Frauengottesdienst am 9.2.2001, 19 Uhr, St. Stephan Plädoyer für Anna Im Mittelpunkt unseres heutigen Gottesdienstes steht Anna, die Mutter der Maria, Großmutter von Jesus. Auf dem Bild sehen wir die berühmte Darstellung der „Heiligen Anna Selbdritt“ – Anna, Maria und das Jesuskind – von Tilman Riemenschneider. Wer war diese Anna? Was wissen wir von ihr? Was sagt die Bibel? Ernüchternde Antwort: nichts. Anna kommt in der Bibel nicht vor. All die vielen Annenlegenden, die sich in der Volksfrömmigkeit erhalten und die Kunstgeschichte vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jh. beeinflusst haben, stützen sich auf eine Schrift: das apokryphe Jacobus-Evangelium, das um 150 entstanden und nicht in den biblischen Kanon aufgenommen ist. Auch die kürzlich verstorbene Feministin Erika Wisselinck hält sich in ihrem Roman „Anna im goldenen Tor“ eng an diese Vorlage. Der reiche Herdenbesitzer Joachim fühlt sich sozial und religiös im Abseits, weil er keine Nachkommen hat. Er geht in die Wüste, fastet und betet. In seiner Abwesenheit beweint seine Frau Anna ihre Kinderlosigkeit, beneidet die Vogelmutter im Lorbeerbaum um ihre Jungen. Im Roman von Wisselinck besucht sie allerdings noch eine weise Kräuterfrau, die viel über Empfängnis, Zyklen und Mondphasen weiß. Ein Engel verkündet ihr dann die Geburt eines Kindes, und Anna gelobt, dieses Kind dem Tempel zu weihen. Auch Joachim auf dem Feld hat eine Engelserscheinung. Er und Anna treffen sich am legendären goldenen Tor von Jerusalem. Ungewöhnlich für diese Zeit: Anna besteht nicht auf der Geburt eines Sohnes. Als Maria geboren ist, jubelt Anna : „Erhoben ist meine Seele.“ Maria wird vom 3. bis zum 12. Lebensjahr im Tempel erzogen und gehört zu den heiligen Jungfrauen, die den Purpurvorhang weben dürfen. Diese kleine Legende hatte eine große Wirkungsgeschichte. In zahllosen Kirchen und Kapellen verehrt, wird Anna zur „Mutter der Gottesgebärerin“, zur Patronin des Bergbaus und der Hebammen. Es war Luther, der in einer lebensbedrohlichen Situation ausrief: „Heilige Anna, hilf! Ich will ein Mönch werden.“ Wie kommt es, dass eine Gestalt, die in der Bibel gar nicht auftaucht, im christlichen Umfeld eine so starke Wirkung hatte? Werfen wir einen Blick zurück in die vorchristliche Mythologie. Sie war ja der Boden, auf dem die Legende wuchs. Zu unserer Überraschung finden wir Großmuttergöttinnen in reicher Zahl, mit sehr Anna-ähnlichen Namen. Da gibt es in Syrien Anatha, die Mutter der Mari; Anat in Kanaan und bei den Römern Anna Perenna, die Großmutter Zeit, Mutter der Äonen. Für die keltischen Iren bedeutete das Wort Ana soviel wie Mutter, Reichtum, Fülle, Schatz. Und Morgana war die unüberwindliche Königin des Todes. Was haben aber nun diese „heidnischen“ Göttinnen mit uns heute zu tun? Eine ganze Menge, denke ich. Im Mythos drückt sich aus, was sich in Generationen an Weisheiten und Erfahrungen angesammelt und konzentriert hat. Die ältere Frau der Vorzeit ist Lehrerin, Richterin und Beraterin, Pflegerin der Kranken, Trösterin der Sterbenden und Priesterin. Mit der Tochter zusammen verkörpert sie die Kontinuität weiblicher Tradition, die gemeinsame Sorge um das künftige Leben. Als Weise Alte zeigt sie die Untrennbarkeit von Werden und Vergehen, Leben und Tod. Der Blick auf die Großmutter Anna und ihre Vorläuferinnen ist ein Blick auf unsere gemeinsame Frauengeschichte, unabhängig davon, ob wir nun selbst schon Großmütter sind oder Mütter, Töchter, Enkelinnen. Kleine Zufallsentdeckung zum Schluss: In der brandaktuellen Hitliste der Mädchennamen vom Januar dieses Jahres steht hinter Maria und Marie an 3. Stelle die Anna. Immer schon Ich hatte es nur vergessen in all den Jahren: immer schon war ich der Baum, der Vogel, der Fluß. Verwurzelt in Großmutters Schoß ließ ich die Äste der Phantasie ins Blaue wachsen. Von ihrer Liebe gehalten flog ich zu den Wolken. Getragen von ihrer Märchenstimme floß ich talwärts ins Meer. Immer schon war ich der Baum, der Vogel, der Fluß. Ich hatte es nur vergessen in all der Zeit. Christa Mathies Frauengottesdienst 14.1.2005, 19.00 Uhr, St. Stephan "Schau nicht zurück!" Frau Lot und die Neugier Text 1. Version Frau Lot: Ich bin Lots Frau, und Sie fragen sich vielleicht, warum ich mich im letzten Moment umgedreht habe – wo doch die Rettung so nahe war und vor allem, wo doch unsere Fluchthelfer es so strikt verboten hatten. Diese