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Aus (Dis)continuité Nummer 38,
François Bochet
[Cyril Lionel Robert James]
Cyril Lionel Robert James (1901 – 1989) war ein Schwarzer, in Trinidade (Antillen) geboren,
lebte in Grossbritannien und war Praktiker und passionierter Kenner des Cricket, ein Sport,
über den er auch viel schrieb. Er theoretisierte bald die Schwarzenfrage in der S.W.P.
(Socialist Workers Party, trotzkistische Partei, A. d. Ü.) und tendierte zur selbständigen
Organisation der schwarzen Arbeiter und für separate Kämpfe, eine Position, die seiner
Ansicht nach Trotzki vertreten habe, welche aber die amerikanischen Trotzkisten nicht
verträten (in der Tat gibt es eine Diskussion zwischen Trotzki und James darüber, aufzufinden
in Léon Trotsky, „Question juive. Question noire“, Syllepse, 2001, p. 162 – 190). Er
kritisierte das mangelnde Interesse der trotzkistischen Partei für die Schwarzenfrage. James
unterstützte auch die Emanzipationsbewegungen in Afrika. Einige Artikel von ihm finden
sich in „Sur la question noire. Sur la question noire aux Etats Unis“, 1935-1967 (. . .) In einem
ersten Artikel will er Abessinien gegen den italienischen Imperialismus verteidigen, ohne
dabei im geringsten mit den Imperialismen Frankreichs oder Englands zusammenzuarbeiten
zu wollen. Er ruft die englischen Arbeiter und die Bauern Afrikas auf, selbständig und
unabhängig zu kämpfen . . . möchte dann aber in die äthiopische Armee eintreten (nicht viel
anders als Sylvia Pankhurst zur selben Zeit). Wie diese nahm James die antifaschistische
Position im spanischen Bürgerkrieg ein und ergriff Partei für die Republikaner. Trotzki
seinerseits rief die deutschen Arbeiter auf, selbständig gegen das national-sozialistische
Regime in Deutschland zu kämpfen, schwenkte dann aber um und rief zur Allianz mit den
angelsächsischen Mächten auf. (. . .) 1939 begab sich C. L. R. James nach Mexiko, um mit
Trotzki über die Frage der Neger zu diskutieren, wobei Trotzki die Notwendigkeit separater
Kämpfe der Schwarzen zugestand.
Der letzte Artikel (im oben erwähnten Buch, A. d. Ü.) ist der Text einer Rede an einem
Kolloquium von Dialectics of Revolution, das im Sommer 1967 in London stattfand. (Daran
nahm die ganze damalige Camarilla des Protestes und der Unkonventionalität teil: Allen
Ginsberg, William Burroughs, der Situationist Alexandre Trocchi, die britischen
Antipsychiater David Cooper und Ronald Laing, der unvermeidliche Gregory Bateson, Paul
Goodman, der US-amerikanische revolutionäre Aktivist John Gerassi, der stalinistische
Ökonom Paul Sweezy, die schwarze Stalinistin Angela Davis, Lucien Goldman und Herbert
Marcuse) James lobte Stokely Carmichael, der ebenfalls präsent war, Mitglied des S.N.C.C.
und Theoretiker des Black Panther Party (nach der Ermordung von Malcolm X), Vertreter
eines schwarzen Sozialismus. Carmichael war indirekt mit der Sowjetunion verbunden, hatte
er doch an den Arbeiten der O.L.A.S (lateinamerikanische Solidaritätsorganisation, 1966
gegründet) in Havanna 1967 teilgenommen. Mit Charles Hamilton schrieb Carmichael 1967
“Black Panther“. Stokely Carmichael wurde in der Folge Ratgeber von Sekou Touré in
Guinea.
Emmett Grogan, einer der Diggers von San Francisco nahm ebenfalls am Kolloquium
Dialectics of Revolution teil. Er und Carmichael hassten sich gegenseitig von ganzem Herzen.
Grogan erinnert sich in seinem „Ringolevio“, 1972, dass dieser die Hippies hasste. An seiner
Rede griff er diese an: sie seien bürgerlicher und kleinbürgerlicher Herkunft, predigten den
Frieden mitten im bewaffneten Bürgerkrieg und weigerten sich, um die Macht zu kämpfen. Er
zitierte diesbezüglich Maos Spruche von der Macht aus den Gewehrläufen. Emmett Grogan
hielt seinerseits ebenfalls eine zehnminütige Rede, die herzlich applaudiert wurde. Er sagte:
„Unsere Revolution wird tiefere Auswirkungen auf den Gang der Geschichte haben, als alle
Rebellionen dieses Jahrhunderts zusammengenommen! (. . .) Schaut welche Klarheit bei der
1
Jugend von heute zu finden ist! Wie eng unsere Gedanken miteinander verknüpft sind! Wer
wird es wagen, uns mit der Jugend von einst zu vergleichen? (. . .) Wir streben nach einer
Gemeinschaftsexistenz, die der Revolution geweiht ist! Nach einem gemeinsamen Leben,
ganz der Revolution geweiht! Nach einem gemeinsamen Leben, das vollständig der
Förderung des revolutionären Friedens, dem Wohlstand und dem Sozialismus geweiht ist!
Nach einer Entfaltung und einer Erneuerung des triumphierenden Lebens selbst! Unsere
Aufgabe besteht darin, das Bewusstsein zu wecken und die schimärischen Illusionen
wegzufegen! (. . .) Alle Macht dem Volk! (p. 600 – 602, franz. Übersetzung des oben
erwähnten Buches). Der Enthusiasmus der Zuhörer verflog schnell und schlug in Zorn um, als
Grogan erklärte, das sei nicht seine Rede, sondern diejenige Adolf Hitlers im Reichstag im
Jahre 1937. (. . .)
Stokely Carmichael war Erster Ehrenminister des Black Panther Party. Dieser war extrem
hierarchisch und militärisch. Bobby Seale war ihr Präsident, Huye P. Newton der
Verteidigungsminister, Eldridge Cleaver sein Informationsminister. Rap Brown der
Jistozminister, alles grosse und etwas lächerliche Titel. Hierzu findet man ein gutes Beispiel
für die revolutionär-mythologische Geschichtsschreibung im Buch von Ton Van Ersel
„Panthères noires. Histoire du Black Panther Party“, 2006. Der Autor betont die
Unterdrückung von Seiten des F. B. I. sie war sehr reell und erbarmungslos. Kaltblütig
wurden schwarze Militante ermordet, so Bobby Hutton und Fred Hampton als bekannteste.
Das Buch übergeht aber schnell Hässlichkeiten der Führer und Militanten der besagten Partei,
welche die Linksradikalen und Feministen des Weather Undergrounds (wie auch die
französischen Radikalen) anhimmelten. So etwa endeten die besagten Führer, die
ausgesprochene Machos waren, alles andere als Feministen! als Rauschgiftsüchtige und
Zuhälter, was nicht erstaunlich ist – sie waren es schon immer gewesen. Der Autor berichtet
dem Leser zudem nur wenig über die Spaltung von 1971 zwischen der Tendenz von Newton
auf der einen Seite und derjenigen von Cleaver auf der andern. Es finden sich dagegen Texte
beider Tendenzen sowie ein Text von Bernardine Dohrn, einer der Führerinnen des Weather
Undergrunds aus der Brochure von 1971: „Sur la scission du Black Panther Party“. B. Dohrn
schreibt:
„Die Jungen haben in ihrem Leben im Kampf gegen die Lebensweise des weissen Mannes
ganz verschiedene Erfahrungen gemacht. Sie haben gelernt, gemeinsam in den vergifteten
Städten zu überleben, auf der Strasse und auf dem Lande. Sie haben in Landkommunen gelebt
und neue Erziehungsformen ausprobiert, damit ihre Kinder frei und natürlich wären. Sie
haben sich mit Hilfe biologischer Lebensmittel entgiftet, für die sexuelle Befreiung gekämpft,
sich die Haare wachsen lassen. Sie sind einander näher gekommen und haben Marihuana und
andere Drogen kennen gelernt, die das organische Bewusstsein erweitern und Waffen der
Revolution sind.“
Diese wenigen Zeilen zeigen die ganze Ambiguität und Konfusion im amerikanischen
Protestmilieu (welche sich in der Folge ausbreiteten), zeigen, wie sich Kritik an der
Entnatürlichung (Konsumismus, Stadtleben, Produktivismus) mit der Verstärkung der
Entnatürlichung verband: Beseitigung der Tabus bezüglich Drogen, Zerstörung jeder
Autorität, der Familie, Libertarismus, Generalverurteilung der Kultur der Weissen, der
Prinzipien. Dies im Namen einer wieder gefundenen Natürlichkeit! Die Moderne schreitet, es
sei wieder betont, unter der Maske der Kritik der Moderne voran. Sie gibt vor, zu den Quellen
zurückzukehren.
