Thomas Hobbes: Grundzüge der Philosophie

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Thomas Hobbes, aus: Grundzüge der Philosophie (1655/1658)
Die Natur hat jedem ein Recht auf alles gegeben; d.h. in dem reinen Naturzustande oder ehe noch
die Menschen durch irgendwelche Verträge sich gegenseitig gebunden hatten, war es jedem erlaubt
zu tun, was er wollte und gegen wen er es wollte, und alles in Besitz zu nehmen, zu gebrauchen und
zu genießen, was er wollte und konnte. Da nun alles, was jemand will, ihm gut erscheint, weil er es
will, und dies zu seiner Erhaltung dient und da das in Übereinstimmung mit dem Naturrechte
geschieht, so folgt, dass in dem Naturzustande jeder alles haben und tun darf.
Es brachte aber den Menschen durchaus keinen Nutzen, in dieser Weise ein allgemeines gleiches
Recht auf alles zu haben. Denn die Wirkungen eines solchen Rechts sind so ziemlich dieselben, als
wenn überhaupt kein Recht bestände. Nimmt man zu der natürlichen Neigung der Menschen, sich
gegenseitig Schaden zuzufügen, das Recht hinzu, nach welchem der eine mit Recht angreift und der
andere mit Recht Widerstand leistet, und erwägt man, wie schwer es ist, gegen Feinde sich zu
schützen, so kann man nicht leugnen, dass der natürliche Zustand der Menschen, bevor sie zu
Gesellschaften zusammentraten, der Krieg schlechthin gewesen ist, und zwar der Krieg aller gegen
alle (bellum omnium contra omnes / homo homini lupus). Die übrige Zeit nennt man Frieden.
Indes können die Menschen, solange sie sich im Naturzustande, d.h. im Zustande des Krieges,
befinden, wegen jener Gleichheit der Kräfte und der anderen menschlichen Vermögen nicht
erwarten, sich dauernd zu erhalten. Deshalb ist es ein Gebot der rechten Vernunft und das erste
und grundlegende Gesetz der Natur, den Frieden zu suchen, sobald eine Hoffnung auf denselben
sich zeigt, und solange er nicht zu haben ist, sich nach Hilfe für den Krieg umzusehen.
Eins von den aus diesem Grundgesetz abgeleiteten natürlichen Gesetzen ist, dass das Recht aller auf
alles nicht beizubehalten sei, sondern dass einzelne Rechte zu übertragen oder aufzugeben seien.
Sein Recht aufgeben, heißt, ihm völlig entsagen oder es auf einen andern übertragen. Zur
Übertragung eines Rechts gehört aber nicht bloß der Wille des Übertragenden, sondern auch der
des Annehmenden. Wenn zwei oder mehrere sich ihre Rechte gegenseitig übertragen, so heißt dies
ein Vertrag. Nun erhellt aber, dass das Übereinkommen von zweien oder dreien eine wirkliche
Sicherheit nicht gewähren kann; denn der andere braucht nur einen oder ein paar Menschen mehr
zu nehmen, um zweifellos den Sieg zu gewinnen und jedenfalls den Mut zum Angriff sich zu
stärken. Indes, wenn sie sich nicht einig sind über die beste Art, diese auszuführen, so wird nichts
erreicht. Wenn sonach die Übereinstimmung des Willens vieler zu demselben Zwecke nicht genügt,
um den Frieden zu erhalten, so muss für die zum Frieden und zur Selbstverteidigung notwendigen
Mittel ein Wille in allem bestehen. Dies ist aber nur möglich, wenn die einzelnen ihren Willen
dem Willen eines einzelnen, d.h. eines Menschen oder einer Versammlung so unterordnen, dass
dieser Wille für den Willen aller einzelnen gilt, soweit er etwas über das zum gemeinsamen
Frieden Nötige bestimmt. Diese Unterwerfung des Willens aller unter den Willen eines
Menschen oder einer Versammlung erfolgt dann, wenn jeder sich jedem der übrigen durch
Vertrag verpflichtet, dem Willen dieses einen, dem er sich unterworfen hat, keinen Widerstand
zu leisten.
Die so gebildete Vereinigung ist der Staat oder die bürgerliche Gesellschaft oder auch die
bürgerliche Person. Denn da alle hier nur einen Willen haben, so gelten sie für eine Person, die
durch diese Einheit sich erkennbar macht und sich von allen einzelnen Menschen unterscheidet, die
ihre besondern Rechte und ihr besonderes Vermögen hat. Der Staat ist daher als eine Person zu
definieren, deren Wille vermöge des Vertrages mehrerer Menschen als der Wille aller gilt, und der
daher die Kräfte und Vermögen der einzelnen für den gemeinsamen Frieden und Schutz
verwenden kann. In jedem Staate gilt der Mensch oder die Versammlung, deren Willen die
einzelnen ihren Willen unterworfen haben, als der Inhaber der höchsten Gewalt oder der höchsten
Herrschaft oder der Souveränität. Diese Macht und dieses Recht zu herrschen besteht darin, dass
jeder einzelne Bürger all seine Kraft und Macht auf jenen Menschen oder jene Versammlung
übertragen hat. Der einzelne Bürger sowie jede andere untergeordnete Rechtsperson heißt Untertan
des Inhabers der Staatsgewalt.
