2° DAS WETTER, DER MENSCH UND SEIN KLIMA Eine Ausstellung des Deutschen Hygiene-Museums 11. Juli 2008 bis 19. April 2009 AUSFÜHRLICHE PRESSEINFORMATION Dem fragilen Verhältnis zwischen Mensch und Atmosphäre widmet das Deutsche Hygiene-Museum diese große Sonderausstellung. Erstmals werden die naturwissenschaftliche Erforschung und unsere Kultur des Wetters, werden Geschichte, gegenwärtige Debatten und Zukunftsszenarien in einem großen Ausstellungsprojekt vorgestellt. Die Ausstellung präsentiert Objekte aus der Natur-, Kultur-, Kunst- und Wissenschaftsgeschichte, die im Zusammenspiel mit Medieninstallationen und interaktiven Elementen zu einer Lern- und Erlebnisausstellung für ein breites Publikum zusammengeführt werden. Breiten Raum nehmen aktuelle VideoInterviews mit Klima-Zeugen aus aller Welt ein, in denen klar wird, wie unterschiedlich der Klimawandel sich auf der Erde bemerkbar macht und wahrgenommen wird. Die Ausstellung lässt die Besucher die Wechselbeziehungen zwischen Mensch, Wetter und Klima auf verschiedenen Ebenen selbst nachvollziehen. Sie bietet vielfältige Möglichkeiten, sich vom Wetter faszinieren und überraschen zu lassen, es zu erforschen und – etwas besser - zu verstehen. Denn weder das Wetter noch das Klima sind bis heute wissenschaftlich gänzlich verstanden. Aber täglich lernen die Wissenschaftler mehr über die Komplexität dieser Systeme, über die unabsehbaren 1 Folgen der Eingriffe durch den Menschen und über ihre Bedeutung für unser eigenes Leben. In vier Abteilungen berichtet die Ausstellung über das Wetter und seine Macht. Sie zeigt, was unterschiedliche Disziplinen zur Klima- und Klimafolgenforschung beitragen, welche aktuellen Fragen etwa Meteorologie, Physik, Biologie oder Statistik an das Wetter stellen. Sie präsentiert unterschiedliche kulturelle Perspektiven auf die Atmosphäre - und sie reflektiert die Geschichte von Wetter und Klima als Teil der Natur- und der Kulturgeschichte der Moderne. 1. DIE MACHT DER ATMOSPHÄRE WAS WETTER UND KLIMA VERÄNDERN KÖNNEN Eine elementare menschliche Erfahrung besteht darin, der Urgewalt der Natur ausgeliefert zu sein. Aber Wetter und Klima sind gleichgültig gegenüber allem, was sich auf der Erde vorfindet - auch gegenüber dem Menschen. Wetter und Klima prägen und verändern Landschaften, sie sind Taktgeber der Evolution und vernichten Leben schlagartig in Katastrophen oder zwingen durch klimatische Langzeitver-änderungen zum Aufgeben von Lebensräumen. Heute registrieren wir 2 eine Zunahme dramatischer Wetterereignisse, aber das ist erdgeschichtlich betrachtet keine Ausnahme. Es gibt eine lange Geschichte solcher Ereignisse und ihres Einflusses auf den Menschen - und auf alles andere, was der Atmosphäre ausgeliefert ist. Gestaltung: Die erste Ausstellungsabteilung präsentiert authentische Objekte, die Zeugen solcher gewaltigen Wetterkräfte oder Klimaveränderungen wurden. Die Atmosphäre dieses einführenden Raumes ist von einer dramatischen Lichtstimmung geprägt, die Exponate werden auf grauen Sockeln wie auratische Kunstwerke präsentiert: Objektgruppen und Schlüsselexponate: - durch Unwetter verformte und zerstörte Natur- und Kulturobjekte, z.B. eine vom Blitz gespaltene Eiche, ein von einem Baum zertrümmertes Auto, ein durch den Wirbelsturm Katrina deformiertes Verkehrsschild aus New Orleans - Objekte, die sich durch langanhaltende Witterungseinflüsse verändert haben - der versteinerte Schädel