Hinweis: Dieses Protokoll stammt von der Seite www.chids.de (Chemie in der Schule). Dort können unterschiedliche Materialien für den Schulunterricht herunter geladen werden, unter anderem hunderte von Experimentalvorträgen so wie der vorliegende: http://online-media.uni-marburg.de/chemie/chids/veranstaltungen/uebungen_experimentalvortrag.html THEORIETEIL ............................................................................................................ 2 Geschichte als Beglaubigungsmittel .................................................................................................................... 2 Das aristotelische Gegenmodell............................................................................................................................ 3 Alchemistische Symbole........................................................................................................................................ 4 Historische Experimente (Versuche 1-3)............................................................................................................. 5 Chemische Ausdeutung Versuche 1-5 ................................................................................................................. 8 Polymorphie und Allotropie ............................................................................................................................... 8 Versuch 1: Verpuffen von Schwefel mit Salpeter .............................................................................................. 9 Versuch 2: Pottasche-Schwefel-Schmelze: Schwefelleber, Schwefelmilch ..................................................... 11 Versuch 3: Angelaufenes Silberbesteck ........................................................................................................... 12 Versuch 4: SO2 - Springbrunnen ...................................................................................................................... 12 Versuch 5: Kalksteinverfahren (REA) ............................................................................................................. 14 5.1. Steinzerfall ................................................................................................................................................ 14 5.1.a. industrialisierte Städte – ländlicher Raum .............................................................................................. 14 5.1.b. Bewitterung vor Industrialisierung kaum relevant ................................................................................. 15 5.1.c. Ursachen ................................................................................................................................................. 15 5.2. Luftreinhaltung durch Rauchgasentschwefelung ...................................................................................... 16 5.2.a. Rauchgas................................................................................................................................................. 16 5.2.b. Schwefeldioxid aus Kohleverfeuerung ................................................................................................... 16 5.2.c. Regenerative und nichtregenerative REA ............................................................................................... 17 5.2.d. Calciumverfahren ................................................................................................................................... 18 5.2.e. Kalkstein oder Branntkalk? .................................................................................................................... 19 5.2.f. REA – Gips ............................................................................................................................................. 19 5.3. REA im Schulversuch ............................................................................................................................... 20 PRAXISTEIL: VERSUCHSVORSCHRIFTEN .......................................................... 20 V1 Verpuffen von Schwefel mit Salpeter .......................................................................................................... 20 V2 Pottasche-Schwefel-Schmelze: Schwefelleber, Schwefelmilch .................................................................. 21 V3 Angelaufenes Silberbesteck .......................................................................................................................... 22 V4 SO2 – Springbrunnen .................................................................................................................................... 23 V5 Kalksteinverfahren (REA)............................................................................................................................ 25 ANHANG .................................................................................................................. 26 a. Schwefelsymbol in Stahls Fundamenta Chymiae ......................................................................................... 26 b. Stahls Lehrbuch (1723)................................................................................................................................... 27 c. Chymische Zeichen nach Lémery, 1675 ........................................................................................................ 30 Theorieteil Der Theorieteil handelt im ersten Abschnitt (S.1-8) über Funktionalisierung von Geschichte in einem bekannten Lehrbuch. Darauf folgt eine konventionell chemische Deutung der Versuche (S.8-20). Angeregt wurde die Lehrbuchkritik durch eine Beschreibung des Wissenschaftsbetriebs von Thomas S. Kuhn. Er schreibt in „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“1: Die Studierenden akzeptieren aber Theorien wegen der Autorität des Lehrenden oder des Lehrbuches, nicht aufgrund von Beweisen. Welche andere Wahl hätten sie auch oder welche Qualifikation? Die in den Lehrbüchern geschilderten Anwendungen stehen dort nicht als Beweis, sondern weil ihr Erlernen ein Teil des Erlernens des der derzeitigen Praxis zugrundeliegenden Paradigmas ist. Um Chemiestudenten in kurzer Zeit auf ein angemessenes Niveau aktuellen Wissens zu bringen, kann man Historie nicht einsetzen. Man sollte sich das eingestehen und auf instrumentalisierenden Einsatz von Geschichte im Chemielehrbuch besser verzichten. Geschichte als Beglaubigungsmittel Die erste Seite im beliebten und nützlichen ‚Riedel’ behandelt den Elementbegriff. Da werden allerlei Namen2 aufgezählt und eine einheitliche Tradition suggeriert: Es gebe nur Atome und das Leere. Störenfriede wie Aristoteles werden ganz unterschlagen. Eine Zeile erledigt das Mittelalter. Nun folgen elegante Halbwahrheiten, deren schönste ich zitiere. „Die 1789 von Lavoisier veröffentlichte Elementtabelle enthielt 21 Elemente.