Ethische Aspekte der Globalisierung Prof. a.D. Dr. Hermann Sautter, Göttingen November 2005 1. Einführung Überblickt man die Literatur zum Thema „Globalisierung“, so drängt sich folgender Eindruck auf: In der ökonomischen Fachliteratur werden ethische Aspekte kaum behandelt, in der Populärliteratur stehen sie dagegen im Vordergrund. Die Publikationsreihe „The Globalization of the World Economy“ eines angesehenen britischen Verlags enthält beispielsweise zahlreiche Titel zur Entwicklung internationaler Güter- und Finanzmärkte, zum WTO-System, zu rechtspolitischen Fragen einer fortschreitenden Marktöffnung, zur Standortwahl Multinationaler Unternehmen usw. Ein Titel zur wirtschaftsethischen Problematik der Globalisierung findet sich nicht darunter.1 Dies ist symptomatisch für den nationalökonomischen Diskussionsstand.2 Umso intensiver wird außerhalb der ökonomischen Fachzirkel über die „Moral der Globalisierung“ diskutiert. Der Grundton ist kritisch. Dem Globalisierungsprozess wird vorgeworfen, er sei sozial ungerecht, er vernichte durch den forcierten Raubbau an natürlichen Ressourcen die Lebenschancen künftiger Generationen, er unterwerfe ganze Völker dem Diktat der Kapitalverwertung usw. Es ist nicht zu übersehen, dass Vorwürfe dieser Art in der Öffentlichkeit vieler Länder ein breites Echo finden. Diese Diskrepanz zwischen einem Desinteresse an ethischen Fragen einerseits und ihrer Überbetonung andererseits ist in zweifacher Weise unbefriedigend. Wenn richtige ökonomische Erkenntnisse nicht in ihrer ethischen Legitimität erkannt werden, haben sie nur geringe Chancen, in der Öffentlichkeit gehört und politisch durchgesetzt zu werden. Wenn umgekehrt berechtigte ethische Anfragen nicht im ökonomischen Begriffssystem artikuliert werden können, finden sie kaum das Gehör von Fachleuten und werden deshalb allzu leicht von ihnen zurückgewiesen. Das eine wie das andere erschwert eine vernünftige und ethisch akzeptable Gestaltung des Globalisierungsprozesses. Es ist deshalb nicht überflüssig, aus einer ökonomischen Perspektive über einige ethische Fragen nachzudenken, die sich im Zusammenhang mit der Entgrenzung von Nationalstaaten, Kulturräumen und Gütermärkten ergeben. Mit dieser Formulierung wird bereits angedeutet, dass „Globalisierung“ als ein multidimensionaler Prozess zu verstehen ist. Die globale Ausbreitung von Rechtsnormen und die gegenseitige Öffnung von Kulturräumen gehören ebenso dazu wie die wachsende Verflechtung von Waren und Dienstleistungsmärkten sowie die globale Nutzung natürlicher Ressourcen. Die ökonomische Globalisierung ist also eingebettet in einen Gesamtprozess wachsender internationaler Interdependenzen. Dies ist im Verlagsprospekt von „Edward Elgar Publishing Limited“: „The Globalization of the World Economy Series“, 2005/2006. 2 In der betriebswirtschaftlichen Literatur wird dagegen das Thema „business ethics in a globalized world“ relativ breit diskutiert. 1 2 Blick zu behalten, wenn im Folgenden einige ethische Aspekte der wirtschaftlichen Globalisierung diskutiert werden. Dabei ist zunächst auf das Beziehungsgeflecht einzugehen, das die Ergebnisse der ökonomischen Globalisierung verursacht. Dies ist Gegenstand des 2. Abschnitts. Es wird sich zeigen, dass formelle und informelle Institutionen auf globaler Ebene ein wichtiges Element in diesem Geflecht darstellen. Im 3. Abschnitt werden die Interessen bzw. die ethischen Wertvorstellungen diskutiert, die bei der Etablierung dieser Institutionen eine Rolle spielen. Der 4. Abschnitt ist der Frage gewidmet, auf welche Interessenkonstellation bzw. auf welche ethischen Grundentscheidungen das bestehende System globaler Institutionen schließen lässt. Aus einer Antwort auf diese Frage ergeben sich Hinweise auf den Beitrag globaler Institutionen zu den Ergebnissen der Globalisierung. Der 5. Abschnitt fasst die Ergebnisse zusammen und gibt einen Ausblick auf die weitere Entwicklung internationaler Regelsysteme. 2. Einflussfaktoren der wirtschaftlichen Globalisierung und ihrer Ergebnisse. Was der Begriff „Globalisierung“ verschleiert, ist ein komplexes Beziehungsgeflecht nationaler wie internationaler Faktoren, die auf das Ergebnis internationaler Wirtschaftsbeziehungen einwirken. Um dieses Geflecht einigermaßen überschaubar zu machen, seien folgende Faktoren unterschieden: Internationale und nationale Institutionen (verstanden als Regel- bzw. Normensysteme, die mit mehr oder weniger starken Durchsetzungsmechanismen ausgestattet sind, und die das Handeln von Staaten und privaten Akteuren auf ein bestimmtes Ziel hin lenken sollen)3, das wirtschaftliche Leistungspotential eines Landes sowie der „weiche“ Faktor der in der Bevölkerung eines Landes vorherrschenden Motivationsstruktur oder „Wirtschaftsgesinnung“ unter Einbeziehung der maßgeblichen ethischen Wertvorstellungen. Was damit gemeint ist, soll kurz erläutert werden. Zu den internationalen Institutionen gehören formale und informelle Regelsysteme („Ordnungen“), die von staatlichen oder privaten Akteuren auf internationaler Ebene etabliert werden. Sie alle beeinflussen das staatliche und einzelwirtschaftliche Handeln, ohne es zu determinieren, denn keine Regel ist lückenlos durchsetzbar und jede von ihnen ist auslegungsbedürftig und erlaubt deshalb einen gewissen Ermessensspielraum. Wie stark das Handeln einzelner Akteure von einer internationalen Norm beeinflusst wird, hängt im Wesentlichen davon ab, welche Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen hinter ihr stehen. Auf internationaler Ebene sind sie typischerweise schwächer ausgestaltet als auf nationaler Ebene. Dies ist die unvermeidliche Kehrseite des völkerrechtlichen Prinzips der Staatensouveränität. Dass diese Mechanismen schwach sind, bedeutet aber keineswegs, dass sie unwirksam wären. Der 4. Abschnitt geht ausführlich auf die derzeit bestehenden Institutionen ein. Zu den nationaler Institutionen gehören beispielsweise die Eigentumsordnung eines Landes, die den Zustrom von Portfolio-Investitionen und von Direktinvestitionen aus dem Ausland erleichtern oder erschweren kann; die Wettbewerbsordnung, die u. a. grenzüberschreitende Unternehmenskooperationen regelt; das System sozialer Sicherungen, das die Flexibilität des Arbeitsmarktes und damit die Anpassungsfähigkeit an außenwirtschaftlich bedingte Änderungen in den Wettbewerbsvorteilen einer Branche beeinflusst usw. Zum institutionellen „design“ eines Landes gehört auch die Gestaltung des Verhältnisses von Staat und Gesellschaft: die Freiheitsspielräume des Einzelnen, die Sicherung seiner 3 Nach Richter, 1999, S. 20 3 Persönlichkeitsrechte, die verfassungsrechtliche Kontrolle staatlicher Machtausübung usw. Wie sich internationale Wirtschaftsbeziehungen auf den Wohlstand eines Landes auswirken, hängt zu einem nicht geringen Teil von diesen institutionellen Bedingungen ab. Das wirtschaftliche Leistungspotential ist ein weiterer Faktor, der das länderspezifische Ergebnis globaler Wirtschaftsbeziehungen beeinflusst. Dazu gehört die Ausstattung mit Sach- und Humankapital, der Stand des technischen Wissens und die damit verbundene Absorptionsfähigkeit für neues Wissen, die Qualität des unternehmerischen Managements usw. Nicht zuletzt kommt es bei der Reaktion auf außenwirtschaftliche Anreize und bei der Auslösung eigener weltwirtschaftlicher Impulse auf die Motivations- und Interessenstruktur („Wirtschaftsgesinnung“) an, die für die Bevölkerung eines Landes typisch ist. Die Menschen können relativ risikofreudig oder risikoavers sein; eine relativ große Toleranz für soziale Ungleichheiten besitzen oder vergleichsweise stark an sozialer Gleichheit interessiert sein; ein starkes oder ein schwaches Umweltbewusstsein haben; sehr innovationsfreudig oder eher zurückhaltend im Blick auf technische Neuerungen sein usw. Unterschiede dieser Art spiegeln sich in den individuellen Interessen wider, wobei in der Art dieser Interessen auch die ethischen Wertungen der Menschen ihren Niederschlag finden. Darauf ist im 3. Abschnitt zurückzukommen. Die genannten Einflussfaktoren verändern sich mehr oder weniger schnell und sie stehen in einem interdependenten Verhältnis zueinander. Wie leistungsfähig die Wirtschaft eines Landes ist, hängt beispielsweise auch von der Qualität seiner Institutionen und von der Innovationsbereitschaft seiner Bevölkerung ab, und eine hohe Leistungsfähigkeit bietet auch vergleichsweise gute Chancen, die nationalen Interessen bei der Gestaltung internationaler Regelsysteme zur Geltung zu bringen. Die für die Bevölkerung eines Landes typische Motivations- und Interessenstruktur kann die Wahrnehmung außenwirtschaftlicher Anreize erleichtern und die Wirkung negativer Impulse, die von internationalen Institutionen ausgehen, kompensieren. Ein Beispiel für den letzteren Fall bot Südkorea während der asiatischen Finanzkrise Ende der 1990er Jahre. Der IWF hatte damals seine Beistandskredite von der Verfolgung einer Austeritätspolitik der südkoreanischen Regierung abhängig gemacht, was vielfach als eine verfehlte Konditionalität kritisiert wurde. Die Art und Weise, wie Südkorea mit dieser Konditionalität umging, illustriert die Tatsache, dass viele Südkoreaner der Zentralbank des Landes ihre privaten Goldbestände zum Kauf anboten, um durch die Erhöhung der Goldbestände dieser Bank die internationale Kreditwürdigkeit des Landes zu verbessern. Südkorea hat sich innerhalb weniger Jahre von den Auswirkungen dieser Finanzkrise erholt. Alle genannten Faktoren tragen zum Ergebnis der ökonomischen Globalisierung bei. Es dürfte kaum möglich sein, spezifische Erfolge oder Misserfolge nur einem dieser Faktoren zuzurechnen. Die folgenden Überlegungen beschränken sich auf die Rolle internationaler Institutionen, die bei der moralischen Kritik an der Globalisierung im Vordergrund stehen. 3. Die Bildung globaler Institutionen und der Einfluss ethischer Wertungen. Globale Institutionen werden durch staatliche und private Akteure geschaffen, denen unterstellt werden kann, dass sie dabei ihre eigenen Interessen verfolgen, in denen sich ihre ethischen Wertungen widerspiegeln. 