Fälle zur Vorlesung Globalisierung I: Völkerrecht

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Privatdozent Dr. Wolfgang Weiß
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Lösungen zu den Fällen der Vorlesung Völkerrecht
Fälle zur Vorlesung Globalisierung I: Völkerrecht
Wintersemester 2006/2007
Lösung Fall 1:
Der Schiedsrichter muß nach Völkerrecht entscheiden, wenn Völkerrecht anwendbar ist.
1.
Anwendbarkeit wegen Völkerrechtssubjektivität der Vertragsparteien
Völkerrechtssubjektivität: Fähigkeit, Träger von völkerrechtlichen Rechten und Pflichten
zu sein.
Abu Dhabi: Staat, problemlos.
Petroleum Development: Juristische Person des britischen Rechts. Kein Völkerrechtssubjekt.
2.
Anwendbarkeit von Völkerrecht durch vertragliche Vereinbarung
Problem: Rechtsnatur von Verträgen zwischen Staaten und multinationalen
Unternehmen, die nicht dem nationalen Recht der staatlichen Vertragspartei
unterstehen sollen ("internationalisierte Verträge")
Hier: Voraussetzung wäre jedenfalls eine Bezugnahme
Konzessionsvertrag. Dafür liegen hier keine Anhaltspunkte vor.
auf
Völkerrecht
im
Ergebnis: Völkerrecht nicht anwendbar.
Fall nach ILR 1951, S. 144 ff.
Vertiefungshinweise: Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 6/12; Streinz, Jura 1987, S. 310 ff.
(311 f.).
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Lehrstuhl für Völkerrecht und Rechtsphilosophie
Fälle zur Vorlesung Globalisierung I: Völkerrecht
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Lösung Fall 2:
Vertragliche Ansprüche bestehen nur, wenn beide Streitparteien an einen völkerrechtlichen
Vertrag gebunden sind, der die geltend gemachten Ansprüche trägt.
Das Völkerrecht ist vom Grundsatz der Relativität der Rechte und Pflichten beherrscht. Hier
sind beide Staaten zwar an identische vertragliche Regelungen gebunden, aber jeweils im
Rahmen eines anderen Vertrages. Wegen der Relativität besteht diese Bindung daher nicht
im gegenseitigen Verhältnis.
Ergebnis: Griechenland kann sich nicht auf vertragliche Ansprüche stützen.
Fall nach Dicke, AJIL 1975, S. 624 ff.
Vertiefung: Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 9.
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Lösung Fall 3:
Ist Ch Staatsorgan?
Effektivitätsgrundsatz: Ausschlaggebend ist die effektive, nicht die formelle Verfassung.
Ch bestimmt faktisch die politischen Geschicke, folglich gilt er völkerrechtlich als
Staatsorgan.
Ergebnis: Das Verhalten von Ch ist I zurechenbar. Der Einwand von I erfolgt daher zu
unrecht.
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Lösung Fall 4:
Voraussetzung eines rechtswidrigen Vertragsbruchs wäre, daß überhaupt ein wirksamer
völkerrechtlicher Vertrag entstanden ist.
Ein Vertrag ist geschlossen worden. Der Vertrag wäre aber ex tunc unwirksam, d.h. nichtig,
wenn er gegen eine zwingende Norm (ius cogens) des allgemeinen Völkerrechts verstieße,
Art. 53 WVRK.
Eine zwingende Norm im Sinne des Art. 53 WVRK ist anerkanntermaßen das Gewaltverbot
des Art. 2 Nr. 4 SVN, ebenso das Verbot, in die Rechte dritter Staaten einzugreifen, Art. 2
Nr. 4 SVN. Dieses Verbot umfaßt auch die Beihilfe zu Maßnahmen im Sinne des Art. 2 Nr. 4
SVN.
Eine Ausnahme enthält Art. 51 SVN. Dessen Voraussetzungen liegen aber hier nicht vor.
Ergebnis:
Der Vertrag zwischen B und C ist nichtig gemäß Art. 53 WVRK. C
darf den Vertrag nicht erfüllen, vgl. Art. 71 Abs. 1 WVRK.
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Lösung Fall 5:
Frage 1:
Frustrationsverbot Art. 18 lit a WVRK:
-
Vereitelung von Ziel und Zweck der Seerechtskonvention
hier: Umgehung der Lizenzgebühren
-
Vertrag unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert
Frage 2:
Art. 18 lit. b WVRK:
-
Verstoß gegen das Frustrationsverbot.
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Lösung Fall 6:
Anfechtung gemäß Art. 65, 69 WVRK
Voraussetzung: Völkerrechtlicher Anfechtungsgrund
Urteil des BVerfG: Art. 27 WVRK
Art. 46 WVRK?
Offenkundige Verletzung grundlegender Zuständigkeitsbestimmungen
Offenkundig (Art. 46 Abs. 2 WVRK): Aus dem Wortlaut erkennbar
Hier: Art. 32 GG
Grundlegend ist die Vorschrift.
Fraglich ist aber, ob der Verstoß gegen sie offenkundig ist. Da das Verhältnis zwischen Art.
32 Abs. 1 und Art. 32 Abs. 3 GG selbst in Deutschland nicht geklärt ist, kann sich die
Bundesrepublik nicht auf einen offenkundigen Verstoß berufen.
Ergebnis: Eine Anfechtung nach Art. 46 WVRK ist ausgeschlossen.
Fall nach Schweitzer, Staatsrecht III, Rdnr. 213 und 221.
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Lösung Fall 7:
IGH: Entscheidung nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen. Jetzt Art. 48 Abs. 2 WVRK
einschlägig.
Irrtum: Fehlvorstellung über eine Tatsache, deren Bestehen der Staat im Zeitpunkt des
Vertragsschlusses annahm und die eine wesentliche Grundlage für seine Zustimmung
bildete.
Ausnahmen:
-
Partei hat selbst zu dem Irrtum beigetragen
-
Partei hätte durch eigenes sorgfältiges Verhalten Irrtum vermeiden können
Hier: Thailand hätte durch sorgfältigeres Vermessen Irrtum vermeiden können.
Ergebnis: Anfechtung unzulässig.
Fall nach Urteil des IGH vom 15.06.1962 (Tempel von Preah Vihear), ICJ Reports 1962, S. 5
ff. Abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 77.
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Lösung Fall 8:
1.
Anfechtungserklärung: Art. 65, 69 WVRK
2.
Anfechtungsgrund
Art. 51 WVRK scheidet aus, da Zwang nicht gegen Staatenvertreter gerichtet.
Art. 52 WVRK: "Gewalt": Nur militärische Gewalt, nicht aber wirtschaftlicher und
politischer Zwang.
Art. 46 WVRK: Grundlegende Bedeutung der Vorschrift zweifelhaft. Die Verletzung der
Vorschrift ist aber jedenfalls nicht öffenkundig, da die Verfassungsänderung erst wenige
Monate in Kraft und das Quorum unüblich ist.
