VenonaManuskriptFestschrift

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Venona und die Folgen: Der angelsächsische Einbruch in die sowjetischen Chiffren
während des Kalten Krieges
Von Sigurd Hess
Die Signalaufklärung1, besonders aber die Schlüsseleinbrüche der Engländer und Amerikaner in
die deutschen Enigma-Maschinenschlüssel (Schutzwort ULTRA) und die japanischen Red- und
Purple-Maschinenschlüssel (Schutzwort MAGIC) haben den Verlauf des Zweiten Weltkriegs
entscheidend beeinflußt. Die entsprechenden Dokumente aus den Jahren bis 1945 sind
weitgehend deklassifiziert und von der historischen Forschung intensiv ausgewertet worden.
Völlig anders stellt sich die Lage für die Zeit nach 1945 dar, insbesondere während des
Höhepunktes der Ost-West-Konfrontation im Kalten Krieg. Zwar kann vermutet werden, daß die
angelsächsische Fernmeldeaufklärung mit ähnlicher Effizienz und Erfolgen weitergearbeitet hat.
Von wenigen Ausnahmen abgesehen sind die Archive jedoch weiterhin verschlossen2. Die
besondere Ausnahme bildet der amerikanische Schlüsseleinbruch in die sowjetischen Chiffren,
dem zuerst der Projektname BRIDE und 1961 das Schutzwort VENONA3 gegeben wurde.
Venona war eines der bestgehütesten Geheimnisse während des Kalten Krieges. Es wurde erst
nach 1995 bekannt, als die Amerikaner wegen der neuen Weltlage nach dem Fall des Eisernen
Vorhangs die Geheimhaltung aufgaben4.
Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hatte sich der Schwerpunkt der angelsächsischen
Fernmeldeaufklärung und Entschlüsselung auf das „russische Problem“ verlagert. Daher erlaubt
Venona einen einzigartigen, wenngleich begrenzten Einblick in die Schlüsseleinbrüche während
der Anfangszeit des Kalten Krieges. Es handelt sich um die ganze oder teilweise Entschlüsselung
von etwa 2900 Nachrichten, die von den sowjetischen Organisationen des KGB5, der GRU6 und
Marine-GRU und den Diplomaten des Volkskommissariats für Auswärtige Beziehungen
versandt wurden. Die entschlüsselten Venona-Dokumente öffneten mit mehrjähriger
Verzögerung, das heißt in den Jahren 1944 – 1962, das Zeitfenster von 1941 – 1948. Sie
erlaubten einen atemberaubenden Einblick in die sowjetischen Spionageoperationen in den USA,
Kanada, Großbrittannien und Australien.
Die Sowjets benutzten während des Zweiten Weltkrieges das sogenannte „One Time Pad (OTP)“
- Verfahren7 in Verbindung mit Kodebüchern, also eine Art Zweifachverschlüsselung. Für die
Kodebücher benutzte man 5-er Zahlengruppen, zusätzlich verwendete man eine Buchstabiertafel
mit 2-er Zahlengruppen für schwierige englische Wörter, für die es keine russische Entsprechung
gab. Der KGB und der GRU benutzten darüber hinaus eine nachrichtendienstliche
Spezialsprache. Vereinfacht dargestellt ergab sich folgender Arbeitsablauf bis zum Absenden
einer Nachricht:
- Erster Arbeitsschritt: Kodierung und Arrangement in 5-er Zahlengruppen
- Zweiter Arbeitsschritt: Verschlüsselung mit OTP in Form einer Fibonnacci-Addition (d.h.
keine dekadischen Überträge bei der Addition); der Wechsel einer OTP-Seite wurde durch
einen versteckten Indikator angegeben
- Dritter Arbeitsschritt: Versenden des Telegramms über öffentliche
Telegraphenorganisationen, z.B. die amerikanische Western Union. Eine weitere SicherungsKopie wurde mit diplomatischem Kurier transportiert.
