Medical Anthropology Prof.Dr. Dagmar Eigner SS 2010 Ideengeschichte der Medical Anthropology sowie Ethnomedizin & Institute Weltweit Wolfgang Schulz a0306114 A307 für A 307 1 Inhaltsverzeichnis TEIL 1 – DIE IDEENGESCHICHTE……………………………………………………….3 1. Einleitung……………………………………………………………………………..3 2. Medizin der Naturvölker – Sammlungen von Max Bartels……………………...4 3. Ideengeschichte der Ethnomedizin – Bericht von Thomas Hauschild…...........6 4. Ethnomedizinische Ansätze – Beiträge von Hans Jochen Diesfeld…………...11 5. Ausblick………………………………………………………………………………13 TEIL 2 – INSTITUTE WELTWEIT………………………………………………………....14 6. Zentren und Institute………………………………………………………………..14 7. Quellen……………………………………………………………………………….18 TEIL 1 – DIE IDEENGESCHICHTE 1. Einleitung: 2 Begrifflichkeiten sind oftmals ein mühseliger Aspekt der Arbeit in den verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen, aber dennoch notwendig. Für die einzelnen Begriffsdefinitionen und Erklärungen verweise ich auf die Seminarausarbeitung von meinem Kollegen Gabriel Gutiu. Er hat sich speziell um die Termini und Geschichte der Ethnomedizin, Medizinethnologie, medizinische Anthropologie, Medizinanthropologie und Medical Anthropology gekümmert. Im deutschsprachigen Raum wird „Medical Anthropology“ oft als Synonym für „Ethnomedizin“ verwendet. Umgekehrt wird dies jedoch nicht gemacht. Die Gemeinsamkeiten dieser Disziplinen Die Gemeinsamkeit ist, dass jegliche medizinische Denk- und Handlungsweisen kulturelle und soziale Dimensionen hat. Körper, Krankheit und Welt werden konstruiert - Willkommen im „Konstruktivismus“. Wie könnten sonst zwei vollkommen unterschiedliche Heiler (z.B. ein Doktor der Medizin und ein Schamane) mit vollkommen verschiedenen Interpretationen, Diagnosen und Methoden erfolgreich heilen? Ansätze Die Medical Anthropology nimmt eine implizit / explizit kulturvergleichende Position ein. Sie beschäftigt sich mit dem „Fremden“ und mit dem „Eigenen“. Das Eigene wird fremd gemacht. Die Medical Anthropology ist eine interpretative Wissenschaft. Der Anthropologe Clifford Geertz sagte, dass der Unterschied zwischen Interpretation und NichtInterpretation so ist, wie das Zucken der Augenlider und das Zwinkern. Die Medical Anthropology berücksichtigt sowohl mikro- als auch makrosoziale Beziehungen. Es geht um „face-to-face-Beziehungen“ sowie auch um die Untersuchung von ganzen Gesellschaften. Methode und Verwertung Die Medical Anthropology bevorzugt qualitative Methoden (teilnehmende Beobachtung, qualitative Interviews, qualitative Textanalyse, …). Sie versteht sich als eine anwendbare Wissenschaft, stellt Konzepte und Ansätze zur Verfügung. Die Medical Anthropology will die klinische Situation verbessern und die Interaktion zwischen Patienten und Ärzten 3 fördern. Ideen und Erkenntnisse der Medical Anhropology Medizinsysteme sind integrale Bestandteile von Kulturen Krankheit ist kulturell definiert Alle Medizinsysteme haben beides: präventive und kurative Seiten Schlagthemen Komparative Perspektive Spiegel für die (westliche/Bio-/Schul-) Medizin Verbesserung des kulturellen und somit auch des kognitiven und emotionalen WeltVerständnisses 2. Medizin der Naturvölker - Eine Sammlung von Max Bartels Was sind die Prinzipien, die Weltbilder, die Wirklichkeiten der anderen Kulturen und ihren eigenen Verständnis- und Medizinsystemen? Der Arzt und Anthropologe Bartels erstellte eine Sammlung von Forschungen, die sich mit den Kulturen der sog. Naturvölkern