Typen waren mir übrigens gleich suspekt. Hinten und vorn musst' ich sie bedienen, kochen und backen und servieren. Gradezu widerlich unterwürfig war Lot, wollte wohl als Gastgeber groß angeben. Aber was dann passierte, schlug dem Fass den Boden aus. Sie haben sicher davon gehört: Besoffene Randalierer haben uns die Tür eingerannt, haben unsere Gäste vielleicht für Strichjungen gehalten, weil sie gar so hübsch waren... Sagt mein Mann denen doch: "Das heilige Gastrecht dürft ihr nicht verletzen, nehmt dafür meine Töchter!" Können sie sich so etwas Entsetzliches vorstellen? Meine wunderbaren Mädchen, 12 und 14 sind sie jetzt, die ich mit so viel Liebe großgezogen habe, den Vergewaltigern auszuliefern? Wie würden Sie sich fühlen, Sie, die doch auch Mütter sind? Auch wenn es dann nicht dazu gekommen ist: in diesem Moment ist etwas in mir zerbrochen. All mein Vertreuen war zerstört. Ich wusste: er würde es wieder tun...und wieder...und wieder. Sein männliches Ehrgefühl, sein Renommée, sein Ansehen bei den anderen Männern waren ihm wichtiger und kostbarer als das Schicksal seiner Töchter. Lot, der einzig Gerechte in der Stadt? Dass ich nicht lache! Er war kein Jota besser als die anderen. Nein, ich konnte nicht mit ihm gehen. Mit diesem Mann gab es für mich keine Zukunft. Ich habe mich ja nicht umgedreht, weil das, was hinter mir lag, so schön gewesen wäre. Ich habe mich nur weggedreht aus Grauen vor der Zukunft. Immer habe ich getan, was er wollte. Dieses eine Mal habe ich NEIN gesagt. Nicht nach vorn, nicht zurück. Was blieb mir übrig, als zur Salzsäule zu erstarren? So stehe ich hier für alle Zeiten als ewiges Mahnmal für die Seelenqual einer Mutter. Gebet Gott, heilige Weisheit: Sei bei denen, die versteinert sind, erweiche sie, zeig ihnen den rettenden Weg. Hilf uns, uns zu versöhnen und zu vertöchtern mit unserer Vergangenheit, unsern Frieden zu machen mit dem, was hinter uns liegt. Schenke uns Neugier auf das, was vor uns liegt, Neugier auf andere Menschen, auf unbekannte Wege. Gib uns den Mut und die Kraft, die ersten Schritte zu tun in die Freiheit. Amen. Christa Mathies Freundin Gott – der Wert der Freundschaft Frauengottesdienst in St. Stephan am 11.5.2007 Meine Erfahrungen mit Freundinnen... ...waren sehr unterschiedlich, aber doch vorwiegend positiv. Der Anfang allerdings war dramatisch und verlustreich: Wir waren fünf Jahre alt und hatten einen Sommer lang miteinander gespielt, Zaun an Zaun. Sie hieß Urschi, lebte bei ihren Großeltern, unseren Nachbarn. Nie durfte sie zu uns rüber, nie hat man mich nach drüben eingeladen. Stundenlang standen wir am Zaun, erzählten uns was, schoben uns kleine Spielzeuge durch den Maschendraht. Eines Morgens war sie nicht mehr da, weg ohne Abschiedsgruß. Ich schrie mir die Seele aus dem Leib nach ihr. Viel später erfuhr ich, dass sie nach Kriegsende von ihren Eltern nach Norddeutschland zurückgeholt worden war. Mit 17 sahen wir uns kurz wieder – wir hatten uns nichts zu sagen. Aus der Schulzeit sind mir zwei Freundinnen geblieben bis heute, über lange Zeiträume und große Entfernungen hinweg.. Es verbindet die Erinnerung an die gemeinsame Kindheit, an Schule, Lehrer, Klassenfahrten. Man ist vertraut, war nie „per Sie“, ist völlig unbefangen im Umgang miteinander. Aber es ist auch wichtig, die Verbundenheit immer wieder neu mit Gegenwart zu füllen. So eine Freundin ist eine, die zuhört, die Zeit hat und offene Ohren für meine Sorgen und Nöte und auch für mein Glück. Sie schmeichelt mir nicht und macht mich nicht nieder, sondern stärkt mir den Rücken, wenn ich schwach bin. Aber sie braucht auch mich, lässt mich meine Stärke spüren, nimmt meinen Rat an. Ein besonderes Geschenk ist es, wenn man in höherem Alter noch einmal Freundinnen findet. Frauen aus ganz unterschiedlichen Lebenszusammen-hängen, verschiedenen Alters, können sich finden, wenn sie ein gemeinsames Ziel oder Anliegen haben. Das kann ein Chor sein oder eine karitative Tätigkeit, geteilte Erfahrung im künstlerischen oder religiösen Umfeld – bei mir war es die Feministische Theologie. Wenn etwas zum Schwingen kommt in langen Gesprächen, wenn Spiritualität geteilt und mitgeteilt werden kann, dann bekommt eine solche Freundschaft eine neue Qualität. Dann schimmert etwas auf von dem, was eigentlich unnennbar ist. Die Erfahrung einer solchen Freundschaft verändert das eigene Gottesbild, und Gott als