1 Claudius Wenzel Die amerikanischen Präsidentschafts- und Kongresswahlen 2000 – ein Rückblick auf einen besonderen Wahlprozess, die Ergebnisse und politischen Hintergründe Abstract Der 43. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, der Republikaner George W. Bush, hat in den vergangenen knapp vier Jahren der Aussen- und Innenpolitik seines Landes einen deutlichen Stempel aufgedrückt. Die Wahl, die ihn im Januar 2001 zum Präsidenten gemacht hat, verdient den Zusatz historisch. Völlig ungewöhnlich für eine moderne Demokratie und Mediengesellschaft war der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA durch einen chaotischen Wahlprozess im Bundesstaat Florida wochenlang offen und wurde erst nach einer knappen Mehrheitsentscheidung des Obersten Gerichtshofs in Washington entschieden. Diese Ereignisse haben eine lebhafte Debatte über eine elections reform ausgelöst. Der Kongress hat schließlich im Oktober 2002 den Help America Vote Act verabschiedet, der allerdings nicht alle Aspekte der Reformdebatte aufgegriffen hat. Die Untersuchung des knappen Wahlergebnisses – dass die Republikaner zur beherrschenden politischen Kraft gemacht hat – zeigt einige Besonderheiten und bemerkenswerte Entwicklungen, die auch bei den Wahlen 2004 Bedeutung erlangen könnten: die unsichere Bedeutung des Faktors Ökonomie, eine Polarisierung innerhalb der Wählerschaft und zwischen den Parteien sowie einen sich verfestigenden Trend hin zur Personalisierung, bei der die Integrität der Kandidaten eine größere Rolle spielt als ihre inhaltlichen Positionen. Einleitung Nach acht Jahren Präsidentschaft des Demokraten Bill Clinton standen sich im Rennen um seine Nachfolge der amtierende Vize-Präsident, der Demokrat Albert („Al“) Gore, und der republikanische Gouverneur des Staates Texas, George W. Bush, gegenüber. Am Wahltag, den 7. November 2000, richtete sich die internationale Aufmerksamkeit auf die USA, denn alle Umfragen hatten ein äußerst knappes Ergebnis vorausgesagt. Ungewöhnlicherweise sollte diese Aufmerksamkeit noch über Wochen andauern. Dies nicht auf Grund der Kandidaten oder der Wahlkampfthemen, sondern weil mit dem 7. November ein bisher einmaliger, wochenlanger Prozess begann, den der amerikanische Politikwissenschaftler Gary C. Jacobson als „a national political drama of historic dimensions“ bezeichnet hat.1 In dem schließlich wahlentscheidenden Bundesstaat Florida war das Ergebnis so knapp ausgefallen, 1 Gary C. Jacobson, The 2000 Elections and Beyond, A Supplement to The Logic of American Politics by Samuel Kernell and Gary C. Jacobson (Washington, D.C.: CQ Press, 2001) 5. 2 dass eine zweite Auszählung angeordnet werden musste. In den folgenden Wochen erwies es sich als scheinbar unmöglich, ein korrektes endgültiges Ergebnis zu ermitteln. Berichte über Unregelmäßigkeiten, irreführende Wahlzettel, Klagen von Wählern, maschinelle und manuelle Nachzählungen, endlose Medienberichte mit einer anhaltend hohen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und vor allem die gerichtlichen Auseinandersetzungen der Lager der Präsidentschaftskandidaten Bush und Gore über die Auszählungsverfahren und Unregelmäßigkeiten führten dazu, dass der Sieger der Präsidentschaftswahlen erst fünf Wochen nach dem Wahltag feststand, ohne dass ein befriedigender Abschluss des Prozesses gefunden werden konnte. Nach einer Entscheidung des obersten Gerichtes der USA, des Supreme Court, vom 12. Dezember 2000 sah der demokratische Kandidat Al Gore schließlich keine weiteren Möglichkeiten, eine aus seiner Sicht korrekte Auszählung der Wählerstimmen in den umstrittenen Bezirken in Florida zu erreichen und das Blatt noch einmal zu seinen Gunsten zu wenden. Gore gestand seine Niederlage am 13. Dezember ein. Mit George W. Bush wurde damit das erste Mal seit 112 Jahren wieder ein Kandidat zum Präsidenten bestimmt, der zwar über die Mehrheit der Wahlmännerstimmen im electoral college, nicht aber über die Mehrheit der Wählerstimmen (popular vote) verfügte.2 Politische Brisanz enthielt dieses Ergebnis zusätzlich dadurch, dass die äußerst knappe Mehrheit der Wahlmännerstimmen in einem Verfahren gewonnen wurde, das Zweifel an der Korrektheit nicht ausräumen konnte und zwei tief zerstrittene politische Lager zeigte. Die Spaltung reichte dabei bis in den Supreme Court hinein, der die Entscheidung vom 12. Dezember mit der denkbar knappsten Mehrheit von fünf zu vier Stimmen fällte. 2 1888 gelang es dem Republikaner Benjamin Harrison mit 47,8 % der Wählerstimmen die Mehrheit der Elektoren zu gewinnen, obwohl sein demokratischer Gegenkandidat S. Grover Cleveland 48,7% der Stimmen errungen hatte. Russell O. Wright, Presidential Elections in the United States. A Statistical History, 1860 – 1992 (Jefferson, North Carolina, und London: McFarland & Company, 1995) 11 (Table 1-1. Percentage of Popular/Electoral Vote 1860 – 1992). Der Fall, dass ein Kandidat die Mehrheit der Wahlmännerstimmen erlangt, obwohl er nicht über die Mehrheit der Wählerstimmen verfügt, wird dadurch möglich, dass die bevölkerungsschwachen Staaten im Vergleich zu den bevölkerungsstarker Staaten relativ mehr Wahlmänner stellen. (Das electoral college besteht aus 538 Mitgliedern. Jeder Staat ist entsprechend der Zahl seiner Repräsentanten und Senatoren im Kongress vertreten. Während sich die Zusammensetzung des Repräsentantenhauses an der Bevölkerungsstärke orientiert, stellt jeder Staat unabhängig der Größe oder anderer Kriterien zwei Mitglieder im Senat.) Hinzu kommt, dass bei der Vergabe der Wahlmännerstimmen mit wenigen Ausnahmen ebenfalls das Mehrheitsprinzip angewendet wird. Das heißt, der siegreiche Kandidat erhält sämtliche Wahlmännerstimmen des jeweiligen Staates. 3 Die internationalen Reaktionen aus Presse, Fachwelt und zum Teil auch der Politik in den Wochen voller Ungewissheit nach dem Wahltag reichten von Ungläubigkeit und Belustigung bis hin zu Häme. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie die älteste, größte und stabilste Demokratie der Welt nicht in Gefahr sahen. Gerade in den USA selbst wurde jedoch auch die Frage diskutiert, ob der nach dem 7. November eingeschlagene Weg nicht schwerwiegende politische Folgen für das politische System haben könnte.3 So war es wenig verwunderlich, das der Wahlprozess 2000 in den Vereinigten Staaten eine politische und politikwissenschaftliche Debatte auslöste, die eine Reform des Wahlsystems zum Gegenstand hatte. Die Wahlen zum amerikanischen Kongress ergaben noch eine weitere Besonderheit: die Republikanische Partei wurde das erste Mal seit Anfang der fünfziger Jahre wieder zur alles beherrschenden Kraft. Sie dominiert seit dem mit nur kurzer Unterbrechung durch den Parteiaustritt von Senator Jeffords alle drei Regierungsinstitutionen: sie stellt den Präsidenten und verfügt über Mehrheiten im Senat und Repräsentantenhaus.4 Im Folgenden werden der Wahlprozess, die Ergebnisse der Wahlen und die politischen Hintergründe sowie die anschließenden Reformbemühungen zum Wahlsystem näher untersucht. Im Schlussteil werden die Aspekte und Entwicklungen benannt, die über das Jahr 2000 hinaus Bedeutung erlangt haben und auch für das Wahljahr 2004 von Wichtigkeit sind. 3 Der renomierte amerikanische Politikwissenschaftler Thomas E. Mann formulierte bereits einen Tag nach den Wahlen: „There is today I believe enormous pressure on George Bush and Al Gore and on the leaders of both parties in Congress to figure out a way to manage a very, very difficult situation that has the potential to do serious damage to the legitimacy of our constitutional system. „A Brookings Press Briefing:The Day After: What Happend at the Polls and What Happens Now“, The Brookings Institution, Washington, DC, 8.11.2000 (www.brook.edu). 