auseinandersetzt. Hier sind Auszüge aus diversen Kapitel seines Buches. Somit können wir uns vorstellen, was in vollkommen anderen Kulturen als der westlichen beforscht werden kann. Was haben sich für Weltbilder entwickelt und wie wirken die Methoden der Medizin dazu? Als Referenz ließ ich die Rechtschreibung des Jahres 1893, so wie sie damals war. Im Endeffekt müssen wir uns fragen, was wir von dem „Fremden“ hier lernen können. Die Auflistung soll dazu dienen, um sich ein Bild machen zu können, worum es geht. Die Sammlung der ausgewählten Themen lautet wie folgt: 1. Die Krankheit Das Wesen der Krankheit/ Krankheit durch Dämonen/ Aussehen der Krankheitsdämonen/ Geister Verstorbener als Krankheitsursache/ Dämonische 4 Menschen als Krankheitsursache/ Fremde Substanzen im Körper als Krankheitsursachen/ Krankheit verursacht durch einen magischen Schuss/ Krankheit als Strafe/ Krankmachender Zauber/ Krankheit durch den Willen der Gottheit/ Böse Winde als Ursache der Krankheit/ Natürliche Krankheitsursachen/ Der Böse Blick/ u.a. 2. Die Ärzte Die Medicin-Männer/ Die soziale Stellung der Medicin-Männer/ Übernatürliche Fähigkeiten der Medicin-Männer/ Auffallendes Benehmen der Medicin-Männer/ Weibliche Ärzte/ Die Wohnung des Arztes/ Ärztliche Honorare/ Gefahren des ärztlichen Berufes/ Verschiedene Arten der Medicin-Männer und Spezialisten/ Das Hülfspersonal des Medicin-Mannes/ Die Amtstracht/ Rangstufen der MedicinMänner/ Krankheit und Lebensende des Medicin-Mannes/ u.a. 3. Die Diagnostik der Naturvölker Erkennungsmittel der Diagnostik/ Die Krankheitsnamen/ Krankheits-Fetische und Amulete/ Verbotszeichen 4. Die Medicamente und ihre Anwendung Die Medicinal-Droguen/ Die Beschaffung der Arzneimittel/ Die Bereitung und die Aufbewahrung und die Züchtung der Arzneimittel/ u.a. 5. Die Arzneiverordnungslehre der Naturvölker Abkochen und Umschläge/ Einreibungen, Salben, Pflaster und Pulver/ Abführmittel, Brechmittel/ Inhalationen/ Pillen/ Narcotica/ Das Bepusten und Bespeien/ Die Impfung/ u.a. 6. Die Wassercur Kalte Bäder/ Warme Bäder und Trinkcuren/ Schwitzcuren/ Das Dampfbad 7. Die Massagecuren Die legitime Massage/ Die versteckte Massage 8. Verhaltungsvorschriften für den Kranken Die Diät/ Sonstiges Verhalten 9. Die Übernatürliche Diagnose Prognose und Semiotik/ u.a. 10. Die Übernatürliche Krankenbehandlung Opfer und Gebet/ Die Trommel als Handwerkzeug des Medicin-Mannes/ Die Rassel und andere musikalische Instrumente/ Das Heraussaugen der Krankheit/ Das 5 Fangen und Festbannen und Vernichten der Krankheitsdämonen/ Das Zurückholen der Seele oder des Schattens/ u.a. 11. Einzelne Capitel der speziellen Pathologie und Therapie Die Augenkrankheiten/ Die Ohrenkrankheiten/ Geisteskrankheiten und Epilepsie 12. Die Gesundheitspflege und die Epidemien Die private Gesundheitspflege/ Die Amulete/ Die öffentliche Gesundheitspflege/ Die Grenzsperre für die Seuche/ Die Todten/ u.a. 13. Die kleine Chirurgie Das Blutsaugen/ Das Sacrificieren/ Der Aderlass/ Das Schröpfen/ Die RitualOperationen/ Die Zahnheilkunde/ u.a. 14. Die große Chirurgie Die Wundbehandlung/ Die Behandlung der Schusswunden/ Die Blutstillung/ Das Glühen/ Knochenbrüche und Verrenkungen/ Amputationen/ u.a. (Vgl. Bartels 1893. S. VIIIff) So manches Thema erinnert heutzutage an Inhalte moderner Fantasy-Romane, in denen die Magie und Hexerei regieren. Die Inspirationen für solche Werke kommen nicht von Ungefähr, sondern von real-magischen Weltkonzepten, mit denen auch in