Stichworte: Schizophrene Psychosen Peter Schönknecht Themenübersicht • • • • • Symptomatik Ätiologie und Pathogenese Cerebrale Veränderungen Verläufe und Risikofaktoren Spätschizophrenien + schizoaffektive Psychosen • Behandlungsmaßnahmen Symptomatik Psychopathologische Konzeption: Kraepelin, 1893 „Dementia präcox“ versus „manisch-depressives Irresein“ (Dichotomieprinzip) VERLAUFSKRITERIUM „Die Verschiedenartigkeit der klinischen Bilder [schließt nicht aus, dass] den auseinanderweichenden Formen nicht schließlich doch der gleiche Krankheitsvorgang zugrunde liegt, nur mit verschiedenartigem Angriffspunkte und in wechselnder Verlaufsart“ E. Kraepelin, 1913 Schizophrene Psychosen Symptomatik E. Bleulers Konzept „So fassen wir unter dem Namen Dementia praecox oder Schizophrenie eine ganze Gruppe von Krankheiten zusammen, die sich scharf von vielen anderen Formen des Kraepelin´schen Systems unterscheiden lassen; sie haben viele gemeinsame Symptome und auch eine gemeinsame Richtungsprognose; ihre Zustqandsbilder aber können äußerst verschieden sein.“ E. Bleuler, 1911 Schizophrene Psychosen Symptomatik E. Bleulers Konzept • Grundsymptome: Störung des Denkens, der Affektivität und des Antriebs (vor allem Zerfahrenheit, Ambivalenz und Antriebsverlust) • Akzessorische Symptome: Wahn, Halluzinationen, Katatone Erscheinungen etc. Schizophrene Psychosen Symptomatik K. Schneiders Konzept I „Unter den zahlreichen bei der Schizophrenie vorkommenden abnormen Erlebnisweisen gibt es einige, die wir Symptome 1. Ranges heißen, nicht weil wir sie für „Grundstörungen“ hielten, sondern weil sie für die Diagnose .......... ganz besonderes Gewicht haben. Diese Wertung bezieht sich also nur auf die Diagnose. Nicht aber ist damit etwas zur Theorie der Schizophrenie gesagt.....“ Aus: K. Schneider, Klin. Psychopathologie Schizophrene Psychosen Symptomatik K. Schneiders Konzept II Abnorme Erlebnisweisen Symptome 1. Ranges Symptome 2. Ranges Akustische Halluzinationen Dialogische Stimmen Kommentierende Stimmen Gedankenlautwerden Sonstige akustische Halluzinationen Leibhalluzinationen Leibliche Beeinflussungserlebnisse Coenästhesien i.e.S. Halluzinationen auf anderen Sinnesgebieten - Optische Halluzinationen Olfaktorische Halluzinationen Gustatorische Halluzinationen Schizophrene Ich-Störungen Gedankeneingebung Gedankenentzug Gedankenausbreitung Willensbeeinflussung - Wahn Wahnwahrnehmung Einfache Eigenbeziehung Wahneinfall Schizophrene Psychosen Symptomatik Positiv- und Negativsymptome • Positivsymptome (Plussymptome): „produktive“ Symptomatik, z.B. Wahn, Halluzinationen • Negativsymptome (Minussymptome): Reduktion oder Wegfall früherer Merkmale, z.B. Affektverflachung, Antriebsverlust, Rückzug Klinische Subtypen: Paranoid-halluzinatorisches Syndrom • Symptomatik wird von Wahnbildungen und Halluzinationen bestimmt • Andere Symptome (Affektstörungen, Störungen des Gedankenganges, katatone Symptome) sind weniger ausgeprägt Klinische Subtypen: Paranoid-halluzinatorisches Syndrom Herr T., 36 Jahre Der Mathematiker aus den GUS-Staaten kam auf Intervention eines Freundes in die Klinik, nachdem er über Tage eine zunehmende Unruhe entwickelt hatte und zunehmend durcheinander sprach. Somatische oder psychiatrische Vorerkrankungen bestanden nicht; in der Exploration berichtete