Freundin wird denkbar. Lied: Du, Gott, Freundin der Menschen.. Segen Gott, die dich schützt wie eine Mutter, liebt wie eine Freundin, dir Weisheit und Erkenntnis schenkt, segne deinen Weg, schenke dir Kraft, schenke die Freundinnen, schenke dir Träume! Amen Christa Mathies „Die Schöpfung feiern“ Ökumenischer Frauengottesdienst mit den Oberzeller Franziskanerinnen, Oktober 2010 Einführung in die Schöpfungsmythen (Christa Mathies) Woher kommen wir? Wie ist unsere Welt entstanden? Zu allen Zeiten und in allen Kulturen haben sich Menschen diese Frage gestellt. Und je nach ihren Erfahrungen und Lebenssituationen haben sie unterschiedliche Antworten gefunden. So entstand eine Vielzahl von Schöpfungsmythen. Oft steht am Anfang das Chaos: Tohu wa bohu, wie es in der Bibel heißt. „Und die Erde war wüst und leer.“ Gen 1,2 Aber auch das Urelement Wasser begegnet uns im Legendenschatz der Völker. In China steht am Anfang ein Ei, aus dem sich Yin und Yang entwickeln, bei den Germanen ein heiliger Baum, die Weltenesche Yggdrasil. Erdgöttin Gaia ist die Urmutter bei den Griechen. Und in vielen Mythen wird der Mensch aus Lehm geformt. Zwei besonders poetische Schöpfungsgeschichten will ich kurz erzählen: Bei den Navajo-Indianern in Arizona war am Anfang Spider Woman, die Spinnenfrau, und ihr kunstvolles Gespinst. Sie unterweist die Männer, ein vierzackiges Paddel anzufertigen, das die vier Welten repräsentiert, die vier heiligen Berge, die vier Himmelsrichtungen, die vier Elemente. Immer wenn eine Frau am Webstuhl arbeitet, die Fäden dicht an dicht, erschafft sie Leben, indem sie webt. In Polynesien existiert am Anfang Taaora, welcher das gesamte Universum ausfüllt. Aus Einsamkeit erhebt er seine Stimme, aus dem Echo entsteht ein Lied. Anfangs ist es ein leises, flüsterndes Lied, aus welchem er das Meer und den Wind singt. Die Töne werden zu den Fischen, die das Meer beleben. Dann ändert Taaora sein Lied, um Land zu erschaffen. Er singt weiße Sandstrände, Steine und Berge. Daraufhin wird sein Gesang lauter, aus dem er nun Himmel, Sonne, Mond und Sterne singt…Taaora singt Pflanzen, Insekten, Vögel und Tiere auf die Erde. Als er sieht, dass die Welt vollendet ist, singt er die Menschen aus sich selbst heraus und sich selbst in sie hinein. So wurden die Menschen erfüllt von Licht und dem Lied der Welt. In unserem Kulturkreis kennen wir natürlich alle die biblische Schöpfungsgeschichte: „ Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde…“ Die Erschaffung unserer Welt in sechs Tagen und die Ruhe am siebten Tag. Von der Erschaffung der Eva gibt es zwei Versionen, die Geschichte von der Rippe und eine gleichberechtigtere Fassung. Aber nur wenige kennen die sehr poetische Geschichte aus den Sprüchen Salomons von der heiligen Weisheit, die vor aller Schöpfung da war: „Gewoben wurde ich in der Vorzeit; zu Urbeginn, vor dem Anfang der Welt...Ich spielte auf der Erde und hatte meine Freude an den Menschen…“ Sprüche 8,23 Was fangen wir nun an mit der Überfülle dieser wunderbaren Geschichten? Schöpfungsmythen sind archaische Weltmodelle. Sie wollen nicht wörtlich verstanden werden und enthalten doch eine innere Wahrheit. Es sind Seelenbilder, die uns die Existenz des Heiligen in unserer Welt zeigen. Frauengottesdienst St. Stephan, 9.5.1997 Komm, Mutter Geist Einführung ins Thema „Mutter Geist“ haben wir eben gesungen: ein Bild, das mancher ungewohnt erscheinen mag. Haben wir es doch in der Schule ganz anders gelernt: Vater, Sohn und Heiliger Geist - und der Heilige Geist, das war die Taube, die bei der Taufe Jesu durch die Wolken und in barocken Kirchen an Pfingsten durch das Loch in der Kuppel kam. Auf die Frage nach der christlichen Dreifaltigkeit hat mal jemand flapsig geantwortet: „Zwei Männer und ein Vogel.“ Warum also „Mutter Geist“ oder, wie manche Frauen heute auch sagen, „Heilige Geistin“? Es ist eine Rückbesinnung auf die weiblichen Aspekte des Göttlichen, die ja keineswegs eine Erfindung der Feministischen Theologie sind. Schon Graf Zinzendorf, der Begründer der Herrenhuter, sprach dem grammatikalisch männlichen „Spiritus“ das „Mutteramt des Heiligen Geistes“ zu. Frauen unserer Tage entdecken wieder den Zusammenhang zwischen der Taube, die das Botentier der altorientalischen Liebesgöttin war, und der Taube des Heiligen Geistes, die Gottes Liebe verkörpert. Sie entdecken wieder Sophia, die Heilige Weisheit, die vor aller Schöpfung da war und einen Platz auf Erden suchte. Und sie entdecken die hebräische Ruach, den Lebenshauch und Atem Gottes, der über den Wassern schwebte. Text: Am Anfang war Atem...