der Heilung gearbeitet wird. 3. Ideengeschichte der Ethnomedizin - Bericht von Thomas Hauschild Einleitung Der Begriff „Ethnomedizin“ beschreibt nach Ansicht von DROBEC (1955), STERLY (1971), RUDNITZKI u.a. (1977) die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit allen Formen der Heilkunde außerhalb der akademischen Medizin. Ethnomedizin umfasst die Tätigkeit von Schamanen und Medizinmännern, traditionelle Techniken der Geburtshilfe, Phytotherapie, europäische Volksmedizin, schließt aber auch das Studium der medizinischen Systeme Südasiens und Chinas und ähnliche Aspekte ein. Angesichts dieses breiten Spektrums wird Ethnomedizin von den oben genannten Autoren nicht als eigenes Fach, sondern als interdisziplinäres Arbeitsfeld zwischen Ethnologie, 6 Medizin und anderen Fächern wie Soziologie, Linguistik, Botanik, Pharmakologie gesehen. (Vgl. Hauschild 2005. S.15) Man beschäftigt sich mit den Weltbildern und Begriffen der jeweiligen Kultur. „Die Ethnomedizin nahm ihren Anfang im Interesse der Mediziner für die heimische Volksmedizin oder die traditionelle Medizin kolonisierter Völker (OSIANDER 1826; MOST 1843; RIVERS 1924) und in der Beobachtung von Heilritualen durch Reisende und Ethnologen wie WILSON (1956) und DALTON (1872).“ (Zit. Hauschild 2005. S.15) Volksarzneibücher MOST (1843) und OSIANDER (1826) verfassten Sammlungen volksmedizinischer Praktiken, um dem Laien Anleitung zur Therapie mit einfachen Volksheilmitteln zu geben. Es scheint es handelt sich hierbei offensichtlich um einen bewussten Gegensatz zu der als nicht genügend volksnah empfundenen orthodox-akademischen Heilkunde. Most und Osiander vertreten die Meinung, die Volksmedizin sei „instinktiv“ entstanden und somit ein Gegensatz zur „verstandesmäßig“ erzeugten akademischen Medizin. Beiden gemeinsam ist auch die Unterscheidung in „Curiosa“ (Beschwörungen usw.) und nützliche (materielle) Volksheilmittel. Die „Curiosa“ wurden größtenteils weggelassen, denn wie Osiander (1826) schreibt, wäre sein Buch doppelt so dick geworden. Die Form der Darbietung nimmt bei Osiander ihren Ausgang von den verschiedenen Krankheitsbildern, bei MOST folgt sie der alphabetischen Reihenfolge. Zu bemerken ist, dass Osiander Heilmethoden nordamerikanischer Indianer gleichberechtigt neben heimischen Methoden erwähnt (1826) und dass auch MOST betont, jede Kultur besäße ihre Volksmedizin von eigenem Wert. (Vgl. Hauschild 2005.S. 16) Vergleichende Volksmedizin Im Vergleich mit Most und Osiander hat die berühmte „Vergleichende Volksmedizin“ von HOVORKA und KRONFELD (1909) eine völlig andere Form der Darstellung und Zielsetzung. Nicht verstandene Praktiken wie z. B. die Wahrsagerei sind jetzt keine harmlosen „Curiosa“ mehr, sondern ein „verderbliches Wirken“, „ein unglaublich dummer Aberglaube“ 7 der „Kaffern“ und der heimischen Landbevölkerung.“ (1908). Volksmedizinische Mittel werden nicht mehr zur Anwendung empfohlen. Sie werden nur noch aus einem vage formulierten „ethnographischen und folkloristischen“ Interesse heraus erklärt. Hovorka und Kronfeld beschreiben neben volksmedizinischen, europäischen Bräuchen auch die Heilpraktiken außereuropäischer Völker, aber nur, um sie als Dummheit, Kurpfuscherei und Aberglauben hinzustellen. Des weiteren sind Hovorka und Kronfeld auch der Ansicht, nur der Arzt sei berufen, die Volksmedizin zu studieren, weil er allein sie systematisch einordnen und beurteilen könne (1909). Was sie nicht in ihren ärztlichen Kategorien