Amerikanische Vorarbeiten bis 1945, um die sowjetischen Chiffren zu brechen8
Dem genialen amerikanischen Kryptologen William Friedman gelang der Einbruch in die
japanischen Maschinenschlüssel Typ A (Red) und Typ B (Purple). Das wurde als die
amerikanische „Magie (Magic)“ bezeichnet, die für den Kriegsverlauf ebenso bedeutend war,
wie das englische „Ultra“, der Einbruch in die deutschen Enigma-Schlüsselmaschinen. Im
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Oktober 1942 wurde die japanische Nachricht 906 abgefangen und im Frühjahr 1943
entschlüsselt: der Text stellte sich als eine Studie über den sowjetischen diplomatischen und
kommerziellen Fernmeldeverkehr heraus. Es wurde erwähnt, daß die Finnen dabei geholfen
hatten, in die sowjetischen Kodes einzubrechen. Obwohl Präsident Roosevelt nach dem
amerikanischen Kriegseintritt im Dezember 1941 die Weisung erteilt hatte, daß die
Aufklärungsaktivitäten gegen die Sowjetunion einzustellen seien, wurde am 1. Februar 1943 bei
der Signals Security Agency (SSA) der US Army9 in Arlington Hall, Va. eine neue Einheit
aufgestellt, die sich mit dem sowjetischen diplomatischen Fernmeldeverkehr befaßte. Als erstes
wurde routinemäßig eine Sammlung aller Kabelgramme angelegt, die über die Western Union
versandt worden waren. Aufgrund eines Kriegsgesetzes mußten die Telegraphenorganisationen
von jedem übermittelten Telegramm eine Kopie an das US Office of Censorship abgeben,
welches wiederum eine Kopie an die SSA weiterleitete. Gene Grabeel, eine ehemalige
Volksschullehrerin, begann mit der Sortierung der vorhandenen Sprüche und entdeckte fünf
Gruppen, die der sowjetischen Handelsorganisation Armtorg, dem KGB, dem GRU und dem
Marine GRU, und dem diplomatischen Verkehr des Volkskommissariats für Auswärtige
Beziehungen zugeordnet werden konnten. Meredith Gardner, ein introvertiertes Sprachgenie,
arbeitete an der Rekonstruktion der sowjetischen Kodebücher. Der Reserveoffizier und
Archäologe Richard Hallock fand als erster heraus, daß die OTP-Seiten von den Sowjets
mehrfach benutzt wurden. Der ehemalige Sekretär und Musiker Frank Lewis arbeitete an den
Sprüchen des KGB, die mit den gleichen OTP-Seiten verschlüsselt worden waren wie diejenigen
der Armtorg. Der Chemiker Cecil Philips entdeckte im November 1944, daß die Sowjets am 1.
Mai 1944 das Indikatorschema für die OTP-Seiten gewechselt hatten, ein Umstand, der den
Schlüsselspezialisten die Arbeit wesentlich erleichtern sollte. Was war bei der Produktion der
OTP-Seiten in Moskau geschehen? Obwohl die Einzelheiten bis heute nicht geklärt werden
konnten, geschah in der zweiten Hälfte 1942 ein menschlicher Fehler bei der Produktion der
Zufallszahlen für die OTP-Seiten. Vermutlich wegen der Kriegswirren dieses Jahres wurden ca.
70.000 OTP-Seiten verdoppelt. Von 1941 bis in der Hauptsache Juli 1943, aber feststellbar in
Einzelfällen bis Juni 1948, wurden die verdoppelten Zufallszahlen zur Verschlüsselung benutzt.
Dieser und andere unverzeihliche Fehler ermöglichten nach jahrelanger Sisyphusarbeit den
Einbruch in einen von der Theorie her absolut sicheren Schlüssel.
Hilfe bei der Entschlüsselung durch kollaterale Ereignisse
Nach dem Ende des Krieges mit Japan am 14. August 1945 bekam die Gruppe mehr Personal für
die Dechiffrierung der sowjetischen Sprüche. Am 31. Juli 1946 gelang die Entschlüsselung einer
Nachricht vom 10. August 1944 über sowjetische Kodierverfahren, am 13. Dezember 1946 die
Entschlüsselung einer Nachricht vom 25. Juli 1944 über den zu vermutenden Ausgang der
Präsidentschaftwahlen in USA und am 20. Dezember 1946 die Entschlüsselung einer Nachricht
vom Dezember 1944 über das Manhattan-Projekt. Obwohl diese Nachrichten 2 – 2 ½ Jahre alt
waren, wurde nun der besondere Wert dieser Entschlüsselungen deutlich, denn das ManhattanProjekt, die Entwicklung der Atombombe, war das geheimste Kriegsprojekt der Amerikaner.
Offensichtlich war die strenge amerikanische Geheimhaltung von der sowjetischen Spionage
unterlaufen worden und Stalin wußte seit 1944 von der Existenz der Atombombe.
