freidenker, Junge oder Alte, behinderte oder homosexuelle Menschen. Die traditionell marginalisierten Gruppen zum tätigen Gebrauch der für alle gleichen Menschenrechte durch Einsatz der in den RLen im einzelnen detailliert aufgeführten Instrumente zu befähigen, ist deren Anliegen. Sie stellen sich damit gegen seit Jahrhunderte tradierte geistige und soziale Orientierungen: Das Eigene gegen das Fremde, das Gesunde gegen das Kranke, das Männliche gegen das Weibliche, das Rechtgläubige gegen das Heidnische, das gottgefällige, im Dienst der Fortpflanzung der Menschheit stehende Eheleben gegen die als Perversion geächtete sexuelle Ausschweifung zu setzen, dies entsprach bis in die jüngste Vergangenheit den sozial üblichen Orientierungsalternativen. c) 29 30 Universalität der Menschenrechte und Diskriminierungsverbote Art. 1 RL 2000/43; Art. 1 RL 2000/ 78. Mark Bell, Anm. 1,: „the social citizenship model will not only legitimise, but will also promote further integration“ (14), “anti-discrimination law has been a central element of social policy from the earliest stage of European integration„ (32), Art. 13 EC „now forms a core component of the essential social objectives of the Union“ (121). 11 Die RLen zielen gegen den Versuch, soziale Identifikation durch die soziale Exklusion Marginalisierter zu stiften. Diese Bemühungen lassen sich als die unmittelbare Folgerung aus der Universalität der Menschenrechte sowie einem angemessenen Verständnis von Gleichheit verstehen, demzufolge Gleichheit stets das Absehen von tatsächlich vorhandener Ungleichheit31 ist. Die Menschenrechte bezwecken nicht, die Gleichheit aller Gleichartiger zu gewährleisten, sondern die Gleichartigkeit der Lebensbedingungen angesichts der Verschiedenartigkeit der Menschen zu verwirklichen. Sie wollen damit einem Gesellschaftsentwurf zum Durchbruch verhelfen, den der israelische Sozialphilosoph Avishai Margalit32 als die „anständige Gesellschaft“ (decent society) beschreibt. Sie bezeichnet eine Gesellschaft, in der die Menschen in ihrer von Natur und Kultur aus begründeten Verschiedenheit gleichwertige gesellschaftliche und rechtliche Bedingungen vorfinden, die allen ein Leben in Würde und ohne rassistische, sexistische, xenophobe, religiöse Zurücksetzung ermöglicht. Dieser Ansatz widersteht jeder Permissivität gegenüber Herabsetzungen von Menschen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu marginalisierten Gruppen. Der als „enabling state“ oder „activating welfare state“ agierende auf die Ermöglichung konkreter Freiheiten zielende Staat33 wird mithin in die Pflicht genommen. III. Diskriminierungsverbote und Freiheitsgarantien 1. Der aktivierende sozial gestaltende = verhaltensändernde Staat Der sich im „Kampf“ gegen Diskriminierungen mit Rechtsregeln an die soziale Gestaltung der Gesellschaft begebende Staat möchte historisch überkommene Verhaltensmuster überwinden. Er begibt sich daran, die Einstellungen und Werthaltungen der Menschen zu verändern, welche traditionelle soziale Orientierungen darstellen. Der Staat wird damit zum praeceptor einer neuen Sozialmoral. Ein solcher Versuch bedarf der Legitimation vor den Menschenrechten. Matthias Mahlmann 34 betont zu Recht: “Ein grundsätzliches Problem des Anti-Diskriminierungsrechts besteht darin, einerseits bestimmte Diskriminierungen nicht zuzulassen, andererseits aber das zentrale Gebot gesellschaftlicher Freiheit nicht übermäßig einzuschränken“. Der Streit um die Anti-DiskriminierungsRLen wird von deren Kritikern im 31 32 33 34 Radbruch, Rechtsphilosophie, 1932, „Gleichheit ist immer nur Absehen von vorhandener Ungleichheit unter einem bestimmten Gesichtpunkt.“ Ders., Politik der Würde, 1997. Eichenhofer, Was legitimiert sozialen Sicherheit morgen: Staat, Gleichheit oder Freiheit?, VSSR 2003, 57. Ders., Gerechtigkeitsfragen im Gemeinschaftsrecht, Rust, Anm., 47, 56; Streinz, Anm. 5, Art. 13 EGV Rn. 23. 