4 Die Republikaner hatten 1952 die Mehrheit im Repräsentantenhaus erzielt, verloren diese jedoch bereits zwei Jahre später wieder. Auch unter republikanischen Präsidenten war das House dann durchgängig bis 1994 von den Demokraten beherrscht. David Brady, John F. Cogan, Douglas Rivers, The 1996 House Elections: Reaffirming the Conservative Trend (Stanford: Hoover Institution on War, Revolution and Peace, 1997), 4 (Table 1: Popular Vote Swing and Seat Gains: 1946 – 1996). 4 1. Der Wahlprozess 2000 Beiden Kandidaten – Al Gore und George W. Bush – war es im Auswahlverfahren der primaries zu einem frühen Zeitpunkt gelungen, sich gegen die innerparteilichen Konkurrenten durchzusetzen. Nach den aus Sicht der jeweiligen Kandidaten und Parteien erfolgreich absolvierten party conventions, die in inzwischen bewährter Tradition als große Medienereignisse inszeniert wurden, trat der Wahlkampf in die sogenannte heiße und tatsächlich spannende letzte Phase ein. Die ständigen, von verschiedenen Instituten veröffentlichten Meinungsumfragen sagten ein Kopf-an-KopfRennen voraus.5 Der dort erkennbare leichte Vorsprung für Bush konnte durch die potentielle Fehlermarge von etwa vier Prozentpunkten nicht als sicher gelten, zumal wenige Wochen vor der Wahl jeder fünfte Wähler noch keine endgültige Wahlentscheidung getroffen hatte.6 Inhaltlich wurde auch dieser Wahlkampf von innenpolitischen Themen beherrscht. Im Zentrum standen Fragen der Wirtschaft, des Bildungsystems, der Krankenversicherung, der sozialen Sicherheit und der Steuern.7 Die Konfusionen um die Ermittlung des Wahlergebnisses und des Gewinners der Präsidentschaft begannen am Wahltag selbst. Nach verlässlichen Hochrechnungen aus fast allen Staaten war klar, dass die Meinungsumfragen richtig lagen: Das Ergebnis würde sowohl hinsichtlich der Wählerstimmen als auch der Wahlmännerstimmen äußerst knapp ausfallen. Ohne die noch offenen Staaten Florida, Wisconsin und Oregon lagen die Kandidaten mit 249 Wahlmännerstimmen für Gore und 246 für Bush dicht an dicht. Das bedeutete: der Kandidat, der die relativ hohe Zahl von 25 Wahlmännerstimmen des Staates Florida für sich gewinnen würde, würde der nächste Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika sein. Verwirrung gab es anfangs durch die großen Fernsehanstalten, die jeweils bestrebt waren, als erste den Sieger zu verkünden. So wurde erst Al Gore als Gewinner 5 Vgl. die Zusammenstellung zahlreicher Umfragen bei CNN (www.cnn.com/ELECTION/2000/ resources/polls.html). Keating Holland, „CNN / Time Poll: Gore, Bush tied; 1 in 5 voters undecided“, CNN 27.9.2000 (www.cnn.com/2000/ALLPOLITICS/stories/09/08/cnn.poll/index.html). 6 Einen kurzen Überblick gibt Philip J. Longman, „Promises, promises. Bush and Gore are offering up lots of goodies, but can they deliver?“, U.S. News & World Report, 6.11.2000, 24-25. 7 5 ausgerufen, bevor veränderte Hochrechnungen die Sender veranlassten, diese Meldung wieder zurückzuziehen, um wenig später George W. Bush – ebenfalls nur vorübergehend – als neuen Präsidenten auszurufen. Die Wahlnacht endete schließlich mit der ungewöhnlichen Schlagzeile „Bush, Gore still waiting“. 8 Die Auszählungen in Florida hatten ein derart knappes Ergebnis ergeben, dass eine Bestimmung aus dem Wahlgesetz des Bundesstaates im Kraft trat, die für solche Fälle eine Neuzählung der Stimmen vorsieht. Eine besondere Dramatik entwickelte sich dann durch Berichte über Wahlbehinderungen und fragwürdige Ergebnisse in einzelnen Wahlbezirken. Besondere Aufmerksamkeit erlangte Palm Beach County, wo eine problematisch gestaltete Wahllochkarte in zahlreichen Fällen zu unbeabsichtigten Wahlentscheidungen und zu einer ungewöhnlich hohen Zahl ungültiger Wahlzettel geführt hatte, gegen die aufgebrachte Wähler demonstrierten und Klagen einreichten. Daraufhin beantragte Gore in ausgewählten Bezirken eine Auszählung per Hand. Diese erwies sich in der Folgezeit als schwierig, da umstritten war, welche Formen des Lochs oder des Abdruckes in der Lochkarte als abgegebene Stimme zu werten waren. Um diese Handzählungen entstand eine heftige Auseinandersetzung deren Verlauf hier nicht im Detail geschildert werden kann. Während Gore, sein persönlicher Stab und seine Rechtsanwälte die Nachzählungen durchzusetzen versuchten und – wie durchgeführte Nachzählungen zeigten – hoffen konnten, so als Sieger aus dem Verfahren hervorzugehen, versuchte das Lager von Bush mit allen legalen Mitteln dieses Auszählungsverfahren zu stoppen. Die Auseinandersetzung wurde schließlich vor verschiedenen Gerichten mit unterschiedlichen Ergebnissen ausgetragen. Ihren dramatischen Höhepunkt erreichte sie mit der Entscheidung des Supreme Court in Washington D.C., der eine Entscheidung des Florida Supreme Court revidierte, die festgelegt hatte, dass sämtliche Nachzählungen per Hand, die innerhalb eine gesetzten Frist vollzogen wurden, berücksichtigt werden sollten. Das Oberste Gericht in Washington argumentierte dagegen mit knappster Mehrheit von fünf zu vier Stimmen, dass das Verfahren der Handauszählung konstitutionelle Probleme hervorbringe. Die verbliebene Zeit reiche nicht aus, um die Zählungen innerhalb des 8 CNN.com, 8.11.2000 (www.cnn.com/ELECTION). 