Daher: Es bleibt bei Art. 27 WVRK.
Clausula rebus six Stantibus: Nicht anwendbar auf Verträge, die Grenzen festlegen (Art.
62 Abs. 2 lit. a WVRK)
Ergebnis: Die Anfechtung ist zurückzuweisen.
Fall nach Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Fälle, Fall Nr. L 2.
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Lösung Fall 9:
Zuständigkeit der Türkei?
-
Zuständigkeitsvermutung kraft Souveränitätsprinzip: Handlungsfreiheit des Staates
-
entgegenstehendes Völkergewohnheitsrecht: Prinzip der Freiheit der Meere schließt
Setzung von Hoheitsakten auf Hoher See aus. Aber: dadurch wird die Verhängung von
Rechtsfolgen auf eigenem Territorium nicht ausgeschlossen.
-
möglicherweise ausschließliche Zuständigkeit des Flaggenstaats Kraft Völkergewohnheitsrecht?
Argument: Seltenheit von Gerichtsentscheidungen über Auffassungen, wie sie von der
Türkei vertreten wird.
Aber: Opinio iuris nicht nachweisbar, da es an Protesten der Flaggenstaaten in diesen
Fällen fehlte.
Argument: Seltene Ausübung der Strafgerichtsbarkeit im Gegensatz zur Häufigkeit in
Zivilprozessen.
Aber: Keine opinio iuris bezüglich Pflicht zum Unterlassen der Strafverfolgung durch
geschädigten Staat.
Beachte heute: Art. 11 Übereinkommen über die Hohe See von 1958 (Randelzhofer Nr. 18);
Art. 90 Seerechtskonvention der Vereinten Nationen 1982: Zuständigkeit des Flaggenstaats
zur Strafgerichtsbarkeit.
Fall nach StIGH, Urteil vom 07.09.1927 (Lotus-Fall), PCIJ, Series A, Nr. 10. Abgedruckt in
Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 7.
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Lösung Fall 10:
1.
Vertragliche Verpflichtung der Bundesrepublik
2.
Bindung kraft Völkergewohnheitsrecht? Problem: Ausweitung von Vertragsrecht zu
Völkergewohnheitsrecht
Voraussetzungen:
(1) Grundlegende Norm
(2) Intensive Staatenpraxis bzw. langandauernde Übung
(3) Übereinstimmende Staatenpraxis, vor allem der betroffenen Staaten
(4) Rechtlicher Bindungswille (opinio iuris)
Hier: Beschränkte Zahl von Ratifikationen
Art. 6 des Genfer Abkommens über den Festlandssockel (Randelzhofer Nr. 20) wurde auch
von Vertragsparteien nicht ohne Vorbehalte angenommen.
Keine verbreitete und einheitliche Praxis.
Ergebnis: Keine Bindung kraft Völkergewohnheitsrecht.
IGH: Unzuständigkeit zur Zuteilung eines Festlandsockelanteils. Stattdessen
vertragsmäßige Abgrenzung nach Grundsätzen der Billigkeit (Eigentümlichkeit des
Küstenverlaufs, geologische Schichten des Schelfs, Lage natürlicher Ressourcen, Verhältnis
zwischen Ausdehnung des Festlandsockels und Länge der Küste).
Fall nach IGH, Urteil vom 20.02.1969, ICJ Reports 1969, S. 3 ff. Abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 8.
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Lösung Fall 11:
Voraussetzungen für Völkergewohnheitsrecht
1.
(Langandauernde) Einheitliche Praxis (longa consuetudo)
2.
Rechtsüberzeugung (opinio iuris)
Hier: Inkorporation der Zehn-Meilen-Regel in nationales Recht zahlreicher Staaten.
Zahlreiche völkerrechtliche Verträge.
Aber: keine einheitliche Übung durch andere Staaten.
Besonderheit: Norwegen ist "persistent objector" (ständiger Einwender)
Folge: Entstehung einer Norm des Völkergewohnheitsrechts kann dadurch zwar nicht
verhindert werden, das beharrliche Widersetzen schließt jedoch die Bindung des persistent
objector an die Norm aus.
Fall nach IGH, Urteil vom 18.12.1951, ICJ Reports 1951, S. 115 ff. Abgedruckt in
Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 10.
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Lösung Fall 12:
Problem: Rasche Entstehung von Völkergewohnheitsrecht
Problematisch ist dies deshalb, weil die Entstehung von Völkergewohnheitsrecht
grundsätzlich eine lang dauernde Übung voraussetzt. IGH: "Extensive and virtually uniform
practise".
Aber: Wandel der Anforderungen unter dem Gesichtspunkt der Effektivität des Völkerrechts
unter den Bedingungen hochtechnisierter und komplexer internationaler Beziehungen. Hier:
Interessenlage
Kontiguität: Originärer Erwerb Kraft geomorphologischen Zusammenhangs.
Effektivität: Fähigkeit zur Herrschaftsausübung, insbesondere zur Rohstoffausbeutung.
Wirtschaftliche Rechte der Bevölkerung.
Diese Interessenlage war bei den Betroffenen allgemein. Daher wurde gegen den einseitigen Anspruch des US-Präsidenten Truman und die ihm folgende Praxis auch anderer
Staaten nicht protestiert. Zahlreiche andere Staaten verfuhren ebenso. Aus diesem Grunde
bildete sich das entsprechende Völkergewohnheitsrecht schnell heraus.
Fall nach Truman-Proklamation, AJIL 40 (1946) Supplement, S. 45 f. Abgedruckt in
Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 13.
Beachte jetzt: Art. 76 VN-Seerechtskonvention; Sart. II Nr. 350.
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Lösung Fall 13:
Kann Peru Beendigung der Asylgewährung verlangen?
1.
Keine Exterritorialität der Botschaft
2.
Gewährung diplomatischen Asyls verletzt Rechtsordnung des Empfangsstaats, wenn
dieser Auslieferung verlangt (vgl. Art. 41 Abs. 1 und 3 WÜD - Randelzhofer Nr. 8, Sart.
II Nr. 325).
Rechtfertigungsgründe?
Art. 22 WÜD: Zwar faktischer Schutz des Asylsuchenden, jedoch anderer Schutzzweck, vgl.
Art. 41 WÜD.
Abweichendes Völkergewohnheitsrecht?
-
Bei Gefahr einer
Empfangsstaat
Verletzung
des
humanitären
Mindeststandards
durch
den
-
aber: keine einheitliche Praxis. Beschränkung auf absolute Extremfälle und nur
kurzfristige Schutzgewährung. In diesen Fällen meist Duldung durch Empfangsstaat.
Geltung von regionalem Völkergewohnheitsrecht?