“3 Vergleichen wir mal mit dem ‚Holleman-Wiberg’: „Von den insgesamt aufgeführten 33 Elementen waren allerdings nur 23 Elemente im heutigen Sinne. Tatsächlich hielt Lavoisier den Ätzkalk und mehrere andere schwer zerlegbare Stoffe wie Magnesia, Quarz, Korund noch für Elemente.“4 Daß Lavoisier Licht und Wärme als stofflich ansah, darin durchaus von Stahl abhing, indem er bei Oxidationen einen Feuerstoff freiwerden ließ,5 unterschlagen beide Werke; es würde aufhalten, denn die heute anders beschriebenen Phänomene Wärme und Feuer zwängen dazu, die Begriffsgeschichte des Terminus „Element“ (bzw. , stoicheion, als etwas, was auch immateriell gedacht werden kann) 1 zu besprechen; unter anderem6 das Kuhn: Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen. Frankfurt/Main 21969, S.93f. Thales, Anaximander, Anaximenes, Heraklit, Empedokles, Jungius, Boyle. Es folgen Lavoisier, Mendelejew. 3 Riedel: Anorganische Chemie. Berlin, New York 31994, S.1 4 Holleman-Wiberg: Lehrbuch der Anorganischen Chemie. Berlin, New York1011995, S.18 5 vgl. Ströker: Theoriewandel in der Wissenschaftsgeschichte. Frankfurt/Main 1982, 251f. 6 Nicht einmal das, was Jungius und Boyle für ein Element hielten, geht mit der Lavoisierschen Definition konform. Dazu Ströker 1982, 39f.: Die Elementdefinition sollte man besser Lavoisier als Boyle zuschreiben. 2 Konkurrenzmodell der aristotelischen Qualitätenphysik wäre hier zum Verständnis nötig; ich gehe darauf unten knapp ein. Der Kniff bei Riedel ist, alles wegzulassen, was die intendierte Aussage eines reibungslosen Fortschrittes und schöner Kontinuität in der Geistesgeschichte (die letztlich durch die experimentelle Neuzeit bestätigt werde) einschränkt. Die angeführten Namen sollen kraft ihrer Autorität7 den Status Quo einer Wissenschaft, von der sie nichts wußten, stützen: da darf es keinen Makel an diesen Bildsäulen geben.8 Riedel betont am Ende seiner Geschichtsskizze nochmals Harmonie in der Tradition (Hervorhebungen von mir): „Die Idee der Philosophen bestätigt sich also: die vielen mannigfaltigen Stoffe sind aus relativ wenigen Grundstoffen aufgebaut.“ Riedel meint mit Grundstoffen Materie und seine Tradition nennt nur die Philosophen, die mit epikureischem Denken einigermaßen vereinbar sind. Daß Aristoteles’ Physik in Europa viele Jahrhunderte übermächtig war,9 ist für einen Text, der nicht Geschichte verstehbar machen, sondern nur Gegenwart legitimieren will, gleichgültig. Das aristotelische Gegenmodell Wird der heutige chemische Elementbegriff dem aristotelischen gegenübergestellt, so wird der tatsächlich abgelaufene fundamentale Wandel in der Vorstellung von dem, was ein Element sei, sichtbar. Aristoteles (384-322) denkt Materie (hylê) rein passiv. Damit ein Körper sich bildet, muß die passive und erst einmal eigenschaftslose Materie eine art- und substanzspezifische Form ( , morphê) aufnehmen.10 Diese Lehre bezeichnet man als Hylemorphismus. Die vier aristotelischen Elemente sind die einfachsten denkbaren Körper, die nur aus Materia prima und je einem Paar haptisch wahrnehmbarer Eigenschaften bestehen. Die Eigenschaften Bei Boyle ist ein chemisches Element ein Stoff, der an und für sich einfach ist; über Analyse wollen wir dahin (und es ist unklar, was Elemente sind). - Bei Lavoisier sind die Stoffe an den Grenzen der heutigen Zerlegbarkeit mit heutigen analytischen Methoden Elemente. Man kann also immer ‚Element’ – Listen veröffentlichen (operationale Elementauffassung). 7 Blanker Autorität, nicht verstehbarer Lehre; von Thales haben wir nur wenige Worte, die aber gern in RiedelManier benutzt werden, wie zum Beispiel kürzlich, als Dietzel und Wolff in Hessen zur Behandlung von Wasser im Unterricht aufriefen. Die Naturwissenschaften haben diese falschen Krücken nicht nötig - und die Geisteswissenschaften diese Instrumentalisierung nicht verdient. 8 Newton ist bei Riedel 31994, S.2 „der große Physiker“ , der eben auch schon gut atomistisch gedacht hat. Der Alchemist Newton, der zwischen seiner Kunst und der vulgar chemistry unterschied, taugt leider nicht als Vorbild. Zum Alchemisten vgl. Schütt: Auf der Suche nach dem Stein der Weisen: die Geschichte der Alchemie. München 2000. 9 vgl. Galileis Schwierigkeiten mit der Kurie in Brechts Leben des Galilei. 10 Die formverleihende Kraft ist die ; dazu Joly s.v. Aristoteles in: Priesner/Figala: Alchemie. Lexikon einer hermetischen Wissenschaft, München 1998, S.58. können wechseln, und weil sie essentiell sind, wandeln sich mit dem Wechsel der Eigenschaften auch die Elemente ineinander um (Transmutation). Für atomistische Epikureer, und dazu gehörten laut Riedel ja angeblich die Philosophen, gibt es nur Atome und das Leere. Sie beschreiben die Qualitäten als Folgen von Zusammenstößen verschieden geformter Atome; Qualitäten an sich haben kein Sein. Aristoteles übte starken Einfluß auf die spätere Naturphilosophie aus, ohne sie bis ins Detail zu bestimmen; die Alchemie in Europa lebte „vorrangig in einer aristotelischen Atmosphäre und bezog ihre naturphilosophischen Grundgedanken ganz zwanglos aus dieser Umgebung.“11 Im alchemistischen Prozeß wird Urmaterie hergestellt – das kann man nach Aristoteles nicht, die Materia prima ist nur denkbar, nicht isoliert sinnlich erkennbar – und dann schrittweise mit Eigenschaften (etwa Farben) versehen. Die spätmittelalterliche Alchemie wurde auch durch die Stoa beeinflußt. Bei Aristoteles sind die Qualitäten nicht materiell gedacht. „Die Qualitäten der Stoa haben jedoch stofflichen Charakter. Eine Änderung der Qualitäten kann durch Hinzufügen eines Stoffes erfolgen.