(Lass spüren deine Kraft, S. 165) Heiliger Geist, Mutter Geist, Taube, Sophia, Ruach: viele Namen und Symbole für etwas, das auch heute immer wieder ein Wunder ist: dass das Göttliche unter uns wirkt, Wirklichkeit wird, dass Inspiration geschieht, dass sich Gott zwischen uns ereignet. Christa Mathies Ökumenischer Frauengottesdienst am 10.10.2008, 19 Uhr, St. Stephan Gott denken- Gottesbilder im Wandel Historische Einführung Eine Flut von Bildern haben wir da gerade erlebt, Gottesbilder aus Jahrtausenden der Menschheitsgeschichte. Die Seele braucht Bilder, und so haben sich Menschen zu allen Zeiten Bilder gemacht von dem, was sie als wunderbar, verehrungswürdig, eben als göttlich empfanden. Die frühesten Gottesbilder waren weiblich. Die Fähigkeit der Frau, Leben zu schenken, legte es nahe, die Große Göttin, die Muttergöttin, die Fruchtbarkeitsgöttin zu verehren. Die Frau mit dem göttlichen Kind ist bis heute ein machtvolles religiöses Symbol, von der ägyptischen Isis mit dem Horusknaben bis zu Maria mit dem Jesuskind. Auch Phänomene, die dem Menschen Angst machten, Naturgewalten wie Feuer, Donner und Blitz, flossen in Gottesbilder ein. Denken wir nur an den blitzeschleudernden Zeus der Griechen oder an Donar und Wotan bei den Germanen. Auch Jahwe erscheint im AT nicht selten als zürnender Wettergott, oft im Wettstreit mit den Göttern anderer Stämme. Interessant, aber weithin unbekannt ist die Tatsache, dass im Alten Israel Jahwe oft in Zusammenhang mit der Baumgöttin Aschera verehrt wurde, sogar im Tempel Salomons. Auf die zahlreichen Tiere, die bei vielen Völkern vergöttlicht wurden, gehe ich hier nicht näher ein. Die Sonne als Quelle des Lebens auf unserer Erde wurde in vielen Kulturen als göttlich verehrt, so bei den Ägyptern, bei den Inkas und als Sol Invictus – unbesiegbarer Sonnengott – bei den Römern. Dessen Eigenschaften wurden später auf Christus übertragen; sein Festtag war der 25. Dezember. Aber auch der Mond, Ursache des weiblichen Zyklus, genoss göttliche Verehrung in Form der Mondgöttin. Im Islam richtet sich der Zeitpunkt des Ramadan noch heute nach dem Mondkalender. Menschen, die in kriegerischen Zeiten leben, wünschen sich einen allmächtigen Gott, einen starken Heerführer, einen siegreichen Helden, der die Feinde grausam bestraft und Gerechtigkeit herbeiführt. Viel davon finden wir im AT. Hier hat Jesus einen entscheidenden Schritt der Veränderung getan, als er Gott als guten Hirten und als „Abba“, als liebenden Vater (heute würde man vielleicht Papi sagen) bezeichnete. Die Anhänger Jesu fanden Gott in diesem Menschen, im kleinen Kind in der Krippe, im geschundenen Leib des Gekreuzigten. Im vergangenen Jahr haben wir in diesem Gottesdienst die Beginen und Mechthild von Magdeburg kennengelernt. Die Mystiker und Mystikerinnen des Mittelalters entdeckten Gott auf ganz andere Weise in ihren eigenen Erfahrungen, nicht personal, sondern als „fließendes Licht“, als überwältigende Liebe – ein sozusagen bilderloses Gottesbild. Die Neuzeit hat viele früher geheimnisvolle Phänomene naturwissenschaftlich erklärt. Mit der Aufklärung hat sich das Gottesbild noch einmal radikal verändert, ist rationaler geworden. „Gott ist tot“, sagten einige, aber die Sehnsucht nach dem Transzendenten blieb. Auch die Theologie verabschiedete sich von den alten Mythen, nahm sie nicht mehr wörtlich, sondern deutete sie tiefenpsychologisch. „Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“, sagte der Theologe Paul Tillich. Und Dietrich Bonhoeffer (unser einziger evangelischer „Heiliger“, wie ich immer sage), forderte ein „religionsloses Christentum“. Am meisten beeindruckt mich da der Satz von Dorothee Sölle: „Gott ereignet sich zwischen Menschen.