I have known him for more than twenty years as outstanding for his acute philosophical mind and his untiring continuous written contributions to the field. [..] Today he is one of the best representatives of the field, and well respected in the countries of Western Europe. The same thing can be said for his academic work in Göttingen, of which I have as his colleague first hand knowledge; it has from semester to semester increasingly become an important part of our teaching program at the University of Göttingen. Celms is also considered by other German universities to be a leader in his field. For instance, his name was put on the list of candidates for professor ordinarius at the University of Cologne last year, and it was only because of financial difficulties that he was not called. Nachwort Teodors Celms – der berühmteste lettische Berufsphilosoph In diesem Buch ist das Manuskript von Teodors Celms veröffentlicht – sein opus magnum, das dem Leser beinahe ein halbes Jahrhundert lang nicht zugänglich war, indem es längere Zeit in der Schublade des Philosophen gelegen hat, nach seinem Tod – im Privatarchiv seiner Erben in den USA. Das Institut für Philosophie und Soziologie an der Universität Lettlands hat nach Erhaltung dieser wertvollen Gabe von den Erben T. Celms beschlossen, sowohl das Original in deutscher Sprache, als auch eine Übersetzung ins Lettische zu veröffentlichen. Im Sommer 2008 wurde dieses Manuskript dem Institut von T. Celms Sohn Pēteris und seiner Schwägerin Barbro Celms geschenkt. Von Pēteris Celms, Geschichtsprofessor emeritus der Universität Wittenberg, wurde ein Paket von Dokumenten erhalten, das das Lebenswerk des Professoren "Phänomen und Wirklichkeit des Ich. Studien über das subjektive Sein" sowie Fotos, Videoaufnahmen und kleinere Manuskripte enthielt. Das Manuskript von T. Celms wurde 2010 dem Museum für Schrifttum und Musik zur Aufbewahrung überreicht. Diese Veröffentlichung hat folgendes zum Ziel: aufzuzeigen, wie sich die Philosophie des ursprünglich ausgesprochen husserlisch orientierten osteuropäischen Denkers entwickelt hat, und die Überlegungen seiner Reifejahre zu den Interpretationen der Begriffe Subjekt und Ich im Rahmen der Tradition der klassischen Philosophie, Phänomenologie, Kulturphilosophie und Hermeneutik bekannt zu machen. Das Manuskript bildet einen bedeutenden Teil des Erbes der Nachfolger der husserlschen Phänomenologie sowie veranschaulicht den Beitrag von T. Celms zur Geschichte der Philosophie Lettlands. Zwecks Würdigung der Verdienste von T. Celms in der Geschichte der intelektuellen Idee Lettlands hat die Lettische Akademie der Wissenschaften den akademischen Namenspreis Teodors Celms gestiftet, der für hervorragende Verdienste bei der Pflege der philosophischen Idee Lettlands und veröffentlichte bedeutsame Monographien zur philosophischen Thematik, an der T. Celms gearbeitet hat, verliehen wird. 1 Teodors Celms hat seine Forschungen des Subjekt-Verständnisses in der Geschichte der Philosophie in den 1920er–1930er Jahren aufgenommen, als er in Lettland tätig war und in Deutschland studierte sowie seine Doktor-Dissertation verteidigte. In seinem letzten Großwerk vertritt T. Celms keine bestimmte philosophische Richtung, sondern erläutert eine Gesamtheit diverser Meinungen, die er bald kritisiert, bald befürwortet. Seine Position offenbart eine weite Sicht, wo an einem Ende die mit der biologischen Evolutionismus-Theorie verbundene Deutung der menschlichen Natur sichtbar wird, am anderen Ende – die Lehre der phänomenologischen Hermeneutik über das Verständnis als ein Kulturvorgang.1 Das Ziel des Manuskripts ist, die der Subjekt-Problematik gewidmeten Theorien in der Geschichte der Philosophie auszuwerten und das Verhältnis zu aktuellen Forschungen dieses Themas zu formulieren. Teodors Celms gibt zu, dass das Problem des Subjekts, ungeachtet der Versuche es wegzuphilosophieren, eines der kompliziertesten philosophischen Probleme, wenn nicht das komplizierteste ist. Er hat in unikaler Weise das Modell erarbeitet, wie man das Subjekt-Problem betrachten sollte, von der antiken Philosophie bis zu den großen Denkern des 20. Jahrhunderts – Heidegger und Sartre. In diesem Werk verbirgt T. Celms seine Sympathien und Antipathien nicht, er verwarnt jeden Philosophen, wenn er bei der Analyse seines Systems Widersprüche oder allzu extravagante Haltungen bemerkt. Mit diesem Manuskript zeigt sich T. Celms nicht nur als ein vorzüglicher Historiker der Philosophie, sondern auch als ein selbständiger Denker, der sein Verständnis zu realisieren vermag, indem er die philosophischen Paradigmen systematisiert und modelliert. T. Celms fängt an, sein Ziel zu verfolgen und die Lösungen der Subjekt-Problematik auszuwerten, noch während er sich in Lettland aufhält. Kurz vor seinem Exil, im Jahre 1943, wird in Lettland sein Werk "Subjekt und Subjektivierung: Studien über das subjektive Sein" veröffentlicht, das sich auf das Problem der Grenze zwischen dem subjektiven und objektiven Sein fokussiert. Dieses Werk, von ihm selbst als eine Vorarbeit für die in den nächsten Jahren geleistete Arbeit gehalten, hat er auch in sein opus magnum integriert. Die Manuskriptblätter sind von Streichungen, Präzisierungen, Korrekturen und Anmerkungen des Autors durchwirkt. Nicht selten kommen Unstimmigkeiten in der Eingehender zum Leben und zur Tätigkeit von T.Celms im Buch: M.Kūle, L.Muižniece, U.Vēgners "Teodors Celms: fenomenoloģiskie meklējumi", erschienen 2009 im Institut für Philosophie und Soziologie der Universität Lettlands (LU FSI) in lettischer Sprache. Dieses Buch bietet auch eine vollständige Bibliographie von T.Celms sowie seine detaillierte Lebensbeschreibung und Fotos. Über T.Celms ist der einleitende Artikel veröffentlicht: Rozenvalds J., Theodor Celms (1893–1989): Zur Einführung // Celms T. Der phänomenologische Idealismus Husserls und andere Schriften, 1928–1943. – Frankfurt am Main; Bern; New York; Paris: Peter Lang, 1993, S. 13–26, und weitere Forschungen, siehe Bibliographie (in deutscher und englischer Sprache). 