MEXIKO/CHIAPAS – SERVICIO INTERNACIONAL PARA LA PAZ (SIPAZ) Chronologie des Konfliktes in Chiapas 1994 - 2005 Um verständlich zu machen, was im Jahr 1994 in Chiapas passierte, sind viele wichtige Faktoren zu beachten: 1. Chiapas ist ein reicher Bundesstaat mit einer der ärmsten Bevölkerungen Mexikos. In einem Bundesstaat, der 35% der elektrischen Energie des Landes produziert, fehlt dieser Service in 34% der Wohnungen. In einem Gebiet, das reich ist an natürlichen und landwirtschaftlichen Ressourcen sowie an Erdöl, müssen 60% der Bevölkerung mit einem Mindesteinkommen überleben, 60% der schulpflichtigen Kinder können keine Schule besuchen und die Zahl der Analphabeten bewegt sich bei 30%. Nur 57% der Einwohner des Bundesstaates haben Zugang zu einer Trinkwasserleitung, 15.000 Indigene sterben im Jahr 1993 aufgrund von Armutskrankheiten. Dies geht aus Statistiken aus dem Jahr 1994 hervor, aktuelle Statistiken verweisen auf dieselben Tendenzen. 2. Im Bundesstaat Chiapas existiert eine schwerwiegende rassistische Diskriminierung, obwohl die indigene Bevölkerung landesweit beinahe 30% und im Konfliktgebiet sogar fast 100% umfasst. 3. Durch den ausschliessenden Charakter des Neoliberalismus und der Globalisierung verstärken drei weitere Faktoren den schon hohen Grad der Marginalisierung der indigenen Bevölkerung: o Der Verfall des Kaffeepreises 1989 o Die Reform des Artikels 27 der Verfassung im Jahr 1992, durch den der Verkauf von Gemeindeland erleichtert werden soll. Diese Reform bedeutet eine Schwächung des Ejidosystems (mexikanische Form der Verteilung von Gemeindeland) und damit eine Schwächung der Grundstruktur der Organisation indigener Gemeinden. o Der Abschluss des NAFTA-Vertrages, (spanisch Tratado de Libre Comercio – TLC). Dieses Freihandelsabkommen zwischen USA, Kanada und Mexiko tritt am 1.Januar 1994 in Kraft. 4. Am 17. November 1983 wird die EZLN (Zapatistische Armee zur nationalen Befreiung) gegründet. Sie erscheint zunächst als “traditionelle” Gürilla, verändert sich jedoch im Kontakt mit den indigenen Gemeinden. Während der militärische Kern der EZLN sehr beschränkte Handlungsfähigkeit besitzt, besteht deren Kraft in der breiten sozialen Unterstützung in den Gemeinden. 1994 Am 1. Januar 1994 erklärt die zapatistische Befreiungsarmee (EZLN) der mexikanischen Regierung und ihrem Militär den Krieg, indem sie vier Bezirksstädte im Bundesstaat Chiapas besetzt: San Cristobal de las Casas, Las Margaritas, Altamirano und Ocosingo. Ihre Hauptforderungen waren “Arbeit, Land, Wohnraum, Ernährung, Gesundheit, Bildung, Unabhängigkeit, Freiheit, Demokratie, Gerechtigkeit und Frieden”.(Erste Erklärung aus dem Lakandonischen Urwald). Nach zwölf Tagen Krieg, der zwischen 145 (Version der Regierung) und 1000 (Version der Zapatisten) Menschenleben fordert, erklärt die Regierung einen einseitigen Waffenstillstand. Es beginnt ein erster Dialog mit der EZLN in der Kathedrale des Friedens. Dieser findet mit Hilfe der Vermittlung von Samuel Ruiz, dem Bischof von San Cristobal de las Casas, statt. Als Zeichen guten Willens lässt die Regierung die zapatistischen Gefangenen frei und die EZLN übergibt ihren einzigen Kriegsgefangenen, den General Absalon Dominguez, Ex-Gouverneur von Chiapas. 1995 Im März verabschiedet der Bundeskongress das “Gesetz für die Verhandlungen, die Versöhnung und den würdigen Frieden in Chiapas”. Dieser Text schlägt eine Wiederaufnahme der Friedensgespräche, die Aufhebung der militärischen Operation gegen die EZLN und die Aufhebung der Haftbefehle gegen die mutmaßlichen Führer der Zapatisten vor. Eine Kommission, bestehend aus Abgeordneten aller im Kongress vertretenen Parteien, die COCOPA (Komision der Eintracht und Befriedung) wird gegründet, um die Verhandlungen zu leiten. Die Parteien einigen sich auf einen Verhandlungsort (San Andrés Larrainzar im Hochland von Chiapas) und auf die zu bearbeitenden Themen : 1. 