unterbringen können, ist dann im Kapitel „Zaubermedizin“ versammelt. Der eigentliche Zusammenhang volksmedizinischer Praxis, die etwa ein Symptom mit materiellen Mitteln und Beschwörungen behandelt, wird so zerrissen. (Vgl. Hauschild 2005. S. 16) Zur Ideengeschichte der Ethnomedizin Später begann man, diese Vorstellungen jedoch in Zweifel zu ziehen. So betont BUSCHAN (1942), primitive Heilkunst entspreche der unserer „Altvorderen“, man könne in ihr „wertvolles altes Gut“ finden. Er widmet sein Buch über „Medizinzauber und Heilkunst im Leben der Völker“ „dem deutschen Arzte“ zur Bereicherung seiner Wissenschaft. Neben Kapiteln unter dem Gesichtspunkt der ärztlichen Systematik, wie „Krankheitsursachen“, bringt er auch zusammenhängende Darstellungen traditioneller Heilsysteme. So räumte SIGERIST (1951) ein, dass auch die „Primitiven“ ihre eigene Geschichte hätten, dass ihre Kulturen nicht einfach als Überrest vergangener Epochen angesehen werden könnten. Prinzipiell bleibt er jedoch beim Fortschrittsdenken, spricht von entwickelten und zurückgebliebenen Heiltechniken, die sich in der Todesrate u. ä. äußerten. Für das Studium der traditionellen Medizin empfiehlt er, sie nicht nur in historischen Zusammenhängen, sondern auch im Bezug auf das jeweilige “culture pattern” zu sehen. (Vgl. Hauschild 2005. S. 17) Medical Anthropology Margaret READ (1966), Verfasserin der Schrift “Culture, Health and Disease” gibt hier als Sozialanthropologin dem Gesundheitspersonal in der 3. Welt Anweisungen, damit es traditionelle 8 Heilmethoden und Verhaltensweisen besser verstehen lernen soll. Sozialanthropologische Einsichten werden verwendet, um eine möglichst reibungslose Einführung westlicher Gesundheitsvorstellungen zu garantieren. Die Fragen von Angestellten der Gesundheitsdienste, die Read beantworten möchte, lauten immer wieder: „Wie können wir beeinflussen … Wie können wir den Widerstand überwinden?“ Read hegt dabei die Annahme, die Öffnung einer bisher abgeschlossenen Gemeinschaft für den Kulturwandel und Markt sei ein Akt der Befreiung (1966). Die so angenommene Überlegenheit der westlichen Kultur wird überhaupt nicht hinterfragt. (Vgl. Hauschild 2005. S. 18) Auch die Angst vor der „fremden Medizin“ scheint eine „Schattenproblematik“ der Ethnomedizin zu sein, die in ihrer Literatur entweder gar nicht, oder, wie bei DROBEC (1956), lediglich als Projektion auf die Psyche der „Primitivvölker“ erscheint. Die bis zu diesem Punkt behandelte Zeit der frühen kolonialen Unterdrückung und des späteren „verständnisvollen“ kolonialen Funktionierens ist freilich im Ablaufen. Parallel zu diesem Prozess haben sich in der Ethnomedizin eine Reihe neuer Strömungen gebildet, die ihre Angst vor der „fremden Medizin“ aufgegeben und sie besser verstehen und akzeptieren lernen wollen. (Vgl. Hauschild 2005. S. 19) Teilnehmende und verstehende Methoden Schon DROBEC (1955) hatte darauf hingewiesen, dass die Ethnomedizin der westlichen Medizin in ihrer Krise ein neues Lernen von traditionellen Heilpraktiken bringen könnte. Ferner wies TURNER (1969) darauf hin, dass wir den so genannten „Primitiven“ vielleicht technisch überlegen sind, dass es aber im symbolischen Bereich, bei Kunst, Religion usw. keine Primitivität gibt. Diese Ansicht schlägt sich im Bereich der Ethnomedizin unter anderem in der Anwendung der Ethnoscience und strukturaler Methoden nieder. So verstehen FRAKE (1961), LEVI-STRAUSS (1971) und HELLER (1977) fremde medizinische Systeme als der eigenen gleichwertig und versuchen die Kategorien beider Systeme nicht zu vermischen. Erst dadurch wird es möglich, die Kategorien fremder Kulturen besser sichtbar zu machen. Ihre Ähnlichkeit und Verschiedenheit zu unseren wird deutlich, wir lernen, dass man nicht einfach die jeweiligen Krankheitsnamen in unsere Sprache übersetzen kann, oder die Tätigkeit des traditionellen Heilers nach akademischmedizinischen Kategorien klassifizieren. 