4 Diese Aussage ist im Folgenden zu diskutieren, wobei eine Beschränkung auf die von Staaten etablierten Institutionen erfolgen soll. Im Einzelnen ist zu fragen: (a) Inwiefern kann davon gesprochen werden, dass die Schaffung und Erhaltung eines internationalen Regelsystems, das allen Beteiligten eine bestimmte Handlungsbeschränkung auferlegt, den nationalen Eigeninteressen eines Landes entsprechen? (b) Wird der Prozess der Regelbildung durch die Ungleichheit der internationalen Machtverteilung und durch die Interessenpolitik besonders einflussreicher Staaten eher erschwert oder eher gefördert? (c) Worin bestehen die möglichen ethischen Wertungen, die in das Interessenkalkül regelbildender Akteure einfließen und deshalb im Inhalt dieser Regeln ihren Niederschlag finden? zu (a) Das nationale Eigeninteresse an der Etablierung multilateraler Institutionen. – Die innerstaatlichen Prozesse, die zur Formulierung „nationaler Interessen“ führen, sollen hier nicht untersucht werden. Es sei unterstellt, dass jeder Staat auf der internationalen Ebene bestimmte Eigeninteressen verfolgt. Sie können beispielsweise darin bestehen, die Auslandsmärkte so weit wie möglich für inländische Exportprodukte zu öffnen und gleichzeitig die inländischen Produzenten vor einer als „ruinös“ verstandenen Importkonkurrenz zu schützen (ein typisch merkantilistisches Interesse, wie es nach wie vor für die Handelspolitik aller Staaten kennzeichnend ist). Ein Land kann ferner daran interessiert sein, die Rechtssicherheit für eigene Auslandsinvestitionen zu verbessern und die Zuwanderung ausländischer Arbeitskräfte so weit wie möglich zu begrenzen. Stets handelt es sich um Ziele, hinter denen partikulare Interessengruppen des Inlandes stehen oder bei denen es – wohlwollend interpretiert – um das Gemeinwohl geht. Mit jeder Einigung auf ein internationales Regelsystem gehen die beteiligten Staaten bestimmte Selbstverpflichtungen ein, das heißt sie verzichten teilweise auf die autonome Verfolgung ihrer nationalen Eigeninteressen. Mit der Listenbindung eines Zollsatzes im Rahmen von WTO-Verhandlungen verzichtet beispielsweise ein Land auf autonome Schutzmaßnahmen für inländische Branchen, die von der Importkonkurrenz bedroht sind. Zu solchen Selbstbeschränkungen wird ein Land (bei gegebener merkantilistischer Grundhaltung) nur bereit sein, wenn es davon ausgehen kann, dass auch seine Partnerländer zu derartigen Beschränkungen bereit sind, dass also international vereinbarte Regeln von den Partnern eingehalten werden und sich daraus ein Vorteil gegenüber einem Zustand allgemeiner Regellosigkeit ergibt. Noch größer kann freilich der Vorteil eines Landes sein, wenn sich alle seine Partner an vereinbarte Regeln halten, dieses Land selbst aber eine autonome Interessenpolitik verfolgt, die im Grenzfall auch eine Regelverletzung in Kauf nimmt. Wir haben also das typische Problem eines sozialen Dilemmas (spieltheoretisch „Gefangenendilemma“), bei dem eine „defektive“ Strategie dominant ist, die zur Erodierung bestehender internationaler Institutionen führt bzw. dies gar nicht erst entstehen lässt. Dies ist das Grundproblem jeder internationalen Regelbildung. Es zeigt sich besonders deutlich bei der Bereitstellung globaler Kollektivgüter, wie etwas dem Schutz der Ozonschicht in der Stratosphäre durch die Verminderung des Ausstoßes von FCKWs. Mit der Emissionsminderung sind Kosten verbunden, die sich aus der Umrüstung von Produktionsanlangen und aus dem Verzicht auf die Nutzung bestimmter natürlicher Ressourcen ergeben. Die jeweils für ein Land entstehenden Kosten sind typischerweise höher als die Wohlfahrtssteigerung, die es von seinem eigenen Beitrag zur Bereitstellung des globalen Kollektivgutes erwarten kann. Deshalb wird jedes Land versucht sein, von den Leistungen anderer Länder zu profitieren und seine eigene Leistung zurückzuhalten. Das 5 Ergebnis ist, dass eine internationale Vereinbarung zur Emissionsminderung gar nicht erst zustande kommt. Ein anderes Beispiel für das soziale Dilemma bei der internationalen Institutionenbildung ist die Handelspolitik „großer“ Länder (für „kleine“ Länder im Sinne der Außenhandelstheorie gelten andere Bedingungen)4. En „großes“ Land profitiert von der Einrichtung eines globalen Regelsystems, das Wettbewerbsbeschränkungen privater und staatlicher Art verhindert, aber es kann möglicherweise seine nationale Wohlfahrt durch eine „strategische Handelspolitik“ erhöhen, das heißt dadurch, dass es seine Exporte subventioniert, seine Importe beschränkt oder auf andere Weise direkt oder indirekt in die Außenhandelsströme eingreift. Die Voraussetzung ist dabei, dass andere „große“ Länder diesem Beispiel nicht folgen. Weil aber jedes „große“ Land in der Versuchung steht, eine „strategische Handelspolitik“ im nationalen Interesse zu verfolgen, sind die Chancen für das Zustandekommen und die Einhaltung eines internationalen Abkommens zur Verhinderung von Wettbewerbsbarrieren prima facie nicht sehr groß. Wenn solche Vereinbarungen trotzdem zustande kommen und eine gewisse Funktionsfähigkeit besitzen – das GATT ist ein Beleg dafür -, dann im Wesentlichen deshalb, weil im Sinne einer spieltheoretischen „tit for tat“-Strategie bei wiederkehrenden Spielzügen die Möglichkeit besteht, den Bruch internationaler Vereinbarungen zu „bestrafen“. Die WTO bietet dafür im Rahmen ihres „Dispute Settlement“-Mechanismus ein streng geregeltes Verfahren, aber auch außerhalb dieses Verfahrens sind „große“ Länder nicht gerade zurückhaltend, wenn es um die Sanktionierung von Partnerländern geht, die sich tatsächlich oder auch nur vermeintlich nicht an vereinbarte Handelserleichterungen gehalten haben. Auch die Verbindlichkeit währungspolitischer Regeln lässt sich relativ einfach durch Sanktionen stärken. Die Konditionalitätspolitik des IWF ist dafür ein Beispiel. Schwieriger ist die Durchsetzung internationaler Umweltabkommen, sofern hier nicht die Möglichkeit eines „issue linking“ besteht, mit dem der Verbindlichkeitsgrad vertragsspezifischer Kontroll- und Durchsetzungsinstrumente erhöht werden kann (s.u.). Die erste der gestellten Fragen lässt sich also wie folgt beantworten: Nur unter der Bedingung wirksamer Sanktionen für ein „Außenseiter“-Verhalten wird man im allgemeinen damit rechnen können, dass die Beteiligung an einem internationalen Regelsystem im nationalen Eigeninteresse eines Landes liegt. Anders formuliert: Das „konstitutionelle Interesse“ am Bestehen einer Ordnung wird nur dann größer sein als das „Handlungsinteresse“ an einer autonomen Interessenverfolgung, wenn das erstere durch Sanktionen gestärkt werden kann. zu b) Institutionenbildung bei ungleicher Machtverteilung.- Zwischen den einzelnen Ländern gibt es erhebliche Unterschiede im Blick auf ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, ihre militärische Stärke und ihre politische Durchsetzungskraft. Auf internationaler Ebene besteht also eine ungleiche Machtverteilung. Nun lassen die vorangegangenen Ausführungen vermuten, dass „große“ Länder, denen auch ein großes Machtpotential zugeschrieben werden kann, ein Risiko für das Zustandekommen und für die Stabilität internationaler Regelsystem darstellen. Das muss nicht so sein, wenn die Machtverteilung extrem ungleich ist und darin besteht, dass ein Hegemonialstaat einer Vielzahl relativ machtloser Staaten gegenübersteht. In diesem Fall sind nach einer bekannten These von Charles Kindleberger sogar die Chancen zur Schaffung internationaler Regelsysteme besonders günstig. 4 Zur Terminologie siehe: Rose/Sauernheimer, 1999, S. 581 ff., S. 620 ff. 6 Nach dieser These ist die Existenz einer internationalen Führungsmacht geradezu eine notwendige – wenn auch keine hinreichende – Bedingung für die Bereitstellung globaler Kollektivgüter, zu denen auch funktionsfähige internationale Regelsysteme gerechnet werden können: „International public goods are produced, if at all, by the leading power, a so called ‚hegemon’“.5 Nach Kindleberger ist er dadurch gekennzeichnet, dass er willens ist, einen überproportionale großen Anteil der kurzfristigen Kosten dieser öffentlicher Güter zu übernehmen, wozu ihn entweder die Aussicht auf längerfristigen Gewinn motiviert oder die Erwartung von „prestige, glory…or some combination of the two“6. Er handelt also nicht uneigennützig, aber er hat einen längeren Zeithorizont und eine weiter definierte Wohlstandsfunktion als andere Länder. Diese wiederum profitieren von der Initiative der Führungsmacht. Sie kommen in den Genuss verlässslicher Regelsysteme; durch die Verwendung der vom Hegemonialstaat eingeführten Standards sinken die Transaktionskosten, und die Sanktionsgewalt des Hegemons macht Konflikte unwahrscheinlicher. So gesehen ist eine Hegemonialstruktur für alle beteiligten Länder vorteilhaft. Doch sie hat ihre Schattenseiten, denn das Führungspotenzial einer Nation ist kaum zu trennen von ihrer Dominanzabsicht. Der Beherrschungswille einer Hegemonialmacht weckt unvermeidlicherweise den Widerstand anderer Nationen und dadurch entstehen Konflikte, die die Bedingungen zur Sicherung globaler Kollektivgüter verschlechtern. Eine Hegemonialstruktur ist also inhärent instabil. Sie ließe sich nur stabilisieren, wäre die Führungsrolle des Hegemons „based on persuasion and compromise“ und weniger auf die Ausübung „harter“ Macht7. Dies allerdings „will be difficult, perhaps impossible“.8 Der unbestreitbare Hegemonialstaat der Gegenwart sind die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie sind seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion entschlossen, unter Einsatz ihres politischen und militärischen Potenzials eine „Neue Weltordnung“ zu errichten. Getragen von einer innenpolitischen Welle des „Neokonservativismus“, beansprucht das Land eine uneingeschränkte globale Führungsrolle, und es scheint weniger denn je seit dem Zweiten Weltkrieg dazu bereit zu sein, diese Rolle über „persuasion and compromise“ wahrzunehmen. Vielmehr deutet vieles darauf hin, dass die USA ihre Führungsaufgaben durch eine „imperiale“ Machtentfaltung wahrnehmen wollen, die sich wenig durch internationale Rechtsnormen einschränken lässt. Aufschlussreich ist, was dazu Ikenberry schreibt: „The U.S. should not get entagled in the corrupting and constraining world of multilateral rules and institutions”.9 Die gegenwärtige Politik der USA bewegt sich weitgehend auf dieser Linie, wie sich daran ablesen lässt, dass die Zustimmung zu internationalen Verträgen, die der Sicherung globaler Kollektivgüter dienen können, verweigert und eine gegebene Zustimmungen zurückgezogen wird (Beispiel: die Biodiversitätskonvention, das Kyoto-Protokoll) und dass die Arbeitsfähigkeit von Organen, die der Festigung einer internationalen „rule of law“ dienen könnten, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln behindert wird (Beispiel: Internationaler Strafgerichtshof). Die zweite der oben gestellten Fragen lässt sich daher wie folgt beantworten: Die gegenwärtig bestehende Ungleichheit internationaler Machtverteilung trägt nicht dazu bei, die Chancen für stabile internationale Regelsysteme zu erhöhen. Der Hegemon, dessen Existenz nach einer These von Charles Kindleberger günstige Voraussetzungen für die Bereitstellung 5 Kindleberger, 1986, S. 13 ebenda. 7 Zwischen „harter“ Machtausübung, die mit politischem und militärischem Druck arbeitet, und „weicher“ Macht (Kooperation, Überzeugung, vorbildliches Verhalten) unterscheidet Nye (2003). 8 Whitman (1975), S. 160. 9 Ikenberry (2002), S. 80. 