Ehrwürdige Botschafter einer fernen Vergangenheit

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Ehrwürdige Botschafter einer fernen Vergangenheit
Orpheon möchte Ihre Augen und Ohren öffnen und Sie einladen, die wundersame Welt der Streichinstrumente der
Renaissance, des Barock, der Klassik zu betreten. Dürfen wir Sie auf einem Spaziergang durch diese Galerien
begleiten?
Die Sammlung umfasst zur Zeit mehr als 170 Instrumente (Violine, Viola, Violoncello, Viola da gamba, Viola
d’amore, Violone, Baryton) und historische Bögen von 1560 bis 1780, die allesamt in die Mensuren der
Renaissance, des Barock und der Klassik restauriert worden sind und den Musikern von Orpheon, professionellen
Musikern in ganz Europa und Studierenden der Musikuniversität Wien für Konzerte, Aufnahmen, Probespiele und
besondere Projekte zur Verfügung gestellt werden. Ihr Eigentümer, Prof. José Vázquez, vertritt somit seine
Überzeugung, dass uns nicht alleine das dekorative Aussehen dieser Instrumente als objets trouvés aristokratischer
Residenzen längst verflossener Zeiten interessiert, sondern vielmehr das akustische Phänomen, der wundervolle
Klang, den die heutigen Musiker diesen altehrwürdigen Instrumenten entlocken können. Dieser Klang ist das
eigentliche kulturelle Erbe.
Der Musiker will aus dem Umgang mit diesen herrlichen Instrumenten lernen, das Publikum will hören, wie die
musikalischen Schätze der Renaissance, des Barock, der Klassik einst wohl geklungen haben mögen. Der Musiker
hat das Recht, die herrlichen Schöpfungen jener begnadeten Instrumentenbauer zu spielen, das Publikum soll und
darf diese klanglich erleben. Es ist unser aller Erbe.
Unsere Mission:
Es ist ein ausnehmend schöner und einzigartiger - geradezu wundertätiger - Prozess, den diese Sammlung für die
Menschheit aufrechterhalten möchte.
Unsere Vergangenheit:
Der Geigenbauer von damals investierte sein ganzes Wissen, seine Gewandtheit, aber auch seine ganze Liebe, um
einen Gegenstand unsagbarer Schönheit zu kreieren, dessen einzige Bestimmung es war, einen unvergleichlich
schönen musikalischen Klang zu erzeugen. Der Komponist von damals ließ sich zweifelsohne von den
wunderbaren Klängen, die aus diesen feinen Instrumenten kamen, inspirieren, um Meisterwerke tiefen emotionalen
Ausdrucks hervorzubringen
Unsere Gegenwart:
Wenn ihm Gelegenheit gewährt wird, mit einem solch feinen Instrument zu arbeiten, erwirbt der professionelle
Musiker oder der Student von heute Kenntnisse über die Ästhetik der zurückliegenden Epochen und wird die
poetischen Schöpfungen der Komponisten dieser Zeit im Lichte dieses Wissens interpretieren. Der Musiker, fortan
mit dem Instrument und seinem kulturellen Erbe vertraut, ist in der Lage, dem heutigen Publikum jene exquisiten
Kompositionen auf demselben Instrument zu präsentieren, welches ein begnadeter Instrumentenbauer auf seiner
Werkbank vor drei- oder gar vierhundert Jahren erzeugte. Geigenbauer und Komponist sind längst verstorben, aber
ihr Vermächtnis lebt weiter und bereichert unser Leben heute, wie es vormals das Leben von so vielen bereicherte
und wie es das Leben von so vielen künftigen Generationen bereichern wird. Ist das nicht erstaunlich?
Unsere Mission für die Zukunft:
Die Aufrechterhaltung dieser Tradition, ungebrochen seitdem die Violine das Atelier ihrer Geburt verließ, ist die
Mission, die Orpheon übernommen hat. Die Rezeption und die Auswirkungen unserer Ausstellungen beweisen,
dass das heutige Publikum die Bedeutung unserer Botschaft vollends zu verstehen und zu würdigen weiß. Wir
hoffen sehr, dass auch Sie diese ehrwürdigen Botschafter vergangener Zeiten in Ihrem Herzen werden willkommen
heißen. Leihen Sie ihnen Ihr Ohr, weil sie Ihre Seele bewegen und damit Ihr Leben verändern werden.