12 Namen der Freiheit geführt. Sie sehen sich als Opfer politischer Korrektheit und halten deswegen die Meinungs- und Vertragsfreiheit durch die in den RLen enthaltenen Diskriminierungsverbote für elementar gefährdet.35 a) Meinungsfreiheit Der Zusammenhang zwischen Meinungsfreiheit und dem Verbot der Diskriminierung wegen der Rasse wird durch Erwägungsgrund (6) der AntirassismusRL beleuchtet. Darin heißt es: „Die EU weist Theorien, mit denen versucht wird, die Existenz unterschiedlicher menschlicher Rassen zu belegen, zurück. Die Verwendung des Begriffs‚ Rasse‚ in dieser Richtlinie impliziert nicht die Akzeptanz solcher Theorien.“ Die RL sagt sich damit von den von Gobineau und Chamberlain im 19. Jahrhundert postulierten Rasse-Vorstellungen als keinerlei Einsichten vermittelnde und daher nicht als „Theorien“ zu bezeichnenden Fehlvorstellungen los. Die das Recht auf Verbreitung von Irrtümern, ja Unsinn umschließenden, weil Kommunikation eigentlich erst ermöglichenden Kommunikationsgrundrechte – Meinungs-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit – werden damit begrenzt, insoweit rassistische Äußerungen wegen ihrer dem sozialen Zusammenhalt abträglichen Wirkungen geächtet und verboten werden. Eine solche Rechtssetzung setzt sich dem Verdacht der latenten Freiheitsgefährdung aus. Dies erklärt, dass die Verbreiter rassistischer Thesen bisweilen als Tabu-Brecher – Aufklärer! - oder als für sich lediglich die Meinungsfreiheit in Anspruch nehmende Biedermänner aufzutreten pflegen. b) Vertragsfreiheit Desgleichen sehen sich die auf Schutz potentieller Opfer von Diskriminierung bei Begründung, Ausgestaltung und Beendigung von Verträgen zielenden Benachteiligungsverbote dem Vorwurf ausgesetzt, mit der Vertragsfreiheit unvereinbar zu sein. Wird diese wie in der deutschen, auf Carl Friedrich von Savigny zurückgehenden Vorstellung als das Resultat zweier einander entsprechender Willenserklärungen und diese selbst als eine dem einzelnen zustehende Willensmacht (Stet pro ratione voluntas. – Anstelle der Vernunft stehe der Wille!) gedeutet, so erscheinen die RLen als unstatthafter Eingriff in 35 Anerkannt ist freilich, dass aufgrund der Treuepflicht ein Offizier der Bundeswehr, der während einer Verwendung in den USA vor deutschen Offiziersanwärtern NATO-Verbündete schmäht, antisemitische Parolen verbreitet und den Rassenmord an Juden während des NS-Regimes leugnet, für seinen Dienstherrn selbst dann untragbar ist, wenn er dies außer Dienst bei einer privaten Zusammenkunft tut (BVerwG NJW 1991, 997). 13 die Entschließungsfreiheit. Statt die Menschenrechte zu verbreitern, gelten die Verbote ihrerseits als schwerwiegende Menschenrechtsverletzung. Gibt es aus diesem Dilemma ein Entkommen? 2. Diskriminierungsschutz und Privatautonomie Diese Deutung widerspricht den Absichten der RLgeber. Denn die RLen sollen die Chancen auf Vertragsschluss für die potentiellen Opfer von Diskriminierung verbessern. Ob sie dies auch können,36 wird von deren Umsetzung abhängen. Die RLen zielen nicht auf die administrative Zuteilung von Gütern und Diensten, Wohnungen, Beschäftigung oder Bildungsleistungen und stellen deshalb das Instrument des Vertrages auch nicht in Frage. Sie bezwecken die Chancen zum Vertragsschluss für die vom sozialen Ausschluss potentiell bedrohten Vertragspartner zu sichern. Wenn im Privatrecht die Chancen einer am Rechtsverkehr benachteiligten Gruppe erhöht werden soll, so muss der bevorrechtigten Gruppe notwendig ein Rechtsnachteil auferlegt werden. Freiheitssicherung im Privatrecht mündet stets in eine Neuverteilung von Rechten und Lasten: Jede Ausweitung von Rechten zugunsten einer Gruppe ist nur in dem Maße möglich, wie der ihr entgegengesetzten Gruppe Rechte genommen werden.37 a) Das savignyanische Vertragsmodell Die