6 7 globaler öffentlicher Güter bieten könnte, verfolgt eine Interessenpolitik, die eher das „defektive“ Verhalten anderer Staaten fördert und dadurch zur Instabilität globaler Ordnungssysteme beiträgt.10 (c) Der Einfluss ethischer Wertungen. – Bisher war von „Interessen“ der regelbildenden Akteure die Rede, die im Inhalt von Regelsystemen ihren Niederschlag finden können. Welche Rolle spielen dabei ethische Wertungen? Besteht die Funktion von „Ethik“ oder von „Moral“11 darin, die wirtschaftlichen Eigeninteressen staatlicher oder privater Akteure zu disziplinieren? Oder ist „Ethik“ nur ein anderer Begriff für weit gefasste ökonomische Interessen, deren Realisierbarkeit am besten mit den Mitteln der ökonomischen Theorie thematisiert werden kann? Ist eine explizite ethische Güterabwägung redundant, weil „Ethik“ durch (gute) Ökonomik ersetzt werden kann? Oder hat man sich das Verhältnis von Ethik und Ökonomik im Sinne eines „Paralleldiskurses“ vorzustellen, bei dem dieselben Entscheidungssituationen unabhängig voneinander und mit gleicher Wertigkeit sowohl auf traditionell ethische wie auf ökonomische Weise reflektiert werden? Dies sind einige Grundsatzfragen zum Verständnis von „Wirtschaftsethik“, die hier nicht in aller Breite diskutiert werden können. Lediglich ein Gedanke sei herausgegriffen. Je weiter der Horizont einzelstaatlicher, unternehmerischer oder individueller Interessen ist, umso stärker konvergieren diese mit ethischen Werten. Das gilt in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht. Praktisch relevant ist die Frage, was sich eher erreichen lässt: eine Erweiterung des Interessenhorizonts oder eine Verfolgung ethischer Prinzipien. Sollte ersteres der Fall sein, so ist aus der Sicht einer ethisch wünschenswerten Handlungspraxis nichts gegen einen konsequent geführten Interessen-Diskurs einzuwenden, wozu die ökonomische Theorie eine gute Grundlage bietet. Es könnte freilich sein, dass sich dieser Diskurs nur mühsam aus dem herkömmlichen Horizont des Interessenkalküls befreien kann und dass eine Besinnung auf ethische Werte durchaus zu dessen Erweiterung beiträgt. So gesehen ist ein expliziter Ethik-Diskurs unverzichtbar, zumal der der Versuch, über einen ökonomischen „Paralleldiskurs“ dieselben Einsichten und Handlungsmotivationen zu wecken, an Grenzen stoßen dürfte. Die Motivation zur Nächstenliebe wird sich zum Beispiel nicht durch ein (ökonomisches) Vorteilskalkül wecken lassen, auch wenn der Vorteilsbegriff dabei sehr weit gedehnt wird (was ihn unscharf werden lässt, so dass er kaum noch brauchbar ist). Ist bei privaten und staatlichen Akteuren die Einsicht in ihre ethische Verantwortung erst einmal geweckt, dann macht es allerdings Sinn, diese Einsicht rückwirkend in der Sprache einer weit gefassten Vorteilsrechnung zu interpretieren. Mit anderen Worten: Eine ReKonstruktion der ethischen Verantwortung in der Sprache eines ökonomischen Vorteilskalküls ist sinnvoll, denn es kann diese Verantwortung stabilisieren, aber dieses Kalkül dürfte überfordert sein, wenn man von ihm allein die „Konstruktion“ eines weiten Interessenhorizontes erwartet. Ob nun ethische Einsichten nachträglich in der Sprache eines erweiterten Vorteilskalküls formuliert werden, oder ob umgekehrt ein erweiterter Interessenhorizont ex post in der Sprache der Ethik interpretiert wird: Eine Erweiterung des Interessenbegriffs ist positiv 10 Es ist beispielsweise nicht zu übersehen, dass sich Staaten wie Indien und China durch die Außenpolitik der USA ermutigt sehen, internationalen Abkommen ebenfalls fern zu bleiben (z.B. den Vereinbarungen zur Verringerung der Treibhausgas-Emission nach dem Kyoto-Protokoll). 11 Im einen Fall handelt es sich um die Praxis des „guten Handelns“, im anderen Fall um deren Theorie. Für die vorliegende Fragestellung ist dies Unterscheidung vergleichsweise unwichtig. 8 korreliert mit der Verwirklichung ethischer Werte. Davon ausgehend können die unterschiedlichen Interessen diskutiert werden, die bei der Etablierung internationaler Regelsysteme eine Rolle spielen. Das jeweilige Spektrum dieser Interessen kann in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht sehr eng oder auch sehr breit sein. Die jeweiligen Pole lassen sich wie folgt skizzieren. Das sachliche Interesse bei der Regelbildung kann sich zu einen darauf konzentrieren, die größtmögliche Effizienz in der Produktion und Distribution privater Güter herzustellen. Dementsprechend werden Bemühungen im Vordergrund stehen, den internationalen Austausch von Gütern und Dienstleistungen (einschließlich von Produktionsfaktoren) so weit wie möglich zu liberalisieren, das System privater Verfügungsrechte über Güter und Faktoren im Interesse einer größtmöglichen Allokationseffizienz und einer Stimulierung von Innovationen zu schärfen; beim Schutz individueller Freiheitsrechte vorwiegend auf die Verwirklichung ökonomisch relevanter Rechte zu drängen (Markt-, Gewerbe- und Vertragsfreiheit), und jeden staatlichen Einfluss zurückzuweisen, der im Verdacht steht, diese Freiheiten zu beschränken. Zum anderen können die regelbildenden Akteure vor allem daran interessiert sein, die „Verwirklichungschancen“ der Menschen („capabilities“ im Sinne von Amartya Sen) zu verbessern, die nicht nur von der privat verfügbaren Gütermenge abhängen, sondern auch vom Bildungsstand der Menschen, ihrer Gesundheit und ihrem Rechtsstatus.12. Ohne die Etablierung von Institutionen zur Förderung einer international effizienten Güterproduktion zu vernachlässigen, werden sich diese Akteure auch damit befassen wollen, die Verwirklichung bürgerlich-politischer und wirtschaftlich-sozialer Menschenrechte zu verbessern, und dabei wird dem Staat eine größere Rolle zukommen als im vorangegangenen Fall. In zeitlicher Hinsicht kann sich der Interessenhorizont regelbildender Akteure einerseits darauf konzentrieren, den materiellen Lebensstandard der gegenwärtigen Generation so weit wie möglich zu erhöhen, möglicherweise in der Erwartung, dass ein steigendes Einkommensniveau zu einem wachsenden Umweltbewusstsein beiträgt und dadurch im Laufe der Zeit ein wirksamer Umwelt- und Ressourcenschutz zustande kommt.13 Der Versuch, bereits in der Gegenwart internationale Umweltstandards durchzusetzen, die den Interessen künftiger Generationen Rechnung tragen, wird demgegenüber kaum eine Rolle spielen. Andererseits kann genau dies zu einem wichtigen Bestandteil internationaler Regelungsbemühungen werden. Das Ziel ökologischer Nachhaltigkeit14 wird dann höher gewichtet; bei möglichen Konflikten mit dem Ziel statischer Allokationseffizienz wird ein Ausgleich gesucht, der nicht von vornherein der Realeinkommenssteigeruöng den Vorrang gibt. In räumlicher Hinsicht kann es zum einen darum gehen, das bestehende Regelwerk unterschiedslos auf alle – also auch die einkommensschwachen - Länder anzuwenden, um jedem Land die gleich formalen Chancen einer Wohlstandserhöhung zu geben. Ungleichheiten in der Ressourcenausstattung und in den historisch gewachsenen Institutionen 12 Sen, 2003, S. 110 ff. Vom „Wachstum der Weltwirtschaft als (einer) realistischen Lösung des Welt-Klima-Problems“ spricht beispielsweise von Weizsäcker (1999, S. 151, Überschrift des 12. Kapitels), auch wenn er letztlich die Frage offen lässt, ob sich dadurch „der ökologische Kollaps“ vermeiden lässt (a.a.O., S. 155). Die Argumentation lautet, dass die Nachfrage nach Umweltgütern eine hohe Einkommenselastizität aufweist und deshalb mit steigendem Pro-Kopf-Einkommen zunimmt. 14 Die Problematik einer Operationalisierung des Nachhaltigkeits-Begriffs soll hier nicht diskutiert werden. Siehe Nutzinger, 1995. 13 9 einzelner Länder werden dabei nicht berücksichtigt. Zum anderen kann das Interesse regelbildender Akteure darin bestehen, den wirtschaftlich unterentwickelten Ländern eine Übernahme internationaler Verpflichtungen durch Sonderbestimmungen zu erleichtern, wo dies im wohlverstandenen Eigeninteresse dieser Länder liegt. Eine zusammenfassende Antwort auf die dritte Frage lautet: Es gibt ein breites Spektrum von Interessen, die in die Bildung internationaler Institutionen einfließen können, wobei diejenigen des „Hegemons“ eine wesentliche Rolle spielen. Je „weiter“ der Interessenhorizont in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht ist, umso stärker konvergiert er mit ethischen Werten. Auf welche Interessen bzw. Werte die tatsächliche Institutionenbildung schließen lässt, soll im folgenden Abschnitt diskutiert werden. Ein Überblick über die bestehenden Institutionen soll zunächst ein Bild von der Vielfalt und Heterogenität der bestehenden Regelsysteme vermitteln. In einem zweiten Schritt werden dann einige dieser Institutionen auf die ihnen zugrunde liegenden Interessen (bzw. Werte) geprüft. 4. Globale Regelsysteme und ihre impliziten Wertungen 4.1. Die Regelsysteme der Globalisierung – ein Überblick Der ökonomische Globalisierungsprozess wird von einer unübersehbaren Fülle von Institutionen geregelt. Sie sind jeweils auf einzelne Funktionsbereiche15 dieses Prozesses bezogen, stehen aber untereinander in einem Verhältnis gegenseitiger Abhängigkeiten, und daraus können sich zahlreiche Konflikte ergeben. Nach funktionalen Gesichtspunkten lassen sich unterscheiden: Regelsysteme für den Bereich des internationalen Austausches von Waren und Dienstleistungen, für die internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen, für den globalen Umwelt- und Ressourcenschutz und für die Verwirklichung sozialpolitischer Ziele. Die wichtigsten dieser Institutionen seien kurz genannt.16 Im Zentrum der Regelung für den globalen Austausch von Warten und Dienstleistungen stehen die von der WTO verwalteten Abkommen. Das älteste ist das bereits im Jahre 1947 zustande gekommene und seitdem mehrfach veränderte „Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen“ (GATT). Sein in der Präambel formuliertes Ziel ist es, durch einen „wesentlichen Abbau der Zölle und anderer Handelsschranken“ zur „Erhöhung des Lebensstandards“ sowie zur „Ausweitung der Produktion und des Handels mit Waren und Dienstleistungen“ beizutragen.17 Man sollte dies allerdings nicht als eine Verpflichtung zum allgemeinen Freihandel verstehen. Keiner der Vertragsstaaten war und ist bereit, seinen Spielraum für eine autonome Handelspolitik völlig aufzugeben und seinen Binnenmarkt völlig für ausländische Anbieter zu öffnen. Die von den Vertragsstaaten verfolgte Politik lässt sich eher als die eines „disziplinierten Merkantilismus“ bezeichnen.18 Zölle gelten als legitimes Mittel der Handelspolitik,19 sie sollen aber schrittweise unter strenger Beachtung 15 Es wäre geradezu dysfunktional, wollte man alle Regelsysteme in gleicher Weise auf die Ziele aller Funktionsbereich hin verpflichten. Der „Assignment-Regel“ entspricht es vielmehr, wenn für die einzelnen Bereiche der weltwirtschaftlichen Verflechtung spezifische Regelsysteme („Ordnungen“) errichtet werden. Siehe Sautter, 2004, S. 57. 16 Zu einer ausführlichen Darstellung globaler Institutionen siehe Sautter, 2004. 17 Zitiert nach Benedek, 1998, S. 45. 18 Langhammer, 1999, S. 25. 19 Nicht-tarifäre Handelshindernisse sind dagegen nach Artikel XI des Abkommens grundsätzlich unzulässig. Dass sie in der Praxis eine wichtige Rolle spielen, steht auf einem anderen Blatt. 10 des Reziprozitätsprinzips gesenkt werden (der monetäre Wert gegenseitiger ZollZugeständnisse soll möglichst ausgeglichen sein). Allein schon dieses Prinzip macht deutlich, dass es beim GATT nicht um die Verwirklichung des Freihandels geht, denn im Blick darauf wäre das Beharren auf „Reziprozität“ sinnlos Ginge es um eine Annäherung an den Freihandel, dann müsste der Verzicht auf jede Reziprozität (also eine unilaterale Handelsliberalisierung) gefordert werden. Ein zweiter von der WTO verwalteter Vertrag ist das „Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen“ (GATS), über das während der Uruguay-Runde des GATT verhandelt wurde und das erst im Jahre 1994 in Kraft trat. Es kam vor allem auf Drängen der USA zustande, die für ihre wettbewerbsfähigen Anbieter von Dienstleistungen einen freien Marktzugang in anderen Ländern schaffen wollten. Noch deutlicher als beim GATT haben hier die Vertragsstaaten allerdings darauf verzichtet, eine allgemeine Verpflichtung zur Marktöffnung einzugehen. Stattdessen haben sie vereinbart, über „Positivlisten“ derjenigen Dienstleistungen zu verhandeln, für die ein internationaler Wettbewerb zugelassen wird. Der dritte große Vertrag innerhalb des WTO-Systems, der ebenfalls ein Ergebnis der Uruguay-Runde darstellt, ist das „Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte am geistigen Eigentum“ (TRIPS). Es waren vor allem die Vereinigten Staaten, die ihre eigenen Wettbewerbsvorteile bei wissensintensiven Gütern gefährdet sahen und die sich deshalb – nicht anders als im Falle des Dienstleistungshandels – mit Nachdruck für einen stärkeren internationalen Rechtsschutz für das geistige Eigentum einsetzten. Der Wortlaut des Vertrags trägt insofern den Interessen der Industrieländer – insbesondere der USA – Rechnung, als er die Entwicklungsländer zu internen Regelungen verpflichtet, wie