„Der Yippie ist (. . .) der erhabene Marxist, der psychedelische Bolschewik (. . .) Er ist kein
blumiger Hippie, auch kein linker Student. Er praktiziert den militanten Umbruch. Er ist ein
Hybrid aus Linkem und Hippie, aber etwas ganz Eigenständiges, Neues. Ist derjenige, der
Strassenkämpfe liebt, der Randständige mit der Knarre am Gürtel unterwegs. Der
Ganzverrückte, Unbequeme, Irre, Haarige, Bärtige. Sein Leben ist ein Theater in ständiger
Bewegung.“ (Jerry Rubin, „Do it!“
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John Gerassi, den Weathermen nahe, erklärt sich in einem Gespräch mit „Les Temps
Modernes“ August 1976 zu einigen Themen. Er wettert gegen den Faschismus, lobt die
feministische und Schwulenbewegung, hält aber immer noch den Klassenkampf in Ehren!
Daselbst ist auch ein Interview mit Jerry Rubin zu finden. Er ist zum New Age übergetreten
und nimmt grotesk die Biographie vieler Militanten vorweg, die dann den revolutionären
Kampf aufgaben, um sich ausschliesslich der individuellen Entfaltung zu widmen, wobei sie
die verschiedenen Therapien versuchten: die Psychoanalyse in ihren Ausläufern: Rebirth,
Urschrei, Bioenergetik, und danach eine Synthese versuchten. Sicher ist der Versuch von
Jacques Camatte in dieser Richtung etwas vom Ehrgeizigsten. 1976 machte er in „Growing up
at 37“ eine Bilanz seiner revolutionären Jahre und berichtet über die verschiedenen Therapien,
welche ein Wachsen des individuellen Bewusstsein ermöglichen sollen: die erwähnten
psychoanalytischen Richtungen, sowie Yoga, Transzendentale Meditation, E. S. T. (Erhardt
Sensitivity Training), Gestalt-Therapie etc. Er findet gut, dass die Video-Aufnahmen neue
Möglichkeiten bieten, entdeckt, dass wir nur eins machen (was auch 1976 nicht ganz neu war)
und will die spiritualistische Bewegung mit der politischen Bewegung vereinen. Er schreibt:
„Es handelt sich darum, mit dem Grund von sich selbst in Kontakt zu treten, mit einem Teil
von sich selbst, das sehr tief, tiefer als das Ego vergraben liegt, zu kommunizieren.“
Die Gruppe des Weather Undergrounds bestand hauptsächlich aus jungen Weissen der
Mittelklasse (die Gruppe wollte sich weiss, verbündet mit den Black Panthers, einer rein
schwarzen Organisation). Die Gruppe zeichnete sich durch frenetischen Aktivismus aus,
besass nur einen schwachen historisch-theoretischen Unterbau, verehrte kritiklos die Kämpfe
der farbigen Völker gegen den amerikanischen Imperialismus (v. a. der Vietnamesen und
Schwarzen in den USA), hasste den american way of life abgrundtief (jedoch ausschliesslich
in seiner autoritären-puritanischen Form), den Krieg in Vietnam, was nur zu verständlich ist.
Daraus wurde schnell ein Hass auf die Weissen und eine ethno-masochistische Überhöhung
der andern Kulturen (von Schwarzen und Gelben), was dann schnell allgemeine
Revolutionskultur im Lande wurde. Die Weathermen vergötterten in totaler Konfusion Che
Guevarra, Fidel Castro, Mao tse Tung, Lin Piao, Malcolm X, Ho Chi Minh, Marihuana, LSD.
Eingeschlossen in ihre Verehrung waren die Befreiungsbewegungen der Puertoricaner,
Latinos und Indianer (. . .).
Die Weather Underground wussten nicht, was der Kapitalismus ist, ihre Feinde waren der
Rassismus (die Schwarzen waren damals oftmals das Ziel rassistischer Anfeindung und
Gewalt, wovon man aber den Grund kennen muss) und der Imperialismus, von dem sie immer
sprechen, allerdings lächerlich verzerrt. Sie glaubten ernsthaft, das zu bekämpfen, was sie das
System nannten, ohne jedoch zu wissen, was dieses System ist, noch war, nämlich mehr als
ein System: eine sich vollziehende Revolution. In Tat und Wahrheit trugen sie ganz
wesentlich zur Auflösung tradierter Strukturen und zur kapitalistischen Revolution bei. Im
Wesentlichen war ihr Kampf Antirassismus und Antiimperialismus plus Verherrlichung der
Dritten Welt. Was sie bekämpften, waren Hindernisse der weiteren Entfaltung des Kapitals.
Darin folgten sie den Revolutionären früherer Generationen, die, wähnend, dem Kapital das
Wasser abzugraben nur tradierte-überkommene Gesellschaftsstrukturen, antiquierte
Vorstellungen (oft noch aus der Ära des Feudalismus) beseitigten. Nur gingen dabei auch
Momente des Widerstandes gegen die Moderne kaputt, die von natürlichen und
kommunitären Verhältnissen herstammten. Die Revolutionäre sind und waren die Speerspitze
der kapitalistischen Revolution und machen für diese tabula rasa, d. h. Platz für die stürmische
Entwicklung des Kapitals. Der Antifaschismus ist in dieser Hinsicht emblematisch. Es ist
wahr: Nicht immer ist es leicht, zumindest zu gewissen Zeiten, genau auseinanderzuhalten,
was nur der modernen Entwicklung des Kapitals im Wege steht und was dieses überhaupt
negiert. Dazu ist eine grosse Anstrengung der theoretischen Synthese notwendig. Die
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Weathermen haben gesiegt, zumindest ideell: die Welt des Kapitals ist antirassistisch,
feministisch, libertär, antidogmatisch, masturbatorisch-homophil geworden
(. . .)
Schon innerhalb des S.D.S. (Students for a Democratic Society), bevor es zur Spaltung kam,
die zu den Weathermen führte, ging es um die Frage der Natur des revolutionären Subjektes:
Arbeiterklasse, junge Weisse oder schwarze Arbeiter, junge weisse Studenten, schwarze
nationalistische Revolutionäre, alle möglichen Kombinationen davon. Bemerken wir hier nur
kurz, dass die Linken den Nationalrevolutionären gern ein Kränzchen winden . . .wenn sie
schwarz, Algerier oder Vietnamesen sind. Sind sie weiss, Sudeten, Deutsche oder Franzosen,
werden sie mit Beschimpfungen eingedeckt; das Recht der Völker der Selbstbestimmung gilt
nicht für sie! Der S.D.S. kämpfte mutig gegen den Vietnamkrieg und die ungeheuren
Bombardierungen der US-Air-Force, ein grauenhaftes Verbrechen gegen die Menschen und
gegen die Natur; nach verschiedenen Quellen sollen über Vietnam drei Mal so viele Bomben
abgeworfen worden sein, wie während des ganzen Zweiten Weltkrieges, dazu 80 Millionen
Liter Entlaubungsmittel (die Dioxin enthalten), was die USA heute nicht moralisch hindert,
das syrische Regime zu beschuldigen, Kampfgas einzusetzen. Für diese Luftangriffe waren
der ganze Wissenschaftsbetrieb und die modernste Technik engagiert, nicht anders als im
Zweiten Weltkrieg (dessen offizielle Geschichte von der Linken nie in Frage gestellt wird).
Die Militanten zeigten die Verbindung zwischen der universitären Welt, den Wissenschaftern,
Militärs, Industriellen und Politikern auf, insbesondere anlässlich des grossen Streikes an der
Universität von Columbia April-Mai 1968, an dem Mark Rudd, späterer Führer des Weather
Underground, eine wichtige Rolle spielte. Die chauvinistisch-nationalistischen und
rassistischen Kreise verurteilten diesen Krieg hingegen nie. Den Weathermen gelang es
indessen ihrerseits nicht, zwischen diesem ungeheuren Verbrechen des Indochinakrieges
(welchen auch die US-amerikanische Arbeiterbewegung nie verurteilt hat und sei es auch nur
in Ansätzen. Sie liess die Nationalgarde frei wirken, als an der Universität Ohia im Mai 1970
Studenten friedlich gegen die Invasion des Kambodscha demonstrierten; es wurden zwei
Studenten getötet) und den blutigen Hampelmännern Ho Chi Minh, Mao tse tung und
Compagnie zu unterscheiden; ja sie lobten sie sogar noch überschwänglich.
Dan Berger, der „Weather Underground“ schrieb, geht lange auf die Aktion des F.B.I. gegen
die schwarzen National-Revolutionäre ein. Der F.B.I. schritt zu planmässigen Ermordungen,
wiegelte die Führer gegeneinander auf, indem sie falsche Proklamationen verfasste, falsche
Briefe und Verleumdungen verbreitete: das Programm Cointelpr, doch übergeht er allzu
schnell die üblen Seiten des schwarzen Nationalismus in den USA, der von Heroin-Deal undKonsum, Zuhälterei und Gangstertum korrumpiert war.