des ausgestorbenen europäischen Flusspferdes - ein ausgestopfter Eisbär, als Beispiel für eine Tierart, deren Lebensraum sich fundamental zu verändern droht 3 - Windkanter, Gesteine, die durch vom Wind transportierten Sand zu charakteristischer, oft kielartiger Form geschliffen wurden II. BEOBACHTEN UND BERECHNEN DER WUNSCH, IN DIE ZUKUNFT ZU SEHEN Die zweite Abteilung zeigt das Klima als Gegenstand der historischen und gegenwärtigen Forschung. Im Gegensatz zum Wetter ist das Klima ein Medien- und Datenphänomen, das heute nur noch dank gewaltiger Rechnerleistungen überblickt werden kann. Modernste Messinstrumente und Satelliten erfassen und analysieren ständig fast sämtliche Wetterphänomene: Wie verändert sich die Sonnenstrahlung? Wie bilden sich Wolken? Ist der gegenwärtige Klimawandel durch seine Geschwindigkeit und sein Ausmaß einzigartig in der Menschheitsgeschichte? Was kann die Geschichte des Klimas über seine Zukunft aussagen? Am Anfang der Wissenschaftsgeschichte des Wetters steht vor fast vierhundert Jahren die Feststellung des florentinischen Hofmathematikers Evangelista Torricelli, dass Luft Druck ausübt, also ein Gewicht hat - dass wir also alle "am Grunde eines Meeres aus Luft" leben. Seitdem wird das Wetter erforscht, indem sein Geschehen aus physikalischen Größen und Gesetzen abgeleitet wird. Aus Erfahrung wird Berechnung - dies gilt heute, da in großem Stil klimatische Veränderungen in Modellrechnungen simuliert werden, mehr denn je. 4 Neben Datenberechnung und prognostischen Simulationen bleibt jedoch das Beobachten von Phänomenen und das Messen physikalischer und chemischer Größen die Basis unseres wissenschaftlichen Umgangs mit dem Wetter. Viele scheinbar einfache Fragen sind bis heute noch nicht umfassend beantwortet. Und so beginnt die Erzählung der zweiten Abteilung ausgehend von den unmittelbar erfahrbaren Wetterphänomenen. Sie zeigt exemplarisch, welche Fragen und Herangehensweisen es in der Geschichte der wissenschaftlichen, aber auch der künstlerischen Auseinandersetzung mit den Wetterphänomenen gab. Sie zeigt die unterschiedlichen Ansätze, das Wetter zu messen, es zu beobachten und es durch jahrhundertelanges, mehrmals tägliches Notieren für die Nachwelt zu "konservieren". Immer wieder erlaubt sich die Ausstellung aber auch unerwartete "Seitenblicke", so wenn sie beispielsweise die uns vertraute Form des Wetterberichts mit den wetterprognostizierenden Mäuseorakeln der Baule von der Elfenbeinküste konfrontiert wird. Gestaltung: In der Gestaltung dieser Abteilung finden sich erstmals die raumbeherrschenden architektonischen Elemente, die sich in abgewandelter Form in der ganzen Ausstellung wiederfinden werden. Alle Exponate und Medien sind in skulpturale Konstruktionen aus genormten Baugerüststangen eingepasst und zu thematischen Blöcken zusammengefügt. Dieses architektonische und gestalterische Prinzip steht 5 einerseits für Komplexität, gleichzeitig aber auch für Vorläufigkeit und Wandelbarkeit. Die Gestaltung der Ausstellung reflektiert so gleichsam das Verhältnis der Klima-forschung zu ihrem Gegenstand. Eine starke Lichtinszenierung verweist hingegen auf den emotionalen Aspekt und das unbezweifelbare Stimmungspotential von Wetter- und Klimaphänomenen. Objekt- und Themengruppen: Diese umfangreiche Abteilung zeigt unter anderem: Objekte und Filme aus Geschichte und Gegenwart der Wetterforschung und des Klimawandels, Klima- und