sie sich im Verlaufe einer langen Entwicklung in den heutigen Industrieländern herausgebildet haben. Die Durchführungskontrolle und Weiterentwicklung aller dieser Verträge liegt in der Hand der „Welthandelsorganisation“ (WTO), in deren Entscheidungsgremien jedes Mitgliedsland lediglich eine Stimme besitzt, so dass (formal gesehen) die Chancen einer Mitgestaltung des Vertragswerks gleich verteilt sind, (dass die tatsächliche Chancenverteilung völlig ungleich ist, steht auf einem anderen Blatt, s.u.). Für die Mitgliedschaft in der WTO gilt eine „Paketlösung“: Alle drei Vertragswerke müssen vollständig übernommen und umgesetzt werden (mit unterschiedlichen Anpassungsfristen für Industrie- und Entwicklungsländer). Es ist grundsätzlich nicht – wie vor Abschluss der Uruguay-Runde – möglich, bestimmte Vertragsteile davon auszunehmen. Daraus ergibt sich relativ problemlos die Möglichkeit eines „issue-linking“: Die Verletzung eines Vertrages kann mit Sanktionen aus dem Regelungsbereich eines anderen Vertrages beantwortet werden, um damit die Verbindlichkeit des ganzen Vertragssystems zu festigen. Neben dem Regelwerk der WTO, das durch völkerrechtliche Verträge souveräner Staaten zustande gekommen ist, gibt es zahlreiche Normen für den internationalen Waren- und Dienstleistungsverkehr, die durch internationale Organisationen und durch Berufsverbände festgelegt worden sind oder die sich aus der privaten Rechtspraxis ergeben haben. Damit wurden Regelungsdefizite in zwischenstaatlichen Verträgen geschlossen; häufig handelt es sich dabei auch um die Vorstufe staatlicher Vereinbarungen. Im Rahmen der „Food and Agrucultural Organisation“ (FAO) wurde beispielsweise im Jahre 1985 ein „Kodex für den Gebrauch und den Handel mit Pestiziden“ beschlossen; die OECD hat im Jahre 1997 auf der Grundlage einer entsprechenden UN-Resolution ein „Übereinkommen über die Bekämpfung der Bestechung ausländischer Amtsträger im internationalen Geschäftsverkehr“ verabschiedet, mit dem ein „Bestechungswettlauf“ im internationalen Handel verhindert 11 werden soll; aus der „Kautelarpraxis“ von Anwaltsfirmen hat sich ein privates Wirtschaftsrecht entwickelt- um nur einige der vielen Formen internationaler Normenbildung zu erwähnen.20 Im Unterschied zu den „harten“ völkerrechtsverbindlichen Normen, die durch Verträge zwischen Staaten zustande kommen, handelt es sich hier um ein „soft law“ mit geringerer normativer Verdichtung. Das muss aber nicht bedeuten, dass es völlig unverbindlich wäre. Ein gewisser Druck auf die Respektierung dieser Normen geht von den Repudationsverlusten aus, die ein privater oder staatlicher Akteur im Falle einer Regelverletzung hinnehmen muss. Im Regelsystem für die internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen stellt die Hinterlassenschaft des „Bretton Woods-Systems“ eines der wichtigsten Elemente dar. Dieses System mit seinem „Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds“ (IWF), das im Jahre 1944 vereinbart wurde, ist zwar mit der Preisgabe fester, anpassungsfähiger Wechselkurse im Jahre 1971 zusammengebrochen. Gleichwohl sind einige seiner Teile noch immer in Kraft: die Verpflichtung der Mitgliedsländer des IWF, ihre Wirtschaftspolitik an bestimmten makroökonomischen Zielen auszurichten (insbesondere monetärer Stabilität) und sich einer regelmäßigen Überprüfung durch den Fonds zu unterziehen, die Konvertibilität ihrer Währung zu sichern, den Zahlungsverkehr für „laufende internationale Geschäfte“ von Devisenbeschränkungen frei zu halten, das jeweils gewählte Wechselkursregime dem Fonds anzuzeigen und einen Abwertungswettlauf zu vermeiden. Diesen Verpflichtungen stehen bestimmte Rechte der Mitgliedsstaaten gegenüber. Sie können insbesondere vom Fonds nach einem streng geregelten Verfahren finanzielle Mittel in Anspruch nehmen, um die Anpassungsprozesse an Zahlungsbilanzschwierigkeiten zeitlich zu strecken, Wechselkursschwankungen zu glätten und Handelsbeschränkungen zu vermeiden. Mit der Festlegung der Bedingungen, unter denen der Fonds zu einer solchen Mittelvergabe bereit ist, besitzt er ein wirksames Druckmittel, um die Mitgliedsstaaten im Falle außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte zu einer Politik im Sinne seiner Statuten zu veranlassen. Diese postulieren auch das Ziel des IWF. Es wird darin gesehen, ein „ausgewogenes Wachstum des Welthandels“ zu erleichtern (und damit die Liberalisierungsbemühungen im GATT zu unterstützen) und zur „Förderung und Aufrechterhaltung eines hohen Beschäftigungsgrades und Realeinkommens sowie zur Entwicklung des Produktionspotentials als obersten Zielen der Wirtschaftspolitik“ beizutragen.21 Vertragspartner des IWF-Übereinkommens sind Regierungen, und der traditionelle Regelungsbereich dieses Übereinkommens sind die Währungsbeziehungen zwischen den finanz- und währungspolitischen Organen seiner Mitgliedsstaaten. Dies war in den Anfangsjahren des Fonds der wichtigste Bereich monetärer internationaler Verflechtungen. Inzwischen hat sich das Bild grundlegend geändert. Private Kapitalmärkte sind heute ungleich wichtiger als damals, und sie sind in einem hohen Maße international verflochten.22 Für diesen dominierenden Bereich globaler monetärer Beziehungen gibt es kein zentrales Regelsystem, das dem IWF-Übereinkommen vergleichbar wäre. Vielmehr existieren zahlreiche Systeme nebeneinander, die sich gegenseitig überlappen und die den privatwirtschaftlichen Akteuren einen großen Gestaltungsspielraum bieten. Im Blick darauf sprechen Padoa-Schioppa/Saccomanni davon, dass die Ordnungsaufgaben im globalen Finanzsystem „(are) carried out in an ad hoc manner through sporadic intergovernmental 20 Siehe dazu Behrens, 1999; Kirchner, 1999. Übereinkommen über den Internationalen Währungsfonds, zitiert nach: Bundesgesetzblatt Teil II (1978), S. 19. 22 Padoa-Schioppa/Saccomanni (1994, S. 236) sprechen deshalb von einem „Market-led International Monetary System“ im Unterschied zum „Government-led International Monetary System“ in den Jahren 1950-1970. 21 12 action, are left to the spontaneous initiatives of market participants, or simply do not exist”.23 Daraus ergibt sich eine hohe Fragilität der internationalen Währungs- und Finanzordnung, die isch in den großen Finanzkrisen der 1980er und 1990er Jahre manifestierte. Die Wohlstandsentwicklung eines Landes steht nicht nur unter dem Einfluss einer zunehmenden Verflechtung nationaler Güter- und Finanzmärkte. Sie wird auch durch grenzüberschreitende Externalitäten ökologischer Art beeinflusst. Im Extremfall handelt es sich um externe Effekte mit globaler Reichweite, von denen prinzipiell kein Mensch ausgeschlossen werden kann, und die deshalb (bei negativen Externalitäten) als „globale öffentliche Übel“ („global public bads“) bezeichnet werden können. Ihre Verhinderung, die auf die Bewahrung einer bestimmten Umweltqualität hinausläuft, lässt sich dementsprechend als die Bereitstellung eines „globalen öffentlichen Gutes“ („global public good“)24 interpretieren. Beispiele dafür sind: die Erhaltung der Ozonschicht in der Stratosphäre als einem Schutzfilter für die gesundheitsschädliche Ultraviolett-B-Strahlung; der Schutz des „Weltklimas“ vor einer wohlstandsmindernden anthropogenen Änderung;25 der Schutz der Biodiversität und der Schutz der Weltmeere vor einer Verschmutzung, mit der die Assimilationskapazität der Meere überschritten wird. Seit Beginn der 1970er Jahre haben die genannten Probleme eine wachsende internationale Aufmerksamkeit gefunden. Dies hat zum Abschluss einiger Abkommen geführt, die der Erhaltung globaler Kollektivgüter dienen sollen. Dazu gehören: das „Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht“ aus dem Jahre 1985 mit dem zwei Jahre später verabschiedeten „Montrealer Protokoll“; die „Klima-Rahmenkonvention“ aus dem Jahre 1992 mit dem für die Ausgestaltung dieser Konvention maßgebenden „Kyoto-Protokoll“ aus dem Jahre 1997; die „Biodiversitäts-Konvention“ aus dem Jahre 1992, mit der das bereits 1975 in Kraft getretene „Washingtoner Artenschuktz-Abkommen“ ergänzt wurde; sowie die im Jahre 1989 vereinbarte „Baseler Müll-Konvention“. Dieses Bild wäre unvollständig, wollte man die zahlreichen Initiativen von NichtRegierungsorganisationen (NROs) zur Verbesserung des globalen Umweltschutzes unerwähnt lassen. Dazu gehört insbesondere die Vergabe von Gütesiegeln für international gehandelte, umweltfreundliche Produkte, wie z. B. das „Eco-o.K.“-Siegel der „Rainforest Alliance“für umweltfreundlich hergestellte Erzeugnisse der tropischen Landwirtschaft. Die „International Standards Organisation“ (ISO) ist dabei, die Ziele eines „ecological labelling“ in die ISONormen-Serie 14020 umzusetzen. Inwieweit solche Initiativen zu einer stärkeren Beachtung des Nachhaltigkeitskriteriums in der Güterproduktion beitragen können, hängt im Wesentlichen davon ab, wie stark die Präferenzen und die Zahlungsbereitschaft der Verbraucher für ökologisch zertifizierte Erzeugnisse sind. Zum institutionellen Design globaler Wirtschaftsbeziehungen gehören auch rechts- und sozialpolitische Normen, die auf die Verwirklichung menschlicher Grundrechte zielen. Dazu 23 a.a.O., S. 236. Zur Terminologie siehe: Kaul/Grunberg/Stern, 1999. 25 Der Begriff „Weltklima“ ist insofern problematisch, als es immer nur lokale und regionale Klimaverhältnisse gibt, die höchst unterschiedlich sein können. Nach allen vorliegenden Untersuchungen ist aber unbestreitbar, dass wir uns in einer Phase globaler Klimaerwärmung befinden, die möglicherweise zum Teil auf eine langfristige, natürliche Entwicklung zurückzuführen ist, die aber mit Sicherheit überlagert und beschleunigt wird durch anthropogene Ursachen (Ausstoß so genannter „Treibhausgase“ bei der Produktion und beim Verbrauch von Gütern). Verschiedene Folgeabschätzungen führen zu dem Ergebnis, dass davon die Wohlstandsentwicklung in allen Teilen der Welt betroffen ist, und dass mit hohen Wohlstandsverlusten in den Entwicklungsländern zu rechnen ist (zunehmende Überschwemmungen in dicht bewohnten Küstengebieten, rückläufige Bodenproduktivität in der Landwirtschaft von Entwicklungsländern u.a.). Siehe dazu: WBGU, 1996. 