Der S.D.S. fiel an seinem Konvent im Juni 1989 auseinander; der Progressive Labour Party
wurde ausgeschlossen. Der P.L.P war maoistisch, strikt marxistisch und wies die
antirassistischen Theorien der schwarzen Nationalisten zurück. Ausschliesslich
ausschlaggebend war für diese Partei der Faktor der Klassenzugehörigkeit, die jungen
Weissen sollten sich der amerikanischen Arbeiterklasse anschliessen. Die Elemente des
Jugendprotestes und der Gegenkultur: lange Haare, Rock’n roll, Drogen, Ablehnung der
Familie, Feminismus, Antiautoritarismus etc. wurden abgelehnt. Dafür wurden die Positionen
der alten Arbeiterbewegung vor dem Zweiten Weltkrieg hochgehalten, die Arbeitermoral.
Tatsächlich war das Delirium dieser Partei in vielen Punkten weniger schädlich als dasjenige
der Modernisten. Der P.L.P verweigerte jede Annäherung an die von den Weathermen
verherrlichte Black Panther Party. Jeder Nationalismus wurde als konterrevolutionär
verworfen. Der S.D.S. nannte sich nunmehr R.Y.M., Revolutionary Youth Movement,
woraus schnell zwei Richtungen erwuchsen: die R.Y.M I, die späteren Weathermen, bzw.
Weather Underground Organisation, und R.Y.M.II, mit Mark Klonsky. Die Differenzen
waren aber minimal. Es wurden die Schwarzenbewegung, die Kämpfe in der Dritten Welt,
insbesondere der Viet-kong (der P.L.P. lehnte diesen ab) unterstützt. Die Weathermen waren
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aktivistischer als R.Y.M. II, welcher noch am Klassenkampf festhielt. Die Weathermen
stützten sich vor allem auf die Jugend, insbesondere die drop-outs aus den Mittelschulen und
Universitäten. Schule, Armee, Familie, Arbeit und Justiz waren erste Zielscheiben. Nun, die
Jugend ist immer für Aktion zu haben, allerdings auch zu Dummheiten! Es fehlt ihr Erfahrung
und Kenntnis. So wurden, in kritikloser Begeisterung für die Black Panthers, bewaffneter
Kampf und die unmittelbare gewaltsame Weltrevolution gepredigt. Weathermen Underground
Organisation organisierte gewaltsame Demonstrationen (die days of rage in Chicago im
Oktober 1969, zur Erinnerung an den zweiten Jahrestag der Ermordung Che Guevarras. Die
Militanten zogen plündernd und vandalierend durch die Strassen, nicht zu verwechseln mit
dem Konvent der Demokratischen Partei in derselben Stadt im August des vorangehenden
Jahres). Fred Hampton von den Black Panthers nannte daraufhin diesen Vorfall eine
idiotische und gefährliche Posse.
Dan Berger erwähnt in seinem erwähnten Buch die Orgien der Selbstkritik, welche die
Weathermen nach maoistischem Vorbild veranstalteten, um die Militanten gehirnzuwaschen
(ähnliche Prozeduren wandte auch der CIA an). Es ging darum, monogames Verhalten,
angeblich patriarchale Tendenzen und bürgerlichen Lebensstil in Gruppensex-Orgien und
gemeinsamen LSD-Sessions zu exorzieren. (. . .)
[Anmerkung 6, Seite XVI – XX)
[Neo-Traditionalisten und Neu-Heiden; wenn die falschen Leute recht haben ]
Es ist notwendig, auf einen wichtigen Punkt zurückzukommen, welchen die Verfasser des
Artikels „Clément Méric, victime d’un coup monté?“ (am 3. August 2013 auf dem site
„Egalité et Réconciliation. Gauche du travail. Droite des valeurs – Pour une réconciliation
nationale » erschienen) aufgreifen. Die Aufstandsbewegung der Jugend, die von den USA
ausging, brachte eine neue Weltauffassung hervor, welche vor allem vom VegetarismusVegetalismus (was dann in den angelsächsischen Ländern zum Veganismus wurde, der
jedoch oftmals mit Cannabis-Konsum verbunden war) geprägt war. Es geht um ein neues
Verhältnis zur Natur (was man dann fälschlicherweise Ökologie genannt hat), schliesst den
Malthusianismus und Primitivismus ein und geht bis zur Gaia-Theorie und zur Deep Ecology,
nicht zu vergessen eine Sensibilität für die Beziehung zu Frau und Kind (mit Tendenz zu
Feminismus und Anti-Autoritarismus). Das rechte, traditionalistische Milieu, Nationalisten
und traditionalistische Katholiken kämpfen gegen diese Bewegungen und ihre Theorien, die
mehr oder weniger neuheidnisch sind. Sie verteidigen die Trennung zwischen Mensch und
Natur, zwischen Subjekt und Objekt, ja für Trennung überhaupt, und fahren fort, blindlings zu
behaupten, die Erde sei noch unterbevölkert. Es ist aber doch zu betonen, dass es bis auf
wenige Ausnahmen (etwa John Oswald, der englische Revolutionär des 18. Jahrhunderts)
Menschen der politischen Rechten waren, Konservative und Reaktionäre, die am Anfang der
Naturschutzbewegung standen und Partei für den Malthusianismus und den Vegetarismus
ergriffen. Es ist ausserdem unbestreitbar, dass nach 1945 eine gewisse Konvergenz zwischen
den Ideologen der Kybernetik mit ihrem globalen Projekt der Abschaffung der Nationen, und
der Hippie-Bewegung/der Gegenkultur gab (so verteidigte beispielsweise die Familie
Rockefeller die jugendliche Protestbewegung). Man darf aber nicht die Hippie-Bewegung mit
der kybernetischen Revolution verwechseln und sie als Agentin des kapitalistischen
Fortschritts bezeichnen. Die Gaia-Theorie ist gleichzeitig mit der globalistischen Forderung
einer Erde und einer vom Kapital (verweiblichten) Menschheit und der damit verbundenen
Forderungen nach einer Weltregierung entstanden, was nicht heisst, dass in ihr nichts Gültiges
zu finden wäre. Und der Malthusianismus: nur weil er in gewissen globalistischen Kreisen
gepredigt wird (Weltbank, Club of Rome, Club Bilderberg) darf nicht einfach verworfen
werden; das dementiale Wachstum der Bevölkerung muss gestoppt werden und die
traditionelle katholische Position, die jede Geburtenkontrolle ablehnt ist in dieser Hinsicht
5
kriminell und wahnsinnig. Auch wenn diese Kontrolle unnatürlich ist, so hat die Menschheit
keine andere Wahl, sie muss da durch. Dasselbe gilt auch für die Abtreibung: Sie ist
grauenhaft und ein Verbrechen, doch ist sie durch die Situation, in welcher sich die
Menschheit befindet, eine Notwendigkeit, nur so können grössere Übel abgewandt werden.
Dasselbe gilt auch für den Eugenismus. Der Antispeziesismus geht aber soweit, alle Grenzen
zwischen den tierischen Arten zu leugnen; am konsequentesten sind diejenigen Leute, welche
alle Grenzen überhaupt abschaffen wollen, auch diejenigen zwischen Tier-, Pflanzen- und
Reich der Minerale, werden doch in der modernen Konzeption des Kapitals alle Schranken
und Grenzen und Tabus für Gefängnisse gehalten. Die Biologen wollen totale Freiheit in der
Manipulation der Föten und in der Herstellung von Hybriden zwischen den Arten, indem
Gene der einen Art in das Erbgut anderer Arten eingepflanzt werden. Ein Baum ist aber kein
Mensch und umgekehrt, eine Krake ist kein Adler etc. Das heisst nicht, dass es nicht eine
Kontinuität zwischen den Arten gibt, die berühmte Grosse Kette der Wesen, die in der Tat
vernachlässigt oder verneint worden ist. Die linken Ökologen ebenso wie die Leute von
Brüssel, diejenigen der internationalen Finanz, des Grosskapitals und die Denker der
Modernität sind nahezu alle vollständig verstädtert und wissen vom Land, von der Welt der
traditionellen Bauern überhaupt nichts, sie verachten sie nur und denunzieren den Stierkampf
und das Gansstopfen. Sicher greift man das traditionelle Land und die traditionelle Welt der
Landbevölkerung an, wenn man Stierkampf und Jagd angreift, eine Lebensweise, die noch
weit über die Epoche der Moderne (mit Industrie, Grosstadt und Kapitalismus) zurückreicht.
Natürlich finden wir Gänseleber und Torreros schrecklich, die Globalisierungstheoretiker
flössen uns aber ein ganz anderes Grauen ein. Und was die Frage der Jagd angeht, so ist sie
recht kompliziert.
