Flussfahrt St. PETERSBURG – MOSKAU Sonntag, 17. August 2003 Mit einer lumpigen Stunde Verspätung flogen wir (Renate, Helga und ich) mit einer Iljuschin von Pulkovo – Airlines in München so um halb acht ab. Pulkovo ist auch der Name des St. Petersburger Flughafens, an dem wir wegen der Zeitverschiebung um eine Stunde (der finnische Meerbusen liegt immerhin am 36. Längengrad Ost) und der nicht vorhandenen Sommerzeit, also 2 Stunden später als 23 Uhr etwas holperig landeten. Eins im Sinn gemerkt, über Mitternacht gezählt und schwupps war es schon 1 Uhr in der Früh am Montag, 18. August 2003. Gottlob kamen diesmal alle Koffer an und draußen holte uns eine nette Russin mit Schild „Konstantin Fedin“ ab. So heißt unser Flussdampfer. Der halbe Bus war schon voll, als wir restlichen 10 Leute einstiegen. Die armen hatten eineinhalb Stunden auf unsere Ankunft warten müssen. Am Flusshafen spuckte uns der Bus auf den Kai. Schiffe lagen in Dreierpäckchen, weil nur drei dieser Ungetüme hintereinander an den Kai passten. Unseres lag innen, so dass wir nicht den anderen durchs Wohnzimmer mussten. Um das Gepäck kümmerten sich die Matrosen, die es vor die Kabinentür schleppten. Wir brauchten nur noch den Bordausweis in Empfang zu nehmen und das Nachtessen zu bestaunen. Irgendwas mit Hühnerfleisch gab es und Renate und ich bestellten uns danach gleich einmal den ersten Wodka. Schließlich war man in Russland! Drei wars dann, glaub ich. Der Kaffee ist bluatsstark, aber das winzige Tässchen reicht mir natürlich nirgends hin. Quarkhefeblini oder so ähnlich zum Frühstück. Nach geraumer Zeit hatte ich es geschafft, 3 Tassen Türkengebräu zu bekommen. Helga wollte einen anderen Tisch, wo´s nicht so zieht. Schon um 9 begann der erste Programmpunkt: Stadtrundfahrt im strahlenden Sonnenglanz. Die Goldkuppeln leuchteten grade so wie frisch angegoldet. Denis, der Petersburger Führer erzählte so lebhaft und engagiert, dass man das Gefühl hatte, wirklich etwas erfahren zu haben. Bei ein paar Wichtigkeiten stiegen wir aus und hatten immer genau 7 Minuten Zeit. Komischerweise gab er uns im Souvenirladen, den er in erster Linie als Klo verkaufte, mehr Zeit. Wir warteten auf andere Gelegenheiten, Spezialitäten zu erstehen. Es boten sich so viele Eindrücke in drei Stunden, die erst einmal verdaut werden wollten. Ich konnte Renate überreden, nach dem Mittagessen an Bord (wir speisen jetzt statt an Tisch 19 an Tisch 11) mit der Metro in die Innenstadt zu gondeln, um alles noch einmal zu Fuß und langsam zu beäugen. Helga wollte unbedingt den fakultativen Ausflug zum Sommerpalast mitmachen. 35 €. Die Metrofahrt kostete jeden sagenhafte 7 Rubel (30 Rubel sind ein Euro) und mithilfe eines Planes gelang es uns doch, die Station „Nevski Prospekt“ zu finden. Schönstes Sommerwetter begleitete uns beim Stadtbummel. Die Kanäle entlang, in kleine Kirchen spitzend, über den fast leeren Platz vor dem Winterpalast schlendernd, wunderten wir uns über die allerorten zu findenden Regenfallrohre, die direkt auf dem Bürgersteig endeten. Das musste schon bei Nieselregen eine Überflutung des Gehsteigs geben, wenn das ganze Wasser aller angrenzenden Dächer auf der Straße landete. Nach drei Stunden Weges und unserem tollen orientalischen Sinn fanden wir das Loch zur U-Bahn wieder, das uns verschluckte und nach 15 Minuten Fahrt wieder ans Licht ließ. 5 Minuten hatten wir zum Flusshafen und unserer Konstantin Fedin zu laufen und kamen gerade an, als sich der Ausflugsbus mit der Helga drin auch eben leerte. Und wir hatten schon Angst, zu spät zum Abendessen zu sein. Oho. Drei Stunden mussten sie anstehen, um überhaupt in den Sommerpalast zu kommen, erzählte sie. Und das Bernsteinzimmer, na ja. In Anbetracht der kurzen vergangenen Nacht schliefen wir schon um 9. Dienstag, 19. August 2003 Fakultativer Ausflug nach Peterhof 40 €. Aber da wollten wir alle hin wegen des Parks und der Fontänen. Hab ich mir sagen lassen. Nein, das habe ich aber nicht bereut: Sagenhafte Parkgestaltung hatte sich der liebe Zar Peter da machen lassen. Und gar net so gspinnert französisch, sondern mit vielerlei Baumarten in doch akkurat gezogenen Linien von Wegen. Auf den Kreuzungen Brunnen, nein Brunnen kann man eigentlich nicht sagen. Es sind schon Fontänen. Gerade als unsere Führung mit dem besagten Denis startete, drehten die Spritzbrunnenaufdreher die Spritzbrunnen auf. Einen nach dem anderen. Die Löwenfontäne, den Evabrunnen, der im anderen Teil des Gartens natürlich ein Pendant im Adambrunnen hatte (der Zar und seine Gattin sollten das sein), die Schachbrettkaskade mit der beruhigenden chinesischen Fließgeschwindigkeit und die große Kaskade direkt vor dem Schloss mit seinen zig goldenen Figuren. Ein Rausch aus Wasser, Bäumen und Gold. Und in der nahen Ferne – der finnische Meerbusen. Der Ausblick auf das Meer und die Ahnung von