24 13 gehören nach Artikel 22 der „Allgemeinen Erklärung der Menschrechte“ aus dem Jahre 1948 auch die wirtschaftlichen und sozialen Rechte des Menschen, „die für seine Würde und die freie Entwicklung seiner Persönlichkeit unentbehrlich sind“. Der Appellcharakter dieser Erklärung wurde im Jahre 1966 durch den „Sozialpakt“ der Vereinten Nationen zu einer völkerrechtlichen Norm umgeformt („International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights“, ICESCR). Zahlreiche Übereinkommen, die im Rahmen der „Internationalen Arbeitsorganisation“ (IAO) getroffen worden sind, haben durch die Festlegung von Standards zur Konkretisierung dieser Norm beitragen. Im Blick auf die Gesamtheit dieser Rechtsgrundsätze, völkerrechtlichen Vereinbarungen und Standards wurde der Begriff „Kombinationsstandards“ geprägt. Er kennzeichnet eine „Kombination von rechtlich verbindlichen, programmatischen zielorientierten Normen mit unverbindlichen Normen appellativen Charakters, wie Beschlüssen, Deklarationen und ähnlichem“.26 Es handelt sich gleichsam um ein „Dach“, das auf „Säulen“ mit unterschiedlicher normativer Verdichtung ruht. Jede von ihnen erscheint „für sich genommen kaum geeignet…, die Dachkonstruktion zu tragen“, aber „in ihrem Ensemble (erfüllen sie) diesen Zweck durchaus“.27 Der „Sozialpakt“ als der Kern dessen, was man eine „Internationale Sozialordnung“ nennen könnte, wurde inzwischen von 142 Staaten ratifiziert. Sie übernehmen mit diesem Vertrag die Verpflichtung, die sozialen Verhältnisse des Inlandes schrittweise zu verbessern. Dazu gehören die Ernährungslage, die Wohnungssituation, die Gesundheitsfürsorge und die Sicherung gegen soziale Risiken. Wie diese Verbesserungen zu erreichen sind, wird keinem Land vorgeschrieben. In dieser Hinsicht besteht ein hinreichend großes Maß an Flexibilität, weil etwas anderes in Anbetracht der erheblichen Unterschiede im ökonomischen Entwicklungsstand der Vertragsstaaten auch gar nicht sinnvoll wäre. Man würde also den Pakt völlig falsch interpretieren, wollte man in ihm eine Festlegung gleicher individueller Anspruchsrechte sehen, die in allen Vertragsstaaten gegen die jeweiligen Regierungen eingeklagt werden können. Vielmehr geht es – verfassungsökonomisch gesprochen – um eine Restriktion der Regierungstätigkeit, die ergänzend zur Restriktion durch Wahlen und durch die Verfassung des Landes dem politischen Handeln eine bestimmte Richtung vorgibt. In vielen Ländern haben die Regelungen des Sozialpakts Eingang gefunden in das innerstaatliche Rechtssystem. Hielten sich die Mitgliedsstaaten des Vertrags konsequent an ihre vertraglichen Verpflichtungen, dann würden sich ohne Zweifel die weltweiten Chancen für positive sozialpolitische Auswirkungen des Globalisierungsprozesses erhöhen. Auch bei der Konkretisierung und Durchsetzung sozialer Standards spielen NichtRegierungsorganisationen eine wichtige Rolle. Sie zertifizieren analog zur Vergabe von ökologischen Gütesiegeln auch die Einhaltung von Sozialstandards und haben zu diesem Zweck ein globales Kommunikationsnetz aufgebaut. Aus der Umsetzungskontrolle privater wie öffentlicher Standards sind die NROs nicht mehr wegzudenken. Es gibt also eine kaum mehr zu überblickende Vielfalt von Regelsystemen mit unterschiedlicher normativer Verdichtung. Sie wurden geschaffen, um die globalen Transaktionen wirtschaftlicher Akteure auf bestimmte Ziele hin zu lenken. Das Gewicht, das einzelnen Institutionen zukommt, lässt auf die maßgeblichen Interessen schließen, die sich bei der Ordnung des Globalisierungsprozesses Geltung verschafft haben. 26 Riedel, 1986, S. 310. ebenda. Zur Funktion nicht-bindender Normen bei der Ausformung und Konkretisierung verbindlilcher Normen des Völkervertragsrechts siehe Simma/Zöckler, 1996, S. 79 ff. 27 14 4.2. Implizite Wertungen Welche Gewichte die regelschaffenden Akteure einzelnen Institutionen beimessen, lässt sich aus der Wirksamkeit der vereinbarten Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen, aus der Entscheidungspraxis in Konfliktfällen und aus der faktischen Politik der wichtigsten Akteure schließen. Die im Folgenden zu diskutierenden Fragen lauten deshalb: 1. Welche Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen wurden vereinbart und welches Sanktionspotential steht hinter einem vereinbarten Regelwerk? Wie wurde dieses Potential in der Praxis genutzt? 2. Wie sieht die Entscheidungspraxis im Falle von Konflikten zwischen verschiedenen Regelsystemen aus? Welche Ziele haben dabei den Vorrang? 3. Lässt sich eine Tendenz ausmachen, ein Regelwerk im Blick auf die vereinbarten Ziele durchsetzungsfähiger zu gestalten, oder ist eher eine Abschwächung des Verbindlichkeitsgrades durch eine Umgehung bestehender Regeln zu beobachten? Anhand dieser Fragen sollen die im vorangegangenen Abschnitt vereinbarten Institutionen zunächst daraufhin geprüft werden, ob sie einen „weiten“ oder eher einen „engen“ Interessenhorizont in sachlicher und zeitlicher Hinsicht repräsentieren (4.2.1.). Des weiteren ist zu untersuchen, welcher räumliche Interessenhorizont den genannten Institutionen zugrunde liegt (4.2.2.). Im 3. Abschnitt wurde ausgeführt, dass die „Weite“ des jeweiligen Horizontes auf die zugrunde liegenden ethischen Werte schließen lässt. 4.2.1. Der sachliche und zeitliche Interessenhorizont – das Verständnis von „Wohlstand“ und der Stellenwert ökologischer Nachhaltigkeit Die erste Frage gilt den Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen sowie dem Sanktionspotential einzelner Regelsysteme. Hier zeigen sich erhebliche Unterschiede. Die WTO besitzt mit ihrem „Trade Policy Review Mechanism“ (TPRM) ein Instrument zur regelmäßigen Überprüfung der Handelspolitik ihrer Mitgliedsländer. Sanktionen für den Fall einer Regelverletzung sieht dieses Instrument nicht vor. Davon ist der Fall zu unterscheiden, dass sich ein Vertragspartner durch die Maßnahme eines anderen Mitglieds benachteiligt sieht und deshalb den „Dispute Settlement Board“ (DSB) der WTO anruft. Nach einem genau festgelegten und zeitlich straffen Verfahrens wird die vorgebrachte Beschwerde geprüft, und wenn es nicht zu einer Rücknahme der beanstandeten Regelverletzung oder einer Kompensation der benachteiligten Partei kommt, kann diese zu einer Gegenmaßnahme in Form einer gezielten Rücknahme von Handelserleichterungen gegenüber der vertragsbrüchigen Partei ermächtigt werden. Dies ist ein vergleichsweise wirksames Instrument zur Sanktionierung von Regelverstößen. Auch das monetäre Regelsystem bietet entsprechende Möglichkeiten, die über eine regelmäßige Überprüfung der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsstaaten des IWF („surveillance“ nach Artikel IV des IWF-Übereinkommens) hinausgehen. Gerät ein Land durch eine „unseriöse“ Geld- und Finanzpolitik in Zahlungsbilanzprobleme und nimmt es deshalb finanzielle Mittel des IWF in Anspruch, so hat der Fonds nach einem genau abgestuften Verfahren die Möglichkeit, diesem Land bestimmte Bedingungen für die Mittelvergabe zu stellen. Der Fonds besitzt also einen „finanziellen Hebel“, um die Durchsetzung einer Politik im Sinne seiner Statuten zu erreichen. 15 Diese „Konditionalitätspolitik“ ist heftig umstritten. Das hängt vor allem damit zusammen, dass die Erwartungen an diese Politik völlig unterschiedlich sind und dass der Fonds den Spielraum für die Festlegung von Konditionen sehr extensiv nutzt.28 Es kann nicht ausbleiben, dass dabei – wie generell in der Politik des IWF - nicht nur die Eigeninteressen des Fonds, sondern auch die seiner wichtigsten Mitglieder eine entscheidende Rolle spielen. Das wichtigste Mitgliedsland sind die USA. Wie nicht anders zu erwarten ist, beeinflussen deshalb US-amerikanische Interessen und das US-amerikanische Verständnis von einem effizienten marktwirtschaftlichen System auch die Politik des Fonds. Das in den USA vorherrschende Verständnis einer Marktwirtschaft hat beispielsweise in den 1990er Jahren dazu beigetragen, dass der Fonds auf eine Öffnung nationaler Kapitalmärkte drängte, ohne mit gleichem Nachdruck den Aufbau nationaler Regulierungsinstanzen zu fördern. Sie wären notwendig gewesen, um ein Land für die Risiken offener Kapitalmärkte weniger anfällig zu machen. Dieses im „Washington Consensus“29 enthaltene Programm einer forcierten Deregulierung dürfte mit dazu beigetragen haben, dass einige „emerging markets“ gegenüber den „boom and bust“-Zyklen der internationalen Kapitalmärkte verletzbarer wurden.30 Der Sanktionsmechanismus des IWF ist also zweischneidig. Es ist umstritten, ob er in jedem Einzelfall zu einer besseren Verwirklichung der Ziele des Fonds beigetragen hat. Davon abgesehen bleibt der Fonds ohne Sanktionsmöglichkeiten gegenüber Ländern, die von ihm keine Mittel in Anspruch nehmen, die über die Ziehungsmöglichkeiten der ersten Kredittranchen hinausgehen.31, obwohl auch in diesen Fällen eine Einwirkungsmöglichkeit sinnvoll sein kann (beispielsweise dann, wenn sich ein Land durch eine anhaltende Überbewertung seiner Währung Wettbewerbsvorteile verschafft und dadurch in seinen Partnerländern schwer finanzierbare Leistungsbilanzdefizite hervorruft). Einen Sanktionsmechanismus, der völlig unabhängig vom IWF wirksam wird, enthalten die privaten Kapitalmärkte. Auch dieser Mechanismus ist zweischneidig. Der Kapitalabfluss, der bei einer inflatorischen Geld- und Finanzpolitik des Inlandes droht, zwingt zu einer Korrektur dieser Politik. Dies liegt nicht nur im inländischen Interesse, sondern trägt auch zur Stabilität internationaler Finanzbeziehungen bei. Insofern wirkt die Sanktion der Märkte im positiven Sinne. Es kann aber auch sein, dass „irrationale Übertreibungen“ 32 und ein „Herdenverhalten“ internationaler Investoren ein Land in einen finanziellen „boom“ treiben, dem früher oder später der Absturz in eine „bust“-Phase folgt. In diesem Fall werden gerade diejenigen Länder „bestraft“, die mit besonderem Erfolg eine inflationsneutrale Wachstumspolitik verfolgen. Der Sanktionsmechanismus des Marktes wirkt hier dysfunktional. Man kann deshalb nicht davon sprechen, dass es in den monetären Regelbsystemen der Weltwirtschaft verlässliche Anreize und Sanktionen gäbe, die die privaten und staatlichen Akteure zu einem zielführenden Handeln veranlassen würden. Davon unberührt bleibt allerdings die Feststellung, dass finanzielle Sanktionen zu den wirksamsten Möglichkeiten überhaupt gehören, das Handeln wirtschaftlicher Akteure zu beeinflussen. Sie stehen damit auf gleicher Ebene wie die handelspolitischen Sanktionen, die im Rahmen der WTO – aber auch außerhalb davon – angewandt werden können. Es gibt zwar „Guidelines“ für die Konditionalitätspolitik, aber der Fonds ist in seiner Praxis weit darüber hinaus gegangen; siehe dazu Sautter, 2004, S. 165. 29 Siehe dazu: Williamson, 1990, 1993. 30 Dies ist beispielsweise die Kritik von Stiglitz (2002, S. 32) am Vorgehen des IWF. Stiglitz sieht den IWF sowie „andere internationale Wirtschaftsinstitutionen“ von den „Sonderinteressen der Handels- und Finanzwelt“ der „reichsten Staaten beherrscht“ (ebenda, S. 33), und er hat dabei vor allem die USA vor Augen. 31 Zu den Ziehungsmöglichkeiten siehe: Jarchow/Rühmann, 2002, S. 88 ff.; Sautter, 2004, S. 154 ff. 32 Von „irrational exuberances“ sprach Alan Greenspan anlässlich der asiatischen Finanzkrise der Jahre 1997/98. 