er, zunächst auf der Straße, später auch im Institut und sogar im Gästehaus von anderen seltsam angeblickt worden zu sein. Schaute er zurück, wandten sich die anderen bedeutungsvoll ab. Er sei sicher, dass seine Gedanken überprüft würden, vermutlich stecke ein Geheimdienst dahinter. Auf die Einrede, man könne sich in einer recht neuen Umgebung, zumal in einem fremden Land, dessen Sprache er nicht beherrsche, leicht täuschen, bekräftigte er seine Wahrnehmungen „this is not a random situation!“. Die körperliche Untersuchung, Laborparameter, EEG und CCT ergaben Normalbefunde, unter neuroleptischer Behandlung kam es rasch zu einer Remission der Symptomatik. Klinische Subtypen: Katatones Syndrom • Stupor, kataleptischen Phänomenen oder katatoner Erregung im Vordergrund des klinischen Bildes • Zusätzlich: Befehlsautomatismen, Negativismen, Echolalie, Echopraxie, Perseverationen und Verbigerationen Klinische Subtypen: Katatones Syndrom • Gefährdung: – Umschlagen in katatone Erregung bis zum Bewegungssturm möglich – vegetative Störungen: von Tachykardie bis hin zur febrilen Katatonie mit Fieber, starker Schweißneigung bei blasser Peripherie und tachykarden Rhythmusstörungen (perniziöse Katatonie, vital bedrohlicher Notfall!) Klinische Subtypen: Desorganisiertes Syndrom • Auch als „Hebephrenie“ bezeichnet • affektive Störungen, insbesondere läppisch gehobenerGrundstimmung („leere Heiterkeit“), formale Denkstörungen und wechselhafter Antrieb im Vordergrund der klinischen Symptomatik • Erkrankung wird häufig verkannt Klinische Subtypen: Desorganisiertes Syndrom Frau D. 18 Jahre Die Schülerin kam auf Weisung des Vormundschaftsgerichtes zur Aufnahme, nachdem durch die Eltern eine Betreuung eingerichtet worden war. Das Verhalten der Tochter habe sich in den vergangenen beiden Jahre allmählich verändert, fiel sie zunächst in der Schule mit einer flapsigen Unkonzentriertheit auf, könne man seit etwa einem halben Jahr ihren Äußerungen kaum mehr folgen. Äußerst befremdlich seien ihre nicht mehr einfühlsamen emotionalen Reaktionen, etwa indem sie mit einem Lächeln von Unglücksfällen spreche, aber auch ihre unvermittelten, heftigen Handlungen. So habe sie mehrfach das Haus unerwartet über Nacht verlassen. Zunehmend werde sie von Freunden und Bekannten gemieden. Die Aufnahme ließ die Patientin mit einem inadäquaten Lächeln zu. Auch nach längerer Exploration blieb die Symptomatik in den Angaben der Patientin kaum fassbar, auffällig war ein inadäquater Affekt mit parathymen Reaktionen sowie ein inkohärenter Gedankengang. Die Patientin erschien durchaus absprachefähig. Im Verlauf des Aufnahmetages zeigte sie heftige Reaktionen, da von anderen Patienten ihre Mitarbeit bei der Vorbereitung des Abendessens eingefordert wurde. Die entsprechenden Absprachen waren ihr nicht mehr gegenwärtig, wenig später zeigte sie wieder das von der Aufnahme bekannte, gleichförmige Verhalten. Im weiteren Verlauf bot sie Hinweise auf akustische Halluzinationen, etwa wenn sie alleingelassen den Kopf unvermittelt wendete als ob sie wahrgenommene Stimmen zu lokalisieren versuche. Später berichtete sie, dass sie Mitteilungen aus dem Fernsehen empfange und sprach von Verfolgungen durch Unbekannte. Unter strukturierenden Maßnahmen und neuroleptischer Einstellung kam es zu einer langsamen