Finnland im Nordwesten ließ den Zar entspannen. Die kleinen Bauern und Arbeiter waren halt nicht so entspannt zur gleichen Zeit. Mittagessen und weiter ohne Einoder Ausschnaufen zum Ausflugsstandardprogramm Ermitage. Staatliche Ermitage bedeute soviel wie staatliche Einsiedelei. Wie es denn so etwas geben könne, fragte Denis, der Petersburger Führer. Na ja, er erklärte schon, dass die frühe Bildersammlung Peter, des Großen zuerst in einem kleinen Haus untergebracht war und dann und so weiter. Er war der erste, der überhaupt Bilder (unter anderem seine Geschenke von anderen Staatsoberhäuptern) gesammelt hat in Russland. Seine Nachkommen und Nachzaren taten es ihm gleich, ließen sich zum Beispiel Schulden in Form von Bildern bezahlen und so ist ein kleines Häuflein Kunstwerke zusammen gekommen, die praktisch den halben Winterpalast mit seinen 1700 und irgendwas Zimmer ausfüllt. Der Wahnsinn! Von Rembrandt über Monet zu van Gogh, von den Breughels über berühmte Italiener zu Dali – alles da, was die Welt sonst nirgendwo zu sehen kriegt. Malachitvasen von über 2 Metern Höhe, abgekupferte Vatikanmalerei (Zarin Katharina schickte ihre Maler einfach ein paar Jahre in den Vatikan und ließ alles dort abmalen – quasi) und Edelsteinmosaiktische – das alles läuft sich hier den Rang ab. Wie war das? Wollte man vor jedem Kunstwerk in der der Ermitage nur 30 Sekunden verweilen, bräuchte man 4 Jahre oder so. Alle Mann aufs Sonnendeck: Der Kapitän möchte die Mannschaft sehen. Nein. Sektempfang für die Reisegruppe mit Dolmetscherinnen für Deutsch und Italienisch. Belangloses Geblubbere und ein Glas russisches Sekt. Um 19 Uhr legte das Flusskreuzfahrtschiff Konstantin Fedin in St. Peterburg, wie die Leute dort sagen, ab. Ohne, dass man auch nur irgendwas gemerkt hat, war das Schiff schon in Fahrt, abgelegt und auf der Newa. Langsam zog das Ufer am Kabinenfenster vorüber. Der Fluss ist hier noch breit. Folkloreabend im Veranstaltungsraum auf dem Sonnendeck. Akkordeon, Balalaika und Sopran. Wir kauften danach jeder eine CD! In der Nacht um 5 wache ich auf. Renate zeigt mir, dass der Onegasee uns schon aufgenommen hat, den wir am Südende durchfahren. Ein fantastisches Morgenrot geht leider relativ spurlos an mir vorüber, weil das einfach nicht meine Zeit ist. Mittwoch, 20. August 2003 Ah ja, der Tag ist hier bei 60° nördlicher Breite jetzt ziemlich lang. Die Sonne kommt früh um 4 und verzieht sich erst wieder um halb zehn auf die Nacht. Aber trotzdem bin ich heute erst fünf vor oder nach acht zum Kaffee auf. Heute hat unsere Bedienerung gelernt, dass sie mir eigentlich nur eine Kanne Kaffee hinstellen muss und schon hat sie ihre Ruhe. Es ist immer noch tollstes Sommerwetter und deshalb rennen wir schleunigst aufs Sonnendeck, breiten unsere Decken auf einen der Liegestühle und lesen oder kniffeln. Das Newaufer begleitet uns mit ein paar Holzhäuschen und verrosteten Betonhallen. Mittags gabs nur die Vorspeise, weil um 16 Uhr ein Spezialschaschlik angesagt war auf Mandrogi. Wir lagen zu dritt wiedermal im Päckchen, diesmal aber aussen. Also marschierten alle durch zwei andere Schiffe, um an den Steg und russisches Land zu kommen. Mandrogi ist ein künstliches, nach gebautes Dorf nur für Touris. Kunstvolle Häuser mit Souvenirläden, in denen gehandwerkt wird, ein Restaurant, eine Post im Bau, eine Windmühle, ein paar normale Wohnhäuser, die aber doch museumsmäßig ordentlich angemalt und begartelt werden, ein Zirkus, eine Datscha, die man Putin geschenkt hat und das große Zelt, in dem wir Touris mit Tee, Piroschki und Schaschlik befriedigt werden – das alles ist Mandrogi. Mich faszinieren vor allem die Sachen aus Birkenrinde. Birken stehen überall am Fluss und wahrscheinlich auch sonst überall. Aus dieser Rinde entstehen kunstvolle Döschen, Brillenetuis, Bucheinbände und weiss ich was alles. An dem Birkenrindenstand pries ein Junge die Sachen seiner Familie an, der so gut deutsch sprach, dass wir ihn fragten, wie er das gelernt hatte. „Von den Touristen und aus Büchern“ war die Antwort. Zum Schaschlik um 4 wollte ich unbedingt mein im Petersburger 24Stunden-Supermarkt erstandenes kaukasisches Aivar vom Schiff holen. Grade als ich zum Anleger kam, fuhr der erste des Päckchens ab und unsere MS Konstantin Fedin wartete, bis sie wieder festmachen konnte. So eine Päckchenliegerei wie in Dänemark zur besten Reisezeit. Heute konnte ich im Bett noch den 10. Band von Donna Leon anfangen. Brunetti hielt mich wach bis halb 12. Donnerstag, 21. August 2003 Die ganze Nacht waren wir durch den Ladogasee nach Norden gefahren und um 6 wachte ich von einer angenehmen Schaukelei auf. 1,5 Meter Welle wiegte mich aber gleich wieder in den Schlaf. Um 8 noch vor dem Frühstück machen wir auf der Museumsinsel Kishi fest. Diesmal lagen wir im Fünferpäckchen. Es wird immer doller. Wolken dräuten