9 In der Analyse der so genannten „Transfersituation“ zwischen westlichem Arzt und traditioneller Kultur kommt solchen „Strukturunterschieden und konzeptuellen Differenzen“ (UNSCHULD 1977) große Bedeutung zu. Genauso verlangt auch das Konzept „Lebenswelt“ von STERLY (1974), in der Ethnomedizin von Krankheitsbildern und Krankheitsabläufen abzusehen und sich auf die „Krankheitssituation und das Kranksein“ zu konzentrieren. Aus der Komplexizität der Lebenswelt einerseits und der Spezialisierung der Wissenschaften andererseits ergibt sich, dass ein Zuwachsen immer nur mit Hilfe mehrerer Wissenschaften in einem „interdisziplinären Arbeitsfeld“ geschehen kann. Verwandte Wortstellungen finden wir auch bei Michel LEIRIS (1977) und in FICHTEs „Ethnopoetik“ (1976/1977). Beide sind der Ansicht, die Wahrnehmung und Beschreibung eines fremden Ritualsystems würde diesem nur gerecht, wenn man es miterlebt, von innen her versteht und dann gleichsam nachschöpft. Dieser Vorstellungen wegen haben Annemarie und Werner LEIBBRAND (1971) Ethnomedizin als „synthetischen Ansatz“ und „schöpferisches Erbe der Romantik“ bezeichnet. Ist bei Most und Osiander die Ethnomedizin noch Sache von gegen die akademische Medizin eingestellten Ärzten, so ist bei Hovorka und Kronfeld der Arzt gerade wegen seiner streng systematisierenden Einstellung auf diesem Gebiet befähigt. Bei Read ist der Anthropologe zumindest schon eine wichtige Ergänzung des Arztes. In jüngster Zeit schließlich haben LOUDON und MEYER FORTES (LOUDON 1976) geschrieben, das Studium der traditionellen Medizin ließe den Arzt zum “sophisticated sociologist” werden, bzw. es sei hier gar keine medizinische Ausbildung nötig. (Vgl. Hauschild 2005. S. 20) Die romantische Vorstellungswelt von Most und Osiander verbindet sich mit den heutigen verstehenden Methoden im Zweifel an der Allmacht der westlichen Medizin und im Versuch, die traditionelle Medizin als eigenen Wert zu erkennen. Die neue Einstellung zeigt bereits in der Praxis Folgen. Westliche Wissenschaftler unterstützen selbstbewusstere Staaten der Dritten Welt in ihrem Bemühen, die traditionelle Medizin zu nutzen, wie uns z.B. JANZEN aus Zaire berichtet. Der Generaldirektor der WHO hat die Angehörigen der Gesundheitsdienste zur stärkeren Nutzung dieser „nationalen Reserven“ aufgefordert (JANZEN), (Vgl. Hauschild 2005. S. 20) wobei ich persönlich, der Autor dessen, es eher als „nationale Ressourcen“ oder „nationale 10 Potentiale“, wenn nicht sogar als „Qualität“ bezeichnen würde. In der Sensibilisierung der westlich orientierten Gesundheitsdienste für diese Aufgabe liegen noch einige wenig genutzte Perspektiven der angewandten Anthropologie. Zugleich hat in der westlichen Medizin neben der schon immer betriebenen Ausbeutung der traditionellen Kräutermedizin ein Dialog mit anderen fremden Heiltechniken begonnen. Inwieweit die Welle der Gruppentherapien von verwandten Techniken in aller Welt beeinflusst ist, bleibt schwer nachprüfbar. Deutlicher sichtbar ist traditionelle Medizin in der