6 festgeschriebenen Zeitplans des electoral college zu erreichen.9 Am folgenden Tag, 36 Tage nach den Wahlen, gab Al Gore auf. 2. Wahlergebnisse und Hintergründe Nach Auszählung der Wahlmännerstimmen am 18. Dezember 2000 stand das über Wochen nicht endgültig zu ermittelnde und umstrittene Ergebnis der Präsidentschaftswahlen fest. Der 43. Präsident der USA – für vier Jahre gewählt – hieß George W. Bush. Bush ist damit einer von vier Präsidenten in der Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika, der nicht über die Mehrheit der Wählerstimmen verfügt und sein neues Amt einem äußerst knappen Vorsprung der Wahlmännerstimmen verdankte. Mit 271 Wählmännerstimmen verfügte Bush über nur eine Stimme mehr als nötig. Ausschlaggebend war nicht zuletzt das Auftreten von Ralph Nader als Kandidat der Green Party, der sich bis zum Wahltag hartnäckig geweigert hatte, eine Wahlempfehlung für Al Gore auszusprechen. Die Mobilisierung eines Teils der Nader-Wähler für Gore hätte diesem wahrscheinlich den Sieg der Präsidentschaftswahlen eingebracht. Tabelle 1: Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 200010 Kandidaten George Bush (R) Al Gore (D) Ralph Nader (Gre.) P. Buchanan (Ref.) Wählerstimmen 50.456.002 50.999.897 2.882.955 448.895 Wählerstimmen in Prozent 47,9 % 48,4 % 2,7 % 0,4 % Gewonnene Staaten 30 21 0 0 Wahlmännerstimmen 271 266 0 0 Am 7. November 2000 standen auch die 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses (Wahlperiode House: 2 Jahre) und ein Drittel der Senatoren (Wahlperiode Senate: 6 Jahre) zur Wahl. Dabei ergaben sich Verschiebungen zu Gunsten der Demokraten. Dennoch konnten die Republikaner ihre Mehrheit im Repräsentantenhaus behaup- Dan Balz, Charles Lane, „Bush Wins 5-4 as High Court Overrules Gore Recount Plea“, Washington Post, 13.12.2000, A01. 9 10 Angaben in den Tablellen 1, 2 und 3 nach CNN (www.cnn.com/ELECTIONS/results), National Archives and Records Administration (www.nara.gov/fedreg/elctcoll) und Federal Election Commission (www.fec.gov/pubrec/2000presgeresults.htm). 7 ten. Im Senat war ein Patt entstanden. Da aber der Vize-Präsident qua Amt in Pattsituationen stimmberechtigter Vorsitzender des Senates ist, verfügten die Republikaner hier über die denkbar knappste Mehrheit. Tabelle 2: Ergebnis der Kongresswahlen 2000: Repräsentantenhaus Partei Republicans Democrats Independents 1998 223 210 2 2000 221 212 2 Tabelle 3: Ergebnis der Kongresswahlen 2000: Senat Partei Republicans Democrats Sitzverteilung 1998 54 46 Neu zu wählende Sitze 2000 19 15 Sitzverteilung 2000 50 50 Die Wahlen zum Kongress haben die in amerikanischen Wahlkämpfen starke Ausgangsposition der Amtsinhaber gezeigt. Von den 435 Mitgliedern des neu gewählten Repräsentantenhauses waren bereits 393 im vorherigen vertreten. In den Senat zogen bei 34 zur Wahl stehenden Sitzen 23 alte Amtsinhaber erneut ein. 2.1. Parteibindungen und Wechselwähler Dass die Auswahl der Kandidaten, die im Wahlkampf geführten Auseinandersetzungen und die politischen Inhalte des Wahlkampfes nur einen begrenzten Anteil der Wählerschaft erreichen und deren Wahlentscheidung beeinflussen, ist eine bewährte Erkenntnis der Wahlforschung. Feste Parteibindungen und überzeugte ideologische Ausrichtungen sind bei einer großen Anzahl der Wähler ausschlaggebend für ihre Wahlentscheidung, die somit häufig weit vor der Nominierung der Kandidaten und dem Beginn des Wahlkampfes fest steht. In der amerikanischen Politikwissenschaft ist der angenommene relative Bedeutungsverlust der Parteien in den letzten Jahrzehnten auch vor diesem Hintergrund zu einem intensiv behandelten Forschungsgegenstand geworden.11 Entgegen der weitverbreiteten Auffassung eines dealignment, also des wachsenden Trends hin zur deutlichen Zunahme parteiunab11 Hervorzuheben ist hier die Arbeit von Martin P. Wattenberg, The Decline of the American Political Parties, 1952 – 1996 (Cambridge, Massachusetts und London: Harvard University Press, 1999). 8 hängiger Wähler, zeigen neue Forschungsergebnisse, dass die Parteibindungen noch immer einen wichtigen Faktor darstellen. Allerdings hat der Anteil der „leaning Democrats“ und der „leaning Republicans“, deren Loyalität begrenzt ist und die grundsätzlich bereit sind, auch Kandidaten anderer Parteien zu wählen, zugenommen.12 Um die Wählerstimmen dieser Gruppen tatsächlich zu gewinnen, sind mobilisierende Wahlkampagnen nötig. Ob dieses Phänomen, die Zunahme potentieller Wechselwähler, seine Grundlage in einem relativen Bedeutungsverlust der Parteien oder vielmehr in sich veränderten sozialen Verhältnissen und sich wandelnden Einstellungsmustern hat, kann hier nicht thematisiert werden. Offensichtlich ist jedenfalls, dass Wahlen in der Mitte des politischen Spektrums gewonnen (oder eben verloren) werden, die strategischen Zielgruppen für die rivalisierenden Kandidaten und Parteien also grundsätzlich die gleichen sind. Um die entscheidenden Prozente dieser Wähler zu mobilisieren, können zielgerichtete Wahlkampagnen unter Zuhilfenahme moderner Verfahren der Meinungsforschung entscheidend sein. Der Formulierung einer eindringlichen und den Zeitgeist treffenden, verständlichen Botschaft kann dabei eine besondere Bedeutung zukommen. Im Präsidentschaftswahlkampf 2000 hat der Republikaner Bush dabei vor allem auf eine traditionell weit verbreitete Skepsis gegenüber der big government, einer angeblich übergroßen, sich ausweitenden und sich in persönliche Belange des Einzelnen einmischenden Regierungsbürokratie gesetzt, und stets hervorgehoben, dass er nicht diesem establishment in Washington angehöre und die Regierung und ihre Aufgaben nicht ausweiten wolle. Sein demokratischer Widersacher Gore hat dagegen versucht, die breite Masse der „middle-class working men and women“ anzusprechen und betont, dass er stets für deren Belange gekämpft habe.13 Langfristige Parteienbindungen und Wahlentscheidung durch die flexibler gewordene politische Mitte der Gesellschaft sind Faktoren, die quasi einen stabilisierenden Kontext darstellen und die es als Regulative zu berücksichtigen gilt, wenn man das 12 James E. Campbell, The American Campaign. U.S. Presidential Campaigns and the National Vote (College Station: Texas A&M University Press, 2000) 207-218. 13 Diese Unterschiede wurden in den drei viel beachteten Fernsehen-Debatten, in denen Bush und Gore am 3., 11. und 17. Oktober 2000 direkt aufeinandertrafen, deutlich. „Presidential Debates 2000“, C-SPAN.org (www.c-span.org/campaign2000/transcript). 9 äußerst knappe Präsidentschaftswahlergebnis im Einzelnen betrachtet und interpretiert. Das Ergebnis 2000 zeigt folgende Besonderheiten:14 Männer haben mehrheitlich George Bush gewählt (54%:43%), Frauen dagegen Al Gore (55%:43%).15 Weiße Amerikaner haben sich überwiegend für Bush entschieden (54%:42%), während African-Americans (90%:9%), Hispanics (62%:35%), Asians (55%:41%) und Angehörige anderer ethnischer Minderheiten (55%:39%) mit deutlichem Vorsprung für Gore gestimmt haben. 