Meredith Gardner war klar, daß die Entschlüsselungsarbeit nur vorankommen konnte, wenn
„cribs“ oder Anhaltspunkte gefunden würden. Das FBI wurde eingeschaltet, zum einen, um
durch fingierte Einbrüche in diplomatische Vertretungen des Ostblocks Zugang zu
Schlüsselmaterial zu bekommen, und zum anderen, um die Jagd auf sowjetische Spione in den
USA zu verstärken, denn die bereits entschlüsselten Venona-Sprüche hatten dafür eindeutige
Hinweise geliefert.
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Als Glücksfall stellte sich die Flucht von Igor Gouzenko am 5. September 1945 heraus, der als
Schlüsselverwalter in der sowjetischen Botschaft in Ottawa gearbeitet hatte. Er brachte 109
Originaltelegramme mit (die keine Hilfe boten) und beschrieb den Amerikanern zum ersten Mal
authentisch und im Detail das sowjetische Schlüsselverfahren. Ein weiterer Glücksfall war das
Auffinden von drei Lastwagen mit alten Ladungspapieren der sowjetischen Handelsorganisation
Armtorg. Diese Papiere erlaubten es mit ihrem „stereotypischen“ Text die Telegramme der
Armtorg zu entschlüsseln. Obwohl die Armtorg-Telegramme inhaltlich ohne besonderen Wert
waren, gelang es nun die benutzten OTP-Zufallszahlen zu rekonstruieren. Wegen der
Mehrfachbenutzung der Zufallszahlen bei der Verschlüsselung der KGB-Sprüche, konnten nun
auch diese Nachrichten gelesen werden und deren Inhalte waren von großer Brisanz.
Die Petsamo-Kodebücher und die Operation Stella Polaris
Seit dem Winterkrieg 1939/1940 zwischen Finnland und der Sowjetunion bemühte sich der
finnische Geheimdienst mit großem Erfolg, die sowjetischen Fernmeldeverkehre mitzulesen. Im
Juni 1941 schloß sich Finnland dem deutschen Angriff auf die Sowjetunion an und erbeutete u.a.
sowjetische Kodebücher, die sogenannten Petsamo-Kodebücher. Zwar waren einige Seiten
angebrannt und nur teilweise lesbar, aber die zwischen 1941 und Oktober 1943 benutzten
Kodebücher gaben den finnischen Spezialisten wertvolle Hilfen bei der Dekodierung10.
Im September 1944 mußte Finnland einen Waffenstillstand mit der Sowjetunion abschließen. Da
eine sowjetische Besetzung befürchtet wurde, sollten Personal, Gerät und Schlüsselmaterial der
finnischen Fernmeldeaufklärung nach Schweden gebracht werden. Das Verschiffen von 750
Personen und mehreren Tonnen Gerät nannte man die Operation Stella Polaris. Auf die
politischen Rückwirkungen dieser Geheimoperation in Finnland und Schweden kann nicht näher
eingegangen werden. Hier genügen diejenigen Fakten, die für den weiteren Verlauf der
Entschlüsselungsversuche im Rahmen von Venona von Bedeutung waren11. Am 10. Januar 1945
wurde das finnische Geheimmaterial an die FRA12, die schwedische Fernmeldeaufklärung
verkauft. Die finnischen Geheimdienst-Offiziere Hallamaa und Paasonen emigrierten zuerst nach
Frankreich, später in die USA. Insgesamt wurde der sechsfache Verkauf von PetsamoKodebüchern nachgewiesen:
- An die schwedische FRA (siehe oben)
- An den französischen Geheimdienst, vermutlich über Paasonen
- An Japan und Deutschland aufgrund der finnischen Zusammenarbeit mit diesen Mächten
- An das englische GCHQ13, genannt “source 267“
- An die amerikanische OSS14 in Stockholm.
Wegen einer skurrilen Kontroverse zwischen dem US-Außenminister Stettinus und dem OSSChef „Wild Bill“ Donovan kamen die aufgekauften Petsamo-Kodebücher niemals bei den
Schlüsselspezialisten in Arlington Hall an. Präsident Roosevelt hielt die Bespitzelung der
Sowjetunion für überflüssig. Er entschied sich für die gleichartige Auffassung von Stettinus und
so wurden die Kodebücher und weiteres Spruch- und Schlüsselmaterial am 15. Februar 1945 an
den sowjetischen Botschafter Andrej Gromyko in Washington zurückgegeben. Trotzdem
erhielten die amerikanischen Dekodierer die sowjetischen Kodebücher, aber erst sehr viel später
und auf Umwegen über Deutschland.