Begegnung zwischen Zen-Buddhismus und Psychoanalyse (FROMM u. a. 1974) oder in der an amerikanischen Universitäten gelehrten „transpersonalen Therapie“ (SUTICH 1973), die sich um die Aufnahme schamanistischer und mystischer Techniken in ihr therapeutisches Inventar bemüht. Insgesamt kann man wohl sagen, dass sich seit Most und Osiander das Zentrum dieser Begegnung von den materiellen auf die in unserem Sinne „psychotherapeutischen“ Methoden verschoben hat. Verschoben hat sich auch der Grund der Wertschätzung: Most und Osiander hoben besonders den „instinktiven“ Charakter der Volksmedizin hervor, den sie in der Auseinandersetzung mit der „verstandesmäßig gezeugten“ akademischen Medizin als Mittel der Argumentation gebrauchten. Damit bereiteten sie unwissentlich den Boden für die spätere Abqualifizierung der Volksmedizin als „primitiv“ und „tierisch“. Heute neigt man eher dazu (wie z.B. TURNER oder HELLER), die „verstandesmäßigen“, oft sehr komplexen Symbolsysteme der Volksmedizin zu würdigen, u. a. weil man sie als Argumentationshilfe gegen eine materialistische „Pillenmedizin“ benutzt. Es bleibt die Frage, ob aus dieser Konzentration auf die psychotherapeutische, symbolische Wirksamkeit nicht eine neue Blindheit gegenüber anderen Aspekten der Volksmedizin entstehen wird. Dann stünde allem Bemühen um Teilnahme und Verstehen zum Trotz die eigentliche Verarbeitung der Angst vor der „fremden Medizin“ noch aus. (Vgl. Hauschild 2005. S. 20) 4. Ethnomedizinische Ansätze – Beiträge von Hans Jochen Diesfeld 11 Die Bedeutung des Dialoges zwischen Heilkunst und Völkerkunde für die Gesundheitsplanung in Entwicklungsländern: Es wird empfohlen, Trainingsprogramme ausarbeiten mit folgenden Zielen vor Augen: Fortführung der traditionellen Praxis, so lange sie gut oder zumindest nicht schädlich ist Ergänzung der traditionellen Praxis mit modernen Konzepten und Methoden Mitarbeit in Gesundheitserziehung Übernahme von Methoden der medizinischen Primärversorgung, Mutter und Kind Betreuung, Familienplanung, Ernährung und Hygiene (Vgl. Diesfeld 1977. S. 10) Des weiteren: 1. Die Form des Trainings sollte rein praktisch und lokal angepasst sein. Das Training sollte kurz sein, dafür häufig durch Auffrischungskurse ergänzt werden. Ein praktisches Handbuch soll verfasst und ausgehändigt werden zusammen mit Instrumenten- und Medikamentenkasten und Lehrmitteln. 2. Registration als Voraussetzung für die Weiterführung der Praxis. Offizielle Registration, Training, Zertifikate als Anerkennung durch Gesundheitsbehörden. 3. Neben der Existenz traditioneller Heiler soll nichtmedizinischen Führern in der Gemeinde Rechnung getragen werden, wie Mönchen, Priestern, Häuptlingen, Lehrern, Verwaltungsbeamten, politischen Führern usw., die für bestimmte Gesundheitsprogramme eingesetzt werden sollten. (Vgl. Diesfeld 1977. S. 11) „Traditionelle“ und „Moderne“ Medizin lassen sich effektiv miteinander Verknüpfen: 1. Im Bereich Forschung: Analysen traditioneller Arzt-Klienten-Interaktionen in bezug auf Effektivität. Analysen traditioneller Systeme sozialer Sicherung in bezug auf Effektivität – was für ein Modelcharakter für welchen kulturellen Hintergrund? 