1 2 Numeration von Paragraphen vor, dann und wann sogar die Wiederholung von Themen. Es ist aber sichtbar, dass der Autor versucht hat, seine Monographie gründlich zu durchdenken, sie mehrmals nachgelesen hat, wobei er Korrekturen machte und Aktualitäten in der philosophischen Idee der USA berücksichtigte, die in seinen Sehenskreis gerieten. Das Institut für Philosophie und Soziologie an der Universität Lettlands hat keine wesentliche redaktionelle Änderungen im Manuskript vorgenommen, korrigiert wurden lediglich Schreib- und Interpunktionsfehler sowie einige durch Streichungen unklar gewordene Textstellen. Bedauerlicherweise sind manche Seiten vom Manuskript verlorengegangen, daher enthält es nicht den von T. Celms konzipierten Schlussteil, ebenso war es unmöglich, die Fußnoten zu restaurieren. x x x Teodors Celms ist international bekannt2 als ein Vertreter der phänomenologischen Schule Edmund Husserls in den 1920er–1930er Jahren, Privatdozent und späterer Professor an der Universität Lettlands. Er gehörte zum sog. realistischen Einschlag in der Phänomenologie, die Münchener–Göttinger Schule der Phänomenologen genannt. Sein Name kann in der Geshichte der europäischen Philosophie neben solchen Vertretern der Phänomenologie wie Roman Ingarden in Polen, Jan Patočka in Tschechien und andere genannt werden3. In Lettland gehört neben T. Celms auch Kurt Stavenhagen4 zu den Forschern phänomenologischen Einschlags. T. Celms lebt und wirkt in einer Zeit, wenn die Berufsphilosophen in verschiedenen Nationalstaaten Europas von den Werken und Ideen der Phänomenologie E. Husserls begeistert waren; sie wurden diskutiert, entwickelt, übersetzt und in den Nationalsprachen approbiert. T. Celms hat die Berufsphilosophie in Lettland in der 1. Hälfte des 20. Jh. wesentlich gefördert und entwickelt sowie an der Interpretation des philosophischen Erbes von T.Celms ist im folgenden Enzyklopädie-Artikel beschrieben: Kūle M. Union of Soviet Socialist Republics // Encyclopedia of Phenomenology. Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers, 1997, pp. 713–718. 3 Waldenfels B. Einführung in die Phänomenologie. – München: Wilhelm Fink Verlag. 1992, S. 42. Siehe auch: Spiegelberg H. The Phenomenological Movement. A Historical Introduction. – Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 1994. – P. 253. 4 Buceniece E. Teodors Celms, Kurt Stafenhagen and Phenomenology in Latvia // Phenomenology Worldwide: Foundations – Expanding Dynamics – Life Engagements: a Guide for for Research and Study. Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 2003, pp. 312–316; Rozenvalds J. Phenomenological Ideas in Latvia: Kurt Stavenhagen and Theodor Celms on Husserl’s Transcendental Phenomenology // K.O. Wiegand et al. (eds.) Phenomenology on Kant, German Idealism, Hermeneutics and Logic. Kluwer Academic Publishers, 2000, pp. 67–82. 2 3 Edmund Husserl teilgenommen, indem er die Ansicht vertrat, dass die ursprünglichen Ideen Husserls bei der Erarbeitung einer transzendentalen Egologie zu pluralistischem Solipsismus führen, wodurch er internationale Anerkennung im europäischen Maßstab fand. E. Husserl selbst hat in einem Privatgespräch beim Treffen mit T. Celms zugegeben, dass diese Kritik "zu scharf" sei. Die gemeinsamen philosophischen Einschläge von T. Celms haben sich unter Einfluss der russischen und deutschen Neokantianer gestaltet; er hat das System bei Immanuel Kant und speziell seine Logik geforscht, sich in die Lebensphilosophie vertieft, für Kulturphilosphie von G. Simmel, J. Ortega y Gasset, O. Spengler interessiert, in der zweiten Lebenshälfte, als er in die USA ins Exil ging und dort als Philosophiedozent tätig war, mit den Problemen der Kulturphilosophie, Subjektphilosophie, Hermeneutik beschäftigt. Wie die Manuskripte von T. Celms bezeugen, ist er in seiner zweiten Lebensperiode in den USA nicht mehr speziell auf die Entwicklung der Phänomenologie als eines Einschlags eingegangen, sondern hat sich mit der Erforschung des Subjekt-Verständnisses in der Geschichte der Philosophie, darunter mit der Analyse der Ideen von Heidegger und Sartre, beschäftigt. In Lettland, der Meinung von Ella Buceniece nach, wurde die Zuwendung von T. Celms zur Phänomenologie von der herrschenden Stimmung bedingt, die seit dem Ausgang des 18. Jh. an die Orientierung auf I. Kant gebunden war. In Lettland erscheinen im HartknochVerlag die Erstveröffentlichungen der "Kritik der reinen Vernunft" (Riga, 1781), "Kritik der praktischen Vernunft" (Riga, 1788), "Kritik der Urteilskraft" (Libau, 1793) von Kant, Kants Bruder lebt und wirkt als Pfarrer in Mitau, Kant wird mehrmals aufgefordert, an der Mitauschen Academia Petrina zu arbeiten. E. Buceniece schreibt: "Im geistigen Milieu Lettlands wird bereits seit dem 18. Jh., als der junge G.D. Hartmann 1775 aus Deutschland eintraf, um an der Mitauschen Academia Petrina – der ersten höchsten Bildungsanstalt auf dem Territorium Lettlands – Vorlesungen zur Philosophie zu halten, die kantsche Tradition gepflegt. G.D. Hartmann stand im Briefwechsel mit I. Kant und hat die Ideen zur Vernunftkritik noch vor den Erstveröffentlichungen der kantschen Werke in Lettland besprochen. Auch weitere Vertreter der deutschbaltischen Tradition – K.G. Elverfeld und G.B. Jesche – haben die Rezeption des Kantismus auf dem lettischen Boden gefördert, bis die Initiative in der Mitte des 19. Jh. von den Letten K. Biezbārdis, A. Kronvalds und anderen, den sog. Jungletten, übernommen wurde. Am Ende des 19. Jh. und Anfang des 20. Jh. erhielt die kantsche Tradition in Lettland eine kultivierte, individualisierte Form (P. Zālīte, F. Veinbergs u.a.). Dies ist gewiss kein vollständiger Situationsumriss der Interpretation zu jener Zeit, als P. Celms 4 tätig war, verhilft jedoch dazu, den Einschlag seiner Interpretation der Phänomenologie zu verstehen".5 Die philosophische Tradition von T. Celms ist typologisch zur kontinentalen, im deutschen Raum geschaffenen Philosophie gehörig; mit dem amerikanischen philosophischen Geist – der analytischen Philosophie und dem Pragmatismus – verbindet ihn nur weniges an Thematik. Als einen der eindrucksvollsten Vertreter der europäischen Philosophie, dessen Einfluss auch in den Veröffentlichungen von T. Celms zu