José
Vázquez
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Die Familien der Viola da gamba
und Viola da braccio
Die Instrumente der Sammlung sind diesen beiden Gruppen zuzuordnen. Es muss betont
werden, dass die beiden Familien entgegen der verbreiteten Meinung nicht verwandt sind:
die Viola da gamba ist keineswegs eine Vorläuferin der Violine. Gambe und Violine
entstanden etwa zur gleichen Zeit, aber in verschiedenen Teilen Europas.
Die Viola da gamba entstand Ende des 15. Jahrhunderts in der kulturell heterogenen
Region Valencia (Spanien). Die früheste Abbildung einer Viola da gamba, gespielt von
einem Engel, die in Xativa (Valencia) gefunden wurde, stammt von 1475-85. (Sie finden eine
Fotografie dieses Bildes in der Ausstellung.) Die Bünde, die Anzahl der Saiten (sechs), und die
Stimmung (in Quarten, mit einer Terz in der Mitte) wurden von der Laute oder der Vihuela,
einer Vorform der Gitarre, übernommen. Eigentlich ist die Viola da gamba eine gestrichene
Gitarre. „Da gamba“ (ital. gamba, das Bein) bezieht sich auf die Spielhaltung des
Instruments: auf den Knien oder zwischen den Beinen.
Die Violine wanderte in den Händen reisender Musiker höchstwahrscheinlich aus Polen
oder dem Norden Europas nach Italien. Die ersten Abbildungen eines vollständigen
Quartetts von Viole da braccio („Arm-Violen“) stammen vom ausgezeichneten RenaissanceMaler Gaudenzio Ferrari und sind u.a. in der Kathedrale von Saronno zu finden; sie wurden
um 1535 geschaffen. (Sie finden diese Bilder ebenfalls in der Ausstellung.)
Die Violine hat gewöhnlich vier Saiten, die in Quinten gestimmt sind. Das Griffbrett hat keine
Bünde. Das Instrument stammt von der mittelalterlichen Vielle oder Rebec ab, die beide auf
der Schulter gehalten wurden; deshalb wurde es von den Italienern Viola da braccio, also
Arm-Viola genannt.
Diese beiden Familien (Violinen und Gamben) lebten und arbeiteten etwa 250 Jahre in
Harmonie neben- und miteinander. Die Viola da gamba verschwand nach und nach im
Laufe des 18. Jahrhunderts, während die Violine für uns heute den Gipfelpunkt der
abendländischen Musiktradition repräsentiert. Das moderne Symphonieorchester gründet
auf dem Klang dieser Instrumentenfamilie.
Die Gambenfamilie
Wie alle Instrumente der Renaissance wurde auch die Gambe in verschiedenen Größen
gebaut, die den verschiedenen Gattungen der menschlichen Stimme entsprachen. Dies
waren:
Diskantgambe (Stimmung: d´´, a´, e´, c´, g, d)
Altgambe (tatsächlich selten verwendet: c´´, g´, d´, b, f, c)
Tenorgambe (g´, d´, a, f, c, G)
Bassgambe (d´, a, e, c, G, D)
Großbassgambe ??? (g, d, A, F, C, GG)
Kontrabassgambe ( d, a, e, C, GG, DD)
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Außer diesen Instrumenten gab es im 18. Jahrhundert in Frankreich noch ein kleineres
Familienmitglied, den Pardessus de viole, welcher eine Oktave höher als die Tenorgambe
gestimmt war, manchmal aber nur fünf Saiten hatte ( g´´, d´´, a´, d´, g).
Alle Mitglieder der Gambenfamilie können in dieser Ausstellung betrachtet werden.
Die Familie der Violinen (oder Violen da braccio)
Violine (e´´, a´, d´, g)
Viola (a´, d´, g, c)
Violoncello (a, d, G, C)
Kontrabass (g, D, A, EE, manchmal zusätzlich CC)
Es gab außerdem weitere Größen, die aber selten benutzt wurden. Das Violoncello
piccolo etwa war mit vier oder fünf Saiten gebräuchlich, wobei e´ die höchste Saite war.
Sehr selten anzutreffen war auch eine fünfsaitige Violine mit variabler Stimmung.
