68637411 STATIO Am Morgen des vierten Advents leben wir schon auf den Abend, auf den Weihnachtsabend hin. Die Liturgie spielt an diesem Morgen noch einmal Israels große Messias-Sehnsucht ein: Zu ihm werden alle heimkehren; bei ihm werden sie Heimat haben. Er wird ihr Hirt sein in der Kraft Jahwes, des Herrn. Versammeln auch wir uns heute Morgen in dieser adventlichen Sehnsucht nach den Gesalbten und Gesegneten: Er möge in unser Leben kommen und uns ein Segen sein. Er möge unser unruhiges Herz zuhause sein und ausruhen lassen in der Lebens- und Wohngemeinschaft mit unserem Gott, die wir jetzt feiern. AM ENDE D E R OPFER Vor Weihnachten Am Eingang dieses Tages, der uns zur Weihnacht hinführen wird, an die Krippe, in der der Neugeborene liegt: Auf große theologische Gedanken sind wir jetzt nicht gestimmt. Aber die Hebräerbrief-Lesung will unseren Blick weiten auf die großen Zusammenhänge, auf die geradezu kosmischen Dimensionen, in denen Weihnachten gesehen werden soll. Was uns da gezeigt wird, ist - auf den ersten Blick - wenig weihnachtlich. Christus wird uns im Gespräch mit seinem Vater vorgestellt. Im Lobpreis des Vaters spricht er aus, was es zu bedeuten hat, wenn er nun in die Welt eingeht, durch sie hindurchgeht, in alle Höhen und Tiefen hinein, ins Leben und in den Tod. Brand- und Sündopfer forderst du nicht Wie überraschend, dass jetzt von Opfern die Rede ist. Der Vater hat keinen Gefallen an Schlacht- und Speiseopfern, Brand- und Sündopfer fordert er nicht. Der Hebräerbrief lenkt den Blick der Zeitgenossen auf die vielen Opfer der Religionsgeschichte: auf den Altar der Brandopfer, die zu Gott und den Göttern - zum Himmel - aufsteigen sollen. In den Opfern wollen die Menschen selbst mit ihren Bitten und ihrer Sehnsucht in die Sphäre des Göttlichen Eingang finden. Im Blick sind auch die Speiseopfer: Gott wird zu Tisch geladen. Er möge die Feier der Menschen mit seiner Anwesenheit segnen, möge mitten unter ihnen wohnen, damit sie das gute Leben miteinander teilen. So vielfältig ist die menschliche Sehnsucht, die in den Opferritualen ihren Ausdruck findet. Noch in der Kerze, die wir vor Ihm entzünden, brennt unsere Sehnsucht, will sie aufsteigen zu Ihm. Denken wir nicht zu gering von diesem Zeichen unserer Sehnsucht. Auch der Vater im Himmel wird sie nicht gering schätzen. Aber er fordert sie nicht. Und es »gefällt« ihm nicht, wenn die Menschen ihre Opfer als Tribut verstehen, den sie einem »gefährlichen« Gott leisten müssen, damit dieser sie vor Unglück und Unheil verschont. Gott kommt von sich aus Jetzt erschließt sich das kosmische Gemälde des Hebräerbriefs als vorweihnachtliche Szene. Nicht die Menschen müssen - mit ihren Opfern - in die Himmel hinaufzusteigen versuchen. In Christus steigt Gott vielmehr »hinunter«. Er will von sich aus da sein, wo Menschen leben, lieben und leiden. Er will ihnen nahe sein, damit sie sich - ihr Hab und Gut - nicht verzehren müssen, ihn »herunterzuholen«. Nicht die Menschen müssen versuchen, Gott mit ihren Gaben zum Wohlverhalten zu »motivieren«. Es gilt ihnen vielmehr von vornherein sein guter Wille. In Jesus Christus kommt Gott zur Welt, damit in ihr - wie schon im Himmel - sein guter Wille geschieht. Zeichen unserer Sehnsucht Die Opfer sind Zeichen menschlicher Sehnsucht, es möge sich doch endlich etwas zum Besseren ändern in meinem Leben; Zeichen unseres Bangens und Hoffens, das Unglück möge uns nicht treffen, das uns bei so vielen anderen, in anderen Weltteilen, in unseren Angstträumen vor Augen steht. Wir wollen etwas tun, damit sich