erkennen ist, kann man einen anderen Hartmann nennen, und zwar Nicolai Hartmann (1882–1950) – in seinen Jugendjahren auch ein Rigenser, in der europäischen Philosophie aber als der letzte große Systematiker, Schaffer der Axiologie, neuen Ontologie und Ästhetik bekannt. In der philosophischen Idee Lettlands besteht auch ein anderer Eischlag betrefflich der Phänomenologie, gepflegt von Staņislavs Ladusāns SJ (1912–1993), einem Vertreter des Neotomismus, der in Krakow und Rom studiert und die Nachkriegszeit als ein berühmter Philosoph in Lateinamerika, in São Paulo und Rio de Janeiro, verbracht hat. Die Werke von S. Ladusāns sind in lettischer und portugiesischer Sprache verfasst. Er versteht die Phänomenologie als die Anfangsetappe der Erkenntnis in der vielseitigen Gnoseologie. Die Ansichten von T. Celms berührt er nicht, da er zu einer anderen Tradition gehört, ebenso hat Teodors Celms keine Zusammenarbeit mit S. Ladusāns aufgenommen, denn T. Celms, im Unterschied zu S. Ladusāns, dem Jesuiten und Akademiker der Päpstlichen Akademie des hl. Thomas von Aquin zu Rom, gehörte zur säkularen Welt.6 Teodors Celms wurde 1893 in der Provinz des damaligen Russischen Reichs geboren – in Lettland, Kreis Valka, weit von der jetzigen Hauptstadt Riga entfernt. Die Familie ist arm, es sind 12 Kinder da, Teodors ist der allerjüngste. Aber den Letten ist zu Beginn des 20. Jh. der Aufklärungsdrang eigen, der Wunsch, sich vom Leben im bäuerlichen Milieu loszureißen, sich Fremdsprachen anzueignen und nach oben zu streben – weniger im Namen der Karriere als der Kenntnisse und der Wahrheit wegen. T. Celms vertritt in dieser Hinsicht die derzeitigen Jugendlichen, welche nur durch eigene Kräfte die lettische nationale Kultur und ihre intelektuelle Identität gestalten. Anfänglich wurde er in den Schulen seines Kreises sowie in Riga ausgebildet. Für die Abitur hat er sich durch Selbstunterricht vorbereitet, wobei er gleichzeitig als Privatlehrer tätig war, um Geldmittel für sein Studium zu erhalten. In Russland Buceniece E. Vēlīnais E.Huserls un agrīnais T.Celms vai otrādi? // Saprāts nav ilūzija. Rietumu filozofija modernisma situācijā. Rīga: Pētergailis, 1999, 60.–72. lpp. 6 Kūle M. Phenomenology of Cognition and Critical Gnoseology: Staņislavs Ladusāns S. J. // Maija Kūle. Phenomenology and Culture. Riga: FSI, 2002, pp. 155–164; Kūle M. Phenomenology in Latvia: Teodors Celms and Stanislavs Ladusāns // Humanities and Social Sciences: Latvia. Rīga: LU, 2006, vol. 2, pp. 72–84. 5 5 der Zarenzeit, wozu am Anfang des 20. Jh. auch das Territorium Lettlands gehörte, konnte man die beste Ausbildung in Moskau und St.Petersburg erhalten, dahin streben viele lettische Jünglinge. Teodors Celms fasst 1912 den Entschluss, zwecks Ausbildung nach Moskau zu gehen, als Externe legt er die Abiturprüfung ab und nimmt im nächsten Jahr das Studium am Moskauer Kommerzinstitut auf. Die sieben Jahre dauernde Studienzeit in Moskau ist nicht leicht. Wegen der hohen Belastung und der schwierigen Kriegs- und Revolutionsumstände erkrankt er zweimal an aktive Lungentuberkulose. 1920 heiratet T. Celms eine Russin, die Krankenschwester Vera Wichrowa, und kehrt dann in die Heimat – in den 1918 gegründeten unabhängigen Staat Lettland – zurück. In seiner Familie gibt es drei Kinder – Izolde, Dagmāra und Pēteris. Zur Studienzeit von T. Celms in Moskau ist sein Interessenkreis weit – er interessiert sich für Volkswirtschaft, Jurisprudenz, Medizin und Psychologie. Im Kommerzinstitut gerät in seinen Interessenkreis auch Philosophie, die er sich beim Juristen und Philosophen Pawel Nowgorodtsew (Павел Иванович Новгородцев) aneignet. Die Philosophie, wie der Philosoph später eingestanden hat, wird zur Leidenschaft seines Lebens. T. Celms begreift die interdisziplinäre Natur der Philosophie, die enge Bindung der philosophischen Probleme zum Recht, zur Psychologie, Soziologie, zu den Kulturkrisen, sozialen Fragen sowie Problemen der Staatsentwicklung; dies kommt später in zwei von ihm in lettischer Sprache veröffentlichten Sammelbänden "Probleme der Gegenwart" (1933) und "Wirklichkeit und Schein" (1939), in Vorlesungen und öffentlichen Vorträgen zum Ausdruck. 1917 nimmt er nach dem Absolvieren des Kommerzinstituts systematisches Philosophiestudium in der Abteilung Philosophie an der Fakultät Geschichte und Philologie der Moskauer Universität, geleitet vom russischen Neokantianer Georgi Tschelpanow (Георгий Иванович Челпанов), auf. T. Celms wendet sich insbesondere dem Studium der Philosophie von Platon und Immanuel Kant zu. Die Klassik der Philosophie hält er sein Leben lang im Vordergrund des Interesses. Aber zu jener Zeit gerät auch das erste Buch des Werkes "Logische Untersuchungen" von Edmund Husserl, Gründer der phänomenologischen Bewegung, in seine Hände, und nach gründlichen Studien dieses Buches entschließt er sich einmal beim Autor des Werkes selbst zu studieren, da er die Unüblichkeit von Ansichten und Ideenfrische einsieht. Der junge lettische Philosoph verwirklicht auch seinen Entschluss, in Deutschland beim Grundleger der Phänomenologie Edmund Husserl zu studieren. In der Vorkriegszeit befindet sich Lettland in eng verbundenem Kulturraum mit Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern, es finden Konzerte berühmter lettischer Chöre (des Reiters-Chors) und des Balletts, Kunstaustellungen in Westeuropa statt, es gibt Austausch von literarischen Ausgaben, Übersetzungen sowie Reisen vieler Amts- und Privatpersonen aus Lettland nach west6 europäische Länder, geschäftliche Zusammenarbeit. In Lettland gab es in der 2. Hälfte der 30er Jahre eines der schleunigsten Zuwachstempos der industriellen Produktion in ganz Europa, die Geschichtsforscher bestätigen, dass der Aufschwung in allen Kultursphären zu beobachten war7, den Künstlern wurden römische Prämien verliehen, sie gingen auch nach Paris, Berlin, London. In den philosophischen Kreisen waltete ebenso enge Zusammenarbeit mit den westeuropäischen Universitäten. Neben dem Lettischen spielte das Deutsche faktisch die Rolle der zweiten Amtssprache in Lettland der Vorkriegszeit, seine Rolle war nicht nur in der Kommunikation, sondern auch