2. 3. 4. 5. 6. Indigene Rechte und Kultur, Demokratie und Gerechtigkeit, Wohlstand und Entwicklung, Versöhnung in Chiapas, Rechte der Frauen, Beendigung der Feindseeligkeiten 1996 Am 16. Februar werden die Abkommen von San Andrés unterschrieben. Sie enthalten die Ergebnisse der Verhandlungen zum Thema indigener Rechte und Kultur (Thema 1). Im September entscheidet die EZLN, sich von den Verhandlungen zurückzuziehen. Sie stellt folgende Bedingungen zur Wiederaufnahme des Dialogs: Umsetzung der Abkommen von San Andrés und Aufstellung einer Kommission zu deren Kontrolle. Diese soll den Verlauf verfolgen und die Umsetzung dieser Abkommen überwachen Beendigung der Militarisierung und Paramilitarisierung des Bundesstaates Die Aufstellung einer Regierungsdelegation mit Entscheidungsgewalt und echtem Willen zum Gespräch Ernsthafte und konkrete Vorschläge der Regierung zum Thema 2 Freilassung der politischen Gefangenen 1997 Im gesamten Bundesstaat Chiapas bricht eine Welle der Gewalt aus: Im Norden finden zahlreiche Aktionen der Gruppe Paz y Justicia und ein Attentat gegen die Bischöfe von San Cristobal statt. Am Jahresende gibt es 4000 Flüchtlinge in der Region. In Chenalho gibt es regelmässig Übergriffe. Den Höhepunkt bildet ein Massaker in Acteal, bei dem 45 Menschen ums Leben kommen. Die Zahl interner Flüchtlinge nimmt immer mehr zu: Ungefähr 10 000 Menschen sind im Hochland auf der Flucht. 1998 Währenddessen geht die Militarisierung des Staates weiter: die Angaben variieren zwischen 30 000 bis 70 000 Soldaten, etwa einem Drittel der gesamten mexikanischen Armee, die sich in der Region aufhalten. Es werden zahlreiche breit angelegte polizeiliche und militärische Operationen gegen autonome zapatistische Gemeinden durchgeführt. 1999 Unter dem Vorwand des Gesetzes über Feuerwaffen, dem Kampf gegen Drogenhandel, die Festnahmen von Kriminellen und den Schutz der Bevölkerung, die darum gebeten habe, werden seitens der Regierungen von Chiapas und Mexiko militärische und polizeiliche Mobiliserungen in zapatistischen Gemeinden angeordnet. Im März zeigt die EZLN, dass sie weiterhin ein Akteur ist, mit dem gerechnet werden muss. Sie startet eine nationalen Volksbefragung über die Anerkennung der indigenen Völker und das Ende des Vernichtungskrieges. Die Befragung wird gemeinsam von der EZLN und der Zivilgesellschaft organisiert. Mehr als 2,5 Millionen MexikanerInnen nehmen teil. 2000 Die Präsidentschaftswahlen sorgen am 2.Juli für einen historischen Wechsel in Mexiko. Nach 71 Jahren ununterbrochener Herrschaft verliert die PRI die Präsidentschaft an Vicente Fox, den Führer der rechtsliberalen Opposition. Am 20. August wird Pablo Salazar, Kandidat einer Koalition verschiedener Oppositionsparteien, zum Gouverneur von Chiapas gewählt. Dies stellt einen weiteren unerwarteten Rückschritt für die PRI dar, die auch die Politik in Chiapas über Jahrzehnte hinweg dominierte. Seit dem Regierungsantritt des Präsidenten Fox im Dezember ist ein ein wichtiger Wechsel im Vergleich zur vorigen Regierung zu beobachten: Fox bringt Chiapas als eines der wichtigsten Themen auf seinen nationalen Plan und ordnet die Schließung von 53 Militärkontrollen an. 2001 Ende Februar führen die Zapatisten ihren Marsch nach Mexiko-City durch. Das Ziel: sie wollen vor dem Bundeskongress die 1996 von der COCOPA ausgearbeitete Verfassungsreform über indigene Rechte verteidigen. Nachdem sie in den zwölf Bundesstaaten, durch welcher der Marsch sie führt, jede Menge Unterstützung der Bevölkerung erhalten, sprechen Vertreter und Vertreterinnen der EZLN in der Abgeordnetenversammlung. Dennoch vetrabschiedet der Bundeskongress im April ein Indígena-Gesetz, das die EZLN als Verrat bezeichnet, weil es wichtige Punkte der Abkommen von San Andres und des COCOPA Gesetzes nicht beachtet. Die EZLN bricht den Kontakt mit der Regierung und schweigt bis Dezember 2002. 