Stabilisierung des Zustandsbildes. Klinische Subtypen: Residuales Syndrom • affektive Verflachung, Verarmung des Gedankenganges, bizarre oder verarmte Psychomotorik, Antriebsmangel und kognitiven Beeinträchtigungen im Vordergrund des klinischen Bildes • Meist autistischer Rückzug, Einengung der Interessenssphäre sowie des individuellen Handlungs- und Gestaltungsraumes • „reine Residuum“: ausgeprägte Residualsymptomatik • „gemischte Residuum“ Amalgamierung mit Residualwahn und anderen produktiv-psychotischen Symptomen Klinische Subtypen: Residuales Syndrom Herr M., 59 Jahre, Waldarbeiter Nach einer Cholecystektomie veranlassten die chirurgischen Kollegen ein psychiatrischer Konsil (Verdachtsdiagnose: “Depression“), da der Patient noch Tage nach dem unkomplizierten Eingriff adynam wirke, seine Körperpflege vernachlässige und bei der Mobilisierung nicht mitarbeite. In der Exploration gibt der Patient vorbehaltlos Auskunft: nach dem Abitur habe er zunächst Jura studiert, das 2. Staatsexamen aber über seine Ersterkrankung im 26. Lebensjahr verschieben müssen. Nach wiederholten stationären, oft monatelangen Behandlungen in den 70er Jahren habe er das Studium aufgegeben und die vom Vater vermittelte Tätigkeit als Waldarbeiter angenommen. Obwohl der Patient detailliert von der damaligen paranoid-halluzinatorischen Symptomatik berichtet, bleibt er dabei affektiv unbeteiligt und gleichmütig. Auffällig sind die Schwierigkeiten, die der Patient bei der Darstellung komplexerer Sachverhalte hat, sein Antriebsdefizit bei bizarrer Psychomotorik, aber auch seine untergründig misstrauische Haltung Pflegepersonal und Ärzten gegenüber. Schließlich berichtet Herr M., dass die elektronische Ausstattung des Zimmers wohl der Überprüfung seiner „falschen“ Gedanken diene. Mit Wiedereinstellung auf die im Vorfeld des Eingriffs unterbrochene neuroleptische Medikation stabilisierte sich das Zustandsbild zusehendst. Klinische Subtypen: Schizophrenia simplex • Verlaufsform mit lediglich kurzfristigen oder nur in abgeschwächter Form nachweisbaren Produktivsymptomen • Negativsymptomatik beherrscht das klinische Bild Klinische Subtypen: Schizophrenia simplex Herr M, 25 Jahre, Bauzeichner Der 25 jährige Herr M. sucht auf Anraten seines Hausarztes die Ambulanz der Psychiatrischen Klinik auf. Er berichtet, dass er vor 6 Jahren den Realschulabschluss gut bewältigt und im Anschluss daran eine Lehre als Bauzeichner begonnen habe. Zunächst sei er in der Lehre gut zurecht gekommen, gegen Ende der dreijährigen Ausbildungszeit waren die Leistungen in der Berufsschule schlechter geworden, er habe sich nicht mehr richtig konzentrieren können, das Lernen sei ihm schwerer gefallen und habe keinen rechten Spaß mehr gemacht. Da er unter Stimmungsschwankungen gelitten habe, war er häufig krank geschrieben worden. Mit Mühe habe er die Lehre zwar noch abgeschlossen, da er zuletzt mehrfach auch ohne Krankschreibung nicht zur Arbeit erschienen war, habe die sicher geglaubte Übernahme in ein festes Arbeitsverhältnis aber nicht geklappt. Herr M. hatte daher zunächst seinen Grundwehrdienst bei der Bundeswehr abgeleistet und sich für insgesamt 3 Jahre freiwillig dienstverpflichtet. Bei der Bundeswehr sei er zunächst gut zu recht gekommen, die Regelmäßigkeit des Dienstes und die klare Tages- und