Die TICOM Operationen in Deutschland 1945
Beim GCHQ wurden gegen Ende des Krieges britisch-amerikanische Gruppen, genannt Target
Identification Commitee (TICOM), gebildet, um deutsche Schlüsselunterlagen, insbesondere vor
den russischen Truppen zu sichern. Die Gruppe TICOM 6 entdeckte am 12. April 1945 auf
Burgscheidungen, dem Familiensitz des Grafen von der Schulenburg in Sachsen die Akten der
Balkanabteilung des Auswärtigen Amtes. Die Unterlagen wurden nach England geflogen und
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alle Spuren beseitigt, bevor die Russen am 23. Juni 1945 einmarschierten. Wegen der
Vermutung, daß die Deutschen hauptsächlich den US-Diplomatenverkehr bearbeitet hätten,
wurden die in den Aktenkisten ebenfalls vorhandenen Petsamo-Kodebücher erst später entdeckt
und an die Schlüsselspezialisten von SSA und GCHQ weitergegeben. Damit wurde es möglich,
die KGB - und die diplomatischen Sprüche der Sowjets vor 1943 zu entschlüsseln.
Organisation und Ergebnisse
Bis 1945 arbeiteten die amerikanischen Teams der SSA weitgehend alleine. Ab 1946 wurde die
parallele Arbeit mit der englischen Gruppe in Eastcote, einem Ableger von GCHQ in
Cheltenham, koordiniert. In Eastcote arbeiteten etwa 10 Dechiffrierer, in Arlington Hall etwa
125 Mitarbeiter, davon 10 – 15 an den KGB-Sprüchen, die für das Enttarnen der sowjetischen
Spione durch den FBI so bedeutend wurden. Es herrschte strengste Geheimhaltung und
Kompartmentierung der Arbeit, was die Zusammenarbeit mit anderen an der Spionageabwehr
beteiligten Organisationen sehr erschwerte oder gar verhinderte. Von 750.000 abgefangenen
Sprüchen aus den Jahren 1941 - 1948 wurden etwa 2900 ganz oder teilweise entschlüsselt. 2
Millionen OTP-Seiten mit Zufallszahlen wurden nach Duplikaten untersucht, es wurden etwa
70.000 Duplikate gefunden. 1954 begannen die Amerikaner das Programm zu reduzieren. Die
mißtrauischeren Engländer arbeiteten weiter und hatten 1957 und 1962 neue, besondere Erfolge.
1980 wurde die Arbeit an Venona eingestellt. 1995 wurden die Unterlagen durch die CIA für die
Forschung freigegeben.
Die Folgen von Venona
Erst 1952 wurde die CIA-Spionageabwehr über die Ergebnisse von Venona unterrichtet. Der
CIA-„Maulwurfjäger“ James Angleton organisierte ab 1954 die weltweite Spionageabwehr
weitgehend mit Hilfe von Venona. Es gelang, die komplette KGB-Organisation und Struktur in
den USA zu rekonstruieren. Es gab 24 KGB-Offiziere, die unter diplomatischem oder anderem
Deckmantel die entsprechenden Agenten führten. Die besondere Zentren der Spionageaktivitäten
befanden sich in San Francisco, Washington, DC und New York. 115 Bürger der USA wurden
als Spione überführt und vor Gericht gestellt. 100 Spione blieben unentdeckt. Der Geheimdienst
der USA während des Zweiten Weltkriegs, das OSS, war durch die sowjetische Spionage
weitgehend unterwandert worden.
Die Sowjetunion wußte vermutlich ab 1944 mit Hilfe von Kim Philby und William Weisband
über den amerikanischen Schlüsseleinbruch Bescheid. Während der Verrat von Philby schon seit
längerem bekannt ist, wurde derjenige von William W. Weisband, einem naturalisierten
Amerikaner und Sprachspezialist für Russisch beim SSA, erst durch die Deklassifizierung der
Venona-Ergebnisse offensichtlich. Weisband wurde trotz seines Verrats in den 50er-Jahren nicht
vor Gericht gestellt, um Venona nicht zu kompromittieren. Die Spionin Judith Coplon, eine
Angestellte im Justizministerium, schützte durch ihre Warnungen wichtige sowjetische Agenten
vor der Verhaftung. Sie wurde zwar zu bis zu 10 Jahren verurteilt, das Urteil wurde jedoch im
Revisionsverfahren wegen illegalen Telefonabhörens des FBI aufgehoben. Auch in diesem Fall
durfte das eindeutige Venona-Material vor Gericht nicht benutzt werden.