Fast alle diese Instrumente sind hier ausgestellt; derzeit haben wir leider noch kein
Violoncello piccolo, aber wir halten die Hoffnung wach!
Instrumente mit Resonanzsaiten
Vom 17. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts waren noch zwei weitere Streichinstrumente
gelegentlich in Gebrauch. Entdeckungen im Fernen Osten, besonders in China und Indien,
inspirierten Instrumentenbauer in Europa zu Experimenten. Der Gebrauch von
Resonanzsaiten etwa führte zur Erfindung von Viola d´amore und Baryton.
Zwei Viole d´amore und ein Baryton sind in der Ausstellung zu sehen.
Die Viola d´amore ist eine Art Violine, allerdings mit sechs oder sieben Darmsaiten, die mit
dem Bogen gestrichen werden, und weiteren sechs oder sieben dünnen Metallsaiten, die
unter dem Griffbrett laufen und mitklingen, wenn die oberen Saiten gespielt werden und
damit eine derartig magische, silbrige Resonanz erzeugen, dass jeder Hörer verzaubert
wird. Diese besondere Klangfarbe wurde verwendet, um zarte und - wie der Name schon
sagt – liebe-volle Emotionen auszudrücken.
Das Baryton ist im Wesentlichen eine Viola da gamba mit sechs oder sieben Spielsaiten,
aber vielen dünnen Metallsaiten, die unter dem Hals verlaufen. Diese Saiten können jedoch
auch mit dem Daumen der linken Hand gezupft werden, während man die anderen Saiten
streicht - ein amüsanter, überraschender und wohlklingender Effekt. Da Fürst Esterhazy das
Instrument verehrte und es sogar selbst spielte, komponierte sein Capellmeister Joseph
Haydn eine große Anzahl hervorragender Werke für das Baryton.
3
Die Sammlung historischer Bögen
Die Geschichte des Bogens ist in der Ausstellung gründlich dokumentiert – sowohl anhand
der originalen Bögen als auch – wo keine originalen Stücke zu finden waren – durch Kopien
historischer Bögen. Seit 1500 hat die Gestalt des Bogens wesentliche Wandlungen
erfahren, die sich in hohem Maße auf das Spiel des Musikers auf seinem Instrument
auswirken. Tatsächlich kann ein Bogen den Klang einer Violine oder Viola da gamba völlig
verändern – eine Tatsache, die nur wenigen bewusst ist.
DIE VIOLA DA GAMBA
„Wenn man Instrumente nach ihrer Fähigkeit, die menschliche Stimme
nachzuahmen, beurteilen müsste, und wenn man Natürlichkeit als höchsten
Wert betrachtete, so könnte man, wie ich meine, der Viola da gamba den ersten
Preis nicht versagen, da sie die menschliche Stimme in jeder Variante
nachahmen kann, sogar in ihren persönlichsten Nuancen, nämlich Trauer und
Freude.“ Marin Mersenne, Harmonie Universelle, 1636
So pries der französische Musiktheoretiker Marin Mersenne 1636 die Viola da gamba,
dieses nobelste aller Streichinstrumente, das während seiner Blütezeit – von 1480 bis 1780,
also von der Renaissance bis zur Klassik – Hof, Kirche und Kammer mit seiner Gegenwart
erfreute. Wegen ihres zarten Klanges, der reich an Obertönen war, wurde die Gambe als
perfekter Imitator der menschlichen Stimme erachtet, was als Folge des Humanismus zum
Maß aller Dinge wurde.
(…, S.3)
Baldassare Castiglione erachtet die Fähigkeit, Gambe zu spielen, als unverzichtbar für
einen Aristokraten.
„Musik ist nicht bloß schmückendes Beiwerk, sondern Notwendigkeit für einen
Menschen von Adel. Sie sollte in der Gegenwart von Damen ausgeübt werden,
da sie einen zu allerlei Gedanken anregt … Und die Musik von vier Violen ad
arco ist bezaubernd, da sie sehr fein, süß und kunstvoll ist.“
Baldassare Castiglione, Il Libro del cortegiano, 1528
Fasziniert von den Ideen des italienischen Humanismus, brachten die kunstliebenden
Herrscher Francois I (+1547) und Henry VIII (+1547) nicht nur die führenden Maler,
Bildhauer und Denker, sondern auch Komponisten und Musiker aus Italien nach Frankreich
bzw. England.