2003 Am 1. Januar nehmen mehr als 20.000 Mitglieder indigener zapatistischer Unterstützungsbasen die Stadt San Cristóbal ein. Die EZLN bricht ihr Schweigen und verurteilt die drei großen politischen Parteien, die Abkommen von San Andrés mit dem gebilligten indigenen Gesetz verraten zu haben. Nach Monaten von Spannungen und Drohungen unterzeichnen Staatsregierung und Führungskräfte der Lakandonen im Mai einen Waffenstillstand, um Vertreibungen der Gemeinschaften des Naturschutzgebietes Montes Azules nicht zu verwirklichen. 2004 Elf Jahre nach dem bewaffneten Aufstand der Zapatistas muss konstatiert werden, dass außerhalb von Chiapas viele annehmen, der Konflikt in diesem Bundesstaat habe sich gelöst oder aufgelöst, sowohl auf nationaler wie auch auf internationaler Ebene. Doch die Ursachen des Konfliktes bestehen fort. Die jetzige Situation stellt einen Zermürbungskrieg dar, in dem es keine direkte Konfrontation sondern militärische, politische und ökonomische Strategien gibt, mit denen versucht wird, die Zapatistas in die Enge zu treiben. Außerdem wird damit fortgefahren, Konflikte auf Gemeindeebene zu schaffen. Ein Grossteil der Gemeindekonflikte findet weiterhin um öffentliche Dienstleistungen wie Wasser, Elektrizität und Bauarbeiten statt sowie um die Entscheidung der Zapatistas, ihre eigene autonome Organisation parallel zur staatlichen Regierung aufrecht zu erhalten. 2005 Die Sechste Erklärung der EZLN zieht eine Bilanz der elfjährigen Geschichte und des Kampfes der Zapatistas. In dem ausführlichen Dokument betonen die Zapatistas: „Wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir nicht so fortfahren können“ und „ein neuer Schritt im indigenen Kampf ist nur möglich, wenn die Indígenas sich mit den ArbeiterInnen aus der Stadt und auf dem Land zusammentun“. Sie liefern eine Analyse der aktuellen Situation auf nationaler und internationaler Ebene, in der sie feststellen, dass Menschen „auf der ganzen Welt in einem Eroberungskrieg leben, in einem Weltkrieg“. Deswegen schlagen sie auf der nationalen Ebene die Bildung einer neuen „breiten Allianz“ vor: „eine Übereinkunft mit Personen und Organisationen der Linken, weil wir glauben, dass die Idee, gegen die neoliberale Globalisierung Widerstand zu leisten, der linken Politik zueigen ist, und ein Land zu schaffen, in dem es Gerechtigkeit, Demokratie und Freiheit für alle gibt“. Um dies zu ermöglichen, wird für einen unbestimmten Zeitraum eine Delegation der EZLN ausgeschickt, um das Land zu bereisen und Allianzen mit politischen und sozialen Gruppen, Indigenen, ArbeiterInnen, Bauern, Studierenden und den Volksmassen zu schmieden und so den Widerstand gegen den Neoliberalismus zu stärken. Auf internationaler Ebene schlagen sie ein neues Interkontinentales Treffen vor, um die weltweiten anti-neoliberalen Kämpfe zu verknüpfen. Internationaler Dienst für Frieden – SIPAZ Die Arbeit des SIPAZ Teams in Chiapas ist in vier Arbeitsgebiete unterteilt: Internationale Präsenz in Chiapas und Mexiko Sipaz spielt eine Rolle der Abschreckung vor Gewalt in den Gebieten hauptsächlicher Spannungen und hilft in der Vorbeugung von Konflikten. Wir haben eine wichtige Präsenz in den indigenen