58 Prozent der Protestanten haben Bush ihre Stimme gegeben (40% Gore), 53 Prozent der Katholiken und 77 Prozent der Juden Gore (46% bzw. 22% Bush). Auch eine Unterteilung der Wählerschaft nach Regionen lässt Differenzen erkennen: Während die Kandidaten im Westen (Gore 52%, Bush 44%) und mittleren Westen (Bush 50%, Gore 47%) noch relativ dicht beieinanderliegen, sind im Osten (Gore 58%, Bush 37%) und Süden (Bush 58%, Gore 41%) deutliche Präferenzen erkennbar. Auch die verschiedenen Einkommensgruppen zeigen unterschiedliches Wahlverhalten. Tabelle 4: Präsidentschaftswahlen 2000: Wahlentscheidungen nach Einkommen 16 Einkommensgruppe Anteil Wählerschaft A. unter $ 15.000 7% B. $ 15. – 30.000 16 % C. $ 30. – 50.000 24 % D. $ 50. – 75.000 25 % E. $ 75. – 100.000 13 % F. über $ 100.000 15 % Stimmen für Gore 57 % 54 % 49 % 46 % 45 % 43 % Stimmen für Bush 37 % 41 % 48 % 51 % 52 % 54 % Diese fallen allerdings wenig signifikant aus. So liegen die Kandidaten bei der Einkommensgruppe des unteren Mittelfeldes (C.) nahezu gleich auf und auch in den nächst höheren Gruppierungen (D. und E.) ist kein erheblicher Vorsprung eines Kandidaten feststellbar. So kann argumentiert werden, dass bei 62 Prozent der Wählerschaft das Einkommensniveau die Wahlentscheidung nicht bzw. nur geringfügig beeinflusst hat. Nur bei den beiden unteren Einkommensgruppen und Zum Folgenden: „Exit Poll, The Los Angeles Times Poll, 7.11.2000“, PollingReport.com, Election 2000 HQ (www.pollingreport.com/election.htm); „Slicing and diciding: Who voted for whom (Voters News Service)“, U.S. News & World Report, 20.11.2000, 40. 14 15 Eine Unterscheidung nach Altersgruppen lässt keine signifikante Bevorzugung eines Kandidaten erkennen. Die hier herangezogenen Umfragen (siehe Anm. 14) weisen darüber hinaus erhebliche Differenzen auf. 16 Angaben nach U.S. News & World Report (Anm. 14). 10 der obersten Einkommensgruppe sind deutliche Übergewichte eines Kandidaten erkennbar. Wie ist dieses Phänomen zu erklären? 2.2. Einfluss der wirtschaftlichen Situation Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die volkswirtschaftliche Situation im Wahljahr eine wichtige Variable ist, die das Wahlverhalten prägt.17 Wirtschaftliche Sicherheit oder Unsicherheit, wirtschaftlicher Erfolg (gute Aussichten am Arbeitsplatz) oder Mißerfolg (schlechte Aussichten, Arbeitslosigkeit oder Furcht davor) sind Faktoren, die die Wahlentscheidung einer großen Anzahl von Wählern beeinflussen. Steht ein Amtsinhaber zur Wiederwahl, profitiert er in der Regel von einer guten ökonomischen Lage. Ist die Situation hingegen schlecht oder weist sie einen deutlichen negativen Trend auf, ist dies ein Vorteil für den Herausforderer, dem damit ein wichtiges Argument für die Notwendigkeit eines Wandels verschafft wird. Die Präsidentschaftswahlen 2000 wiesen in dieser Hinsicht Besonderheiten auf: Der lang anhaltende wirtschaftliche Boom in den USA hatte auch in der subjektiven Einschätzung einer breiten Mehrheit der Bevölkerung zu einer Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Situation geführt. Auf eine Befragung von Ende Oktober 2000 antworteten 67 Prozent der Befragten, dass sich ihre wirtschaftliche Situation gegenüber 1992, dem Beginn der Amtszeit Bill Clintons, verbessert habe.18 Dieses Ergebnis ließe nun vermuten, dass Al Gore von der guten Wirtschaftsentwicklung der vergangenen Jahre insbesondere bei der breiten Mittelschicht profitiert habe müsste. Das Wahlergebnis bestätigt diese Annahme nicht. Allein die beiden unteren Einkommensgruppen haben mit deutlicher Mehrheit für Gore gestimmt und dies aller Wahrscheinlichkeit nach auf Grund der ohnehin traditionell starken Parteibindung an die Demokraten dieser Gruppen und der sozialpolitischen Vorhaben, die Gore im Wahlkampf angekündigt hatte. Mehrere Faktoren haben vermutlich dazu beigetragen, dass sich die gute wirtschaftliche Lage und die damit verbundene Zufriedenheit breiter Wählerschichten nicht oder nur schwach ausgeprägt zu einem Vorteil für Al Gore entwickelt hat: 17 Ausführlich dazu Campbell, American Campaign (Anm. 12) 126-139. „Second Thoughts, CNN / Time Poll, 25.26.11.2000“, PollingReport.com, Election 2000 HQ (www.pollingreport.com/election.htm). 18 11 Gore hat in seiner Wahlkampagne die wirtschaftspolitischen Erfolge der Administration Clinton / Gore zu wenig als sein Verdienst herausgestellt. Diese Unterbewertung lag in der Konsequenz einer Kampagne, die bewußt auf eine Distanzierung gegenüber Bill Clinton gesetzt hatte, um aus dem Schatten des geschickten Kommunikators Clinton herauszutreten und um sich von persönlichen Verfehlungen des Präsidenten (Lewinsky-Affäre) zu distanzieren. Die amerikanische Öffentlichkeit hat die relativ gute wirtschaftliche Situation nur bedingt als Ergebnis der Politik der Regierung Clinton / Gore angesehen. Divided government, die Dominanz unterschiedlicher Parteien in Exekutive und Legislative, ist in den vergangenen Jahrzehnten in den USA zu Normalität geworden. Auch Präsident Clinton und Vize-Präsident Gore hatten es mit einer starken republikanischen Partei im Kongress zu tun, die nicht nur die Mehrheit im Senat, sondern seit 1994 sogar – nach 40 Jahren demokratischer Dominanz – im Repräsentantenhaus stellte. Der republikanisch beherrschte Kongress konnte also ebenfalls die gute wirtschaftliche Lage als Ergebnis der eigenen Politik für sich in Anspruch nehmen. Andere Themen und Aspekte der Präsidentschaftskandidaten haben den Wahlkampf 2000 dominiert – nicht aber weil diese eine besonders hohe politische Bedeutung gewonnen hätten. Vielmehr hat der langanhaltende wirtschaftliche Aufschwung in der Ära Clinton die breite Zufriedenheit, die daraus resultiert, zur Normalität werden lassen und damit den Einfluss der ökonomischen Situation auf das Wahlergebnis gemindert. 2.3. Polarisierung Die Besonderheiten im Wählerverhalten 2000 hat das amerikanische Magazin U.S. News & World Report dazu veranlasst von einer „great divide“ und einer „fractured nation“ zu sprechen, die nahezu in jeder denkbaren Hinsicht gespalten sei.19 Und auch politikwissenschaftliche Stimmen sprechen im Zusammenhang mit den Wahlen 2000 von einer „cultural divide“.20 Aus der Sicht eines außenstehenden Beobachters mag diese Beurteilung zu scharf ausfallen. Schließlich war die Demokratische Partei Kenneth T. Walsh, „Crossing the great divide. Either Bush or Gore will have a hard time governing such a fractured nation“, U.S. News & World Report, 20.11.2000, 37-40. 19 20 Vortrag von Professor Gary C. Jacobson, U.S. Election 2000: Analysis of Election Results, Universität Erlangen-Nürnberg, 13.12.2000. 12 in den vergangenen Jahrzehnten stets eher die Partei der Minderheiten. Unterscheide von 11 bis 12 Prozentpunkten zwischen Männern und Frauen und von 18 bzw. 7 Prozentpunkten bei Protestanten und Katholiken – um Beispiele zu nennen lassen nicht zwangsläufig auf eine Spaltung der Wählerschaft schließen. Dazu sind noch am ehesten die deutlichen regionalen Unterschiede im Osten (21 Prozentpunkte Differenz zu Gunsten von Gore) und Süden (17 Prozentpunkte Differenz zu Gunsten von Bush) geeignet. Betrachtet man jedoch die Entwicklung der amerikanischen Parteien und ihrer Wählerschaft näher, gewinnt die These von der „cutural divide“ an Plausibilität. Lange Zeit haben sich die amerikanische Parteien durch eine starke Inhomogenität und eine weitgehend fehlende Parteidisziplin ausgezeichnet. Ein breites politisches Spektrum von liberal bis konservativ war sowohl bei den Republikanern als auch bei den Demokraten zu finden. Das hat sich seit den achtziger Jahren geändert. Seitdem ist eine – anhand des Abstimmungsverhaltens im Kongress nachweisbare – zunehmende Homogenität innerhalb der Parteien und eine verstärkte Polarisierung zwischen der konservativen Partei der Republikaner und der liberalen Partei der Demokraten feststellbar. Der gleiche Prozess ist innerhalb der Wählerschaft zu beobachten, der dazu geführt hat, dass eine stärkere Konsistenz im Wahlverhalten feststellbar ist. So hat die in den siebziger Jahren starke Tendenz zum ticket splitting – das heißt die Wahl von Kandidaten unterschiedlicher Parteizugehörigkeit auf ein und demselben Wahlzettel – wieder deutlich abgenommen.21 Seinen bisher deutlichsten Ausdruck erlangte die party polarization in dem 1998 letztlich erfolglos angestrengten Amtsenthebungsverfahren (impeachment) gegen Präsident Bill Clinton. In dieser Frage waren sowohl die beiden Häuser der Kongresses als auch die Bevölkerung deutlich entlang der Parteigrenze gespalten. 