Wetterarchive wie Bohrkerne, Baumscheiben, Versteinerungen, historische Aufnahmen (Zeitreihen), Pflanzen und Tiere als Klimaindikatoren, filmische Animationen zur Erläuterung von Wetterphänomene und des Klimasystems, künstlerische Darstellungen von Wetter-phänomenen, interaktive Elemente zur Erkundung von Wetterphänomenen wie Blitz, Wind oder Wolken, einen Zeitrafferfilm vor der Ausstellung, der mit Blick auf das Elbtal das Dresdner Wetter im Jahresverlauf 2007/08 zeigt, sowie eine klassische Wetterhütte vor dem Museumsgebäude. In zahlreichen Video-Statements von Wetter- und Klimaforschern wird nicht nur deutlich, mit welchen Fragen sie sich beschäftigen, sondern auch ihre Faszination angesichts eines ständig wandelbaren und noch lange nicht ergründeten Forschungsgegenstands. Schlüsselexponate: Katsushika Hokusai 6 Ejiri in der Provinz Suruga (plötzlicher Windstoß), um 1831 aus der Serie: "Sechsunddreißig Ansichten des Fuji" Courtesy Kupferstichkabinett, Staatliche Kunstsammlungen Dresden Hokusais Farbholzschnitt aus dem 19. Jahrhundert zählt zu den wichtigsten und eindrucksvollsten künstlerischen Darstellungen des Wetterphänomens Wind: Vor dem Hintergrund des Fuji kämpfen Bauern auf einem Dammweg zwischen Reisfeldern und zwei windgepeitschten Bäumen gegen einen heftigen Sturm an. Ukichiro Nakaya, snow crystals Japan, 1950, 19 Min, 1990 An der Spitze eines Kaninchenhaares ließ der japanische Experimentalphysiker Ukichiro Nakaya 1936 den ersten künstlichen Schnee kristallisieren. Sein Film snow crystals wurde als wissenschaftlicher Lehrfilm konzipiert. Er zeigt, wie Schneekristalle zum Wachsen gebracht werden, wie sie untersucht werden, wie sie schmelzen – und zugleich zeigt der Film, etwa durch die Geschwindigkeit, in der die vergrößerten Kristalle durchs Bild schweben die Faszination des Forschers für seinen Gegenstand. Im Lauf seines Lebens machte Nakaya rund 3.000 Mikrophotographien von Schneekristallen und entwickelte ein noch heute gebräuchliches Klassifikationssystem. Charles David Keelings Glasflasche für Luftproben 1958/2005 Hawaii, Mauna Loa Observatorium |University of California, San Diego, La Jolla Mit dieser und etwa 600 weiteren Flaschen aus Pyrexglas sammelte der US-amerikanische Chemiker Charles David Keeling (1928–2005) Luft. Die Proben untersuchte er auf ihren C02Gehalt – und legte damit den unersetzlichsten Datensatz der Klimaforschung an. Nur durch die Messungen von Charles Keeling, die er oft gegen Mittelkürzungen verteidigen musste, wissen wir heute, dass der C02-Anteil der Atmosphäre in den letzten fünfzig Jahren von 315,71 Molekülen pro Million Luftmoleküle auf 385,76 gestiegen ist. Die Keeling-Kurve, die so entstand, ist zu einem zentralen Symbol des Klimawandels geworden. Keeling-Kurve 1958/2008 Diese Kurve zeigt die Entwicklung des C02-Anteils der Atmosphäre. Das Sägezahnmuster entsteht, weil die Vegetation im Sommer mehr C02 aus der Luft bindet als im Winter. Seit 1958 ist der Wert stetig angestiegen. Er liegt heute 37 Prozent über dem vorindustriellen Niveau und höher als er es in den vergangenen 600.000 Jahren je war. Die Daten für diese Kurve werden laufend auf dem 3.400 Meter hohen Gipfel des Mauna Loa in Hawaii gemessen. Dort ist sichergestellt, dass nur das atmosphärische C02 in die Proben gelangt, keine direkten Emissionen aus Industriebetrieben. 