“ Wenn sich ab der Renaissance die Atomistiker gegen Aristoteles durchgesetzt haben, so bedeutet das ein endgültiges Verlegen der Qualitäten in die Materie. Diese Wende im Denken dokumentieren Lavoisiers oxygenium oder Stahls phlogiston. Qualitäten sind materiell gedacht, ein Stoff ist also eine Säure, wenn er das Säurebildende (oxygenium) enthält; ein Stoff kann nur dann brennen, wenn er das Brennliche (phlogiston) enthält. Es sollte durch diesen Abriß klar geworden sein, daß eine Darstellung der Geschichte des Begriffes ‚Element’, die sich auf epikureischen Atomismus beschränkt, stark defizitär ist. Für ein Verständnis muß Aristoteles’ Hylemorphismus, auch wenn diese Lehre heute veraltet scheint, als Gegenmodell beschrieben werden. Erst dann werden Konzepte wie etwa oxygenium oder phlogiston angemessen verstehbar und eine wesentliche Kontinuität zwischen Stahl und Lavoisier kenntlich. Alchemistische Symbole Der von Berzelius entwickelten und heute genutzten Kurzschreibweise für Elemente ging unter anderem eine alchemistische voran. Ein Beispiel dient zur Zierde des Umschlags bei Riedel; zweite Funktion von Geschichte in diesem Lehrbuch ist also das Dekorieren. 11 Schütt s.v. Aristotelismus in: Priesner/Figala: Alchemie, S.59. Die alte Notation ist bildhaft; so haben etwa die den sieben Himmelskörpern zugeordneten Metalle deren Symbol (vgl. die Zusammenstellung chymischer Zeichen Lemerys im Anhang). Schwefel wird dargestellt aus einem mit der Spitze nach oben weisendem Dreieck, an dessen Basis ein Kreuz angefügt ist. Dieses alchemistische Symbol „verweist auf das Element Feuer (Dreieck) und auf die der Schwefelsäure innewohnende ätzende Kraft (Kreuz).“ 12 Essig (Acetum) hat als Symbol nur ein solches Kreuz.13 Das Dreieck findet man heute noch auf dem chemischen Reaktionspfeil, wenn es um eine Umsetzung unter Erhitzen geht. Historische Experimente (Versuche 1-3) Von den hier vorzustellenden fünf Versuchen haben drei (V1-3) ihren Ursprung in der Zeit vor Lavoisier. Ich deute im folgenden die chemiehistorische Bedeutung von V1-3 an. Versuch 1, eine Variante der Schwefelsäureherstellung, findet sich bei Basilius Valentinus (ein Pseudonym eines Herrn Thölde14, der auch unter der wohl erfundenen mittelalterlichen Gestalt publizierte); wichtiger noch ist die Verpuffung von Salpeter mit Schwefel aber für John Mayow (1641-79); dieser stellte nämlich schon im 17. Jahrhundert eine Theorie auf, die Lavoisiers Sauer – Stoff vorwegnahm. Mayow erklärte mit seinem Konzept des spiritus nitroaereus die Gewichtszunahme bei Verkalkung; Atmung; Verbrennung von Schwefel; Explosion von Schießpulver im Vakuum.15 Versuch 2 ist aus Georg Ernst Stahls Chemiezeitschrift vom Juli 1697 entnommen. Hier wird zum ersten Mal die Phlogistontheorie theoretisch und experimentell dargestellt. Zur Darstellung dieser von Stahl systematisierten und popularisierten Lehre wäre ausführliches zur Genese (insbesondere die gegebene Abhängigkeit von hellenistischen Quellen, dem stoischen Feuerstoff usw.) darzustellen; das ist hier zu umfangreich. Um wenigstens die Selbstverständlichkeit, mit der diese Lehre von Naturkundlern des 18. Jahrhunderts zur Deutung von Phänomenen unterschiedlichster Art herangezogen wurde, zu zeigen, gebe ich ein erstes Zitat aus einem Aufsatz Kants. In dem Aufsatz „Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace“16 wird über die Phlogistontheorie (am meisten Phlogiston enthält schwarze Kohle, diese Kenntnis setzt Kant 12 Weyer s.v. Schwefel in: Priesner/Figala: Alchemie, S.329. Abgedruckt im Anhang des Alchemie-Lexikons von Priesner/Figala nach einer anonymen Schrift von 1755. 14 dazu Priesner s.v. Basilius Valentinus in: Priesner/Figala: Alchemie, S.70-75. 15 zu Mayow vgl. Ströker: Theoriewandel in der Wissenschaftsgeschichte, 1982, S.73-75. 16 Kant: Bestimmung des Begriffs einer Menschenrace. 1785. (in: Akademieausgabe Band 8, S.89-106; Zitat S.103) 13 beim zeitgenössischen Leser voraus) die Hautfarbe erklärt. Kant macht sich den stoischen Gedanken, daß alles in der Natur einen Zweck habe, zu eigen. Nun ist dieses Zweckmäßige zwar an der Eigenthümlichkeit keiner Race so deutlich zu beweisen möglich, als an der Ne ger r a ce ; allein das Beispiel, das von dieser allein hergenommen worden, berechtigt uns auch, nach der Analogie eben dergleichen von den übrigen wenigstens zu vermuten. Man weiß nämlich jetzt: daß das Menschenblut bloß dadurch, daß es mit Phlogiston überladen ist, schwarz werde (wie an der unteren Seite eines Blutkuchens zu sehen ist). Nun gibt auch der starke und durch keine Reinlichkeit zu vermeidende Geruch der Neger Anlaß zu vermuthen, daß ihre Haut sehr viel P h lo gi s to n aus dem Blute wegschaffe, und daß die Natur diese Haut so organisirt haben müsse, daß das Blut sich bei ihnen in weit größerem Maße durch sie d ep h lo gi s tier e n könne, als es bei uns geschieht, wo das letztere am meisten ein Geschäft der Lunge ist. Allein die ächten Neger wohnen auch in Landstrichen, worin die Luft durch dicke Wälder und sumpfichte bewachsene Gegenden so phlogistisiert wird, daß nach Li nd ’s Berichte Todesgefahr für die englischen Matrosen dabei ist, auch nur auf einen Tag den Ga mb ia s tr o m hinauf zu fahren, um daselbst Fleisch einzukaufen. Also war es eine von der Natur sehr weislich getroffene Anstalt, ihre Haut so zu organisieren, daß das Blut, da es durch die Lunge noch lange nicht Phlogiston genug wegschafft, sich durch jene bei weitem stärker als bei uns dephlogistisieren könne. Es mußte also in die Enden der Arterien sehr viel Phlogiston hinschaffen, mithin an diesem Orte, das ist unter der Haut selbst, damit überladen sein und also schwarz durchscheinen, wenn es gleich im Inneren des Körpers rot genug ist. Überdem ist die Verschiedenheit der Organisation der Negerhaut von der unsrigen selbst nach dem Gefühl schon merklich. Ich lasse die ärgerlichen rassistischen Elemente beiseite; Kant ist aus Königsberg nie herausgekommen und hat eifrig abgeschrieben; darum geht es hier nicht. Phlogiston spielt für Naturkundler des 18. Jahrhunderts eine Rolle im menschlichen Stoffwechsel und in der Atmosphäre. Stahl wird als beispielhafter Empiriker in der Vorrede zur Kritik der reinen Vernunft17 vorgestellt: Als Ga li lei seine Kugeln die schiefe Fläche mit einer von ihm selbst gewählten Schwere herabrollen, oder T o rricel li die Luft ein Gewicht, was er sich zum voraus dem einer ihm bekannten Wassersäule gleich gedacht hatte, tragen ließ, oder in noch späterer Zeit Sta hl Metalle in Kalk und diesen wiederum in Metall verwandelte, indem er ihnen etwas entzog und wiedergab: so ging allen Naturforschern ein Licht auf. Sie begriffen, daß die Vernunft nur das einsieht, was sie selbst nach ihrem Entwurfe hervorbringt [...]