Gemeinden in Chiapas, wo wir mit den verschiedenen politischen Akteuren reden, in der Absicht den Dialog zu fördern und Spannungen und Gewalt abzubauen. Die Konsequenzen des Zermürbungskrieges sind nach Jahren des Konfliktes ganz offensichtlich, mit einem tief zerstörten sozialen Gefüge der Gemeinschaften. Unter diesen Bedingungen müssen wir aufpassen, durch internationale Präsenz Spannungen nicht zu erhöhen anstatt sie zu mindern. Deshalb ist das SIPAZ Team vorsichtig, wenn es darum geht, Kontakte mit den verschiedenen Akteuren der Konflikte zu pflegen: mit Führern konservativer Gruppen, Kräften der Opposition, Sicherheitskräften, paramilitärischen Gruppen, Mitgliedern verschiedener Kirchen, zapatistischer Basisgruppen, Bauern- und sozialer Organisationen, NROs etc. Viele dieser Akteure haben keinen Kontakt untereinander. Deshalb soll die Präsenz von SIPAZ eine Brücke darstellen, um Räume für Dialog und Entspannung zu schaffen und Menschenrechtsverletzungen zu bremsen. Auf der anderen Seite hat unser Team seine Arbeit auf andere Bundesstaaten ausgeweitet, ganz konkret Oaxaca und Guerrero. Diese Arbeit wird vor allem durch Sammlung von Informationen, wiederkehrende Besuche und den Austausch mit Organisationen und Bewegungen mit Präsenz in diesen Bundesstaaten erreicht. Förderung von Bildungsarbeit zum Aufbau einer Kultur des Friedens FRIEDENSERZIEHUNG SIPAZ setzt darauf, die Fähigkeiten lokaler Akteure zum Aufbau des Friedens zu stärken. Das soll besonders durch Workshops, Kurse und Treffen zu Themen wie Konfliktbewältigung und Menschenrechte erreicht werden. Wir gehen von der Notwendigkeit aus, dass Frieden nicht nur Abwesenheit von Gewalt ist, sondern die effektive Verwirklichung wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Gerechtigkeit. SIPAZ hat die Bildung des Netzwerkes für Frieden angeregt, ein lokaler Raum für Aktion und Reflexion. Dort werden seit dem Jahre 2000, Prozesse von Versöhnung und Frieden auf der Ebene von Gemeinden und Organisationen gefördert. INTERRELIGIÖSER DIALOG Da viele Gruppen der SIPAZ Koalition auf dem Glauben basieren, ziehen wir in Betracht, das die Religion anstelle von Grund für Konflikte, dazu beitragen kann, gute Zwischenmenschliche Beziehungen wieder aufzubauen. In diesem Sinne versuchen wir die Beziehungen zwischen Vertretern verschiedener Kirchen in den Konfliktzonen zu stärken und an ökumenischen Aktionen teilzunehmen, und suchen Möglichkeiten ökumenische Kooperation auf lokaler und internationaler Ebene zu fördern. Information über die Ursachen, Konsequenzen und Antworten auf die Konflikte in Mexiko Unsere Beziehungen zu einem breit gefächerten Spektrum sozialer und politischer Akteure, erlauben uns Informationen aus erster Hand zu produzieren und zu verteilen, sowie eine breite und objektive Analyse. Das SIPAZ Team erstellt alle drei Monate einen Bericht und kümmert sich um Brief-Eilaktionen und Artikel die über Internet (e-mail Listen und Webseite) oder Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht werden. Wir bieten Delegationen, Medien- und diplomatischen Vertretungen, die das Büro in Chiapas besuchen, Informationen und Analyse. Erfahrungsaustausch SIPAZ pflegt Beziehungen zu verschiedenen Netzwerken und Organisationen auf nationaler und internationaler Ebene. Wir teilen mit ihnen die Überzeugung, dass wir effektive und praktische Strukturen entwickeln müssen, um gewalttätige Konflikte zu verhindern. Zudem sind wir gemeinsam der Auffassung, dass die Reichweite der Konflikte reduziert und das soziale Gefüge wieder aufgebaut werden muss, wenn dieses durch Gewalt geschädigt wurde. Das bedeutet für uns, an regionalen, kontinentalen