7 Anemometer des Observatoriums Mount Washington, 1980 Mount Washington Observatory, New Hampshire, North Conway Der Hersteller dieses Windmessers wirbt mit dem Slogan „Tested on Mount Washington“. Das dortige Wetter-Observatorium ist nicht nur laut Eigenbeschreibung "die Heimat des schlechtesten Wetters der Welt". Allerdings funktionierte das Gerät nur wenige Tage, bevor es der Wind komplett zerlegte. Heute wird die Windstärke dort mit einem Pitotrohr gemessen, das sonst auch der Geschwindigkeitsmessung an Flugzeugen dient. Filme des Max Planck-Instituts für Meteorologie Klima-Projektionen Der Weg zur Zukunft des Klimas ist komplex. Am Anfang stehen 40 Szenarien des UNKlimarats zur demographischen, sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Entwicklung der Weltbevölkerung in den Jahren 2001 bis 2100. Aus ihnen werden "Emissions-Szenarien" abgeleitet. Modelle des Kohlenstoffkreislaufs simulieren, wie sich unter den jeweiligen Voraussetzungen der Anteil von Treibhausgasen an der Atmosphäre entwickeln würde. Ausgehend von diesen Werten wird schließlich mit gigantischen Rechnerleistungen simuliert, was sich daraus für das Weltklima ergibt. Für den aktuellen Weltklimastatusbericht (IPCC AR4) wurden drei Szenarien modelliert, die die Spannbreite möglicher Entwicklungen repräsentieren: A2 ('pessimistisch'), A1B ('realistisch') und B1 ('optimistisch'). Die Filme der Computerstation zeigen Ergebnisse von Modellrechnungen zu diesen Szenarien, die das Max-Planck-Institut für Meteorologie mit Hilfe des Deutschen Klimarechenzentrums für den letzten Bericht des UN-Klimarates erstellt hat. Die Modelle beziehen auch natürliche Faktoren ein, an ihrer Verbesserung (etwa einer höheren Auflösung oder der Möglichkeit, weitere Prozesse und Rückkopplungseffekte einzubeziehen, wird fortlaufend gearbeitet. Meteorologisches Tagebuch 26. Juni bis 18. September 1823 Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), geführt von Johann August Friedrich John (1794–1854), ergänzt durch Heinrich Ludwig Friedrich Schrön (1799–1875) | 32 Blatt, geheftet | Klassik Stiftung Weimar; Kunstsammlungen Weimar, GSA 26/LXIX,5,9 Während einer Badereise in Böhmen beauftragte Goethe seinen Schreiber und Kammerdiener John mit der kontinuierlichen Beobachtung und Aufzeichnung der Witterung. Vor allem um die Wolken ging es. John beschrieb sie in der Howardschen Terminologie. Der Leiter der Meteorologischen Anstalten des Großherzogtums Sachsen-Weimar Ludwig Schrön, 8 mit dem Goethe eng zusammenarbeitete, fügte meteorologische Kommentare und Überlegungen zur Systematisierung von Wolkenbeobachtungen an (linke Spalten). Seit Goethe 1815 Luke Howards Klassifikation kennengelernt hatte, beschäftigte er sich unter ganz neuen Gesichtspunkten mit den Wolken und ihrer Beobachtung. Für seine anhaltende Faszination durch die Wolken wie den Schöpfer ihrer Klassifikation gibt es eine Fülle von Belegen, unter anderem einen Hymnus mit dem Titel »Howards Ehrengedächtnis«. III. ABWEHR UND ANPASSUNG. MACHT DAS KLIMA DEN MENSCHEN ODER GESTALTET DER MENSCH SEIN KLIMA? Das Verhältnis zu Wetter und Klima ist auch eine Frage der persönlichen Einstellung, die aber immer auch von kollektiven, kulturellen Erfahrungen geprägt ist. Das bedeutet: Wenn sich das Klima ändert, ändert sich auch unser Verhältnis zu ihm. Der dritte Ausstellungsraum erzählt persönliche Geschichten vom Leben mit dem Wetter und er erzählt von der Klimageschichte der Menschen. Er stellt historische und aktuelle