. Stahl wird zu Recht als Empiriker gelobt: denn die Versuchsvorschriften, die er gab, sind im Labor gut nachvollziehbar. Das will ich am Beispiel Schwefeleber (Hepar sulphuris) zeigen. Die Herstellung von Schwefelleber aus einer Schwefel-Pottasche-Schmelze ist nur ein Teil der Stahlschen Experimentvorschriften vom Juli 1697; Stahl geht es um die ‚Herstellung’ von Schwefel aus einer Säure (nämlich der durch Vitriolbrennen oder der durch Verpuffen von Schwefel über Salpeter darstellbaren Schwefelsäure), Glaubersalz und Phlogiston (in Form von Kohle). Es bilden sich auch in dieser Variante Polysulfide, die sich wäßrig lösen und 17 Kant: Kritik der reinen Vernunft, Vorrede zur zweiten Auflage, Riga 1787, B XIII. durch Säurezugabe zersetzen lassen. Die Durchführung der ausführlichen Vorschrift Stahls nimmt etwa eine Stunde in Anspruch. Der von mir durchgeführte Versuch (SchwefelPottasche-Schmelze, wäßrig Lösen, Säurezugabe, Bleipapiernachweis; Zeitbedarf 10 Minuten) wird von Stahl als qualitativer Schwefelnachweis angegeben, wobei der Bleipapiernachweis bei Stahl fehlt. Die Anweisung Stahls ist:18 Secundum, quod verum Sulphur sit, probatur (I.) fusione ejus cum alcali in formâ rubicunda, (2,] quae deliquescendo, sit nigra (3.) remanente tamen bonâ parte etiam cum alcali solubili, & solutionem flavam probente [4.] quae si cum aceto praecipitetur, Lac Sulphuris cadit. Übersetzung: Zweitens. Daß es echter Schwefel sei, wird bewiesen durch (1.) dessen Schmelze [also: des zu prüfenden Schwefels] mit Kaliumcarbonat [alcali], die ein rotes Aussehen hat, welche (2.) beim Flüssigwerden (3.) schwarz werde, wobei aber ein guter Teil mit alcali als löslicher zurückbleibt [also: nicht aus dem Tiegel wegbrennt] und (4.) eine gelbe Lösung darbietet19, die, wenn sie mit Säure niedergeschlagen wird, als Schwefelmilch (Lac sulphuris) fällt. 18 19 Stahl: Observationum [...] Julius, S.38 Text: probente, ich lese: praebente. Stahls Journal hat einige Rechtschreibfehler. Versuch 3, Anlaufenlassen und Reinigen von Silberlöffeln, hat zum einen Relevanz, als schon die frühen Alchimisten bei ihren historische Transmutationsversuchen Metalloberflächen durch Sulfidbildung anlaufen ließen.20 Als göttliches Wasser (bzw. Schwefel-Wasser: ) wurde wohl eine wäßrige Lösung von Calciumpolysulfiden gebraucht. Durch Eintauchen eines Silbergegenstandes erhielt man eine goldgelbe Oberflächeneinfärbung. Zum anderen führt Stahl als spezifische Probe auf Schwefel im kleinen Maßstab die noch heute etwa als Vorprobe auf Sulfate angeführte Heparreaktion an. Man solle Hepar sulphuris (Schwefelleber) herstellen, zerreiben, auf reines Silber oder eine Silbermünze geben, wenig befeuchten und eine achtel Stunde warten. Ein dunkler Fleck zeige Schwefel an.21 Die Reinigung durch Bildung eines Lokalelements mit Aluminium gehört nicht hierhin, weil das unedle Aluminium erst im 19. Jahrhundert hergestellt wurde. Chemische Ausdeutung Versuche 1-5 Polymorphie und Allotropie Die Erscheinung, daß ein Stoff je nach den Zustandsbedingungen (Temperatur, Druck) in verschiedenen festen Zustandsformen (Modifikationen) existiert, heißt Polymorphie. Sund Ssind polymorphe Modifikationen. Die Erscheinung, daß Elemente in verschiedenen Molekülgrößen auftreten (S8, S7, S6 und so weiter) bezeichnet man als Allotropie. 95,6°C Sa Sb 119,6°C Smp. Sl Sp Sm 444,6°C Sdp. S8 S7 S6 S5 S4 S3 S2 S 20 vgl. Schütt und Weyer im Aufsatz zur Alchemie (in: Der Chemieunterricht. 1972, Heft 2, 71-100, besonders S.82.) 21 Stahl: Observationum...Julius, S.38 Die thermodynamisch stabilste Form ist S (wie S und S ist S Cyclooctaschwefel). S S S S S S S S Cyclooctaschwefel Bei den Versuchen mit Schwefelschmelzen (Versuch 1 und 2) beschreibe ich die Reaktionswege mit Cyclooctaschwefel; das ist eine Vereinfachung, da bei den auftretenden Temperaturen Ketten und Ringe in Gleichgewichten vorliegen. Die Allotropie von Schwefel wäre also zu berücksichtigen. Versuch 1: Verpuffen von Schwefel mit Salpeter +5 D 2 KNO3(l) 0 0 0 2 KNO2(l) + O2(g) +4 -2 1/8 S8(l) + O2(g) +4 +3 0 2 SO2(g) + O2(g) SO2(g) D H = - 297 kJ/mol +6 -2 2 SO3(g) D H = - 99 kJ/mol Diese Variante der Schwefelsäureherstellung führt anders als die Vitriolbrennerei nicht zu einer reinen Schwefelsäure. Die zur Oxidation von Schwefeldioxid zu Schwefeltrioxid nötige Aktivierungsenergie ist zwar vorhanden; da die ablaufenden Reaktionen aber stark exotherm ablaufen, bildet sich in einer Gleichgewichtsreaktion nach Le Chatelier eine gewisse Menge an Schwefeldioxid unter Wärmeverbrauch. Daß die Oxidation des Schwefels nicht quantitativ abläuft, läßt sich zeigen, indem der gebildete Rauch durch eine Kaliumpermanganatlösung gezogen wird. Die Permanganationen wirken gegen Schwefeldioxid als Oxidationsmittel. Die Lösung entfärbt sich. Damit ist gezeigt, daß neben Schwefeltrioxid bei der Verpuffung ein oxidierbares Nebenprodukt gebildet wird. Die Permanganatlösung enthält durch Absorption von Schwefeltrioxid wie auch durch die geschehene Oxidation des Schwefeldioxids aquatisierte Sulfationen. Diese sind durch Zugabe einer angesäuerten Bariumchloridlösung nachweisbar. Die Redoxreaktion in der Waschflasche bei Durchsaugen des Verpuffungsproduktes ist: +7 +2 MnO4- + 5 e- + 8 H3O+ Mn2++ 12 H2O +6 +4 + SO24 + 4 H 3O + 2 e SO2 + 6 H2O 2 MnO4-(aq) + 5 SO2 (aq)+ 6 H2O 2+ + 2 Mn(aq) + 5 SO42-(aq) + 4 H3O(aq) violett farblos Die Herstellung von reiner Schwefelsäure geschah früher durch Vitriolbrennen22 in Galeerenöfen (vgl. Abbildung). Entwässertes und durch Luftsauerstoff oxidiertes Vitriol wird in die mit „e“ bezeichneten Tongefäße in den Ofen gebracht. Die wie Ruder außen montierten Vorlagen „l“ fangen gebildetes Schwefeltrioxid auf. Durch Wasserzugabe erhält man Schwefelsäure. Galeerenofen zum Vitriolbrennen nach Bernhardt (1755) +2 6 FeSO4.7H2O(s) +3 +6 Fe2(SO4)3 (s) +6 SO3 (s) + H2O(l) 22 0 + O2 (g) D D +3 +2 +3 2 FeO(s)+ 2 Fe2(SO4)3 (s)+ 42 H2O(g) +6 Fe2O3 (s) + 3 SO3 (g) +6 H2SO4 (l) (Vitriolbrennen) ( Vitriolsäure ) dazu Priesner: Johann Christian Bernhardt und die Vitriolsäure, ChiuZ 1982, 149-159. Versuch 2: Pottasche-Schwefel-Schmelze: Schwefelleber, Schwefelmilch Versuch 2: Schwefelleber Schritt 1: In einer Schmelze von zwei Teilen Kaliumcarbonat und einem Teil Schwefel wird mit Luftsauerstoff Schwefeldioxid gebildet, das nicht sofort entweicht, sondern sich mit durch Decarboxylierung gebildeten Oxid-Ionen zu Sulfit verbindet (Lewis SB-Reaktion). Schritt 1: Bildung von Sulfit S8 (l) + 8 O2 (g) 8 SO2(g) - CO2 (g) + 2 K+(solv) + O2(solv) 2 K2CO3 (l) - 2 2 SO2(g) + O(solv) - SO3 (solv) Sulfit Schritt 2: Disproportionierung des Alkalisulfits +4 +6 D 4 K2SO3(l) -2 28 K+(solv) + 3 SO24 (solv) + S (solv) Sulfid Schritt 3: Angriff von Sulfit O S - O S S O S O + - S S S O S S S S N2 S S O - S S S - S S S Octasulfansulfonat Schritt 4: Angriff von Sulfid S S S S2 - S S + O - S S - S