22 Ohne das ein längerer Zeitraum dazwischen lag, hat der Prozess um die Ermittlung des Zum Phänomen der verstärkten „party polarization“ im Kongress und in der Wählerschaft: Gary C. Jacobson, „Party Polarization in National Politics: The Electoral Connection“, Jon R. Bond, Richard Fleisher (Hrsg.), Polarized Politics. Congress and the President in a Partisan Era (Washington, D.C.: CQ Press, 2000) 9-30. 21 Jacobson, Party Polarization (Anm. 21) 10; „CBS News Poll, 12.2.1999“, PollingReport.com, Clinton: Scandals I (www.pollingreport.com/scandal1.htm). 22 13 Florida vote nun ein zweites Mal eine ausgeprägte Polarisierung innerhalb der Wählerschaft in einer stark emotionalisierten Debatte hervorgerufen.23 2.4. Machtverschiebungen Besondere Relevanz erhält die Polarisierung vor dem Hintergrund der veränderten Machtverhältnisse in den politischen Institutionen. Die Wahlen 2000 haben Ergebnisse hervorgebracht, die zeigen, dass die Wähler zu fast gleich großen Teilen der einen oder der anderen Partei zuneigen. Das politische Ergebnis, die Machtverteilung, fällt dabei aber viel deutlicher aus, als der Wählerwille. Obwohl die Wahlen 2000 keinesfalls besondere Zugewinne der Republikaner hervorgebracht haben, lassen sie sich doch als Bestätigung eines Trends interpretieren, der die Machtbalance in den 1990er Jahren zugunsten der Republikaner verschoben hatte:24 die Republikaner behaupteten 2000 mit leichten Verlusten ihre 1994 errungene Mehrheit im House, nach maßvollen Verlusten im Senate mussten sie sich auf Grund der entstandenen Pattsituation auf Formen der Machtteilung mit den Demokraten – beispielsweise im Ausschusswesen – einlassen,25 verfügten aber mit dem Vize-Präsidenten im Zweifelsfall über die entscheidende Stimme und die Republikaner stellen seit 2000 mit George W. Bush den Präsidenten. Obwohl die midterm elections in aller Regel zu Lasten der Partei des amtierenden Präsidenten ausfallen, bestätigte sich die Machtverschiebung bei den midterm elections 2002. Im Senat verfügen die Republikaner seit dem über eine knappe Mehrheit (51 R, 48 D, 1 Independent). Im Repräsentantenhaus fällt die Mehrheit sogar noch deutlicher aus (229 R, 205 D, 1 Independent). Damit ist die divided government, die Jahrzehnte in den Vereinigten Staaten politische Normalität war, Vergangenheit. In der politischen und politikwissenschaftlichen 23 In einer Umfrage unmittelbar nach der Entscheidung um die Präsidentschaft sagten 92 Prozent der Bush-Wähler aber nur 11 Prozent der Gore-Wähler, dass George W. Bush die Wahlen legitimerweise gewonnen habe. „CBS News Poll, 14.-16.12.2000“, PollingReport.com, The Long Count (www.pollingreport.com/wh2post.htm). 24 Zum Prozess dieses realignment: Campbell, American Campaign (Anm. 12) 215-218. 25 Helen Dewar, „Parties to Share Power in Senate“, Washington Post, 6.1.2001, A01. 14 Debatte in den USA ist immer wieder die Frage diskutiert worden, inwieweit diese Form der Machtteilung durch Blockaden und Verzögerungen besondere Nachteile mit sich brächte.26 Mit der Machtbündelung auf Seiten der Republikaner sind demgegenüber Chancen verbunden, zu einer effektiveren Durchsetzung von politischen Programmen zu gelangen. Eine zunehmende Homogenität innerhalb der Parteien, die Dominanz einer politischen Partei sowohl in Legislative und Exekutive und die knappen Mehrheiten im Kongress, die die Parteidisziplin zusätzlich befördern können, wirken dabei in die gleiche Richtung. Um tatsächlich Erfolge zu erzielen, kommt es im amerikanischen System der getrennten Regierungsinstitutionen jedoch nach wie vor darauf an, dass eine gute Zusammenarbeit zwischen dem Präsidenten und seinen engsten Beratern mit den Führern des Kongresses sichergestellt ist. 2.5. Personalisierung Als ein weiteres Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2000 kann der fortgesetzte und sich verfestigende Trend zur Personalisierung bezeichnet werden, bei der es zunehmend um images und weniger um politische Inhalte geht. Dass es sich bei der Wahl zum amerikanischen Präsidenten um eine Persönlichkeitswahl handelt, mag auf den ersten Blick als eine Binsenweisheit erscheinen, handelt es sich doch um die Wahl einer Person in das höchste Staatsamt, das sämtliche exekutive Gewalt auf sich vereinigt. Die historische Entwicklung zeigt aber, dass zumindest beim Auswahlverfahren der Kandidaten die Parteien lange Zeit eine zentrale Rolle gespielt haben. Erst mit der Durchsetzung der primaries (Vorwahlen) seit den siebziger Jahren haben die Parteien an Einfluss verloren. Seitdem ist es eher möglich, dass auch unbekannte oder in der Partei weniger geschätzte Personen eine erfolgreiche Kandidatur betreiben. Mit dem Verfahren der primaries sind die Kandidaten von Beginn an stärker auf ihr öffentliches Erscheinungsbild als auf die Durchsetzung innerhalb einer politischen Organisation konzentriert und leisten so einem durch das Medium Fern- Richard Fleisher, Jon R. Bond, „Polarized Politics: Does It Matter?“, dieselben (Hrsg.), Polarized Politics. Congress and the President in a Partisan Era (Washington, D.C.: CQ Press, 2000) 187-188. 