am Himmel und als wir um 9 den Marsch zur ersten Holzkirche Russlands antraten, regnete es sprühnieselig. Zuerst schonte ich noch mein Schirmchen, aber als die Hose schon nass war, spannte ich das rote Stück doch auf. Die Bilder der Türmchenkirche vor blauem Himmel kannten wir schon aus den Reiseführern. Jetzt war leider alles grau in grau, aber die Stimmung passte irgendwie trotzdem. Auch hier hatte man Häuser aus den umliegenden Inseln dazu gebaut, damit die Reisenden etwas zu schauen haben. Die passenden Geschichten kamen von einem etwas schüchternen Mädelchen, die mit leiser Stimme und etwas ungelenken Redewendungen historische Daten und Erklärungen bot. Als ich an den Souvenirständen vor dem Steg die Birkenrindendöschen! in den Auslagen studierte, fragte sie mich, ob ich ihr die Euromünzen in Scheine tauschen könnte, weil die Bank Münzen nicht annehme. Na klar, Mädel! Nach Tagen Überlegung kaufte ich also eine Birkenrindendose mit Deckel, in die man Tee tun kann. Das Glöckchen habe ich mir wieder verkniffen. Kommt schon noch. Nach Kishi gings durch Angst einflößende Untiefen. Wir mit unseren 2,8 Metern Tiefgang sollten durch das Inselgewirr im Ladogasee schon aufpassen, gell! Um 14.40 war für die Gruppe 3 (dazu gehören wir) die Führung auf der Brücke. Renate hatte keine Lust. Aber ich. Der Kapitän erzählte was über Länge und Breite des Schiffes, Tiefgang 2,60 m und so Zeug. Drei Maschinen brauchen am Tag 7000 Liter. Wir fahren ja auch täglich ungefähr 20 Stunden. Das macht pro Maschinenstunde ca. 100 Liter. Ich wollte wissen, wie viel Wasser wir an Bord haben (400 Tonnen) und ob nachgetankt werden muss (3 mal). Das Radar ist a bissl antiquiert, aber es funktioniert und das ist bei den dauernden Nachtfahrten schon gut zu wissen. GPS gibt’s natürlich auch. So eins, wie auf allen Segelyachten auch. Ohne Plotter und winzig. Raymarine oder so stand drauf. Aber für die Navigation gibt’s einen Computer mit Seekarte. Alles geplottet und zusätzlich natürlich auf der Karte mitgekoppelt, wie sich das eben gehört. Ziemlich geplättet war ich, als ich auf der Seekarte die Kompassrose mit der Missweisung sah: 10,was Grad Ost jährliche Änderung 0,3° Ost. Ja, das sei hier so am 60° Breitengrad und außerdem sei da so eine Insel nördlich, die diesen Wert mit verursache. Da werden in einem Buch noch richtig Kurse umgewandelt, ich hab’s gesehen. Gut, dann werde ich vertrauensvoll weiterhin diesem Schiff anvertrauen. Zweite Russischstunde war heute auch angesagt. Gestern war schon der Anfang gemacht mit der Aussprache der Buchstaben und 5 Wörtern. Heute kamen ein paar dazu und jetzt wird’s schwierig mit den ganzen Zahlen. Zimmernummer dwestidwadzat-djewjat heißt 229, aber ausgesprochen wird’s noch mal komplizierter. Um 17 Uhr dann kleine Geschichtsstunde über das Ende der Zarenzeit und den tausend Aufständen. Jelena sprach leider so langweilig und inkompetent, dass Renate nach 3 und ich nach 15 Minuten aufstand und ging. Lieber spielten wir ein kleines PingPong im Keller. Abends spielte ein Wettbewerbspreisträger und eine Wettbewerbspreisträgerin ein geniales Konzert (Violine und Klavier) mit Brahms und Kreisler. Fantastisch einfühlsame Musik mit vorbeiziehendem Kanalufer. Freitag, 22. August 2003 Vormittags wieder Russisch. Die strenge Lehrerin Natascha kontrollierte, ob wir alle unsere Zimmernummern hersagen konnten und nach der Wiederholung der beiden Lieder Stenka Rasin und Kalinka gab es ein neues Lied, das mit Akkordeonbegleitung gesungen wurde. Witscherny swon nach der schönen Melodie „Mi leckst am Arsch, am Arsch leckst mi“. Oder ist das russische Lied vielleicht das Orginal? Alle Lieder sangen wir in einer unendlichen Langsamkeit, dass man fast das Kribbeln kriegen konnte. Kaum in der Kabinezurück und zwei Zeilen gelesen, war es wieder Zeit, in den Vortrag über russische Ikonenmalerei zu gehen. Runter vom Sonnendeck - rauf aufs Sonnendeck! Wir wohnen im Hauptdeck, fast das unterste Deck mit einem angenehmen Blick aufs Flussufer. Hier ist es von allen Kabinen am ruhigsten, sagt die Helga, die ja mittlerweile die dritte Kemenate bezogen hat, weil sie das Zittern und Wummern des Schiffes nicht aushalten kann. Tanja machte die Erklärungen ganz gut, wenn man mal davon absieht, dass jeder Satz mit „und“ begann beziehungsweise der Vortrag ein einziger Wurmsatzwurm war. Sie erläuterte die Bedeutung der Farben in der Ikonenmalerei, wie der Maler vor der Arbeit gefastet haben musste und dass die Hälfte der alten wertvollen Ikonen heute nicht mehr in Russland seien, sondern ins Ausland verkauft wurden. Um 14 Uhr legten wir in GORITZY an. Der Busausflug ging zu einem berühmten Nonnenkloster, dem drittgrößten in ganz Russlang. Reiseleiter Michael bot aber alternativ an, mit ihm zwei Bauernhöfe zu besuchen. Ich stellte mir natürlich Scheunen und Tiere vor, aber