Weil Venona als Quelle nicht genannt werden konnte, gestalteten sich die meisten
Gerichtsverfahren wegen Spionage, wie auch die öffentliche Diskussion darüber, als sehr
kontrovers. Von den liberalen politischen Kräften wurde eine Argumentationslinie verfolgt, die
grundsätzlich in Frage stellte, ob die Behauptung der kommunistischen Unterwanderung
überhaupt stimmte. Diese Diskussion wurde während der Anhörungen im Kongress durch den
Senator Joseph McCarthy zusätzlich verschärft, weil dieser durch seine zum Teil haltlosen
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Beschuldigungen die Suche nach den Kommunisten und Spionen in der staatlichen
Administration diskreditierte. Die Aussagen der ehemaligen Spionin Elizabeth Bentley am 31.
Juli 1948 vor dem Repräsentantenhaus-Ausschuß über unamerikanische Beziehungen belasteten
Harry Dexter White (Unterstaatssekretär im Treasury Department) und Lauchlin Currie
(Referent im Weißen Haus), diejenigen von Wittaker Chambers (Herausgeber von TIME) am 3.
August 1948 zeigten auf Alger Hiss (State Department) und erneut Harry Dexter White als
Sowjet-Spione. Im Juli 1948 wurden der Vorsitzende und 11 weitere Vorstandsmitglieder der
amerikanischen kommunistischen Partei USCPA verhaftet und ebenfalls vor Gericht gebracht.
Operation Enormoz
Operation Enormoz war der sowjetische Deckname für die Spionage gegen das ManhattanProjekt. Viele der Wissenschaftler, die sich als Spione anheuern ließen, waren entweder
Mitglieder der Kommunistischen Partei oder handelten aus der Überzeugung, daß die USA kein
Monopol bei den Atomwaffen besitzen dürfe. Durch die Weitergabe der Atom-Geheimnisse
sollte dem bedrängten Alliierten geholfen werden. Der wissenschaftliche Leiter des ManhattanProjekts, J. Robert Oppenheimer, war wahrscheinlich ein Spion unter dem Decknamen „Bill of
Exchange“. Seine Familienangehörigen waren alle Mitglieder der kommunistischen Partei. Julius
und Ethel Rosenberg wurden nach einem quälenden Gerichtsverfahren am 19. Juni 1953
hingerichtet. Klaus Fuchs, der aus Deutschland nach England emigriert war und von dort für das
Manhattan-Projekt nach USA abgestellt wurde, wurde zu 15 Jahre Gefängnis verurteilt und
emigrierte nach der Haftverbüßung in die DDR. David Greenglass, ein Bruder von Ethel
Rosenberg wurde zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt. Einzig der Hauptverräter Theodore A.
Hall15 wurde nicht angeklagt, weil erneut die Venona-Ergebnisse nicht kompromittiert werden
sollten. In seinen Memoiren äußerte er sich später in einer Form, die als ein Teilgeständnis
gewertet werden konnte und erklärte sein Verhalten aus den naiven Überzeugungen eines
jungen, unerfahrenen Wissenschaftlers. Am 29. August 1949 explodierte der erste sowjetische
Sprengsatz. Es wird geschätzt, daß der fast identische Nachbau der amerikanischen Atombombe
vom Typ „fat man“ durch die sowjetische Spionage erst ermöglicht und um mindestens 2 Jahre
beschleunigt wurde.
Netzwerke in angelsächsischen Ländern
Das Londoner Netzwerk der GRU, die sogenannte X-Gruppe mit u.a. den einflußreichen
Mitgliedern Prof. J.B.S. Haldane und Lord Ivor Montagu blieb während des Krieges unentdeckt.