“ Wie das Gottesbild sich durch Jahrtausende der Menschheitsgeschichte gewandelt hat, so wandelt es sich auch im individuellen Leben. Unser Kinderglaube vom „lieben Gott“, der alles sieht, hilft uns im Erwachsenenleben nicht weiter. Menschen, die sich daran klammern, laufen Gefahr, entweder Atheisten oder Fundamentalisten zu werden. Im letzten Herbst sind zwei Bücher erschienen, die hellen Aufruhr verursacht haben. Das eine war Richard Dawkins „Der Gotteswahn“. Das andere war ein Kinderbuch mit dem Titel „Wo bitte geht's zu Gott, fragt das kleine Ferkel“, sozusagen der Dawkins für den Kindergarten. Beide Bücher machen denselben Fehler: sie verurteilen die Religion und meinen doch nur ein falsches Gottesbild. Denn über weite Strecken muss man diesen Autoren Recht geben. Einen derart rachsüchtigen Gott, wie ihn fundamentalistische Hassprediger propagieren, brauchen wir wirklich nicht. Welche Gottesbilder bedrohen und bedrücken uns, machen uns krank? Welche ermutigen uns? Wo erfahren wir in unserem persönlichen Leben das Göttliche? Darüber wollen wir heute miteinander nachdenken und uns austauschen. Christa Mathies. Gebet Gott, ich spüre dich in der Hand, die mich vor dem Fallen bewahrt, im Wort, das mir die Mutlosigkeit nimmt, im Glücksgefühl, das mich durchströmt beim Blick in Menschenaugen. Amen. Frauengottesdienst am 11.5.2001 in St. Stephan, in Zusammenarbeit mit Oberzell „Ich sehe dich in tausend Bildern“ – Maria Gebet Gott, heilige Weisheit! Die Urväter der Bibel bestanden darauf, du hättest uns die Bilder verboten. Heute sind wir überzeugt: du hast uns geschaffen mit einer Seele die Bilder braucht. Wir bitten Dich: Schenke uns die Klugheit zu unterscheiden zwischen Bildern, die uns knechten und Bildern, die uns befreien. Gib uns den Mut, uns von Bildern zu trennen, die uns klein machen, und die Toleranz, andern ihre Bilder zu lassen. In tausend Bildern haben wir Maria gesehen: als Göttin und Himmelskönigin, als Mutter und Nährerin, Hilfe und Schutz, als Dunkle und Erdentiefe, als leidende und mitleidende Frau. In all diesen Bildern erkennen wir ein Stück von uns selbst und einen Schimmer von Dir, Gott, heilige Weisheit. Dafür danken wir dir. Amen Christa Mathies Gottesdienst zur 10. Würzburger Frauenwoche 17.10.1997, 19 Uhr, St. Stephan Mut zur Macht - Frauen Voll Macht Einführung Mut zur Macht: haben wir Frauen den? Oder haben wir ihn nötig? Viele von uns hegen ein tief verwurzeltes Misstrauen gegen den Begriff Macht. Wer Macht hat, macht sich unbeliebt - und wir wollen doch geliebt werden. Macht haben die anderen: die Männer, die Macher, die Politiker, die da oben, oder der da oben - aber wir doch nicht! Oder verwechseln wir etwa Macht mit Gewalt, Unterdrückung und Herrschaft? Macht hat ja auch zu tun mit Kraft, Entscheidungsfreiheit, Kompetenz, mit der Möglichkeit zur Veränderung. Und verändern möchten wir doch eine ganze Menge. Die amerikanische Theologin Carter Heyward spricht von „Macht-in-Beziehung“,einer Seinsmacht, die entsteht aus der lebendigen Wechselwirkung von Berührtwerden und Berühren, unter Menschen ebenso wie zwischen Mensch und dem Göttlichen. Darüber wollen wir heute Abend nachdenken und was wir dazu brauchen, im nächsten Lied erbitten: Lied: Schenk uns Weisheit, schenk uns Mut. Wir beten miteinander - und in der anschließenden Stille bringen wir vor Gott, was jede einzelne von uns bewegt. Gebet (nach Gedanken von Carter Heyward): Gott, unsere Mutter und Schöpferin! Du bist die Macht-in-Beziehung. Wir spüren dich im Berührtwerden und im Berühren. Du hast uns Frauen geschaffen voll Macht. Lass uns die Kraft spüren, die du uns schenkst. Vertreib unser Misstrauen gegen die Macht. Gib uns Mut zur Macht, nicht Macht als Zwangsmacht, Herrschaft und Kontrolle - obwohl wir auch die manchmal brauchen sondern Macht als Seinsmacht und Verantwortung. Ermutige uns, nicht jede Ungerechtigkeit auf einen Allmächtigen Gott oder „Die da oben“ zu schieben, sondern uns einzumischen, Streit zu wagen, unbequem zu sein. Nimm uns die Angst vor Konflikten. Schenke uns Selbstvertrauen und Vertrauen in die Kompetenz anderer Frauen. Lass uns einander ermutigen und stärken, denn im Anfang ist die Beziehung und in der Beziehung liegt die Macht, die die Welt durch uns und mit uns schafft. Gott, heilige Weisheit, sei mit uns voll Macht. Amen. Christa Mathies "Du meine Seele singe..." - Meine Seele und ich. Gottesdienst am Freitag, 11.6.2004, 19.00 Uhr in St. Stephan. Einführung: "Du meine Seele singe..." haben wir grade gesungen. Meine Seele: was ist das eigentlich? Bin ich das selber oder ist es ein abgetrennter Teil von mir? Und wenn das so ist, wo wäre der dann? Im Kopf, im Herzen, im Bauch? Oder, wie manche Philosophen in der Frühzeit der Aufklärung sagten, in der Zirbeldrüse? Verlässt uns die Seele bei unserem Tod durch Nase oder Mund, wie auf mittelalterlichen Tafelbildern