S2O32- + S28- SN2 Octasulfid S O O Ansäuern der Polysulfid-Lösung 2- Sn(aq) + 2 H3O+(aq) H2S (g) (n-1) + 2+ Pb(aq) + S2(aq) PbS(s) braun-schwarz Schritt 3: Sulfit greift als Elektronenpaardonator (Lewisbase) an einem Schwefelring (Lewissäure) an; bei den Temperaturen der Schmelze liegen auch viele andere Modifikationen des Schwefels vor; es werden also auch Ketten verschiedener Länge angegriffen werden, was dann als Addition und nicht als Substitution zu formulieren ist. Jeweils bilden sich Sulfonate. Schritt 4: Greift ein Sulfid-Ion als Lewisbase ein Schwefelaton der Kette des Sulfonats an, entsteht Monosulfansulfonat (Thiosulfat) und Octasulfid (ein Polysulfid). /8 S8 (s) + 2 H2O Gibt man mit dem Spatel etwas Schwefelmilch Nachweis des H2S mit Bleiacetatpapier: Schritt 2: Alkalisulfite disproportionieren in Sulfat und Sulfid. In der Schmelze liegen also unter anderem Sulfit und Sulfid vor. leberfarbenes Polysulfid in Wasser und rührt, so löst es sich schnell, man erhält eine schwefelgelbe Lösung. Gibt man halbkonzentrierte Salzsäure hinzu, entsteht unter Schwefelwasserstoffentwicklung kolloidal verteilter Schwefel (Schwefelmilch), der bei Stehenlassen gelb ausfällt; letztendlich bildet sich S. Zwischenprodukt sind Polysulfane, die sofort zerfallen. Versuch 3: Angelaufenes Silberbesteck Al2O3(s) + 2 OH(aq) + 3 H2O 2 Al(OH)4 -(aq) 3+ 2 Al(aq) + 6 OH(aq) + 3 H2(g) 2 Al(s) + 6 H2O Eine konzentrierte Sodalösung ist stark alkalisch, so daß sich die Oxidschicht auf dem Aluminium löst. Erfolgreiche Beseitigung der Oxidschicht wird durch Wasserstoffentwicklung angezeigt. 2 Ag(s) + 1/2 O2(aq) + HS(aq) Ag2S(s) + OH(aq) Versuch 3: Angelaufenes Silberbesteck Prinzip: Reduktion der Silberionen mit Aluminium in wäßriger Sodalösung +1 -2 0 3 Ag2S(s) + 2 Al(s) Al(H2O)6 3+ + 4 OH(aq) (aq) 0 -2 +3 23+ 6 Ag(s) + 3 S(aq) + 2 Al(aq) Al(OH)4 (aq) + 6 H2O Kurzes Schütteln eines Silberlöffels in verdünnter Schwefelammonlösung gibt nach Oxidation mit Sauerstoff die bekannte Anlauffarbe durch schwerlösliches Silbersulfid. Die Sulfidschicht verschwindet bei Kontakt des Bestecks mit dem entsiegelten Aluminium sofort, weil sich durch den Kontakt der zwei verschieden edlen Metalle ein Lokalelement (eine kurzgeschlossene galvanische Zelle) bildet. Silber wird reduziert, das Besteck ist blank. Versuch 4: SO2 - Springbrunnen In den Versuchen 4 und 5 wird Schwefeldioxidgas aus einem SO2-Entwickler verwendet. Im Entwickler läuft eine Brönsted SB-Reaktion ab: HSO3-(aq)+ H2SO4 (aq/l) SO2 (g)+ H2O + HSO4-(aq) In Versuch 4 wird die gute Wasserlöslichkeit von Schwefeldioxid bei Raumtemperatur augenfällig. Wird mit einem Peleusball etwas neutrale Methylrotlösung aus einer Woulfeschen Flasche in einen darüber montierten, mit Schwefeldioxidgas befüllten Kolben gedrückt, so setzt sich nach Entfernen des Peleusballes der springbrunnenartige Lösungsvorgang ohne äußeren Zwang fort, bis der Kolben fast ganz gefüllt ist. Die wäßrige Lösung reagiert zudem sauer: die Methylrotlösung in der Woulfeschen Flasche ist gelb, im Schwefeldioxidkolben rot. Bei 0° C lösen sich in einem Volumenteil Wasser 80 Volumen Schwefeldioxidgas, bei 20°C lösen sich pro Volumen Wasser noch 40 Volumen Schwefeldioxidgas. Der Lösungsprozeß von SO2 ist mit der Bildung eines Gashydrats (Schweflige Säure ist nicht isolierbar) und mit der Existenz zweier Gleichgewichte verbunden. SO2 in wäßriger Lösung SO2 (g) + H2O K << 10-10 mol-1l H 2SO3 (aq) „schweflige Säure“ Deutung des Farbumschlags: SO2 . n H2O SO2(g) + n H2O Gashydrat SO2. n H2O HSO3-(aq) + H3O+ (aq) + (n-2)H2O + SO23(aq) + H3O (aq) HSO3-(aq)+ H2O KS1 10-2 mol l-1 KS2 10-7 mol l-1 Während die zweite Protolyse analog der Protolyse von Hydrogensulfat zu Sulfat abläuft (Brönsted SB-Reaktion), läuft die erste anders ab. Säurewirkung des Gashydrats: Auf Lewis SB-Reaktion folgt SB-Reaktion nach Brönsted: LS S S O O LB O OH O - + H+ O H H Die Löslichkeit von SO2 in reinem Wasser genügt zwar für den Springbrunnenversuch im Labor, nicht aber für eine möglichst vollständige Entfernung von SO2 aus Rauchgasen aus Kraftwerken. Wollte man das in Rauchgasen enthaltene Schwefeldioxid allein durch Absorption in Wasser auswaschen, so würde man wegen der dort zu geringen Wasserlöslichkeit von SO2 (Rauchgase haben keine Raumtemperatur!) enorme Waschwassermengen benötigen, um das SO2-Gas weitgehend aus dem Rauchgas zu entfernen. Die Absorption von SO2 bei Waschverfahren läßt sich erhöhen, indem die Kette der Gleichgewichtsreaktionen durch Erniedrigung der H3O+-Ionenkonzentration nach rechts verschoben wird. Dazu können nur alkalische Waschflüssigkeiten verwendet werden, bei denen SO2 in Sulfit oder Hydrogensulfit umgewandelt wird. Ein Beispiel ist Versuch 5, das Kalksteinverfahren. Versuch 5: Kalksteinverfahren (REA) Die Texte zu Versuch 5 stammen in engster Anlehnung aus einem ChiuZ – Artikel von Luckat23 (Steinzerfall) und dem Werk „Chemie und Umwelt“ von Heintz und Reichart24 (Rauchgasentschwefelung). 5.1. Steinzerfall Seit dem Ende des 19.Jahrhunderts zeigen sich an Gebäuden, die unter Verwendung von Natursteinen errichtet wurden, rätselhafte Zerfalls- und Zerstörungserscheinungen. In England hatte schon in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Expertenkommission festgestellt, daß auffällige Schäden an den damals 15 Jahre alten Parlamentsgebäuden auf Schwefelsäure – aus Rauchgasen entstanden – zurückzuführen seien. 5.1.a. industrialisierte Städte – ländlicher Raum In Deutschland wurde 1907 darauf hingewiesen, daß eine bestimmte Sandsteinart, der Schlaitdorfer Sandstein, die am Kölner Dom schwerste Schäden erkennen ließ, am Schloss Neuschwanstein praktisch nicht angegriffen wurde. Dabei war dieses Material praktisch gleichzeitig (um 1870) verbaut und somit gleich lang bewittert worden. Die Zerfallserscheinungen sind also in den städtischen und industrialisierten Ballungsgebieten am stärksten, auf dem Land mit dünner Besiedlung am geringsten. 