Einstellungen zu Wetter und Klima vor und beschreibt, welche Energie wir individuell und kollektiv aus diesen Phänomenen beziehen. Die menschliche Kultur funktioniert dabei oft wie eine Art Klimaanlage, die aus der natürlichen Außenwelt einen geordneten Innenraum zu machen versucht. Doch der Mensch hat zugleich auch gelernt, sich den klimatischen Veränderungen anzupassen und mit den verfügbaren Rohstoffen zu haushalten. Vor allem in der Bewältigung von Katastrophen und schwierigen Klimaten zeigt sich, welche gemeinschafts- und kulturprägende Kraft das Wetter haben kann. Das Spektrum gesellschaftlicher Reaktionen reicht von der gottergebenen Hinnahme bis 9 hin zu dem Ziel, sich technisch von den natürlichen Bedingungen zu emanzipieren, und zum Ideal einer vollständig beherrschbaren Natur. Unser heutiger Umgang mit Wetter und Klima erweist sich oft als eine Form der "Klimatisierung", der Herstellung angenehmer, vom Außen abgekoppelter Innenklimata. Das Unkontrollierbare wird durch Messungen und Technologien handhabbar gemacht und so scheinbar domestiziert. Gleichzeitig hat es in der Geschichte aber immer wieder auch andere Strategien gegeben: Arrangements mit unterschiedlichen Wetter- und Klimabedingungen, das Aufgeben unbewohnbar werdender Gebiete oder das Erschließen scheinbar unbewohnbarer Landschaften. Dabei ist das Verhältnis zum Wetter alles andere als eindimensional. Neben dem Streben nach Kontrolle, nach der Überwindung der Zufälligkeit des Naturereignisses gibt es immer auch den Weg, der genau dort hinführt - der Mensch macht sich gezielt zum Objekt von Wetter und Klima, indem er sich ihm aussetzt. Er genießt die Sonne, den Regen auf der Haut und den Wechsel der Jahreszeiten; er sucht das angenehme Urlaubs-, aber auch das extreme Klima, er lässt sich herausfordern und stößt an die eigenen Grenzen. Objekt- und Themengruppen: Objekte privaten Wettersammelns, Wetter in der Literatur, Wetter als Erlebnis, Geräusche des Wetters, ein Musée sentimentale des Lebens mit und gegen das Wetter, gesellschaftliche Reaktionen auf historische und aktuelle 10 Klimaveränderungen, Regen, Wetterkatastrophen und Stürme als filmisches Phänomen Schlüsselexponate der Abteilung: Verdunstungskühler frühe 1950er Jahre, Arizona, USA | Arizona Historical Society, Tempe, Arizona, USA Viele Klimaanlagen nutzen bis heute ein altbekanntes Prinzip: sie verdunsten Wasser. Der erste »Apparat zur Behandlung von Luft« kühlte 1902 eine New Yorker Druckerei. Erfunden wurde er von Willis Carrier (1876–1950). Carrier nannte sein Produkt das »künstliche Wetter«. Die Klimatisierung von Privaträumen blieb lange Zeit ein Luxus. Sie verbreitete sich erst in den 1960er Jahren. Heute haben ca. 80 % der Haushalte in den USA eine Klimaanlage. Wird es in Deutschland immer heißer, wird man wohl auch hier häufiger Fenster und Türen schließen und künstliches Wetter genießen. Gottfried Benns Tischkalender für das Jahr 1945 Deutsches Literaturarchiv Marbach Es gab nicht allzu viele Daten, die Gottfried Benn (1886–1956) in seinen Tischkalender eintrug. Das Wetter aber dokumentierte er hier genauestens. Auch 1945, im Jahr des Kriegsendes, zeichnete er das Wetter täglich auf. Benjamin Franklins Blitzableiter 1760 Philadelphia, USA | geschmiedetes Eisen | The Franklin Institute Science Museum, Philadelphia, USA Bevor Benjamin Franklin (1706–1790) die Unabhängigkeitserklärung Amerikas mitverfasste, machte er die