Man könnte also sagen: In einer Zeit, da Neuplatonisches Gedankengut in jedermanns Kopf
und Petrarca und Ariost auf jedermanns Lippen waren, war die Viola da gamba in
jedermanns Händen.
4
Die Gambenfamilie
Die Viola da gamba ist nicht der Vorläufer der Violine, sondern stellt eine eigene
Instrumentenfamilie dar. Sie tauchte erstmals um 1470-80 in Valencia (Spanien) auf und
war bis etwa zur Französischen Revolution en vogue, wobei einige das Instrument noch bis
1800 spielten. Anders als die Violine, deren Form schon Mitte des 16. Jahrhunderts
standardisiert war, wurde die Viola da gamba in verschiedenen Größen und Formen gebaut.
Ein Standardmodell wurde nie erreicht oder auch nur angestrebt. Tatsächlich führten die
Eigenheiten im Bau zwischen 1480 und 1780 zu erstaunlich unterschiedlichen akustischen
Ergebnissen, sodass man nicht wirklich von der „typischen“ Viola da gamba sprechen kann.
Eine italienische Gambe aus der Renaissance hat tatsächlich sehr wenig gemeinsam etwa
mit einer englischen Gambe der Tudorzeit oder mit einer französischen Gambe, die Seiner
Majestät in Versailles diente. Aber das ist gerade das Interessante an dieser vielseitigen
„Familie“, die Sie nun kennen lernen werden …
Die Gambe war ein ausdrücklich aristokratisches Instrument und bildete – gemeinsam mit
Laute, Cembalo und Gesang - einen integralen Bestandteil der Erziehung eines jungen
Adeligen. Sie wurde vorwiegend für ernste Musik in anspruchsvoller Umgebung gespielt,
ganz anders als die Violine, die anfangs von Berufsmusikern und fahrenden Musikern zur
Begleitung von Tanz und Unterhaltung verwendet und daher als unpassend für Menschen
gehobener Herkunft angesehen wurde.
Die Viola da gamba im Consort
In der Renaissance wurden alle Instrumente in Familien gebaut, die den Lagen der
menschlichen Stimme entsprachen: Sopran, Alt, Tenor, Bass. Das Gamben-Consort
bestand aus Instrumenten unterschiedlicher Größe, wobei Diskant- (Sopran), Tenor- und
Bassgamben am häufigsten vorkamen. Zwei Diskant-, zwei Tenor- und zwei Bassgamben
bildeten zusammen einen „chest of viols“. In der Consort-Literatur werden aber Werke für
zwei bis sieben Instrumente angegeben. Im Idealfall stammten alle Instrumente vom selben
Instrumentenbauer.
Wegen ihres delikaten, obertonreichen und fein nuancierten Klanges wurde die Gambe
bevorzugt für polyphone Musik verwendet, entweder in Kombination mit Stimmen (in
Motetten, Madrigalen, Chansons) oder in Instrumentalformen, die von diesen vokalen
Formen abgeleitet waren (Ricercare, Canzona, Tiento, Fantasia).
Die größten englischen Meister, Byrd, Ferrabosco, Coperario, Lawes, Gibbons, Purcell,
brillierten besonders in der Fantasia, die als polyphone Form par excellence gilt: die
gelehrtesten Gedanken und erhabenste Poesie kamen hier zum Ausdruck. In Bezug auf
ihre Qualität halten diese Werke nicht nur dem Vergleich mit den besten dichterischen und
dramatischen Werken ihrer Zeitgenossen stand, sondern auch dem mit den hervorragendsten kammermusikalischen Werken aller Epochen.