aus dem savignyanischen Verständnis des Vertrages stammende Kritik beruht auf einem Vertragsmodell, das seinen geistesgeschichtlichen Ursprung im deutschen Idealismus hat. Es steht damit im Gegensatz zu den Vertragsthemen anderer europäischer Staaten. Freiheit wird darin nicht praktisch und konkret als das Recht zum Handeln, sondern gedanklich – ideell als Willensfreiheit des isolierten Einzelnen verstanden. Dieses Denken findet seinen verfassungsrechtlichen Niederschlag und seine Entsprechung im Denken in negativen Freiheiten (z. B. der negativen Koalitionsfreiheit). Sie legt die Annahme nahe, die Vertragsfreiheit bedeutete im wesentlichen die Freiheit, einen Vertrag nicht zu schließen. Diese ist aber für die Sinndeutung von Vertragsfreiheit nicht die entscheidende Dimension. Denn nur in engen Ausnahmefällen vermag der einzelne mittels seiner rechtsgeschäftlichen Freiheit rechtsgeschäftlich etwas allein bewirken. 36 Hierzu Thüsing, RdA 2003, 257. 14 Die Einsicht – dass Vertragsfreiheit auf den Vertragspartner unabweisbar angewiesen ist, weil sie von jenem abhängt – macht das französische Vertragsdenken weit klarer. In Art. 1134 Code Civil heißt es: „Les conventions légalement formées tiennent lieu de loi à ceux qui les out faites.“ Diese Formulierung verdeutlicht, dass der Vertrag nicht einen außerrechtlichen – gleichsam natürlichen – Gebrauch von Freiheiten darstellt, sondern vielmehr einen seinerseits durch rechtliche Regeln gestalteter Akt privat(rechtlich)er Rechtsetzung darstellt. Die deutsche Vertragstheorie ist daher international nicht anschlussfähig. b) Diskriminierungsverbot und Vertragsschluss Die Diskriminierungsverbote haben ihren Ort nicht bei Bestimmung der Bedingungen möglicher individueller Selbstentfaltung. Diese Frage steht im Mittelpunkt des savignyanischen Ansatzes. Ihr Anliegen liegt in der Umschreibung der Bedingungen, unter denen Verträge zustande kommen. Sie betreffen nicht „die Willenersklärung“, sondern das „Zustandekommen des Vertrages“ – mithin die äußeren und äußerlichen Modalitäten des Vertragsschlusses. Diesen Fragenkreis zu regeln, ist seit jeher Sache des objektiven bürgerlichen Rechts. Dieses formuliert in den Bestimmungen des Vertragsrechts die Wirksamkeitsvoraussetzungen von Vertragsschlüssen. Die Vertragsfreiheit ist deswegen nicht primär als ein Abwehrrecht, sondern – was das französische Vertragskonzept verdeutlicht – als ein privatrechtlich zu gestaltendes und ausgestaltetes Teilhaberecht zu begreifen - ganz ebenso wie übrigens die Kommunikationsfreiheiten nicht primär Abwehr – sondern Teilhaberechte sind. Die Vertragsfreiheit hat auch die Teilhabe aller an der Distribution von Waren und Diensten, Beschäftigungen, Wohnraum und Bildungsangeboten zu sichern. Und in diesem Zusammenhang haben rechtliche Bestrebungen um Chancengleichheit marginalisierter Gruppen einen gesicherten Ort, weil eine deren Bedarfsdeckung sichernde Funktion. Die Vertragsfreiheit wäre daher missverstanden, würde sie als ein Instrument zu introvertierter Selbstentfaltung verstanden. Diese Art Vertragsfreiheit ist auf die Testamentserrichtung, das Stiftungsgeschäft und die Auslobung – als den einzigen einseitig wirksamen Rechtsgeschäften – beschränkt. Weit überwiegend sichert die Vertragsfreiheit – ähnlich wie die Kommunikationsgrundrechte – den Prozess der autonomen Verständigung Privater über die autonom zu setzenden Inhalte wechselseitig zu begründender und danach zu erfüllender Rechte und Pflichten. Dieser Prozess wird durch die Diskriminierungsverbote 37 Schiek, in Rust, Anm. 5, 129, 138 ff. 15 nicht unterbunden, sondern er soll durch die zu schaffenden Maßnahmen erst eigentlich gefördert werden, weil er auf die Beseitigung von Imparitäten zielt. 