in der Kultur, Philosophie, Kunst wesentlich. Nachdem T. Celms zwei Jahre in Lettland verbracht hat, wo er Vorlesungen an verschiedenen Lehranstalten hält, begibt er sich im Jahre 1922 nach Freiburg im Breisgau. Dort verbringt T. Celms drei Semester und hört sich Vorlesungen bei Edmund Husserl, Richard Kroner, Jonas Cohn, Joseph Geyser und Gerhart von Schulze-Gävernitz an. Die philosophische Idee Lettlands gestaltet sich derzeit in enger Bindung zu den Universitäten Deutschlands, wobei man die Neuheiten auf dem philosophischen Gebiet verfolgt, Texte studiert und eigene Doktorarbeiten vorbereitet. T. Celms ist nicht der einzige lettische Philosoph, der sich in Deutschland fortbildet, zu nennen wären auch sein Gefährte, Philosoph Pauls Dāle, und andere mehr. Merkwürdigerweise gerät in Deutschland auch Martin Heidegger, der junge und vielversprechende Schüler Husserls, in den Kreis der Aufmerksamkeit von T. Celms. Die Bindung der lettischen Philosophen zur Lehre Heideggers bildet sich vielseitig: einerseits das Interessiertsein an der Geburt einer neuen Strömung – der Existenzphilosophie, andererseits Reflexionen über die Einstellung Heideggers zur deutschen Klassik. T. Celms veröffentlicht eine Rezension des Werkes "Kant und das Problem der Metaphysik" (1930) von Heidegger, aber, von der dritten Seite, lettische Philosophen betrachten Heidegger reserviert, mit Zweifel und Skepsis.8 Für Martin Heidegger hat sich auch der lettische Philosoph Pauls Jurevičs interessiert, er hat sogar ein Privattreffen verabredet und es danach in seinem Essay beschrieben.9 Ähnlich vielen osteuropäischen Intelektuellen, die sich auf die Kultur und Wissenschaft Deutschlands orientierten, verteidigt Teodors Celms 1923 an der Universität zu Freiburg im Breisgau seine Inaugural-Dissertation unter dem Titel "Kants allgemeinlogische Auffassung Ulmaņlaiki. Leģendas un fakti. Zusammengest. v. Viesturs Avots. Rīga: Jumava, [s. a.]. Eingehender siehe: Heidegera Rīgas rudens. Zusammengest. v. R.Bičevskis. Rīga: FSI, 2011. 9 Jurevics P. Meine Begegnung mit Heidegger und seiner Philosophie. – Heidegger und der Nationalsozialismus I. Dokumente. (Heidegger-Jahrbuch 4) – München: Verlag Karl Alber, S. 264–267. 7 8 7 vom Wesen, Ursprung und der Aufgabe des Begriffes"10 und erlangt die Doktorwürde in der Philosophie mit dem höchsten Prädikat "summa cum laude". Nach derzeitigen Regeln erkennt der lettische Staat anderswo erlangte Doktorwürde nicht an, sie soll von neuem verteidigt werden; T. Celms findet diese Ordnung ungerecht und setzt seine Tätigkeit als Privatdozent in Riga andauernd fort. Die in Lettland waltende Atmosphäre kantschen Denkens regt wohl T. Celms an, sich Kant zuzuwenden. Die Themenwahl für die in Freiburg i. Br. verteidigte Dissertation ist originell, denn die allgemeine Logik Immanuel Kants liegt derzeit im Unterschied zu seiner transzendentalen Logik außerhalb des Kreises der Aufmerksamkeit der Wissenschaftler. Das Verständnis des Königsberger Denkers über allgemeine bzw. formelle Logik regt das Interesse bei den Historikern der Philosophie erst ein halbes Jahrhundert später, als T. Celms sein Werk verfasst hat. Daher ist die Forschung von T. Celms in der kantschen Tradition im gemeineuropäischen Maßstab innovativ gewesen. In der Dissertation von T. Celms sind phänomenologische Stimmungen zu spüren. Bei der Auslegung der Lehre I. Kants gebraucht der Autor die phänomenologische Terminologie, wo ein solcher Gebrauch seines Erachtens zulässig sei. Dieser Zugang deckt die Ideennähe der Fundamente der formellen Logik I. Kants zum phänomenologischen Projekt E. Husserls. Obwohl es E. Husserl scheint, der Inhalt und das Forschungsfeld der Logik sei in der Lehre von I. Kant falsch definiert, verwendet T. Celms die Formulierungen E. Husserls, gerichtet gegen den Psychologismus in der Logik, um die antipsychologische Stellung I. Kants zu illustrieren. Der Autor argumentiert, dass die allgemeine Logik im strengsten Sinne bei Immanuel Kant rein, formell und apriorisch ist. Edmund Husserl, der an der Auswertung der Doktorarbeit teilnimmt, schätzt die konzeptuell novatorische Lösung von T. Celms anerkennend ein. Während der in Freiburg verbrachten Studienjahre habe T. Celms in einem Privatgespräch mit E. Husserl erwähnt – das Studium I. Kants sei einer von den Aspekten gewesen, die seinen Zugang zur Sphäre der reinen Phänomenologie erleichtert hätten. Dieses Gespräch habe verstärktes Interesse des Gründers der Phänomenologie für die Philosophie I. Kants erweckt.11 Nach seiner Rückkehr ins Lettland 1923 setzt T. Celms seine Lektorentätigkeit fort, er gründet sein Privatstudio für Philosophie, wo den Werken I. Kants und E. Husserls besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, sowie hält öffentliche Vorlesungen, wodurch er sich als ein 10 Kants allgemeinlogische Auffassung vom Wesen, Ursprung und der Aufgabe des Begriffes. Inaugural-Dissertation zur Erlangung der Doktorwürde der Philosophischen Fakultät an der Albert Ludvigs Universität zu Freiburg i. Br. Vorgelegt von Theodor Zelms aus Peddeln (Livland), 1923. 11 Aus dem Privatarchiv von Pēteris Celms. 8 hervorragender Redner präsentiert und Ansehen in der lettischen Gesellschaft verdient. Bei ihm versammeln sich Jugendliche, die sich Vorträge anhören und philosophische Probleme diskutieren. Im Status einer informellen gesellschaftlichen Organisation leistet das philosophische Studio von T. Celms viel an Bildungsarbeit und verdeutlicht, dass T. Celms für den philosophierenden Teil der lettischen Jugend eine wahre Autorität ist. Im Jahre 1925 fasst er infolge intensiver Überlegungen zu den Problemen der Philosophie I. Kants und E. Husserls den Entschluss, sich abermals nach Freiburg zu begeben, wo er an den Seminaren E. Husserls zur Phänomenologie und den Seminaren J. Cohns zur Philosophie I. Kants teilnimmt. Edmund Husserl beschreibt die Teilnahme von T. Celms an seinem Seminar wie folgt: "Herr Dr. Theodor Celms hat, wie ich mich überzeugen konnte, in den 2 Jahren seit dem hier in Freiburg summa cum laude abgelegten Doktorat, eine höchst erfreuliche Entwicklung durchgemacht. Er präsentierte sich in diesem