28 16 Davon sind die Umsetzungskontrollen und Sanktionsmöglichkeiten umweltpolitischer Abkommen zu unterscheiden. Sie enthalten üblicherweise die Verpflichtung der Mitgliedsstaaten, einen Vertragsorgan („Sekretariat“, „Rat“ usw.) über die Einhaltung des Vertrags zu berichten. Die Publizierung schwerwiegender Vertragsverletzungen kann Repudationsverluste auslösten, die als ideelle Sanktionen anzusehen sind. Wie wirksam sie sind, hängt von der öffentlichen Wahrnehmung solcher Regelverstöße ab, letztlich also vom öffentlichen Interesse an einer Vertragserfüllung. Die darüber hinaus gehenden Sanktionen oder Anreize sind vergleichsweise schwach. Eine Ausnahme bildet das Montrealer Protokoll. Es bietet den Mitgliedsstaaten die Möglichkeit, gegenüber Nicht-Signatarstaaten den Handel mit bestimmten Substanzen und Technologien einzustellen. Damit wurde nicht ohne Erfolg ein handelspolitischer Druck zum Vertragsbeitritt ausgeübt. Es besteht aber keine Möglichkeit, durch Anwendung handelspolitischer Maßnahmen die Mitgliedsstaaten zur Vertragserfüllung zu veranlassen. Dagegen wird Entwicklungsländern eine finanzielle Kompensation für die Kosten angeboten, die ihnen durch die Installation von umweltfreundlichen Produktionsanlagen entstehen. Im Rahmen des Kyoto-Protokolls gibt es inzwischen marktmäßige Anreize und Sanktionen aus dem Handel mit Emissionsrechten. Einen finanziellen Anreiz bedeutet es, wenn bei der Unterschreitung der Emissionsobergrenzen solche Rechte verkauft werden können. Eine finanzielle Sanktion ist es, wenn bei Überschreitung dieser Grenzen solche Rechte gekauft werden müssen. Wie „hart“ diese Sanktionen und wie stark diese Anreize sind, hängt im Wesentlichen von der Festsetzung der Emissionsverringerungs-Ziele ab. Aus politischen Gründen wurden sie relativ niedrig angesetzt. Die USA als der weltweit wichtigste Emittent von Treibhausgasen beteiligen sich ebenso wenig an der Umsetzung des Kyoto-Protokolls wie China und Indien, deren Emissionsmengen in raschem Maße zunehmen. Alle diese Beschränkungen lassen nur einen Schluss zu: Die Klimarahmen-Konvention mit ihrem Kyoto-Protokoll hat bisher nur eine symbolische Bedeutung. Von wirksamen Sanktionen und Anreizen zur Verhinderung einer zunehmenden Treibhausgasemission wird man nicht sprechen können. Ähnlich fällt das Urteil über die Biodiversitäts-Konvention aus. Ihr liegt ebenfalls die Absicht zugrunde, durch die Festlegung von Verfügungsrechten einen Marktprozess in Gang zu setzen. Er soll zum Ausgleich von Schutz- und Nutzungsinteressen führen. Bisher sind aber zahlreiche Rechtsfragen ungelöst, und das bedeutet, dass von der Anwendungspraxis der Konvention weder hinreichend starke Anreize noch ausreichend harte Sanktionen zum Schutz der der Biodiversität ausgehen. Es sind vor allem die Industrieländer, die in dieser Situation Fakten zu ihren Gunsten schaffen. Ihr Interesse richtet sich auf die möglichst uneingeschränkte Nutzung der biologischen Vielfalt. Inwieweit die Vereinbarungen der Baseler Müllkonvention eingehalten werden, hängt ausschließlich von den Möglichkeiten und Interessen der Vertragsstaaten ab. Die administrativen und technischen Möglichkeiten zur Kontrolle des Entsorgungsangebots sind gerade in denjenigen Ländern gering, die das bevorzugte Ziel der Müllexporte sind, und diese Länder sind in der Regel auch wenig an einer effektiven Kontrolle interessiert. Ökonomische Anreize und Sanktionen, die zur besseren Vertragserfüllung beitragen könnten, sind nicht vorgesehen. Fasst man diese Überlegungen zusammen, so erhält man folgendes Zwischenergebnis zur Beantwortung der ersten Frage: Steht das Interesse an der Sicherung und Erhöhung des 17 materiellen Lebensstandards auf dem Spiel, so werden vergleichsweise „harte“ Sanktionen angewandt. Geht es dagegen um die Vermeidung „globaler öffentlicher Übel“ und um die Sicherung der Lebenschancen künftiger Generationen, so stehen nur relativ „weiche“ Sanktionen und bescheidene Anreize zur Verfügung. Im ersten Fall sieht sich die Staatenwelt offenbar sehr viel stärker zum Handeln herausgefordert als im zweiten Fall. Daraus lässt sich schließen, dass Interessen der ersten Arte ein deutlich höheres Gewicht besitzen als Interessen der zweiten Art. Nicht weniger ausgeprägt sind die Unterschiede im Stellenwert ökonomischer und sozialpolitischer Interessen. Darauf lassen die außerordentlich schwachen Kontrollmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten des „Sozialpakts“ und der IAOÜbereinkommen schließen. Der Sozialpakt kennt lediglich ein Berichtsverfahren; nur in wenigen Ausnahmefällen wurden auch Inspektionen vor Ort durchgeführt. Die Vertragsstaaten sind verpflichtet, in regelmäßigen zeitlichen Abständen über ihre Erfolge und Misserfolge bei der Umsetzung der Vertragsnormen zu berichten. Die IAO hat neben einem Berichtssystem auch ein Beschwerdeverfahren eingerichtet. Beide Normensysteme bieten den Anreiz einer technischen Hilfe bei der Verbesserung von Sozialstandards und sie enthalten die Sanktion eines Repudationsverlustes, der bei einer schwerwiegenden Missachtung der Vertragspflichten entstehen kann. Selbst bei offenkundigen Fällen dieser Art muss aber ein Land kaum einen Verlust dieser Art befürchten. Dafür finden die jeweiligen Kontrollmechanismen (wie die Vereinbarungen überhaupt) zu wenig Aufmerksamkeit. Auch die Möglichkeit, die Berichtssysteme in die Entwicklungszusammenarbeit einzubeziehen und dadurch die Anreize für eine vertragskonforme Politik zu erhöhen, blieb weitgehend ungenutzt. Dies kann dahingehend interpretiert werden, dass der Stellenwert der im Sozialpakt und in den IAO-Übereinkommen enthaltenen Normen im Interessenkalkül der beteiligten Staaten vergleichsweise gering ist – nicht anderes als im Fall umweltpolitischer Interessen. Die zweite Frage bezieht sich auf die Lösungspraxis bei Konflikten, die sich aus der Anwendung verschiedener Regelsysteme ergeben. Dass solche Konflikte eine Rolle spielen können, macht der bereits erwähnte Fall handelspolitischer Sanktionen zur Durchsetzung des Montrealer Protokolls deutlich. Die Verpflichtungen, die sich aus diesem Protokoll ergeben, sehen prima facie im Widerspruch zu den Verpflichtungen aus einer Mitgliedschaft in der WTO. Ähnliche Widersprüche können sich aus der gleichzeitigen Mitgliedschaft in der WTO und anderen internationalen Umweltabkommen ergeben. Es gibt kein institutionalisiertes Entscheidungsverfahren, das die funktionsspezifischen Regelsysteme der Weltwirtschaft „überwölbt“ und im Falle solcher Konflikte eine Entscheidung herbeiführen könnte. Wie jeweils entschieden wird, hängt vom relativen Gewicht der einzelnen Regelsysteme und ihrer jeweiligen Schlichtungsverfahren ab. Ganz offenkundig ist der Schlichtungsmechanismus der WTO am weitesten entwickelt und er besitzt das größte politische Gewicht. Es ist deshalb nicht verwunderlich, wenn Streitfälle aus der Anwendung verschiedener internationaler Regelsysteme vorwiegend hier verhandelt werden und nicht etwa in den vergleichsweise rudimentären Schlichtungsorganen von Umweltabkommen. In der WTO zeichnet sich inzwischen die Tendenz ab, Handelsbeschränkungen zu tolerieren, wenn sie aus internationalen Umweltabkommen mit „quasi-universeller Mitgliedschaft“ hergeleitet werden können.33 Das Übereinkommen zum Schutz der Ozonschicht kann als ein Vertrag dieser Art angesehen werden, so dass im Fall einer Beschwerde gegen 33 Hauser/Schanz, 1995, S. 267. 18 vertragsgemäße Handelsbarrieren damit gerechnet werden könnte, umweltpolitischer Ziele entschieden wird. dass im Sinne Sehr viel weniger eindeutig ist die Lösung von Konflikten geregelt, die sich aus den WTORegeln und umweltpolitischen Verpflichtungen ergeben, die nicht aus Verträgen mit „quasiuniverseller Mitgliedschaft“ hergeleitet werden können. Ein Land kann beispielsweise unter Berufung auf seine nationale Umweltgesetzgebung ein Importverbot für Waren aussprechen, deren Produktion nicht den im Inland festgelegten Umweltstandards entsprechen. Das in den 1980er Jahren erlassene Importverbot der USA für Thunfische, bei deren Fang Delphine getötet wurden, illustriert diesen Fall. Er wurde zweimal auf Grund einer Beschwerde Mexikos vom „Dispute Settlement Board“ der WTO behandelt, und in beiden Fällen hat der „Board“ das Vorgehen der USA als einen Bruch von GATT-Vereinbarungen bezeichnet (wobei die Begründungen unterschiedlich waren).34 Es ist offenkundig, dass bei der Behandlung solcher Streitfälle die WTO vor allem an der Erfüllung ihres eigenen Vertragswerkes interessiert ist und nicht an der Verwirklichung umweltpolitischer Ziel. Dafür spricht auch die Zusammensetzung der DSB-Panels. Ihnen gehören ausschließlich handelspolitische und handelsrechtliche Experten an. Auch wenn es nicht um die extra-territoriale Anwendung nationalen Umweltrechts geht, sondern um die Anwendung dieses Rechts auf dem eigenen Territorium eines Staates, und sich daraus Handelsbeschränkungen ableiten lassen, ist die Tendenz der WTO eindeutig: Die Beweislast für eine WTO-konforme Anwendung von Handelsbeschränkungen liegt bei denen, die Umweltschutzinteressen vertreten. Es kann davon ausgegangen werden, dass diese Interessen durchsetzungsfähiger wären, wenn umgekehrt die Beweislast für einen umweltfreundlichen Außenhandel bei den Vertretern handelspolitischer Interessen läge. Davon kann nicht die Rede sein. Auch wenn sich in den letzten Jahren eine zunehmende Offenheit des WTO-Systems für die Ziele des Umwelt- und Ressourcenschutzes abzeichnet, so steht doch nach wie vor das Interesse an einer Erhöhung des Lebensstandards und an einer Ausweitung von Produktion und Handel eindeutig im Vordergrund. Ihm wird im Konflikt mit umweltpolitischen Interessen der Vorzug zu geben. 35 Im Blick auf mögliche Konflikte zwischen sozialpolitischen und handelspolitischen Interessen gilt folgendes. In aller Regel schrecken die WTO-Mitglieder nicht vor tarifären oder nicht-tarifären Handelsbeschränkungen zurück, wenn dahinter die Forderung einflussreicher sozialpolitischer Interessengruppen des Inlandes steht, auch wenn die Wohlfahrtsverluste aus einer solchen Maßnahme höher sind als die entsprechenden Gewinne. Dass daraus soziale Problem in den Partnerländern entstehen, spielt im politökonomischen Interessenkalkül des Inlandes kaum eine Rolle. Im Vordergrund stehen Partikularinteressen, nicht das Ziel einer verbesserten Umsetzung international vereinbarter Normen. Wenn der DSB der WTO in solchen Fällen auf die Einhaltung der WTO-Regeln drängt, dann geschieht dies also durchaus im wohlverstandenen sozialpolitischen Interesse aller seiner Mitglieder. 34 Siehe dazu Helm, 1999, S. 81-96; Diem, 1996, S. 33-45. Eine strenge Nutzen-Kosten-Analyse müsste alternative Maßnahmen zur Erreichung eines bestimmten umweltpolitischen Ziels miteinander vergleichen. Dabei wären auch die ökologischen Externalitäten intertemporaler Art einzubeziehen. Nur wenn dabei handelspolitische Maßnahmen schlechter abschneiden würden als alternative politische Instrumente, wäre ein Verzicht auf Handelsbeschränkungen gerechtfertigt, d.h. der Vorrang für einen Vollzug der Liberalisierungsregeln des GATT. Nichts deutet darauf hin, dass die Entscheidungen im DSB der WTO auf dieser Grundlage erfolgen. 35 19 Fasst man diese Überlegungen zur zweiten Frage zusammen, so lässt sich folgendes sagen: Bei Konflikten zwischen der Anwendung umweltpolitischer und handelspolitischer Regelsysteme besteht im DSB der WTO eine deutliche Tendenz, im Interesse der letzten zu entscheiden. Ökonomische Interessen haben den Vorrang. Der implizite Interessenhorizont, der die Entscheidungspraxis kennzeichnet, ist vergleichsweise eng. Die dritte Frage bezieht sich auf die Weiterentwicklung der bestehenden Regelsysteme. Welche Prioritäten dabei im WTO-System eine Rolle spielen, zeigt sich in der gegenwärtig laufenden Doha-Verhandlungsrunde sowie in den handelspolitischen Bestrebungen wichtiger Welthandelsnationen außerhalb der WTO. Die Doha-Runde ist mit dem weiteren Abbau von Handelshindernissen voll und ganz in Anspruch genommen. Andere Themen, wie z.B. der Schutz natürlicher Ressourcen, stehen nicht vorrangig auf der Tagesordnung. Im Verhandlungsmandat dieser Runde heißt es beispielsweise: „The negotiations carried out…shall be compatible with the open and non-discriminatory nature of the multilateral trading system, shall not add to or diminish the rights and obligations of members under existing WTO agreements… nor alter the balance of these rights and obligations.”36 Angesichts dieser Beschränkung des Verhandlungsmandats ist nicht damit zu rechnen, dass die Doha-Runde irgendwelche Änderungen im Vertragswerk der WTO beschließen wird, die dem Ziel des Umwelt- und Ressourcenschutzes einen höheren Stellenwert zumessen. Im übrigen ist eine deutlich Tendenz der USA und der EU zum Abschluss bilateraler Abkommen zu beobachten, mit denen das für die WTO konstitutive Meistbegünstigungsprinzip ausgehebelt wird. Offenbart neigen die wichtigsten Welthandelsnationen zu der Ansicht, dass die eigenen Interessen außerhalb der WTO besser zu verfolgen sind als im Rahmen des WTO-Systems. Symptomatisch sind in diesem Zusammenhang die Bestrebungen der USA, durch bilaterale Verträge mit anderen Ländern die Regelungen des TRIPS-Abkommens zu unterlaufen und günstigere Bedingungen für den Schutz der Eigentumsrechte US-amerikanischer Unternehmen durchzusetzen. 