23 Luckat: Steinzerfall und Steinkonservierung: Chemie gegen Chemie. ChiuZ 1982, 89-93. Heintz/Reinhardt: Chemie und Umwelt: ein Studienbuch für Chemiker, Physiker, Biologen und Geologen, Braunschweig 31993 24 5.1.b. Bewitterung vor Industrialisierung kaum relevant Steinzerfall: Das Phänomen Portalfigur (Schloß Herten); um 1690 Zustand 1908 Zustand 1969 Die Bilder25 stellen eine der Portalfiguren vom Wasserschloß Herten im nördlichen mittleren Ruhrgebiet dar, die hier um 1690 angebracht wurden. Rechts zu sehen ist der Zustand im Jahre 1908. Die Gesichtspartie entspricht auch nach 220 Jahren Bewitterung noch weitgehend dem Originalzustand. Die nächsten 60 Jahre, vgl. den Zustand 1969, haben ausgereicht, die Gesichtszüge vollständig verschwinden zu lassen. Einen ähnlichen Befund liefert der Kölner Dom; Baubeginn war 1248; der Chor wurde 1322 fertiggestellt und war mit einer provisorischen Wand nach Westen, das ist die der Witterung am meisten ausgesetzte Seite, abgeschlossen. Mitte des 19.Jahrhunderts wurde die Fassade nach Originalplänen und mit gleichem Material fertiggestellt, die provisorische Wand dabei in den Innenraum einbezogen. Ein Vergleich der bis 1865, also innerhalb von 500 Jahren, verursachten Schäden an diesen sozusagen eingefrorenen Baugruppen zeigt ebenfalls, daß die Hauptkorrosion erst in der Folgezeit einsetzte. 5.1.c. Ursachen Es besteht eine auffällige Parallelität zwischen der Progression des Steinzerfalls und der zunehmenden Industrialisierung. (Nicht zu vergessen ist dabei auch die Vermehrung des Hausbrandes unter Verwendung zuerst von Kohle, dann von Heizöl.) 25 entnommen Luckat, Steinzerfall, S.91 Messungen der Immissionsrate, also der von der Flächeneinheit des Materials in der Zeiteinheit aufgenommenen Schadstoffmenge, ergaben 1973-4 für Schwefeldioxid am Kölner Dom Immissionsraten von 111 mg*m-2*d-1, am Schloss Neuschwanstein 6 mg*m-2*d-1. 5.2. Luftreinhaltung durch Rauchgasentschwefelung 5.2.a. Rauchgas Bei Verbrennungsprozessen entsteht Rauch, eine Mischung aus gasförmigen und festen Bestandteilen. Abgase aus Feuerungsanlagen bezeichnet man daher als Rauchgase. Sie bestehen zu etwa 75 % aus Stickstoff und zu etwa 25 % aus den Produkten der Verbrennung, vor allem Wasserdampf und Kohlendioxid, in geringen, variablen Mengen auch SO2, SO3, NOx, HF, HCl, CO, O2 und Reste an organischem Material. Feste Bestandteile, die Flugasche, sind vor allem Al2O3, CaO, Fe2O3, K2O, Na2O, SiO2, weitere Metalloxide und unverbrannter Kohlenstoff (Ruß). 5.2.b. Schwefeldioxid aus Kohleverfeuerung Emissionen an SO2 und SO3 fallen vor allem bei der Verbrennung von Steinkohle und Braunkohle an. „Der SO2 – Gehalt in den Rauchgasen beträgt je nach verwendetem Brennstoff 1-4 g/m3, wobei die Mengen des anfallenden Rauchgases gewaltig sind. Ein durchschnittlich großes Kraftwerk (700 MW elektrische Leistung), das mit Steinkohle beschickt wird, produziert stündlich (!) 2,5*106 m3 Rauchgase. Dabei werden ca. 250 t Steinkohle pro Stunde verbrannt. Die damit gleichzeitig umgesetzte Menge Schwefel beträgt 2,5 t/h.“26 Ein Braunkohlekraftwerk vergleichbarer Leistung produziert stündlich 7,5 m3 Rauchgase. 26 Heintz/Reinhardt 81 Steinkohlegerüst27 „Bei der in der Bundesrepublik häufig eingesetzten Steinkohle ist ca. 80% des Schwefelanteils in das organische Gerüst der Kohle eingebaut. Nur etwa 20% des Schwefels liegen in mineralischer Form vor, meist als Pyrit (FeS2). Diese 20% können mit Hilfe physikalischer Verfahren weitgehend eliminiert werden. Die restlichen 80% müßten durch chemische oder biologische Verfahren entfernt werden.“28 Bei den biologischen Verfahren liegen nichts großtechnisch Machbares vor; chemische Kohleaufbereitung über Kohleverflüssigung oder Kohlevergasung ist zu kostenintensiv. Daher ziehen die Betreiber sekundäre Maßnahmen, die den Schwefel nach der Verfeuerung des Brennstoffes eliminieren, vor: Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA). 5.2.c. Regenerative und nichtregenerative REA Rauchgasentschwefelungsverfahren sind regenerativ oder nichtregenerativ. Bei regenerativen Verfahren wird das Absorptionsmittel zurückgewonnen, Beispiele sind das MagnesiumVerfahren (Absorbens MgO) und das Wellman-Lord-Verfahren (Absorbens Na2SO3). 27 Schematische Darstellung der Struktur von Steinkohle, entnommen Christen/Meyer: Allgemeine und Anorganische Chemie I, S.627 [nach J.Chem.Educ. 60 (1983), 621]. 28 Heintz/Reinhardt S. 82 Bei nichtregenerativen Verfahren wird SO2 oxidiert, das Absorbens wird nicht zurückgewonnen. 5.2.d. Calciumverfahren In Deutschland hat vor allem das Calciumverfahren Bedeutung. Dabei wird als Absorbens entweder Kalkstein oder Branntkalk eingesetzt. Kalkwaschturm Schritt 1 CaCO3 + SO2 + H2O CaSO3 .1/2 H2O + CO2 + 1/2 H2O Kontaktflächenzone Schritt 2 CaSO3 .1/2 H2O + SO2 + H2O Ca(HSO3)2 + 1/2H2O Rauchgas(SO2) Oxidationszone Ca(HSO3)2 + 1/2 O2 + H2O Luft (O2) CaSO4. 2H2O + 1/2 H2O Gips – Suspension (Sulfat) Im einzelnen verlaufen die Prozesse im Kalkwaschturm folgendermaßen. „Die Waschflüssigkeit wird in den Weg des SO2-haltigen Rohgases eingesprüht, ebenso das sogenannte Prozeßwasser, um genügend fein verteilte Wassertröpfchen für den Absorptionsprozeß von SO2 zur Verfügung zu haben. Die Waschflüssigkeit besteht im Fall einer Verwendung von Kalkstein als Absorbens aus einer Kalkdispersion und im Fall von Branntkalk aus einer Ca(OH)2-Suspension. Sie setzt sich in beiden Fällen zu dem im Rauchgas enthaltenen SO2 an der Kontaktfläche Rauchgas/Kalkdispersion zu Sulfit um.“29 29 Heintz/Reinhardt S.85 „Mit dem Sauerstoff der von unten eingeblasenen Luft reagiert dann Sulfit bei Anwesenheit von SO2 über Hydrogensulfit zu Sulfat.“30 Von der gesamten eingeblasenen Menge an SO2 werden größenordnungsmäßig 25% derart über Hydrogensulfit zu Sulfat oxidiert. 75% des absorbierten SO2 reagieren nur über die erste Stufe bis zu Sulfit und werden anschließend in der Oxidationszone der Rauchgasentschwefelungsanlage durch den in der eingeblasenen Luft enthaltenen Sauerstoff direkt zu Sulfat und damit zu Gips hochoxidiert. Dabei werden gleichzeitig durch Absorption und Brönsted SB-Reaktionen die Schadgase HCl und HF aus dem Rauchgas eliminiert. Die Ausbeute an Gips ist bei einem pH-Wert von 5,5 bis 6,5 optimal. Das liegt daran, daß ein Teil der Oxidation über das amphotere Hydrogensulfit abläuft. Ein zu niedriger wie ein zu hoher pH-Wert liefert also ungünstige HSO3- -Konzentrationen. 5.2.e. Kalkstein oder Branntkalk? Mit welcher Waschflüssigkeit das Calciumverfahren betrieben wird, ist eine Frage der Preiskalkulation.31 Die Branntkalkherstellung ist energieintensiv, damit liegt der Anschaffungspreis für die Waschflüssigkeit im Fall des aus der Natur gewonnenen Kalksteins ungleich günstiger als beim Branntkalk. Dem stehen geringere Löslichkeit, geringere Reaktionsfähigkeit und höherer Verbrauch des Kalksteins gegenüber. Vom Standpunkt der Umweltbelastung aus ist der Einsatz von Kalkstein dem energieintensiven Einsatz von Branntkalk vorzuziehen. 