Bürgerwehrfahne von Haenichen und Quaßnitz 1848 Königreich Sachsen, 1848. Inschrift der Vorderseite » Communalgarde / zu / Haenichen und Quaßnitz. «, der Rückseite » Von / Frauen und Jungfrauen / gewidmet / 1848 «. Fahnenblatt Seide, Seiden- und Metallstickerei, appliziert, Seidenfransenborte, Maße 132 x174 cm. Deutsches Historisches Museum, Inv.-Nr. Fa 59/ 106. Bürgerwehren und ihre Fahnen waren in der Phase des Vormärz bis zum Verbot aller Ordnungsformationen 1848 und deren sukzessiver Auflösung bis 1854 zunächst ein typisches Zeugnis bürgerlicher Bemühungen um eine Volksbewaffnung als Ausdruck gewünschter politischer Partizipation an der Staatsgewalt. Die Idee der Volksbewaffnung geht zurück auf die Aufklärung und die demokratischen Umwälzungen der Französischen Revolution. Die Volksbewaffnung galt bereits für Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) als einzige Form des Militärdienstes, in welcher der politisch am Gemeinwesen partizipierende Bürger nicht nur eine selbstverständliche Pflicht, sondern auch eine Ehre sehen sollte. Seit 1791 gab es in Frankreich eine dem Militär gleichgestellte Nationalgarde, in die sich alle aktiven Bürger eintragen konnten. 1793 wurde mit dem Gesetz über die allgemeine Volksbewaffnung jeder französische Bürger zum potentiellen Soldaten. Die Niederlage Preußens gegen Napoleon bei Jena und Auerstedt 1806 war Anstoß zu einer Auseinandersetzung mit der Idee der Bürgerbewaffnung. Da die Furcht vor einer Demokratisierung der Armee durch eine Einführung der Wehrpflicht jedoch zu groß war, wurde im Zuge der Preußischen Heeresreform 1813 zunächst die Landwehr als Reserveorganisation unter militärischer Führung geschaffen. Im Vormärz führte die Diskussion um die Militärverfassung erneut zur Aufstellung von Bürgergarden und Bürgerwehren. Es hatte sich gezeigt, dass dem Staat geeignete Exekutivmittel fehlten, um Unruhen und Eigentumsdelikte wirkungsvoll zu unterbinden. Die sozialen und ökonomischen Probleme führten regelmäßig zu Tumulten und Übergriffen der Unterschichten gegenüber dem Eigentum der Besitzbürger. Diese Gefährdung der inneren Sicherheit initiierte maßgeblich die Bildung autarker bewaffneter Einheiten der Bürgerwehr. Solche zivilen Ordungsformationen hatten disparate Aufgabenbereiche, in denen sowohl die liberale Idee der Verfassungswacht als auch die Funktion einer Hilfspolizei zum Schutz von Eigentum zusammenfielen. Mit der politischen Radikalisierung 1830 und 1848 begab sich die Bürgerwehr dann in eine direkte Frontstellung zum Militär und wurde zu einem Instrument des Bürgertums und der Liberalen. Gleichzeitig bewirkten die Ordnungsformationen eine fundamentale Politisierung der städtischen Bevölkerung bis hin zu Partizipationsforderungen unterbürgerlicher Schichten. Deren zunehmende Aufnahme in Bürgerwehren bedingte wiederum ein forciertes Bemühen örtlicher Honoratiorenschichten, sich sozial abzugrenzen. Die Bürgerwehren verstärkten also nur kurzfristig die Illusion von der gerechten Stadtgemeinde und einer klassenlosen Brüdergesellschaft. Unter derselben Bürgerwehrfahne bei Marktfeiern und Festumzügen zu schreiten schuf ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das ohne gesellschaftliche Konsequenzen nur symbolisch blieb. Schließlich bildeten sich innerhalb der Ordnungsformationen exklusive Gruppen, die sich durch eine besonders aufwendige Uniform oder als reitende Garde herauszuheben gedachten. Bereits im Frühjahr 1848 kam es sogar zu alternativen, miteinander konkurrierenden Klassen-Ordnungsformationen aus Arbeitern und Tagelöhnern bzw. Besitzbürgern in ein und derselben Stadt. In diesen Kontext elitärer Bestrebungen des Besitzbürgertums fügt sich die Fahne der Communalgarde zu Haenichen und Quaßnitz aus dem Revolutionsjahr1848 ein. Sowohl die kostbare Seide des Fahnentuchs als auch die Inschrift » Von den Frauen und Jungfrauen gewidmet « deuten auf eine abgeschirmte Garde wohlhabender Bürger aus beiden Leipziger Vororten. Signifikant ist der traditionsbewusste Bezug zur Fahne der ausschließlich aus bürgerlichen Kreisen konstituierten Jenaer Bur schenschaft. Zu deren Gründungsfeier 1815 hatten die Jenaer Frauen ein schwarzrot-schwarzes Fahnenblatt gefertigt und mit denselben Worten bestickt sowie mit einem Eichenblatt verziert. Die Bürgerwehrfahne von Haenichen und Quaßnitz steht aus dieser Perspektive für eine politische Polarisierung des Volkes, die einer Demokratisierung aller Gesellschaftsschichten widersprach. Sie macht deutlich, dass die Volksbewaffnungsidee scheitern musste, weil die durch Klassengegensätze und diametrale Interessen ausgelösten Risse zwischen Besitzbürgern und unterbürgerlichen Schichten sich verfestigten. Das einheitliche Schwarz-Rot-Gold der zeitgenössischen Bürgerwehrfahnen bündelte seinerzeit symbolisch das gleichzeitige Aufbegehren Besitzender und Besitzloser. Als Ausdruck einer fundamentalen Politisierung des Volkes wurde die Trikolore das gemeinsame Symbol der Märzrevolution. Jedoch bereits im Juni 1848 konnten sich mit Schwarz-Rot-Gold nicht mehr alle Gesellschaftsschichten identifizieren. Nachdem sich Friedrich Wilhelm IV. am 21. März 1848 demonstrativ zu den neuen Farben bekannt hatte und die vormaligen Revolutionäre bürgerlicher Herkunft sich entschieden hatten, an der Seite ihres Königs dem neu entstehenden institutionalisierten Obrigkeitsstaat zu dienen, blieb nur noch das Aufbegehren der unterbürgerlichen Bevölkerung, dessen neues Symbol die rote Fahne wurde. Beim Zeughaussturm am 14. Juni 1848 disziplinierten schwarz-rot-goldene Bürgerwehrgarden in ihrer Funktion als Hilfspolizei den sich eigenmächtig bewaffnenden » Pöbel «. Quellen: Text: S. Bahro/DHM, Berlin. "Farben der Geschichte: Fahnen und Flaggen." Aus den Sammlungen des Deutschen Historischen Museums. Publikation zur gleichnamigen Ausstellung im DHM 2007. [ISBN 978-3-86102-145-2] Foto der Bürgerwehrfahne von Haenichen und Quaßnitz 1848: A. Psille/DHM, Berlin. Verwendung von Foto und Text mit freundlicher Genehmigung der Stiftung Deutsches Historisches Museum 2011.