IGH: "Allgemeine" Praxis genügt nicht. Erforderlich ist vielmehr Anerkennung von allen
betroffenen Staaten, die verpflichtet werden sollen (Unterschied zu universellem
Völkergewohnheitsrecht). Peru ist als lateinamerikanischer Staat betroffen, hat aber stets
einer solchen Verpflichtung widersprochen.
Ergebnis: Peru kann die Beendigung der Asylgewährung verlangen.
Fall nach IGH, Urteil vom 20.11.1950 (Fall Haya de la Torre), ICJ Reports 1950, S. 265 ff.
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Lösung Fall 14:
Allgemeiner Rechtsgrundsatz: Estoppel
1.
Verhalten Ihlens Norwegen zurechenbar?
2.
Berechtigtes Vertrauen Dänemarks entstanden?
3.
a)
Auslegung von Ihlens Erklärung "nach objektivem Empfängerhorizont"
b)
Kein Ausschlußtatbestand
Anschließendes widersprüchliches Verhalten Norwegens.
Ergebnis: Aufgrund des allgemeinen Rechtsgrundsatzes, wonach widersprüchliches
Verhalten unbeachtlich ist, wenn es das berechtigte Vertrauen des Erklärungsgegners
verletzt (estoppel) ist die Proklamation Norwegens völkerrechtswidrig.
Fall nach StIGH, Urteil vom 05.04.1933 (Dänemark/Norwegen, Ostgrönland/Ihlen-Fall), PCIJ
Series A/B, S. 53 ff. = Österreichisches Handbuch des Völkerrecht, Materialienteil, D 44.
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Lösung Fall 15:
Die Klage zum IGH könnte mangels Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sein, weil
Frankreich durch eine einseitig verpflichtende Willenserklärung dem Anliegen Australiens
und Neuseelands entsprochen hat.
Wirksamkeitsvoraussetzungen sind weder das Vorliegen einer ausdrücklichen Annahmeerklärung noch einer Gegenleistung. Fraglich ist aber, ob Frankreich bei Abgabe der
Erklärung Rechtsbindungswillen hatte. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln, wobei jedoch
im Falle einer Erklärung, deren Inhalt auf eine Beschränkung der eigenen Staatenfreiheit
gerichtet ist, eine restriktive Auslegung geboten ist.
Unmaßgeblich für den Rechtsbindungswillen ist die Form, in der die Erklärung abgegeben
wurde. Auch im Völkerrecht genügt Mündlichkeit, es sei denn, etwas anderes ist vereinbart.
Maßgeblich ist der Grundsatz von Treu und Glauben, wonach Vertrauen eines anderen
Staates, das durch eigenes schlüssiges Verhalten begründet wurde, schützenswert ist. Hier
sind die Erklärungen Frankreichs schlüssig dahin auszulegen, die Kernwaffenversuche in
der Atmosphäre beenden zu wollen. Daraus erwächst berechtigtes Vertrauen Australiens
und Neuseelands in diese Erklärungen. Sie können daher verlangen, daß Frankreich die so
geschaffene Verpflichtung respektiert. Damit ist aber nach Ansicht des IGH auch das
Rechtsschutzbedürfnis für die erhobene Feststellungsklage entfallen.
Fall nach IGH, Urteile vom 20.12.1974, ICJ Reports 1974, S. 252 ff. bzw. S. 456 ff. Abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 43.
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Lösung Fall 16:
Ein Anspruch bestünde, wenn der Versicherungsvertrag wirksam zustande gekommen wäre.
Nichtigkeit gemäß § 134 BGB: Mangels Ratifikation liegt kein Gesetz vor, das als gesetzliches Verbot im Sinne des § 134 BGB die Wirksamkeit hindert.
Nichtigkeit gemäß § 134 BGB in Verbindung mit Art. 25 GG: Allgemeiner Rechtsgrundsatz
bzw. Völkergewohnheitsrecht, wonach die Ausfuhr von Kunstgegenständen entgegen einem
nationalen Verbot zugleich völkerrechtswidrig ist, nicht erkennbar (mittlerweile vielleicht
anders zu beurteilen: Völkergewohnheitsrecht).
Nichtigkeit gemäß § 138 BGB: Aus der Resolution der UNESCO von 1970 ergibt sich die
grundsätzliche Überzeugung, daß jeder Staat ein Recht habe, sein kulturelles Erbe zu
schützen, und das folglich ein Verstoß gegen ein nationales Schutzgesetz als verwerflich zu
betrachten sei. Die Anständigkeit des internationalen Verkehrs mit Kunstgegenständen
verlangt, daß auch deutsche zivilrechtliche Vorschriften keinen zuwiderlaufenden Schutz
gewähren. Ein Versicherungsvertrag darüber ist dem gemäß sittenwidrig.
Da der Inhalt des Rechtsgeschäfts sittenwidrig ist, ist unerheblich, ob die Parteien das
Bewußtsein der Sittenwidrigkeit hatten oder ob sie die Tatsachen kannten, die das
Rechtsgeschäft sittenwidrig machen. Vgl. Palandt, § 138, Rdnr. 7.
Fall nach BGHZ 59, 82.
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Lösung Fall 17:
Vertragliche Grundlage gegeben.
Formell keine Aufhebung des Vertrages.
Vertragsbeendigung durch spätere Praxis der Parteien?
Grundsätzlich möglich, da Gleichrangigkeit der Völkerrechtsquellen und bilaterales
Völkergewohnheitsrecht möglich.
Voraussetzungen:
Keine Anwendung über lange Zeit
Überzeugung, zur Nichtanwendung berechtigt zu sein.
Hier: Keine Anwendung durch die Vertragsparteien über einen längeren Zeitraum.
Rechtsüberzeugung: Wird indiziert dadurch, daß der Vertrag in den deutschen bzw.
österreichischen Fundstellennachweisen völkerrechtlicher Verträge nicht aufgelistet wird.
Kein Protest gegen die Nichtanwendung des Vertrages durch eine der Vertragsparteien.
Ergebnis: Desuetudo.
Fall nach Urteil des Österreichischen Verfassungsgerichtshofs vom 13.03.1973, Juristische
Blätter 96 (1974), S. 86 ff. Abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts,
Materialienteil, D 51.
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Lösung Fall 18:
I.
II.
Zulässigkeit der Klage
1.
Verwaltungsrechtsweg
(§
40
VwGO):
Öffentlich-rechtliche
Streitigkeit
nichtverfassungsrechtlicher Art. Hier: § 25 Abs. 1 RuStAG 1913 = § 25 Abs. 1
StAG 2000 (Sart. I Nr. 15).
2.
Statthafte Klageart: Feststellungsklage, § 43 VwGO.
Begründetheit
Klage begründet, wenn A eine ausländische Staatsangehörigkeit auf seinen Antrag hin
erworben hat, § 25 Abs. 1 RuStAG = StAG. Der Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit
setzt voraus, daß das verleihende Gebilde ein Staat im Sinne des Völkerrechts ist.