5.2.f. REA – Gips32 Ein generelles Problem der Rauchgasentschwefelung ist die Frage nach der Verwertbarkeit der Produkte. Bei der Rauchgasentschwefelung fallen mehrere Tonnen Reststoff pro Stunde an. Gips bzw. technischer Anhydrit machen allein 86% der Endprodukte der REA aus.Diesen Gips bezeichnet man als REA-Gips. Er ist oft mit Schadstoffen belastet und damit nur beschränkt etwa als Baustoff einsetzbar. Der Gesamtgipsbedarf (REA- und Naturgips) der Baustoffindustrie beläuft sich auf jährlich 3*106 t. Aus Steinkohleverstromung fallen 2,5*106 t/a, aus Braunkohleverstromung 1,4*106 t/a REA-Gips an. Ein großer Teil des REA-Gipses muß wegen enthaltener Schadstoffe kostenaufwendig deponiert 30 werden. Rauchgasreduktionsanlagen Heintz/Reinhardt S. 85 Heintz/Reinhardt S. 86 32 enge Anlehnung an Heintz/Reinhardt S. 105 31 erhöhen also den Strompreis; die Bundesregierung schätzte die Mehrkosten auf 1 Pfennig pro Kilowattstunde, die Kraftwerksbetreiber denentsprechend auf mehrere Pfennige. Das scheint hinnehmbar zu sein, denn man muß berücksichtigen, daß Folgen der Luftverschmutzung wie Gebäudefraß, Brückenkorrosion, neuartige Waldschäden, saure Seen, Atemwegserkrankungen ebenfalls Kosten für die Volkswirtschaft bedeuten. 5.3. REA im Schulversuch Prinzip des Versuchs ist die Absorption von „Rauchgas“ (reines Schwefeldioxid) in einer Kalksuspension und, nach Umsetzung des Kalks, Einblasen von „Luft“ (reiner Sauerstoff) bis zum Gipsausfall. Die in einer REA gleichzeitig stattfindenden Prozesse lassen sich im Schulversuch zeitlich trennen. Die Verwendung reiner Chemikalien erhöht die Klarheit der Abläufe. Die katalytische Wirkung von Schwermetallspuren in Rauchgasen wird andererseits nicht genutzt. Praxisteil: Versuchsvorschriften V1 Verpuffen von Schwefel mit Salpeter Literatur: Bolko Flintjer, Walter Jansen: Die Arbeiten von Clément und Désormes – eine historisch-problemorientierte Unterrichtskonzeption zum Thema Schwefelsäure. MNU 42/2 (1989), S.87-98, hier S.89 Geräte: Spatel, Glastrichter, PVC-Schlauch (20cm), Gaswaschflasche, Membranpumpe, Stativmaterial, Bunsenbrenner, 40mm-Tiegel, passender Dreifuß mit Tondreieck, Tiegelzange, Asbestdrahtnetz zum Abstellen des Tiegels. Chemikalien: 6g (1/3 Tiegel) KNO3 2-3 g Schwefel 0,05 g KMnO4 (in Waschflasche mit 150ml H2O lösen) BaCl2 -Lösung (salzsauer) (Tropfflasche) 50 ml NaOH (verd.) (Waschflasche vor Membranpumpe); Salz-Eis-Mischung Vorbereitungen: Die Gaswaschflasche wird zu etwa einem Drittel mit wäßriger Kaliumpermanganatlösung gefüllt und oberhalb der Stativklemme, die den mit der Spitze nach oben montierten Glastrichter in ein bis zwei cm Abstand über dem Tiegel hält, so montiert, daß der PVC-Schlauch vom Glastrichter zur Waschflasche möglichst kurz gewählt werden kann. Kaliumnitrat wird in den Tiegel gegeben. Durchführung: Der Tiegel wird mit rauschender Flamme erhitzt. Nach etwa einer Minute ist das Kaliumnitrat geschmolzen. (Der Schmelzpunkt wasserfreien Kaliumnitrats liegt bei 334°C.) Mit der Membranpumpe wird vom Glastrichter her lebhaft Luft durch die Permanganatlösung gezogen. Vorsichtig wird mit dem Spatel Schwefel auf die Schmelze gegeben. Dabei wartet man das Nachlassen der hell leuchtenden Flamme ab, bevor man weiteren Schwefel zugibt. Nach Entfärbung der Permanganatlösung werden Brenner und Pumpe abgestellt. Sulfat ist in der farblosen Lösung nachweisbar. Der Kopf der Waschflasche wird abgenommen und aus einer Tropfflasche salzsaure Bariumchloridlösung zugegeben. Der Niederschlag ist besser sichtbar, wenn man eine schwarze Pappe hinter die Waschflasche hält.33 Entsorgung: Mangan- und bariumhaltige Lösungen in die wäßrigen Schwermetallabfälle. Rest: Hausmüll. V2 Pottasche-Schwefel-Schmelze: Schwefelleber, Schwefelmilch Literatur: Georg Ernst Stahl: Observationum chymico-physicarum curiosarum [...] Mensis Primus [...] Julius, sistens Experimentum Novum, verum Sulphur Arte producendi, Illustratum & Demonstratum. Frankfurt und Leipzig, 1697 Geräte: Bunsenbrenner, 40mm Tiegel, Tondreieck, Dreifuß, Porzellanschalen (groß und klein), Asbestdrahtnetz, Tiegelzange; Stativplatte und -stange Magnetrührer, 3-4cm Rührfisch, 100 ml Becherglas hohe Form, Tropfflasche; Filterpapier, Tesafilm Chemikalien: Gemisch aus 8g Kaliumcarbonat und 4g Schwefel (ergibt reichlich halbvollen Tiegel), halbkonz. Salzsäure, dest. Wasser, Bleiacetatlösung (Tropffläschchen) 33 Flintjer/Jansen fällen sofort Bariumsulfat; Permanganatlösung nachher zugeben oder zweite Waschflasche montieren. Entfärbung von Permanganat auch durch nitrose Gase möglich: Ausschluß durch Ringprobe mit entfärbter Lösung. Vorbereitung: Hinter den Magnetrührer wird ein 100 ml Becherglas, 50 ml Wasser und Rührfisch enthaltend, gestellt. Mit dem Pottasche-Schwefel- Gemisch wird der Tiegel halb gefüllt. In eine Kristallisierschale (Durchmesser 14cm) werden 2 Filterpapiere (Durchmesser 11cm) gelegt, darauf die Tropfflasche gestellt. Papier „Bleisulfid“ (mit Zusatz-Tesafilm für gebräuntes Filterpapier) dem Publikum abgewandt an Tisch kleben. Durchführung: 1) Bleiacetatpapier wird frisch hergestellt, indem Filterpapier in der Mitte mit wenigen Tropfen Bleiacetatlösung angefeuchtet wird; als Unterlage dient eine große Porzellanschale. 2) Das Gemisch aus Kaliumcarbonat und Schwefel wird im Tiegel etwa 3 min. erhitzt und geschmolzen; über den Tiegel wird Bleiacetatpapier mit der Tiegelzange bis zur Bräunung gehalten . 3 ) Mit der Tiegelzange wird der Tiegel auf ein Asbestdrahtnetz gestellt und festgehalten, während man mit einem breiten Spatel Schwefelleber entnimmt. Eine Spatelspitze wird in das mit Wasser halb gefüllte Becherglas gegeben und unter Rühren gelöst. Eine zweite Spatelspitze wird in eine Kristallisierschale gegeben, diese verschlossen und herumgereicht. 4) Aus einer Tropfflasche gibt man halbkonzentrierte Salzsäure zur gelben Polysulfidlösung; dabei hält man ein Bleiacetatpapier über das Becherglas. Es entsteht Schwefelmilch, dabei Schwefelwasserstoffentwicklung! Das braunschwarze Filterpapier wird mit Tesa auf dem vorbereiteten Blatt „Bleisulfid“ befestigt und sichtbar in den Abzug geklebt. Entsorgung: Schwefelreste in die Feststoffabfälle; Schwefelleber komplett in Wasser lösen; Sulfide mit saurer Kaliumpermanganatlösung oxidieren; in die anorganischen Schwermetallabfälle geben. V3 Angelaufenes Silberbesteck Chemikalien: Silberlöffel 5 ml „Ammoniumsulfid“lösung 20%ig mit 40ml Wasser (300 ml Weithals + Deckel) Alufolie 10*10cm 25 g Na2CO3 (Soda) in 100 ml Wasser Geräte: 300 ml Weithals mit Gummistopfen, 500 ml Becherglas, große Kristallisierschale. Vorbereitung: Sodalösung herstellen (unter Erwärmen; Magnetrührer). Ammonsulfidlösung im Weithals mit Gummistopfen gut verschlossen halten. Durchführung: 1) Sollte der Silberlöffel noch nicht angelaufen sein, wird er im Abzug in dem mit Stopfen verschlossenen Weithalskolben wenig geschwenkt. Durch Sauerstoff und Sulfide bildet sich eine Schicht Silbersulfid. Der Löffel läuft an. Er wird mit dest.Wasser in den Weithalskolben abgespült. Der Kolben wird verschlossen in den Abzug gestellt. 