26 15 sehen dominierten Wahlkampf Vorschub.27 In diesem Fernseh-Wahlkampf kommt den Bildern und Kurzbotschaften, die ein Kandidat von sich erzeugt bzw. die von ihm gemacht werden, und deren Wirkung in der Öffentlichkeit eine herausragende Bedeutung zu. Nun kann an dieser Stelle nicht die Frage nach dem Muster der Beeinflussung zwischen Medien und Öffentlichkeit beantwortet werden. Bedienen die Medien die Bedürfnisse der Öffentlichkeit oder prägen die Darstellungsweisen der Medien erst die Bedürfnisse und Meinungsbilder der Öffentlichkeit? Hier ist vor allem relevant, dass die Wechselwirkung zwischen Medien und Öffentlichkeit ein Bewertungsmaßstab für die Präsidentschaftsbewerber geschaffen hat, der das Persönlichkeitsprofil, die vermittelte Integrität des Kandidaten, höher bewertet, als die politischen Inhalte, für die der Kandidat steht. Dies haben für den Präsidentschaftswahlkampf 2000 auf eindrucksvolle Weise Meinungsumfragen bestätigt. So z.B. die Umfrage von CNN/Time vom 4./5. Oktober 2000. Befragt nach politischen Inhalten lag der demokratische Präsidentschaftskandidat Al Gore bei den meisten und den im Wahlkampf besonders wichtigen Themen zum Teil deutlich vor dem republikanischen Kandidaten George Bush.28 Dennoch lag Bush bei der Gesamtbewertung, also der Frage nach der Wahlentscheidung, mit 47 zu 45 Prozent knapp vor Gore. Erklärbar wird dieses Ergebnis, wenn man die Antworten auf die Fragen nach Glaubwürdigkeit, Vertrauenswürdigkeit und Ehrlichkeit der Kandidaten betrachtet. Hier konnte Bush jeweils besser abschneiden als sein Konkurrent Gore. Die naheliegende Schlussfolgerung: die Integrität der Kandidaten wird von den amerikanischen Wählern höher bewertet als die politischen Inhalte, mit denen sie sich für das Amt des Präsidenten bewerben.29 In die gleiche Richtung weist eine Exit 27 Zum Nominierungsverfahren der Präsidentschaftskandidaten und den durch die Vorwahlen stattgefundenen Veränderungen: John F. Bibby, Politics, Parties and Elections in America (Belmont: Wadsworth, 2000) 197-242. Auf die Frage „Which candidate – George W. Bush or Al Gore – do you think would do a better job on each of the following issues?“ lag Gore bei den Themen Medicare (53%:39%), Prescription drugs (52%:38%), Social Security (51%:42%), Abortion (50%;36%), Economy (50%:44%), Education (49%:44%) und World Affairs (47%:43%) vor Bush. Bush konnte hingegen bei den Themen Defense (58%:35%), Taxes (50%:43%) und Oil prices (47%:39%) einen Vorsprung verbuchen. Keating Holland, „Poll: Presidential race a dead heat“, CNN 6.10.2000 (www.cnn.com/2000/ALLPOLITICS /stories/10/06/cnn. poll/index.html). 28 29 An dieser Stelle ist auf die spezifischen Befragungsformen von CNN/Time und anderen amerikanischen Meinungsforschungsinstituten hinzuweisen, die sich durch wenig zurückhaltenden und respektvollen Umgang mit den Kandidaten auszeichnen und die durch die gestellten Fragen ein negatives Bild geradezu provozieren. Bei der hier genannten Befragung standen nicht etwa Fragen nach den Zustimmungsraten zu den politischen Positionen der Kandidaten an erster Stelle. Vielmehr folgten 16 Poll-Befragung der Los Angeles Times vom 7.11.2000. Zu der Frage „What did you like most about your choice for president?“ erzielte die Antwort „He has the experience and intellect to be president“ den Spitzenplatz mit 33 Prozent, während die Antwort „He thinks like me on the issues“ deutlich abgeschlagen mit 18 Prozent auf Platz zwei landete.30 3. Reform des Wahlsystems Debatten über die amerikanische Verfassung und einzelne Aspekte des politischen Systems sind in den Vereinigten Staaten von Amerika so alt wie die Verfassung selbst. Das spezifische amerikanische System der Gewaltenteilung, der checks and balances, das heißt der getrennten Institutionen, die aber gemeinsam an den Grundfunktionen teilhaben,31 erschwert schnelle und tiefgreifende Veränderung, ja macht sie nahezu unmöglich. Das gilt insbesondere für Maßnahmen, die Reformen der Verfassung zum Ziel haben. Dennoch sind in der amerikanischen Verfassungsgeschichte immer wieder wichtige Wandlungsprozesse und Reformen durch die Akteure in den politischen Institutionen selbst zustandegekommen. Erinnert sei hier nur an den 22. Verfassungszusatz (amendment) von 1947 (1951 ratifiziert), der die Regierungszeit des Präsidenten auf zwei Amtszeiten beschränkt. Flexibilität und Beharrungsvermögen scheinen gleichermaßen Merkmale der Verfassungsentwicklung in den USA zu sein.32 Das Wahlsystem der USA hat im Zusammenspiel der Kräfte Verfassung, Supreme Court, Kongress (Bundesgesetzgebung), Einzelstaaten und nach der Eingangfrage „For whom would you vote ...“ bereits die Fragen „Do you think the respective candidates would say anything to get elected president?“ (Gore 60% Yes, Bush 43% Yes) und „Please tell me whether you agree or disagree with the statements, >>Al Gore / George W. Bush changes his mind too often on important issues just to win votes.<<“ (Gore 52% Yes, Bush 34% Yes). Holland, CNN 6.10.2000 (Anm. 28). „Exit Poll, The Los Angeles Times Poll, 7.11.2000“, PollingReport.com, Election 2000 HQ (www.pollingreport.com/election.htm). 30 Winfried Steffani hat diese Konstruktion treffend als „System der Institutionentrennung mit teilnehmender Gewaltenausübung“ beschrieben. Winfried Steffani, „Opposition und Kooperation. Präsident und Kongreß in der Ära Reagan“, Hartmut Wasser (Hrsg.), Die Ära Reagan. Eine erste Bilanz (Stuttgart: Klett-Cotta, 1988) 81. 31 Andreas Falke, „Sind 200 Jahre genug? Zur Debatte um eine Reform der amerikanischen Verfassung“, Aus Politik und Zeitgeschichte, B 30-31, 25.7.1987, 16-28. 32 17 Parteien im Laufe der Geschichte wichtige Veränderungen erfahren.33 In historischer Perspektive lassen sich diese Änderungen als den Prozess einer vertieften Demokratisierung erkennen, der zu einer Ausweitung und Sicherstellung des Wahlrechtes führte. Die amerikanische Politikwissenschaft hat sich breit und intensiv mit den verschiedenen Aspekten des politischen Systems und des Wahlsystems befasst und praktische Fragen von Reformmöglichkeiten und –notwendigkeiten bis hin zur Frage einer Verfassungsreform diskutiert. Wichtige Themen hinsichtlich der Präsidentschaftsund Kongresswahlen waren in der jüngsten Vergangenheit: das Nominierungs- und Auswahlverfahren der Präsidentschaftskandidaten, die Wahlkampfkosten und die Methoden der Wahlkampffinanzierung, moderne Wahlkampagnen und die Rolle der Medien in Wahlkämpfen und das Problem der geringen Wahlbeteiligung.34 Der Verlauf der Präsidentschaftswahlen im Jahr 2000 hat die Aufmerksamkeit um zwei wichtige Themen erweitern: Das erste Thema sind die Erfassung der Wähler, die Verfahren der Stimmenabgabe und die Methoden der Erfassung der Wählerstimmen. Die Probleme bei der Ermittlung des Florida vote haben zahlreiche Unzulänglichkeiten offenbart: uneinheitliche Verfahren, problematische Stimmzettel, unzureichende Verfahren und Techniken sowohl bei maschinellen als auch bei manuellen Auszählungen der Stimmzettel. 3.1. Abschaffung des Electoral College? Das zweite Thema, das die Reformdebatte geprägt hat, ist das Wahlverfahren des Präsidenten. Dieses ist kein neues Thema. In seinem grundlegenden Werk über „Constitutional Reform and Effective Government“ hat James L. Sundquist „A new or modified procedure for selecting the president“ auf Platz drei von insgesamt neun erstrebenswerten amendments zur Reform der amerikanischen Verfassung gesetzt. 33 Philip John Davies, US elections today (Manchester, New York: Manchester University Press, 1999) 11-13. 34 Zum Folgenden vgl. die entsprechenden thematischen Beiträge in Robert E. DiClerico (Hrsg.), Political Parties, Campaigns, and Elections (Upper Saddle River, New Jersey: Prentice Hall, 2000). 