37 Bei den Verhandlungen über die Weiterentwicklung der Internationalen Währungs- und Finanzordnung, die auf mehreren Ebenen stattfinden, zeigen die wichtigsten Akteure wenig Neigung, die bestehende Krisenanfälligkeit der internationalen Finanzmärkte zu verringern. Insbesondere der Hegemonialstaat USA, auf dessen Führungsrolle es in diesem Zusammenhang besonders ankommt, hat wenig Interesse an einer Änderung dieses Zustandes. Er wurde wie folgt beschrieben: „The Market-Led International Monetary System…suffers from a structural weakness arising from the asymmetry between the globality of the financial market and the fragmentation of policy institutions, which are based on nation-states – an asymmetry that generates an institutional gap.”38 Vermutlich hat Rogoff recht mit seiner Behauptung, dass nennenswerte Fortschritte im Aufbau eines weniger krisenanfälligen Ordnungssystems erst nach den nächsten großen internationalen Finanzkrisen möglich sein werden.39 Auch im Blick auf die Umsetzung Internationaler Umweltabkommen sind die Fortschritte gering. Die zweite große Umweltkonferenz der Vereinten Nationen im Jahre 2002 in Johannesburg brachte keinen Durchbruch in den schleppenden Verhandlungen zur Ausgestaltung der bestehenden Rahmenverträge. Nach wie vor unbefriedigende Kontroll-und 36 Zitiert nach ICTSD/IISD, 2003, S. 1 Siehe dazu Liebig, 2005. 38 Padoa-Schioppa/Saccomanni, 1994, S. 265. 39 Rogoff, 1999, S. 28: „Even if none of the large-scale plans is feasible in the present world political environment, after another crisis or two, the impossible may start seeming realistic.” 37 20 Umsetzungsmechanismen lassen es fraglich erscheinen, ob die in diesen Verträgen formulierten Ziele erreicht werden können. Als insgesamt unbefriedigend müssen auch die Bemühungen um eine bessere Verwirklichung sozialpolitischer Normen angesehen werden. Der seit langem vorliegende Entwurf eines Fakultativprotokolls, das die Verbindlichkeit des „Sozialpaktes“ stärken könnte, hat beispielsweise kaum Chancen einer Verabschiedung. Wir erhalten also folgendes Ergebnis: Die Unterschiede in den Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen einzelner Regelwerke, die Entscheidungspraxis bei Konflikten und die von den wichtigsten Akteuren verfolgte Politik führen zum dem Schluss, dass kurzfristige ökonomische Interessen bei der Regelbildung eindeutig im Vordergrund stehen. Das Interesse an ökologischer Nachhaltigkeit und an einer besseren Verwirklichung sozialpolitischer Normen war und ist vergleichsweise gering. Für diesen „engen“ Interessenhorizont sind in erster Linie die großen Industrieländer verantwortlich, unter denen der Hegemonialstaat USA eine hervorgehobene Rolle einnimmt. Ethisch interpretiert bedeutet ein enger Interessenhorizont, dass fundamentale ethische Werte nicht hinreichend beachtet werden: die Sicherung der Lebenschancen künftiger Generationen (sowie der außermenschlichen Natur) und die Verbesserung der „Verwirklichungschancen“ („capabilities“) der Menschen. Die Institutionen des Globalisierungsprozesses beeinflussen in erheblichem Maße dessen Ergebnisse. Deshalb gilt: Sofern die Ergebnisse der wirtschaftlichen Globalisierung durch das bestehende Arrangement internationaler Institutionen bedingt sind, bleiben sie deutlich hinter den genannten ethischen Werten zurück. 4.2.2. Der räumliche Interessenhorizont Hier geht es um die Frage, in welcher Weise die einkommensschwachen Länder der Weltwirtschaft – also die Entwicklungsländer – in das internationale Regelwerk einbezogen sind. Gibt es Sonderregelungen in ihrem wohlverstandenen Eigeninteresse oder gilt der Grundsatz streng formaler Gleichheit, ohne dass dabei Unterschiede in der Ressourcenausstattung und in den historisch gewachsenen Institutionen des Inlandes berücksichtigt werden?40 Stellt man diese Frage im Blick auf das WTO-System, so kommt man zu einem etwas verwirrenden Ergebnis. Einerseits werden den Entwicklungsländern mehrere Sonderregelungen zugestanden, aber es ist äußerst fraglich, ob diese Ausnahmen tatsächlich ihren wohlverstandenen Eigeninteressen dienen. Andererseits nehmen auch die Industrieländer Ausnahmen von den WTO-Regeln für sich in Anspruch, so dass von einer streng formalen Gleichheit nicht die Rede sein kann. Die Sonderbestimmungen zugunsten der Industrieländer, die eigenwillige Anwendung der Vertragstexte durch diese Länder sowie deren Handelspolitik am WTO-System vorbei wirken sich in vielfacher Hinsicht nachteilig auf die Entwicklungsländer aus. Das bestehende Regelwerk der WTO bietet also nicht allen Ländern dieselben Beteiligungschancen. Zu den fragwürdigen Sonderregelung des GATT für Entwicklungsländer gehören: die Erlaubnis zur undifferenzierten Einführung von Erziehungszöllen (wobei nicht zwischen einer ökonomisch sinnvollen, temporären, und einer gesamtwirtschaftlich nachteiligen, dauerhaften 40 Entwicklungshilfe-Leistungen, die eine Überwindung dieser Unterschiede zum Ziel haben, sollen hier nicht diskutiert werden (siehe dazu : Sautter, 2004, Abschnitt 7.6.). Es wird geschätzt, dass allein die Wohlfahrtsverluste, die den Entwicklungsländern durch den Agrarprotektionismus der Industrieländer entstehen, etwa 40% der gesamten jährlichen Entwicklungshilfe-Leistungen ausmachen. Daran wird deutlich, wie wichtig für die Entwicklungsländer die Teilnahmebedingungen am Welthandel sind. 21 Protektion unterschieden wird); die Erlaubnis zu mengenmäßigen Importbeschränkungen bei Zahlungsbilanzschwierigkeiten (mit der die Aufrechterhaltung einer verfehlten makroökonomischen Politik erleichtert wird); das Allgemeine Zollpräferenzsystem (das durch seine Intransparenz und Zeitinkonsistenz41 zu manchen Fehlentscheidungen Anlass gibt) und die Ausnahme vom Reziprozitätsprinzip (die Entwicklungsländer zur Beibehaltung eines ökonomisch dysfunktionalen Schutzniveaus einlädt). Die Industrieländer haben diesen Sonderregelungen weniger aus ökonomischer Einsicht als aus politischem Opportunismus zugestimmt. Es bestehen kaum Zweifel, dass sie damit zwar den Forderungen der Entwicklungsländer entsprochen haben, nicht aber deren wohlverstandenen Eigeninteressen. Die Industrieländer haben ihrerseits Ausnahmen vom WTO-Regelwerk zugunsten partikularer Interessengruppen des Inlandes durchgesetzt. Eine der wichtigsten Ausnahmen bildet der Agrarhandel. Seit den Anfangsjahren des GATT stand er außerhalb seines Regelwerks. Mit dem während der „Uruguay-Runde“ ausgehandelten „Übereinkommen über die Landwirtschaft“ wurde zum ersten Mal der Versuch unternommen, die Prinzipien des Vertrags auch auf diesen Bereich anzuwenden. Bisher deutet aber wenig darauf hin, dass die Industrieländer wirklich gewillt sind, die in der „Uruguay-Runde“ gemachten Zusagen einzuhalten. Die Verhandlungen während der laufenden Doha-Runde kommen nur sehr schleppend voran, weil der interne Widerstand in den meisten Industriestaaten gegen eine konsequente Öffnung ihrer Agrarmärkte nur schwer zu überwinden ist. Wie weitgehend sich die Sonderinteressen der Landwirtschaft in der Handelspolitik der Industrieländer durchsetzen, zeigt beispielsweise die Tatsache, dass die USA mit ihrer „Farm Bill“ vom Mai 2002 beschlossen haben, die Subventionierung der Landwirtschaft im Verlaufe von 10 Jahren um annähernd 80% zu erhöhen.42 Besonders nachteilig für einige Entwicklungsländer wirken sich dabei die Subventionen zugunsten US-amerikanischer Baumwollfarmer aus. Eine Benachteiligung der Entwicklungsländer geht auch von der extensiven Anwendung von Anti-Dumping-Maßnahmen durch die Industrieländer aus. Es wird geschätzt, dass es sich in 90% der Fälle um Schutzmaßnahmen zugunsten inländischer Produzenten handelt und nur in 10% der Fälle um ein Dumping im strengen Sinne des Vertragstextes.43 Anbieter aus den Entwicklungsländern gehören zu den am stärksten Betroffenen; etwa 2/3 der von den Industrieländern eingeleiteten Anti-Dumping-Untersuchungen richten sich gegen Entwicklungs- und Transformationsländer.44 Die zunehmende Häufigkeit, mit der solche Maßnahmen angewandt werden, machen sie inzwischen zu einer „systemischen Bedrohung“ des Welthandelssystems.45 Obwohl das GATT unbestreitbare Erfolge bei der Reduzierung tarifärer Handelshindernisse aufzuweisen hat, gibt es nach wie vor eine Zolleskalation mit zunehmendem Verarbeitungsgrad einer Ware. Die Nominalzölle für Agrarprodukte der letzten Verarbeitungsstufe sind in der EU im Durchschnitt doppelt so hoch wie die Nominalzölle für Agrarprodukte der ersten Verarbeitungsstufe. In Kanada ist diese Relation mit 12:1 noch wesentlich höher.46 Diese Staffelung der Zollsätze führt zu einer hohen effektiven Zollbelastung und erschwert es den Entwicklungsländern, ihre Ausfuhrstrukturen zu diversifizieren und in verstärktem Maße verarbeitete Erzeugnisse zu exportieren. 41 Darunter wird hier die Praxis vieler Industrieländer verstanden, ihre Präferenzzölle zugunsten von Entwicklungsländern aufzuheben, sobald die Begünstigten dadurch Exporterfolge erzielen. 42 Mayrand/Dionne/Paquin, 2003, S. 8. 43 Messerlin, 2000, S. 167 f. 44 World Bank, 2000, S. 72. 45 Messerlin, 2000, S. 161. 46 World Bank 2000, S. 80. 22 Die Lücken im GATT sowie die Anwendungspraxis des Vertrages durch die Industrieländer haben also eine Diskriminierung der Entwicklungsländer zur Folge. Nicht anders ist die Wirkung des GATS zu beurteilen. Dieser Vertrag und dessen Anwendung sind ein typisches Beispiel dafür, dass die Industrieländer auf eine weltweite Marktöffnung für Dienstleistungen drängen, bei denen sie selbst komparative Wettbewerbsvorteile besitzen (z.B. Finanzdienstleistungen, Telekommunikation, Umwelt-Dienstleistungen), dagegen alle Dienstleistungen so weit wie möglich aus den Liberalisierungsbemühungen ausklammern, bei denen die Entwicklungsländer komparative Vorteile besitzen. Dies ist insbesondere der Fall bei Dienstleistungen „mittels vorübergehender Präsenz natürlicher Personen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds“ (dem 4. Erbringungsmodus von Dienstleistungen nach dem Wortlaut des Vertrags). Die Industrieländer wollen eine Arbeitskräfte-Migration nur in einem streng kontrollierten, engen Rahmen zulassen. Weitgehend vor einer Konkurrenz durch Anbieter aus Entwicklungsländern sind auch Dienstleistungen geschützt, die „mittels kommerzieller Präsenz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds“ erbracht werden (3. Erbringungsmodus). Unternehmen aus Entwicklungsländern müssen bei der Gründung von Niederlassungen in einem Industrieland mit einer rigorosen Bedarfsprüfung rechen, mit einer Begrenzung der zulässigen Produktpalette, mit hohen Mindestkapitalanforderungen und vielen anderen Behinderungen. Ganz offensichtlich ist das GATS nicht dafür geschaffen, die komparativen Vorteile der Entwicklungsländer zur Geltung zu bringen Auch das TRIPS-Abkommen enthält zahlreiche Regelungen, von denen die Entwicklungsländer benachteiligt werden47. Durch die Angleichung des inländischen Rechtsschutzes für geistiges Eigentum an den Standard der Industrieländer entstehen Kosten, denen in vielen Ländern auf absehbare Zeit keine Erträge gegenüberstehen. Im Gegenteil: Für die Nutzung moderner Technologien sind höhere Zahlungen an die Industrieländer zu leisten;48 der Schutz traditionellen Wissens wird erschwert; durch den verschärften Patentschutz für Medikamente wird die Produktion von „Generika“ erschwert und dadurch kommt es zu Preissteigerungen im Gesundheitswesen; die Chance für einen „fairen und gerechten“ Vorteilsausgleich bei der Nutzung der Biodiversität, der nach der BiodiversitätsKonvention angestrebt werden soll, wird verschlechtert. Manches spricht deshalb für die Feststellung von Panagariya, das TRIPS-Abkommen bewirke „a substantial redistribution of income from poor to rich countries,“49 Schließlich stellen auch die unzulänglichen Partizipationsmöglichkeiten der Entwicklungsländer in den Entscheidungsprozessen der WTO ein Problem dar. Formal gesehen hat zwar jedes Land dasselbe Stimmengewicht („one country, one vote“). Faktisch kommen aber viele Vereinbarungen ohne eine ausreichende Beteiligung der Entwicklungsländer zustande, weil ihre personellen Kapazitäten viel zu schwach sind, um in allen Verhandlungsgremien der WTO vertreten zu sein. Außerdem sind ihre Märkte zu unbedeutend, um die großen Industrieländer als den Hauptakteuren im WTO-System zu substantiellen Verhandlungsangeboten anregen zu können. Es gibt zwar Bemühungen der WTO, die Mitsprache- und Mitbestimmungsmöglichkeiten der Entwicklungsländer durch ein 47 Siehe dazu im Einzelnen: Sautter, 2004, S. 324 ff. Der stärkere Schutz der Rechte am geistigen Eigentum kann die Innovationstätigkeit anregen. Zu fragen ist allerdings, wie sich die daraus ergebenen Wohlfahrtsgewinne international verteilen. Subramaniam hat gezeigt, dass unter nicht unrealistischen Annahme, dass die Entwicklungsländer in ihrer Gesamtheit ein „kleines Land“ darstellen und der verstärkte Schutz des geistigen Eigentums hier nicht zu nennenswerten Innovationen führt, mit Netto-Wohlfahrtsverlusten für die Entwicklungsländer gerechnet werden muss (Subramaniam, 1990, S. 514 ff.). 