2. Im Bereich Lehre: 12 Einbau lokaler „Ethnomedizin“ in das Kurrikulum von medizinischen Hochschulen, nicht im Sinne von Medizingeschichte, sondern um den Wert der traditionellen Medizin kritisch herauszustellen und die Achtung der „modernen“ Mediziner vor dieser traditionellen ärztlichen Kunst zu wecken. Zusätzliche formale Unterweisung bestimmter Typen traditioneller Heilkundiger (z.B. Hebammen) in modernen diagnostischen und therapeutischen Praktiken und Gesundheitsprogrammen. (Vgl. Diesfeld 1977. S. 11) 3. Im Bereich der Praxis der Gesundheitsvorsorge: Ein sehr wesentliches Element der traditionellen Medizin ist die Tatsache, dass der „Medizinmann“ oder spezialisierte Heilkundige eine wichtige Stellung innerhalb der Gruppe einnimmt, was von den Ärzten des öffentlichen Gesundheitsdienstes in der Regel nicht behauptet werden kann. Gewisse Typen traditioneller Heilkundiger könnten im Bereich ihrer Möglichkeiten im Rahmen des Gesundheitsdienstes einen angemessenen Platz haben oder sollten zumindest in der Ausübung ihrer Praxis nicht behindert, sondern eher durch entsprechende Hilfestellung gefördert werden, sofern ihre Praktiken nicht grundsätzlich schädlich sind. (Vgl. Diesfeld 1977. S. 12) Viele Fragen und Probleme werden hierdurch aufgeworfen, die weiter diskutiert werden sollten. 5. Ausblick Es liegt an uns die kulturellen Barrieren zu überwinden und vielleicht können wir als Anthropologen sowie Ethnologinnen einen gesunden Beitrag dazu leisten, damit das gegenseitige Verständnis wächst um die Bereitschaft zu stärken, anderen Mentalitäten respektvolle Beachtung zu schenken. Eine Orientierungshilfe für die Wirksamkeit verschiedenster Heiltraditionen ist ein Spruch, den es seit dem alten Griechenland gibt: „Wer heilt hat recht.“ 13 Medical Anthropology eignet sich ideal um Sozialwissenschaften mit der akademischen Medizin zu verbinden. Sie lernt von Erfahrungswerten, die nützlichen für Medizinstudenten und Doktoren sein können. Sie hat keinerlei vorgefertigte reservierte Ansichten der Medizin und ist in der Lage komplexe kulturelle oder soziale Themen zu übersetzen, die man auch im klinischen Setting antrifft. Medical Anthropology besitzt die Fähigkeit hinter die reinen klinischen Aspekte zu Blicken, auch für Menschen ohne Migrationshintergrund. Im Endeffekt ist es nötig die Studenten mit dem Wissen, den Fertigkeiten und Erfahrungen auszurüsten in Bezug auf die Kultur und die Gesundheit, die klinische Kompatibilität für alle Patienten (Klienten) gewährleisten können. (Vgl. Kutalek 2009. S.25f) TEIL 2 – INSTITUTE WELTWEIT 6. Zentren und Institute: Hier finden Sie eine kleine Auswahl und eine Auflistung und Links, wo es auf der Welt Institutionen zum Thema Ethnomedizin und Medical Anthropology gibt. Die Aktiven sind namentlich in den Klammern erwähnt. Länder und Aktive: 1. USA: Harvard Berkeley SEHR viele Unis 2. Kanada: Montreal, McGill (Lock, u.a.) 3. UK: 14 Brunel Keel Oxford (Hsu) 4. Niederlande: Amsterdam (Geest und viele andere) Leiden (Richters) 5. AUT: Wien (Binder-Fritz, Prinz, Kutalek, Eigner) 6. D: Heidelberg (Sax) Berlin (Dilger) 7. CH: Basel (Obrist) 8. Frankreich, Dänemark, Schweden, Finnland, Norwegen (auch ein paar Aktive) Institutionen und Universitäten – Internetquellen und Kontakte 1. Medical Anthopology Wien - Med Audiovisuals http://www.meduniwien.ac.at/med_audiovisuals/ Die Anliegen sind denen der Kollegen und Kolleginnen in anderen Nationen sehr ähnlich, deshalb soll dies hier als Anschauungsbeispiel dienen: „Die Hauptagenden sind die Entwicklung von Systemen des medizinischen Wissens und der medizinischen Versorgung die Integration von alternativen medizinischen Systemen in kulturell vielfaeltigen Umfeldern, Medizin Pluralismus die Wecheslwirkung von sozialen, biologischen