Berlin - von der Viermächtekontrolle zur geteilten Stadt Einleitung Berlin, die Hauptstadt des Deutschen Reiches, war eine der größten Industriestädte Europas gewesen und zählte 1939 4,3 Millionen Einwohner. In den Trümmern, die der Zweite Weltkrieg hinterlassen hatte, lebten 1948 noch 3,2 Millionen. Nach den alliierten Absprachen von 1944 wurde Berlin von den Siegermächten gemeinsam regiert, das heißt, die Stadt war in vier Sektoren geteilt, in denen jeweils ein Stadtkommandant namens der Sowjetunion, Großbritanniens, der USA und Frankreichs die Machtbefugnisse ausübte. Unter deren Hoheit arbeiteten deutsche Bezirksbürgermeister, der gesamtberliner Magistrat und der Bürgermeister mit seinen Stellvertretern. Nachdem die Rote Armee Ende April 1945 Berlin erobert hatte, waren Anfang Juli vereinbarungsgemäß amerikanische und britische Truppen eingerückt und hatten von ihren Sektoren Besitz ergriffen. Die Franzosen folgten am 12. August. Die Garnisonen der drei Westmächte bestanden insgesamt aus etwa 6500 Soldaten. Im sowjetischen Sektor waren 18 000 Rotarmisten stationiert. An Konflikt und Konfrontation unter den Siegern dachte man nicht, als der Alliierte Kontrollrat, die Regierungsinstanz für ganz Deutschland, in Berlin etabliert wurde, als die alliierte Kommandantur, das Gremium der vier Stadtkommandanten, zusammentrat und als die obersten Instanzen der vier Militärregierungen für Deutschland in Berlin ihre Arbeit aufnahmen. Auch über die Regelung der Zugangsrechte und Zugangswege für die westlichen Alliierten nach Berlin, das ringsum von sowjetischem Besatzungsgebiet umschlossen war, hatte nach der Kapitulation Deutschlands niemand nachgedacht. Die Präsenz der Westmächte war ja fest vereinbart, und Absprachen und Beschlüsse wollten die Sieger des Zweiten Weltkriegs über Deutschland ebenso gemeinsam treffen wie über seine Hauptstadt. Lediglich die Luftverbindungen nach Berlin durch drei "Korridore" von Hamburg, Bückeburg (Hannover) und Frankfurt am Main aus waren im November 1945 durch ein Viermächteabkommen geregelt worden. In einer Reihe von Fragen waren die Interessenunterschiede allerdings von Anfang an unverkennbar. Die räumliche Nähe der vier Siegermächte in Berlin bewirkte, dass Konflikte in vielen Fällen früher einsetzten und heftiger ausfielen als in und zwischen den jeweiligen Besatzungszonen. Zu ernsthaften Auseinandersetzungen kommt es im Frühjahr 1946. Auf sowjetischen Druck hin vereinigen sich in der SBZ und im Ostsektor Berlins KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, SED. Die SPD in den Westsektoren widersetzt sich dieser Fusionierung. Ein halbes Jahr später, am 20. Oktober 1946, zeigen die ersten und auf lange Zeit einzigen freien Wahlen in ganz Berlin, wie die Kräfte verteilt sind: Die SPD erringt 48,7 % der abgegebenen Stimmen, die CDU 22,2 %, die SED 19,8 % und die LDP 9,3 %. In den folgenden Monaten und Wochen verschärfen sich die Konflikte vor allem deshalb, weil die SED eine weit gewichtigere Rolle im politischen Leben beansprucht und mit Hilfe der sowjetischen Besatzungsmacht verwirklicht, als von den Wählern vorgesehen. Der erste gewählte Oberbürgermeister von Berlin, Otto Ostrowski (SPD), bemüht sich zwar um eine Entkrampfung des Verhältnisses zur SED, aber die Mehrheit der SPD in den Westsektoren ist gegen diese Politik. Das führt im März 1947 zum Rücktritt Ostrowskis. Drei Monate später stellt die SPD Ernst Reuter als Kandidaten für die Wahl des Oberbürgermeisters auf. Reuter wird zwar von der Mehrheit der Stadtverordnetenversammlung gewählt, aber der sowjetische Stadtkommandant verhindert seinen Amtsantritt mit einem Veto in der Alliierten Kommandantur. Dieses Beispiel zeigt, dass es den Deutschen — trotz aller guten Vorsätze — ebenso wenig wie den Alliierten gelingt, sich auf eine gemeinsame Politik oder wenigstens auf gemeinsame „Spielregeln” zu einigen. Blockade Mit dem Frühjahr und Frühsommer 1948 erreicht der Konflikt eine neue Ebene. Am 20. März 1948 sprengt der sowjetische