Der Mensch hat nicht das Recht über Leben und Tod bezüglich anderer Wesen und der Natur,
er ist nicht der Herr und willkürliche Besitzer der Natur, er hat jedoch eine Rolle zu spielen,
eine Rolle erster Ordnung, welche die Königspinguine oder Margeriten nicht übernehmen
können, denn er hat ein Bewusstsein, das Margeriten und Pinguinen fehlt, die übrigens wie
Tausende von Arten aufgrund krimineller Machenschaften der Menschheit auszusterben
drohen (und auch wenn die Margerite die Kornblume noch überlebt hat, die Opfer der
Agrikultur geworden ist). In Nachfolge der Denker und Dichter der deutschen Romantik hat
die Protestbewegung der Sechziger- und Siebzigerjahre diese Kontinuität wieder betont; nun
läuft das Gefahr, auf eine Nichtunterscheidung hinauszulaufen. Wenn keine Unterschiede
mehr gemacht werden, hat man eine Homogenisierung zur Folge; es wird die Hymne der
Rassen- und Geschlechterkonfusion gesungen, das hohe Lied der erotischen Beliebigkeit.
Damit ist die antispeziesistische Bewegung nichts als die Folgebewegung der antirassistischen
Bewegung; wie diese sagt sie: es gibt keinen Unterschied zwischen den Arten und Rassen,
also sind Art und Rasse nichts als gesellschaftliche Konstrukte! Und wenn Derrida, der
Vordenker des Dekonstruktivismus Vegetarier war, so war der national-sozialistische
Reichskanzler Adolf Hitler ebenfalls ein solcher, ebenso Doktor Carton, der überzeugte
Monarchist und Nationalist, oder H.-Ch. Geffroy, Maurrasianer und Pétainist und Gründer der
wichtigen Bewegung “La Vie Claire“. Die Hippie-Bewegung hat die Technik kritisiert und
damit das Denken der rechten Denker Heidegger und Klages (beispielsweise) übernommen
(eine Kritik der Technik, die nichts mit der Ablehnung des Werkzeugs zu tun hat!), hat die
Bewegung der Gemeinschaften wieder aufgenommen, die verschiedenen öko-regionalen
Initiativen, die sich, sicher ganz unterschiedlich, dem weltvereinheitlichenden Globalismus
widersetzen. Nicht alle Hippies und alle Vegetaliens sind Vorreiter des elektronischen
Kosmopolitismus und modernen freizügigen Nomadismus, der Homo- (und Auto-) philie,
Feinde der Heimatverbundenheit, des traditionellen Lebens und der Familie geworden. Die
Deep Ecology setzt die Ansprüche der Menschheit herunter, hinterfragt die Anthropozentrik;
darin ist nichts Masochistisches, kein Selbsthass. Ob man will oder nicht: alle Ethnien, alle
Rassen insgesamt, sicher in unterschiedlichem Massstab, haben zur Zerstörung der Natur
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beigetragen – und sei es nur durch den Verlust der Geburtenkontrolle. Dies anzuerkennen,
heisst nicht obligatorisch, zum Advokaten der Globalisierung zu werden. Auch die Arroganz
der menschlichen Gattung anzugreifen bedeutet nicht, sich dem „Antihumanismus“ der
strukturalistischen Theoretiker (M. Foucault, Lévi-Strauss und Althusser; diese haben den
Kult des Menschen, der Menschheit angegriffen) anzuschliessen. Wenn ein Mann wie Al
Gore (siehe sein „Earth in the Balance“, 1992), Verteidiger einer Weltregierung, Vertreter der
Öko-Steuer auf Kohlenwasserstoffe aus dem Boden und auf andere Rohstoffe) die Zerstörung
der Natur durch eine demential wachsende Menschheit aufgreift, so ist das keine teuflische
Erfindung, er meint, die Erde hätte 250 Millionen Menschen zu Beginn unserer Zeitrechnung
gezählt, wogegen es heute über 7 Milliarden sind; und wenn die Trilaterale und andere
globalistische Cliquen sagen, es hätte zu viele Menschen auf der Erde, dann haben sie recht,
auch dann wenn sie sagen, die Afrikaner insbesondere brächten viel zu viele Menschen auf
die Welt, ob das nun gefällt oder nicht.
[Winston Churchill]
Der grosse Antifaschist Winston Churchill schrieb 1919 als Kriegs-Staatssekretär in einem
Brief an das R.A.F. Middle East Command bezüglich der Kurden und Afghanen (. . .): Ich
verstehe die Reserviertheit, was den Gaseinsatz betrifft, nicht. Ich bin unbedingt für den
Gebrauch von Giftgas gegen die barbarischen Stämme . . . Die Auswirkung auf die Moral
wird günstig sein. So wird ein lebhafter Schrecken verbreitet.“ In der Tat hatten die Briten
Kampfgas gegen die Türken von 1917 an und gegen die Bevölkerungen dessen, was der Irak
werden sollte, eingesetzt. Giftgas setzten die Spanier im Rifkrieg in Marokko, die Japaner in
China, die Italiener in Äthiopien etc. ein. Das Magazin „American Heritage“ AugustSeptember 1985 reproduziert einen Text von Churchill vom Juli 1944, der an seinen
Generalstabschef, General Hastings Ismay, gerichtet war: „Ich möchte, dass sie sehr ernsthaft
über diese Frage des Giftgases nachdenken . . . Es ist absurd in dieser Hinsicht moralische
Überlegungen anzustellen, wo doch jedermann während des Weltkrieges ohne ein Wort der
Klage von Seiten der Moralisten oder der Kirche Gas eingesetzt hat. Andrerseits hielt man
während des letzten Krieges die Bombardierung offener Städte für verboten. Jetzt macht das
jedermann und es gilt als normal. Es ist eine blosse Frage der Mode, genau gleich wie die
Rocklänge der Frauen.“ Weiter unten: „Man darf sich wahrhaftig nicht von dummen
Konventionen gebunden fühlen, seien es solche, die während des letzten Krieges galten oder
solche, die umgekehrt im jetzigen gelten.“ Und heute sind es die angelsächsischen Staaten,
welche der syrischen Regierung vorwerfen, Stickgase einzusetzen . . . ohne natürlich noch
anzufügen, dass das Gas Sarin nur eine besondere Sorte von Organophosphoren ist , die von
der chemischen Industrie hergestellt auf der ganzen Welt als Pestizid in der Landwirtschaft
angewendet wird! Und was die lieben Demokraten und „die Chemie“ anbelangt, so
denunzieren sie keineswegs die chemisch-pharmazeutische Industrie insgesamt: Diese
produziert Stoffe, die endokrinal und hormonal störend wirken und das Funktionieren des
Organismus stören. Solche Stoffe finden sich in Verpackungen, Kleidern, Spielzeugen,
Nahrungsmitteln, Reinigungsmitteln, Hygieneartikeln, in Kosmetik und natürlich in den
Impfungen und empfängnisverhütenden Mitteln (wobei auch Abtreibungen endokrinale
Folgen haben). Diese Mittel sind Ursache vieler Degenerationskrankheiten und von gewissen
Krebsen, die exponential zunehmen. Es ist aber einfacher, die syrische Regierung anzugreifen
als die chemische Industrie auf der ganzen Welt. (. . .) Übrigens: es müssten alle
elektromagnetischen Wellen verurteilt werden (also alle „Handys“), ausserdem die
organischen Lösungsmittel auf Ölbasis und die Kohlenwasserstoffe wie Benzen
(verantwortlich für die Explosion des Krebses bei den Kindern).
Bei dieser Gelegenheit möchten wir auf die schändliche Denunzierung des Kinderstillens
durch die Feministinnen hinweisen (Stillen vermindert im übrigen die Brustkrebsgefahr bei
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Frauen) und die nicht minder schändliche Nicht-Denunziation, ja Verteidigung der
empfängnisverhütenden Pillen durch das ganze progressive Milieu.
Es ist oftmals angenommen worden, die englischen Bombardierungen im Zweiten Weltkrieg
seien nur eine Antwort auf die vorgängige Bombardierung britischer Städte (Coventry,
London etc.) durch deutsche Flugzeuge gewesen. Das ist falsch. Der englische Historiker
Peter H. Nicoll behauptete schon 1946, eine erste nächtliche Bombardierung sei im Mai 1940
auf die alte Universitätsstadt Freiburg erfolgt und habe kein militärisches Ziel gehabt. Er
weist zudem daraufhin, dass viele italienischen und deutschen Städte mit grosser historischer
Substanz durch alliierte Bombardierung zerstört oder schwer beschädigt worden sind,
während die Deutschen weder Oxford, noch Cambridge, Edingburg oder Rom bombardierten
(während Rom, das zur freien Stadt erklärt worden war von den Alliierten bombardiert
worden ist). Die Liberators der Angelsachsen hätten mit ihren Bombardements insgesamt 3
500 000 Zivilisten in den Achsenstaaten getötet. Ohne geringsten religiösen Respekt
bombardierten sie Romsogar während der Heiligen Woche! Die Völker sollten bestraft
werden, welche die Frechheit besassen, sich der angelsächsischen kapitalistischen Plutokratie
zu widersetzen.