Semester als ein ausgereifter Philosoph. In meinem philosophischen Seminar stand er an der Spitze und war mit meiner Stütze bei der Leitung der schwierigsten philosophischen Discussionen. Er verdient jede Förderung und läßt Bedeutsames an wissenschaftlichen Leistungen erhoffen."12 Das ist eine bedeutende Belobigung, denn der Grundleger der Phänomenologie hat bekanntlich Belobigungen an seine Nachfolger ungern erteilt. Nach der Rückkehr aus Freiburg nach Riga wendet sich T. Celms den Problemen der Phänomenologie intensiv zu, das führt ihn zum Nachdenken über transzendentale Phänomenologie als eine Sonderart des Transzendentalismus, seiner Meinung nach weniger abstrakt und lebensfern als im Falle des Transzendentalismus bei Immanuel Kant. Die transzendentale Phänomenologie nennt er Lebenstranszendentalismus. Dieses intensive Nachdenken resultiert in seinem Werk "Prolegomena zu einem transzendentalen Historismus",13 das von Edmund Husserl hoch geschätzt wird. Mit diesem Werk wird Teodors Celms 1927 auf der Fakultät Philologie und Philosophie an der Universität Lettlands habilitiert, wodurch er die Würde des habilitierten Doktors in Lettland erlangt. Merkwürdigerweise hat T. Celms die tiefere Relation der Phänomenologie zum Konzept "Leben" aufgefunden, die bei der Weiterentwicklung dieser Richtung der Philosophie eine bedeutende Rolle spielen wird, insbesondere bezüglich der Lebenswelt.14 Unleugbar wichtig für die derzeitige philosophische Idee ist auch Theodor Celms // Edmund Husserl: Briefwechsel. Husserliana Dokumente. – Dordrecht: Kluwer, 1994. – Bd. III/4: Die Freiburger Schüler. – S. 67–68. 13 Das unveröffentlichte Werk selbst hat sich bis heutzutage nicht erhalten. 14 Kūle M. Understanding of Subject and Intersubjectivity in T.Celm's Philosophical Works // Phenomenological Inquiry, 1996, October, pp. 30–43. Kūle M. Theodor Celms as Forerunner 12 9 die von T. Celms bemerkte Wende zum Historismus und zu Themen der Kulturphilosophie in der Phänomenologie. Das ist seinerseits an die Probleme der Intersubjektivität gebunden, denen in der philosophischen Idee der 2. Hälfte des 20. Jh. mehr Beachtung geschenkt wird und die auch im 21. Jh. diskutiert werden. Den transzendentalen Historismus deutet T. Celms als die Ansicht, dass der reine Bewusstseinsstrom, der die gegenständliche Welt konstituiert, alle Ströme des individuellen Bewusstseins umfasst und als ein historischer Prozess zu betrachten sei. Jegliche Transzendenz oder alles zum Subjektbewusstsein Unzugehörige wird auf den Prozess der transzendentalen Geschichte – die Entwicklung einer transzendentalen Intersubjektivität – gerichtet. Edmund Husserl schreibt nach dem Vertrautwerden mit der Zusammenfassung dieses Werkes in einem Brief an den lettischen Philosophen Teodors Celms folgendes: "Es ist erstaunlich, wie tief Sie sich in den Geist und die Ziele meiner Lebensarbeit hineingedacht haben, von der Sie ja doch nur Bruchstücke, nur grundlegende Unterschichten <kennen> gelernt haben. […] Natürlich geht eine tr<anszendentale> Ph<änomenologie> auf einen “tr<anszendentalen> Historismus” hinaus, u. was Sie überhaupt andeuten, ist mir – in sehr concreten Ausführungen – wohl vertraut. <…> Sie sind auf guten Wegen, nur ganz wenige meiner Schüler haben so wie Sie gesehen, wie Grosses die tr<anszendentale> Reduktion uns eröffnet hat u. was es an Hingabe und entsagender Arbeit von uns fordert. Auf Ihre concr<ete> Arbeit, Ihren Scharfsinn, Ihre Energie darf ich Hoffnungen setzen."15 Anzumerken wäre, dass T. Celms in seiner Habilitationsschrift nicht nur den derzeit bekannten Werken Edmund Husserls nachfolgt, sondern auch Ideen antizipiert, die später in solchen Werken E. Husserls wie "Méditations cartésiennes" (1931) und "Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie" (1936) erscheinen. Sein Nachdenken über Phänomenologie weiterführend, gelangt der lettische Philosoph zur Schlussfolgerung, dass sie es trotzdem nicht vermag, als ein Weg zum transzendentalen Historismus zu dienen. Die Ansichten von T. Celms erleben eine Wende, der Zweifel an der Begründung der Position des husserlschen Transzendentalismus und an der Möglichkeit, dem Solipsismus auszuweichen, wächst heran. Dieser Zweifel, wenn man das Ego im Zentrum der Phänomenologie erblickt, lässt ihn die phänomenologische Denkweise überprüfen und das ganze Projekt des Gründers der Phänomenologie auswerten. Auf solche Weise, als Privatdozent an der Universität Lettlands tätig, verfasst er zugleich das Werk "Der of the Phenomenology of Life // Analecta Husserliana, vol. LIV, Kluwer Academic Publishers, 1998, pp. 295–302. 15 Theodor Celms // Edmund Husserl: Briefwechsel. Husserliana Dokumente. – Dordrecht: Kluwer, 1994. – Bd. III/4: Die Freiburger Schüler. – S. 67. 10 phänomenologische Idealismus Husserls" – Erstveröffentlichung 192816, später mehrmals neu gedruckt. Das Werk wurde 1979 im Garland-Verlag neu veröffentlicht, nachher 1993 im Verlag Peter Lang abermals in deutscher Sprache herausgegeben.17 Zu diesem Werk erhält Teodors Celms positive Gutachten von solchen deutschen Philosophen wie Alexander Pfänder, Moritz Geiger, Nicolai Hartmann u.a.m. Der spanische Philosoph José Ortega y Gasset hebt auf seinen Vorlesungen zur Phänomenologie E. Husserls in den 1930er Jahren das Werk des lettischen Philosophen als eine der zumeist erschöpfenden Interpretationen der husserlschen Philosophie hervor. Auf die Anregung von J. Ortega y Gasset wird das Werk ins Spanische übersetzt und 1931 in Spanien veröffentlicht. Dank dieser Forschung über die Phänomenologie Edmund Husserls wird Teodors Celms zum Mitarbeiter an der vom Verband der deutschen Akademien der Wissenschaften herausgegebenen Zeitschrift "Deutsche Literaturzeitung: Wochenschrift für Kritik der internationalen Wissenschaft" berufen. Das bedeutet in mancher Hinsicht die Möglichkeit, in das philosophische und literarische Leben Deutschlands gründlich einbezogen zu werden. In der Zeitschrift erscheinen bis zum Zweiten Weltkrieg mehrere seine Rezensionen, darunter auch zu den Werken solcher berühmter Philosophen wie Martin Heidegger und Max Scheler. Aber T. Celms ist nicht gestimmt, gänzlich