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Die Familie der Viola da Braccio
Violine, Viola, Violoncello, Kontrabass
1 - Violine – vermutlich Brescia, 16. Jahrhundert
Diese Violine weist alle wesentlichen Merkmale der Arbeit Andrea Amatis (ca. 1505-1577) auf,
eines der erhabensten Geigenbauer aller Zeiten. Aber obschon die Umrisse aufs Haar genau, die
Zeichnung der f-Löcher identisch mit denen des Cremonenser Meisters sind, handelt es sich hier um
eine der zahlreichen zeitgenössischen Nachbildungen. Es darf nämlich mit Recht behauptet werden,
Andrea Amati habe die Violine faktisch eigenhändig kreiert und der Menschheit geschenkt. Jüngsten
Forschungen zufolge soll Andrea Amati, der seine ersten Geigen mit “Amadi” unterzeichnete, ein
Spanier arabischer Herkunft aus der Gegend von Valencia gewesen sein, der ursprünglich Andreas
Hamad hieß. Vermutlich wurde er im Sog fanatischer religiöser Verfolgung aus seiner Heimat
vertrieben: nur dank dem weltoffenen, aufgeklärten Geist der Venezianischen Republik durfte er sich
auf italienischem Boden niederlassen, um jene hochentwickelte Kunst des Geigenbaus nach Cremona
zu bringen, die dieser Stadt zum Ruhm verhalf, den sie noch in unserer Gegenwart genießt. Seine
Instrumente weisen einen bis zum heutigen Tag nicht übertroffenen Grad an künstlerischer
Vollendung auf, die sich auf gleicher Ebene mit den Errungenschaften italienischer Malerei,
Bildhauerei und Architektur des humanistischen Zeitalters befindet.
Man kann den Corpus unserer Violine Nr. 1 kaum vom Modell Andrea Amatis unterscheiden,
obwohl die Ausarbeitung der Schnecke und des Wirbelkastens eher in Richtung Brescia hinweisen.
Die Zuschreibung verdanken wir dem englischen Experten Andrew Dipper.
2 - Violine - Nicolò Amati - Cremona, 1669
Die von Andrea begründete Dynastie der Amati, der bereits den Bau der Violine vereinheitlicht hatte,
wurde durch seine Söhne fortgesetzt und erreichte einen Höhepunkt mit den formvollendeten
Schöpfungen seines Enkels, Nicolò Amati (1596-1684). Dieser war es auch, der eine ganze
Generation von Geigenbauern ausbildete, die die Kunst der Cremonenser Instrumente durch die Welt
verbreiteten, u.a. Andrea Guarneri, Alessandro Gagliano, Giovanni Battista Rogeri und
wahrscheinlich auch Jakob Stainer. Bemerkenswert ist es, dass die Instrumente von Nicolò Amati und
Jakob Stainer bis zum Ende des 18. Jahrhunderts über alle anderen begehrt wurden: selbst die
Violinen von Stradivarius standen denjenigen von diesen beiden nach. Erst im ausgehenden 18.
Jahrhundert kam die Vorliebe für Stradivari auf. Diese Violine klingt ausnehmend gut; es ist deshalb
ein Genuss, aber zugleich auch eine Ehre, ein Exemplar der Arbeit Nicolò Amatis in der Sammlung
zu haben. Man wünscht sich deren mehr!
Die Universität Hamburg hat für diese Violine das Alterszertifikat ausgestellt. Dendrochronologie
ist die Wissenschaft, die durch die Jahresringe des Fichtenholzes die Datierung des Instrumentes
festzulegen vermag. Dr. Peter Klein und Dr. Micha Beuting haben bereits einige der Instrumente der
Sammlung diesbezüglich untersucht: die Jahresringe auf der Decke unserer Violine sind zwischen
1489 und 1658 entstanden; der Baum wurde demzufolge erst 1659 oder 1660 gefällt. Will heißen,
niemand hätte die Geige vor 1658 bauen können, da der Baum noch am Leben war! Für gewöhnlich
wartet ein Luthier mindestens zwei bis deri, meistens aber fünf, sechs oder gar mehr Jahre, um dem
Holz Gelegenheit zu gewähren, genügend zu trocknen; erst nach dieser Warteperiode wird aus diesem
Holz eine Geige gebaut. Deshalb macht die dendrochronologische Datierung das Datum auf der
Etikette – 1669 – sehr glaubhaft.
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3 - Violine - Carlo Giuseppe Testore - Milano, ca. 1700
Die Testores waren eine bedeutende Dynastie von sehr tüchtigen Luthiers in Mailand. Sie lebten in
der selben Straße, gar im selben Gebäude wie zwei andere namhafter Geigenbauer, die Grancinos und
die Pastas. Diese Violine behält die moderne Mensur, was bedeutet, dass der Hals nach hinten geneigt
ist, der Bassbalken (nicht von außen sichtbar) größer ist, die Saiten nicht aus Darm, sondern aus
Metall sind, u.a.