Und noch ein filmgeschichtliches Detail: Rinascita, die italienische Tageszeitung, berichtet
am 30. März 2001, die Amerikaner hätten 1944 Propagandafilme von gestellten Schlachten
(gegen die Deutsche Wehrmacht) gedreht, um am amerikanischen Fernsehen die
Wiedereroberung Italiens vorzuführen.
[Aus Fussnote Nr. 21, Seiten XLVI-XLVII]
[Simone Weil]
(. . .) In ihren „Reflexions sur les causes de la liberté et de l’oppression sociale“ aus dem Jahre
1934 schreibt Simone Weil : « Eine der ersten Aufgaben, die uns die heutige Periode stellt,
erfordert den intellektuellen Mut, sich zu fragen, ob das Wort Revolution nicht nur noch ein
Wort ist, ob es noch einen bestimmbaren Inhalt hat oder ob es nicht eine der zahlreichen
Lügen ist, die das kapitalistische Regime in seinem Aufstieg hervorgebracht hat und welche
uns die heutige Krise den Dienst tut, zu zerstreuen. Diese Frage erscheint pietätslos angesichts
der vielen edlen und reinen Menschen, welche diesem Wort alles, sogar ihr Leben, geopfert
haben.“
Es gibt einen Mut, seine Überzeugungen weiterhin zu vertreten, es gibt aber auch den nicht
minderen, eher grösseren Mut, anzuerkennen, dass die bis anhin verteidigten Überzeugungen
falsch oder dumm waren. (Letzteres trifft insbesondere für Haltungen aus der eigenen Jugend
zu, denen man alles geopfert hat.) S. Weil spricht vom Irrtum von Marx, anzunehmen, dass
die Produktivkräfte unbegrenzt zu entwickeln wären. Der Begriff der Produktivkräfte habe
etwas Mythologisches. Sie sagt, das Aufkommen der grossen Industrie habe aus den
Produktivkräften die Gottheit einer eigentlichen Religion gemacht, der Marx gegen seinen
Willen bei der Herausarbeitung des Wesens der Industrialisierung erlegen sei. Sie spricht auch
von „quasi mystischen“ Begriffen bei Marx.
S. Weil interessiert sich auch für „das Proletariat“, Begriff und soziale Wirklichkeit; auch da
ist ihre Kritik hart (wobei sie selbst doch Richtung revolutionären Syndalismus tendiert, der
traditionellerweise eher Arbeiter-verherrlichend ist).
„Die Begriffe Unterdrücker und Unterdrückte, der Begriff der Klasse, all das ist nahe daran,
seine Bedeutung zu verlieren, so offensichtlich sind Ohnmacht und Angst aller Menschen vor
der Gesellschaftsmaschinerie, die die Herzen bricht, die Geister zermalmt, eine Maschinerie,
die Unbewusstheit, Dummheit, Korruption, Schlappheit und Schwindel erzeugt.“
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An anderer Stelle schreibt sie, dass die Aussage von Marx, das kapitalistische System erzeuge
seine eigenen Totengräber, jeden Tag ihr Dementi erfahre. Sie fährt fort: „Man darf sich wohl
fragen, wie Marx je auf die Idee gekommen ist, die Sklaverei erzeuge freie Menschen“, in der
Tat sind sogar die Bauern nicht weniger als die Arbeiter von der Geldwirtschaft vollständig
verdorben. Und was die Arbeitslosen betrifft, so sind sie, wenn auch unfreiwillig und elend,
doch Parasiten des Systems. „In den industriellen Zuchthäusern, was die grossen Fabriken
sind, werden nur Sklaven produziert, keine freien Arbeiter, und noch viel weniger Arbeiter,
die eine führende Klassenrolle übernehmen könnten.“
Die Arbeiter sind Sklaven, vor allem aber sind sie vollständig vom Prinzip dieser Welt
verdorben, was Bordiga von Zeit zu Zeit immer wieder zugeben musste.
S. Weil ist offenbar naiv, wenn sie sagt, sie erwarte viel von der Elektrizität, die eine neue
industrielle Organisation, nämlich viele verstreute kleine Unternehmen, ermögliche. (Bordiga
zog der Elektrizität, die er mit dieser Dezentralisation in Verbindung brachte, die
Atomenergie, die einfacher zu zentralisieren ist, vor; der neapolitanische Revolutionäre war
kein Freund der Dezentralisierung, ganz anders als S. Weil.)
In einem Text von 1934 („Oeuvres“, p. 351) liest man:
„Der Marxismus ist der höchste geistige Ausdruck der bürgerlichen Gesellschaft. (. . .) Um
die Kritik dieser kapitalistischen Wirtschaftsweise zu entwickeln, gelangt der Marxismus
dazu, den Gesetzen dieser Ökonomie ein breites Fundament zu geben.“
In einem Text von 1938, „Sur les contradicitions du marxisme“: „Marx (. . .) hat sich hier
gehen lassen, er, der Nonkonformist, ist einer unbewussten Konformität mit den haltlosesten
Aberglauben seiner Epoche erlegen: dem Kult der Produktion, dem Kult der Grossindustrie
und dem blinden Glauben an den Fortschritt.“ „Oeuvres“, p. 358)
Diese Thesen sind in der revolutionären Arbeiterbewegung unseres Wissens nie
zurückgewiesen, nicht einmal diskutiert worden. In einem exzellenten Artikel „La fondation
du marxisme“ (heute in Kostas Papaioannou „De Marx et du marxisme“, 1983, greift
Papaioannou diese Frage auf und spricht von „Ontologie der Produktivkräfte“, von
„technizistischer Eschatologie“, von „technisch-ökonomischem Monophysismus“, „rein
technokratischer Auffassung von der Natur“, und von der Dialektik von Marx als einer reinen
„Metaphysik der Technik“, dank der sich der Mensch gegen die Natur erhebt, von einem
„Pantheismus der Industrie“. Papaioannou zitiert Paul Lafargue; er habe gesagt: „Gott, das
sind die Produktivkräfte“. Weiter weist er auf Marx’ Ansicht (gegen Feuerbach gerichtet),
eine unverfälschte Natur gäbe es nicht mehr, ausser vielleicht noch auf einem neu
entstandenen australischen Korallenriff, „nur Fichte ist soweit gegangen“. Papaioannous
Kritik ist schärfer als diejenige von S. Weil; der Autor von „L’idéologie froide“ zitiert sie
aber nie. Die Artikel von Papioannou sind in der Zeitschrift „Preuves“ erschienen, die dem
Congrès de la Liberté de la Culture nahestand und bekanntermassen vom C.I.A. finanziert
wurde. (. . .) Dieser Congrès war im Kalten Krieg ein wesentliches Element der Vereinigten
Staaten in der Gewinnung der kritischen Geister für die demokratisch-kapitalistische
Ideologie. Mitarbeiter war, nach Robert Camoin, in „Présence marxiste“ Nr. 98-99, auch
Maximilien Rubel. (. . .)
In „L’enracinement“ (der Titel ist von Albert Camus, welcher das Werk publizierte) spricht
Simone Weil (das Buch schrieb sie in London, engagiert im grauenhaften Gouvernement de la
résistance antifasciste, von dem sie dann 1943 doch Abstand nahm) von den Bedürfnissen der
Seele; dies in einer nichtmarxistischen, kräftigen Sprache. Als erstes erwähnt sie die Ordnung
(„ein Bedürfnis der Seele, das der ewigen Bestimmung des Menschen am nächsten ist“) ,
dann die Freiheit, den Gehorsam („der Gehorsam ist ein vitales Bedürfnis der menschlichen
Seele“), die Verantwortung, die Gleichheit, die Hierarchie, die Ehre, Verantwortung, die
Strafe, die Sicherheit, die Gefahr, das Privateigentum, das Gemeineigentum, die Wahrheit
(„das Bedürfnis nach Wahrheit ist heiliger als jedes andere“). Am Schluss fügt sie an:
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„Die Verwurzelung ist vielleicht das wichtigste Bedürfnis und das verkannteste der
menschlichen Seele. (. . .) Das Geld zerstört die Wurzeln überall, wo es eindringt und ersetzt
alle Motive durch das Bedürfnis, zu gewinnen. (. . .) Die Entwurzelung ist bei weitem die
gefährlichste Krankheit der menschlichen Gesellschaften, denn sie vervielfältigt sich selbst. (.