2) Aluminiumfolie wird in die Na2CO3 – Lösung getaucht. Einsetzende Gasentwicklung (H2) zeigt an, daß die Oxidschicht von der Alufolie entfernt ist. 3) Die Alufolie wird in die Na2CO3 - Lösung gelegt. Der angelaufene Silberlöffel wird kurz auf die Alufolie gedrückt. Er wird sofort blank. Entsorgung: „Ammonsulfid“- Lösung wird mit KMnO4 (aq) oxidiert. Wäßrige Schwermetallabfälle. Rest: Hausmüll. V4 SO2 – Springbrunnen Chemikalien: 55 g NaHSO3 mit 20 ml Wasser (in Dreihals – Rundkolben 1000ml) 40 ml H2SO4 konz. (in Tropftrichter mit Druckausgleich)34 Methylrotlösung (800 ml Wasser, 10-20 Tropfen Methylorange, evtl. 1 ml NaOH verd.) pH-Papier Geräte: Stativmaterial; 1000 ml Dreihals - Rundkolben (3 * NS29), 2 Glasschliffstopfen NS29, Tropftrichter mit Druckausgleich und Schliff (NS29), NS 29 Hahn ohne Kern, Sicherungsfedern, Schläuche, 500 ml Zweihals – Rundkolben, (1* NS 14,5, 1* NS 24??), NS 34 Angegebene Mengen an NaHSO3 und an H2SO4 sind ausreichend für die Versuche 4 und 5 zusammen. 29 Hahn mit Kern, NS 14,5 Hahn mit Kern, Woulfesche Flasche (auf einer Seite mit NS 29 Glasschliffstopfen verschlossen, auf anderer NS 29 Hahn ohne Schliff), Peleusball; Glasstab als Verbindungstück zwischen Woulfescher Flasche und Zweihalskolben mit Gummistopfen versehen; muß bis zum Boden der Woulfeschen Flasche reichen; am Zweihalskolbenende zu Spitze ausgezogen. Vorbereitung: Die NaHSO3 – Suspension im Dreihals wird leicht geschwenkt, Rührfisch zugegeben, bereits vor Versuch wird langsam gerührt. Am 500 ml Zweihalskolben werden Hähne mit Kern angebracht; der Hahn NS 29 zeigt nach oben! (Das aufzufangende SO2 ist 2,3 mal schwerer als Luft.) Am Hahn des NS 14,5 sitzt ein in die Absaugung führender Schlauch. Der Hahn des NS 29 ist über einem Schlauch mit dem Dreihalskolben verbunden. In die Woulfesche Flasche wird 800 ml Wasser samt Methylorange gegeben. Ist die Lösung nicht gelb, wird mit 1 Tropfen verd. NaOH – Lösung der pH erhöht. Das Glasrohr wird aufgesetzt. Die Woulfsche Flasche steht unterhalb des Zweihalskolbens. Durchführung: 1) Durch Zutropfen wird SO2 entwickelt (Hähne müssen offen sein!), mit angefeuchtetem pHPapier wird am in die Absaugung führenden Schlauchende auf SO2 geprüft (Rotfärbung durch Säurewirkung). 2) War die Probe auf SO2 erfolgreich, wird das Zutropfen beendet und noch einige Sekunden das sich entwickelnde Gas durch den Zweihalskolben geleitet. Dann schließt man die Kolbenhähne, entfernt den Schlauch am Dreihalskolben sofort und leitet das weiter entstehende SO2 in die Absaugung: Der Schlauch am Zweihals- wird an den Dreihalskolben angebracht. Auch der andere Schlauch wird vom Zweihalskolben entfernt. 3) Der Zweihalskolben wird mit dem NS 29 nach unten gedreht. Der Hahn wird so entfernt, daß der Zweihalskolben auf den Gummistopfen gesetzt werden kann, ohne daß viel SO2-Gas ausströmt (SO2 ist schwerer als Luft!). Der Peleusball wird an den Hahn der Woulfeschen Flasche angebracht und Methylorangelösung in den Zweihalskolben gedrückt. Der Peleusball wird sofort vorsichtig entfernt, dabei darf kein Unterdruck entstehen. Die Methylorangelösung strömt in den Zweihalskolben. Die Farbe der Methylorangelösung im Zweihalskolben ist rot. Entsorgung: SO2-Wasser wird mit saurer KMnO4- Lösung oxidiert und in die wäßrigen Schwermetallabfälle gegeben. V5 Kalksteinverfahren (REA) Chemikalien: Gasentwickler des V4 (NaHSO3, H2SO4 konz., siehe oben) 6g CaCO3, 150 ml Wasser, Sauerstoffflasche Geräte: SO2-Entwickler (siehe V4); Stativmaterial; 6mm-PVC-Schlauch für O2-Bombe; 2 Gaswaschflaschen mit entfettetem Schliff, der O2-Bombe nachgeschaltet; 250 ml Zweihalskolben mit 2 * NS 14,5, 1 Hahn ohne Kern NS 14,5; gebogenes Glasrohr mit durchbohrtem Gummistopfen passend zu NS 14,5. Gummischläuche, Korkring. Magnetrührer, Rührfisch. Vorbereitung: SO2 – Entwickler aus V4 wird weiterbenutzt. Der Zweihalskolben mit der Kalksuspension wird auf einem Korkring abgestellt; das Glasrohr ist mit Sicherheitsfeder und Gummistopfen befestigt. Der 6mm – PVC Schlauch, der von der Sauerstoffbombe kommt, paßt an das Glasrohr. Sauerstoffbombe auf Dichtigkeit prüfen. Druckminderer auf 2 bar Druck einstellen. Durchführung: (1) Nach V4 wird der Zweihalskolben am Stativ befestigt. Ein Gummischlauch führt vom Hahn in die Absaugung. Der Schwefeldioxid – Entwickler wird mit einem Gummischlauch dem Gasrohr verbunden. (2) Der Magnetrührer wird angestellt. Durch stetiges Zutropfen (gesamte Schwefelsäure verbrauchen!) wird Schwefeldioxid durch die Suspension geleitet. Die Suspension klärt sich. (3) Der Schwefeldioxid – Entwickler wird mit der Absaugung verbunden. Der Zweihalskolben bleibt mit der Absaugung verbunden. Die Sauerstoffbombe wird an das Glasrohr angeschlossen. Ein Sauerstoffstrom wird durch den Zweihalskolben geleitet. Nach maximal 5 Minuten fällt Gips aus. Der Sauerstoffstrom wird abgestellt. (Die angegebenen 6g Kalk sorgen später für starke Übersättigung der Lösung an Gips und einen schnellen, gut sichtbaren Ausfall. Will man die typischen Gipsnadeln erhalten, muß man die Kalkmenge deutlich erniedrigen; der Versuch dauert länger und der Gips ist nur aus der Nähe zu erkennen.) Entsorgung: Mit KMnO4 restliches SO2 oxidieren, neutralisieren, in die wäßrigen Schwermetallabfälle entsorgen. Anhang a. Schwefelsymbol in Stahls Fundamenta Chymiae Stahl lehrte, daß Schwefel ein mixtum, ein zusammen- sulphur gesetzter Körper (aus ‚Brennlichem’ = phlogiston und Säure), sei. Passend dazu wird in den Fundamenta Chymiae das nebenstehende Symbol verwendet: Es setzt sich aus den Zeichen für Feuer (mit der Spitze nach oben weisendes Dreieck), das bis heute überlebt hat, und dem Zeichen für ignis (Feuer) Säure (ein Kreuz, eigentlich: Essigsäure, verallgemeinert in der Konzeption einer Universalsäure, von denen auch Lavoisier abhängt). acetum (Säure) b. Stahls Lehrbuch (1723) Einige Werke Stahls sind in der Universitätsbibliothek Marburg zugänglich. Das Vorwort aus den Fundamenta: c. Chymische Zeichen nach Lémery, 1675 (entnommen: Otto Krätz: 7000 Jahre Chemie. München 1990; Hamburg 1999, S.8)