16 c) Verletzen die Diskriminierungsverbote die Freiheitsrechte? Die Diskriminierungsverbote der RLen können daher nur überzeugend im Namen der Freiheitsrechte bekämpft werden, wenn der Vertragsschluss einseitig aus der Position des von dem Verbot belasteten Partners betrachtet würde. Die Freiheitsrechte gewähren jedoch häufig allen das Recht auf Selbstentfaltung in gesellschaftlicher Kooperation, welche nur durch die Sicherung der gleichberechtigten Teilhabe aller gelingen kann. Freiheitsrechte umfassen weder die Befugnis zur ostentativen Diskriminierung Marginalisierter, noch zur Verbreitung notorischer, das soziale Einvernehmen in einer pluralistischen Gesellschaft unterminierender, rassistischer Propaganda. Allerdings verlangen die Diskriminierungsverbote – im Sinne praktischer Konkordanz – eine Auslegung, die sich auf die Untersagung manifester und handgreiflicher Diskriminierung beschränkt. Wer den Freiheitsgebrauch um der Vermeidung von Diskriminierungen beschränkt, trägt im Rechtsstaat die Begründungslast – nicht umgekehrt. IV. Umsetzung der Handlungsgebote Es sollte daher bei der Umsetzung der RLen-Gebote und -Instrumentarien bedacht werden, dass die Opfer potentieller Diskriminierung am ehesten geschützt werden, wenn die Sanktionierung von Verbotsverstößen möglichst vielen unmittelbar einsichtig erscheint. Es sollte also auch hier das Goethe-Wort gelten: „In der Beschränkung zeigt sich erst der Meister.“ Der „Kampf gegen Diskriminierung“ sollte sich sämtlichen Anflügen volkspädagogischer Verkrampfung geschichtsvergessener Schulmeisterei und einem prinzipienversessenem missionarischem Gestus enthalten. Dennoch bleibt manches durch Gesetz oder Sozialpartner zu regeln: Das Benachteiligungsverbot ist für sämtliche in Art. 13 EG-Vetrag aufgeführte Diskriminierungsgründe zu formulieren, und zwar sowohl das Verbot direkter wie indirekter Diskriminierung: jene als ostentative Zurücksetzung anderer, diese als nicht-ostentative Maßnahme gleicher Wirkung. Ausnahmen für eine auf die in Art. 13 EGVertrag gestützte Differenzierung sind ebenso zu umreißen, wie klarzustellen ist, dass Förderungsmaßnahmen zum Schutze potentiell Benachteiligter das Diskriminierungsverbot nicht verletzen. Beweiserleichterungen sind vorzusehen, falls der auf Tatsachen zu stützende Anschein der Diskriminierung vorliegt. Es geht dabei aber eher um die Auslotung von Verantwortungssphären als um die Beweislastumkehr. Jede Partei trägt die Behauptungs- und Beweislastumkehr für die ihrer Sphäre jeweils zugänglichen Informationen. Das sich der 17 Diskriminierung erwehrende Opfer darf nicht gemaßregelt werden - genießt also Schutz vor Viktimisierung -, die Öffentlichkeit ist über die zur Sicherung der Anliegen von AntiDiskriminierung ergriffenen Maßnahmen zu unterrichten, Sozialpartner und Nichtregierungsorganisationen sind an der Verwirklichung der Anti-Diskriminierung zu beteiligen, bei der Rechtsverfolgung sind den Betroffenen-Organisationen das Recht zur advokatorischen Geltendmachung von Diskriminierungsverboten einzuräumen, wirksame Sanktionen sind festzusetzen und Belästigungen zu unterbinden. Die Umsetzung dieser Gebote bedarf – schon um rechtsstaatlichen Elementaranforderungen zu genügen - einer gesetzlichen Präzisierung. 2005 hat Deutschland über den Stand der Anti-Diskriminierung an die EG-Kommission zu berichten. Was wird dann wohl zu berichten sein? V. Braucht Deutschland ein Anti- Diskriminierungsgesetz? Deutschland braucht aufgrund der RLen eine Anti-Diskriminierungspolitik, die über die punktuelle Bekämpfung von Diskriminierungen einzelner Gruppen hinausgeht und systematisch angelegt ist. Sicher ist der Schutz in Deutschland für behinderte Menschen weit entwickelt – und er dürfte den strengen Maßstäben des Gemeinschaftsrechts weithin standhalten.38 Aber für andere der in Art. 13 EG-Vertrag genannten Gruppen steht noch Arbeit an. Wie steht es um die Nicht-Diskriminierung wegen des Alters39 oder der