zu sehen bekam das kleine Häuflein, das von Klöstern schon genug hatte, zwei winzige Hüttlein. Die Hausfrau bat uns herein und durch einen muffligen Eingang von 2 Quadratmetern traten wir in die Ein-Raum-Wohnung. Das wichtigste in so einem Raum ist der Ofen, der bei winterlichen – 40°C für eine Überlebenschance sorgt. Die Omi hatte die Bettstatt direkt hinterm Ofen. Die restliche vierköpfige Familie teilte sich die verbleibenden drei Betten und den Fussboden. Räumliche Trennung schufen die quer im Zimmer verteilten drei Schränke. Und das alles fand Platz auf ungefähr 20 qm. Dementsprechend sah es auch aus. In einem Eisentöpfchen köchelte in einer Nische des Ofens ein Süppchen – ich hab den Deckel aufgehoben und gerochen. Kohl mit irgendwas, nicht schlecht! Im Gärtchen gab es wie überall Kohl, rote Bete, Möhren, Gurken, Salat und viel Dill. Auch auf unserer Konstantin Fedin wurde furchtbar viel mit Dill gewürzt. Das zweite Hutzelhäuschen, in das wir geführt wurden, gehörte einer einzelnen Rentnerin, deren Mann gestorben und die Kinder in der Stadt waren. Sie hatte genau so viel Platz wie die fünf Leute nebenan für sich und deshalb viel mehr Ordnung. Eine schöne Decke lag auf ihrem Bett, das wieder durch einen Schrank abgeteilt in einer Ecke stand. Eine sehr interessante Stromverkabelung 10 Zentimeter unter der Decke führte zu einer supertollen Deckenlampe, die bestimmt ein Geschenk der Kinder war. Sie passte so gar nicht zum Rest der ärmlichen Einrichtung. Beim Eintreten schon bekamen wir ein Glas Wodka in die Hand gedrückt. Ausspülen oder nur Auswischen von den Vorgängern hats nicht gebraucht. Alkohol desinfiziert! Augen zu und runter mit dem Wässerchen. Kuchen hatte sie für ihre Gäste am laufenden Band gebacken und Bonbons im Magasin gekauft. Beim Verabschieden drückte ihr jeder Geld in die Hand, nachdem wir von Michael aufgeklärt wurden, dass sie von 50 Dollar?? im Monat leben muss. Wahrscheinlich wird von jedem Schiff ein Grüpplein durch diese zwei „Bauernhöfe“ geführt und das Einkommen der beiden ums Zehnfache aufgebessert. Vor dem Landesteg hatten sich neben den üblichen Souvenirständen, an denen es die immer gleichen Sachen zu kaufen gibt, ein langer Tisch aufgebaut, an dem die kleinen Leute Gemüse, Pilze (die größten Steinpilze lagen da haufenweise), Essiggurken und geräucherte Fische aus dem Fluss anboten. Riesige Zander von bestimmt 1,5 kg warteten da nebst kleineren Barschen oder was das war. Mmh. Ich beschloss, einen solchen Räucherfisch zu probieren, wollte ihn aber erst kaufen, wenn ich wieder aufs Schiff ging. So schlenderte ich die Staubstraße entlang – Zeit hatte ich ja genug bis 17 Uhr. An der Kreuzung zog mich das Magasin an. Ich muss doch immer schauen, was es in Supermärkten so gibt. Emailtöpfe, Mehl und Zucker in Plastiktüten, Brot, eine ganze Süßwarenabteilung, in der es sogar M&M Schokodrops gab, Zigaretten aller Marken für 1 €! (ohne unsere hohe Steuer geht das) neben den russischen billigen. Gemüse und Tiefkühlpiroggen, Fertiggerichte mit Plastikgabel und viel Gesöff. Biere, Weine und mindestens 25 Wodkasorten. Ich nahm einen Rotwein, eine Plastikflasche einheimisches Bier und einen Wodka mit. Im Kaufrausch verstieg ich mich sogar zu einer Packung Balkanskaja-Zigaretten für 7 Rubel (20 Ct.). Für alles zusammen bezahlte ich 120 Rubel (keine 4 €). Im obligaten Rucksack trug ich alles aufs Schiff und dekorierte das kleine Tischchen in der Kabine damit. Anschließend zog ich wieder los und spazierte über ausgetretene Wiesenpfade entlang des Ufers 400 m zu zwei Kirchen und den Häusern, die innerhalb der Kirchenmauer standen. Ein altes Mütterchen mit restlichen drei Zähnen im Oberkiefer wollte mir unbedingt etwas erzählen, nachdem ich sie mit „dobryj den“ begrüßt hatte. Aber zu viel mehr haben die Russischstunden noch nicht gereicht. Schad! Die letzten Tage zeigte sich der Himmel meistens bewölkt und es war nur 17°C warm, war mit dem Fahrtwind zusammen schon die Wolldecke aus dem Zimmer erforderlich machte, wenn man an Deck sitzen und kniffeln oder nur schauen wollte. Beim Aussteigen in GORITZY spitzte die Sonne hervor und schon riss ich mir alles bis aufs Top und die Bermuda vom Leib. Eine weitere kleine weiße Kirche, von außen ganz unscheinbar, war im Innern reich mit Ikonen und farbigen Malereien geschmückt. Sie steht direkt am Ufer und Gott sei Dank verirrte sich kein Tourist außer mir dorthin. Beim Rückweg kam flotten Schrittes eine Frau vielleicht um die 40 auf mich zu, blieb ganz nah vor mir stehen und öffnete eine blaue Plastikdose mit geklöppelten kleinen grauweißen Kreuzchen drin. Kaufen. Zigaretten und Wodka verliehen ihrem Atem eine besondere Note. Ob ich mit in ihr Haus kommen möchte, fragte mich Jelena. Als sie meinen Namen erfragt hatte, redete sie mich fortwährend mit „Elisabjet“ an. Ihr Mann Newgenij saß