Menschen unabhängiger vom Wetter. Der gelernte Drucker entdeckte 1752, dass der Blitz, den man lange für Feuer gehalten hatte, eine elektrische Entladung ist. Um Häuser vor Blitzeinschlägen zu schützen, stellte Franklin eine Metallstange auf, die mit der Erde verbunden war. Die Spannung entlud sich an der Stange statt am Gebäude. Der Blitzableiter war erfunden. Plötzlich schien es möglich das Wetter zu beherrschen! Doch nicht jeder war sofort begeistert: Lockte die Spitze den Blitz nicht erst an? Und manche forderten gar ein polizeiliches Verbot des Blitzableiters, weil sie ihn für einen Eingriff in die Macht Gottes hielten. Regenschirm von Queen Elizabeth II. Leihgabe Ihrer Majestät Königin Elizabeth II 11 Zu Queen Elizabeth II. gehört der Regenschirm beinahe so wie ihr Hut. Ihre Schirmkollektion ist groß. Und auch, wenn es nicht regnet, ist immer einer in Reichweite. Denn als Königin von England weiß sie: Regnen kann es immer. Damit die Queen trocken bleibt, aber von überall gesehen werden kann, sind all ihre Schirme durchsichtig. Sie unterscheiden sich nur durch ihre verschiedenfarbigen Ränder und passen zur Garderobe der Queen. Das majestätische Schirmmodell heißt »Birdcage« – Vogelkäfig. Urkunde der Wetterpatenschaft für „Kyrill“ 2007 Postkarte an Kyrill Genow 23. Januar 2007 Privatbesitz Kyrill Genow Neuenhagen bei Berlin Als Kyrill Genow 65 wurde, überraschten ihn seine Kinder mit einem besonderen Geschenk: Sie machten ihn zum Wetterpaten. Das elfte Tief im Jahr 2007 sollte den Namen Kyrill tragen. Am 17. Januar sendete das Fernsehen Unwetterwarnungen. Kyrill wurde ein heftiger Orkanwirbel und richtete große Schäden an. Herr Genow war entsetzt. Diesem Sturm hatte er seinen Namen gegeben? Schlagartig war er berühmt. Zeitungen berichteten über ihn. Unbekannte schrieben ihm Briefe. Alte Bekannte aus seiner bulgarischen Heimat meldeten sich, die er Jahrzehnte nicht gesehen hatte. Dies tröstete ihn ein wenig darüber hinweg, dass er für einen Orkan Pate gestanden hatte. Wetter- und Klimakatastrophen im Film 2008 Nils Warnecke In Katastrophenfilmen ist das Wetter ein beliebtes Motiv. Und je besser die filmischen Effekte, desto gewaltiger erscheinen die Wetterkatastrophen. Von den gefilmten Flutwellen und Stürmen soll der Betrachter so überwältigt werden, als würde er ein wirkliches Wetterereignis in der Natur erleben. Der entscheidende Unterschied ist jedoch: im Kinosessel muss man nicht um sein Leben fürchten. 12 IV. WETTER MACHEN VON EINEM ALTEN TRAUM ZUM GLOBALEN DIALOG Es ist ein alter Menschheitstraum, sich aus der Abhängigkeit von den Göttern oder dem blinden Wirken der Natur zu befreien und das Wetter selbst zu gestalten. Dieser Traum ist inzwischen auf fatale Weise Wirklichkeit geworden. Die vierte Abteilung zeigt die Welt in einer Versuchsanordnung, in der die Menschen sowohl Handelnde als auch Getriebene sind. Wird es uns gelingen, den Austausch mit der Atmosphäre so zu gestalten, dass die menschliche Zivilisation auf diesem Planeten fortgesetzt werden kann? Handelt es sich dabei um ein rein technisches Problem? Oder müssen ganz neue, global agierende politische und wissenschaftliche Institutionen entwickelt werden? Und: Was kann der Einzelne schon heute tun? Es gab schon immer zahlreiche und ganz unterschiedlich motivierte Versuche, ein bestimmtes Wetter abzuwehren, es herbeizurufen oder auch ganze Klimate zu verändern. Die Methodik reicht von