zu einem Philosophen Deutschlands, einem Mitarbeiter der Zeitschrift zu werden, ihn fesselt die Heimat Lettland, die Möglichkeit nicht nur auf deutsch, sondern auch auf lettisch zu schreiben und veröffentlicht zu werden, die Arbeit in Riga, seine Nächsten. So befinden sich die theoretischen Hauptquellen seiner philosophischen Idee in Deutschland, sein Leben aber verläuft bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges vorwiegend in Lettland. Für die Kulturschaffenden Lettlands ist das nichts Außergewöhnliches – Westeuropa ist in gewisser Hinsicht auch ihr Zuhause; die Strömungen der Kultur, Kunst, Literatur in Deutschland, Frankreich, Belgien, Spanien und anderswo werden angeeignet, erforscht, es wird daran mitgemacht und ihr Hauch nach Lettland gebracht. Teodors Celms verbringt das Sommersemester von 1929 in Heidelberg, wo er am Seminar des Neokantianers Heinrich Rickert teilnimmt. Einer Einladung folgend, besucht er auf dem Rückweg Joseph Geyser und Alexander Pfänder sowie begibt sich auf eine Visite bei Edmund Husserl, wobei die Interpretation der husserlschen Phänomenologie von T. Celms mehrere Stunden lang besprochen wird. E. Husserl erscheint T. Celms als ein gleichwertiger Celms T. Der phänomenologische Idealismus Husserls // Latvijas Universitātes Raksti. – 1928. – 19. sēj. – 251.–441. lpp. 17 Celms T. Der phänomenologische Idealismus Husserls // Der phänomenologische Idealismus Husserls und andere Schriften. 1928–1943. Frankfurt am Main: Peter Lang, 1993, S. 31–201. 16 11 Gesprächspartner, denn der erstere hat eingesehen, dass sich der ehemalige Schüler in die Phänomenologie gründlich vertieft hat und ihre starken und schwachen Seiten manchmal klarer als die anderen erblickt. Als ein unter den Rigaer Studenten anerkannter Hochschullehrer, hochrangiger Intelektueller unter den Kollegen und im Volk beliebter Aufklärer kombiniert T. Celms seine Tätigkeit in Lettland mit Dienstreisen ins Ausland und aktivem Verfolgen von allem, was in der Philosophie überall passiert. Einer Einladung folgend, hält T. Celms im Jahre 1935 und dem darauffolgenden Jahr Vorlesungen an der Albert-Universität zu Karaliaučius (Königsberg). Das ist der Lebens- und Arbeitsort Kants, und Kant als einer der Pfeiler der philosophischen Idee in der ganzen Welt liegt T. Celms bekanntlich nahe, er hört sein Leben lang niemals auf, Kants Ansichten zu durchdenken, auch nicht beim Verfassen des in diesem Buch gedruckten Manuskripts und der Erörterung des Subjekt-Problems in der Philosophie. Nach der Erlangung des Doktorgrades an der Universität Lettlands im Jahre 1936 18 belegt er die Stelle des Professors für systematische Philosophie und wirkt dort bis zum Herbst 1940. Dann wird das stabile Leben der Universität von der im Territorium Lettlands verlaufenden Kriegstätigkeit zerstört. Die Sowjetmacht löst die Fakultāt Philologie und Philosophie an der Universität Lettlands auf, erkennt keine idealistische Philosophie an, die T. Celms und seinesgleiche lehren. Aber im gleichen Jahr wird T. Celms als Professor auf den Lehrstuhl Germanische Philologie an der Universität berufen. Deutsche Literatur zu unterrichten ist die einzige Möglichkeit, seine Arbeit an der Universität fortzusetzen. T. Celms lässt sich in keine politische Streite ein, er positioniert sich auf keiner Seite der beiden kriegerischen Ideologien – des Kommunismus und des Nazismus – und behält sein reines philosophisches Antlitz bei, indem er über die universalen Probleme der Welt und des Lebens lehrt und schreibt. Als politisch nicht engagiert trägt er den philosophischen Geist der Aufklärung und des Humanismus sein Leben hindurch, wobei er den Wert, die Wahrheit und die Tugend des menschlichen Lebens verteidigt. Nach dem Einzug der deutschen Kriegstruppen ins Territorium Lettlands im Jahre 1941 wird die Tätigkeit der Fakultät Philologie und Philosophie an der Universität Lettlands wieder aufgenommen. Es wird zum Problem: seine Arbeit an der Universität zur Zeit so rascher politischer Wandlungen fortzusetzen, oder aber auf Alles zu verzichten. Ungeachtet des persönlichen Unwillens wird T. Celms von 1942 bis 1944 zum Dekan der Fakultät berufen. Das Administrieren ist weder seine starke Seite noch sein Verlangen. T. Celms fährt fort, an 18 Als Promotionsschrift reicht T. Celms sein 1928 herausgegebenes Buch "Der phänomenologische Idealismus Husserls" ein. 12 generellen philosophischen Problemen zu arbeiten, und 1943 erscheint sein in deutscher Sprache verfasstes Werk "Subjekt und Subjektivierung: Studien über das subjektive Sein".19 Im Fokus dieses Werkes steht das Problem der Grenzen des subjektiven und des außersubjektiven Seins. Wie erfolgt die Subjektivierung des außersubjektiven Seins, seine Einfügung in das subjektive oder menschliche Weltbild? Als das zentrale Problem rückt in diesem Werk folgendes hervor – inwiefern dürfen wir das Außersubjektive subjektivieren, und zwar annehmen, dass dem Außersubjektiven kein subjektunabhängiges Sein anhaftet? Dieses Thema – die Relationen des Bewusstseins, der menschlichen Subjektivität und der Realität – werden T. Celms in den darauffolgenden Jahrzehnten nahe sein und ihm als ein wesentlicher Denkfaden dienen, den er auch in das hier veröffentlichte Manuskript hineinwebt. T. Celms veranschaulicht bei der Behandlung von 7 Modellen des Subjekt-Verständnisses in der Geschichte der Philosophie, wie sie sich an den Subjektivierungsprozess anknüpfen lassen. Die enge Bindung dieses zur Kriegszeit veröffentlichten Werkes zu dem in den USA verfassten Manuskript verdeutlicht, wie er mehrere Jahrzehnte lang konsequent dazu bestrebt war, auf die gestellten Grundfragen einzugehen. In ihr Zentrum hat T. Celms stets solche Themen wie Mensch, Erkenntnis, Kultur und Sitte gerückt. Im Jahre 1944, als das Kriegsende näher rückt, die geschlagenen Streitkräfte des Nazideutschlands als Verlierer Lettland verlassen und das künftige politische Modell Lettlands sichtbar wird – in den Händen der Sowjetmacht zu liegen, überlegen viele Vertreter der Intelligenz ihre Zukunft. An die Greueltaten der Sowjetmacht von 1940–1941 zurückgedacht, wenn viele Kulturschaffenden und Hochschullehrer, deren Weltanschauung mit dem Bolschewismus nicht übereinstimmte, umgebracht wurden, beschließen T. Celms und seine Kollegen für eine unbestimmte Zeit aus Lettland ins Exil zu gehen, eventuell für immer. Die Exilländer sind verschieden – die Letten gelangen nach Schweden, auch Deutschland, woher sie dann in die USA, nach Australien, einige sogar nach Marokko u.dgl. weiter verreisen. Wie die Geschichte zeigt, ihr Beschluss war richtig, denn die Sowjetmacht hätte sie sowieso erniedrigt, nach Sibirien verbannt oder umgebracht. 