vor einem LKW-Wagenheber und sinnierte, wie er ihn wohl schmieren könne. Sie führte mich durch einen verbieselt riechenden Eingang in den besagten Wohnraum dieser Häuser, die alle gleich ausschauen. Der Raum war aber nicht unterteilt durch Schränke, sondern alle Einrichtungsgegenstände reihten sich an der Wand auf. Das Bett der 3-jährigen Tochter Margerita, Newgenijs leere-Flaschen-Sammlung, die Malsachen der Jelena und auf der anderen Seite das andere Bett und der Ofen. Jelena schenkte mir ein Bild, das sie auf ein Holzbrett gemalt hatte und das ich erst gar nicht annehmen wollte. „Doch, Geschenk“. Hinterm Ofen war noch ein kleines Räumelein, die Küche. Fließend Wasser gibt es natürlich nicht, das holt Jelena in 5Liter-Plastikflaschen von einer Zapfstelle bei der Kirche. Verbeulte und verrostete Emailschüsseln und –töpfe standen abgespült in einer Aussparung im gekalkten Ofen. Eine der im Wasser liegenden Gurken mit viel Salz sollte ich essen. Brav tat ich, wie mir geheißen. So viel Salz – und das mir! Ich bemerkte, dass der Rauch und der Russ von der Feuerstelle bestimmt nicht gesund sei, aber Jelena meinte, die kleine Margerita sei kerngesund, auch wenn im Winter viel Rauch in der Wohnung sei. Wir unterhielten uns auf russisch-deutsch, das heißt, sie sprach deutsch garniert mit russischer Ausschmückung und wenn wir nicht mehr weiter wussten, schlug sie im schmuddligen Wörterbuch nach und zeigte mir das Wort. Irgendwie kamen wir darauf, dass die Gegen schön sei und ich fragte sie, ob sie denn glücklich sei. Das Wort glücklich zeigte ich ihr im Wörterbuch. Sie schüttelte nachdenklich den Kopf und suchte den Begriff „sich gewöhnen“ und dann noch „müde sein“. Anschließend zeigte sie mir noch ihren Garten. Gurken, Möhren, Salat und – Dill. Und ob ich denn nun die Klöppelkreuze kaufen würde. Sie zeigte mir ihre Klöppelrolle mit den Instrumenten und klöppelte ein paar Klöppelschlaufen. Na klar kaufe ich. Ohne Band 60 Rubel und mit 100. Ich nahm das Kreuz mit Band. Das andere sollte ich für meinen Mann mitnehmen. Oder für die Kinder. Auch nicht? Dann für die Mutter. Also gut. Sie wollte dann noch von mir fotografiert werden, drückte mir ein vorbereitetes Kuvert mit ihrer Adresse in die Hand und beschwor mich, ich solle ihr unbedingt das Foto schicken. Sie würde auch sofort zurück schreiben – in deutsch. Newgenij saß immer noch vor seinem Wagenheber. Als ich schon zur Tür hinaus war, rief sie mich noch mal zurück. Sie hätte die Blumen vergessen, die sie mir schenken wollte. Brach drei schöne Blütenstengel einer Asternart ab und gab sie mir. Nach 200 Metern drehte ich mich noch einmal um, in der Hand das Holzbrettbild, die Klöppelkreuzchen im Rucksack und das Kuvert mit Jelenas Adresse im Bauchwimmerl – wir winkten uns zu. So eine eigenartige Begegnung. Vor unserer Konstantin Fedin warteten die Verkäufer wie vor einer Stunde geduldig mit ihren vielen Hunden (die spielten zu siebt ganz ungeniert auf der Wiese), den großen Steinpilzen und den geräucherten Fischen auf Kundschaft. Nein, die Hunden wurden nicht verkauft. Ich wählte einen kleineren Fisch mit 20 cm Länge aus und fragte nach dem Preis. 30 Rubel wollte die Frau und gegen meine Gewohnheit handelte ich nicht, sondern gab den Gegenwert eines Euros. Die Nachbarfrau meinte, ich brauche dazu unbedingt noch Möhrchen und Gurken und damit die liebe Seele ihre Ruhe hat, kaufte ich ihr noch 5 Essiggurken für 10 Rubel ab. Auf dass das Abendessen rund werde. Mit einem Bier setzte ich mich aufs Mitteldeck und beobachtete die Szenerie noch währende der halben Stunde bis zum Ablegen. Als das Ufer wieder gemächlich an uns vorbeizog, spielten Renate und ich unsere Kniffelrevanche. Das erste Spiel hatte ich gewonnen und nun strengte sie sich mächtig an. Eine halbe Flasche Wodka leerten wir zusammen und schon hatte sie gewonnen. 1:1! Um 19 Uhr Neptunsfest auf dem Sonnendeck: Die Plastikgabeln vom Flugzeug mussten als Dreizack herhalten, die wir dann beim Einmarsch vor uns hertrugen. Das Bordpersonal kam als Schwimmer und Nixen verkleidet, ein Passagier durfte mit zwei zusammengebundenen Flaschen und aufgemalten Augen als Fernglas den Kapitän spielen und die russische Sprachlerngruppe sang „Stenka Rasin“. Ein paar witzige Spielchen wurden veranstaltet und nach 25 Minuten war Neptunsfest vorbei. Zum Abendessen brachte ich dann meinen Räucherfisch und die Gurken mit, trat Renate die Hälfte ab und genoss diese Vorspeise. So etwas müsste es auf dieser Reise programmmäßig geben. Jeder kauft sich seinen Fisch und bringt ihn zum Essen mit. Witzig wäre das! Der viele Wodka am frühen Abend tat seine Wirkung und um 21 Uhr schnarchten wir schon in den Kojen. Samstag, 23. August 2003 Zum Frühstück Hefepfannkuchen. Unsere Bedienung bringt mir jetzt immer freiwillig den Kaffee. Und fragt sofort, wenn sie meine leere Tasse