Prüfung anhand der Kriterien der Drei-Elemente-Lehre
Staatsgebiet: Sealand ist eine künstliche Insel, die durch Pfeiler mit dem Meeresboden
verbunden ist. Nach völkerrechtlicher Anschauung ist Staatsgebiet stets ein Teil der
Erdoberfläche, der, wenn er nicht selbst Landgebiet ist, jedoch mit dem Festland in
natürlicher Beziehung stehen muß (vgl. auch Kontiguitätstheorie). Dies ist im Falle Sealands
nicht gegeben, da durch die künstliche Verbindung mit dem Meeresboden die Insel noch
nicht zum Landgebiet wird.
Problem: Dauerhaftigkeit des Landgebiets.
Staatsvolk: Größe des Staatsvolks nicht entscheidend. Maßgeblich ist jedoch die Bildung
einer "Schicksalsgemeinschaft" bzw. das Zusammenleben zum Zwecke der Bewältigung
aller individuellen und gemeinsamen Lebensinteressen. Diese Voraussetzungen sind im
Falle Sealands nicht gegeben, da die Mehrzahl der sog. Staatsangehörigen sich nur
vorübergehend dort aufhält.
Problem: Verfestigung und Dauerhaftigkeit.
Andere Ansicht ebensogut vertretbar. Es genügt, daß die Personen sich einer gemeinsamen
Verfassung unterordnen und sich ein Teil von ihnen ständig auf der Insel befindet.
Staatsgewalt: Die formelle Existenz einer Verfassung und eines Staatsoberhaupts genügen
nicht. Nach Völkerrecht ist vielmehr die effektive Herrschaftsausübung nach innen sowie die
Wahrnehmung
völkerrechtlicher
Rechte
und
Pflichten
gegenüber
anderen
Völkerrechtssubjekten erforderlich.
Hier: Das "Fürstentum" regiert sich selbst und übt auf der Insel effektive Staatsgewalt aus.
Andere Ansicht vertretbar: Forderung einer gewissen Mindestintensität.
Die Anerkennung durch andere Staaten ist irrelevant.
Problem: Wandel in der völkerrechtlichen Praxis zur Erwirkung von Anerkennungen.
Ergebnis: Mangels Staatsqualität (jedenfalls das Staatsgebiet fehlt) kann Sealand auch
keine Staatsangehörigkeit im Sinne des § 25 Abs. 1 RuStAG = StAG verliehen haben. Die
Klage ist unbegründet.
Fall nach VG Köln, DVBl. 1978, S. 510 ff.
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Lösung Fall 19:
Liechtenstein (L) kann Nottebohm (N) gegen Guatemala (G) diplomatischen Schutz
gewähren und dessen Rechte geltend machen, wenn dieser Staatsangehöriger von L ist.
N hat die liechtensteinische Staatsangehörigkeit erworben. Fraglich ist, ob dieses formelle
Kriterium für die Geltendmachung diplomatischen Schutzes genügt, d.h., ob jede Verleihung
der Staatsangehörigkeit völkerrechtlich anerkannt werden muß.
IGH: Entscheidend ist eine soziale Nähebeziehung (genuine link), die das Verhältnis
zwischen einer natürlichen Person und einem bestimmten Staat im Vergleich zur Beziehung
zu anderen Staaten abhebt.
Grund:
Staatsbürgerschaft
"Schicksalsgemeinschaft".
bedeutet
Begründung
einer
lebenslangen
Ergebnis: Mangels Vorliegen eines "genuine link" zwischen N und L ist dieser nicht
Staatsangehöriger von L im völkerrechtlichen Sinne geworden. L kann keinen diplomatischen Schutz gewähren.
Fall nach IGH, Urteil vom 06.04.1955, ICJ-Reports 1955, S. 4 ff. (24) = Österreichisches
Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 65.
Vertiefungshinweise: Makarov, Das Urteil des internationalen Gerichtshofs im Fall
Nottebohm, ZaöRV 16 (1955/56), S. 407 ff.; Wengler, Betrachtungen zum Begriff der
Staatsangehörigkeit, Festschrift für Walter Schätzel, 1960, S. 545 ff.
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Lösung Fall 20
Einer Anwendung des DDR-Rechts könnte die Tatsache entgegenstehen, dass Österreich
die DDR noch nicht anerkannt hat.
Konstitutive Theorie: Da hier noch die DDR im Verhältnis zu Österreich kein
Völkerrechtssubjekt wäre, wären ihre Hoheitsakte unbeachtlich.
Deklaratorische Theorie: Da entscheidend allein das Vorliegen der drei Elemente
Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt ist und dies für die DDR im Jahr 1968 (anhand
der allgemeinen völkerrechtlichen Kriterien) bejaht werden kann, sind die Hoheitsakte der
DDR beachtlich.
Gerichtliche Praxis: Ist nach nationalem internationalem Privatrecht (Kollisionsrecht) das
Recht des nicht anerkannten Staates anzuwenden, so steht dem die fehlende Anerkennung
nicht entgegen.
Grund: Entscheidung eines privatrechtlichen Falles bedeutet keine Anerkennung des
anderen Staates.
Beachte: Es kommt zu keiner Anwendung des Rechts eines anderen Staates, wenn dieses
gegen den eigenen ordre public verstößt.
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Lösung Fall 21
Tinoco Arbitration (Great Britain v Costa Rica), 1 Reports of International Arbitral
Awards [RIAA] (1923) 369, Taft, Sole Arbitrator
Taft: ... But it is urged that many leading Powers refused to recognize the Tinoco
government, and that recognition by other nations is the chief and best evidence of the birth,
existence and continuity of succession of a government. Undoubtedly recognition by other
Powers is an important evidential factor in establishing proof of the existence of a
government in the society of nations. ...
Probably because of the leadership of the United States in respect to a matter of this kind,
her then Allies in the war, Great Britain, France and Italy, declined to recognize the Tinoco
government. Costa Rica was, therefore, not permitted to sign the Treaty of Peace at
Versailles, although the Tinoco government had declared war against Germany. ...
The non-recognition by other nations of a government claiming to be a national personality,
is usually appropriate evidence that it has not attained the independence and control entitling
it by international law to be classed as such. But when recognition vel non of a government
is by such nations determined by inquiry, not into its de facto sovereignty and complete
governmental control, but into its illegitimacy or irregularity of origin, their non-recognition
loses something of evidential weight on the issue with which those applying the rules of
international law are alone concerned. What is true of the non-recognition of the United
States in its bearing upon the existence of a de facto government under Tinoco for thirty
months is probably in a measure true of the non-recognition by her Allies in the European
War. Such non-recognition for any reason, however, cannot outweigh the evidence
disclosed by this record before me as to the de facto character of Tinoco's government,
according to the standard set by international law.