1944, noch bevor die sowjetischen Truppen Riga besetzt haben, ist T. Celms mit seiner Familie – der Frau, den Töchtern Izolde und Dagmāra, dem Sohn Pēteris – bereits ins Exil nach Deutschland gegangen. In Deutschland gibt es viele Flüchtlinge aus dem Baltikum, es wird das Kulturleben und die Bildungsanstalten organisiert. Seit 1946 hält T. Celms Vorlesungen an der von Balten gegründeten Baltischen Universität zu Hamburg (später – zu Subjekt und Subjektivierung: Studien über das subjektive Sein. – Riga: Latvju Grāmata, 1943. – S. 93. – Zinātniskie raksti. LU rakstu turpinājums / Universitāte Rīgā. Filol. un filoz. fak. sērija. – 1. sēj. – Nr. 1. 19 13 Pineberg bei Hamburg) sowie öffentliche Vorträge für seine Landsleute in Flüchtlingslagern. T. Celms als einem in Deutschland berühmten Professoren mit Doktorgrad und Werken in deutscher Sprache bieten sich Arbeitschancen auch außerhalb der Flüchtlingslager. Er wird als Lehrkraft an der Universität Göttingen angestellt, wo derzeit auch der von T. Celms sehr respektierte Nicolai Hartmann tätig ist. Sie kennen einander, die Achtung ist beidseitig; N. Hartmann schätzt die Forschungstätigkeit des lettischen Philosophen T. Celms hoch. Man berichtet, T. Celms hätte sogar die Stelle Hartmanns ererben und der Fortsetzer seines Einschlags sein können. Dennoch liegt Deutschland in Trümmern zerschlagen, und die Familie Celms schaut nach einem mehr sicheren und stabilen Lebensmilieu herum; vielen Flüchtlingen scheinen die USA dazu passend. Aber, um die Atlantik zu überqueren und die Arbeit zu bekommen, braucht man gute Gesundheit und vor allem Empfehlungen zu haben. T. Celms bittet N. Hartmann, eine Empfehlung für ihn zu schreiben. In dem 1949 verfassten Empfehlungsbrief für die USA berichtet Nicolai Hartmann über seinen Kollegen wie folgt: "Ich kenne ihn bereits 20 Jahre lang als hervorragend dank seinem scharfen philosophischen Geist und den unermüdlich fortwährenden schriftlichen Beiträgen auf diesem Forschungsgebiet. [..] Heutzutage ist er einer der besten Vertreter dieses Gebiets, gut angesehen in den westeuropäischen Ländern. Dasselbe gilt für seine akademische Arbeit in Göttingen, wovon ich als sein Kollege unvermittelte Kenntnis habe; vom Semester zum Semester ist sie allmählich zu einem wesentlichen Bestandteil unseres Ausbildungsprogramms an der Universität Göttingen geworden. Auch weitere deutsche Universitäten halten T. Celms für einen Spitzenreiter auf seinem Gebiet. Zum Beispiel, letztes Jahr wurde sein Name in die Anwärterliste für die Stellung des ordentlichen Professors an der Universität Köln eingetragen, und lediglich wegen finanzieller Schwierigkeiten wurde er nicht einberufen."20 Die Pläne von T. Celms, mit seiner Familie in den USA anzugelangen, verwirklichen sich im Oktober 1949, als alle Familienmitglieder nach Amerika reisen. Teodors Celms wird zur Augustan College (Rock Island, Illinois) berufen. Es fällt nicht leicht, sich in das fremde englischsprachige philosophische Milieu einzufühlen. Auf der Augustan College hält T. Celms Vorlesungen bis 1975, noch 12 Jahre nach seiner Versetzung in den Ruhestand, er ist ein sehr anerkannter Hoschschullehrer und interessanter Gesprächspartner für jedermann. Dennoch lässt sich derartiger Glanz und Anerkennung, wie T. Celms sie in Lettland vor dem Krieg und auch im philosophischen Milieu Deutschlands erlebte, nicht mehr erreichen. Die Probleme der Philosophie sind in der amerikanischen Denkweise anderartig, das Milieu und die Mentalität – unterschiedlich. T. Celms engagiert sich nicht für die Arbeit amerikanischer philosophischer Verbände und Assoziationen, seine Werke werden kaum gedruckt, er arbeitet vorwiegend mit 20 Aus dem Privatarchiv von Pēteris Celms. 14 Studenten und verfasst das Manuskript in deutscher Sprache ohne besondere Ideen dazu, wo und wie es jemals veröffentlicht wird. 1977 stirbt seine Frau Vera, mit der zusammen er sein ganzes Leben verbracht hat. Dann verweilt er einen Teil des restlichen Lebens bei seiner Tochter Izolde in Austin, Texas. Dort stirbt er am 14. Februar 1989 im Alter von 95 Jahren. Seine Kollegen geben zu – das war einem Philosophen, Humanisten und Intelektuellen geziemendes Leben, dessen Spitzenmöglichkeiten vereitelt wurden – durch den Zweiten Weltkrieg und die Notwendigkeit, die Heimat sowie das lettisch- und deutschsprachige philosophische Milieu, wo T. Celms aufgewachsen war und sich verwurzelt hatte, zu verlassen. Seit der Verfassung des Manuskripts sind mehrere Jahrzehnte verstrichen. Die philosophische Idee hat sowohl in Europa als auch in den USA andere Aktualitäten in den Vordergrund gerückt, als Teodors Celms sie seinerzeit aufstellte. Aber sein Einblick in die Geschichte der Philosophie ist dadurch keinesfalls veraltet, da T. Celms fundamentale Probleme und Modelle des Subjekt-Verständnisses behandelt. Geändert haben sich in dieser Periode die Wertungen und Interpretationen von Ansichten der großen Philosophen. Es ist durchaus möglich, dass T. Celms bei heutigem Eingehen auf die weite Verzweigung der Phänomenologie und die Vielfalt von Interpretationen seine Wertungen von einem anderen Blickpunkt sehen und sie unter neuem Licht durchsehen würde. Das ist aber nicht mehr möglich, daher veröffentlichen wir das Manuskript von T. Celms als ein Erbstück der philosophischen Idee Lettlands und das Zeugnis von seiner Professionalität, Interessiertheit und Treue der Mission der Philosophie – die Vernunft zu verklären, Trost zuzusprechen und ein vollgültiges, in die Philosophie eingebettetes Leben zu führen. Riga, den 5. August 2011 Maija Kūle, Līva Muižniece, Uldis Vēgners Bibliographie in deutscher und englischer Sprache Monographien und Artikel in periodischer Presse 1. Der phänomenologische Idealismus Husserls // Latvijas Universitātes Raksti. – 1928. – 19. sēj. – 251.