49 Panagariya, 2002b, S. 1225. 48 23 „capacity building“ zu verbessern. An der Ungleichheit der Verhandlungsmacht zwischen Industrie- und Entwicklungsländern wird dies wenig ändern können. Es zeigt sich also, dass das WTO-System weder Ausnahmeregelungen im wohlverstandenen Eigeninteresse der Entwicklungsländer enthält noch deren formale Gleichbehandlung mit den Industrieländern. Vielmehr benachteiligt es die Entwicklungsländer. Was in den formalen Regelungen des WTO-Systems und in seiner Anwendung zum Ausdruck kommt, ist ein „enger“ räumlicher Interessenhorizont der wichtigsten Akteure im internationalen Regelbildungsprozess. In welcher Weise die Entwicklungsländer in das Regelwerk globaler Finanzmärkte und währungspolitischer Beziehungen einbezogen sind, ist eine außerordentlich komplexe Frage, die kontrovers diskutiert wird. Dem Vorwurf, die Regeln des IWF-Übereinkommens und die Ordnung der privaten Kapitalmärkte bedeuteten ein „systemisches Entwicklungshindernis“ steht beispielsweise der Einwand gegenüber, eine zu nachgiebige Kreditvergabe des IWF habe zu einem „moral hazard“ geführt und gerade dadurch die wirtschaftliche Entwicklung vieler Länder beeinträchtigt. Hier soll darauf verzichtet werden, auf Kontroversen dieser Art einzugehen. Lediglich ein Aspekt sei herausgegriffen: die Krisenanfälligkeit der internationalen Währungs- und Finanzbeziehungen. Dass sie nach wie vor besteht, ist ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass davon vor allem einkommensschwache Länder betroffen sind. Es ist zwar richtig, dass jedes Land selbst dafür verantwortlich ist, die Krisenanfälligkeit seiner Finanzmärkte so weit wie möglich zu verringern. Dafür gibt es auch entsprechende Möglichkeiten (Aufbau eines effizienten Regulierungssystems für den Finanzsektor, eine „kompetitive“ Wechselkurspolitik, Verhinderung einer exzessiven Auslandsverschuldung u.a.). Gleichwohl stellen das „Herdenverhalten“ internationaler Investoren, die „irrationalen Übertreibungen“ auf Finanzmärkten und die „contagion“-Effekte dieser Märkte ein Risiko dar, dem auch diejenigen Länder ausgesetzt sind, die „ihr Haus in Ordnung gebracht haben.“ Wie bereits erwähnt, stellt es für die wichtigsten Akteure im internationalen Regelbildungsprozess keine vorrangige Aufgabe dar, an diesem Zustand etwas zu ändern. Sie selbst sind von internationalen Finanzkrisen auch weniger stark betroffen als viele Entwicklungsländer. Das bedeutet nichts anderes, als dass auch das Regelwerk internationaler Finanz- und Währungsbeziehungen einen „engen“ Interessenhorizont aufweist. Nichts anderes ist schließlich im Blick auf die Internationalen Umweltabkommen festzustellen. Es ist unbestreitbar, dass zahlreiche einkommensschwache Länder von einer globalen Klimaerwärmung besonders negativ betroffen sein werden. Sie haben auch unter der fortschreitenden Bodendegradation und Wüstenbildung besonders zu leiden. Das relativ geringe Interesse der wirtschaftlich und politisch führenden Staaten an wirksamen Regeln zur Verhinderung von „global public bads“ trifft also vor allem Entwicklungsländer. Fasst man diese Überlegungen zusammen, so gilt: Ebenso wie der sachliche und zeitliche Interessenhorizont, der in den Regelsystemen der wirtschaftlichen Globalisierung zum Ausdruck kommt, ist auch der räumliche Horizont „eng“. Die einkommensschwachen Länder der Weltwirtschaft sehen sich keinen besseren, sondern eher schlechteren Teilnahmebedingungen gegenüber als die Industrieländer. Darin kommt eine ethische Wertung zum Ausdruck, die im Widerspruch zum Prinzip der „Regelgerechtigkeit“ steht – von einer „Verteilungsgerechtigkeit“ ganz zu schweigen. 24 5.Zusammenfassung und Ausblick Die ethische Qualität wirtschaftlicher Transaktionen hängt zu einem guten Teil von den Institutionen (Regeln) ab, die sie ordnen. Das gilt auch für die ethische Qualität globaler Wirtschaftsbeziehungen. Die Frage nach ihrer ethischen Bewertung führt deshalb zur Frage, wie die internationalen Regelsysteme des Globalisierungsprozesses beschaffen sind. Im Beziehungsgeflecht, das die Resultate dieses Prozesses bestimmt, nehmen sie eine prominente Rolle ein. Darauf wurde im 2. Abschnitt hingewiesen. Institutionen werden von privaten und staatlichen Akteuren geschaffen. Es ist nicht selbstverständlich, dass beispielsweise ein Staat daran interessiert ist, sich an der Etablierung funktionsfähiger internationaler Regeln zu beteiligen. Er nimmt durch solche Regeln bestimmte Selbstbindungen auf sich, die ihn in seinen Handlungsmöglichkeiten einschränken. Gleichwohl kann das „konstitutionelle Interesse“ an der Entstehung und Aufrechterhaltung einer Ordnung größer sein als das jeweilige „Handlungsinteresse“. Wieweit dies der Fall ist, hängt nicht zuletzt von der Möglichkeit ab, die Verbindlichkeit eines Regelsystems durch geeignete Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen zu stärken. Spieltheoretisch gesehen handelt es sich um eine „tit for tat“-Strategie zur Überwindung eines ordnungspolitischen „Gefangenen-Dilemmas“. Nach einer These von Charles Kindleberger bietet die Existenz eines Hegemonialstaates relativ günstige Möglichkeiten zur Überwindung dieses Dilemmas. Die gegenwärtige Hegemonialstruktur trägt allerdings eher zur Schwächung als zur Stärkung der bestehenden Regelsysteme bei. Die damit zusammenhängenden Fragen wurden im 3. Abschnitt diskutiert. Im 3. Abschnitt wurde ferner die Frage gestellt, inwiefern das Interessenkalkül regelbildender Akteure auf die zugrunde liegenden ethischen Wertungen schließen lässt. Hier wurde die These vertreten, dass ethische Werte um so eher zur Geltung kommen, je weiter der Interessenhorizont in sachlicher, zeitlicher und räumlicher Hinsicht ist. Der 4. Abschnitt war dann der Frage gewidmet, welcher Interessenhorizont (und welche damit implizierten ethischen Wertungen) dem bestehenden internationalen Ordnungssystem zugrunde liegen. Wie vielfältig dieses System ist, wurde im Abschnitt 4.1. ausgeführt. Im Abschnitt 4.2. wurden einige der wichtigsten Regelsysteme unter drei Fragestellungen diskutiert: Wie stringent sind die jeweils vereinbarten Kontrollund Durchsetzungsmechanismen? Wie sieht die Entscheidungspraxis bei Konflikten zwischen verschiedenen Regelsystemen aus? Ist aus der Politik wichtiger weltwirtschaftlicher Akteure eine Tendenz zur Schwächung oder zur Stärkung dieser Regelsysteme herauszulesen? Dieser Diskussion lagen die Prämissen zugrunde, dass - stringente Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen auf ein relativ großes Interesse der beteiligten Akteure an einer Verwirklichung der zugrunde liegenden Ziele schließen lassen, - auch die Entscheidungspraxis in Konfliktfällen auf die vorherrschenden Interessen schließen lässt, - sich aus der Weiterentwicklung der einzelnen Regelsysteme durch die maßgebenden Akteure ablesen lässt, welche Interessen den Vorrang haben. 25 Diese Diskussion führte zu dem Ergebnis, dass das internationale Regelsystem vorrangig kurzfristigen ökonomischen Interessen („Erhöhung des Lebensstandards“) verpflichtet ist. Umwelt- und sozialpolitische sowie menschenrechtliche Interessen spielen eine untergeordnete Rolle. Die darauf verpflichteten Kontroll- und Durchsetzungsmechanismen sind außerordentlich schwach, in der Entscheidungspraxis bei Konfliktfällen werden diese Interessen tendenziell vernachlässigt, und die maßgeblichen Akteure lassen auch keine verstärkten Bemühungen erkennen, diesen Zustand zu ändern. Daraus wurde auf einen relativ „engen“ Interessenhorizont in sachlicher und zeitlicher Hinsicht geschlossen. Die ethische Verpflichtung, die Lebenschancen für künftige Generationen zu erhalten und die „Verwirklichungschancen“ für die heute lebenden Menschen zu verbessern, ist also nur schwach durch die internationalen Regelwerke abgestützt. Auch in räumlicher Hinsicht ist der Interessenhorizont „eng“: Die Entwicklungsländer sehen sich bei ihrer Teilnahme an den internationalen Regelsystemen in vielfacher Hinsicht benachteiligt. Es gibt also keine „Regelgerechtigkeit“. Zu Beginn wurde von der moralischen Kritik am Globalisierungsprozess gesprochen, die außerhalb der nationalökonomischen Fachdiskussion eine beherrschende Rolle spielt. Was die internationalen Regelsysteme anbelangt, die diesen Prozess ordnen, so haben die Ausführungen im 4. Abschnitt gezeigt, dass diese Kritik eine solide Basis besitzt. Die Vorteile der Globalisierung werden sich auf die Dauer nur sichern lassen, wenn die moralischen Einwände gegen ihre Ordnungsregeln ernst genommen werden. Welche Aussichten bestehen für eine entsprechende Korrektur dieser Regeln? Es liegt auf der Hand, dass den wohlhabenden, politisch einflussreichen Staaten hier eine Führungsrolle zukommt. Wenn „Umweltschutz“ und der Schutz sozialer und wirtschaftlicher Menschenrechte „einkommenselastische Güter“ sind, dann kann nicht erwartet werden, dass einkommensschwache Länder mit Vorrang daran interessiert sind. Das grundsätzlich voraussetzbare Interesse der reichen Nationen an diesen „Gütern“ kann gestärkt werden, wenn die intertemporalen Konsequenzen der gegenwärtigen Produktionsund Konsumstrukturen sowie die negativen Folgen eines „engen“ räumlichen Interessenhorizonts noch wesentlich stärker ins Bewusstsein der Menschen gerückt werden, und wenn daraus politische Aktionen folgen. Doch vermutlich kann der Interessenhorizont bei der Schaffung ökonomischer Transaktionsregeln auch dadurch erweitert werden, dass man die ethischen Aspekte des Wirtschaftens explizit zur Sprache bringt. Literatur Behrens, P. (1999): Rechtliche Strukturen der Weltwirtschaft aus konstitutionenökonomischer Perspektive, in: Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Band 18, Tübingen, S. 9-45. Benedek, W. (Hrsg.)(1998) Die Welthandelsorganisation (WTO), alle Texte einschließlich GATT (1994), GATS und TRIPS, München. 26 Bundesgesetzblatt (1978) (Hrsg. 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