Militärgouverneur den Alliierten Kontrollrat für Deutschland. In ähnlicher Weise verlässt am 16. Juni der sowjetische Vertreter unter einem Vorwand die Stadtkommandantur und lähmt damit das interalliierte Gremium als ViermächteKontrollorgan für ganz Berlin. Der Hintergrund der sich anschließenden Berlinkrise ist die Währungsreform in den Westzonen. Nach dem Scheitern monatelanger Verhandlungen der westlichen Alliierten mit den Sowjets über eine neue gesamtdeutsche Währung wird schließlich am Abend des 18. Juni in den Westzonen die für Sonntag, den 20. Juni, bevorstehende Einführung der D-Mark angekündigt. Dies zwingt den sowjetischen Militärgouverneur Marschall Sokolowski zum Handeln, denn die Weitergeltung des alten Geldes in Berlin hätte bedeutet, dass die Sowjetzone mit der in den Westzonen wertlos gewordenen Reichsmark überschwemmt worden wäre. Er bezieht Gesamtberlin in die ostzonale Währungsreform ein, die als Reaktion auf das westliche Vorgehen am 23. Juni 1948 in Kraft tritt. In den drei westlichen Sektoren Berlins sollte also die D-Mark verboten sein. Eine Sondersitzung der Berliner Stadtverordneten beschäftigt sich am 23. Juni mit dem Problem. Demonstrationen im und um das im Ostsektor liegende Stadthaus stören die Beratungen. Sie waren von der SED organisiert worden, um das Stadtparlament unter Druck zu setzen. Trotzdem wurde der Beschluß gefaßt, dass in den Westteilen Berlins das westliche Geld gültig sein würde. Die Reaktion der sowjetischen Seite erfolgte unmittelbar. Kurz vor Mitternacht des 23. Juni gingen in West-Berlin die Lichter aus. Die Elektrizitätsversorgung war vom Osten aus eingestellt worden. Sie funktionierte in den folgenden Monaten nur sporadisch, ganz nach der Willkür der sowjetischen Instanzen, in deren Machtbereich die Kraftwerke, die Berlin versorgten, lagen. Am folgenden Tag, um sechs Uhr morgens, kam auch der gesamte Eisenbahnverkehr nach Berlin zum Stillstand, dann wurde die Binnenschiffahrt unterbunden. Gleichzeitig werden die Lebensmittellieferungen aus der sowjetischen Besatzungszone für die Westsektoren Berlins eingestellt. West-Berlin war Insel geworden, dem Westen gegenüber vollständig blockiert von der sowjetischen Besatzungsmacht. Als einziger Zugang blieben die drei Luftkorridore. Luftbrücke Die Versorgung des Westteils der Stadt konnte ab dem 24. Juni 1948 nur noch durch die Luft erfolgen. Damit begann eine der größten Anstrenungen in der Geschichte der Luftfahrt, die "Luftbrücke". Treibende Kraft der Aktion war der amerikanische General Clay. Clay erkannte als einer der Ersten, dass der Berlin-Politik bei der Entscheidung über die künftige Gestalt Deutschlands und Europas eine außerordentliche Symbolkraft zukam. Zugespitzt hieß das: Wenn die Amerikaner Berlin halten, dann bleiben sie auch in Europa. Sollten sie jedoch Berlin den Sowjets überlassen, so würde das einen langfristigen Vertrauensverlust bei den Westeuropäern und wahrscheinlich eine unkalkulierbare Destabilisierung des alten Kontinents zur Folge haben. Das eingeschlossene Berlin wurde in den folgenden Monaten von den westlichen Alliierten zum Symbol der Verteidigung von Freiheit und Demokratie erklärt. Während die Westmächte Protestnoten nach Moskau schickten, die Westberliner in Demonstrationen ihren Willen zum Ausharren bekundeten, perfektionierten die britische Royal Air Force und die amerikanischen Luftstreitkräfte ihre Operationen und flogen nach einem generalstabsmäßig ausgearbeiteten Plan von neun Flugplätzen in Westdeutschland aus ununterbrochen Lebensmittel, Kohle, Maschinen, Ausrüstungen und alle anderen Güter des täglichen Bedarfs nach Berlin. In Berlin stehen für die Luftbrücke die Flughäfen Tempelhof im amerikanischen Sektor und Gatow im britischen Sektor zur Verfügung. Mitte Juli beschließen die Westmächte den Bau eines dritten Flugplatzes im französischen Sektor in Tegel. Die Transportmaschinen landeten im Drei-Minuten-Abstand in Berlin, wurden in aller Eile entladen und flogen zurück, um weiteres Material zu holen. Auf