geschlechtlichen Ausrichtung? Ist der Schutz vor rassistischer Diskriminierung im Vertragsrecht nicht einer ausdrücklichen Regelung bedürftig? Fraglich ist aber: Wie sollte die Regelung getroffen werden - in Form eines eigenen Anti- Diskriminierungsgesetzes oder in Form einer Integration der Regelungsgebote in die verschiedenen Rechtsgebiete? Zugunsten eines Anti-Diskriminierungsgesetzes spricht, dass die Umsetzung der RLen und damit auch der Nachweis der RL-Konformität des deutschen Rechts gegenüber der Kommission am einfachsten wäre. Wenn nicht die RLen selbst zum Ausgangspunkt der gesetzlichen Regelung genommen werden, so könnte sich die Regelung an den im Vereinigten Königreich, in Belgien oder in den Niederlanden getroffenen Bestimmungen ausrichten und versuchen, diesen nachzufolgen. Ein Anti-Diskriminierungsgesetz erleichterte 38 39 Wenn man einmal vom Schutz behinderter Menschen gegen Belästigungen einmal absieht; Schiek. in Rust, Anm. 5, 129, 146 bringt dies mit der Sonderstellung des Behinderten-Schutzes in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG in Verbindung. Dieses Phänomen erklärt sich wohl vor allem aus der deutschen Geschichte des 20 Jahrhunderts, die zweimal die Aufgabe mit sich brachte, Millionen behinderter Menschen in jungem Lebensalter in Erwerbsleben und Gesellschaft einzugliedern. Vgl. dazu Kuras und Linsenmeyer, in Sonderbeilage 5, RdA 2003, 11, 22. 18 die Information und die Administration, sie höbe die Diskriminierung marginalisierter Gruppen als gesellschaftlichen Missstand hervor und erlaubte die öffentliche Debatte auf der Basis der in ihm getroffenen Regelungen. Dieses Verständnis von der Funktion von Gesetzgebungsakten ist ganz und gar angelsächsisch. Denn sie folgt der mischief-rule. Danach hat das Gesetz in erster Linie gesellschaftliche Missstände – zu denen auch eine dem Gesetzgeber missfallende Rechtsprechung gehören kann – abzustellen.40 Die mischief-rule widerspricht jedoch der deutschen Gesetzgebungstradition. Das Maßnahmegesetz gilt ihr als Notbehelf; das Gesetz soll dagegen die überzeitlich gültige Ordnung schaffen, die in sich schlüssig und von obersten und allgemein gehaltenen Begriffen geleitet und getragen in die Vielgestaltigkeit von Einzelregelungen ausmündet. In einem solchen Rechtssystem sind neue rechts- und gesellschaftspolitische Anliegen besser im gegebenen Rahmen des „Rechtssystem“ zu verwirklichen. Deshalb sind zivil-, arbeits- und sozialrechtliche Einzelregelungen nötig, die in den jeweiligen Rechtsgebieten diskriminierenden Praktiken entgegenwirken. Außerdem ist nur so gesichert, dass die jeweilig zuständigen administrativen Adressaten des Diskriminierungsschutzes – die Verwaltungsbeamten und Richter – von den Anliegen der Anti- Diskriminierung Notiz nehmen. Schließlich gebietet die Sozialpartner–Beteiligung und diejenige von Nichtregierungsorganisationen, dass in den deren Wirken regelnden Normen die Anliegen und Ziele des Anti-Diskriminierungsrechts verankert werden. 40 S.H. Bailey and M.J. Gunn, The Modern English legal System, 1991 (2nd ed.), p. 321 klassisch formuliert als Grundsatz zur Gesetzesauslegung: „that for the sure and true interpretation of all statutes in general (be they penal or beneficial, restrictive or enlarging of the common laws) four things are to be discerned and considered: - 1st. What was the common law before the making of the Act. 2nd: What was the mischief and defect for which the common law did not provide. 3rd: What remedy the Parliament hath resolved and appointed to cure the disease of the commonwealth. And, 4th. The true reason of the remedy; and then the officer of all the Judges is always to make such construction as shall suppress the mischief, and advance the remedy, and to suppress subtle inventions and evasions for continuance of the mischief“ (Heyolon’s case – 1584). 19