erspäht, ob sie nachschenken soll. 10:15 Russisch-Stunde. Wir sangen wieder unsere Lieder und lernten fünf neue Wörter. Kaum dass ich in meiner Koje an diesem Bericht weiter schreiben wollte, war der dumme Uhrzeiger schon weiter gerückt auf 11:45. Vortrag über russische Tradition und Kultur im Veranstaltungsraum auf dem Sonnendeck. Also wieder raus aus de Kartoffeln und drei Decks nach oben getreppt. Juri und Alexei saßen schon parat zum Musizieren und zwei Mädels der Crew lasen über Hochzeitsrituale, Trachten und Feste vor. Renate hatte schon gestern gemeint, ob die Musiker vielleicht zu uns nach Deutschland, genauer Nussdorf kommen könnten um kleine Konzerte zu geben und überhaupt. Auf der Treppe traf sie Juri und sprach ihn an. Sie solle mit der Sängerin Jelena sprechen, sie manage die Troijka. Samt Dolmetscherin kam Jelena auch dazu und wir unterhielten uns über das Vorhaben. Nein, abgeneigt war sie nicht. Juri brachte Renate keine Viertelstunde später einen großen Zettel mit seiner Adresse und der von zwei russischen und dem Münchner Kulturinstitut samt Telefonnummern und mailadressen. Er jedenfalls hat starkes Interesse, zu uns zu kommen. Jetzt bin ich wieder mit dem Schreiben nachgekommen, Liege im Bett mit dem Laptop auf dem Bauch und werde bis zur Ankunft in JAROSLAWL noch etwas ruhen. Ganz schön beschäftigt ist man auf so einer Flusskreuzfahrt! JAROSLAWL: Mit einem günstigstenfalls 25 Jahre alten Bus kreuzten wir Kreuzfahrer durch das Städtchen, das wir gut auch zu Fuß durchwandern hätten können. Stets nach 600 Metern stiegen wir aus, um die Eliaskirche zu besuchen, die an einem Platz steht, wo gegenüber das alte KPDSU-Gebäude thront. Oder thront die Kirche? Innendrinnen eine fünfgeschossige (logisch, wie immer) Ikonostase. Das ist die Wand mit den Ikonen, die das Irdische vom Himmel trennt. Hinter der Wand hielten die Priester die Messe ab. Buben wurden stets hinter der Ikonostase getauft, Mädchen davor. In den Himmel kommen ja auch nur die Männer! Der Klapperbus brachte uns dann die 600 Meter weiter in ein altes Kloster. Alt ist in Russland relativ. Alles, was vor 1800 gebaut wurde, ist hier alt. Ein Glockenturm in Kleinformat war auf dem Hof aufgebaut und ein griesgrämig gelaunter, vielleicht 45-jähriger Glöckner glockte kunstvoll auf den 10 oder 12 Glocken eine Improvisation. Wieder keine Zeit mehr zum Weiterschreiben, das Abschiedskonzert beginnt in 2 Minuten und Renate ist schon auf dem Sprung. Zwischendrinnen: So, nach dem ersten Teil, den ich wegen Überfüllung am Boden sitzend genoss, trat ich an Deck und bemerkte die unglaubliche Langsamkeit des Dahingleitens. Der Standortmonitor mit Position (57°N und 35°E) und Logge sagte mir, dass wir grade mit lumpigen 3,3 km/h, also guten 1,5 kn dahinsausten. Heute Nachmittag über den Stausee waren es 14 kn! Es ist ja auch fast stockdunkel und soweit ich sehen kann, sind keine Fahrwassertonnen in Sicht. Also Wahrschau. Das Konzert war wie das letzte schon sehr gefühlvoll gespielt von den beiden Moskauer Konservatoriumsabsolventen und wirklich ein Genuss. Nur dass ihnen die Stücke ausgehen, die Hälfte kannte ich schon vom Konzert vorgestern. Nun zurück nach JAROSLAWL: Der Glöckner hatte an seinen Bändseln gezupft und gezogen und die wunderbarsten Bimmeleien aus den Glocken geholt. Weiter gings zur Bärin Mascha. Das arme Vieh wurde irgendwann als Baby von einem sibirischen Jäger angeschleppt und fristet nun ihr langweiliges Dasein in einem 4 mal 20 m großen grünen Käfig. Ob sie denn auch einmal spazieren gehen dürfe, wurde der Wärter gefragt. „Nein, das braucht sie nicht“ war die Auskunft. Renates heutiger Kaufrausch kündigte sich schon an den Ständen innerhalb der Klostermauern ab. Sie erstand ein Aquarell, Lackdöschen und natürlich Filme. Es ist bestimmt schon der 8. Streifen, den sie verknipst. Ich kam an bemalten Holzschälchen nicht vorbei. Freie Zeit in der „Fußgängerzone“. Ein Mütterchen bot Schmalzgebackenes feil und ich konnte nicht umhin, mir so ein fettes Ding zu kaufen. Schmeckte aber fei gut, so nach Leberkäs in der Mitte und machte ziemlich satt und durstig kurz vor dem Abendessen. Drei Viertel der Geschäfte hatten zu, aber am Ende der 500 m langen gepflasterten Avenue hatten 3 Straßenlokale mit Bierausschank Tische aufgestellt. Wir genehmigten uns ein Bierchen vom Fass für 19 Rubel und beobachteten Leute. Die Jugend hat Jeans oder Tigerhosen an, stolpert in 10 cm hohen, langen und spitzen Schuhen daher und bevorzugt halten alle eine Flasche Bier oder wenigstens Cola in der Hand. Wahlweise tragen sie auch Stulpenhosen und stellen ein Bauchnabelpiercing zur Schau. Grad wie bei uns. Unser antiquierter Bus fuhr uns wieder 600 m zurück zur Anlegegstelle. Der Ableger wurde wie immer mit einer schauderhaft meditativen Schnulzenmusik über die Deckslautsprecher begleitet. Das