dem Höhepunkt des Unternehmens fliegen zwei Gruppen von Maschinen rund um die Uhr in vier sechsstündigen Blocks nach Berlin. Verpasst ein Pilot den richtigen Anflug, muss er durchstarten und mit der gesamten Ladung zurückfliegen, für einen zweiten Landeanflug ist keine Zeit. Für die Besatzungen und das Bodenpersonal ist die Luftbrücke eine Strapaze. Vor allem die Piloten kämpfen gegen ihre ständige Übermüdung. Knapp 500 Flugzeugbesatzungen sind bei der Luftbrücke im Einsatz. Zwei Drittel der eingeflogenen Transportgüter sind Kohlen, ein Viertel Lebensmittel und der Rest Rohmaterialien. Sperriges Gut, wie Fahrzeuge oder das Kraftwerk „Reuter”, wie es nach dem Tod des Oberbürgermeisters benannt wird, werden vor dem Verladen zerlegt und in West-Berlin wieder zusammengesetzt. Auf dem Rückweg transportieren die Flugzeuge in West-Berlin hergestellte Industriegüter. Im Propagandakrieg gegen die sowjetische Seite waren die Rekorde der Luftbrücke eindrucksvolle Waffen. Trotzdem war die Lage in West-Berlin kläglich. Der tägliche Bedarf der West-Berliner Wirtschaft an Gütern betrug vor der Blockade rund 4.000 t. Ein Notplan veranschlagt, dass mit 1.600 t täglich die wichtigsten Produktionszweige weiterarbeiten können. Da aber Lebensmittel und Kohle die wichtigsten Transportgüter der Luftbrücke sind, bleiben für die Wirtschaft oft weniger als 100 t. Die Folge: Nach dem Kriegsende ist die Industrieproduktion Berlins halb so groß wie 1936, während der Blockade sinkt sie noch einmal um 50 Prozent. Durch die blockadebedingten Stilllegungen vieler Firmen und durch drastische Produktionseinschränkungen steigen die Arbeitslosenzahlen von Juni 1948 bis Mai 1949 um 250 Prozent. Das sind fast 15 Prozent der erwerbstätigen Bevölkerung. Hinzu kommen 50.000 bis 70.000 Kurzarbeiter. Auch wegen des Energiemangels kann nur wenig produziert werden, und selbst die eindrucksvollsten Leistungen der Luftbrücke erbringen gerade das Bedarfsminimum der 2,1 Millionen Westberliner. Drastische Einsparungen werden nötig. U- und Straßenbahnen schränken ihren Verkehr ein. Strom und Gas für die Haushalte gibt es täglich nur noch für zwei bis vier Stunden. Kochen, Bügeln und andere Hausarbeiten werden vielfach in die Nachtstunden verlegt. Am härtesten trifft die Berliner die karge Versorgung mit Lebensmitteln. Es mangelt weniger an den Grundnahrungsmitteln als an frischem Obst, Gemüse und Fleisch. Die meisten Berliner gehören zur Lebensmittelkartengruppe III. Ihre tägliche Ration besteht aus: 400 Gramm Brot 50 Gramm Nährmittel 40 Gramm Fleisch 30 Gramm Fett 40 Gramm Zucker 400 Gramm Trockenkartoffeln 5 Gramm Käse „Wir Blockierten hungern nicht”, sagt ein Berliner, „aber wir sind ständig hungrig.” Kein Wunder, dass der Schwarzmarkt blüht. Wer etwas Brauchbares zu tauschen hat, der kann am Bahnhof Zoo und rund um die Gedächtniskirche oder am (an der Grenze dreier Besatzungszonen gelegenen) „Dreiländereck” Potsdamer Platz Butter, Schokolade und andere Kostbarkeiten erstehen —wenn er nicht von der Polizei erwischt wird. Im Juli 1948 erklären sich die Sowjets dazu bereit, die Versorgung West-Berlins zu übernehmen. Zwischen dem 26. Juli und dem 3. August können sich Bewohner der Westsektoren in Geschäften und Kartenstellen im Ostsektor — unter Vorlage ihres abzustempelnden Ausweises anmelden, um Lebensmittelkarten zu beziehen. Aber die sowjetische Militärverwaltung scheitert mit ihrer Absicht, die West-Berliner für sich zu gewinnen. Nur wenig mehr als ein Prozent lassen sich im August im Ostsektor eintragen, um in den Genuss der allerdings nur geringfügig höheren Rationen zu kommen, im Herbst und Winter steigt die Zahl über drei Prozent. Zur Symbolfigur für den Widerstand der Westberliner gegen die sowjetische Blockade wurde der gewählte, aber von sowjetischer Seite nicht im Amt bestätigte Berliner Bürgermeister Ernst Reuter. Als sich im Herbst 1948 die Tumulte im gesamtberliner Magistrat häufen, rufen nach heftigen Auseinandersetzungen SPD, CDU, LDI und die Unabhängige