Diese Geige wird regelmäßig von Solisten verwendet, aber auch von Studierenden der Wiener
Universität für ihre Vortragsabende.
4 - Violine - Matthias Albanus - Bozen, ca. 1680
Dieser Meister aus Tirol erreichte das stattliche Alter von 99 Jahren, weshalb sein Baustil gewisse
Modifikationen im Laufe der Zeit erlebte. Grundsächlich aber lehnt er sich an die Modelle von Jakob
Stainer und Nicolò Amati. Die Schnecke dieser Geige ist ausnehmend fein geschnitzt, der Boden ist
kunstvoll modelliert, der rötliche Lack ist vor allem an der Schnecke craquelliert, typische Zeichen
seiner Arbeit. Arcangelo Corelli spielte eine Violine von Matthias Albanus.
6 - Violine - Giovanni Antonio Marchi - Bologna, 1740-1795
Sehr feiner Bologneser Geigenbauer in der Tradition von Guidantus, Tononi, Faccini u.a.
Interessanterweise standen diese Geigenbauer, wie auch diejenigen in Venedig und zum Teil auch
Neapel, allesamt eher nicht unter dem Einfluss der Cremonenser, sondern vielmehr demjenigen Jakob
Stainers aus Absam in Tirol. Gian Antonio Marchi schrieb 1786 einen sehr informativen Traktat über
Geigenbau, der in der Bibliothek in Bologna verwahrt wird und eine ganze Reihe von Beobachtungen
über die technische Einrichtung einer Violine enthält.
9 - Violine - Italien - Cremona oder Venedig, ca. 1700
Die Meinungen der Experten über diese Geige gehen sehr stark auseinander: Cremona, Venedig oder
sogar Österreich.
14 - Violine - Johann Christoph Leidolff - Wien, 1747
Die Familie Leidolff ist eine der bedeutendsten im Wien des 18. Jahrhunderts. Seiner Arbeit nach zu
urteilen, studierte der Gründer dieser Dynastie, Nikolaus Leidolff, vermutlich in Italien und seine
Arbeiten verraten den merklichen Einfluss der Ruggieri in Cremona. Von ihm stammt das herrliche
Violoncello von 1690 (Nr. , die wunderschöne Bass-Viola da gamba von 1695 (jetzt in Kremsegg),
und mit hoher Wahrscheinlichkeit die prachtvolle Viola (Nr. 40), die den Zettel des Sohnes trägt.
Dieser Sohn, Johann Christoph, ist gleichfalls ein bemerkenswerter Geigenbauer. Von ihm befinden
sich in der Sammlung vier Violinen und ein Violoncello (in Kremsegg). Die zwei Violinen hier (Nrn.
14 und 15) sind wahrhaftige Zwillinge - sie wurden offensichtlich zur gleichen Zeit gebaut, aus dem
gleichen Holz, mit dem gleichen Lack.
15 - Violine - Johann Christoph Leidolff - Wien, 1748
Diese Violine ist im Originalzustand: Hals, Griffbrett sind von Leidolff. Es wurden lediglich der Steg
und der Saitenhalter neu gemacht.
17 - Violine - Johann Georg Thir – Wien, 17..
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Johann Georg Thir (um 1710-1779), der aus Füssen im Allgäu stammte, galt als der beste
Geigenbauer in Wien im 18. Jahrhundert. Seine vorzüglichen Arbeiten stehen denjenigen seiner
italienischen Zeitgenossen keinesfalls nach. Von ihm befinden sich eine Violine, eine Bratsche, ein
Violoncello und ein prunkvoller fünfsaitiger Kontrabass in der Sammlung.
20 - Violine - Johann Schorn - Salzburg, 1707
Einer der bedeutendsten Luthiers in der Geschichte Salzburgs, stand Johann Schorn unter dem
Einfluss seines Vorbildes, des damals als bester Instrumentenmacher allenthalben anerkannten Jakob
Stainer aus Absam in Tirol, dessen Instrumente dank der Bestellungen des Salzburger Kapellmeisters
Heinrich Ignaz Franz Biber vor Ort zu erleben waren. Man könnte diese Geige durchaus als eine
Schöpfung Stainers ansehen!