Jean Jaques Rousseau, aus: Der Gesellschaftsvertrag (Contrat social, 1762)
Gehorchet den Gewalthabern! Wenn dies bedeuten soll: gebet der Stärke, der Gewalt nach, so ist
das Gebot gut, aber überflüssig; ich bürge dafür, dass es nie übertreten werden wird. Ich gebe zu,
dass jede Gewalt von Gott kommt; aber auch jede Krankheit kommt von ihm; heißt das etwa,
deshalb sei es verboten, den Arzt zu rufen? Wenn mich ein Räuber im Waldesdickicht überfällt, so
muß ich mich der Gewalt fügen und ihm meine Börse geben; verpflichtet mich aber wohl mein
Gewissen, sie zu geben, wenn ich imstande wäre, sie ihm vorzuenthalten? Die Pistole, die er mir
vorhält, ist ja am Ende doch immer eine Gewalt.
Gestehen wir also, dass Stärke kein Recht gewährt, und dass man nur verpflichtet ist, der
rechtmäßigen Gewalt Gehorsam zu leisten.
»Wie findet man eine Gesellschaftsform, die mit der ganzen gemeinsamen Kraft die Person
und das Vermögen jedes Gesellschaftsgliedes verteidigt und schützt und kraft dessen jeder
einzelne, obgleich er sich mit allen vereint, gleichwohl nur sich selbst gehorcht und so frei
bleibt wie vorher?« Dies ist die Hauptfrage, deren Lösung der Gesellschaftsvertrag gibt.
Die Klauseln dieses Vertrages sind durch die Natur der Verhandlung so bestimmt, dass die
geringste Abänderung sie nichtig und wirkungslos machen müsste. Die Folge davon ist, dass sie,
wenn sie auch vielleicht nie ausdrücklich ausgesprochen wären, doch überall gleich, überall
stillschweigend angenommen und anerkannt sind, bis - nach Verletzung des
Gesellschaftsvertrages - jeder in seine ursprünglichen Rechte zurücktritt und seine natürliche
Freiheit zurückerhält, während er zugleich die auf Übereinkommen beruhende Freiheit, für die er
auf jene verzichtete, verliert.
Alle diese Klauseln lassen sich, wenn man sie richtig auffasst, auf eine einzige zurückführen,
nämlich auf das gänzliche Aufgehen jedes Gesellschaftsgliedes mit allen seinen Rechten in der
Gesamtheit, denn indem sich jeder ganz hingibt, so ist das Verhältnis zunächst für alle gleich,
und weil das Verhältnis für alle gleich ist, so hat niemand ein Interesse daran, es den anderen
drückend zu machen. Da ferner dieses Aufgehen ohne allen Vorbehalt geschieht, so ist die
Verbindung so vollkommen, wie sie nur sein kann, und kein Gesellschaftsgenosse hat irgend
etwas Weiteres zu beanspruchen, denn wenn den einzelnen irgendwelche Rechte blieben, so
würde in Ermangelung eines gemeinsamen Oberherrn, der zwischen ihnen und dem Gemeinwesen
entscheiden könnte, jeder, der in irgendeinem Punkte sein eigener Richter ist, auch bald
verlangen, es in allen zu sein; der Naturzustand würde fortdauern, und die gesellschaftliche
Vereinigung tyrannisierend oder zwecklos sein.
Während sich endlich jeder allen übergibt, übergibt er sich damit niemandem, und da man über
jeden Gesellschaftsgenossen das nämliche Recht erwirbt, das man ihm über sich gewährt, so
gewinnt man für alles, was man verliert, Ersatz und mehr Kraft, das zu bewahren, was man hat.
Scheidet man also vom Gesellschaftsvertrage alles aus, was nicht zu seinem Wesen gehört, so
wird man sich überzeugen, dass er sich in folgende Worte zusammenfassen lässt:
»Jeder von uns stellt gemeinschaftlich seine Person und seine ganze Kraft unter die oberste
Leitung des allgemeinen Willens, und wir nehmen jedes Mitglied als untrennbaren Teil des
Ganzen auf.«
An die Stelle der einzelnen Person jedes Vertragabschließers setzt solcher Gesellschaftsvertrag
sofort einen geistigen Gesamtkörper, dessen Mitglieder aus sämtlichen Stimmabgebenden
bestehen, und der durch ebendiesen Akt seine Einheit, sein gemeinsames Ich, sein Leben und
seinen Willen erhält. Diese öffentliche Person, die sich auf solche Weise aus der Vereinigung
aller übrigen bildet, wurde ehemals Stadt (Polis) genannt und heißt jetzt Republik oder
Staatskörper. Im passiven Zustand wird er von seinen Mitgliedern Staat, im aktiven Zustand
Oberhaupt, im Vergleich mit anderen seiner Art, Macht genannt. Die Gesellschaftsgenossen
führen als Gesamtheit den Namen Volk und nennen sich einzeln als Teilhaber der höchsten Gewalt
Staatsbürger und im Hinblick auf den Gehorsam, den sie den Staatsgesetzen schuldig sind,
Untertanen. Aber diese Ausdrücke gehen oft ineinander über und werden miteinander verwechselt;
es genügt, sie unterscheiden zu können, wenn sie in ihrer eigentlichen Bedeutung gebraucht werden.
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