schreib ich aber in die Beurteilung, dass sie sich das sparen könnten! Oder wenigstens was russisches! Das Konzert um 21:30 und das noch spätere fakultative Vodka-Seminar schenkten wir uns wegen akutem Schlafbedürfnisses. Sonntag, 24. August 2003 Schon um 7 Frühstück mit Wurstnestchen. Unsere Bedienung weiß schon seit ein paar Tagen, dass ich glücklich bin, wenn sie mir sofort eine und nach 10 Minuten eine weitere Tasse Kaffee serviert. Ich esse immer das Spezialgericht morgens, den langweiligen Brot-Käse-Schinken-Marmeladen Frühstückskram brauch ich nicht. Vielleicht noch eine dritte Tasse schwarzes Gebräu. Das mitternächtliche Frühstück hatte schon seinen Grund: wir waren schon um 7 in UGLITSCH angekommen. Gleich anschließend brachen wir auf mit unserer Gruppe 3, der wir am Anfang der Reise einmal zugeteilt worden waren. UGLITSCH ist so klein, dass wir nicht einmal einen Bus brauchten. Aber geschichtsträchtig ist das Städtchen. Der kleine Zarensohn Dimitij ist hier ermordet worden. Niederträchtig mit einem Messer in die Kehle. Ein Messdiener hatte das beobachtet, schloss sich in den Glockenturm ein und läutete die Stadt zusammen, die daraufhin die Mörder lynchten. Tage später rückte aus Moskau eine Kommission an, die die halbe Stadt nach Sibirien verbannte, die Kinderfrau meuchelte und die böse Glocke durch Herausreissen des Glockenschwengels und Abhacken der Ohren bestrafte. Die armen Neusibirianer mussten die so malträtierte Glocke bis nach Nowosibirsk schleppen. Die spinnen, die Russen. Heute ist die arme Glocke wieder da und kann inmitten von Myriaden von Ikonen mit mehr oder weniger Geschichte bewundert werden. Nein, faszinierend sind die Bilder und die über und über mit Fresken bemalten Wände schon. Nun war es fast 10 Uhr und die verbleibende Stunde lebte Renate den sich gestern abzeichnenden Kaufrausch aus. An den Uhren aus der örtlichen Manufaktur kamen wir noch vorbei, aber Malachitbroschen, Leinenhüte und Schals konnten diesmal einfach nicht liegen bleiben. Ich hatte nur ein Räuschlein und so nahm ich ein graues Cape, eine Haarbürste mit Birkenrindenverzierung und eine Malachitkette mit. Schon morgens um 8! kaufte ich einem hutzligen Mütterchen genähte Topflappen ab, die mich prompt segnen musste, weil ich ihr 20 Rubel mehr gab als sie verlangt hatte. Grade als wir ablegten um 11 kam die Sonne raus und wir nutzten die Gelegenheit, unsere Kniffelentscheidung zu spielen. Renate gewann aus einem unerfindlichen Grund. Sowas! Nachmittags gingen wir ausnahmsweise zu keiner einzigen Veranstaltung, obwohl wir für den Abschiedsabend heute russische Lieder üben hätten sollen. Morgen kommen wir in MOSKAU an und bleiben da bis Mittwoch früh, aber trotzdem ist heute schon Abschied. Ich musste ja an diesem Bericht schreiben. Kapitänsdinner nennt man das, wenn der olle griesmufflige Kapitän drei Worte durchs Mikrofon nuschelt und das dann zweimal übersetzt wird. Die Vorspeise mit 15 Kügelchen rotem Kaviar in Gurkennestchen, Lachstörtchen und Fischpastete war schon edel. Als zweite Vorspeise kam ein Kinderpfännchen Schwammerl in Mehlpapp und dann gabs noch Fleisch mit Kartoffelstäbchen. Na ja, aber das Essen schmeckt eigentlich immer gut, wenn auch manchmal tschut tschut gewöhnungsbedürftig. Tschut – tschut heißt ein bisschen. Das Konzert mit Olessja und Ivan habe ich oben schon beschrieben und nach dem Folkloreteil bin ich wieder hoch aufs 4. Deck zum Abschiedsabend der Gäste. Der „deutsch-russische akademische Chor“ sollte auftreten und Witscherny swon und Kalinka zum besten geben. Wir schlugen uns tapfer gegen die Sabotageversuche einiger männlicher Mitsänger und das Publikum klatschte brav. Montag, 25. August 2003 Ankunft um 13 Uhr am nördlichen Flusshafen MOSKAUs. Das Hafengebäude ziert ein Stahl-Roter-Stern, der vormals Kremltürme zierte. Stalin hatte die alten Sterne durch elektrisch leuchtende Rubinglassterne ersetzen lassen, wie wir erfahren sollten und einen der alten so entsorgt. Gleich nach dem Anlegen stiegen wir wieder in Busse zur Stadtrundfahrt. Heute war freie Buswahl, aber wie die Schafe wählte die ganze 3-er Gruppe den Bus Nummer 3. Das musste bezahlt werden mit sich steigerndem Einnickbedürfnis, weil die blasse Führerin mit eintönigster Stimme jedes Gebäude abhandelte: „Links erblicken Sie ein schönes grünes Gebäude erbaut von bla bla bla. Zur Sowjetzeit war es soundso und heute ist es ein irgendwas. Jetzt fahren wir schon weiter und recht können Sie sehen ……“. So ging das drei Stunden lang. Bei der Heimfahrt schlief zumindest der hintere Teil des Busses tief und fest, während sie mit meditativem Singsang weiterblubberte. Die Stadt ist bombastisch mit ihren Riesenpalästen, dem zweitgrößten Fernsehturm der Welt (500 und was Meter), dem Riesenjungfrauenkloster für ausgemusterte Zarenfrauen und – töchter und natürlich unzähligen