Von dem berüchtigten Cambridge-Spionagering „The Famous Five“ wurde nur John Cairncross
vor Gericht gestellt und verurteilt. Obwohl Venona die Spionageabwehr auf ihre Spur brachte,
gelang Guy Burgess und Donald McLean wenige Tage vor ihrer Entdeckung die Flucht im Mai
1951, Kim Philby floh im Januar 1963, Anthony Blunt bekam Straffreiheit und sagte als
Kronzeuge im April 1964 u.a. gegen Cairncross aus. Ein Venona-Text von 1941 wurde erst 1962
entschlüsselt. Er enthielt einen originalen Ultra-Spruch und wies damit auf einen Spion im
GCHQ hin. Durch das Geständnis von Anthony Blunt wurde 1964 Leo Long vom ehemaligen
MI-1416 enttarnt, der auf der Verteilerliste von Ultra gestanden hatte. Außerdem konnte mit Hilfe
von Venona nachgewiesen werden, daß der tschechische Präsident Eduard Beneš während seines
Exils in London als sowjetischer Spion tätig war.
Zusammenfassung
Aus Gründen, die im gesellschaftlichen, ideologischen, und technologisch-wirtschaftlichen
Bereich lagen, stützten sich die USA mehr auf die Fernmeldeaufklärung (SIGINT), die UdSSR
mehr auf die Spionage (HUMINT) ab. In den offenen und freien Gesellschaften des Westens war
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es sehr viel leichter, Spione anzuwerben und agieren zu lassen als in den Polizeistaaten des
Ostens. Dagegen gab die technische Aufklärung den technologisch und wirtschaftlich
überlegenen USA die Möglichkeit, im Wettstreit um nachrichtendienstliche Informationen
gleichzuziehen oder gar einen Vorsprung zu gewinnen.
Die Informationen aus den entschlüsselten Venona-Sprüchen boten der angelsächsischen
Spionageabwehr die entscheidende Hilfe zum Aufdecken der sowjetischen Spionage, besonders
beim Manhattan-Projekt. Allerdings haben die mangelhafte Koordination zwischen FBI, CIA
und NSA schnellere und durchgreifendere Erfolge verhindert. Wenn es um die gezielte
Auswertung und effiziente Koordination nachrichtendienstlicher Ergebnisse geht, scheint sich
die Geschichte im negativen Sinne zu wiederholen, sei es beim japanischen Überfall auf Pearl
Harbour, dem Beginn des Korea-Kriegs oder dem Terroranschlag vom 11. September 2001.
Die Venona-Ergebnisse haben zwar nur das Zeitfenster 1941 – 46 geöffnet und das auch nur mit
mehrjähriger Verzögerung, jedoch wurde vielen, allerdings nicht allen angelsächsischen
Politikern ihre aus der Roosevelt-Administration stammende Illusion über den sowjetischen
Staat und ihre Führer genommen.
Bei der inhaltlichen Auswertung stellte sich heraus, daß die Beweiskraft eines ganz oder nur
teilweise entschlüsselten Venona-Spruchs erhebliche Lücken aufweisen kann. Die Historiker
haben noch viel aufzuarbeiten, um zweifelhafte Fälle, wie die behauptete Spionage von J. Robert
Oppenheimer17 oder des Schriftstellers Heinrich Mann18 aufzuklären.
Mit Ausnahme von Venona ist bisher kein Archivmaterial über die Fernmeldeaufklärung und die
Schlüsseleinbrüche aus der Zeit des Kalten Krieges freigegeben worden. Mit der kurzen
Ausnahme unmittelbar nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991, sind auch die
russischen Archive wieder verschlossen. Sie erlauben daher weder einen Vergleich mit den
Original-Sprüchen, noch die genaue Erforschung der zweifelhaften Fälle durch den Vergleich
der angelsächsischen mit der sowjetischen Sicht.
Aus Sicht der historischen Forschung ist zu hoffen, daß sich die Bundesregierung endlich dazu
durchringt, die notwendigen Gelder freizugeben, damit die geschredderten Stasi-Akten, genauer
diejenigen der Hauptabteilung Aufklärung, wieder lesbar gemacht werden können. Die Parallele
zu Venona drängt sich auf, denn es geht nicht nur um die Enttarnung der westlichen Spione,
sondern auch um Erkenntnisse über die Fernmeldeaufklärung und Dechiffrierung in der
ehemaligen DDR.
Venona beweist einmal mehr, daß auch ein „absolut sicheres“ Schlüsselverfahren geknackt
werden kann, wenn menschliches Fehlverhalten Ansätze für den Schlüsseleinbruch liefert. So
wird der Wettbewerb zwischen sicheren Schlüsselverfahren und neugierigen Dechiffrierern
weitergehen, wenngleich hierzu neben Genie und Geduld sehr viel Ressourcen und
Stehvermögen erforderlich sind.