. .) Wer entwurzelt ist, entwurzelt. Wer verwurzelt ist, entwurzelt nicht.“
Mit dem letztzitierten Satz denkt S. Weil vor allem an die Römer und an die Juden, die sie
verabscheut, aber auch an die Deutschen des National-Sozialismus, an die spanischen,
englischen und französischen Kolonisten, aber auch an das revolutionäre Proletariat. Sie
kritisiert zu recht die Idee des Fortschritts, welche der Marxismus vergöttert, denn der
Fortschritt entwurzelt. Sie schreibt (immer darauf bedacht, nicht der Reaktion bezichtigt zu
werden):
„Von allen Bedürfnissen der menschlichen Seele ist keines so lebenswichtig wie dasjenige
nach Vergangenheit. (. . .) Die zerstörte Vergangenheit kehrt nicht wieder. Die Zerstörung der
Vergangenheit ist vielleicht das grösste Verbrechen.“
Die Entwurzelten wollen entwurzeln, sie sind in dieser Hinsicht gefährlich. Die Familien und
Heimatlosen wollen die Zugehörigkeit zu Familie und Heimat der andern Menschen
zerstören. Die Revolutionäre proletarisieren (Baruch Zorobabel geht auf diese Frage in seiner
„Tentative de Bilan du Comité de lutte Renault“ ein, in (Dis)continuité Nr. 36 neu
abgedruckt), sie treiben die Kleinbürger unverantwortlicherweise dazu, ihre Familie, ihr
Studium, ihren Beruf, ihre Freunde aufzugeben, um sich auf den Weg ohne Umkehr in die
Hölle der Marginalität, des Proletariates-Lumpenproletariates, der Mittellosigkeit zu machen.
Sie ermutigen sie, ihre Sicherheiten aufzugeben.
[Albert T’Serstevens: „Un apostolat“, 1919]
(. . .) „Un Apostolat“ ist ein Roman von Albert T’Serstevens, Anwärter auf den Prix Goncours
1920, ohne ihn zu gewinnen. Er ist weitgehend autobiographisch; der Autor hatte an einer
anarchistischen Kommune in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg teilgenommen, die ein
nachwirkendes plötzliches Ende genommen und einen bitteren Nachgeschmack hinterlassen
hatte. Dies der Stoff des Romans. Beschrieben werden Beginn, Leben, Zerrüttung und
letztliche Auflösung der anarchistischen Phalanstère. Der Autor ist bitter und geisselt
erbarmungslos die Träume und Illusionen der (seiner) Jugend, fordert seine Individualität und
Freiheit zurück, die in der Gemeinschaft und durch sie zermalmt worden ist. Die Mitglieder
der Kommune waren von Kommunismus und Anarchismus beeinflusst, von Bakunin, Marx,
vor allem aber von Cabet, Kropotkin, Fourier und Tolstoj, einige auch von den Esoterismen
eines Fabre d’Olivet et Edouard Schuré.
„Sie litten daran, ohne es zuzugeben; sie hatten Heldentum bewiesen, als sie mit der
Gesellschaft brachen. Mit ihr wieder Kontakt aufzunehmen, hiess, die eigene Niederlage
einzugestehen. Sie begriffen auch, dass ihr schöner Traum, den sie so lange geträumt hatten,
unmöglich geworden war.“ („Un Apostolat“, p. 52)
Die Gemeinschaft des Romans ähnelt stark den anarcho-kommunistischen Kolonien der
Naturiens und Végétaliens von Butaud (siehe die beiden Bände über die Naturiens von 1993
und 1994 von „Invariance“). Vegetarismuis, Malthusianismus, Gewaltlosigkeit, sexuelle
Freiheit, Atheismus, Feminismus werden hier hochgehalten. Die Kolonisten wollen die Welt
und die Menschheit regenerieren. T’Serstevens geht mit seinen ehemaligen Genossen hart ins
Gericht, spart aber sich selbst (bzw. die Person, die ihn darstellt, Krabelincks) im Roman
nicht von herber Kritik aus. Die anarchistische Kolonie wird als Zusammenschluss von
Prahlern, Ohnmächtigen, Parasiten, Faulpelzen, Labilen, Exaltierten, Egoisten,
Schwächlingen, Träumern, reinen Hochstaplern geschildert. Nur einer ist ernst und wirklich
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gut (Lhommel). Er ist es denn auch, der nach dem Misslingen des Experimentes Selbstmord
begeht, um nicht wieder in die gehasste Gesellschaft zurückkehren zu müssen. Die übrige
Gemeinschaft zerstreut sich. Die Satire ist sehr komisch: Die frei aufgezogenen Kinder
werden schnell unerträglich, die Anarchisten möchten sehr gern mit der Frau des Andern
schlafen, werden aber ausserordentlich eifersüchtig, wenn sie ihre eigene teilen müssten; die
Vegetarier träumen nur noch von saftigen Beefsteaks und Pommes frites, ein
antikapitalistischer Anarchist versinkt in gemeinste Kleinkrämerei etc. Der Autor zeigt die
äusseren Pressionen von Seiten der kapitalistischen Gesellschaft, mit der man nichts zu tun
haben will; sie wird schnell bedrohlich (Polizei, Behörden, Fiskus, öffentliche Meinung). Er
beschreibt auch die innern Schwierigkeiten: die verschiedenen Charakteren und ihre
verschiedenen Empfindlichkeiten und Tendenzen, ihre grausame theoretische Schwäche, ihr
unglaubliches technisch-praktisches Nicht-Können und Unvermögen, etwa, was Garten und
Landwirtschaft betrifft, es wird am falschesten Zeitpunkt gesät, geerntet, die Leute lassen faul
Termine verstreichen, einzelne, nicht weniger ignorant, beanspruchen Besserwissen. Man hat
keine Mittel, immer wieder stellt sich die sexuelle Frage, die nicht erreichte Autarkie wirkt
belastend . . . bis das Ganze ein schmähliches Ende nimmt. Ganz ähnlich ist es mit den
Landkommunen der Protestgeneration von 1968 gegangen. Nichts kam, wie es vorgesehen
worden war, denn die Wirklichkeit, nicht zuletzt die Natur, widersteht den Ideen: die
Werkzeuge gehen kaputt, wie sie reparieren ohne Geld und ohne Know-how? Und Wissen
und Geldmarkt sind ja tabu . . . Das Land zu bearbeiten ist kein Idyll à la Tolstoj, der Boden
ist nicht immer fruchtbar, die Natur nicht nur eine liebevolle Mutter und freigiebig wie in den
ausgemalten Utopien:
„Diese Erfahrung nahm ihnen jeden Mut zur Landwirtschaft: die Stoppelfelder mussten noch
gepflügt, der Boden sollte noch gedüngt und dann sollte gesät werden, dies wo doch schon die
Zeit der Ernte näher rückte. Die Äpfel an den Bäumen hingen bis zum Boden herunter,
mussten gestützt werden, das Heu war zu Emden, die Luzerne zu mähen, die Kartoffelernte,
der Holzschlag für die winterliche Heizung stand an, das Getreide war zu mahlen . . . zu viel,
viel zu viel, wie Chapelle sagte, für Köpfe, welche von Meditation geplagt sind. Dieses
pausenlose Schuften war unerträglich.“
Der erste Winter ist häufig eine harte Probe für eine Gemeinschaft, die sich in der schönen
Jahreszeit eingerichtet hat, das galt auch für die Kommune in T’Serstevens Roman. Träumen
ist schön, hart das Aufwachen Der Preis für die Freiheit, die Unabhängigkeit vom
kapitalistisch-hochtechnologischen System, ist hoch.
„Er hatte bis anhin, natürlich in naiver Buchgläubigkeit und unbewusst, an die saturnische Ära
geglaubt, in der das Leben in der freien und fröhlichen Arbeit ausgeglichen wäre, wo jeder
allen den Elan seiner Lebenskraft mitteilte, wo das Individuum seine unverfälschten Instinkte
sich entfalten sähe, wo die Erde ihre eigenen Gaben im Übermass gäbe.“ (ibidem, p. 89)
T’Serstevens macht ein ironisches Résumé der Theorien der verschiedenen kommunistischen
Vordenker, Owen, Cabet, Fourier, Saint-Simonisten, welche die „Gleichheit der Reichtümer
und die Gemeinschaft der Frauen“ predigten, ihre Suche nach der erlösenden Frau (was sie
vor den Richterstuhl wegen Missachtung der guten Sitten brachte). Er erinnert an Blanqui und
Barbès, deren Denken nichts als die moderne Tyrannie des Staates unter verschiedener Maske
war, macht sich über das Ikarien von Cabet lustig mit seiner absoluten Uniformität noch in
den kleinsten Bereichen des Alltags, seicht und totalitär – was anderes als das demokratische
Reich der Massen? All das stösst T’Serstevens ab, nicht anders als seinerzeit Dostojewski.