Wohnklötzen aus der Stalinzeit , die so grauslich daherschauen, dass man wieder mal weiß, dass man selbst im Paradies wohnt. Am roten Platz (rot = schön!) rochen wir ins Kaufhaus Gum, bewunderten die unermüdlichen Souvenirverkäufer und von den allen daher geleierten Erklärungen ist sonst nicht viel hängen geblieben. Im Gum reiht sich eine Boutique an die andere: Pierre Cardin, Yves Rocher, Chanel und wie die gschpinnerten Wucherer noch heißen. Schicke Moskauer eilen durch die zweischiffige Anlage, die mit Glasgewölbe überdacht ist oder sitzen lasziv im Cafe auf der Empore. Kaum waren wir wieder draußen im Regen, sollten wir wieder Moskaubücher kaufen – oder Regenschirme. Durch den Park vor dem Flusshafen spazierten wir in einem hellen Moment nachmittags noch Richtung eines Marktes. Wie im Kaufhaus Gum war der Markt ein Sammelsurium von einzelnen Läden in einem Bauwerk aus Beton, Glas und einem grünen Dachgewölbe und außen herum im Freien bildeten Kioske und offene Stände zwei Ringe um das Gebäude. Komischerweise gleichen die Preise der Waren denen, die auf der Straße angeboten werden. Also nix von wegen Angebot und Nachfrage! Die Kodakfilme kosteten 100 Rubel, ob Touristen das Zeug jetzt dringend brauchen oder nicht. Am Rand des Marktes standen die Bäuerleins aus dem Umland und boten Gurken, Tomaten, Johannisbeeren, Blumen, Kartoffeln und Berge von Steinpilzen an. Nur schade, dass wir nicht selber kochen konnten! Zu gerne hätten wir da mitgemischt. Vor dem Abendessen kamen Alexej und Jelena samt Dolmetscherin in die berühmte Kabine 229 und teilten uns mit, dass sie gerne Renates Einladung nach Deutschland annehmen möchten. Fotos und Kopfputze der russischen Tracht hatten sie mitgebracht und wir verhandelten über den Termin. Bis Anfang Oktober fahren sie noch auf diesem Schiff und anschließend hätten sie Zeit. Nein, Flieger bräuchten sie gar keinen, es gehe ein Bus von MOSKAU bis nach München. Für 200 €. Na dann. Dienstag, 26. August 2003 In den Bus Nummer 3 stiegen wir heute nicht! Kurz vor Abfahrt hieß es, im Bus Nummer 2 wären 2 Leute zuviel, während im 3er noch Platz wäre. Wir dachten gar nicht daran, umzusteigen; es war je freie Buswahl seit gestern. So mussten die beiden zuletzt Eingestiegenen rüber. Unser Führer begann schon mit einem Witzchen über den Moskauer Wetterbericht und so versprach der Kremlausflug heute interessanter zu werden als gestern. Es nieselte abwechselnd mit ordentlichem Regen. Die Fahrt in die Innenstadt dauert über eine halbe Stunde immer die Leningrader Straße entlang wie gestern auch schon. Vor dem Kreml standen wir dann mindestens 30 Minuten an, bevor man uns durch Metalldetektoren in Zweierreihen in die heilgen Hallen ließ. Es nieselte ununterbrochen und der kalte Wind freute mich besonders. Ansichtskarten, Bücher, mit Orden und Münzen übersäte Mützen und natürlich Regenschirme sollten wir den Straßenhändlern abnehmen. Statt dass sie Wodka, Tee und heiße Piroggen anboten! Oder Tücher für den Kopf und Wetterhexen. Der Kreml selbst (Festung in der Mitte der Stadt heißt das übersetzt) ist eine wilde Ansammlung von Palästen, Plätzen und Kirchen (sie heißen in Russland scheints alle Kathedralen). Jeder, der irgend etwas zu melden hatte, baute ein neues Haus dazu. Der Staatspalast von Chruschtschow schießt aber den Vogel ab. Dass er sich nicht schämt! Nach der größten Kanone der Welt, dem Amtssitz von Putin und allerlei Geschichten unseres Reiseführers besichtigten wir die Kathedrale, in der alle Zaren gekrönt worden waren mit viiiel Gold an den Wänden, Ikonen aus dem 15. Jh. und nicht einem Flecken unbemalter Wand oder Decke. Beeindruckend! 15 Minuten ohne Regen und Herbstwind. In Russland ist es nämlich Ende August schon Herbst Der Bus beförderte uns durch den alltäglichen Riesenstau durch MOSKAU hindurch wieder zu unserem lauschigen Flusshafen. Zurück in der Kabine überfiel mich ein kleines Fieber. Ich konnte unmöglich abends mit unseren Musikern noch MOSKAU bei Nacht ertragen; sie hatten uns angeboten, uns zu begleiten, damit Renate und ich nicht allein durch die finstere Stadt laufen mussten. Der nasskalte Kreml mit meinen offenen Sandalen war offensichtlich selbst mir zuviel. Die einzigen zwei Stunden, in denen sich die Sonne hervortraute, verschlief ich und um 17 Uhr regnete es bereits wieder platz. Elena und Alexej kamen statt unseres Ausfluges zu uns in die Kabine. Gurken, Brot, eine Dolmetscherin, Salami und eine Flasche Wodka hatten sie dabei. Es ging mir mit jedem Wodka (dat na = ex), danach einer Essigurke und Salamibrot besser. Mittwoch, 27. August 2003 Abfahrt um 7:45 zum Flughafen. Pünktlich um 10:40 startete die Aeroflot und lieferte uns brav im heimeligen Bayern wieder ab. Nächstes Jahr mache ich die Reise noch mal, aber dann rückwärts, damit PETERSBURG, der Höhepunkt der Reise auch am Ende liegt.