18 Das System des electoral college mit der Möglichkeit, dass ein Kandidat zum Präsidenten gewählt wird, obwohl er nicht über die Mehrheit der Wählerstimmen verfügt, ist in der Beurteilung von Sundquist nicht nur fern der Intentionen der Verfassungsväter; ein derartiger Fall würde ein undemokratisches Ergebnis darstellen und eine Legitimationskrise der Regierung bewirken.35 Auch in der Politik ist die Abschaffung des Wahlmännergremiums und die Direktwahl des Präsidenten bereits wiederholt diskutiert und Gegenstand von politischen Initiativen gewesen, ohne dass jemals die notwendige Mehrheit im Kongress zustande gekommen ist.36 Die Präsidentschaftswahlen 2000 haben dazu geführt, dass das Wahlmännersystem erneut, auch von prominenter Seite, heftig kritisiert und dessen Abschaffung gefordert wurde.37 Auch im Kongress sind als Folge der Präsidentschaftswahlen 2000 bereits unterschiedliche Reformansätze diskutiert worden.38 Zwar legen die besonderen Umstände des Präsidentschaftwahlergebnisses 2000 eine Reform nahe, doch sind die verfassungsmäßigen Hürden für eine Änderung hoch und die Interessen, die gegen eine Reform sprechen, stark. Die Abschaffung des electoral college ist allein auf dem Weg eines Verfassungszusatzes (constitutional amendment) zu erreichen. Dafür ist erstens eine Zweidrittel-Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses nötig, deren Zustandekommen im neu gewählten 107. Kongress von Anfang an unwahrscheinlich war. Dies hätte nämlich bedeutet, dass ein großer Teil der republikanischen Senatoren und Abgeordneten dem republikanischen Präsidenten faktisch die politische Legitimation entzogen hätte. Selbst wenn diese Hürde im Kongress genommen würde, bliebe ein weiteres fast unüberwindliches Hindernis: Die Neuregelung bedürfte einer Ratifikation in dreiviertel der Bundesstaaten. Die große Zahl der kleinen, bevölkerungsschwachen Staaten profitiert aber von dem Wahlmännersystem, da sie so über ein überproportionales Stimmgewicht verfügen. Daher wäre es sehr unwahrscheinlich, dass sich die notwendige Mehrheit 35 James L. Sundquist, Constitutional Reform and Effective Government (Washington, D.C.: The Brookings Institution, 1992) 54-55, 187-190, 323. 36 Sundquist, Constitutional Reform (Anm. 35), 56-58. Charles Babington, „Electors Reassert Their Role“, Washington Post, 19.12.2000, A01; Arthur Schlesinger Jr., „Fixing The Electoral College“, Washington Post, 19.12.2000, A39. 37 Matthew Vita, Helen Dewar, „Congress Debates Election Reform“, Washington Post, 17.11.2000, A20. 38 19 fände. So ist es wenig verwunderlich, dass entsprechende Anstrengungen keine ausreichende Unterstützung in den politischen Institutionen erhalten haben. 3.2. Rückkehr zur Normalität Dass für eine weitreichende Reform des Wahlsystems der innenpolitische Druck nicht ausgereicht hat, liegt auch daran, dass es im Zuge des chaotischen Wahlprozesses in Florida eben nicht zu einer wirklichen Legitimationskrise des politischen Systems gekommen ist. Nach der Entscheidung des Supreme Court sind die nach Präsidentschaftswahlen vorgesehenen Verfahren mehr oder weniger routinemäßig abgelaufen. Die offizielle Auszählung der Wahlmännerstimmen in einer Sitzung beider Häuser des Kongresses unter Vorsitz des amtierenden Vize-Präsidenten Al Gore hat trotz des Widerspruchs von Seiten demokratischer Mitglieder ohne Zwischenfälle stattgefunden39 und selbst die Aufnahme der Arbeit der U.S. Commission on Civil Rights in Florida zur Untersuchung von Unregelmäßigkeiten bei den Präsidentschaftswahlen erschien als ein normaler Prozess, 40 der zeigte, dass das politische System der USA auch für diese Fragen ein zuständige Institution kennt. Die Amtseinführung des Präsidenten am 20. Januar 2001 verlief – obwohl sich an der Pennsylvania Avenue eine große Zahl von Demonstranten eingefunden hatte – ohne nennenswerte Störungen. Dieser Übergang zur Normalität hat selbst professionelle Beobachter in den USA überrascht. In einem Artikel der Washington Post hieß es dazu: „With almost unseemly speed, Americans seem ready to forget the five-week post-election contest. ... Like impeachment, ... the 36-day Florida crisis -- was it a crisis? -- already is being treated by many as stale and almost irrelevant. We survived with no tanks in the streets, you hear it said, and that proves the system is basically sound. Let´s move on.“41 Wie lässt sich dieses Phänomen erklären? Der Schlüssel ist die spezifische Politische Kultur der USA. Sie verhindert eine ernste politische Krise und entfaltet eine Edward Walsh, Juliet Eilperin, „Gore Presides as Congress Makes Bush Win Official“, Washington Post, 7.1.2001, A01. 39 Sue Anne Pressley, „Civil Rights Commission Looking Into Florida Vote Irregularities“, Washington Post, 11.1.2001. 40 41 „Remembering Florida“, Washington Post, 17.12.2000, B06. 20 Integrationskraft, die die erkennbaren Legitimationsprobleme erheblich relativiert. Wie kaum eine andere basiert die amerikanische politische Kultur, der americanism, auf politischen Prinzipien und Überzeugungen (Freiheit, gleiche Rechte, Demokratie / Republikanismus, Individualismus / Eigenverantwortlichkeit), die, verbunden mit einem starken Fortschrittsglauben und dem Bewusstsein, einer besonderen Gesellschaft und Nation anzugehören (america first), eine starke Integrationskraft entfaltet.42 In Bezug auf den hier behandelten Zusammenhang mit den Präsidentschaftswahlen 2000 lässt sich dieses aus der öffentlichen Meinung ablesen. Meinungsumfragen von Ende November und Anfang Dezember zeigen, dass über 50 Prozent der Befragten, die Vorgänge in Florida als eine bestehende oder werdende Krise einschätzten.43 In einer Umfrage unmittelbar nach dem entscheidenden Urteil des Obersten Gerichtshofs und der eingestandenen Niederlage von Al Gore sagten nur 53 Prozent, dass Bush die Wahl zum Präsidenten legitimerweise gewonnen habe. In der gleichen Umfrage waren aber 68 Prozent der Befragen bereit, George W. Bush als legitimen Präsidenten der USA anzuerkennen. Wirklich verärgert über den Wahlausgang 2000 zeigte sich nur eine Minderheit von 12 Prozent.44 Doch nicht nur die Öffentlichkeit, sondern auch die politischen Akteure schienen nach den heftigen politischen und gerichtlichen Auseinandersetzungen schnell bereit zu sein, zur normalen politischen Tagesordnung überzugehen. Bemerkenswert ist hier vor allem die Rede von Al Gore vom 13. Dezember 2000, in der er die Präsidentenwahl für sich verloren gab und Bush ohne Einschränkungen gratulierte. Zwar hob Gore hervor, dass er mit der Entscheidung des Supreme Court nicht einverstanden sein könne, doch machte er keinerlei Ankündigungen, die auf eine Fortsetzung der Auseinandersetzung oder eine beabsichtigte Reform des Wahlverfahrens schließen ließen. Im Gegenteil, die als staatsmännisch wahrgenommene Rede Gores hatte scheinbar vor allem zum Ziel, Amerika vor Schaden zu bewahren. So betonte Gore, dass die parteilichen Auseinandersetzungen nun beendet werden müssten, dass er 42 Zur Politischen Kultur der USA: Peter Lösche, Amerika in Perspektive. Politik und Gesellschaft der Vereinigten Staaten (Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1989) 271-297. „Newsweek Poll conducted by Princeton Survey Research Associates“, 29.11.