Der Autor untersucht lange das System von Fourier mit seiner Metaphysik der
Leidenschaften, der Harmonie und Verführung, die in den Phalangen und Phalanstères
konkret wird. Er macht Fouriers prometheisches Delirium lächerlich:
„Man wird die Eiskappen der Pole schmelzen und damit die Nordwinde lau machen, drei Mal
im Jahr ernten, auch die Sahara bewässern und so fruchtbar machen wie die Normandie. Das
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Meereswasser wird durch einen grosschemischen Prozess zu Limonade. Löwen, Tiger und
Leoparden werden zahm werden und die Wale werden die Schiffe in die Häfen wie die
Flusspferde die Kähne auf den Flüssen ziehen. Zwischen den Planeten wird eine Telegraphie
eingerichtet und ein kosmisches Esperanto geschaffen.“ (p. 82)
Pascal, einer der Siedler der Gemeinschaft, „studierte die Väter des Kommunismus. Plötzlich
fühlte er, wie seine Seele dieses gewaltigen Blödsinns überdrüssig wurde; ihm verging das
Lachen und er empfand nur noch eine grosse Leere in sich.“ Die einzige wirklich mächtige
Verführung hatte Fourier vergessen, nämlich „die unwiderstehliche Verführungskraft, welche
die Dummheit auf die Leute mit Geist ausübt.“ (p. 82-83)
T’Serstevens kritisiert die revolutionäre Konsumutopie, welche Jahrzehnts später die
Situationisten (keinesfalls jedoch diese allein) vertreten sollten:
„Die Gesellschaft, wie sie sie beschrieben (nämlich die Propheten und Theoretiker des
Kommunismus), sollte eine Schwelgerei fortgesetzten Quatorze Juillet sein, mit Umzügen
und Paraden und Bällen auf öffentlichen Plätzen, Lampions für 2 Centimes und lärmenden
Fanfaren. Man würde Festlichkeiten haben wie die Könige, Harems wie nicht einmal die
wollüstigsten Mohammedaner, Kutschen wie die Cocottes.
Es würde universeller
Müssiggang ohne das Gesetz der geheiligten mühevollen Arbeit herrschen. Und doch, dachte
Pascal, war nicht die Arbeit das grösste Vergnügen? War nicht das Werk die tägliche
Bestätigung? Die volle Lebensbetätigung, das vollendete Spiel aller Organe, Glieder und des
Kopfes? Arbeit und Erholung, Ruhe und Betätigung stellten doch den einzigen und
mächtigsten Lebensrhythmus dar. Die Evangelisten schienen dagegen die Arbeit als
biblischen Fluch, als grausames, unzumutbares Gesetz zu betrachten; all ihre Anstrengungen
suchten dieses Gesetz zu vertuschen, denn abzuschaffen war es nicht.“ (p. 90)
Pascal gelangt schliesslich zur Erkenntnis, dass es Gleichheit nicht gibt, dass sie nur ein
Dogma ist, Ausdruck des Ressentiments von Sklaven, welche darauf eifersüchtig sind, dass es
Menschen gibt, die ihnen überlegen sind. Die Menschen sind weder was Intelligenz noch
Kraft anbelang,t gleich (p. 96). Des Autors Sarkasmus trifft auch die von Worten Trunkenen
(J. P. Martinet sagt, es gäbe Leute, die sich an der Revolution berauschten wie andere an
L.S.D.) und die vielen, welche die Gesellschaft, den Kapitalismus, die herrschende Klasse etc.
für ihr Unglück verantwortlich machen. Wie er nun die Erfahrung macht, wie alle seine alten
Genossen ihr Ideal verraten und sich vom System korrumpieren lassen, entscheidet er sich, sie
in ihrer Schändlichkeit und Verwerflichkeit einzuholen und wird anarchistischer Zuhälter und
gigolo.
Die Einstellung von T’Serstevens ist letztlich eine Art Epikuräertum (die Freuden des Lebens
massvoll geniessen), ja fast hedonistisch, skeptisch-libertär und individualistisch (ohne
deswegen in Egoismus zu verfallen), Feind jeden Systems.
(LVII)
[Marcus Garvey]
Docteur Plouvier lehnt jeden Kolonialismus ab, sei er europäisch, asiatisch oder amerikanisch
und ist der Meinung, die Menschen, die Nachkommen afrikanischer Immigration seien,
sollten ihr Schicksal selbst wieder in die Hände nehmen und den Slogan in Praxis umsetzen“
Back to africa!“, den der jamaikanische Schwarze Marcus Garvey (1887 – 1940) nach dem
Ersten Weltkrieg lanciert hat. Garveys andere Devisen hiessen: „Up, you Mighty Race!“ und:
„One Aim, one God, one Destiny“. Letztere gemahnt stark an “Ein Volk, ein Reich, ein
Führer!” des National-Sozialismus. Garvey war Nationalist und schwarzer Rassist und
predigte Reinheit und Geschlossenheit der Rassen. 1914 hatte er U.N.I.A, Universal Negro
Improvement Association gegründet, die in vielen Zügen eine faschistische Organisation
gewesen zu sein scheint, ähnlich auch den zionistischen Organisationen der
Zwischenkriegsjahre. Am U.N.I.A.-Kongress von 1920 proklamierte sich Garvey zum
Präsidenten von Afrika. (. . .) Garvey verheimlichte seine Sympathien für den europäischen
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Faschismus nicht und sparte nicht an Lob für Mussolini und Hitler. 1934 empfahl er seinen
Anhängern „Mein Kampf“ zu lesen: „Hitler hat uns eine wichtige Botschaft zu übermitteln
und tut das gut.“ 1957 verstieg er sich zur Aussage: „Wir waren die ersten Faschisten. Wir
bereiteten die Männer, Frauen und Kinder auf die Befreiung Afrikas vor. Die Massen der
Schwarzen erkannten klar, dass ihre einzige Hoffnung in diesem radikalen Nationalismus
liegt und übernahmen ihn freiwillig. Mussolini hat von mir den Faschismus kopiert. Der
Faschismus ist aber von reaktionären Neger sabotiert worden.“ Garvey unterstützte im
übrigen aber auch Ho Chi Minh und schätzte die Werke von Trotzki und Lenin hoch. Er nahm
nicht gegen den Ersten Weltkrieg Stellung.
Garvey knüpfte enge Bande mit dem Ku Klux Klan und mit andern rassistischen, besser:
suprematistischen, weissen Gruppierungen. Er schrieb: „Der Ku Klux Klan will aus Amerika
ein ganz weisses Land machen. Die U.N.I.A. will aus Afrika einen ganz schwarzen Kontinent
machen.“ Das verschuf Garvey natürlich keine (schwarzen oder weissen) Freunde auf der
Linken.
C.L.R. James [siehe vorn] anerkannte die Grösse dieses Mannes und seiner Bewegung, die in
der Tat massenhaft war), denunziert jedoch die Doktrin der Rassenreinheit als reaktionär. Er
schreibt: „Alles, was dann Hitler unternahm, um an die Psychologie der Massen zu
appellieren, war von Garvey schon zuvor unternommen worden, und zwar ab 1921.“ Garvey
hatte einen grossen Einfluss auf Kenyatta und Nkrumah.
Wenn die Einwanderung aus nichteuropäischen Ländern von den Gesetzen des Kapitalismus
bestimmt und von den führenden Kräften der Globalisierung geplant wird und zur
Desintegration Europas beiträgt, darf nicht vergessen werden, dass sie auch zur Zerrüttung der
Auswanderungsländer führt. Dies trifft vor allem für die afrikanischen zu. Emile Bomba ist
Kameruner; er hat 2003 die A.L.E.C., die Association de lutte contre l’émigration clandestine,
gegründet. Er ist der Ansicht, dass Afrika die Hände und Köpfe aller jungen Afrikaner
braucht. Die Organisation will den Ausgewanderten helfen, wieder nach Hause
zurückzukehren. Er rät seinen Landsleuten: „Bleibt zu Hause!“, zudem rät er (. . .) jede
ausländische Hilfe, die immer demütigend ist zu verweigern, da sie zwangsläufig in die
Abhängigkeit führt. Er schreckt nicht davor zurück, die Landsleute seines Landes, die ihre
Heimat verlassen, als Verräter zu bezeichnen; es sei naiv, anzunehmen, nur die Ärmsten,
Bedürftigsten verliessen ihr Land, es seien nicht zuletzt die Leute mit einem Diplom in der
Tasche, die es nach dem westlichen Paradies ziehe. Er schreckt nicht zurück, seinen Leuten
verständlich zu machen, warum die Franzosen ihr Land verteidigten: „Stellt euch vor, es
reisten plötzlich 10 000 Chinesen illegal in Kamerun ein!“
(Seiten LXXXII-LXXXIII)
Das Buch von Bryan Mark Rigg, „Hitler’s Jewish Soldiers. The Untold Story of Nazi Racial
Laws and Men of Jewish Descent in the German Military“, 2002, zeigt, dass es ungefähr 150
000 jüdische Soldaten gab, die in den deutschen Streitkräften dienten. Juden gab es auch in
der S.S. und in der Gestapo (übrigens wurden in Frankreich während der Besetzung die
Rothschilds nie behelligt). Rigg zeigt, dass es Juden deutscher Herkunft gab, häufig
Halbjuden, die Feldmarschälle, Admirale, Generale waren und ihres Heldenmutes wegen mit
den höchsten Dekorationen ausgezeichnet wurden.