Aufgabenstruktur seien ihm sehr entgegengekommen. Während der Bundeswehrzeit hatte Herr M. begonnen, regelmäßig Cannabis zu konsumieren. Er hatte seine früher gepflegten Hobbies aufgegeben, sein Freundeskreis sei nach und nach abgebröckelt. Nach Beendigung der Bundeswehrzeit vor 2 Jahren habe er sich nicht aktiv um eine Stelle bemüht. Seither wohne er in einem abgetrennten Zimmer in der Wohnung seiner Eltern und beschäftige sich im wesentlichen damit, Radio zu hören. Die gehörten Titel schreibe er auf und fertige Listen an, die er thematisch gliedere. Seine Eltern seien ärgerlich auf ihn, da er keiner geregelten Tätigkeit nachgehe. Immer wieder komme es zu Streitigkeiten, da er morgens nicht aufstehe, bis spät in die Nacht wach sei und weiterhin Haschisch rauche. Über eine handgreifliche Auseinandersetzung sei es jetzt zur Klinikeinweisung gekommen. Klinische Subtypen: Zoenaesthetische Schizophrenie • • • • In ICD-10 und DSM nicht gesondert berücksichtigt Zoenaesthesien (qualitativ eigenartige, für den Patienten schwer zu lokalisierende Leibgefühle) bestimmen das klinische Bild Veränderte Leibwahrnehmungen werden meist mit bildhaften Ausdrücken (versteinert, vertrocknet, hohl, durchflutet, bewegt, durchstrahlt) umschrieben, die häufig mit Leibentstellungserleben (der Körper wächst, wird verzerrt, Veränderung der Größe und Form von Köperteilen) in Verbindung gebracht werden Es können Elevationsgefühle (gehoben werden), vestibuläre Halluzinationen (schweben) oder kinästhetische Halluzinationen (bewegt werden) berichtet werden. Klinische Subtypen: Zoenaesthetische Schizophrenie Herr A, 31 Jahre, kein Beruf Herr A wird erstmalig im Rahmen eines Konsils vom Liaisonpsychiater in der Rheumatologie gesehen. Er weigert sich zunächst, mit dem Psychiater zu sprechen, da er „nichts an der Birne“ habe. Beim 2. Besuch gelingt es, den Kontakt zu Herrn A. herzustellen und einen weiteren Termin zu vereinbaren. Bei diesem Termin zeigt Herr A. dem Psychiater Unterlagen von insgesamt 50 fachärztlichen Untersuchungen innerhalb der letzten 8 Jahre bei Kollegen aus insgesamt 7 Städten der BRD. Er berichtet, dass er unter einer seltenen bislang bei ihm und vielleicht auch weltweit noch nicht entdeckten Krankheit leide, die zu einer Verklumpung von Eiweißen in den unterschiedlichsten Körperregionen führe. Das habe seltsame Schmerzen im ganzen Körper zur Folge. Immer wieder blieben Eiweißpartikel in der Niere stecken, dann wieder wanderten Eiweißpartikel in die Knochen und die Haut ein, gelegentlich könne er sie auch durch die Haut hindurch ertasten oder in bestimmten Knochen als Verdickungen fühlen. Sicher habe er die Partikel im Kot, im Urin und im Sperma ausgemacht. Beim Sperma führten die Eiweißklumpen zu einer Veränderung der Viskosität, was zu seltsamen und unangenehmen Sensationen beim Samenerguss führe. Zur Bestätigung bringt Herr A beim zweiten Besuch Körperausscheidungen mit. Auch in seinem Kopf seien die Partikel aktiv. Das merke er an seltsamen Sensationen, die er im Gehirn spüre. Noch belastender seien die zunehmenden Konzentrationsstörungen und das Abbrechen von Gedanken. Nachdem diese Körperstörungen vor 8 Jahren aufgetreten waren, konnte er das fortgeschrittene Biologiestudium nicht mehr abschließen. Die Beziehung zu seiner langjährigen