Gewerkschaftsorganisation am 6. September zu einer Kundgebung auf dem Platz der Republik auf. Vor mehr als 300.000 Berlinern hält Ernst Reuter vor der Ruine des Reichstagsgebäudes seine berühmteste Rede, in der er die Westmächte auffordert, das eingeschlossene Westberlin nicht fallen zu lassen: „Ihr Völker der Welt, ihr Völker in Amerika, in England, in Frankreich, in Italien! Schaut auf diese Stadt und erkennt, dass ihr diese Stadt und dieses Volk nicht preisgeben dürft und nicht preisgeben könnt! ... Wir haben unsere Pflicht getan, und wir werden unsere Pflicht weiter tun. Völker der Welt. Tut auch ihr eure Pflicht und helft uns in der Zeit, die vor uns steht, nicht nur mit dem Dröhnen eurer Flugzeuge, nicht nur mit den Transportmöglichkeiten, die ihr hier herschafft, sondern mit dem standhaften unzerstörbaren Einstehen für die gemeinsamen Ideale, die allein unsere Zukunft und die auch allein eure Zukunft sichern können. Völker der Welt, schaut auf Berlin! Und Volk von Berlin, sei dessen gewiss, diesen Kampf, den wollen, diesen Kampf, den werden wir gewinnen!". Am 6. September tagt die Stadtverordnetenversammlung zum ersten Mal im britischen Sektor, im Westteil der Stadt. Nur knapp drei Monate später, am 30. November erklärt eine von der SED einberufene „Außerordentliche Stadtversammlung”, die in der Staatsoper im Admiralspalast im Ostsektor zusammentritt, den Magistrat von Groß Berlin für abgesetzt. Gleichzeitig beschließt er die Bildung eines „provisorischen demokratischen Magistrats.” Am folgenden Tag verlegen SPD, CDU und LPD den Magistrat endgültig nach West-Berlin. Damit ist die Spaltung des Stadtparlaments vollzogen. Teilung Spätestens im Herbst 1948 muss der sowjetischen Regierung klar werden, dass die Blockade ein Fehlschlag ist. Sie hat keines ihrer Ziele erreicht– im Gegenteil: die Westmächte haben nach einem mühevollen Abstimmungsprozess im Sommer 1948 einen Konsens über ihre Deutschland- und Berlin-Politik gefunden. Die Blockade hat die Vorbereitungen zur Gründung des Weststaates nicht verlangsamt, sondern beschleunigt. Die Westmächte haben sich nicht aus Berlin zurückgezogen, sondern die Krise hat ihre Position in der ehemaligen Reichshauptstadt gestärkt. Der drohende Vertrauensverlust der Westeuropäer gegenüber den Vereinigten Staaten, wegen der Befürchtungen eines amerikanischen Rückzuges aus Berlin, Deutschland und Europa ist abgewendet und hat die Stellung der Amerikaner als westliche Führungsmacht erheblich gestärkt. Schließlich hat sich die in vielfacher Hinsicht als fragwürdig erscheinende Luftbrücke wider Erwarten als erfolgreich erwiesen. Vor diesem Hintergrund bleibt fraglich, warum die Sowjetunion die Blockade nicht schon im Spätherbst 1948 abbricht. Erst am 12. Mai 1949 wurde die Blockade nach Verhandlungen der Alliierten und einem Viermächte-Abkommen beendet. Der Jubel der Berliner, mit dem der erste LKW und der erste Eisenbahnzug aus dem Westen empfangen wurden, konnte freilich niemanden darüber hinwegtäuschen, dass Berlin nach der Blockade eine geteilte Stadt blieb. Die Blockade Berlins und die Teilung der Stadt bildeten außerdem den dramatischen Hintergrund der Gründungsakte des Weststaats. Die Abriegelung der ehemaligen Reichshauptstadt durch die sowjetische Besatzungsmacht bestärkte die Politiker der westlichen Besatzungszonen in ihrem Entschluss, das Angebot der westlichen Alliierten zur Gründung eines Weststaats - der Bundesrepublik Deutschland - anzunehmen, und half ihnen, die Skrupel gegenüber der damit verbundenen Teilung Deutschlands zu überwinden. Textquellen: - Cyrill Buffet und Uwe Prell: Stabilität und Teilung. Die Berlin-Krise 1948/49 – Auftakt zum Kalten Krieg in Europa. In: Uwe Prell, Lothar Wilker (Hg.): Berlin-Blockade und Luftbrücke 1949/49. Berlin 1987. S. 13-58. - Wolfgang Benz: Berlin – Von der Viermächtekontrolle zur geteilten Stadt. In: Bundeszentrale für Politische Bildung: Deutschland 1945-1949 - Besatzungszeit und Staatengründung (= Informationen zur Politischen Bildung Heft 259).