Second. It is ably and earnestly argued on behalf of Costa Rica that the Tinoco government
cannot be considered a de facto government, because it was not established and
maintained in accord with the constitution of Costa Rica of 1871. To hold that a government
which establishes itself and maintains a peaceful administration, with the acquiescence of
the people for a substantial period of time, does not become a de facto government unless it
conforms to a previous constitution would be to hold that within the rules of international law
a revolution contrary to the fundamental law of the existing government cannot establish a
new government. This cannot be, and is not, true. The change by revolution upsets the rule
of the authorities in power under the then existing fundamental law, and sets aside the
fundamental law in so far as the change of rule makes it necessary. To speak of a revolution
creating a de facto government, which conforms to the limitations of the old constitution is to
use a contradiction in terms. The issue is not whether the new government assumes power
or conducts its administration under constitutional limitations established by the people
during the incumbency of the government it has overthrown. The question is, has it really
established itself in such a way that all within its influence recognize its control, and that
there is no opposing force assuming to be a government in its place? Is it discharging its
functions as a government usually does, respected within its own jurisdiction?
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Fortsetzung zu Fall 21:
... It is further objected by Costa Rica that Great Britain by her failure to recognize the Tinoco
government is estopped now to urge claims of her subjects dependent upon the acts and
contracts of the Tinoco government. The evidential weight of such non-recognition against
the claim of its de facto character I have already considered and admitted. The contention
here goes further and precludes a government which did not recognize a de facto
government from appearing in an international tribunal in behalf of its nationals to claim any
rights based on the acts of such government. To sustain this view a great number of
decisions in English and American courts are cited to the point that a municipal court cannot,
in litigation before it, recognize or assume the de facto character of a foreign government
which the executive department of foreign affairs of the government of which the court is a
branch has not recognized. This is clearly true. It is for the executive to decide questions of
foreign policy and not courts. It would be most unseemly to have a conflict of opinion in
respect to foreign relations of a nation between its department charged with the conduct of
its foreign affairs and its judicial branch. But such cases have no bearing on the point before
us. Here the executive of Great Britain takes the position that the Tinoco government which
it did not recognize, was nevertheless a de facto government that could create rights in
British subjects which it now seeks to protect. Of course, as already emphasized, its failure
to recognize the de facto government can be used against it as evidence to disprove the
character it now attributes to that government, but this does not bar it from changing its
position.
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Lösung zu Fall 22
Somalia (A Republic) v Woodhouse Drake & Carey (Suisse) SA [1993] 1 All England Law
Reports [All ER] 371, High Court
Hobhouse J: The policy of the United Kingdom is now not to confer recognition upon
governments as opposed to upon states.
The position in English law before 1980 was that a foreign government which has not been
recognised by the United Kingdom government as either de jure or de facto government has
no locus standi in the English courts. Thus it cannot institute an action in the courts ... The
English courts will not give effect to the acts of an unrecognised government ...Thus,
recognition by Her Majesty's government was the decisive matter and the courts had no role
save to inquire of the executive whether or not it had recognised the government in question.
Some writers appear still to feel that the criterion remains one of recognition by the
government of this country, the difference being that, whereas before 1980 the government
would say expressly whether it recognised the foreign government, now it is to be left to be
ascertained as a matter of inference: ... The impracticality of the 'inferred recognition' theory
as a legal concept for forensic use is obvious and it cannot be thought that that was the
intention of Her Majesty's government in giving the Parliamentary answers. The use of the
phrase 'left to be inferred' is designed to fulfil a need for information in an international or
political, not a judicial, context.
If recognition by Her Majesty's government is no longer the criterion of the locus standi of a
foreign 'government' in the English courts and the possession of a legal persona in English
law, what criteria is the court to apply? The answers do confirm one applicable criterion,
namely whether the relevant regime is able of itself to 'exercise effective control of the
territory of the State concerned' and is 'likely to continue to do so'; and the statement as to
what is to be the evidence of the attitude of Her Majesty's government provides another -- to
be inferred from the nature of the dealings, if any, that Her Majesty's government has with it
and whether they are on a normal government to government basis. The non-existence of
such dealings cannot however be conclusive because their absence may be explained by
some extraneous consideration -- for example lack of occasion, the attitude of the regime to
human rights, its relationship to another state. As the answers themselves acknowledge, the
conduct of governments' in their relations with each other may be affected by considerations
of policy as well as by considerations of legal characterisation. The courts of this country are
now only concerned with the latter consideration. How much weight in this connection the
courts should give to the attitude of Her Majesty's government was one of the issues before
me.
... It is clear … that Her Majesty's government does not consider that there is at present any
effective government in Somalia. It refers to 'factions and treats the interim, government as
merely one among a number of factions. … Accordingly, if the question before the court is to
be decided upon the basis of the attitude adopted by Her Majesty's government, an order
cannot be made in favour of the interim government or Crossman Block. The Basis for its
attitude is clearly not any disapproval of an established regime but rather that there is no
regime which has control, let alone any administrative control which has the requisite
element of stable continuity.
… Once the question for the court becomes one of making its own assessment of the
evidence, making findings of fact on all the relevant evidence placed before it and drawing
the appropriate legal conclusion, and is no longer a question of simply reflecting government
policy, letters from the Foreign and Commonwealth Office become merely part of the
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evidence in the case. .. Here no question of the recognition of a state is involved. Nor does
this case involve any accredited representative of a foreign state in this country. Different
considerations would arise if it did, since it would be contrary to public policy for the court not
to recognise as a qualified representative of the head of state of the foreign state the
diplomatic representative recognised by Her Majesty's government. There is no recognised
diplomatic representative of the Republic of Somalia to the United Kingdom.
The statements of fact in the letters from the Foreign and Commonwealth Office are
confirmed by the other evidence that is before the court concerning the actual situation in
Somalia. The interim government is not governing that county and does not exercise
administrative or any control over its territory and populations ...
The criteria of effective control referred to in the Parliamentary answers are clearly not
satisfied. ... The interim government clearly does not satisfy these criteria; the republic
currently has no government.
However there are two other aspects upon which counsel for the interim government has
relied. These are the recognition of the interim government by some other states and
international bodies, and the fact that the interim government was set up by the Djibouti
Agreement, which resulted from an international conference attended by many international
states and bodies.
In evaluating these arguments it is relevant to distinguish between regimes that have been
the constitutional and established government of a state and a regime which is seeking to
achieve that position either displacing a former government or to fill a vacuum. Since the
question is now whether a government exists, there is no room for more than one
government at a time nor for separate de jure and de facto governments in respect of the
same state. But a loss of control by a constitutional government may not immediately
deprive it of its status, whereas an insurgent regime will require to establish control before it
can exist as a government.