Professor Giovanni d’Angelo, der diese Dinge erwähnt (. . .) bringt dazu folgende Hypothese:
Am ersten Zionistenkongress, den Theodor Herzl, Vertreter des auf Palästina konzentrierten
Zionismus, einberufen hatte, widersetzten sich die Delegierten der Jiddischen Gemeinden
Osteuropas einer Auswanderung nach Palästina und betonten, sie wollten keineswegs ihre
Heimatländer verlassen. Dieser Widerstand dauerte bis in die Dreissigerjahre des 20.
Jahrhunderts an und war für den internationalen Zionismus inakzeptabel. Nun waren es aber
genau die Juden osteuropäischer Herkunft, die von der Verfolgung durch das nationalsozialistische Deutschland am meisten getroffen wurden. Der deutsche National-Sozialismus
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hätte somit zum Sieg des internationalen Zionismus beigetragen, der von den sephardischen
Juden getragen wurde. Es ist gut bekannt, welche Abneigung die Zionisten gegen die Welt,
Sprache und Kultur der Jiddischen Juden hegten; sie schreckten dabei nicht vor Mord an
diesen zurück. (. . .)
(XCIII-XCIV)
Man weiss, dass eine Menge von deutschen Rassisten und Rassentheoretikern das jüdische
Volk und seine ausserordentliche ethnisch-kulturelle Dauerhaftigkeit während des
Geschichtsverlaufs bewunderte, ja benied. Sie hätten sich diese Dauerhaftigkeit,
gemeinschaftliche Kompaktheit, die der individualistischen Pulverisierung entgangen war (zu
der andrerseits die Juden in der Geschichte nicht wenig beigesteuert hatten!), für das deutsche
Volk gewünscht. Die deutschen National-Sozialisten orientierten sich nach den Theoretikern
des Judaismus und Zionismus, wenn sie die rassische Reinheit forderten und Mischehen
verbieten wollten. Die Nürnberger Gesetze sind von vielen jüdischen und zionistischen
Würdenträgern gutgeheissen worden. Wir erwähnen hier Esdras und Nehemie und auch die
Theoretiker der Überlegenheit der jüdischen Rasse Ende des 19. Jahrhunderts, Lucien Wolf
und Joseph Jacobs, beide Schüler des Darwinisten Galton. Diese beiden betrachteten die
Torah und den Talmud als ethnisch-eugenistische Abhandlungen der Rassenhygiene. (. . .)
Der Begriff der Rassenhygiene ist nach André Pichot („Aux origines des théories raciales, de
la Bible à Darwin“, 2008) nicht von den Theoretikern der deutschen Rasse, sondern von den
jüdischen Theoretikern der Reinheit und Überlegenheit der jüdischen Rasse erfunden worden.
. . .) In „Der Israelit“ vom 19. September 1935 beglückwünscht sich der Editorialschreiber
dazu, dass die Juden des Deutschen Reiches gezwungen werden die Heiratsgebote der Bücher
von Esdras, Nehemie und des mosaischen Gesetzes zu beachten.
Rigg zeigt in seinem Buch, wie viele Juden in Deutschland sich vollständig als Deutsche
fühlten und oftmals erst merkten, dass sie Juden waren, als die national-sozialistische
Verfolgung losging. Sie hatten keinen blassen Schimmer mehr, was Judesein bedeutete und
machten sich nicht selten über die Juden lustig; ihre Familien waren seit Generationen in
Deutschland integriert, einige sogar aristokratisch. Nichts verband sie mit den lausigen Juden
der Ghettos in Osteuropa oder den orthodoxen Juden und ihren Rabbinern. Ein Beispiel dafür
war Walther Rathenau, deutscher Grosskapitalist und Minister der Weimarer Republik; er
erlag einem Attentat auf ihn durch revolutionäre Nationalisten im Jahre 1922. Diese oben
geschilderten „Juden“ fühlten sich deshalb von der antijüdischen Hetze durch den NationalSozialismus überhaupt nicht betroffen. So viele Juden hatten während des Ersten Weltkrieges
für ihr Land an vorderster Front gekämpft, ihr Leben für es hingegeben oder waren schwer
verstümmelt Invalide dieses Krieges geworden. Rigg zitiert viele Juden, welche den
Judaismus verabscheuten, und viele andere von der zionistischen Bewegung, die die Ostjuden
verachteten und hassten. (. . .) Ihre Verlautbarungen (z. B. bezüglich der polnischen Juden;
die deutschen Juden betrachteten sie als Abschaum) brächten sie heute im Land Voltaires und
der Toleranz (. . .) im Namen des Antirassismus in Kontakt mit der Justiz. Was für eine
kriminelle Ungerechtigkeit des National-Sozialismus, gegen diese „Juden“ vorzugehen, die
nicht weniger deutsch als die übrige Bevölkerung war! Nicht wenige von ihnen waren sogar
in die N.S.D.A.P. eingetreten! Umgekehrt sehen wir, dass der Anti-Judaismus von Hitler
keinesfalls absolut war; zwischen öffentlichen Erklärungen und Alltagspraxis bestand ein
gewaltiger Unterschied. Göring (und er war nicht der einzige in der Führungsclique von Partei
und Armee) teilte den Antijudaismus von Hitler nicht. So erklärte er: „Ich bestimme, wer Jude
ist und wer nicht.“ Viele Juden traten in die Luftwaffe, die toleranter als die Wehrmacht war.
Hitler selbst verlieh 150 000 halbjüdischen Soldaten (nach Rigg) den Arierstatus, sodass sie in
der deutschen Armee verbleiben und Karriere machten durften (einige gelangten zu höchsten
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Rängen), was natürlich einer antifaschistischen Geschichtsauffassung ins Gesicht schlägt. Der
Autor selbst erklärt seine Überraschung und ein gewisses Nicht-verstehen-Können. Dies umso
mehr, als Hitler während vieler Stunden sich mitten im Krieg die Zeit genommen habe, um
eingehend die Dossiers von Militärs (worunter einfachen Soldaten) zu studieren, welche um
den Arierstatus ersuchten. Hitler verlieh diesen sogar posthum an auf dem Feld der Ehre
Gefallene und an schwer Verletzte. Übrigens wurde im selben Zuge auch Jesus Christus zum
Arier erklärt . . .
Rigg gibt Aufschluss über die jüdischen Organisationen der extremen nationalistischen
Rechten und zitiert z. B. einen gewissen Dr. Max Naumann (einen Juden), der die hitlersche
Sache bis 1935 unterstützte. Er gründete eine Organisation namens „Die deutsch-nationalen
Juden“. Er schrieb an Hitler, seine Bewegung kämpfe dagegen, dass Ostjuden auf deutsches
Gebiet kämen; er spricht von „halbasiatischen Horden“, die eine Gefahr für Deutschland
darstellten. Er hoffe, Hitler vertriebe diese Ostjuden (vor allem Polen), die sich in
Deutschland aufhielten. Dieser Naumann soll kein Einzelfall gewesen sein. Rigg spricht von
einem Hans-Joachim Schoeps, auch ein Jude und wütender Antikommunist; er unterstützte
Hitler in seinem Kampf. Rigg erinnert auch, dass im Februar 1943, als Goebbels Massnahmen
ergriffen hatte, um zwei Millionen Juden, die mit Arierinnen verheiratet waren, zu verhaften
und zu deportieren, der Rückwärtsgang eingeschaltet werden musste, da man dem Druck
öffentlicher Strassenproteste weichen musste (und dabei beschreibt der Antifaschismus das
deutsche national-sozialistische Regime als so totalitär und allmächtig . . .).
Ehrlicherweise verheimlicht Rigg nicht, dass die deutschen Soldaten jüdischer Herkunft sich
oftmals auch deshalb besonders tapfer hielten (. . .), weil sie ihre Deportation und diejenige
ihrer Angehörigen verhindern wollten; das war aber nicht ihre einzige Motivation. Daneben
waren sie dem Vaterland verbunden, mitunter sogar dem national-sozialistischen Regime.
Rigg ruft den Fall der Schwarzen in Erinnerung, die in der Armee der Konföderierten
[Südstaaten] im Amerikanischen Bürgerkrieg mitkämpften; es waren immerhin 40 000,
(worunter nicht wenige Grundbesitzer mit Sklaven!). Übrigens erfährt man bei Rigg zudem,
dass sich Hitler immer weigerte, deutsche Frauen in der Industrie arbeiten zu lassen (was drei
Millionen zusätzliche Männer für die Armee freigestellt hätte). Er befürchtete, die
Industriearbeit könnte eine abträgliche Wirkung auf Emotionalität und Weiblichkeit der
Frauen, auf ihre psychisch-physische Konstitution, auf Familie haben und sich negativ auf die
Geburtenzahl auswirken.
Hitler hat nicht nur verdienstvolle Soldaten arisiert, sondern auch Zivilpersonen, z. B. den
Biochemiker Otto Warburg, ein Aushängeschild des Zionismus in Deutschland.
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