-1.12.2000 und 7.8.12.2000, PollingReport.com, The Long Count (www.pollingreport.com/wh2post.htm). 43 44 Auf die Frage "Which comes closest to describing the way you feel about the outcome of this election“ antworteten 14% „enthusiastic“, 36% „satisfied but not enthusiastic“, 37% „dissatisfied but not angry“ und nur 12% „angry“. „CBS News Poll, 14.-16.12.2000“, PollingReport.com, The Long Count (www.pollingreport.com/wh2post.htm). 21 dabei behilflich sein wolle, Amerika zusammenzuführen und dass es nun darum ginge, loyal zu dem neuen Präsidenten zu stehen: „I personally will be at his disposal, and I call on all Americans ... to unite behind our next president.“ 45 Auch der siegreiche Kandidat George W. Bush stimmte versöhnliche Töne an, er betonte die weitgehenden Gemeinsamkeiten der Parteien und ließ die Absicht erkennen, seine Präsidentschaft auf eine breite überparteiliche Zusammenarbeit aufzubauen.46 3.3. Help America Vote Dennoch hat es in den folgenden Monaten und Jahren ein breites Interesse an dem Thema Reform des Wahlsystems gegeben. Zahlreiche Experten und auch Kommissionen47 haben dazu Vorschläge vorgelegt und auch der Kongress hat sich ernsthaft mit dem Thema befasst. Dabei ging es allerdings in erster Linie um die Wählerregistrierung, die Wahl- und Stimmenauszählungsverfahren. Der Kongress hat schließlich im Oktober 2002 den Help America Vote Act (HAVA) verabschiedet, der die Anforderungen an Wahlverfahren und die Verfahren zur Erfassung der Wähler festlegt. Auch wurde die Election Assistance Commission (EAC) begründet, eine Bundesbehörde, die nun stärker Einfluß auf die Wahlprozesse nimmt, obwohl diese grundsätzlich im Kompetenzbereich der Einzelstaaten liegen. Darüber hinaus hat der HAVA für die Jahre 2003 bis 2006 insgesamt 3.86 Mrd. US$ zu Verfügung gestellt: für die Verbesserung der Election Administration, für die Anschaffung neuer Maschinen und Technologien zur Stimmenauszählung, für Maßnahmen zur Gewährleistung der Teilnahme von behinderten Menschen an den Wahlen, für die Erforschung neuer Wahltechnologien und „Text: Vice President Gore Concedes Election“, Washington Post, 13.12.2000 (www.washingtonpost.com). 45 „Text: George W. Bush Claims Presidency“, Washington Post, 14.12.2000 (www.washington post.com). 46 47 Siehe insbesondere den Report of the National Commission on Federal Election Reform, To Assure Pride and Confidence in the Electoral Process (Washington D.C. : Brookings Institution Press, 2002). 22 für Programme zur Anwerbung und Ausbildung von Studenten als Wahlhelfer.48 Inwieweit diese Maßnahmen ausreichen, um in Zukunft die Auszählung exakter Wahlergebnisse zu garantieren, können bereits die Wahlprozesse 2004 zeigen. 4. Schlussbemerkungen Die Präsidentschaftswahlen 2000 hatten Defizite des Wahlsystems in den USA offenbart und eine Debatte über eine elections reform und die Abschaffung des electoral college ausgelöst. Mit dem Help America Vote Act aus dem Jahre 2002 hat der Kongress wichtige Schritte eingeleitet, damit fehlerhafte Prozesse in Zukunft vermieden werden können. Für das Anliegen der Abschaffung des electoral college hat es dagegen zu keiner Zeit eine wirkliche Realisierungschance gegeben. Schon zu Beginn seiner Präsidentschaft hatte George W. Bush kein ernsthaftes Legitimationsproblem als Ergebnis des ungewöhnlichen Wahlprozesses. Amerika kehrte schnell zur Normalität zurück, obwohl in der Beurteilung von George W. Bush und in der Bewertung des Wahlausgangs eine deutliche Polarisierung zwischen Republikanern und Demokraten zu erkennen war. Nach 100 Tagen im Amt stellte die amerikanische Öffentlichkeit dem neuen Präsidenten insgesamt recht gute Noten aus: Bei Umfragen gaben 63 Prozent an, dass sie mit der Amtsführung von Bush einverstanden seien.49 Die grausamen Terroranschläge des 11. September 2001 haben schon nach wenigen Monaten der neuen Präsidentschaft alle anderen Themen von der politischen Tagesordnung verdrängt und für ein außergewöhnliches Stimmungsbild gesorgt. Der Präsident erlangte in dieser Situation als „defender of the nation“ Zustimmungsraten in einer bis dahin noch nie gemessenen Höhe von über 90 Prozent. Auch der Kongress als „embodiment of American democracy“ erreichte in 48 Vgl. Congressional Research Service, Elections Reform: Overview and Issues, CRS Report for Congress, Updated September 25, 2003, http://usembassy.de/policy/administration/crs. Dan Balz, Claudia Deane, „Bush Gets Solid Marks. Poll Finds Americans Question President´s Priorities“, Washington Post, 24.4.2001, A01. 49 23 dieser schwierigen Situation der nationalen Sicherheit hohe Zustimmungsraten. Bei den Kongresswahlen 2002 konnte die Partei des Präsidenten ebenfalls von der besonderen Situation profitieren und im Gegensatz zu den sonst üblichen Verlusten bei den midterm elections Zugewinne verzeichnen. Die Republikanische Partei stellt somit nicht nur den Präsidenten, sondern verfügt auch über Mehrheiten im Senat und im Repräsentantenhaus. Um so überraschender sind die Schlussfolgerungen, die aus der Analyse der Wahlen 2002 und diverser Umfrageergebnisse gezogen werden müssen:50 Die Polarisierung zwischen den Parteien und in der Wählerschaft auch als Ergebnis einer zunehmend Kohärenz innerhalb der Parteien hat keinesfalls abgenommen. Auch die Zustimmungsraten nach dem 11. September 2001 und nach dem Krieg gegen Saddam Hussein fielen rasch wieder auf normale Werte. Da das republikanische und das demokratische Lager potentiell nahezu gleich stark sind, muss 2004 bei einem überzeugenden demokratischen Kandidaten mit einem knappen Rennen um die Präsidentschaft und die Mehrheiten in den beiden Häusern des Kongresses gerechnet werden. Die besondere Relevanz der vermittelten bzw. angenommenen Integrität der Kandidaten könnte dabei durchaus ausschlaggebend sein. Unsicher ist dagegen der Einfluss des Faktors Wirtschaft auf das Wahlergebnis. Eine anhaltend eher schwierige wirtschaftliche Lage und vor allem die brisante Haushaltslage könnten Präsident Bush – ähnlich wie seinem Vater 1992 – die Wiederwahl kosten. Dieses Szenario ist jedoch keinesfalls sicher, wie der begrenzte Einfluss der wirtschaftlichen Situation auf das Wahlergebnis 2000 gezeigt hat. Entscheidend wird sein, ob andere Themen – beispielsweise die Aussen- und Sicherheitspolitik – einen hohen Stellenwert erlangen. Die Wahlkampagnen der Kandidaten und Parteien könnten hier entscheidenden Einfluss ausüben. 50 Ausführlich dazu: Gary C. Jacobson: The Bush Presidency and the American Elctorate, 2003 (www.wws.princeton.edu/bushconf/JacobsonPaper.pdf).