Freundin sei vor 6 Jahren in die Brüche gegangen, da er auch körperlich nicht mehr in der Lage war, sich den Belastungen einer Beziehung auszusetzen. Während der vergangenen Jahre habe er sich im wesentlichen mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen. Zuletzt habe er sich ausschließlich mit seiner Erkrankung beschäftigt und zunächst in seiner Heimatstadt, seit 2 Jahren dann in unterschiedlichen deutschen Städten, zahlreiche Spezialisten konsultiert. Epidemiologie Lebenszeitprävalenz 0.7-1 % (bipolar > unipolar) Männer : Frauen – 1 : 1.7 polyphasischer Verlauf > 3 Episoden über 0.5 Millionen manifest Erkrankte bundesweit Marneros et al., 1991; Schizophrene Psychosen Verläufe und Risikofaktoren Verlauf und Manifestation (Häfner, 2000) Prodromalphase • Schlaf- und andere vegetative Störungen • uncharakteristische Stimmungsschwankungen, Irritierbarkeit • Schwerbesinnlichkeit mit Konzentrations- und allgemeiner Leistungseinbuße • Positivsymptome treten erst erheblich später auf • Das klinische Vollbild der Erkrankung manifestiert sich im Mittel etwa 2 Jahre später Schizophrene Psychosen Verläufe und Risikofaktoren Einfache Verläufe (nach E. Bleuler) • Akut zu schweren chronischen Zuständen • Chronisch zu schweren chronischen Zuständen • Akut zu leichteren chronischen Zuständen • Chronisch zu leichteren chronischen Zuständen Nach: Bleuler, Schizophrene Psychosen Verläufe und Risikofaktoren Wellenförmige Verläufe (nach E. Bleuler) • Wellenförmig zu schweren chronischen Zuständen • Wellenförmig zu leichten chronischen Zuständen • Heilung nach wellenförmigem Verlauf • Andere Verläufe Komorbidität: Substanzmissbrauch • Im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung ist Alkoholismus bei schizophrenen Patienten mindestens 3-mal und eine andere Suchtstörung 6-mal häufiger • Etwa 75% der schizophren Erkrankten rauchen • Bei etwa 50% besteht zusätzlich ein Substanzmissbrauch bzw. eine Abhängigkeitserkrankung: – etwa 1/3 Alkoholabhängigkeit/Missbrauch – mehr als 1/4 Missbrauch/Abhängigkeit von anderen Substanzen. Komorbidität: Substanzmissbrauch • Substanzmissbrauch Ursache oder Wirkung der Schizophrenie („Selbstbehandlung“)? • Komorbidität mit Substanzmissbrauch verkompliziert den Verlauf (höhere Anzahl psychotischer Exazerbationen, schlechtere soziorehabilative Ergebnisse, höheres Risiko für selbst- und fremdgefährdendes Verhalten) Mortalität • Bei Schizophrenien ist die Mortalität generell erhöht (Harris und Barraclough, 1998) • Ursachen: – Suizide – Unfälle – körperliche Erkrankungen (z.B. als Folge des vermehrten Nikotinabusus) – bis zu 50% der bei schizophrenen Patienten auftretenden relevanten körperlichen Erkrankungen werden nicht diagnostiziert Suizidalität • Durch Suizide versterben etwa 10-15% der schizophrenen Patienten • Ca. 50% aller schizophren Erkrankten unternimmt im Krankheitsverlauf mindestens einen Suzidversuch • Suizide werden überwiegend innerhalb der ersten beiden Jahre nach Erstmanifestation verübt Suizidalität: Akute Krankheitsphase • Suizide können unmittelbar auf schizophrene Symptome (imperative Stimmen, im Wahn erlebte Ausweglosigkeit, Depressivität, Agitiertheit) zurückgehen • Häufig unerwartet, ohne präsuizidale Stadien (Pöldinger) bzw. präsuizidales Syndrom (Ringel) • Ausführung: – häufig