The argument based on the Djibouti Agreement does not assist the interim government. The
Djibouti Agreement was not constitutional. It did not create a de jure status for the interim
government in Somalia. The interim government was not and did not become the
constitutional successor of the government of President Siad Barre. Accordingly, if the
interim government is to be treated as the government of Somalia, it must be able to show
that it is exercising administrative control over the territory of the republic. That it is not able
to do. Accordingly that argument must fail.
As regards the argument of international recognition and recognition by the United Nations,
although this does not as such involve control of territory or a population, it does correspond
to one aspect of statehood. A classic definition of a state is that contained in art. 1 of the
Inter-American Convention on the Rights and Duties of States (Montevideo, 26 December
1933) as having `a permanent population; a defined territory; Government; and capacity to
enter into relations with other States.' Whilst illustrating that it is difficult to separate the
recognition of a state from the recognition of a government of that state, this definition also
shows that part of the function of a government of a state is to have relations with other
states. .. Accordingly I consider that the degree of international recognition of an alleged
government is a relevant facto in assessing whether it exists as the government of a state.
But where, as here, the regime exercises virtually no administrative control at all in the
territory of the state, international recognition of an unconstitutional regime should not suffice
and would, indeed, have to be accounted for by policy considerations rather than legal
characterisation; and it is, of course, possible for state to have relations with bodies which
are not states or governments of states.
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There is evidence from which it appears that the United Nations Organisation considers that
there are persons whom it may treat as the representatives of the Republic of Somalia.
Resolution 733 started with the words: 'Considering the request by Somalia for the Security
Council to consider the situation in Somalia' ... This evidence is not wholly satisfactory. The
attitude of the United Nations to interim government could be established in a more direct
fashion and more authoritatively...
In any event, membership of an international organisation does not amount to recognition
nor does a vote on credentials and representation issues: see Warbrick 'The new British
policy on recognition of government's (1981) 30 ICLQ 568 at 583, citing the Secretary
General's memorandum 1950 UN Doc S/1466. But any apparent acceptance of the interim
government by the United Nations and other international organisations and states does not
suffice in the present case to demonstrate that the interim government is the government of
the Republic of Somalia. The evidence the other way is too strong.
Accordingly, the factors to be taken into account in deciding whether a government exists as
the government of a state are: (a) whether it is the constitutional government of the state; (b)
the degree, nature and stability of administrative control, if any, that it of itself exercises over
the territory of the state; (c) whether Her Majesty's government has any dealings with it and
if so what is the nature of those dealings; and (d) in marginal cases, the extent of
international recognition that it has the government of the state.
On the evidence before the court the interim government certainly does not qualify having
regard to any of the three important factors.
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Lösung zu Fall 22a
Der IGH anerkannte in seinem Rechtsgutachten über Reparations for Injuries Suffered in the
Service of the United Nations (ICJ Rep. 1949, S. 174, 182 - Bernadotte-Fall) ein Recht der
Vereinten Nationen, für in ihrem Dienst erlittene Schäden völkerrechtliche Ersatzansprüche
selbst gegen Nichtmitgliedstaaten geltend zu machen, obwohl eine ausdrückliche Grundlage
in der Satzung fehlte (implied powers Lehre!). Denn nach Völkerrecht müssen die Vereinten
Nationen so angesehen werden, daß sie die Vollmachten haben, die obwohl in der Satzung
nicht ausdrücklich vorgesehen, zur Erfüllung ihrer Aufgaben wesentlich sind. Das ergibt sich
aus einer notwendigen stillschweigenden Folgerung aus den ausdrücklich der UN
übertragenen Aufgaben (nessecary implication).
Dabei gilt nach dem IGH (dort S 185) wegen der weitgespannten Ziele der UN und der
weltweiten, nahezu umfassenden Mitgliedschaft, dass die UN diese Rechte auch gegenüber
Nichtmitgliedstaaten geltend machen kann. Insoweit steht ihr eine objektive
Völkerrechtspersönlichkeit auch gegenüber Nicht-Mitgliedstaaten zu.
UNO kann wegen des Beschäftigungsverhältnisses die Schäden geltend machen. Daraus
ergibt sich ein besonderes Schutzrecht, das neben dem diplomatischen Schutzrecht des
Heimatstaats des Betroffenen tritt (die Staaten/Int Org müssen sich dann einigen über die
Geltendmachung). Die UNO darf das Schutzrecht sogar gegenüber dem Heimatstaat
ausüben, also gegenüber dem Staat, dessen Angehöriger der Getötete war. Der sonst zu
findende Ausschluss des diplomatischen Schutzrechts im Verhältnis zum eigenen Staat gilt
hier nicht!
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Lösung Fall 23:
A)
Zulässigkeit
Einwand der Staatenimmunität: Freistadt Danzig ist Staat im Sinne des Völkerrechts
(vgl. Art. 100 ff. Versailler Vertrag), Polen ebenfalls. Beamtenrechtliche Streitigkeiten
werden zum Bereich hoheitlicher Ausübung der Staatsgewalt (acta iure imperii) gerechnet. Danziger Gerichte sind folglich wegen der Staatenimmunität Polens nicht
zuständig.
Ausnahme: Polen müßte sich in dem Beamtenabkommen der Danziger Gerichtsbarkeit
für den Fall solcher Streitigkeiten unterworfen haben.
B)
Begründetheit
Völkerrechtliche Verträge verpflichten und berichtigen
Vertragsparteien, d.h. regelmäßig nur Völkerrechtssubjekte.
grundsätzlich
nur
die
Ausnahme: Vertrag ist self-executing.
Voraussetzungen:
1.
Subjektiv: Wille der Vertragsparteien auf Anwendung des Vertrages durch nationale Gerichte und Behörden gerichtet.
2.
Objektiv: Inhalt, Zweck und Fassung der einzelnen Vorschriften müssen die Anwendung zulassen.
Ergebnis: Ein Anspruch im Sinne eines subjektiven Rechts besteht nur dann,
wenn die fragliche Vorschrift inhaltlich hinreichend bestimmt ist und der Anspruch
vorbehaltlos besteht. Dies ist durch Auslegung zu ermitteln. Quelle: Ständiger
Internationaler Gerichtshof, 1928, Series B, Nr. 15, S. 17 f. (Jurisdiction of the
Courts of Danzig).
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Lösung Fall 24:
Die Befreiungsaktion von U
I.
Deliktsfähigkeit
II.
Deliktisches Verhalten
1.
Verstoß gegen das Gewaltverbot (Art. 2 Abs. 4 SVN)
a)
Anwendung militärischer Gewalt
b)
Gegen die territoriale Integrität von S gerichtet. Es läge kein Verstoß gegen
das Gewaltverbot vor, wenn die Gewaltanwendung nicht gegen die territoriale
Unversehrtheit von S gerichtet ist. Schutzzweck der Norm, Begünstigter.