dargestellt? Und wird man die Spiegel verhängen, damit sie nicht irritiert ist auf dem weg nach oben? Was fühlen wir, wenn unsere Seele "singt", oder wenn sie "zu Tode betrübt" ist? Manchmal finden wir im Gegenüber eine "verwandte Seele", sind mit ihr "ein Herz und eine Seele", aber im nächsten Augenblick schon wohnen "zwei Seelen, ach, in meiner Brust". Seele: ein großes Wort. Sucht man im Internet danach, dann findet man zu allererst eine Vielzahl von Psycho-Beratungsbüchern. Man findet die Seele als das leitende Innere eines ummantelten Drahtes und die Seele (Sääle ausgesprochen) als schwäbisches Salzstangengebäck. Ein kleiner Exkurs in die Geschichte der Menschheit, die ja von Anfang an auch Religionsgeschichte ist, zeigt uns die unterschiedlichsten Vorstellungen. Das altgermanische Wort sele kommt tatsächlich von See. Nach alter germanischer Vorstellung wohnten die Seelen der Ungeborenen und der Toten im Wasser. So haben auch Träume von Wasser tiefenpsychologisch oft etwas mit unserer Seele zu tun. Alle alten Bezeichnungen für die Seele – Psyche, Pneuma, Anima – sind weiblich. Die Ägypter besaßen sieben Seelen, die jedem neugeborenen Kind von den sieben Feen der Göttin Hathor mitgegeben wurden. Die bekannteste ist die Ba-Seele, die nach dem Tod in Gestalt eines Vogels im Grab ein- und ausfliegt. Der Totengott Anubis wiegt das Herz des Toten gegen die Wahrheit auf, ein Bild, das als Seelenwaage des Erzengels Michael auch in die christliche Ikonographie eingegangen ist. Während in der ägyptischen Vorstellung Seele und Leib eng verbunden sind – die Mumifizierung diente ja der Erhaltung des Leibes – haben die griechischen Philosophen Leib und Seele streng getrennt. Die unsterbliche Luft-Seele war das genaue Gegenteil zum verderblichen Leib. Diese Idee ist allmählich ins Christentum eingesickert und hat zu einem gefährlichen Dualismus geführt: die Rettung der unsterblichen Seele durch die Abtötung des sündhaften Leibes. Im letzten Extrem sind die Hexenverbrennungen mit dieser Notwendigkeit begründet worden. Ganz anders und der heutigen Auffassung sowohl der modernen Psychologie als auch der Feministischen Theologie viel näher ist die Definition von Seele im Judentum. Sowohl Maria als auch Jesus dürften ähnlich gedacht und gefühlt haben. Hebräisch nefes, die Seele, meint das Leben, den ganzen Menschen in seiner Lebendigkeit. Wenn wir von etwas tief berührt sind, den göttlichen Funken in uns spüren, dann erfahren wir unsere Seele. Besonders eindrucksvoll geschieht das im NT, als Maria nach der Verkündigung das Unerhörte in ihrem Herzen bewegt: "Magnificat anima mea dominum..." "Meine Seele erhebt den Herrn und mein Geist freuet sich Gottes" übersetzt Luther. "Alles in mir jubelt vor Freude..." heißt es in einer modernen Übersetzung und Dorothee Sölle hat es so ausgedrückt: "Meine Seele sieht das Land der Freiheit..." Singen wir "Magnificat anima mea dominum". Worte der Mystikerin Hildegard von Bingen: Die Seele liebt ihren Leib und hält ihn für ein schönes Gewand und eine erfreuliche Zier. Die Seele hat Freude daran, im Körper schöpferisch tätig zu sein. Der Seele Freude ist es, im Leib wirksam zu sein. Gebet: Gott, Heilige Weisheit! Lass uns achtsam sein mit unserem Körper, damit wir spüren, was unserer Seele gut tut. Lass uns liebevoll umgehen mit den Seelen unserer Mitmenschen, damit wir sie nicht unnötig verletzen. Schenke uns hin und wieder diese großen Momente tiefsten Berührtseins, in denen unsere Seele dir nah ist. Amen. Christa Mathies Sophia, die heilige Weisheit Frauengottesdienst am 8.11.2002 in St. Stephan „Ehe Gott etwas schuf, war ich da. Ich bin eingesetzt von Ewigkeit, vor der Erde. Da die Tiefen noch nicht waren, da war ich schon geboren...Ehedem die Berge eingesenkt waren, vor den Hügeln war ich geboren...Da er den Grund der Erde legte, da war ich, die Werkmeisterin, bei ihm, und hatte meine Lust täglich, und spielte vor ihm allezeit; und spielte auf seinem Erdboden, und meine Lust war bei den Menschenkindern...