Appellen an Gottheiten bis hin zu den Versuchen, Wolken und ihr Abregnen für die wirtschaftliche oder militärische Nutzung zu steuern. Hinzu kommt eine Geschichte der Simulation von Wetter- und Klimaverhältnissen, etwa in der Produktion künstlicher Räume, und die Suche nach anderen bewohnbaren Atmosphären bis hin zur Idee des "Terraforming" - der Herstellung erdähnlicher Verhältnisse auf anderen Planeten Heute realisiert sich der Traum vom Wettermachen offenbar anders als erhofft. Nur wenige Klimaforscher bezweifeln noch, dass der Klimawandel menschengemacht ist, 13 viele halten ihn für menschenbedrohend. Der Begriff "Klimaschutz" weist in eine falsche Richtung: denn nicht von einer Gefährdung des Klimas sollte die Rede sein, sondern von einer Gefährdung der aktuellen Erdpopulation. Vielleicht bleibt uns inzwischen gar nichts anderes mehr übrig, als das Wetter selbst zu "machen". Aber haben wir das notwendige Wissen, die Erfahrungen, die Institutionen, die dazu nötig wären? Neben der Aufgabe, das Wissen über den Klimawandel zu vermehren, geht es auch um den Umgang der Weltgesellschaft mit globalen Risiken, um den Einsatz und die Verteilung von Ressourcen, um Fragen der politischen und gesellschaftlichen Durchsetzbarkeit. Objekt- und Themengruppen: Die Zivilisierung des Klimas und Utopien vom Idealklima, die Technik des Wettermachens und ihre militärische Seite, Geoengineering: technische Großkonzepte zur Klimarettung, "Wettermacher" - magische Konzepte, historische und aktuelle Konzepte der Wetter- und Klimamodifikation, Zeugnisse der aktuellen Klimapolitik, die Zukunft der natürlichen Ressourcen. Schlüsselexponate der Abteilung: Interaktive Laserprojektion Hier können die Besucher selbst das Wetter dirigieren: Wolken zusammenschieben und sich auftürmen lassen – und am Ende entsteht ein veritabler Schlagregen an der Projektionswand! Die Erfindung des Wolkenimpfens: "Project Cirrus", USA 1947 –1952 Schenectady Museum & Suits-Bueche Planetarium, Schenectady 14 Am Anfang stand die Frage, warum die Flügel von Militärflugzeugen vereisen. Und das führte zur Frage, wie eigentlich Niederschlag entsteht. 1946 begann eine Forschungsgruppe des amerikanischen Großkonzerns General Electric zu experimentieren und brachte noch im selben Jahr erstmals eine künstliche Wolke zum Schneien. Das Experiment zog unzählige Versuche nach sich, Wolken zu "impfen", also durch das Injizieren von Partikeln zum Abregnen zu bringen. Bald zog sich General Electric aus dem Projekt zurück, um einer Klagewelle wegen Unwetterschäden zu entgehen. Das US-Militär intensivierte die Experimente unter dem Namen "Project Cirrus". American Progress, 1873 George Crofutt (1827-1907) California Historical Society, San Francisco Das in den USA sehr populäre Werk setzt das Selbstverständnis der aus Europa kommenden Siedler ins Bild, den nordamerikanischen Kontinent zu zivilisieren. Mit der nach Westen ziehenden Columbia, die für das weiße Amerika steht, der Eisenbahn, den Siedlern und der Telegrafie klart auch der Himmel auf. Das wurde durchaus wörtlich genommen: Man erwartete von der Besiedlung eine Verbesserung des Klimas, das aber bis heute rauer und stärker von Extremen geprägt ist als in Europa. Das Originalbild von John Gast entstand für einen der ersten "Tourist Guides" der USA. Regenmacher, um 1900 Neuirland Linden-Museum, Stuttgart – Staatliches Museum für Völkerkunde Dieser Regenmacher stammt