Ist die territoriale Integrität dann nicht betroffen, wenn die Maßnahme nicht zu
tatsächlichem Substanzverlust, sondern nur zu verübergehender Einwirkung
auf fremdes Staatsgebiet führt? Vgl. Westerdiek, ArchVR 21 (1983), S. 383 ff.
(387).
Dagegen spricht der Zweck der Vorschrift sowie die Entstehungsgeschichte
des Art. 2 Abs. 4 SVN, die gemäß Art. 32 WVRK berücksichtigt werden darf.
Daher: Auch lediglich vorübergehendes Einwirken auf fremdes Staatsgebiet
wird vom (somit umfassend verstandenen) Gewaltverbot des Art. 2 Abs. 4 SVN
miterfaßt.
2.
Verstoß gegen Interventionsverbot
Das Interventionsverbot schließt militärische Gewaltanwendung ein. Insofern
bestehen Überschneidungen mit dem völkerrechtlichen Gewaltverbot. Eine
allgemein anerkannte Abgrenzung zwischen beiden Tatbeständen gibt es bis heute
nicht.
Schließt der Schutz eigener Staatsangehöriger bereits den Tatbestand des
Interventionsverbots aus? Argumente dafür: Bei einer Gefährdung der eigenen
Staatsangehörigen auf fremdem Territorium handelt es sich auch um eine
Angelegenheit des eingreifenden Staates.
Dagegen UN-Generalversammlung Resolution 2625 (XXV) = Friendly Relations-Deklaration
(Sart. II Nr. 4), Abs. III 1: Zumindest jedes bewaffnete Eingreifen stellt eine unzulässige
Intervention dar. Ebenso die neuere Literatur, vgl. Schröder, JZ 1977, S. 420 ff. (423 m. w.
Nw.).
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Lösung Fall 25:
Zur Zulässigkeit:
Die Klage des K könnte wegen Staatenimmunität bereits unzulässig sein (fehlende deutsche
Gerichtsbarkeit, vgl. §§ 18-20 GVG (Schönfelder Nr. 95); hier Art. 25 GG in Verbindung mit
Völkergewohnheitsrecht).
Ältere Staatenpraxis: Klage unzulässig
Heute herrschend: Restriktive Immunitätslehre.
Im Erkenntnisverfahren: Unterscheidung nach acta iure imperii (hoheitliche Akte) und acta
iure gestionis (privatwirtschaftliche Akte).
Werkvertrag mit K ist privatrechtliches Geschäft Ruritaniens (Staat tritt wie ein Privatmann
auf).
Da nur hoheitliche Akte einer gerichtlichen Überprüfung entzogen sind, kann Ruritanien den
Einwand der Staatenimmunität nicht erheben.
Klage des K ist insoweit zulässig. (Vgl. BVerfGE 16, 27).
Zur Begründetheit:
Besteht kein Anspruch, weil durch den Umsturz Ruritanien untergegangen ist und ein neuer
Staat entstanden ist, der an den früheren Vertrag nicht gebunden sein könnte?
Mit einer solchen Argumentation kann sich Ruritanien der Zahlungspflicht nicht entziehen.
Denn es liegt kein Fall der Staatensukzession vor, sondern lediglich ein Regierungswechsel.
Staatensukzession ist allein die Ersetzung eines Staates durch einen anderen Staat in der
Verantwortlichkeit für die internationalen Beziehungen eines Gebietes (Art. 2 Abs. 1 der
Wiener Konventionen über die Staatennachfolge, Legaldefinition). Die Nachfolge einer durch
Revolution oder Staatsstreich entstandenen neuen Regierung in Rechte und Pflichten, die
ihre Vorgängerin übernommen hat, ist kein Fall der Staatensukzession, da ihr die
völkerrechtliche Staatsidentität erhalten bleibt (a. A., aus ihrem ideologischen
Staatsverständnis - Abhängigkeit von der jeweils herrschenden Klasse - konsequent, die
sozialistische Völkerrechtsauffassung).
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Lösung Fall 26:
I.
Einwendung der Immunität: Differenzierende Lösung: Nur bei acta iure imperii, nicht bei
acta iure gestionis.
II.
Problem: Welches von beiden liegt hier vor?
1.
Abstellen auf den Zweck: Abholen von Botschaftspost: Acta iure imperii.
2.
Abstellen auf die objektive Form der Handlung (kann die konkret vorgenommene
Handlung, unabhängig vom Zweck, auch durch einen Privatmann erfolgen?):
Teilnahme am allgemeinen Straßenverkehr: Acta iure gestionis.
Es kommt nicht auf den Zweck (Abholen der Post), sondern auf die Handlung (Teilnahme
am Straßenverkehr) an. Hier handelt der Staat wie jeder Private.
Argument: Ansonsten würde die "restriktive" (= differenzierende) Theorie ad absurdum
geführt, weil immer ein hoheitlicher Zweck nachgeschoben werden könnte.
Ergebnis: Die Immunität steht der Klage nicht entgegen.
Fall nach Österreichischer Oberster Gerichtshof, Juristische Blätter 84 (1962), S. 43 ff.
Abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 93.
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Lösung Fall 27:
Problem: Bestehen der deutschen Gerichtsbarkeit.
1.
§§ 18-20 GVG: Betreffen nicht den Fall, daß der fremde Staat selbst als Beklagter eines
Erkenntnisverfahrens oder als Schuldner eines Vollstreckungsverfahrens in Anspruch
genommen wird. Immunität nur gemäß Art. 25 GG i.V.m. einer allgemeinen Regel des
Völkerrechts.
2.
Besteht eine allgemeine Regel des Völkerrechts (= Völkergewohnheitsrecht) der
Staatenimmunität vor Zwangsvollstreckung?
a)
Im Erkenntnisverfahren: Restriktive (differenzierende) Theorie herrschend und
Völkergewohnheitsrecht: Acta iure imperii/acta iure gestionis.
b)
Für das Vollstreckungsverfahren (Zwangsvollstreckung) ist eine solche Differenzierung dagegen nicht einheitlich feststellbar. Zahlreiche Staaten halten nach
wie vor an der Gewährung grundsätzlich unbeschränkter Immunität für den
fremden Staat fest. Argument: Maßnahmen der Sicherung und der
Zwangsvollstreckung greifen in der Regel sehr viel unmittelbarer und einschneidender in die Ausübung der Hoheitsgewalt des fremden Staates ein als
gerichtliche Erkenntnisse.
BVerfG: Differenzierende Lösung:
Keine allgemeine Regel der vollständigen Immunität vor Zwangsvollstreckungen.
Auch Differenzierung
zweckentscheidend.
nach
acta
iure
imperii/acta
iure
gestionis.
Aber
insoweit
Sonderproblem: Gefährdung der diplomatischen Mission.
Überprüfung der Konten für ausländischen Staat unzumutbar.