außergewöhnlich hart – in der Wahl der Methode gelegentlich bizarr Suizidalität: Postremissive Phase • Belastung durch depressive Symptome, Konfrontation und Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Erkrankung • Besonders gefährdet: – junge Patienten mit – hohem prämorbiden Ausgangsniveau Æ Unterstützung in der Krankheitsverarbeitung, depressive Entwicklungen erkennen und behandeln Ätiologie und Pathogenese Familiäre Häufung Verwandte 1. Grades Verwandte 2. Grades Allgemeinbevölkerung 1% Ehegatten 2% Vettern 2% Onkel/Tanten 2% Neffen/Nichten Enkel Halbgeschwister Eltern Geschwister 4% 5% 6% 6% 9% Geschw + ein Elter 17% ZE-Zwillinge 17% Nachkommen zweier betroffener Eltern 46% EE-Zwillinge 0 48% 10 20 30 40 50% Although a history of schizophrenia in a parent or sibling is associated with the highest relative risk of having the disease, the place and season of birth account for many more cases on a population basis. Mortensen, NEJM 1999 Dopaminhypothese • Dopaminerg wirksame Substanzen wie Amphetamin provozieren auch bei Gesunden schizophrenieähnliche Symptome • Die antipsychotische Potenz der therapeutisch eingesetzten Neuroleptika korreliert mit ihrer Affinität zu den Dopamin-D2-Rezeptoren • Dopaminerge Überaktivierung mesolimbisch: Positivsymptomatik • Dopaminmangel mesokortikal: Negativsymptomatik Karlsson; Seemann Vulnerabilitäts-Stress-Modell • Schizophrene Psychosen können als Resultat komplexer Interaktionen zwischen Grundstörung, Entwicklung und situativen Faktoren, sowie psychosozialen Einflüssen und Bewältigungsversuchen aufgefasst werden • Auf dem Boden einer (genetischen) Disposition (Vulnerabilität) kommt es Einfluss von Stressoren zur Dekompensation • Mögliche Einflussfaktoren: – – – – – Infektionen und andere Faktoren in utero und in der Kindheit Geburtskomplikationen Belastende Lebensereignisse Psychoaktive Substanzen Infekte, körperliche Erkrankungen Zubin u. Spring, 1977, Nuechterlein, 1987 Befunde vor Krankheitsmanifestation • „Neurologische Soft-Signs“: Auffälligkeiten bei der koordinativen Motorik bzw. im Bereich der Sensorik • diskrete neuropsychologische Defizite (Aufmerksamkeitsstörungen, Verzögerungen in der Sprachentwicklung) • In Kindheit und Jugend eher passiv, submissiv („voraus laufende Defizienz“) Psychosoziale Faktoren • „Expressed Emotions“-Konzept (Leff & Vaughn, 1985): – Interaktionsstil in Familien, der von „Kritik“, „Feindseligkeit“ und/oder „emotionaler Überbeteiligung“ geprägt ist (Übersicht bei Kavanagh, 1992) – Auch bei anderen Erkrankungen (Depression) anwendbar • Konzept der „schizophrenogenen Mutter“ oder „double bind“ weitestgehend aufgegeben 40 „Prozessaktivität“ 30 20 10 NSS remission NSS follow-up 0 N= 22 controls 22 21 21 decreasing NSS 18 18 stable NSS Neurologische Soft Signs (NSS) im Verlauf über 14 Monate. Während NSS bei gesunden Probanden (n=22) stabil blieben, veränderten sie sich bei ersthospitalisierten Patienten entsprechend der psychopathologischen Symptomatik. Bei günstigen Verläufen kam es zu einem deutlichen Abfall, während bei chronischer Symptomatik die NSS persistierten (nach: Bachmann et al., 2005). Hypofrontalität und Psychopathologie bei Pat. mit chronischen Schizophrenien Sowohl der Patient mit chronisch wahnhafter (obere Reihe) als auch chronischer Negativsymptomatik (Mitte) zeigt eine Hypofrontalität mit einen verminderten frontalen Glucoseumsatz. Dieser Befund besteht beim Patienten mit chronisch desorganisierter Symptomatik jedoch nicht. Schröder, 1998 Behandlungsmaßnahmen wichtige Differentialdiagnosen • Depression oder Manie mit psychotischen Merkmalen (F 32.3, 30.2, 31.5) • Postschizophrene Depression (F 20.4) • andere „wahnhafte Störungen“ (F 21-24) • Exogene (organische) Psychosen (Drogen, systemische Erkrankungen) (F 1x.5, 06.2) Klinische Abklärung • • • • • Internistischer und neurologischer Befund Laborchemische Blutuntersuchung (einschl. Drogenscreening) EKG, EEG CCT/MRT ggf. Liquoranalytik Therapie I • Gefährdung abklären Suizidalität/Fremdgefährdung • Katatonie (evt. Malignes neuroleptisches Syndrom) • Stabiler Allgemeinzustand • Strukturierende Umgebung, feste Ansprechpartner • Pharmakotherapie Therapie II • Akutphase (perakut): hochpotente Neuroleptika, Sedativa • Schizo.-man.: Neuroleptika + Lithium Neuroleptika + Carbamazepin, falls rascher Wirkeintritt nötig • Schizo.-dep.: hochpotente Neuroleptika, ggf. + Antidepressiva Therapie III • Prophylaxe: 1. Bei Ersterkrankung – 2 a 2. bei Mehrfacherkrankung – 5 a oder länger 3. Schizoaffektive P. : Phasenprophylaktika (Lithium, Antikonvulsiva) • Psychoedukation erhöht Compliance (Angehörigengruppen, empathische Aufklärung) Schizophrene Psychosen Behandlungsmaßnahmen • Mehrdimensionaler Ansatz: - Pharmakotherapie - Psychotherapie (meist „supportiv”) - Soziotherapie • Die Therapie wird, insbesondere im akuten Stadium, häufig durch mangelnde Krankheitseinsicht erschwert Expressed Emotions • Verlaufsstudien: Assoziation von Prognose und familiärer Atmosphäre • Kritik und Ablehnung; emotional Overinvolvement • psychedukativ v.a. emotional overinvolvement gut beeinflussbar • aber: Gleichgültigkeit nicht geklärt Brown 1972 nach Bachmann et al., 2006 Schizophrene Psychosen Behandlungsmaßnahmen Neuroleptika I Die Einteilung kann erfolgen nach • chemischer Struktur (Trizyklische Neuroleptika, Butyrophenone, Benzamide etc.) • neuroleptischer Potenz (hochpotent, mittelpotent, niedrigpotent) • „Atypizität“ (im engeren Sinne ohne EPMS, im weiteren Sinne mit weniger EPMS oder besserer Wirkung bei Negativsymptomatik) Schizophrene Psychosen Behandlungsmaßnahmen Neuroleptika II Antipsychotisch EPS sedierend/ periphere + anticholinerge NW niederpotent hochpotent Schizophrene Psychosen Behandlungsmaßnahmen Neuroleptika III (Auswahl) Typische NL Atypische NL im Atypisches NL im weiteren Sinn engeren Sinn Haloperidol Benperidol Fluphenazin Amisulprid Olanzapin Quetiapin Risperidon Ziprasidon Clozapin Schizophrene Psychosen Behandlungsmaßnahmen Neuroleptika IV Basal ganglia volume Receptor upregulation 0,5 0,2 0,3 % 0,1 IBZMbinding 0,1 -0,1 0 -0,1 -0,3 -0,2 -0,5 typical atypical poor response good response Basalganglienvolumen und Rezeptorbindung unter typischen und atypischen Neuroleptika Suizidrisiko bei schizophrenen Psychosen: Clozapin vs. Olanzapin Meltzer et al., 2003 n = 980 Risikopatienten; Meltzer et al., 2003 Extrapyramidale Nebenwirkungen Form der EPS Zeitpunkt des Auftretens Risiko Frühdyskinesien 1. Woche 2-17% Parkinsonoid 1.-10. Woche 15-20% Akathisie 1.-7. Woche ca. 20% Spätdyskinesien 3 Monate – 3 Jahre 15-20% Schröder + Weisbrod, 2006