Wolfgang Amadeus Mozart spielte auf einer Geige von Johann Schorn und Heinrich Biber soll mit
diesem Meister die Viola d’amore erfunden haben. Zum Glück befindet sich auch eine Viola d’amore
dieses Meisters in der Sammlung (Nr. ). Mit Vorliebe verwenden wir diese Geige von Schorn für die
Interpretation der Werke Bibers und Muffats, der gleichfalls zu jener Zeit in Salzburg tätig war.
21 - Violine - Tirol, 18. Jhdt.
22 - Violine - Tirol, 18. Jhdt.
23 - Violine - Aegidius Kloz - I, Mittenwald, 1717
Mittenwald und Füssen, jene zwei kleine Städte in Südbayern nah bei den Alpen, wurden im Laufe
des 17. Jahrhunderts zu den wichtigsten Zentren des Instrumentenbaus in Deutschland; Mittenwald
frönt bis heute diesem Handwerk frönt. Die führende Mittenwalder Familie hieß Kloz und brachte
vorzügliche Geigenbauer hervor. Von Sebastian und Aegidius sind hier Geigen zu sehen (25, 23).
25 - Violine - Sebastian Kloz, Mittenwald, 1733
26 - Violine – Martin Leopold Widhalm, Nürnberg, um 1760
Leopold Widhalm (1722-1776) war gebürtiger Wiener, wirkte aber von 1745 bis zu seinem Tode in
Nürnberg. Diese Violine weist einen außerordentlich guten Erhaltungszustand auf; selbst die Schicht
rötlichen Lacks ist fast intakt, was eine Seltenheit darstellt.
27 - Violine - Joseph Hill - London, 1774
Joseph Hill war der Gründer der berühmten Geigenbauerdynastie Englands, die bis in unsere Tage
aktiv ist. Diese Geige ist nach dem in England sehr beliebten Amati-Modell gemacht.
31 - Violine - Deutsch - 18. Jhdt.
32 – Violine – Johannes Uldaricus Eberle, Prag, 1758
34 - Violine - Deutsch - 18. Jhdt.
37 - Violine - fünfsaitig - Joachim Tielke - Hamburg, um 1700
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Diese fünfsaitige Violine weist die typischen Merkmale der Instrumente auf, die Joachim Tielke der
Welt vermachte und weist einen perfekten Erhaltungszustand auf. Bemerkenswert an dieser Geige:
der Elfenbeinreif auf Decke und Boden, der Löwenkopf, der an die Gallionsfiguren der
Hanseatischen Schiffe erinnert, das à jour gelegte Blumen- und Laubwerk auf der hinteren Seite des
Wirbelkastens. Für die deutsche fünfsaitige Violine schrieben einige Komponisten des 17. und 18.
Jahrhunderts, und zwar sehr virtuos, darunter auch Kaiser Leopold I. Die Stimmung soll folgende
gewesen sein: a-e-a-e-a oder g-d-g-d-g.
Ob Tielke Instrumente selber baute oder, wie jüngste Forschung zu belegen anstrebt, nur
Geigenhandel, nicht aber Geigenbau betrieben hat, bleibe dahingestellt. Wichtig ist: sein Ruf in der
ganzen Welt war enorm und währte noch lange nach seinem Tode. Von Tielke stammte auch die
treffliche Bass-Viola da gamba (Nr. 108).
38 –Violine mit fünf Saiten: “Quinton” - Louis Guersan - Paris, um 1740
Dieses Instrument hat mit der deutsch-österreichischen fünfsaitigen Violine (siehe Tielke, Nr. 37)
nichts gemeinsam. Es handelt sich um eine Neuschöpfung, die in Frankreich nach etwa 1710 entstand
und einem vollends anderen Bedürfnis entsprach. Unten gestimmt wie eine Geige (g-d-a), oben wie
eine Viola da gamba (a-d-g), wurde dieses Instrument entweder nach Geigenmanier unter dem Kinn
oder aber, mit Bünden versehen, zwischen den Beinen gehalten. Auf diese letztere Weise ermöglichte
es der aristokratischen Hand, auf *korrekte* (will heißen, standesgemäß akzeptable) Art das begehrte
Repertoire der Violine zu spielen. Mme Henriette de France, Tochter Louis XV, soll vollendet auf
diesem Instrument - wie übrigens auch auf der Bass–Viola da gamba gespielt haben.