“ (Spr. 8, 22ff) Wer ist es, die da spricht? Es ist Sophia, die Heilige Weisheit, Mitschöpferin und Ratgeberin Gottes: Chokmah im Hebräischen, griechisch Sophia, in der lateinischen Übersetzung Sapientia. Im babylonischen Exil, als die Israeliten keinen König mehr haben, wird ihr Gottesbild auffallend weiblicher, übernimmt Züge der altorientalischen Göttinnen, der ägyptischen Maat oder Isis. Wir finden die Weisheitstexte im AT, in den Sprüchen Salomos, in der Weisheit Salomos, im Buch Jesus Sirach und im äthiopischen Buch Henoch. In hochpoetischen Worten werden die Eigenschaften der personifizierten Weisheit gerühmt. Kein kriegerischer, zürnender, strafender oder rächender Gott spricht aus ihr, sondern Mäßigung, tröstende Mütterlichkeit, Erdverbundenheit und schöpferische Kreativität. Es gibt Sätze, die haben bereits Anklänge an die Bergpredigt. Das weisheitliche Gottesbild hat das junge Christentum stark geprägt, und so ist es kein Zufall, dass Johannes der Täufer und Jesus von vielen Zeitgenossen als Gesandte der Sophia gesehen wurden. Nicht alle Menschen hören auf die Weisheit, und so zieht sie sich gelegentlich enttäuscht von ihnen zurück: „Die Weisheit ging aus, um bei den Menschenkindern Wohnung zu nehmen, aber sie fand keine Wohnung; da kehrte die Weisheit zurück an ihren Ort und nahm ihren Sitz bei den Engeln.“ (Hen 42, 1-2) Große Bedeutung hat die Heilige Weisheit in der Gnosis und in der jüdischen Kabbala. Im 6. Jahrhundert wird in Konstantinopel eine der größten und prächtigsten christlichen Kirchen der Hagia Sophia geweiht. In der mittelalterlichen Mystik begegnen wir der Heiligen Weisheit wieder. Bei Bernhard von Clairvaux heißt sie Caritas und ist das Sprachrohr Gottes. In den Visionen der Hildegard von Bingen erscheint die Weisheit als prächtiges geflügeltes Wesen, als „höchste und feurige Kraft, die jeden Lebensfunken entzündet...“ und ist damit beinahe deckungsgleich mit der Heiligen Geistin oder der Ruach. In der Liturgie der Ostkirche ist die „Sophia“ Gottes unmittelbar in Wort und Bild präsent. In Russland ist eine Sophia-Ikone weit verbreitet, in der die Heilige Weisheit auf einem Thron sitzt, und ganz ähnlich ist das Apsisbild aus Goslar aus dem 13. Jh., der Sedes Sapientiae, wie hier auf dem Titelbild dieses Buches. Lucy D’Souza, die indische Malerin, hat auf ihrem Hungertuch „Das weibliche Antlitz Gottes“ die Weisheit als indische Göttin Sarasvati dargestellt, die ein Saiteninstrument spielt. Der Schwan ist ihr ständiger Begleiter. Sie spielt ihr Instrument und lauscht gleichzeitig der Musik: Weisheit ist Geben und Empfangen. Wir alle haben im Lauf unserer religiösen Sozialisation wahrscheinlich nie etwas von Sophia gehört. Es waren die feministischen Theologinnen, die sie in den letzten 20 Jahren buchstäblich ausgegraben haben. Bringt sie uns etwas? Darüber wollen wir in diesem Gottesdienst nachdenken. „Strahlend und unvergänglich ist die Weisheit, wer sie liebt, erblickt sie schnell und wer sie sucht, findet sie.“ (Weish. 6, 12) „Sie geht selbst umher, um die zu suchen, die ihrer würdig sind; freundlich erscheint sie ihnen auf allen Wegen und kommt jenen entgegen, die an sie denken.“ (Weish. 6,16) Wir können die Heilige Weisheit suchen. Wir können uns aber auch von ihr finden lassen. Christa Mathies "Gib mir die Gabe der Tränen, Gott..." Gottesdienst am 11.3.2005, 19:00 Uhr, St. Stephan Würzburg Gedicht Sölle: Gib mir die Gabe der Tränen, Gott (fliegen lernen, S. 35) Wann haben Sie, wann habt Ihr zum letzten Mal geweint? Weinen ist nicht gesellschaftsfähig in unserer Zeit; Coolsein ist angesagt. Während in der Romantik, also Anfang und Mitte des 19. Jahrhunderts, sich sogar Männer ihrer Tränen nicht schämten, ja gradezu einen Kult daraus machten, gilt bei unseren Buben und Männern oft noch die Parole: Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Vielleicht tun wir Frauen uns ein bisschen leichter mit dem Weinen. Aber ich weiß es von mir selber: eigentlich ist es mir peinlich, wenn mir im Kino oder Theater die Tränen kommen, und ich tupfe sie ganz schnell und unauffällig weg. Und wenn mir in einer berührenden Situation die Stimme wegbricht, weil ich einen Kloß im Hals habe, vertusche ich das mit einem Räuspern. Mit dem Coolsein bauen wir einen Schutzwall um uns, die "intelligente Burg", die Dorothee Sölle sagt. Wenn wir uns nicht berühren lassen, wirken wir stärker, unverwundbarer, funktionieren besser. Und dann passiert manchmal etwas, was die mühsam aufgerichtete Fassade schlagartig zum Einstürzen bringt. Und es passiert nicht nur dem individuellen Einzelnen, sondern wird zu einem kollektiven Phänomen. Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die Ermordung des amerikanischen Präsidenten Kennedy 1963. Uns allen ist noch gegenwärtig, was nach dem Unfalltod von Prinzessin Diana geschah. Wildfremde Menschen fielen sich um den Hals und weinten. Eine Massentrauer brach aus, in die alles einfloss, was Millionen Menschen an ungeweinten Tränen aufgestaut hatten. Es war, als würden Eisberge schmelzen. Ich habe damals geschrieben: Das Eis der Seele Erstarrende Trauer panzert die Seele mit Eis. Fürchte dich nicht vor dem traurigen Lied, der zarten Berührung. Sie bringen das Eis der Seele zum Schmelzen in Fluten von Tränen. Tränen sind also nicht nur notwendig, sondern befreiend. Dorothee Sölle nennt sie "vergessene Geistesgaben der Spiritualität". Nicht nur die Wüstenväter, sondern auch Katharina von Siena, Teresa von Avila und Ignatius von Loyola haben das Lob der Tränen gesungen. Und Dorothy Day, eine Heilige unserer Tage, die in New York die Catholic Worker gegründet hatte, hat alle Belastungen der Armenpflege immer wieder "weggeweint". Auch in der Bibel ist viel von Tränen die Rede. "Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht" heißt es in einem Psalm, oder "Ich netze mit meinen Tränen mein Lager" oder "Sammle meine Tränen in deinen Krug". Jesus weinte über die Stadt Jerusalem. Das könnte er heute so gut wie damals tun. Die Frau, die Jesus salbt, "fing an, seine Füße mit Tränen zu benetzen". Als Petrus Jesus dreimal verraten hatte, weinte er bitterlich – und schämte sich dann seiner Tränen. Männer tun das bisweilen. Maria Magdalena schämte sich nicht, als sie vor dem Grab stand und weinte. Vieles in der Welt ist zum Heulen, damals wie heute. Tränen sind notwendig im Miteinander der Menschen. Wer seinen eigenen Schmerz verleugnet, kann den Schmerz der anderen nicht wahrnehmen. Tränen sind auch notwendig als seelische Hygiene. Sie befreien, sie entlasten, sind das "Wasser des Lebens". "Gott wird abwischen alle Tränen" ist uns verheißen für das Ende aller Zeiten. Aber bis dahin: Schämen wir uns also nicht, Tränen zu weinen, Tränen der Reue, der Verzweiflung, der Sehnsucht, der Freude - und gelegentlich auch der Wut. Darüber hinaus: man kann ja auch Tränen lachen. Dorothee Sölle hat noch ein zweites Gedicht geschrieben zum Thema Tränen. Gedicht Sölle: Täglich (loben ohne lügen, S. 88) Christa Mathies Frauengottesdienst am 14.11.2008, 19 Uhr, St. Stephan Wunder dauern etwas länger Einführung: Herzlich willkommen zum heutigen Frauengottesdienst! Die eine oder andere mag sich ge“wundert“ haben über den flapsigen Titel. Sie kennen vielleicht den Spruch, der an Behördenschaltern oder bei Dienstleistungsunternehmen zu finden ist: Unmögliches wird sofort erledigt. Wunder dauern etwas länger. In Mythen und Märchen, in Zeiten, „als das Wünschen noch geholfen hat“, waren Wunder ganz normal. Alles , was Menschen sich nicht erklären konnten, galt als Wunder. Die Bibel ist voller Wundergeschichten, Naturwundern, Heilungswundern. Und Heute? Gibt es noch Wunder? Alles ist medizinisch und naturwissenschaftlich erklärbar – Fakten, Fakten, Fakten. Wunder sind in Misskredit geraten, irgendwo zwischen Wunderpfanne und Wunderpille, zwischen Beutelschneiderei und Scharlatanerie. Wundergläubige gelten als primitiv. Oder als schlitzohrig, wie der bayerische Schmuggler, der hinter Straßburg vom deutshcen Grenzer mit einem Fässchen erwischt wird. „Haben Sie etwas zu verzollen?“ „Naa, des is bloss Lourdes-Wasser.“ Der Grenzer schraubt auf, schnuppert: „Mein lieber Mann, das riecht aber verdächtig nach Cognac.“ „Ui“, ruft der Bayer, „scho wieder a Wunder!“ Und doch ist die Sehnsucht nach dem Wunder groß. „Ich weiß, es wird einmal ein Wunder geschehn“ sang Zarah Leander. „Wunder gibt es immer wieder“, behauptet ein Schlager. Begeben wir uns heute auf die Spuren der Wunder in unserem Leben. Wir beten: Gott, heilige Weisheit, öffne unsere Augen und Ohren, schenke uns Achtsamkeit, damit wir das Wunder erkennen, wenn es uns begegnet in der Trivialität des Alltags. Amen. Statement Ich habe es als großes Geschenk empfunden, dass ich im Alter von 50 Jahren noch einmal eine intensive Freundschaft erleben durfte, mit einer jüngeren Frau, die ganz anders ist als meine Freundinnen aus der Jugend- und Berufszeit. Unsere langen Gespräche buchstäblich über Gott und die Welt haben mich immer wieder zum Schreiben inspiriert. Diese Begegnung hat viel verändert in meinem Leben. In der Rückschau kann ich sagen: für mich war das ein Wunder. Christa Mathies