1
Die Signalaufklärung (englisch: signal intelligence oder SIGINT) unterteilt sich in die Fernmeldeaufklärung
(englisch: communications intelligence oder COMINT) und die Aufklärung elektronischer Signale von z.B. Radar,
Telemetrie oder Satelliten (englisch: electronic intelligence oder ELINT)
2
Ein Gegenbeispiel liefert der Zufallsfund von David Alvarez, Behind Venona: American Signals Intelligence in the
Early Cold War, Intelligence and National Security, Vol. 14, No. 2 (Summer 1998), S. 179 - 186
3
Venona ist ein Kunstwort ohne jegliche weitere Bedeutung
4
Die Übersetzungen der entschlüsselten sowjetischen Nachrichten können im Internet abgerufen werden
http://www.nsa.gov:8080, siehe auch die gedruckte Version von Robert L. Benson, Michael Warner (eds.), Venona
– Soviet Espionage and the American Response 1939 – 1957, NSA and CIA, Washington, DC 1996
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Der sowjetische Geheimdienst wurde ständig umorganisiert und hieß NKVD (1934 – 1943), NKGB, MGB, KI,
MVD (1943 – 1954), der letzte Name war KGB (Kommittee für Staatssicherheit, 1954 – 1991). Aus Gründen der
besseren Verständlichkeit wird in dieser Darstellung durchgehend der letzte Name KGB verwandt
6
GRU ist der sowjetische militärische Nachrichtendienst
7
Das OTP-Verfahren benutzt einen nur einmal eingesetzten Zufallsschlüssel mit einer Zeichenfolge, die der Länge
der zu versendenden Nachricht entspricht. Die Zufallszahlen sind auf den Seiten eines Schreibblocks (englisch: pad)
angeordnet. Da jede Seite nur einmal benutzt werden darf, ergibt sich der Name des OTP-Verfahrens (englisch: one
time). Das Generieren und Verteilen der Zufallsschlüssel ist jedoch kompliziert und der Arbeitsaufwand beim Verund Entschlüsseln ist enorm. Dieses OTP-Verschlüsselungsverfahren ist in der Theorie absolut sicher und nicht zu
brechen
8
die nachfolgende Darstellung orientiert sich an Nigel West, Venona – The Greatest Secret of the Cold War, Harper
Collins, London 1999
9
Die SSA wurde umbenannt in Army Security Agency (ASA), dann in Armed Forces Security Agency (AFSA), seit
1946 in National Security Agency (NSA)
10
Es handelt sich um die folgenden Kodes:
- diplomatischer Kod-26
- Pobeda (Victory) Kode des NKVD; ab Oktober 1943 genannt Kode 075-B
- GRU Kode
- Marine-GRU Kode
11
C. G. McKay, Bengt Beckman, Swedish Signal Intelligence 1900 – 1945, Frank Cass Publishers, London und
Portland, Oregon, 2003, S. 209 - 212
12
FRA bedeutet “Radio Agentur der schwedischen Verteidigung”
13
GCHQ bedeutet Government Communications Headquarter, die englische Fernmeldeaufklärung
14
Das Office of Strategic Services (OSS) ist der amerikanische Geheimdienst während des Zweiten Weltkrieges.
Die Organisation wurde von Präsident Truman am 20. September 1945 aufgelöst, um unter dem Druck der
Ereignisse am 22. Januar 1946 als Central Intelligence Group neu gegründet zu werden. Daraus wurde am 26. Juli
1946 die Central Intelligence Agency (CIA)
15
siehe hierzu Joseph Albright, Marcia Munstel, Bombshell. The Secret Story of America’s Unknown Atomic Spy
Conspiracy, Times Books, New York, 1997
16
MI-14 war die Abteilung, die sich mit der “German Order of Battle” befaßte
17
CWIHP e-Dossier No. 11, Was Oppenheimer a Soviet Spy? A Roundtable Discussion with Jerrold and Leona
Schecter, Gregg Herken and Hayden Peak, im Internet abgerufen http://cwihp.si.edu
18
siehe hierzu John Earl Haynes, Harvey Klehr, Venona. Decoding Soviet Espionage in America, Yale University
Press, New Haven, London 1999 und das Venona-Dokument No. 445
5
Venona, 13.05.16
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