und internationalen Foren und Treffen teilzunehmen. Diese Anstrengungen sollen die Rolle der internationalen Gemeinschaft stärken, dieser eine glaubwürdige Quelle der Information und Analyse liefern und dafür sorgen, dass sie in kritischen Situationen Anstrengungen für Frieden und Verteidigung von Menschenrechten befürworten. Gleichzeitig ist es notwendig, Brücken zu bauen für den Austausch und die Kommunikation zwischen verschiedenen lokalen, nationalen und internationalen Prozessen, für den Aufbau von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Alternativen. Quelle: www.sipaz.org MENSCHENRECHTSBEOBACHTUNG MEXIKO-PLATTFORM Die Situation der Menschenrechte in Mexiko Trotz oftmaliger gegenteiliger Behauptung seitens der mexikanischen Regierung ist die Menschenrechtssituation in Mexiko nach wie vor prekär. Nicht nur im südlichen Chiapas, sondern auch in anderen Bundesstaaten herrscht oft das Gesetz des Stärkeren. Wichtige Institutionen wie Polizei, Militär, Staats-anwaltschaft und Justiz sind häufig entweder direkt für Menschenrechtsverletzungen verantwortlich bzw. unterlassen es, sie zu verhindern oder wirksam zu untersuchen. Die Menschenrechtskommissionen des Bundes und der Länder sind nicht in der Lage, grundlegende Menschenrechte umfassend zu schützen oder die Behörden zur Verantwortung zu ziehen. Willkürliche Verhaftungen, extralegale Hinrichtungen, Verschwindenlassen von Personen, Folterungen, Bedrohungen von Menschenrechts-verteidigerInnen und JournalistInnen gehören nach wie vor zur Tagesordnung. Indigene Bevölkerungsgruppen, die in etwa 10% der Gesamtbevölkerung (ca. 10 Millionen) ausmachen, sind weiterhin (para-)militärischer Gewalt, Diskri-minierung, Marginalisierung und extremer Armut ausgesetzt. Das liegt einerseits an den veralteten Staatsstrukturen, die nur sehr langsam aufgebrochen werden können, andererseits aber auch an einem Mangel an echtem Willen, etwas zu verbessern. So fehlt es nicht nur an konkreten Vorschlägen für Reformen zur Stärkung der Menschenrechte, sondern Korruption und Straffreiheit stellen nach wie vor gravierende Probleme dar. Die gewaltsame Unterdrückung jeglicher Form von Selbstorganisation und sozialer Bewegung durch das Militär – manchmal offenkundig wie im Fall Guerreros, manchmal durch einen Krieg niederer Intensität und den Rückgriff auf paramilitärische Gruppen wie in Oaxaca oder Chiapas – zeugt von der Besorgnis in den obersten Rängen, einem Geflecht aus korrupten Politikern, Drogenbossen und Militärs, dass ihre Macht gefährdet werden könnte. Trotz des Demokratisierungs-prozesses, der bei der Machtübernahme von Präsident Vicente Fox und der PAN-Partei im Jahr 2000 angekündigt wurde, steht die Beseitigung der grundlegenden Ursachen für Menschenrechts-verletzungen noch aus. Auch breit angelegte Infrastruktur- und sogenannte Entwicklungsprojekte wie etwa der Plan Puebla-Panama führen zu sozialen Spannungen im gesamten Bundesgebiet. Indigene Autonomie: 10-jähriges Jubiläum des Aufstands der EZLN Innerhalb des letzten Jahrzehnts hat sich die Rolle der indigenen Völker Mexikos, die zu den Ärmsten der Armen gehören, jedoch maßgeblich verändert. Dies liegt zu einem Großteil am Erfolg der Zapatisten in Chiapas, deren Gesellschaftsmodell von einer gerechteren Welt, in Freiheit und Würde vielen anderen Ethnien im Land Mut gemacht hat. Zur Geschichte: Am 1. Januar 1994 kam es in Chiapas zum Aufstand der "Nationalen Zapatistischen Befreiungsarmee" (EZLN). Mit dem Kampfruf „¡YA BASTA!“ („Es reicht!