von der Ostküste Neuirlands. Regenmacher, in Hainen oder in der Nähe von Wasserquellen aufgestellt, wurden rituell beschworen. Es ging um die magische Beeinflussung des Wetters, aber auch des Wachstums und der Fruchtbarkeit. Regenmacher sollten in Zeiten längerer Trockenheit für Regen sorgen. Sie sollten Regen aber auch beenden oder zumindest begrenzen, wenn größere Feste geplant waren. Starke Regen konnten ein Fest zerstören, etwa ein gemeinsames rituelles Mahl verhindern. Darin zeigte sich dann die Verwundbarkeit und rituelle Schwäche des ausrichtenden Clans. Regenmacher, um 1900 Neuirland Linden-Museum, Stuttgart – Staatliches Museum für Völkerkunde Dieser Regenmacher gehörte einem Clan in Lemeris an der Nordküste Neuirlands. Der dekorierte Schädel weist darauf hin, dass eine bedeutende Persönlichkeit dargestellt ist. Eine feste Unterscheidung zwischen der Skulptur des Regenmachers und dem Menschen, der sie 15 beschwor, gab es nicht. Hier ist die Skulptur mit männlichen und weiblichen Attributen ausgestattet. Diese stehen für einen umfassenden Schutz des Clans. Das Wissen darüber, wie man Regen beeinflusst, war magisch, und es war geheim. Nur von Person zu Person wurde es weitergegeben. Erfolgreiche Regenmacher waren sehr angesehen und hatten oft einen hohen Rang innerhalb des Clans. Meist waren sie auch in anderen rituellen Fragen bewandert. Sie konnten ihre Fähigkeiten positiv oder negativ einsetzen – etwa dem Nachbarclan schlechtes Wetter bescheren. Konzepte und Rezepte gegen den Klimawandel Animationsfilm von Stefan Matlik Die Ausstellung legt großen Wert auf Anschaulichkeit. Darum wurde der Grafiker Stefan Matlik beauftragt, in kurzen Animationsfilmen für verschieden Aspekte der Klimaforschung und –politik eine eigenständige, unterhaltsame Bildsprache zu entwickeln. In diesem Film geht es beispielweise um die richtigen Strategien, den Klimawandel zu begrenzen. Die Diskussion reicht von der Ebene der Politik über Fragen des Wirtschaftssystems bis zu den Entscheidungen jedes Einzelnen, etwa beim Einkaufen. Vieles spricht dafür, dass es ohne gravierende Veränderungen unseres Alltags- und unseres weltweiten Zusammenlebens nicht gehen wird. Shango-Altar von den Fon 1950/1960 Benin | Soul of Africa Museum, Essen Dieser Altar ist dem Blitzgott Shango gewidmet. Shango ist einer der mächtigsten Götter der Voodoo-Religion: Er herrscht über Regen, Blitz und Donner. Sein Zeichen ist die Doppelaxt. Es findet sich als Element an allen Altar- Objekten. Shango ist dafür verantwortlich, dass der Regen zur rechten Zeit fällt. Er wird daher in wöchentlichen Ritualen geehrt. Shango ist zugleich ein strafender Gott. Er wacht über die Ordnung der Welt und grollt in den Wolken, sobald ihn Fehlverhalten der Menschen verärgert. Gezielt straft er vor allem Lügner und Diebe. Das Verhalten der Menschen beeinflusst also sowohl die erwünschten Regenfälle als auch die gefürchteten Blitze. »Klimazeugen« Video-Interviews Ob wir wollen oder nicht – der Klimawandel verändert unsere Wahrnehmung der Welt. Aus ihren verschiedenen Perspektiven berichteten Menschen aus allen Kontinenten, wie der Klimawandel ihr Leben betrifft. Manche fürchten um ihre Existenz, andere können sich an die Veränderungen anpassen, manche profitieren sogar. Diese Installation aus 20 Video- 16 Interviews am Ende der Ausstellung zeigt einige von 6,6 Milliarden individuellen Perspektiven auf Klima und Wetter. 17