und oekologischen Faktoren und deren Einfluss auf Gesundheit und Krankheit von Individuen und Gemeinschaften die Wechselwirkung von westlicher und nicht westlicher Medizinkultur 15 die Arzt Patienten Beziehung Die Plattform fuer Medical Anthropology bietet Studierenden und Interessierten die Moeglichkeiten des Wissensaustausches. Das Archiv fuer Medical Anthroplogy bietet einen Einblick in die Ausseinandersetzung des Themas mit neuen Medien." (Zit. - Zugriff am 4.5.2010) 2. Arbeitsgruppe Medical Anthropologe - Institut für Geschichte der Medizin - Josephinum www.meduniwien.ac.at/histmed/med_ant.htm 3. Arbeitsgruppe Ethnomedizin Wien www.meduniwien.ac.at/histmed/ethnomed_lang.htm 4. AGEM - Arbeitsgemeinschaft Ethnomedizin e.V. Zeitschrift für Ethnomedizin und transkulturelle Psychiatrie - Curare www.agem-ethnomedizin.de 5. ETHNOMED - Institut für Ethnomedizin e.V. http://www.institut-ethnomedizin.de 6. AG Medical Anthropology der deutschen Gesellschaft für Völkerkunde e.V. www.medicalanthropology.de 7. Ethnomedizinisches Zentrum e.V. http://www.ethno-medizinisches-zentrum.de 8. Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine http://www.ethnobiomed.com/ 9. Institute for EthnoMedicine http://www.ethnomedicine.org 10. SMA - Society for Medical Anthropology 16 www.medanthro.net 11. Medical Anthropology UNC Chapell Hill http://medicalanthropology.unc.edu 12. MAS - Medical Anthropology Switzerland http://www.seg-sse.ch/de/commissions/mas.shtml 13. Anthrologica http://www.anthrologica.com 14. Anthropologe - Medical Anthropologe - Uni Berkeley http://anthropology.berkeley.edu/programs/graduate/medical.php 15. Case Wetsen Reserve University Est. 1826 http://www.cwru.edu/artsci/anth/medicalanth.html 16. University of Pittsburgh - Department of Anthropology http://www.pitt.edu/~pittanth/grad/medanth.html 17. Durham University - Department of Anthropology- Medical Anthropology Rsearch Group http://www.dur.ac.uk/anthropology/research/marg 18. Michigan University - Medical Anthropology http://www.lsa.umich.edu/anthro/medanthro.htm 19. Harvard University - Department of Anthropologe - Mecial Anthropology Graduate Program http://www.fas.harvard.edu/~anthro/grad_medical.htm 20. IASTAM - The International Association for tue Study of Traditional Asian Medicine http://www.iastam.org 17 21. AHJ - Anthropology and Health Journal http://www.ahj.syllabapress.com 22. AMADES - Anthropologie Medicale Appliquée au Développement et à la Santé http://www.amades.net 7. Quellen: Bartels, Max. Medizin der Naturvölker. Urgeschichte der Medizin. Reprint-VerlagLeipzig 1893. Diesfeld, Hans Jochen. Ethnomedizin. Beiträge zu einem Dialog zwischen Heilkunst und Völkerkunde. Verlag Detlev Kurth Barmstedt 1977. Foster, George. Medical Anthropology. John Wiley & Sons, New York 1978. 18 Grollig, Francis u. Haley, Harold. Medical Anthropology. Mounton Publishers Paris 1976. Hauschild, Thomas. Zur Ideengeschichte der Ethnomedizin. Reprint aus Ethnomedizin IV 1977. Jacob, Wolfgang. Medizinische Anthropologie im 19. Jahrhundert. Ferdinand Enke Verlag Stuttgart 1967. Johnson, Thomas u. Sargent, Carolyn. Medical Anthropology. A Handbook of Theory and Method. Greenwood Press Connecticut 1990. Kutalek, Ruth u. Prinz, Armin. Essays in Medical Anthropology. The Austrian Ethnomedical Society after Thirty Years. Wiener Ethnomedizinische Reihe - Lit Verlag Gmbh Wien 2009. Leslie,Charles. New Horizons in Medical Anthropology. Routledge London 2002. 19