“) wandten sich die Zapatisten an die mexikanische Bundesregierung, die nationale Zivil-gesellschaft sowie die internationale Öffentlichkeit. Auf Druck der mexikanischen Bevölkerung, die zu einem grossen Teil die Zapatisten unterstützt, musste die Regierung einlenken und auf Verhandlungen eingehen. So wurden 1996 die Abkommen von San Andrés unterzeichnet, die der indigenen Bevölkerung die Anerkennung ihrer Rechte und Kultur garantieren. Die getroffenen Vereinbarungen wurden von Regierungsseite jedoch nie eingehalten. Im Gegenteil, die Armee hatte sich für einen Krieg niedriger Intensität entschieden und gehofft, dass die Weltöffentlichkeit keine Notiz davon nehmen würde. Am 9. August 2003 ging in Oventic/Chiapas mit der Einweihung der Caracoles („Schnecken“), der „Räte der guten Regierung“ und des Radio Insurgente die indigene Autonomiebewegung in eine neue wichtige Etappe. Die fünf zapatistischen Zentren, bisher Aguascalientes genannt, die in der Regel mehrere Dutzend autonome Gemeinden umfassen, erhielten neue Strukturen und den Namen Caracoles. Der weitgehenden Umstrukturierung liegt die Notwendig-keit eines gerechteren, besser koordinierten und funktionierenden Zusammenlebens aller Gruppen innerhalb der Autonomie sowie einer egalitäreren, nicht-paternalistischen Beziehung zur nationalen und internationalen Zivilgesellschaft zugrunde. Die Räte der guten Regierung“ dienen inzwischen anderen indigenen Völkern als Vorbild und sind ein erster Beweis dafür, dass es möglich ist, nach ihren eigenen Vorstellungen zu leben, mit all den Hindernissen und Einschränkungen, die diese mit sich bringen. Wirtschaftlich gesehen ist es ein täglicher Kampf ums Überleben, aber zumindest haben sie, wie sie es selbst formulieren, ihre Würde wiedererlangt. In Mexiko gibt es heute nicht nur eine Form der indigenen Autonomie, sondern verschiedene, und der Widerstand geht über die zapatistische Bewegung in Chiapas hinaus. Auch in anderen Bundesstaaten gibt es Gruppen indigener Völker, die sich organisiert haben und unterschiedliche regionale Autonomie-projekte verwirklichen: mono-ethnische Gruppen, wie z.B. die Yaquis in Sonora oder die Mixes in Oaxaca, pluriethnische in Guerrero, oder soziokulturelle Gemeinschaften, wie sie sich z.B. in MexikoStadt in urbanen Bereichen finden. Zivile Friedenscamps und Beobachterbrigaden Die zivilen Friedenscamps entstanden im März 1995 auf Bitten der DorfbewohnerInnen nach nationaler und internationaler Präsenz in ihren Gemeinden, die als Schutz vor Übergriffen des Militärs dienen sollte. Seitdem koordinieren die Menschenrechtszentren in San Cristóbal de las Casas, Chiapas, den Einsatz von BeobachterInnen, die in der Regel für einige Wochen in die Gemeinden geschickt werden. Ziel der zivilen Friedenscamps ist zum einen die Dokumentation der Menschenrechtssituation, sie dienen aber auch der Schaffung von Räumen für die Zivilgesellschaft, damit die Gemeinden möglichst unbehelligt vom Militär ihre eigenen Dynamiken erhalten und entfalten können. Aufgaben der MenschenrechtsbeobachterInnen Sie begleiten oder besuchen die Gemeinden, in welche sie von den Menschenrechtszentren geschickt werden. Sie sind im Dorf anwesend und erleben die Situation und Lebensumstände der Bevölkerung. Ihre Präsenz kann mithelfen, Übergriffe auf die Zivilbevölkerung zu verhindern. Sie tragen Informationsmaterial der Menschen-rechtszentren in die Gemeinden und ermöglichen einen Informationsaustausch. Sie dokumentieren Menschenrechtsverletzungen sowie die allgemeine Situation in den Dörfern und reichen diese Informationen an die Menschen-rechtszentren weiter. Nach ihrer Rückkehr nach Österreich tragen die BeobachterInnen durch Öffentlichkeitsarbeit dazu bei, ihre Erfahrungen und den Konflikt in Chiapas bekanntzumachen. Quelle: www.mexiko-plattform.org