etwas zum Guten ändert - 68637411 damit das Üble uns nicht überfällt. Wir möchten »hinaufsteigen«, um das Gute zu uns »herunterzuziehen« und das Böse abzuwenden. Denken wir auch nicht zu gering von diesem urmenschlichen Impuls! Wundern wir uns nicht darüber, dass er immer noch in uns ist. Und dann hören wir noch einmal auf die Botschaft des Hebräerbriefs: Gott müsst Ihr nicht auf die Welt holen. Dafür müsst ihr nichts tun. Er ist euch in Jesus Christus zuvorgekommen, zuvorkommend, wie es seinem Wesen entspricht. Aber was ist das für eine Welt, in die er kommt? Es ist eben diese Welt, in der wir unsere Sehnsucht und unsere Ängste so ohnmächtig zum Ausdruck bringen, dass wir durch Opfer etwas abwenden oder herabrufen wollen. Gottes Gesandter kommt in diese Welt - und er wird ihr zum Opfer fallen. Aber er wird Gott in sie einzeichnen, unauslöschlich. Er wird sie öffnen, er wird den Himmel öffnen auf den Vater hin. Nichts und niemand wird diesen Weg in den Himmel hinein wieder verschließen können. Die Opfergabe kommt von oben, nicht von unten Die Opfergabe, die den Himmel mit der Erde und die Erde mit dem Himmel verbindet, kommt nicht von unten. Sie kommt »von oben«. Und sie heißt Jesus Christus, der zur Weihnacht zur Welt Gekommene. Das ist die Glaubensperspektive - der GlaubensDurchblick - des Hebräerbriefs. Aber wie ist er diese Opfergabe? Da er den guten Willen des Vaters in unserer Welt bezeugt und ihn lebt. Das ist sein Opfer: Er stellt sich dafür zur Verfügung, dass Gottes guter Wille geschehen kann, dass die Menschen ihn glauben können. Er bezeugt ihn: Gottes Wille lässt sich wahrnehmen, wo immer das Leben aufblüht - uns zur Freude, aber auch zur Herausforderung. Das Leben ist in unsere Hand gegeben, in unsere Obhut gegeben. Wir müssen uns dazu bewegen lassen, ihm zu dienen. Das weihnachtlich neu geborene Menschenleben des Gottessohnes stellt uns diese faszinierende Forderung vor Augen. So kommt Gottes Mensch gewordener guter Wille in unsere Welt. Gottes Mensch gewordener gute Wille Herrscher bringen ihren Willen ganz anders in diese Welt hinein. Sie haben die Mittel, die anderen unter ihren Willen zu zwingen. Und sie machen reichlich Gebrauch davon. Gnade uns Gott, wenn ihr Wille in der Welt ungehemmt geschehen kann. Wir haben Erfahrung mit dem gnadenlosen Willen der Herrscher und Konzerne, eines globalisierten Weltmarkts und seiner Agenten. Es scheint so, als dürften sie gar keine Gnade kennen. Wenn einer schwach wird, droht nichts weniger als die »feindliche Übernahme«. Gottes guter Wille kommt als Kind zur Welt, als ein Mensch, der mit allen Gesten, mit seinen Worten, mit seinem ganzen Herzen das Geheimnis des göttlichen Lebens in unserer Welt offenbart - und uns dafür in Dienst nimmt, dass es blüht. Sein »Opfer« bringt uns Gott nahe, so nahe, dass wir Gottes guten Willen mitfühlen können; dass wir das Gute leibhaft spüren können, das Gottes Wille - mit uns und für uns will. So sind wir »durch die Opfergabe des Leibes Jesu Christi ein für allemal geheiligt« (Hebr 10,10). Heilige sind »angesteckt« von der Gegenwart Gottes, hineingezogen in seine Vorhaben. Ihnen kann man ansehen, wie Gott ihnen nahegekommen ist, weihnachtlich, karfreitäglich, österlich, pfingstlich. Sie sind davon befreit, Gott etwas oder sich selbst opfern zu müssen. Sie sind dazu befreit, weiterzugeben, was sie empfangen haben: dem guten Willen zu dienen, der ihnen im Gottes- und Menschensohn Jesus Christus nahegekommen ist. Möge uns zu Weihnachten nahegehen, wie Gott uns nahekam und nahekommen will.