Ergebnis: Zwangsvollstreckung unzulässig.
Fall nach BVerfGE 46, 342 ff.
Vertiefungshinweis: Weiß, Fälle mit Lösungen zum Europa- und Völkerrecht, 2. Aufl 2005,
Fall 15 („Pfändung in Staatsvermögen“).
Vgl. auch den Fall des Österreichischen Obersten Gerichtshofs, Österreichisches Handbuch
des Völkerrechts, Materialienteil, D 86, der sich der Ansicht des BVerfG anschließt.
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Lösung Fall 28:
1.
Parteifähigkeit: Nur Staaten (vgl. Art. 34 IGH-Statut)
2.
Beschwerdebefugnis: Geltendmachung der Verletzung eigener Rechte bzw. der Rechte
eines eigenen Staatsangehörigen (durch dessen Rechtsverletzung der Staat in seinen
Rechten verletzt ist)
3.
Erschöpfung des innerstaatlichen Rechtswegs: Sog. local remedies rule (nur bei der
Verletzung von Rechten Privater)
4.
Anerkennung der Zuständigkeit des Gerichts (vgl. Art. 36 IGH-Statut)
Quelle: Ständiger Internationaler Gerichtshof, Series A Nr. 2, 1924 (MavrommatisKonzessionen) abgedruckt in Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, D 343.
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Lösung Fall 29:
Beschwerdebefugnis: Staat muß in der Person seines Staatsangehörigen verletzt sein.
Hier: Juristische Person mit Sitz in Kanada.
Problem: Welchem Staat ist in diesem Sinne die fragliche AG zuzurechnen?
Kriterien: Sitz der juristischen Person
Zentrum ihrer Tätigkeit
Recht, nach dem sie gegründet wurde
Staatsangehörigkeit derjenigen natürlichen Personen, die die effektive Kontrolle ausüben
(Durchstoßung des "Schleiers der Gesellschaft")
IGH: Kontrolltheorie bedingt eine Unterscheidung zwischen Rechten der Gesellschaft und
Rechten der Gesellschafter. Liegt eine direkte Verletzung von Rechten der Gesellschafter
vor, so ist auch ihr Heimatstaat beschwerdebefugt.
Hier: Nur indirekte Verletzung von Rechten der Gesellschafter. Dies genügt grundsätzlich
nicht, um die Beschwerdebefugnis des Heimatstaates zu bejahen.
Ergebnis: Nur Kanada ist beschwerdebefugt
Quelle: ICJ-Reports 1964, S. 6 ff.; 1970, S. 3 ff. Barcelona Traction-Fall, abgedruckt in
Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, D 58.
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Lösung Fall 30:
Bestand eine Pflicht Albaniens, Großbritannien vor der Verminung des Kanals zu warnen?
IGH: Pflicht zur Warnung ergibt sich aus
1.
Grundlegenden Erwägungen der Humanität
2.
Dem Prinzip der Freiheit der Meere
3.
Der Pflicht eines jeden Staates, nicht wissentlich zuzulassen, daß sein Territorium für
Handlungen benutzt wird, die gegen die Rechte anderer Staaten gerichtet sind.
Die Erfüllung dieser Pflicht war Albanien auch möglich, da die Schiffe hätten rechtzeitig
gewarnt werden können.
Diese Pflichtverletzung hatte Albanien auch zu vertreten, da die schuldhaft unterlassene
Warnung durch die albanischen Behörden Albanien zuzurechnen ist. Im Ergebnis hat
Großbritannien Anspruch auf Schadensersatz.
Quelle: Korfu-Kanal-Fall, IGH, 09.04.1949, ICJ Reports 1949, S. 4 ff. Abgedruckt in
Österreichisches Handbuch des Völkerrechts, Materialienteil, D 307.
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Lösung Fall 31:
Ist Spanien dem Vereinigten Königreich gegenüber völkerrechtlich verantwortlich?
I.
Völkerrechtssubjektivität: Staaten unproblematisch gegeben. Großbritannien ist durch
die Angriffe gegen seine Bürger in Marokko selbst völkerrechtlich verletzt.
II.
Völkerrechtliches Delikt
1.
Verantwortlichkeit Spaniens für die Ereignisse in der marokkanischen Protektoratszone: Protektorat jedenfalls faktisch von Spanien abhängig, so daß
Spanien die völkerrechtliche Verantwortlichkeit für im Protektorat gesetzte
völkerrechtswidrige Akte trifft.
2.
Verantwortlichkeit für das Verhalten der Kabylen (Private)
a)
Von Privaten gesetzte Unrechtstatbestände sind dem Aufenthaltsstaat nicht
zuzurechnen.
b)
Besondere Pflicht für Spanien, Schäden an Rechtsgütern der Ausländer zu
verhindern.
Zu bejahen, wenn die Schadensverhinderung möglich und zumutbar ist und
der Schadenseintritt vorhersehbar war.
aa)
Begründet Unvermögen des Staates einen Haftungsausschluß? Mit der
Ausschöpfung aller ihm zur Verfügung stehenden Mittel erfüllt der
Aufenthaltsstaat seine völkerrechtliche Pflicht. Eine völkerrechtliche
Verantwortlichkeit kann darüber hinaus nicht eintreten (ultra posse nemo
obligatur).
bb)
Anzulegender Sorgfaltsmaßstab an das Verhalten des Territorialstaates:
Subjektiver Maßstab (diligentia quam in suis) oder objektiver Maßstab
(due diligence).
Max Huber: Diligentia quam in suis ausreichend, da in Fällen von
gewöhnlichen Verbrechen bzw. Aufständen lediglich Inländergleichbehandlung zumutbar.
Ergebnis: Sofern Spanien die in eigenen Angelegenheiten erbrachte
Sorgfalt aufgewandt hat, hat es kein völkerrechtliches Delikt begangen.
Stellungnahme: Unter der Geltung des Grundsatzes vom völkerrechtlichen
Mindeststandard bei der Beachtung der Menschenrechte trifft den Staat
zumindest insoweit eine objektive Sorgfaltspflicht.
3.
Völkerrechtliche Verantwortlichkeit Spaniens hinsichtlich der Eingriffe durch spanische Truppen.
Grundsätzlich ist deren Verhalten Spanien zurechenbar. Ein Haftungsausschuß tritt
jedoch dann ein, wenn die Schäden bei Gelegenheit notwendiger
Abwehrmaßnahmen zur Unterdrückung des Aufstandes eintraten. Da diese
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Voraussetzungen hier vorliegen, trifft Spanien unter diesen Gesichtspunkt keine
völkerrechtliche Verantwortlichkeit.
Fall nach Schiedsspruch Max Huber vom 23.10.1924 (Spanien/Vereinigtes Königreich), spanische Zone von Marokko-Fall, Österreichisches Handbuch des Völkerrecht, Materialienteil, D 308.
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