39 - Viola - Mailand, 17. Jhdt.
Zertifikate von Hill und Machold. Diese Bratsche erlebte die bedauerlicherweise allzu übliche
Verkleinerung des damals sehr viel größeren Corpus, um die Handhabung zu erleichtern, ein
Schicksal, das noch heute den Instrumenten des 17. Jahrhunderts widerfährt. Selbst die Violoncelli
von Stradivarius, die 77-79 cm Länge hatten, wurden auf brutalste Weise auf die heutige Norm von
75 cm. zurückgeschnitten. Heute ist diese Viola 41.8 cm lang; damals maß sie wahrscheinlich etwa
44 cm.
40 - Viola – Nikolaus Leidolff (um 1650 - um 1710)
Etikett: Johann Christoph Leidolff - Wien, 1719
Ob diese herrliche Viola von Johann Christoph oder – was viel plausibler erscheint – von seinem
Vater Nikolas stammt, ist nicht gesichert. Möglicherweise setzte der Sohn sein eigenes Etikett nach
dessen Ableben in die Schöpfung seines Vaters. Der Boden wurde vom Experten Daniel Draley
folgendermaßen beschrieben als “einer der schönsten Böden, die außerhalb Italiens vollendet worden
sind", die er je gesehen hätte. Gemäß ihm erinnert diese Bratsche an die Arbeiten Vincenzo
Ruggieris, womit er die geläufige Theorie bestätigt, Nikolaus Leidolff hätte in Cremona sein
Handwerk gelernt.
Nikolaus Leidolff kam um 1650 in Mailand auf die Welt und lernte zunächst sein Metier in Italien.
Nach Wanderjahren in Italien und in der Schweiz ließ er sich in Wien nieder, heiratete 1672 nach
dem Ableben seines Meisters Isaak Ott aus Füssen dessen Witwe und übernahm das Atelier. Die
Qualität seiner Arbeiten und der hervorragende Klang seiner Instrumente erwarben ihm einen
internationalen Ruf auch weit über die Grenzen des Habsburger Reiches. Sein Sohn Johann Christoph
und sein Enkel Joseph Ferdinand setzten die Familientradition bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
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fort.
41 - Viola - Johann Georg Thir - Wien, 17__ (Siehe Violine: Nr. 17)
44 - Viola - Sebastian Dallinger - Wien, ca. 1780
Diese Viola befindet sich im perfekt erhaltenen Originalzustand: Hals und Griffbrett wurden von
Dallinger angefertigt. Sie wurde nie umgebaut. Ludwig van Beethoven besaß und spielte eine Viola
von Dallinger!
48 - Viola - Deutsch – um 1700.
Diese Bratsche ist insofern interessant, als sie die ursprüngliche Körpermensur aufweist (44 cm.), die
man im 17. Jhdt. für diese Instrumente verwendete.
49 - Viola - William Smith - Sheffield, um 1780
Hier haben wir noch ein Instrument in perfektem Erhaltungszustand: ein mustergültiger Beleg der
Geigenbaukunst Englands am Ende des 18. Jhdts. Die Bratsche ist in allen Teilen original und hat
keinerlei Beschädigungen am Corpus. Hals und Griffbrett sind gleichfalls echt. Nur Steg und
Saitenhalter sind neueren Datums. Die kleinen Dimensionen des Instruments waren für die Salons in
Großbritannien sehr geeignet, wo regelmäßig Kammermusik in kleinem Rahmen dargeboten wurde.
Johann Christoph Bach und Carl Friedrich Abel schrieben unentwegt für diese Formationen die
reizendsten Werke.
50 - Viola d’amore - Jean Baptiste Deshayes Salomon - Paris, um 1740
Diese Viola d’amore von einem der besten Pariser Luthiers hat sieben Spielsaiten und sieben
Resonanzsaiten. Diese letzteren werden nicht mit dem Bogen gestrichen, sondern resonieren frei,
wenn die oberen Saiten gespielt werden. Auf diese Weise entsteht ein magischer, entzückender,
überirdischer Klang, weshalb dem Instrument der Name verliehen wurde: die Liebesviola.
Unser Instrument, das bei Sotheby’s in London ersteigert wurde, befindet sich in perfektem,
makellosem Originalzustand; selbst die ungewöhnlichen Wirbel sind vom Meister.
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