–441. lpp. 2. Der phänomenologische Idealismus Husserls. – Rīga: Walters und Rapa, 1928. – 192 S. 3. Vom Wesen der Philosophie: Eine Reflexion über die Eigenart der Philosophischen Erkenntnis // Philosophia Perennis: Abhandlungen zu ihren Vergangenheit und 15 4. 5. 6. 7. 8. 9. Gegenwart. – Regensburg, 1930. – Bd. II. Abhandlungen zur systematischen Philosophie: Der Philosophia Perennis. – S. 591–607. Der phänomenologische Idealismus Husserls. – Heidelberg, 1931. El idealismo fenomenologico de Husserl / Übers. v. Jos Gaos. – Madrid: Revista de Occidente, 1931. – P. 214. Lebensumgebung und Lebensprojektion // Neue Münchener philosophische Abhandlungen: Festschrift für A. Pfänder. – München, 1933. – S. 69–85. Subjekt und Subjektivierung: Studien über das subjektive Sein. – Riga: Latvju Grāmata, 1943. – S. 93. – Zinātniskie raksti. LU rakstu turpinājums / Universitāte Rīgā. Filol. un filoz. fak. sērija. – 1. sēj. – Nr. 1. Der phänomenologische Idealismus Husserls. – New York & London: Garland Publishing, Inc., 1979. – pp. [6], [251–441], [3]. – (Phenomenology. Background, Foreground & Influences. A. Garland series. 3.) – Facsimile edition. Der phänomenologische Idealismus Husserls und andere Schriften, 1928–1943. – Frankfurt am Main; Bern; New York; Paris: Peter Lang, 1993. – 322 S. – (Philosophie und Geschichte der Wissenschaften: Studien und Quellen, Bd. 21). Briefwechsel 1. Theodor Celms // Edmund Husserl: Briefwechsel. – Springer, 1994. – Bd. IV: Die Freiburger Schüler. – S. 63–68. Rezensionen zu Monographien 1. Herrigel E. Die Metaphysische Form: Eine Auseinandersetzung mit Kant. 1. Halbband: Der Mundus Sensibilis. Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1929. – VIII, 190 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1930. – Jg. 51., H. 26. – S. 1211–1215. 2. Heidegger M. Kant und das Problem der Metaphysik. – Bonn: Friedrich Cohen, 1929. – XII, 236 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1930. – Jg. 51., H. 49. – S. 2311– 2317. 3. Scheler M. Philosophische Weltanschauung. – Bonn: Friedrich Cohen, 1929. – 158 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1931. – Jg. 52., H. 29. – S. 1351–1356. 4. Kühn L. Die Autonomie der Werte. Bd. 1–2. – Berlin, 1926–1931. // Baltische Monatshefte. – 1932. – H. 10. – S. 596–598. 5. Przywara E.S. I. Kant heute. – München; Berlin: R. Oldenbourg, 1930. – VI, 113 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1932. – Jg. 53., H. 23. – S. 1059–1063. 6. Behn S. Einleitung in die Metaphysik. – Freiburg i. Br.: Herder & Co., 1933. – XVI, 327 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1935. – Jg. 56., H. 28. – S. 1196–1200. 7. Carneades D. Der Stoff, der Geist und der lebende Verstand. – Berlin: Herbert Stubenrauch, 1934. – XVI, 480 S. // Deutsche Literaturzeitung. – 1936. – Jg. 57., H. 44. – S. 1872–1875. 8. Krüger G. Philosophie und Moral in der Kantischen Kritik. – Tübingen: J.C.B. Mohr (Paul Siebeck), 1931. – VIII, 236 S. // Philosophia. – 1936. – Bd. I. – Vol. 1. – S. 373–376. Unveröffentlichte Werke 1. Kants allgemeinlogische Auffassung vom Wesen, Ursprung und der Aufgabe des Begriffes: [Inaugural-Dissertation]. – 1923. – 175 S. – Maschinenschrift. 2. Prolegomena zu einem transzendentalem Historismus. – 1927. – (Habilitationsschrift). 3. Philosophie der Mathematik. – [s. a.] – 43 S. – Maschinenschrift. 4. Zum Problem des Nichtmystischen Irrationalismus. [Fragment]. – [s. a.] – 5 S. – Maschinenschrift. 16 Literatur über T.Celms 1. Riedel H. Theodor Celms: Professor der Philosophie: Träger der Humboldt-Medaille // Deutsche Zeitung im Ostland. – 1942. – Weihnachten. – S. 7. 2. Celms Theodor // Kürschners Deutscher Gelehrten-Kalender: 1950. – Berlin, 1950. – S. 286. 3. Celms, Teodor (Philosoph) // Internationale Personalbibliographie / Max Arnim. – Stuttgart: Anton Hiersemann, 1952. – Bd. 1. – S. 209. 4. Waldenfels B. Einführung in die Phänomenologie. – München: Wilhelm Fink Verlag, 1992, S. 42. 5. Rozenvalds J. Theodor Celms (1893–1989): Zur Einführung // Celms T. Der phänomenologische Idealismus Husserls und andere Schriften, 1928–1943. – Frankfurt am Main; Bern; New York; Paris: Peter Lang, 1993, S. 13–26. 6. Spiegelberg H. The Phenomenological Movement. A Historical Introduction. – Kluwer Academic Publishers, 1994. – P. 164, 240, 253, 260, 267. 7. Kūle M. Understanding of Subject and Intersubjectivity in T. Celm’s Philosophical Works // Phenomenological Inquiry. – 1996. – October. – P. 30– 43. 8. Kūle M. Union of Soviet Socialist Republics // Encyclopedia of Phenomenology. – Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers, 1997. – P. 713–718. 9. Kūle M. Theodor Celms: Forerunner of the Phenomenology of Life // Analecta Husserliana. – Dordrecht, Boston, London: Kluwer Academic Publishers, 1998. – Vol. LIV. – P. 295–302. 10. Rozenvalds J. Phenomenological Ideas in Latvia: Kurt Stavenhagen and Theodor Celms on Husserl's Transcendental Phenomenology // Phenomenology on Kant, German Idealism, Hermeneutics and Logic: Philosophical Essays in Honor of Thomas M. Seebohm. – Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 2000. – P. 67–82. 11. Kūle M. Phenomenology and culture. – Riga: FSI, 2002. – P. 5, 9–13, 15–21, 23, 25– 33, 58, 187, 223, 248, 259. 12. Buceniece E. Teodors Celms, Kurt Stafenhagen and Phenomenology in Latvia // Phenomenology World-Wide: Foundations – Expanding Dynamics – Life Engagements: a Guide for Research and Study. – Dordrecht: Kluwer Academic Publishers, 2003. – P. 312–316. 13. Kūle M. Phenomenology in Latvia: Teodors Celms and Stanislavs Ladusāns // Humanities and Social Sciences: Latvia. – Rīga: Latvijas Universitāte, 2006. – Vol. 2. – P. 72–84. 14. Kūle M. Philosophy in the Baltic States // Philosophy Worldwide: Current Situation. – Riga: FISP. – 2006. – P. 91–106. 15. Kūle M. Philosophy in the Baltic States // Philosophy Worldwide: Current Situation. / 2nd Edition. – Riga: FISP. – 2007. – P. 39–54. 17